Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


ROTFUCHS/206: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 253 - Februar 2019


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

22. Jahrgang, Nr. 253 - Februar 2019


Aus dem Inhalt

*

Gerechtigkeit, ein marxistischer Begriff

In einem Interview, das am 29. November 2018 in der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" erschien, antwortete der Vorstandschef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte (geb. 1965), auf die Frage, ob es nicht ungerecht sei, wenn ein normaler Allianz-Angestellter sich in München keine Wohnung mehr leisten könne: "Gerechtigkeit ist für mich ein marxistischer Begriff. Ich weiß nicht, was das ist." Auf den Einwand hin, Gerechtigkeit sei auch ein sehr christlicher Begriff und ein Thema der Aufklärung, meinte Bäte: "Aber was einer als gerecht oder ungerecht empfindet, ist sehr subjektiv." Er glaube, es gebe viele Menschen, die sagten, der Bäte verdiene zuviel Geld (2017 waren das fast 5 Millionen Euro), und das sei ungerecht.

Was er ansonsten in diesem Gespräch zum Besten gab, war von ähnlichem Kaliber. Das Fazit: Einen wie Bäte interessieren Menschen nicht, ganze Gesellschaften erst recht nicht. Er ist eine Stimme der Barbarei, ein Typus, der gebraucht wird.

Um sich vor Augen zu führen, welche wirtschaftliche und politische Macht dieser Mann repräsentiert, genügen einige Blicke auf die in München sitzende Allianz. Sie ist einer der größten Versicherungskonzerne der Welt und rangiert auf einer Liste der weltgrößten Unternehmen überhaupt auf Platz 22. Sie beschäftigt weltweit 140.000 Mitarbeiter und 500.000 Vermittler, erlöste 2017 einen Umsatz von 126 Milliarden Euro und einen Überschuß von 7,2 Milliarden Euro. Ein Konzern mit solchen Ziffern ist zwangsläufig an jedem imperialistischen Verbrechen beteiligt. Das war historisch so: Die Allianz versicherte z. B. die Konzentrationslager Auschwitz und Dachau. Und es ist heute so: Vor einigen Jahren wurde aufgedeckt, daß Allianz-Investitionen auch an Hersteller verbotener Streubomben flossen. Über das Geflecht mit der "legalen" Rüstungsproduktion wurde nichts veröffentlicht.

Die Aktien der Allianz befinden sich zu mehr als vier Fünfteln in den Händen sogenannter institutioneller Investoren, darunter Blackrock (fast sieben Prozent). Blackrock verwaltet Vermögen in Höhe von 5,7 Billionen Euro, ist damit größter Konzern auf diesem Gebiet und wird auch von bürgerlichen Journalisten und Ökonomen als "heimliche Weltmacht" bezeichnet. Auf die Allianz trifft das ebenso zu, wird hierzulande aber von bürgerlichen Journalisten verschwiegen. Der CDU-Politiker Friedrich Merz, der seine Ambitionen, Bundeskanzler zu werden, nicht aufgegeben hat, steht an der Spitze des Aufsichtsrats von Blackrock Deutschland.

Das "Zeit"-Interview mit Bäte erschien eine Woche vor dem CDU-Parteitag, auf dem Merz nur knapp bei der Wahl zum Vorsitzenden unterlag. Zuvor hatte er noch im Stil einer Drückerkolonne verkündet, wer in jungen Jahren fünf Euro täglich in Aktien investiere, könne im Alter davon profitieren. Ende Dezember bekräftigte er den Unfug noch einmal. Die Art von Bäte und Merz, über soziale Fragen oder "Gerechtigkeit" zu reden, gehört zum Stil einer neuen Generation imperialistischen Führungspersonals: offensichtlicher Unfug und mehr Armut fürs Volk, mehr Reichtum für Reiche.

Denn das Erreichte reicht ihnen nicht. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht am Ende jedes Jahres seine Berechnungen zu Armut und Reichtum in der Bundesrepublik. Ende 2018 lautete der Befund: 2017 lebten in Ostdeutschland 17,8 Prozent der Bevölkerung mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens und damit in relativer Armut, in Westdeutschland waren es 15,3 Prozent. Das sei, so das WSI, "der größte Anteil in Armut lebender Personen seit Beginn der Zeitreihe." Den hat das Institut auf 2005 gelegt, damals betrug die Armutsquote 14,7 Prozent. Den Bäte und Merz geht dieser Anstieg nicht schnell genug. Die Millionen Schicksale hinter solchen Zahlen haben Imperialisten noch nie interessiert.

Arnold Schölzel

*

Schweizer für Beitritt zum Atomwaffen-Verbotsvertrag

Der Protest hat gewirkt: Die Schweizer Ständerat fordert nun auch den sofortigen Beitritt zum internationalen Atomwaffenverbot. Damit machen sich beide Kammern des dortigen Parlaments für einen Kurswechsel der Regierung stark. Zuvor hatten mehr als 20.000 Menschen die Petition für das Atomwaffenverbot unterschrieben, auch viele aus Deutschland.

Das Beispiel macht uns Mut, denn es kann zum Vorbild für die Bundesrepublik werden. Auch die deutsche Bundesregierung boykottiert bislang das UN-Abkommen. Auch wir haben eine Petition gestartet, bisher haben schon mehr als 70.000 Personen unterschrieben. Die Bevölkerung haben wir ohnehin auf unserer Seite: 70 Prozent wollen den deutschen Beitritt zum Verbotsvertrag und den Abzug der US-Atombomben aus Büchel in Rheinland-Pfalz.

Wir wollen den Druck erhöhen, unter anderem mit einer großen Aktion in Büchel während des Sommers. Außerdem werden wir weiter mit Politikerinnen und Politikern sprechen und Werbung für die Abgeordnetenerklärung zum Atomwaffenverbot machen. Und sobald wir bei unserer Petition 100.000 Unterschriften zusammenhaben, wollen wir sie an Außenminister Heiko Maas (SPD) übergeben.

Wir haben große Pläne und können auf ein erfolgreiches Jahr 2018 zurückblicken. In Zeiten von Konflikten zwischen Atommächten ist der Kampf für eine friedliche Welt besonders wichtig. Unsere Arbeit wäre ohne das ehrenamtliche Engagement zahlreicher Menschen nicht möglich. Wir brauchen aber auch die finanziellen Ressourcen, um Publikationen zu drucken, um Protestaktionen auf die Beine zu stellen, um Lobbygespräche zu führen, um Seminare zu veranstalten. [...]

Die Petition für das Atomwaffenverbot wird von drei Organisationen getragen: ICAN, IPPNW und "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt". Auch in Zukunft wollen wir an einem Strang ziehen, um der Welt ohne Massenvernichtungswaffen ein Stück näher zu kommen. Die Spenden werden wir gleichmäßig aufteilen. Jeder Euro fließt direkt in die Arbeit gegen Atomwaffen.

Wie wichtig das Engagement ist, zeigt die aktuelle Diskussion über den Kauf von neuen Flugzeugen für die Bundeswehr. Laut einem Bericht der "Stuttgarter Nachrichten" will das Verteidigungsministerium Kampfflugzeuge kaufen, die Atomwaffen transportieren können. Wir haben daher einen gemeinsamen Brief an Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) verfaßt.

Gemeinsam kämpfen wir gegen atomare Aufrüstung!

Xante Hall
(ICAN)


I can, we can, you can!

ICAN, das steht für International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen). Der Name wird englisch ausgesprochen: "I can" - "Ich kann". Damit sagen wir: Ich kann mir eine Welt ohne Atomwaffen vorstellen. Und ich kann etwas dafür tun, daß diese Idee Wirklichkeit wird.

Eigentlich müßte es aber heißen: "We can". Denn zu ICAN gehören viele: Hunderte Partnerorganisationen auf der ganzen Welt, Tausende Aktivisten und Unterstützer. Sie alle glauben: Atomwaffen gehören verboten und abgeschafft. Daran arbeiten sie mit viel Hartnäckigkeit und Geschick.

2017 hat ICAN den Friedensnobelpreis gewonnen. Der Preis würdigt jedes Jahr die Menschen und Organisationen, die nach Meinung des Nobelkomitees am meisten für Völkerverständigung, Abrüstung und Frieden bewirkt haben.

Der Atomwaffen-Verbotsvertrag

ICANs größter Erfolg ist der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen. Bis 2017 waren Atomwaffen die einzigen Massenvernichtungswaffen, für die es keinen internationalen Vertrag gab, der den Besitz und Einsatz eindeutig verbietet. Diese Lücke wurde jetzt geschlossen. 122 Staaten haben den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen verhandelt. Am 7.7.2017 wurde er in der UN-Generalversammlung beschlossen. ICAN war dabei die treibende Kraft.

Der Vertrag verbietet Einsatz, Besitz und Stationierung von Atomwaffen - und zwar für alle Staaten, die ihm beitreten. Das unterscheidet den Verbotsvertrag zum Beispiel vom Atomwaffensperrvertrag: der Sperrvertrag etabliert die Kategorie der "anerkannten Atomwaffenstaaten". So legitimiert er den Besitz von Atomwaffen. Diese seltsame Ausnahme wollen wir beenden. Die gleichen Regeln sollen für alle gelten.

Das hat schon einmal funktioniert: bei biologischen und chemischen Waffen, Landminen und Streubomben. Diese Waffen töten unterschiedslos. Sie bedrohen vor allem die Zivilbevölkerung. Deshalb gibt es für sie wirksame internationale Verbote. Atomwaffen erfüllen die gleichen Kriterien: Jeder Einsatz würde den Mord an Zivilisten bedeuten. Jetzt wollen wir auch Atomwaffen völkerrechtlich ächten - so wie andere Massenvernichtungswaffen.

*

Würde statt Waffen!

Aktuellen Berechnungen zufolge soll der Militärhaushalt bis 2024 auf 85 Milliarden Euro pro Jahr steigen - das sind Gelder der Steuerzahler, die bei für die Mehrheit der Bevölkerung sinnvollen Dingen fehlen: im sozialen Bereich, bei Kitas und Schulen, in der kommunalen Infrastruktur, in Krankenhäusern und Altenheimen oder beim Klimaschutz. Zugleich schafft mehr Geld für Rüstung nicht mehr Sicherheit. Im Gegenteil: die Spannungen mit Rußland haben in einem gefährlichen Maße wieder zugenommen.

Wie könnte man das Geld sinnvoller ausgeben?

• Mit den 5,3 Milliarden Euro, die für das Mehrzweck-Kampfschiff MKS 180 veranschlagt sind, könnten über die nächsten fünf Jahre insgesamt über 250.000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau finanziert werden.

• Mit den 8 Milliarden Euro, die allein im Jahr 2019 für Rüstungsanschaffungen eingeplant sind, könnten die Städte und Gemeinden über 37.000 Pflegekräfte zusätzlich für fünf Jahre nach Tariflohn bezahlen.

• Mit der Erhöhung des Rüstungshaushalts 2019 um 4,38 Milliarden Euro könnte die große Koalition schnell, kostengünstig und ökologisch Kitas für 146.000 Kinder bauen oder die allein im Jahr 2017 in Deutschland geschlossenen 175 öffentlichen Schwimmbäder wieder eröffnen und 263 neue errichten.

• Mit einem Bruchteil des Geldes könnte allen Erstkläßlern ein beitragsfreies Jahr in einem Sportverein ihrer Wahl finanziert werden, inklusive eventuell notwendiger Sportkleidung.

Die Lobby der Waffenindustrie ist groß. Unter anderem mit Parteispenden an fast alle Parteien sorgt sie für Mehrheiten im Bundestag für immer mehr Aufrüstung. "Aufstehen!" macht Druck für die Interessen der Mehrheit der Menschen im Land. Für soziale Gerechtigkeit und eine friedliche Außenpolitik. Wir wollen Würde statt Waffen!


Aus einem Flugblatt, das am 17. November letzten Jahres bei einer Friedensdemonstration in Potsdam verteilt wurde.

*

Antrag an die 2. Tagung des 6. Parteitages der Partei Die Linke (22. - 24. Februar)

Für friedliche Beziehungen zu Rußland - der Vergangenheit und der Zukunft wegen

Der Parteitag möge beschließen:
Am 1. September 1939 begann Hitlerdeutschland den Zweiten Weltkrieg. Er kostete 27 Millionen Bürger der Sowjetunion das Leben. Die Menschen dieses Landes, darunter sehr viele Russen, trugen die Hauptlast bei der Zerschlagung der faschistischen Barbarei.

80 Jahre danach droht das atomare Inferno eines Dritten Weltkrieges. Die Ankündigung Trumps, aus dem INF-Vertrag auszusteigen, und die daraus folgende Stationierung landgestützter atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa würde die Gefahr eines Atomkrieges auf unserem Kontinent aufgrund extrem verkürzter Vorwarnzeiten wesentlich erhöhen. Albert Einstein werden die Worte zugeschrieben: "Ich bin mir nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen."

Ein solches Inferno gilt es zu verhindern. Ohne ein friedliches Verhältnis zu Rußland - dem die im Rahmen der NATO an dessen Grenzen stationierten Bundeswehrkontingente ebenso entgegenstehen wie die Wirtschaftssanktionen und die vorherrschende Russophobie besonders in den Medien - kann der Friede in Europa und in der Welt auf Dauer nicht gesichert werden.

In dieser Haltung sehen wir uns eins mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung. 2016 sprachen sich 81 Prozent der Deutschen für eine engere Beziehung zu Rußland aus. Die Mehrheit der Deutschen sieht zudem in Rußland einen zuverlässigeren Partner als in den USA.

Dieser Stimmung entspricht die deutsche Außenpolitik seit geraumer Zeit in keiner Weise. Diese Stimmung zu ändern ist offenkundig ein elementares Anliegen der veröffentlichten Meinung. So waren in den letzten Monaten laut einer Untersuchung 90 Prozent der politischen Kommentare zu Rußland in den deutschen Leitmedien von rußlandfeindlichem Charakter. Wie weit das geht, soll ein Beispiel belegen: In der Zeitschrift "Geo", die man nicht unbedingt in der ersten Reihe militaristischer Scharfmacherei vermutet, wird zur Rechtfertigung der Stationierung der Bundeswehr an der russischen Grenze geschichtsvergessen ein frischer Angriffsgeist von der "Truppe" gefordert: "Die Deutschen sollen in Adazi üben, anzugreifen. ... Den Angriff haben die Deutschen vernachlässigt. - Schnell entscheiden, schnell handeln. Jetzt, wo der Gegner wieder Rußland heißt und so nah ist, sind diese Fähigkeiten gefragt."

Ein an Goebbels erinnernder Sprachgebrauch, der in seiner berüchtigten Sportpalastrede 1943 nach Stalingrad forderte: "Es muß schnell und gründlich gehandelt werden, sonst ist es zu spät."

Angesichts all dessen bedarf es einer Kraft in der BRD, die nicht aufhört, unablässig dieser Meinungsmanipulation entgegenzutreten, und die auf eine ehrliche Zusammenarbeit mit Rußland setzt. "Die Linke" muß sich in den Kommunen, in den Landtagen, im Bundestag und im EU-Parlament für eine Politik einsetzen, die der herrschenden, kreuzgefährlichen Konfrontationspolitik gegenüber Rußland konsequent entgegentritt. Somit hilft sie zugleich zu verhindern, daß sich die geschichtsrevisionistische AfD aus wahltaktischen Gründen als rußlandfreundlich maskieren kann.

"Die Linke" organisiert bundesweite Protestaktionen gegen die seitens der USA geplante Aufkündigung des INF-Vertrages und die daraus erwachsenden katastrophalen Folgen.

"Die Linke" fordert:
1. Die Bundesregierung verlangt den Verbleib der USA im INF-Vertrag. Sie lehnt im gegebenen Fall die erneute Stationierung atomarer US-Mittelstreckenraketen auf deutschem und europäischem Boden ab und fordert den Abzug aller US-Atomwaffen aus der BRD, statt sie zu modernisieren.

2. Die Bundesregierung tritt gemeinsam mit Rußland für diplomatische Lösungen zur Beendigung des Syrienkrieges ein. Einen Einsatz der Bundeswehr in Syrien lehnt sie kategorisch ab. Deutschland setzt sich als Signatarmacht weiter für die Einhaltung und Umsetzung des Minsker Abkommens ein.

3. Als Mitglied der NATO, deren Auflösung "Die Linke" in ihrem Programm fordert, verlangt die BRD das Ende der Konfrontationspolitik gegen Rußland. Die im Rahmen der NATO im Baltikum stationierten Bundeswehrkontingente müssen sofort abgezogen werden. Das gleiche sollte, entsprechend der deutschen Verfassung, für den Rückzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen und für die Auflösung aller im Ausland befindlichen deutschen Militärstützpunkte gelten. Die NATO und ihre Mitgliedstaaten haben in den letzten Jahren nachweislich viermal so viele Manöver durchgeführt wie die Russische Föderation. Die Bundesregierung verlangt ein Ende aller NATO-/US-Militärmanöver in Ost- und Nordeuropa.

4. Der Militäretat der NATO-Staaten übersteigt den der Russischen Föderation um das Vierzehnfache. Anstatt den NATO-Aufrüstungsforderungen auf 2 Prozent des BIP zu folgen, tritt die Bundesregierung dafür ein, daß die Rüstungsausgaben um jährlich zehn Prozent gesenkt werden. Mit Rußland werden Verhandlungen über gemeinsame Abrüstungsanstrengungen aufgenommen. Der an Rußlands Grenzen errichtete sogenannte Raketenabwehrschirm muß verschwinden.

5. Abzulehnen ist ebenfalls eine von Präsident Macron - nicht zuletzt mit Verweis auf Rußland - erneut ins Spiel gebrachte EU-Armee. Es ist skandalös, daß sich die Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament ebenfalls und mit Nachdruck für die Bildung einer EU-Armee ausgesprochen hat.

6. Die Sanktionen gegen Rußland müssen sofort beendet werden und die Beziehungen zu Rußland wieder auf gegenseitiger Achtung und souveräner Gleichheit beruhen.

7. Bundesregierung und Bundestag unterstützen Aktionen und Initiativen, die einer Politik des Friedens und der Zusammenarbeit mit Rußland dienen. Sie unterstützen Städtepartnerschaften beider Länder, setzen sich für die Erleichterung des Reiseverkehrs ein und fördern den wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch zwischen beiden Ländern.

Begründung:
"Kein Wort von der oft ausgestreckten Hand und den vielen Enttäuschungen" Rußlands gegenüber dem Westen, bemerkte der sozialdemokratische Publizist Albrecht Müller zu Recht zum kürzlich veröffentlichten Rußlandpapier der SPD. Der Grundtenor bleibe weiter bestehen: "im Westen die Guten ... in Rußland die Bösen". Kein Wort zum friedlichen Abzug der russischen Truppen aus Deutschland. Kein Wort zur Zusage an Rußland, die NATO nicht in Richtung Osten auszuweiten. Kein Wort zum Angebot Putins im Bundestag 2001 zur freundschaftlichen Zusammenarbeit Deutschlands mit Rußland. Kein Wort zum warnenden Hinweis des russischen Präsidenten auf der 43. Sicherheitskonferenz, in der internationalen Politik das Völkerrecht einzuhalten und "die UNO nicht durch die NATO oder die EU" zu ersetzen. "Die Linke" sollte aus Gründen der Friedenserhaltung und des normalen Anstands Rußland mit dem gebotenen Respekt begegnen.

Antragsteller: Ellen Brombacher, Wolfgang Gehrcke, Stephan Jegielka, Zaklin Nastic (MdB), Hans-Henning Adler, Ali Al Dailami (BAG Migration, Integration und Antirassismus), Klaus Bartl (Sachsen, MdL), Fabio De Masi (MdB), Dr. Diether Dehm (MdB), Gabriele Eichner, Matthias Eichner, Sylvia Gabelmann (MdB), Heiderose Gläß, Dr. Reinhold Gläß, Harri Grünberg (Cuba Sí), Christian Harde, Andrej Hunko (MdB), Peter Kebsch, Dr. Joachim Kessler (MdB), Dr. Johanna Klages, Prof. Dr. Hermann Klenner (Ältestenrat), Dr. Helga Lemme, Dr. Marianne Linke (BAG Gesundheit und Soziales), Sabine Lösing (MdEP), Prof. Dr. Moritz Mebel, Dr. Alexander S. Neu (MdB), Prof. Dr. Norman Paech, Gina Pietsch, Friedrich Rabe (Bundesausschuß), Dr. Andrej Reder, Christiane Reymann, Dr. Johanna Scheringer-Wright (Ökologische Plattform, MdL), Joachim Traut, Alexander Ulrich (MdB), Jochem Visser, Andreas Wagner (MdB), Dr. Friedrich Wolff, Pia Zimmermann (MdB), Kommunistische Plattform, Cuba Sí

*

Einheit der Völker contra Imperium

Als wir Mitte Dezember letzten Jahres den kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel Bermúdez hörten, wie er vor den Delegationsleitern des XVI. Gipfels von ALBA-TCP in Havanna sagte: "Das Große Vaterland fordert von uns vereint aufzutreten, um unsere zweite und definitive Unabhängigkeit weiter zu festigen", führte er uns wieder an die Seite Fidels: "Es muß Frieden und das Recht auf ein angenehmes und würdiges Leben für alle geben. Das wird uns nicht spontan gewährt. Wie für alle großen Eroberungen der menschlichen Gattung ist dafür unsere Einheit erforderlich ..." Auf der anderen Seite führte er uns zu Chávez, den Lateinamerika "Comandante der Einheit und der Hoffnung" nannte.

Angesichts eines bedrohlichen und bösartigen Imperiums, das sich vom Streben nach Gerechtigkeit, Zusammenwirken, Integration und Solidarität zwischen den Völkern gestört fühlt, weil diese Tugenden gegen sein auf Ausbeutung ausgerichtetes Wesen zielen, ist die Einheit, zu der uns auch Martí und Bolívar aufriefen, entscheidend. Heute ist Venezuela die Zielscheibe der Verzweiflung dieser imperialen Gier, alles zu zerstören, das nach Frieden riecht. Der Präsident des Landes, Nicolás Maduro, hatte, kurz bevor er sich zum ALBA-TCP-Gipfel aufmachte, das angeklagt, was, unter der Regie einer der militärischen Falken der USA, des Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton, im Gange ist. Er ist es, der, mit den Worten des venezolanischen Staatschefs, "einen Plan terroristischen und interventionistischen Zuschnitts dirigiert, um die Demokratie zu vergewaltigen und Venezuela eine Diktatur aufzuzwingen". Gemäß seinem Plan soll es eine ausländische militärische Intervention geben, einen Staatsstreich, der die Ermordung des Präsidenten beinhaltet und die Einsetzung von dem, was sie als Übergangsregierung bezeichnen. Dafür, so Maduro laut "Telesur", existiere in Komplizenschaft mit der Regierung Kolumbiens ein Programm zur Ausbildung von Söldnern, das sowohl auf dem Gebiet der USA als auch auf dem Kolumbiens durchgeführt werde. Es handelt sich dabei um über 770 Söldner, sowohl Venezolaner als auch Kolumbianer. Die Idee ist, Angriffe gegen an der Grenze stationierte Militäreinheiten so zu simulieren, daß es so aussieht, als gingen diese Übergriffe von den venezolanischen Streitkräften aus, wodurch eine Eskalation der Gewalt geschaffen würde, die Verwirrung bei der öffentlichen Meinung stifte und jede Art von militärischer Aktion gegen Venezuela rechtfertigen würde.

Maduro gab auch geheimdienstliche Berichte bekannt, aus denen hervorgeht, daß auf dem Luftwaffenstützpunkt Eglin in Florida Command Forces angekommen seien, die dafür ausgebildet würden, chirurgische Aggressionen gegen Luft- und Militärstützpunkte in Venezuela durchzuführen. Laut "Telesur" ist es Ziel der terroristischen Gruppierung, auf den Stützpunkten Libertador de Palo Negro (Aragua), dem Marinestützpunkt von Puerto Cabello (Carabobo) und dem Luftwaffenstützpunkt von Barcelona (Anzoátegui) zu landen, sie zu übernehmen und zu neutralisieren. Ausbildungsort ist auch der Luftwaffenstützpunkt Tolemaida, einer der sieben in Kolumbien eingerichteten US-Stützpunkte.

Als ob dieser makabre Plan nicht schon ausreichen würde, hat die US-Regierung die Finanzressourcen, mit denen Offiziere dazu bestochen werden sollen, Aufstände innerhalb des Militärs anzuzetteln, von 40 Millionen auf 120 Millionen Dollar erhöht. In dieses Manöver ist laut Maduro auch der ehemalige Oberst der Bolivarischen Nationalgarde Oswaldo Gracía Palomo involviert. Wenn man dem Faden der Aggressionen gegen Venezuela folgt, führt die Spur mühelos zu diesem ehemaligen Offizier. Er war direkt Ausführender der umstürzlerischen Pläne und Angriffe gegen die Nationalen Bolivarischen Streitkräfte und wird von den venezolanischen Behörden wegen seiner Beteiligung am versuchten Präsidentenmord vom 4. August in Caracas gesucht.

Es ist zwingend erforderlich, daß die progressiven Kräfte in ihrer Anklage vereint auftreten, denn die Tentakel eines John Bolton und seiner radikalen Angriffe treffen auch im Süden Venezuelas, bei der gewählten Regierung Brasiliens, auf offene Ohren. Der Nationale Sicherheitsberater der USA und Schöpfer der Unsicherheit der Völker Amerikas hat Jair Bolsonaro, der im Januar das Amt übernahm, Missionen übertragen. Die ausführende Hand dabei ist Vizepräsident Hamilton Mourao, ein Verteidiger der letzten brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985), ein Mann, bei dem man den Eindruck hat, er sehe zu viele billige Action-Filme, wenn er sagt: "... die Helden töten" oder "Verfassungen kann man ändern, ohne das Volk zu fragen", oder "Die Regierung kann sich selbst stürzen und die Armee an die Spitze der nationalen Sicherheit stellen." Er ist außerdem ganz besessen von der Mission Venezuela, denn er wiederholt jeden Tag, daß er in Venezuela einfallen werde, und er treibt den Einsatz seiner Streitkräfte gegen die bolivarische Nation voran.

Wer gehört zur Troika des Bösen oder dem Dreieck des Terrors, von dem Bolton spricht? Kuba vielleicht, Venezuela und Nikaragua, die keine Pläne haben, in irgendein Land einzufallen, und auch keine Millionen ausgeben, um verfassungsmäßige Ordnungen zu unterhöhlen, aber sehr wohl für Hilfsstrategien, um Leben zu retten, lesen und schreiben zu lehren oder Projekte, sich gegen den Klimawandel zu verteidigen, dessen Vorhandensein die USA abstreiten? Oder ist der Berater so daran gewöhnt, das Böse zu tun, daß er glaubt, die ganze Welt sei wie er, der Kuba in die Reihe der Länder einfügte, die von der Regierung von George W. Bush hätten bombardiert werden sollen, und der behauptet hatte, es wäre völlig egal, wenn die zehn Stockwerke des UNO-Gebäudes in New York verschwänden?

Was Bolton angeht, so lassen ihn und das Imperium die Einheit verzweifeln. Angesichts solcher Aggressivität und der Drohung, die über den Völkern Amerikas schwebt, ist die Einheit, für die ALBA-TCP steht, unabhängig von der wirtschaftlichen Größe ihrer Mitglieder oder deren geographischen Lage, eine Bastion gewesen. Beim ALBA-Gipfel in Havanna hob der Premierminister von St. Vincent und den Grenadinen Ralph Gonsalves das Gewicht hervor, das das Bündnis im Kontext der internationalen Politik aufgrund seiner Positionen erlangt habe. Er verteidigte das Recht Venezuelas, angesichts der imperialen Aggression, der es ausgesetzt ist, seinen weiteren Weg selbst zu bestimmen, und sagte: "Ohne die Einheit der ALBA-Länder wäre es bereits zu einer militärischen Intervention in Venezuela gekommen."

Oscar Sánchez Serra
(Red. bearbeitet aus "Granma", Havanna)

*

Demokratie durch Konterrevolution überrumpelt

Auf die kleine Revolution, welche die dreizehn Jahre darstellten, die Brasilien von der Arbeiterpartei PT regiert wurde, ist eine ganze Konterrevolution gefolgt. Bei den Präsidentschaftswahlen am 7. und 28. Oktober trat der schlimmste denkbare Fall ein: Mit Jair "Messias" Bolsonaro wurde ein erklärter Feind der Demokratie und Anhänger der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 zum neuen Staatschef Brasiliens bestimmt. Der 42. Präsident des größten südamerikanischen Landes trat am Neujahrstag das Amt an. Am Ende des Superwahljahres 2018 - neben dem Präsidenten wurde an den elektronischen Urnen auch über den Kongreß, die Gouverneure und die Parlamente der Bundesstaaten neu entschieden, zeichnet sich der Weg in den autoritären Staat deutlich ab.

Der langjährige Kongreßabgeordnete rechter Splitterparteien und frühere Hauptmann wird Nachfolger von Michel Temer von der rechtskonservativen MDB. Dieser war erst 2016 an die Spitze des Landes gerückt, nachdem die zwei Jahre zuvor gewählte Präsidentin, Dilma Rousseff von der PT, durch ein Komplott von Justiz, Medienkonzernen und Opposition per Amtsenthebungsverfahren vom Kongreß abgesetzt worden war. Stimmen von Abgeordneten wurden dafür gekauft. Der Sturz von Rousseff war ein Schlüsselmoment des von den Geld-Eliten und US-Stellen beförderten Rollbacks in Lateinamerika. Die Kampagne zur Dämonisierung der Arbeiterpartei unter Mithilfe von Teilen des Justizapparats spaltete die Gesellschaft und mobilisierte die weiße Mittelklasse zur sozialen Revanche. Die 2013 mit einsetzender Krise mittels der Globo-Medien inszenierten Massenproteste nach dem Muster farbiger Revolutionen waren eine Demonstration der Möglichkeiten für Massenmanipulation. Doch der Umschlag in eine neue Qualität erfolgte da noch nicht.

Aufwertung des Militärs

Unter Temer vollzog sich ein grundsätzlicher politischer Kurswechsel. Soziale Programme wurden zurückgefahren, Arbeitsrechte wurden abgebaut, die Privatisierung wurde vorangetrieben. US-Konzerne erhielten Zugriff auf Brasiliens gewaltige Pre-Sal-Ölvorkommen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung blieb aus, den gab es nur bei prekärer Beschäftigung. Gleichzeitig wurde die Repression gegen die sozialen Bewegungen weiter verschärft. Vom Vertrauensverlust in die Institutionen profitierten vor allem die Streitkräfte. Anfang 2018 stellte die Regierung die Metropole Rio de Janeiro unter Militäraufsicht, Soldaten sollen dort der Kriminalität Herr werden. Im Mai paralysierte ein spontaner Streik der Fernfahrer wegen hoher Dieselpreise große Teile des Landes, abgewürgt werden konnte er nur mit Zugeständnissen, der Einschaltung der Gerichte und dem Einsatz des Militärs.

Temer, wie etliche seiner Minister tief in Korruptionsskandale verwickelt, ist in der Bevölkerung vollkommen diskreditiert, selbst Bundesgenossen suchten mehr und mehr Distanz zum unpopulären Staatschef. Auch international genoß die Regierung des De-facto-Präsidenten wenig Prestige. Die Politik regionaler Integration lag auf Eis, gegenüber Venezuela unter dem Linksnationalisten Nicolas Maduro wurde auf Konfrontation geschaltet, Brasiliens Wende verringerte das Gewicht des BRICS-Bündnisses großer Schwellenländer als globaler Akteur.

Als Verkörperung des traditionellen Filzes aus Wirtschaft und Politik wurde Temer zu Bolsonaros Wegbereiter. Seine mit ihm assoziierten gediegenen Vertreter der Kapitalfraktion, São Paulos Exgouverneur Geraldo Alckmin (PSDB) und Henrique Meirelles von Temers MDB, ließen sich nicht zu Hoffnungsträgern aufbauen. Ein solcher blieb für viele hingegen der Präsident der Jahre 2003 bis 2010 Lula da Silva von der Arbeiterpartei. Bis zum Ausschluß ihres Kandidaten durch das Oberste Wahlgericht Ende August lag Lula nach allen Umfragen stets unangefochten in Führung. Millionen Brasilianer verbinden mit seinem Namen eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs, die mit einer Politik für die kleinen Leute, für abgehängte Regionen, breitere Bildungschancen und zur Überwindung des institutionellen Rassismus einherging.

Seit dem 7. April sitzt der große Mann der brasilianischen Linken als politischer Gefangener im Gefängnis von Curitiba in Einzelhaft. Am Tag vor der Entscheidung über die Haft hatte Heereschef Eduardo Villas Boas per Twitter Druck auf das Oberste Gericht ausgeübt. In zweiter Instanz war Lula in einem im Eilverfahren vorangetriebenen kafkaesken Prozeß ohne Beweise zu mehr als zwölf Jahren wegen Geldwäsche und Korruption verurteilt worden. Richter Sergio Moro, der Lula ins Gefängnis brachte und so den Favoriten der Wahl ausschaltete, wird nun Justizminister in der Regierung Bolsonaro.

Verkannte Gefahr

Zu Beginn des Jahres war Bolsonaro nur als Außenseiter ins Rennen um die Präsidentschaft eingestiegen. In den Umfragen führte er mit großem Abstand auf Lula das Verfolgerfeld an. Vorne lag er allerdings schon länger in der Präferenz der "oberen Zehntausend". Schlagzeilen hatte der Hinterbänkler immer wieder mit rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Aussagen gemacht, mit seiner Verehrung für die Folterer der Diktatur und Todesdrohungen gegen politische Gegner. Ein Stil, den er während des Wahlkampfes beibehielt. Daß der Psychopath frei herumlaufen und politische Ämter bekleiden durfte, sagt einiges über Brasiliens Umgang mit seiner Geschichte. Doch nach der Ausschaltung von Lula auch gegen internationales Recht - an seiner Stelle trat nun der PT-Politiker Fernando Haddad mit der Kommunistin Manuela d'‘acute;vila als Vizekandidatin an - rückte Bolsonaro auf den ersten Platz in der Wählergunst vor. Daß der Faschist in einer wahrscheinlichen Stichwahl gewinnen würde, glaubte noch im August kaum jemand. Zudem standen Bolsonaro und seiner Koalition "Brasilien über alles, Gott über allen" nur wenig Sendezeit für Wahlspots in Radio und TV zu.

Falschmeldungen verbreitet

Doch ein spektakulärer Vorfall während eines Wahlkampfauftritts am 6. September in Juiz da Fora veränderte das Szenario. Ein geistig Verwirrter attackierte den ultrarechten Kandidaten mit einem Messer. Das brachte Bolsonaro enorme Publicity. Der Mann, der wenige Tage zuvor noch gedroht hatte, "die PT-Bande erschießen" zu wollen, konnte nun in der Opferrolle auftreten. Einflußreiche evangelikale Prediger besuchten den Politiker am Krankenbett, priesen diesen als von Gott gesandt. In den sozialen Netzwerken wurden Fake News verbreitet, die den Attentäter mit der Linken in Verbindung brachten. Auf den Straßen attackierten fanatisierte Bolsonaro-Anhänger Andersdenkende (mindestens drei wurden im Wahlkampf ermordet).

Für die PT-geführte Koalition wurde es noch schwieriger. Dennoch gelang der "Stimmentransfer" von Lula zu Haddad weitgehend. In den Tagen vor der Wahl schnellten die Werte für Bolsonaro jedoch sensationell nach oben. Mit 46 Prozent zog er bereits als klarer Favorit in die Stichwahl ein. In dieser erlitt das demokratische Lager drei Wochen später eine Niederlage. Dazu trug die wahnhafte antikommunistischen Paranoia bei, die gegen die PT seit Jahren geschürt wurde und an die Bolsonaros Kampagne anknüpfen konnte. Mit Hilfe Tausender gefälschter Accounts wurden dabei auf Whats-App Erfindungen zur Verleumdung des linken Kandidaten verbreitet, die Angst und Haß schürten. Dutzende große Unternehmen sponserten illegal die Attacke im Informationskrieg. Kalkuliert wurde dabei mit der Ignoranz der Mittelschichten und dem verbreiteten politischen Analphabetismus.

Einen Lichtblick bietet der Nordosten, wo die Linke ihre Hochburgen behaupten konnte. Die neue Regierung steht für Rückschritt auf allen Gebieten, und der Verfolgungsdruck auf linke Parteien und Bewegungen wird im gerade begonnenen neuen Jahr dramatisch zunehmen. "Brasilien, liebe es oder verlasse es!" - der Slogan der Diktatur feiert beim großen Fernsehkanal "SBT" bereits Wiederauferstehung.

Peter Steiniger

*

Augenblicke in Panmunjon

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Die PDL zum Thema Flucht und Migration

In einer gemeinsamen Erklärung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden von Die Linke, die Ende November vergangenen Jahres zum Thema "Flucht und Migration" verbreitet wurde, heißt es:

Flucht und Vertreibungen sind ein globales Phänomen und eine direkte Folge von Kriegen, Gewalt und politischer Verfolgung, von Hunger- und Klimakatastrophen. Die aktuelle Debatte u. a. in Deutschland zeigt, wie weit es der Rechten gelungen ist, die gesellschaftlichen Herausforderungen der Flucht- und Migrationsfrage zu besetzen. Die rechtspopulistischen Nationalisten verknüpfen gezielt soziale Ungerechtigkeiten mit rassistischen Parolen für ihren chauvinistischen Kulturkampf, sie spalten die Gesellschaft und vergiften den demokratischen Zusammenhalt. Flucht und Migration sind emotionale und zugleich hochpolitische Themen, denn es geht hier nicht nur um Menschen, die zu uns kommen, sondern auch um die Frage, wie wir leben wollen. Denn der Kampf um den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist eine Wesensfrage unserer Demokratie selbst. "Die Linke" hat den Auftrag, diese gesellschaftliche Debatte verantwortungsvoll zu führen. Wir halten deshalb gemeinsam fest:

(1) Niemand flüchtet freiwillig

Jede Flucht ist ein Versuch, sich in eine bessere Zukunft zu retten. Flüchtlinge sind die Botschafter der Ungerechtigkeiten, der Kriege und anderer Gewaltverhältnisse, einer ungerechten Handelspolitik, von Waffenlieferungen, diktatorischen Regimen und Verfolgung. Menschen, die um ihr Leben kämpfen, die Hand zu reichen, ist für uns "Linke" selbstverständlich. Der Schutz von Geflüchteten und die Wahrung ihrer Menschenwürde müssen an erster Stelle stehen. Anstatt die Flüchtlingsabwehr weiter auszudehnen, müssen legale und gefahrenfreie Wege nach Europa eröffnet werden. Seenotrettungen dürfen nicht weiter kriminalisiert werden. Wir treten dafür ein, die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention uneingeschränkt gelten zu lassen und die UN-Kinderrechtskonvention vollständig umzusetzen.

(2) Asyl ist ein Grundrecht

Im Gegensatz zu allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien haben wir als Die Linke jede Einschränkung des Asylrechts geschlossen abgelehnt. Denn das Recht auf Schutz und Asyl ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Insbesondere nach dem Schrecken des 2. Weltkrieges stehen wir unbeirrt für Asyl als Grundrecht. Es ist mittlerweile normal geworden, Asyl nicht mehr als Grundrecht zu verteidigen. Wir wollen dagegen das Grundrecht auf Asyl vollständig wiederherstellen. Wir fordern, daß der Zugang zum individuellen Asylrecht in Europa erhalten bleibt und lehnen jede automatische Rückführungsregelung in Transitländer bzw. "Drittstaaten" ab. Der EU-Türkei-Deal und jede weitere Zusammenarbeit mit Diktaturen und Unrechtsregimen zur "Migrationskontrolle" sind sofort zu beenden. Das Konstrukt der "sicheren Herkunftsstaaten" darf nicht ausgeweitet werden. Es gehört abgeschafft.

(3) Fluchtursachen bekämpfen

Um Fluchtursachen weltweit nachhaltig bekämpfen zu können, brauchen wir den Mut und den Realismus einer strukturverändernden Globalpolitik. Das geht nicht ohne einen echten Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Interventionskriege mit ihren katastrophalen Folgen für die Stabilität in ganzen Regionen müssen sofort beendet werden. Aber auch in der Klima- und Außenwirtschaftspolitik sowie in den internationalen Handelsbeziehungen und der Entwicklungshilfe muß es einen grundlegenden Wandel geben. Bereits 1970 hatten die Länder des globalen Nordens zugesagt, 0,7% ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Angesichts der globalen Krisen und Notlagen bedarf es zugleich einer menschenwürdigen Versorgung von Geflüchteten. Das Budget des "Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen" (UNHCR) darf nicht länger hauptsächlich durch freiwillige Beiträge von Regierungen, zwischenstaatlichen Akteuren, Stiftungen oder Privatpersonen bestritten werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der zweijährigen Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat für verbindliche Pflicht-Beitragsumlagen für das UNHCR einzusetzen, damit eine umfassende Hilfe- und Versorgungsleistung der UN-Hilfswerke für Flüchtlinge künftig garantiert werden kann.

(4) Rechte für Arbeitsmigranten und -migrantinnen

Arbeitsmigration ist eine globale Realität. Nach Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind mehr als 150 Millionen Menschen Arbeitsmigranten. Arbeitsmigration bzw. wirtschaftlich bedingte Flucht oder Migration sind eine individuelle Antwort auf die bestehende globale Ungleichheit. Es sind Reaktionen auf die Weigerung der reichen Länder, durch faire Handelsbeziehungen und Einkommensverteilung eine gerechte globale Entwicklung zu ermöglichen. Dem Bestreben internationaler Konzerne, sich die Arbeitsmigration zunutze zu machen, um die Arbeitskraft billig zu halten, gewerkschaftliche Mindeststandards zu unterlaufen und die Arbeitenden selbst zu entrechten, erteilen wir eine klare Absage. Wir begrüßen, daß die Vereinten Nationen mit dem UN-Migrationspakt Flucht und Migration als globales Problem anerkennen und unterstützen grundsätzlich alles Bestreben, die Rechte von Geflüchteten und Arbeitsmigranten zu stärken. Gleichzeitig bilden sich in der Vereinbarung die derzeitigen Weltungleichheitsverhältnisse ab. So haben sich die Interessen der Wirtschaftsverbände und des reichen Westens gegen die Interessen der südlichen Halbkugel durchsetzen können, so daß die Ursachen für Flucht und Migration weiterhin unangetastet bleiben werden. Das zeigt sich unter anderem an der Auslegung der Bundesregierung, die mit dem Pakt effektivere Grenzkontrollen und Abschiebungen rechtfertigt und Arbeitsmigration aus nationalökonomischem Interesse vorantreibt. "Die Linke" kritisiert, daß in dem Pakt die Rechte der Migranten und Migrantinnen und die Verpflichtungen der Staaten nicht einklagbar sind und die Folgeerscheinungen der Migration wie z. B. "Brain-Drain" unzureichend thematisiert werden.

Deutschland sollte als Land mit dem weltweit größten Überschuß im Warenhandel und Kapitalverkehr statt dessen aktiv für die Rechtsverbindlichkeit des internationalen ILO-Übereinkommens zum Schutz der globalen Wander"arbeitnehmer" einsetzen. Zum Ausgleich der mit der globalen Arbeits- und Fachkräftemigration in Industrieländer einhergehenden Gefahr der Abwanderung und des Abwerbens hochqualifizierter Fachkräfte aus den ärmeren Herkunftsländern schlagen wir die Schaffung eines multinationalen Kompensationsfonds vor, der aus einer globalen Finanztransaktionssteuer finanziert werden könnte. Ein solcher Kompensationsfonds könnte für Bildungsinvestitionen wie zur Bekämpfung der Armut und von Klimafolgeschäden im globalen Süden genutzt werden. Unmittelbar fordern wir, daß die globalen Rekrutierungsagenturen für Arbeitsmigration nur noch lizensiert arbeiten dürfen, ihre Gebühren und Verträge müssen transparent sein und Anwerbegebühren von "Arbeitgebern" getragen werden.

Das Thema Arbeitsmigration wird auch innerhalb unserer Partei intensiv diskutiert. Bei diesen Diskussionen, ob und wie Arbeitsmigration reguliert und beschränkt werden soll und wie Einwanderung gestaltet werden kann, wollen wir als "Linke" die sozialen Grundrechte der Betroffenen schützen und ermöglichen.

(5) Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft

Europa ist längst ein Kontinent der Einwanderung wie Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist. Die individuelle Entscheidung zur Auswanderung ist gespeist durch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Zugleich ist Migration nicht selten mit hohen menschlichen Entbehrungen, traumatischen Fluchterfahrungen und oftmals auch erniedrigenden Erfahrungen in den Ankunftsländern verbunden. Als Die Linke streiten wir für eine demokratische Migrations- und Integrationspolitik, die die Freiheit und Würde der einzelnen schützt und die soziale Sicherheit und das Recht auf politische und kulturelle Teilhabe aller garantiert. Wir lehnen eine Migrations- und Integrationspolitik ab, die Menschen allein danach einstuft, inwieweit sie ökonomisch nutz- und verwertbar sind.

(6) Soziale Sicherheiten für alle

Als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten stehen wir für soziale Sicherheiten und gleiche Rechte für alle. Lohndumping und Schwarzarbeit lassen sich nur durch sozialstaatliche Standards und flächendeckende Tarifverträge wirksam bekämpfen. Migranten und Geflüchtete dürfen nicht in prekäre Arbeitsverhältnisse mit geringen Rechten gezwungen werden.

Gemeinsam mit Migranten kämpfen wir für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Deshalb fordern wir einen gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro für alle in Deutschland arbeitenden Menschen. Wir setzen uns auch für eine soziale Offensive für alle ein und fordern ein besseres Leben der Mehrheit der Bevölkerung durch Investitionen in bezahlbares Wohnen, Schulen und Kitas (besonders in sozial benachteiligten Stadtteilen) und in die Infrastruktur der Kommunen.

(7) Gemeinsam gegen jede Form des Rassismus

Rassismus findet unabhängig von Flucht und Migration statt und betrifft auch viele, die in Deutschland geboren wurden und täglich diskriminiert werden. Wir erleben nicht nur eine Verrohung der Sprache und verbale Angriffe auf demokratische und emanzipatorische Werte, sondern erfahren auch im Alltag, wie die Gefahr der physischen Gewalt von rechts wächst. Rassismus gibt es in den Institutionen, und er ist zugleich ein gesellschaftliches Problem, das auf dem Boden sozialer Ungerechtigkeit in den letzten Jahren zunehmend an Akzeptanz gewonnen hat. Als antifaschistische Partei engagiert sich Die Linke in vielfältigen zivilgesellschaftlichen Bündnissen gegen Antisemitismus, gegen jede andere Form von Rassismus und den autoritären Rechtstrend.

Wir begrüßen alle sozialen Bewegungen, die dem Kulturkampf von rechts etwas entgegensetzen. Für diejenigen, die hier geboren sind und schon lange hier leben, aber auch für jene, die zu uns kamen oder auf der Flucht sind, gilt unser Grundgesetz im umfänglichen Sinn, denn: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

*

Denk ich an Europa in der Nacht ...

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Was sagt Karl Marx der Linken heute?

Meine Gedanken zum Thema "Was sagt Marx der Linken heute?" sind vielfältig. Ich schreibe dazu gerade ein Büchlein, das "Sorgen um die Linkspartei" heißen wird. Der nachgestellte Titel soll mein Anliegen, das ich angesichts "200 Jahre Karl Marx" habe, deutlich machen: "Mehr Marx als Murks".

Erste Vorbemerkung: Die Linke ist keine marxistische Partei. Im Erfurter Programm von 2011 stehen allerdings wichtige Leitgedanken des Marxismus: Unsere Gesellschaft ist eine Klassengesellschaft. Die sozialistische Zielstellung von Freiheit und Gleichheit erfordert die Beseitigung der Kapitalherrschaft. Die Lageanalyse der kapitalistischen Produktionsweise im Programm orientiert sich deutlich an Marx und Engels. Im Programm gibt es jedoch auch jede Menge ethisch-sozialistischer Positionen und an Bernstein angelehnte Vorstellungen von der stückweisen Einführung des Sozialismus im Kapitalismus.

Aus der Sicht ihrer Politik ist die Lage in der Partei m. E. bedenklicher. Es freut mich, daß in der Parteiführung eine moderne Klassenpolitik gefordert wurde, so im Vorfeld des Leipziger Parteitages.(1) Aber das Marx-Engelssche Verständnis von Klassenpolitik scheint mir das noch nicht zu sein.

Zweite Vorbemerkung: Große Zweifel sind angebracht, daß Karl Marx bei der Antwort auf die Frage "Was sage ich der Linken?" voll des Lobes für unsere Partei wäre.

Sicher ist, er würde nicht sagen: Macht weiter so!

Wenn ich Marx wäre, wäre mein Einstieg: "Was fragt Ihr mich? Ich bin doch kein Marxist, wie einige Eurer Politiker immer wieder unter Hinweis auf meine polemische Bemerkung an die Adresse der französischen Possibilisten erzählen."

Wie ich vor nunmehr 64 Jahren als 17jähriger bei nächtelangen Diskussionen im kleineren Kreis zum Kommunistischen Manifest mit meinem Freund Willy (damals SPD-Kreisvorsitzender in Braunschweig-Land) bereits mitbekam, war Karl Marx ein höchst militanter Streiter gegen Ignoranten und Dilettanten. Wilhelm Liebknecht kommentierte seine Erfahrungen in den Debatten der sogenannten Schwefelbande mit Marx Anfang der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts: "Das sanftlebige Fleisch der Beschaulichkeit peitschte er grausam mit der Rute seines Spotts."(2)

Dritte Vorbemerkung: Mit dem Thema unserer jetzigen Runde zu Marx: "Die Linke zwischen Mosaik und Klassenkampf" werde ich nicht so richtig warm. Ich sehe da keinen Gegensatz. Und der eigentliche Gegensatz in der Linkspartei ist mit diesem Satz nicht zu erfassen.

Eine Mosaiklinke kann mit unterschiedlichen Akzenten natürlich auf den Positionen des Klassenkampfes stehen. Nur wenn in der "Mosaik-Linken" (wie in unserer Partei der Fall) die Gegner der Klassentheorie von Marx und Engels mit dabei sind, dann hat man einen unversöhnlichen Gegensatz in der Partei selbst. Daraus folgen weitere Gegensätze. Der wichtigste strategische Gegensatz in der "Linkspartei" ist der zwischen einer Strategie des Mitregierens (und damit des Brückenschlags zur herrschenden Klasse) und einer Strategie der Schaffung von politischer, gewerkschaftlicher und geistig-kultureller Gegenmacht der Lohnarbeiterklasse.

Zusammenhang von Klassentheorie und Marxismus

Karl Marx hat als Wissenschaftler und Revolutionär (1999 wählten ihn die Hörerinnen und Hörer der BBC zum größten Denker des letzten Jahrtausends) vor allem drei Verdienste: Zum einen entdeckte er das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte.

Er fand den Schlüssel zum Verständnis der Geschichte weder im Sittengesetz noch im Staat. Er fand ihn in der Gesellschaft: im Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen, in dem aus dem Widerspruch zwischen den jeweiligen Eigentümern der Produktionsbedingungen und den unmittelbaren Produzenten hervorwachsenden Kämpfen der Gesellschaftsklassen für ihre Interessen.

Zum anderen enthüllte Karl Marx die Bewegungsgesetze der kapitalistischen Produktionsweise und der von dieser erzeugten Gesellschaft.

Wie Rosa Luxemburg bildhaft formulierte, hat Marx "seine wissenschaftliche Blendlaterne an die verborgensten Triebfedern des ökonomischen und politischen Räderwerkes der bürgerlichen Gesellschaft gehalten".(3) Damit ermöglichte er eine Lageanalyse völlig neuer Qualität, wenn man denn diese Blendlaterne kennt und sie zu nutzen vermag.

Schließlich entwickelte Karl Marx (in der Tradition der Aufklärung) die klassische deutsche Philosophie weiter: zu einer Handlungsphilosophie, die zugleich eine nach vorne offene Gesellschafts-, Entwicklungs-, Politik-, Befreiungs- und Revolutionstheorie ist.

Ihr kennt alle den Satz: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt [aber] darauf an, sie zu verändern."(4) (1888 hat Engels das "aber" dazugesetzt.)

Diese Sicht revolutionierte das philosophisch-politische Denken grundlegend. Karl Marx und mit ihm Friedrich Engels waren die führenden Köpfe dieser Revolution. Die materialistische Klassentheorie ist Kern ihrer gemeinsamen Handlungstheorie. Sie ist Grundlage und Bezugspunkt für eine Handlungsorientierung zur Veränderung der Welt, zur Beseitigung von Ausbeutung, Klassen und Unterdrückung, von Kriegen und Naturzerstörung.

Marx und Engels sagen uns, wofür zu kämpfen ist, und wer, mit welchen Mitteln gegen wen kämpfen muß, aber auch, welche Mittel dabei unter welchen Umständen untauglich sind. Wichtige Werke in diesem Zusammenhang sind (von Ende 1843 bis Anfang 1848): der geniale theoretische Entwurf von Marx "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (Einleitung)", der Bestseller von Engels "Die Lage der arbeitenden Klasse in England", das "Elend der Philosophie" von Marx, die "Grundsätze des Kommunismus" von Engels und das "Manifest der Kommunistischen Partei" von beiden.

Einige Aspekte dieser Klassentheorie sind besonders aktuell und wichtig

Ich sehe aus der Sicht des Jahres 2018, im Rückblick auf 170 Jahre Klassenkämpfe, vor allem fünf Punkte (wenn Die Linke Marx und Engels tatsächlich als politischen Berater will).

1. ging es Marx und Engels darum, daß mit der kapitalistischen Klassengesellschaft die praktische Möglichkeit und Notwendigkeit des Sozialismus entsteht.

Ihre Grundthese war: Das Proletariat, die neue Klasse schafft die neue Gesellschaft.

Punkt 1: Die kapitalistische Produktionsweise brütet die materiellen Existenzbedingungen für die neue Gesellschaft aus.

Punkt 2: Das Proletariat kann sich nicht befreien, ohne die Gesellschaft überhaupt von Klassenherrschaft und Ausbeutung zu befreien. Seine Interessen drängen es dazu, gegen das Kapital und für eine sozialistische Gesellschaft zu kämpfen.

2. Unabdingbare Voraussetzung für die neue Gesellschaft ist die Emanzipation der Arbeiterklasse, ihre Entwicklung zur Klasse "für sich selbst".

Michael Vester bezeichnet im "Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus" unter dem Stichwort "Klasse an sich / für sich" das dabei entwickelte Konzept von Marx im "Elend der Philosophie" als nach wie vor taugliches, methodisch "stringentes Konzept der Klassenentwicklung".(5) Ich stimme Michael Vester rundum zu.

Dieses Konzept geht von der Klasse als objektive sozialökonomische Struktur aus: Die Herrschaft des Kapitals habe für die Masse hinsichtlich der Stellung als Lohnarbeiter eine "gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen" geschaffen. Sie sei damit aber nur "Klasse gegenüber dem Kapital". Um Klasse "für sich selbst", politischer Akteur zu werden, sieht Marx zwei Dimensionen vor: gewerkschaftliche "Koalierung" und politische "Koalierung". Es folgen zwei Dimensionen der Revolution: Eroberung der politischen Macht und Gestaltung der neuen Gesellschaft.(6)

Michael Vester macht in diesem Zusammenhang zwei Bemerkungen zu den geschichtlichen Erfahrungen mit diesem Konzept - und auch da folge ich ihm:(7)

Erste Erfahrung: Eine kausale Stufenfolge von Eigentumslosigkeit, Verelendung, Empörung, Emanzipation und gesellschaftlicher Umgestaltung gab es nicht.

Zweite Erfahrung: Es gilt, die komplizierte Widersprüchlichkeit und den zyklischen Charakter sozialer Entwicklungen und Klassenkämpfe zu studieren. 1976 in Italien erhielt die KPI 34,4 Prozent; 2018 bekamen die kommunistischen Parteien der Allianz "Macht fürs Volk" in Italien gerade einmal 1,1 Prozent der Stimmen.

3. Nach Marx und Engels ist die politische Koalierung im Rahmen des Konzepts der Emanzipation der Arbeiterklasse zur Klasse "für sich selbst" identisch mit der Schaffung einer kommunistischen bzw. sozialistischen Partei.

Im Manifest sprachen sie von der "Organisation der Proletarier zur Klasse und damit zur politischen Partei".(8) 25 Jahre später nannte Friedrich Engels als erste "Bedingung" für den Sieg über die Bourgeoisie die "Organisation des Proletariats als selbständige politische Partei".(9) Er nannte genau das Klassenpolitik.

Zunächst ging es beiden darum, eine Klassenpartei für die bevorstehende Revolution zu schaffen. Dann erkannten sie: es geht um eine Klassenpartei im Rahmen einer längerfristigen Gegenmachtstrategie, wobei sie nach wie vor in absehbarer Zeit eine Revolution erwarteten. Von dieser Gegenmachtstrategie haben wir uns bedauerlicherweise als Partei in vieler Hinsicht verabschiedet. Ich halte das für falsch. Organisation der Klasse als politische Partei, als Teil einer Gegenmachtstrategie muß m. E. für Die Linke wieder ein aktuelles Thema werden.

Wir sollten grundsätzlich und intensiv darüber nachdenken, wie in und mittels einer sozialistischen Partei die Lohnarbeiterklasse selbst die politische Bühne betritt.

4. Von besonderer Bedeutung im Rahmen der Klassentheorie ist das Verständnis der politischen Institutionen als Klasseninstitutionen, als Teil der Kapitalherrschaft.

Karl Marx enthüllte, im dritten Band des "Kapitals", "das innerste Geheimnis, die verborgne Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion und daher auch der politischen Form" als hervorwachsend aus dem Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten.(10)

Ich bin immer wieder erstaunt über die Ignoranz in unserer Partei gegenüber diesen verborgnen Mechanismen der Klassenherrschaft. Die Regierungsfrage wird erörtert, ohne die Machtfrage zu erörtern, z. T. wird sie mit dieser verwechselt.

Das Parlament erscheint als Zentralachse des politischen Lebens. Herbeifabuliert wird ein linkes Parteienlager.

Auf dem Leipziger Parteitag beantwortete der Leitantrag durchaus überzeugend die Eigentumsfrage. Aber kaum ein Wort fiel darüber, wie die Machtfrage zu beantworten ist.

Mitregieren ist offenbar mittlerweile Konsens bzw. nicht mehr zu hinterfragende Mehrheitsposition in der Parteiführung. In jedem Wahlkampf kündigen wir einen politischen Richtungswechsel an. Die Menschen wundern sich zu Recht, daß daraus nie etwas wird, auch nicht, wenn wir führende Regierungspartei sind.

Meine Bilanz in den drei Bundesländern, in denen wir gegenwärtig mitregieren, ergibt immer wieder das gleiche: Rosa Luxemburg hatte recht mit ihrem bissigen Kommentar von 1898 zum Eintritt des Sozialisten Alexandre Millerand in das Kabinett Waldeck-Rochet: "Wild nicht erlegt und Flinte zugleich verloren",(11) also Kapitalismus wie gehabt, aber die Partei ist schlechter geworden.

5. Wenn Marx als Berater der "Linken" heute gewollt ist, so muß sich eine an Marx orientierende sozialistische Partei bei der Lageanalyse zur Konzipierung ihrer Politik seiner "Blendlaterne" auch tatsächlich bedienen wollen und können.

Zu den "verborgensten Triebfedern des ökonomischen und politischen Räderwerkes", die man nur mit der Blendlaterne von Karl Marx aufdecken kann, gehören wichtige Aspekte einer klassenbezogenen Gesellschafts- und Politikanalyse (einschließlich der Marxschen Dialektik des politischen Überbaus).

Der US-amerikanische Großinvestor Warren Buffet sagte 2010, seine Klasse, die Kapitalistenklasse, habe im "Klassenkrieg" gesiegt. Ist das richtig? Inwieweit nicht?

Aus der Führung der Linkspartei ist zu hören, die neoliberale Kapitaloffensive gehe zu Ende. Aber die Krise der Kapitalverwertung als Hauptursache für diese Offensive hält an. Und machtpolitisch sitzt der Neoliberalismus sowieso fest im Sattel.

Wie steht es politisch um die Lohnarbeiterklasse? Sie ist derzeit wieder einmal vor allem "Klasse gegenüber dem Kapital". Wenn dazu Zustimmung, sollte die Schlußfolgerung sein: Ihre Entwicklung zur Klasse "für sich selbst" muß zur Kernfrage linker Politik werden.

Seit Jahren findet eine soziale Polarisierung der kapitalistischen Klassengesellschaft statt. Wird sich dieser Trend fortsetzen? Wahrscheinlich! Aber wie? Nach Marx haben wir nach der 26. demnächst mit der 27. zyklischen Überproduktionskrise zu rechnen. Diese wird zugleich eine Krise des hochspekulativen Finanzsystems sein. Sind wir womöglich am Anfang einer anhaltenden Verfallskrise der kapitalistischen Produktionsweise? Brauchen wir einen Plan B hin zum entschiedenen Klassenkampf, der sich den anwachsenden Gefahren des Rechtspopulismus und der Kriegsvorbereitung stellt und zugleich den Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit zum Herrschaftskonflikt ausweitet?

Wir sollten als Partei und in der Partei derartige Fragen systematisch diskutieren.

Die Mehrzahl der Funktionsträger unserer Partei hat aber nur vage Vorstellungen von der Politik- und Handlungstheorie, wie sie Marx und Engels konzipiert haben. Gefragt als Berater war Karl Marx auch in diesem Jahr wenig. Eine marxistische Schulung Jugendlicher findet fast nicht statt. Dies alles beunruhigt mich außerordentlich.

Prof. Ekkehard Lieberam
Leipzig

Anmerkungen

(1) Thesen und Leitlinien für den Leitantrag "Partei in Bewegung", Vorlagen-Nr. 1, 2018/i, eingereicht am 16. Februar 2018, S. 6: "D(ie) L(inke) wird in den nächsten Jahren eine moderne verbindende Klassenpolitik machen."

(2) Wilhelm Liebknecht, Erinnerungen an Marx, in: Karl Marx, Eine Sammlung von Erinnerungen und Aufsätzen, Berlin 1947, S. 65

(3) Rosa Luxemburg, Nationalversammlung oder Räteregierung?, in: Rosa Luxemburg, Ausgewählte Reden und Schriften, II. Band, Berlin 1951, S. 642

(4) Karl Marx, Thesen über Feuerbach, MEW, Band 3, Berlin 1958, S. 7

(5) Michael Vester, Klasse an sich / Klasse für sich, in: W.F. Haug, F. Haug und P. Jehle (Hrsg.), Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Band 7/1, Kaderpartei bis Klonen, Hamburg 2008, S. 739

(6) Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW, Band 4, Berlin 1977, S. 180 f.

(7) Vgl. ebenda, S. 747 und 768

(8) Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei. MEW, Band 4, Berlin 1977, S. 471

(9) Friedrich Engels, Zur Wohnungsfrage, MEW, Band 18, Berlin 1976, S. 268

(10) Karl Marx, Das Kapital, Dritter Band, Berlin 1976, S. 799 f.

(11) Rosa Luxemburg, Possibilismus und Opportunismus, Ausgewählte Reden und Schriften, a.a.O., S. 27

*

Wieviel Marx braucht Die Linke?

Die Partei Die Linke beruft sich offiziell auf das Werk von Karl Marx und Friedrich Engels. Doch welchen Marx und welchen Engels meint sie dabei? Ich darf hier einen ihrer wichtigsten Vordenker zitieren - Dieter Klein. Als einer der Autoren des Chemnitzer Grundsatzprogramms der PDS von 2003 schrieb er: "Laßt euch nicht von dem Begriff libertär schockieren, das ist Marx. Der sprach von der freien Entwicklung des einzelnen."(1) Dabei paraphrasierte Dieter Klein jenen berühmten Satz aus dem Manifest der Kommunistischen Partei, der wörtlich lautet: "An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist."(2)

In der DDR wurde dieser Satz als Zeugnis des Vorrangs der Gesellschaft bzw. des Kollektivs gegenüber dem einzelnen verstanden. Zum Ende der DDR hin wurde dann dieses Verhältnis in Frage gestellt. In seinem Buch mit dem metaphorischen Titel "Abendlicht" schreibt Stephan Hermlin 1979 über die Umkehrung seines Denkens: "Längst schon glaubte ich, es (das Manifest) genau zu kennen, als ich, es war etwa in meinem fünfzigsten Lebensjahr, eine unheimliche Entdeckung machte. Unter den Sätzen, die für mich seit langem selbstverständlich geworden waren, befand sich einer, der folgendermaßen lautete: 'An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung aller die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden ist.' Ich weiß nicht, wann ich begonnen hatte, den Satz so zu lesen, wie er hier steht. Ich las ihn so, er lautete für mich so, weil er meinem damaligen Weltverständnis auf diese Weise entsprach."(3) Hermlin las also "die freie Entwicklung aller" statt "die freie Entwicklung eines jeden", wie es tatsächlich heißt. Mit anderen Worten: Dieser Satz sei nach Hermlin 140 Jahre lang von Millionen Marxisten immer falsch verstanden worden. Aus dieser wundersamen "Entdeckung" folgerten er und ihm darin folgend Dieter Klein sowie die Brüder Brie in Umkehrung ihres bisherigen Denkens, daß zuvorderst die "freie Entwicklung des einzelnen" komme, die erst die "Befreiung aller" möglich mache.

Bereits im Programm der PDS von 1993 wurde jener Satz des Manifests in diesem Sinne an prominenter Stelle zitiert, wenn auch bereits in leicht abgeänderter Form. Im Abschnitt 3 "Sozialistische Erneuerung" heißt es gleich zu Beginn: "Der Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel - eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung der einzelnen (nicht "eines jeden", wie es im Original heißt) zur (im Original heißt es: "die") Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist (aus "ist" wurde hier "geworden ist").(4)

Wiederum anders und bereits beträchtlich vom Wortlaut des Originaltextes entfernt, begegnet uns der Satz im "Ingolstädter Manifest" der PDS von 1994, vorgestellt von Gregor Gysi. Darin heißt es: "Eine Gesellschaft, wo die freie Entwicklung eines jeden einzelnen zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist, stellt unseren Maßstab dar."(5)

Noch weiter verballhornt wird jener Satz schließlich im Erfurter Programm der Partei Die Linke von 2011: "Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die wechselseitige Anerkennung der Freiheit und Gleichheit jeder und jedes einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird."(6) Diese Formulierung erinnert nun wirklich nicht mehr an den Ausgangstext!

Der berühmte Satz aus dem "Kommunistischen Manifest" begleitet also die PDS bzw. Die Linke auf ihrem Weg seit 1989 und - wie ich gezeigt habe - ist dabei bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden. Diese Abänderungen markieren zugleich den Weg der Partei weg von Marx und Engels.

Denn liest man jenen Satz im Kontext des Manifests, wird schnell klar, daß es sich hier nicht um ein liberales bzw. libertäres Postulat handelt, nach dem der einzelne aufgerufen ist, sich selbst zu befreien, auf daß - geschieht es nur massenhaft genug - am Ende alle befreit sind. Vielmehr geht es hier um die Aufhebung des Klassengegensatzes und von Klassen überhaupt. Davon handelt der Absatz, der dem Satz vorangeht. Marx und Engels gingen also davon aus, daß erst die Aufhebung des Klassengegensatzes die freie Entwicklung eines jeden möglich macht - und nicht umgekehrt. So auch der Philosoph Hans Heinz Holz: "So kann ein jeder sich frei entwickeln, ohne die Möglichkeiten anderer zu schmälern. Erst wenn ein jeder dazu freigesetzt ist, sich zu entwickeln, sind alle frei, und dies ist erst wirklich Freiheit - entgegen jener Freiheit von einzelnen in Klassengesellschaften, die sich durch die Unfreiheit anderer erhält."

Marx und Engels kannten natürlich den Artikel 34 der französischen Revolutionsverfassung von 1793, in dem es heißt: "Unterdrückung der Gesamtheit der Gesellschaft ist es, wenn auch nur eines ihrer Glieder unterdrückt wird."(7) Die Forderung aus dem "Manifest", die Klassen, Privilegien und Bevorrechtigungen sämtlich aufzuheben, zielt daher auf die Abschaffung der bürgerlichen Gesellschaft, in der Freiheit "ein Privileg" ist, das nur für die Auserwählten, für die Besitzenden gilt, wie es Domenico Losurdo formuliert hat. In der klassenlosen Gesellschaft soll hingegen keiner unberücksichtigt bleiben, keiner vergessen werden: "Keiner oder alle", heißt es denn auch so treffend bei Heiner Müller in seinem Stück "Germania 3. Gespenster am toten Mann". "Keiner weniger" heißt der Titel eines bewegenden chinesischen Films - und besser kann man es nicht sagen.

Die hier dargestellte Auseinandersetzung um eine Formulierung im "Kommunistischen Manifest" ist daher alles andere als eine philologische Spitzfindigkeit - denn stellt man diesen Satz auf den Kopf, wie es Hermlin, Klein, Gysi, die Bries und mit ihnen jene Delegierten, die die Parteiprogramme mehrheitlich beschlossen haben, getan haben, landet man unweigerlich - zumindest ideologisch - im gegnerischen Lager. Für den Liberalismus steht nun einmal die "freie Entwicklung des einzelnen" im Mittelpunkt seines Weltbildes. Sie ist Ausgangs- und zugleich Endpunkt seines gesamten Denkens. Wie heißt es doch im "konsumistischen Manifest", wie sie es nennen, so treffend? Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht! Einen liberalen oder auch libertären Sozialismus kann man mit allen möglichen Zitaten begründen - nicht aber mit den Aussagen von Karl Marx oder Friedrich Engels.

Im März 2010 forderte Petra Pau Die Linke dazu auf, sich zu einer "modernen sozialistischen Bürgerrechtspartei"(8) zu transformieren. Bereits zuvor war der heutige Berliner Kultursenator Klaus Lederer zu der Schlußfolgerung gekommen, daß für Die Linke nur noch die Aufgabe bleibt, "etwas für Autonomie und Selbstverwirklichung zu tun".(9)

Heute muß man feststellen, daß die Partei Die Linke auf diesem Weg in den seitdem vergangenen Jahren ein großes Stück vorangekommen ist. Denn mit welchen Themen tritt sie öffentlich vor allem in Erscheinung? Sie versteht sich als feministische Bewegung, befürwortet dabei die quotierte Besetzung von Aufsichtsräten in Großunternehmen und schreibt ihre Texte neuerdings mit Sternchen. Sie streitet für die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren und setzt sich für die Rechte von Minderheiten ein. Sie wendet sich gegen Rassisten und Nazis, kämpft für die individuellen Rechte von Flüchtlingen und Migranten und verlangt die Selbstbestimmung über die eigenen Daten. Sie fordert die Änderung von Gesetzen, etwa von Polizeigesetzen, welche die Privatsphäre unangemessen einschränken, sie wendet sich gegen jegliche Ausforschungen durch Behörden usw., usw.

In all diesen Kampagnen, großen und kleinen, Initiativen und Gruppen verliert sich die Partei Die Linke, ist sie nur noch ein Stein unter vielen anderen in einer sogenannten Mosaik-Linken.

Ich möchte hier nicht mißverstanden werden - es ist selbstverständlich Aufgabe einer linken Partei, sich bei der Verteidigung demokratischer Rechte und beim Schutz von Minderheiten zu engagieren und dabei klar Stellung zu beziehen. Dies war immer auch ein Anliegen der Arbeiterbewegung. Ich erinnere hier nur an die Kämpfe in der alten Bundesrepublik gegen die Notstandsgesetze und gegen die Berufsverbote.

Zur Wahrheit gehört aber auch, daß SPD, Grüne, FDP und oft sogar Liberale in der CDU - etwa in der Frage der Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe - hier nicht nachstehen. Es ist eine Tatsache, daß in dem strikt neoliberal ausgerichteten Irland erst kürzlich mit der Aufhebung des Abtreibungsverbots die Gegner der Kirche einen großen Sieg feiern konnten. Und in Belgien, an dessen Regierung die flämische Rechte maßgeblich beteiligt ist, soll jetzt sogar jegliche Strafbarkeit für Schwangerschaftsabbrüche abgeschafft werden. Der französische Präsident Hollande setzte gegen Kirche und Konservative in einem Kulturkampf die gleichgeschlechtliche Ehe durch. Dazu verband er sich mit Liberalen, die wüste Gegner der Gewerkschaften sind. Mit ihrer Hilfe wurden unter Hollande Schutzrechte für die Lohnabhängigen gleich reihenweise abgebaut.

Die Beispiele zeigen: Der Erhalt und sogar der Ausbau von Bürgerrechten und von Schutzrechten für Minderheiten harmoniert durchaus mit Härte und Unnachgiebigkeit bei der Abwehr von Forderungen der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten. Das ist es, was die US-amerikanische Soziologin Nancy Fraser "progressiven Neoliberalismus" nennt. SPD und Grüne sind klassische Vertreter dieses progressiven Neoliberalismus. Und die Partei Die Linke bemüht sich, hier den Anschluß nicht zu verpassen.

Die eigentliche Aufgabe einer wirklich sozialistischen Partei liegt aber in der Vertretung der sozialen Rechte der Mehrheit der Bevölkerung. Ihre geschichtliche Mission besteht darin, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist".(10) Nur eine solche Partei kann sich auf Marx und Engels berufen.

Andreas Wehr
Berlin

Anmerkungen

(1) "Ich bitte auch, Zustimmung zu ertragen", in: "Neues Deutschland" vom 9. 5. 2001

(2) Karl Marx/Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW, Band 4, S. 482

(3) Stephan Hermlin: Abendlicht. Berlin 1987, S. 18

(4) Partei des Demokratischen Sozialismus, Programm. Berlin 1998, S. 7

(5) Gregor Gysi: Ingolstädter Manifest "Wir - mitten in Europa. Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag". Berlin 1994, S. 15

(6) Programm Die Linke, Beschluß des Parteitags vom 21. bis 23. Oktober 2011 in Erfurt, S. 5

(7) Zitiert nach Domenico Losurdo: Das 20. Jahrhundert begreifen. Köln 2013, S. 77

(8) Vgl. Marianna Schauzu: Der Kampf ist eröffnet - Die Linke soll Bürgerrechtspartei werden, in: "junge Welt" vom 15./16.5.2010

(9) Klaus Lederer: Links und libertär? In: "Blätter für deutsche und internationale Politik", Ausgabe 7/2010

(10) Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW, Band 1, S. 385

*

Hartz IV - ein neues Gewand für alte Ausbeutung?

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Die Zahl armutsgefährdeter Kinder steigt auf fast zwei Millionen

• Die Zahl der armutsgefährdeten Kinder ist in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren von 1,79 auf 1,85 Mill. im vergangenen Jahr gestiegen. 2005 waren es noch 1,51 Mill.

• Das geht aus Daten des Europäischen Statistikamts Eurostat hervor. Als von Armut bedroht gelten Haushalte mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens.

• Der Anteil der Unter-16-Jährigen in solchen Haushalten stieg von 11,6 Prozent im Jahr 2005 über 14,7 Prozent im Jahr 2008 auf 17,2 Prozent im Jahr 2010. Dann sank der Anteil mit Schwankungen auf 15,1 Prozent 2017.

Das Hartz-IV-System ist ein wesentlicher Indikator für Kinderarmut in Deutschland. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit war im vergangenen Jahr fast jedes siebte Kind auf Hartz IV angewiesen. Das entsprach 14 Prozent aller Kinder in Deutschland.

Vor fünf Jahren war es laut Statistik lediglich jedes achte Kind gewesen. Die Kinderarmut in Deut schland sowie die Armutsgefährdung in Deutschland haben also zugenommen. ("Eurostat")

*

Eine aktuelle Warnung aus dem Jahr 1981

Demokratie muß verteidigt werden

In wenigen Wochen wird das Bonner Grundgesetz zweiunddreißig Jahre alt. Dieser Geburtstag mag zwar nicht gerade besonders aufregend sein; er ist aber nach meinen Begriffen schon allein deshalb von Bedeutung, weil es hierzulande noch zu keiner Zeit eine Demokratie gegeben hat, die sich über einen so verhältnismäßig langen Zeitraum hätte behaupten können. Liegt es daran, daß wir neuerdings besonders gute Demokraten sind, oder liegt es an der bestehenden Qualität unserer freiheitlichen Grundordnung? Von den ganz besonders Klugen unserer Bundesrepublik hören wir es ja schon öfter mal, daß unser Grundgesetz zu den besten und demokratischsten Staatsverfassungen dieser Welt gehöre. Vielleicht ist da sogar was Wahres dran. Ich persönlich lebe gern in diesem Land.

Man sage mir aber bitte nicht, daß es in dem Strahlenglanz unserer Demokratie nicht auch so mancherlei unschöne Flecken gibt. Daß der Otto von Habsburg unser Volk in Straßburg vertritt, daß es für die Bundeswehrrekruten zwar sieben Hindenburg-Kasernen, aber nur eine mit dem Namen unseres hochverehrten Gustav Heinemann gibt, daß da ein Kommunist sehr wohl im Rathaus, nicht aber auf der Lokomotive Platz nehmen darf, verschafft mir schon Unbehagen. Und es soll mir doch keiner damit kommen, daß man diese Liste demokratischer Fehltritte nicht noch beliebig fortsetzen könnte. Vielleicht aber sind es gerade diese ewig dummen Ungereimtheiten, die unsere Bundesrepublik so kopfschüttelhaft interessant erhalten. Darf man's mit zornigem Langmut tragen? Ich will's versuchen. Da ist aber auch etwas anderes noch. Eine Sache, die mir beileibe nicht mehr nur läßlich böse, sondern schon eher bedrückend erscheint. Und manchmal sogar etwas Furcht einflößt. Es ist der mitunter schon fast possenhafte Frevel, daß da über Hitler und sein "Tausendjähriges Reich" zwar sehr viel gefilmt und geschrieben - nach meiner Überzeugung aber viel zu wenig nachgedacht und angeprangert wird. Ich frage mich ernsthaft, ob diese Geistlosigkeit nicht den Boden bereitet, auf dem der Neofaschismus seine modrigen Blüten treibt. Und wer wollte oder könnte leugnen, daß es bei uns nicht schon wieder eine ganze Fülle nazistischer Umtriebe gibt. Die Bombenexplosion in München, die Schüsse in Hamburg und an der Schweizer Grenze lassen da keinerlei Zweifel mehr zu. Müssen wir da nicht endlich unruhig werden, und müssen wir uns nicht immer wieder besorgt fragen, wo das alles seinen Anfang genommen hat?

Waren es vielleicht die mitunter schon fast lächerlichen Gerichtsentscheidungen gegen frühere Naziverbrecher, bei denen man glauben mußte, daß die Menschenquälerei in den Konzentrationslagern nichts weiter als ein entschuldbares Kavaliersdelikt gewesen wäre? War es die Tatsache, daß man in den fünfziger Jahren hierzulande schon wieder Zeitungen kaufen konnte, in denen deutscher Nationalstolz beschworen und der ehrenvolle Tod auf dem Schlachtfeld verherrlicht werden durfte? Oder waren es die ersten Kameradschaftstreffen ehemaliger SS-Knechte, die ja schon so bestürzend früh wieder zur ärgerlichen Tradition unseres bundesrepublikanischen Alltags geworden waren? Wer wüßte das schon genau zu sagen, und wer schon könnte uns all das aufzählen, was danach an braunen Merkwürdigkeiten noch hinzugekommen ist?

Da war der Aufmarsch uniformierter Schwarzhemden in Hannover, da war das zu einer Nazi-Demonstration umfunktionierte Kappler-Begräbnis in Soltau, da waren die naßforschen Leutnants der Bundeswehrhochschule in Neubiberg, die an einer symbolischen Judenverbrennung unheimliches Vergnügen fanden, da waren die Herren Generale, die mit einem nazistischen Obristen in Freiburg kameradschaftliche Verbrüderung feierten, und da waren die schon etwas tapsig-wackeren Ritterkreuzträger, die sich am Grab eines ehemaligen Großadmirals die erste Strophe des Deutschlandliedes nicht haben verkneifen können. Auch diese Liste dumm-dreister Borniertheiten könnte man beliebig lang fortsetzen. Bis einem der Atem ausgeht. Und dann wird mir sicher so manch einer noch sagen wollen, daß das alles nichts weiter als politische Instinktlosigkeiten sind und daß man diese Mustersammlung neonazistischen Ungeistes nicht allzu ernst nehmen sollte. Aber genau da fängt die Sache an, abenteuerlich zu werden. Ich stehe dieser auch von unseren verantwortlichen Politikern viel zu oft demonstrierten Gelassenheit nicht nur mit großer Sorge gegenüber, ich habe zuweilen Angst vor der Frage, was uns aus dieser unbekümmerten Gutgläubigkeit noch alles widerfahren könnte.

Der von den Historikern da und dort verkündete Glaubenssatz, daß sich die Geschichte nicht wiederholen werde, verschafft mir da wenig Zuversicht. Er ist nach meiner Überzeugung ohnehin nichts weiter als eine in diesem Jahrhundert für uns und unser Volk so überaus schmerzlich widerlegte Vermutung, die sicher auch weiterhin auf recht tönernen Füßen steht. Die beiden Weltkriege, die so gespenstisch parallel dem Irrsinn und Größenwahn zweier Kraftprotze entsprungen sind, unterscheiden sich doch lediglich darin, daß der zweite Kriegsverbrecher dieser geschichtlichen Fortsetzungsfolge nicht zu den gekrönten Häuptern zählt. Beweis genug, daß sich die historischen Ereignisse mitunter doch wiederholen. Das falsche Dogma unserer Geschichtsprofessoren kann uns da auch nicht weiterhelfen. Ich halte es deshalb schon eher mit dem Wort des spanisch-amerikanischen Philosophen George Santayana, der einmal gesagt hat: "Wer sich nicht an das Vergangene erinnert, ist dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben."

Und weil wir die Heimsuchung faschistischer Gewaltherrschaft nicht in einer zweiten Auf lage erleben wollen, sollten sich alle Demokraten hierzulande dazu aufgerufen fühlen, wachzuhalten, was damals wirklich geschah, und wachsam zu sein, daß es nicht wieder geschieht. Mir scheint, daß das auch eine der großen geschichtlichen Aufgaben unserer deutschen Gewerkschaftsbewegung ist.

Mich hat es sehr nachdenklich gestimmt, als mir der unvergessene Adolph Kummernuß am Rande eines DGB-Kongresses einmal sagte, wir sollten nicht nur darüber reden, was zwischen 1933 und 1945 gewesen ist. Wir sollten auch darüber nachdenken, was sich vor dieser Zeit getan hat, und wir sollten mit gesunder Skepsis beobachten, was sich in unserer Demokratie begibt und entwickelt. Er wehrte sich damals mit aller Leidenschaftlichkeit gegen das allzu bequeme Märchen, daß vor der braunen Machtübernahme alles zum besten gestanden hätte. Und er verurteilte ebenso leidenschaftlich den Lug und Trug, daß nach ihrem Ende automatisch wieder alles rundum in Ordnung wäre.

Waren es nicht auch in den zwanziger Jahren vornehmlich Leute des Militärs und sonstige Strammsteher, die sich von ihrem obrigkeitsstaatlichen Denken nicht eine Minute lang haben entfernen können und die aus dieser ewiggestrigen Gesinnung heraus mit unausgegorenen Hitzköpfen gemeinsame Sache machten, als sie der faschistischen Machtergreifung den Weg bereiteten? Und hat man diesen Leuten nicht viel zu lang und viel zu teilnahmslos zugeschaut, als sie Jahr für Jahr ihren niederträchtigen Spott kübelweise über die Weimarer Republik ausgeschüttet und ihr Zug um Zug den Lebensnerv abgewürgt haben? Und sind nicht die heutigen Neofaschisten Leute ähnlichen Kalibers, denen man wiederum mit viel Gleichmut gegenübertritt? Wie entsetzlich lang hat doch die Wehrsportgruppe Hoffmann mit Panzerwagen und Totenkopfemblem ihr skurriles Spiel ungestraft treiben können! Und würde nicht dieser hochgezwirbelte Schnurrbart auch heute noch junge Leute strammstehen lassen, wenn nicht das Münchner Attentat hätte aufhorchen lassen? Waren das nicht schon diabolische Parallelen zu den späten zwanziger Jahren? Ich will der Wahrheit willen gar nicht bestreiten, daß auch die in der Weimarer Republik so hoffnungslos gespaltene deutsche Gewerkschaftsbewegung Schuld auf sich genommen hat. Sie hat entschieden zu lang gezaudert und gezögert, dieser fürchterlichen Entwicklung mit der gebotenen Entschlossenheit entgegenzutreten. Und das nicht zuletzt auch deshalb, weil man geglaubt hat, daß sich der damalige faschistische Spuk von selbst wieder auflösen werde. Ein im wahrsten Sinne des Wortes tödlicher Aberglaube, den die "Arbeitnehmer" und ihre Gewerkschaften sehr teuer haben bezahlen müssen. Neben dem millionenfachen Mord an den Juden war die blutige Spur der nazistischen Tötungsmaschinerie gerade unter den Arbeitern ganz besonders breit und unheilvoll.

Aus diesen Erfahrungen haben wir nach 1945 politische Schlußfolgerungen gezogen. Die Erkenntnis, daß jede Spaltung eine Verzettelung gewerkschaftlicher Kräfte bedeutet, hat uns dazu bewogen, nach dem Zusammenbruch eine kraftvolle Einheitsgewerkschaft ins Leben zu rufen. Und die Überzeugung, daß Widerstandsrecht und Widerstandspflicht zum unveräußerlichen Bestandteil jeder demokratischen Grundordnung gehört, hat uns veranlaßt, in unseren Gewerkschaftssatzungen den spontanen Streikaufruf für all die Fälle festzuschreiben, in denen unsere Demokratie durch politische Fanatiker gefährdet oder gar tödlich angegriffen wird. Wir sind vorbereitet, und es soll sich keiner im Zweifel darüber sein, daß er den Feinden unserer demokratischen Grundordnung Komplizendienste erweist, wenn er unsere Einheitsgewerkschaft aus den Angeln zu heben versucht. Wer den festen und einheitlichen Block unserer Gewerkschaftsbewegung nach Konfession oder Parteibuch auseinanderdividieren will, muß sich im klaren darüber sein, daß er damit unserer Demokratie ans Leder geht. Und darauf werden wir die richtige Antwort nicht schuldig bleiben. All diejenigen aber, die da glauben sollten, daß die neofaschistischen Umtriebe hierzulande nur harmlose Blitzlichter wären, müssen sich sagen lassen, daß Gefahr im Verzuge ist. Als politische Mosaiksteine sind sie sehr ernst zu nehmen - sie sind im übrigen ein deutlicher Beweis dafür, daß der Faschismus in unserer Bundesrepublik beileibe noch nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet ist. Da ist noch immer einiges virulent in unserem Land - einfältige Gutmütigkeit wäre hier ebensowenig eine läßliche Sünde wie der Aberglaube, daß uns unsere Demokratie gewissermaßen als Himmelsgeschenk für alle Zeiten in den Schoß gegeben ist. Demokratie ist ein Auftrag an alle Staatsbürger, Tag für Tag dafür zu kämpfen, daß sie uns erhalten bleibt. Laßt uns wachhalten, was damals geschah, und laßt uns wachsam sein, daß es nicht wieder geschieht!

Kurt Georgi (1920-1999),
von 1977 bis 1981 Vorsitzender der Gewerkschaft Holz und Kunststoff.
RF-Archiv

*

Gedenken an einen Antifaschisten in Leipzig

Manch Besucher rieb sich verwundert die Augen, als er Anfang Dezember vergangenen Jahres das Stadion der BSG Chemie Leipzig betrat.

Über den Eingängen und an der Tribüne prangte unübersehbar der Name "Georg-Schwarz-Sportpark". So hieß das Stadion zwischen 1949 und 1992 und so kennen es viele Fans noch, sofern sie alt genug sind. "Anlaß ist die Einweihung der restaurierten Gedenktafel für den einstigen Namensgeber des Sportparks", erläuterte Pressesprecher René Jacobi. Der Arbeiterstadtteil Leipzig-Leutzsch ist eng verbunden mit dem Leben und Wirken von Georg Schwarz. Hier organisierte der KPD-Landtagsabgeordnete gemeinsam mit Gleichgesinnten den Widerstand gegen das faschistische Regime. Den mutigen Einsatz für Menschlichkeit bezahlten er und weitere Antifaschisten mit dem Leben - sie wurden im Januar 1945 in Dresden hingerichtet. Daran erinnern wollten Verein und Fans mit der Restaurierung der Gedenktafel für Schwarz. Diese war nicht von allen ehemaligen Verantwortlichen mit Würde und Respekt behandelt worden. So ordnete ein früherer Manager an, die Tafel auf den Müll zu werfen. Engagierte Fans sicherten die Reste und bewahrten sie über viele Jahre auf.

Möglich gemacht wurde die Restaurierung durch den Steinmetzbetrieb Wegener aus Köhra und zahlreiche Spenden. Am Samstag vor dem Spiel fand im Tribünenbereich eine Ausstellung zu Leben und Wirken von Georg Schwarz und anderen Widerstandskämpfern statt.

C. K.

*

WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG
Bürgerliche Faschismustheorien und ihre Funktion
Sendung des Deutschlandsenders vom 27. März 1975

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Rechte Geschichtspropaganda bei unseren Nachbarn
Gerechtigkeit nur ein Traum?

In Ländern wie Österreich sitzen lupenreine Faschisten in der Regierung - so lesen wir in dem vor kurzem publizierten Gespräch von Noam Chomsky mit Emran Feroz ("Kampf oder Untergang! Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen", erschienen im Westend-Verlag).

Die Republik Österreich ist nicht erstmals in ihrer 100jährigen Geschichte zur Vorreiterin aggressiver Rechtspolitik in Europa geworden. Schon Adolf Hitler, dessen Selbstdarstellung von seinem Weg als oppositioneller Jugendlicher hin zum "Staatsmann" große Verbreitung gefunden hat, hat in Wien viel Erfahrung gesammelt und in Bürgermeister Karl Lueger "den gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten" kennengelernt.

Seit Monatsbeginn illustriert das Haus der Geschichte Österreichs (HDGÖ) im intellektuellen Mainstream aufbereitete Geschichtsfolklore. Sie läßt die Gegenwart besser verstehen, auch dann, wenn plakative und scheinbar randständige Regierungsvorlagen im Nationalrat ohne viel Contra bestätigt werden. Zuletzt hat eine Regierungsvorlage das Verbot des Tragens oder der Verwendung von Abzeichen oder Symbolen der kurdischen PKK betroffen. Diese werden als im Widerspruch zu den Grundwerten der Republik Österreich stehend und als Aufruf, Verherrlichung oder Unterstützung von Gewalt verboten. Steht ein Abzeichen oder ein Symbol der PKK tatsächlich im Widerspruch zu den Grundwerten der Republik?

Unterdrücktes Volk

Das kurdische Volk zählt geschätzte 20 Millionen Menschen. Seine staatliche Zugehörigkeit ist auf mehrere Staaten verteilt. Die UNO hat sich vor 60 Jahren am 10. Dezember 1948 in ihrer Menschenrechtsdeklaration das Ziel gesetzt, daß künftig niemand mehr auf unserer Welt Opfer von Massenmorden und Massendeportationen, von Konzentrationslagern und Folter, von Gesinnungsterror und Rassenwahn, von Kriegen und Annexionen werden soll. Alle Menschen, ob Frau oder Mann, ob schwarz oder weiß, ob arm oder reich, ob gläubig oder atheistisch, sollen frei und gleich an Würde und an Rechten sein.

Der langjährige SPÖ-Justizminister Christian Broda hat 1984 auf einem Symposium über die Situation der Kurden begründet, in welcher Verantwortung die Republik Österreich zur Geschichte eines unterdrückten Volkes steht. Der Kampf um die Menschenrechte müsse, so Broda, auch ein Kampf für die Rechte der Kurden sein. Wörtlich sagte er: "Die Menschenrechtsverletzungen, deren Opfer die Kurden tagtäglich werden, sind eng verflochten mit den Problemen der Welt von heute, sie sind ein Teil unserer Weltprobleme, und sie sind deshalb selbst ein Weltproblem. Ihre Probleme sind unsere Probleme. Der Kampf um die Menschenrechte der Kurden ist eng verflochten mit dem Kampf um die Menschenrechte in der ganzen Welt. Es ist ein Kampf im Zeichen und im Namen der unteilbaren Menschenrechte.

Ein Österreicher weiß um die Bedeutung der internationalen Solidarität und der weltweiten Anteilnahme an den bedrohten Menschenrechten im eigenen Land. Wir haben ihre Bedeutung erlebt, als vor einem halben Jahrhundert (1934) in unserem Land die demokratischen Freiheitsrechte beseitigt, der letzte tapfere Widerstand mit Kanonen und Maschinengewehren niedergeworfen wurde und die Todesurteile von Standgerichten gefällt und innerhalb von längstens drei Stunden vollstreckt wurden.

Vier Jahre später - im März 1938 - haben wir erfahren, was es bedeutet, alleingelassen zu werden, wenn die Übermacht überlegener fremder Armeen der militärischen Okkupation den Weg bahnt. Damals hat sich gezeigt, wie rasch jene Staaten, die es nicht wagten, der Gewalt gegenüber einem kleinen friedlichen Volk entgegenzutreten, selbst bald darauf zum Opfer überlegener gewaltsamer Aggression und Okkupation geworden sind. [...] Keine Diktatur und kein Gewaltregime ist unempfindlich gegen die Weltmeinung. Eine Weltöffentlichkeit und eine Weltmeinung gegen die Verletzung der Menschenrechte der Kurden aufzubauen, daran wollen wir mitarbeiten und dazu wollen wir beitragen."

Ideologische "Abendlandwerte"

Broda ist ein in der Vergangenheit versunkener humanistischer Jurist, der auch engagiert gegen die Todesstrafe aufgetreten ist. In den 90er Jahren verschärften sich die grausamen Menschenrechtsverletzungen gegen die kurdische Bevölkerung. Die türkischen Machthaber erhalten ihre Waffen aus den USA und aus Deutschland, dessen Militärausgaben eben einen neuen Höchstwert erreicht haben. Die ideologische Absicherung der "Abendlandwerte" gegen die "russischen Horden" kann diese Aufrüstung allein nicht begründen. Chomsky stellt fest, daß im Jahre 1997 - als die Massaker gegen die Kurden einen Höhepunkt erreicht hatten - Bill Clinton Ankara mehr Waffen geschickt hat, als das Land in der gesamten Nachkriegszeit bis dahin erhalten hatte.

In der vom Nationalrat bestätigten Diktion unserer "demokratischen Faschisten" ist die PKK "eine straff hierarchische Organisation mit separatistisch-marxistischer Ausrichtung" und will "die Errichtung eines unabhängigen Staates".

Nicht nur ein Verbot von Symbolen

Das Verbot von Zeichen der kurdischen oder palästinensischen Befreiungsbewegung durch unsere der Strache-Kurz-Regierung ausgelieferten Republik ist nicht nur ein Verbot von Symbolen, sondern das Verbot, der Solidarität mit unterdrückten Völkern in irgendeiner Weise Ausdruck zu geben. Was hat das alles mit dem HDGÖ zu tun?

Nach der Niederlage der österreichischen Arbeiter im bewaffneten Kampf gegen die zur faschistischen Machtübernahme angetretenen, von ihren Finanziers ausgehaltenen Figuren wie Dollfuß und Schuschnigg im Februar 1934 haben viele dieser Arbeiter als Interbrigadisten das spanische Volk in seinem Befreiungskampf gegen seine Unterdrücker mit der Waffe unterstützt.

Der Kommandeur der XI. Brigade, in der viele österreichische Arbeiter bei der Verteidigung von Madrid gekämpft haben, war der altösterreichische Jude Manfred Stern, bekannt unter dem Kampfnamen "General Kleber". Hemingway erwähnt ihn in seinem Roman "Wem die Stunde schlägt".

Der Austrofaschismus hat, so wie Mussolini und Hitler, diese österreichischen Arbeiter und aktiven Humanisten verfolgt und sich mit dem "Caudillo" so verbündet, wie er das heute mit Erdogan tut. Für das HDGÖ ist die österreichische Arbeitersolidarität nicht darstellbar. Das Schweigen über die aktive Solidarität österreichischer Arbeiter verhindert das Hinterfragen der aktiven und gewinnbringenden Mittäterschaft österreichischer System-Eliten an den Greueltaten in der Welt.

Alles hat ein Vorher

Es gibt manche Beispiele im HDGÖ, die zu hinterfragen sind. Das Porträtfoto mit dem jugendlichen Gesicht von John F. Kennedy (1961) blendet die Massen der durch seine forcierte Kriegsbarbarei in Vietnam napalmverbrannten Kinder einfach aus, das Foto aus Salzburg mit dem Protest gegen Richard Nixon (1972) verschweigt beredt, daß dies ein Protest gegen den US-Völkermord in Vietnam und Solidarität mit seinem Volk war. Experte für die US-Kriege war Henry Kissinger, dessen Schüler der für das HDGÖ mitverantwortliche Ex-Bundespräsident Heinz Fischer ist. Alles hat ein Vorher, auch diese Regierung hat durch die Politik ihrer Vorgänger ein Vorher.

Ziemlich am Beginn der Ausstellung des HGDÖ wird Hans Kelsen als Konzipient des österreichischen Verfassungspapiers "heiliggesprochen". Wenige Monate zuvor hat Kelsen bekanntlich die k. u. k. Generalität über eine juristisch ordentliche Militärdiktatur beraten. Das Manuskript zur zweiten Auf lage "Vom Wesen und Wert der Demokratie" ist ausgestellt, es sei dank diplomatischer Unterstützung "nach Europa" zurückgekommen.

Es wäre nützlicher gewesen, die von Kelsen publizierte Frage "Was ist Gerechtigkeit?" aufzulegen. Dort hat er die für unsere Gegenwart im Interesse der herrschenden System-Eliten passende Antwort gegeben: Diese sei ein Traum.

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler

*

Chance für Mumia?

Das "Bundesweite Netzwerk gegen die Todesstrafe" erklärte Ende Dezember vergangenen Jahres zur Entscheidung des Richters Leon Tucker in Philadelphia, das Berufungsrecht für Mumia Abu-Jamal wieder in Kraft zu setzen:

Nach 37 Jahren im Gefängnis, fast 29 davon im Todestrakt, ist das Urteil von Richter Leon Tucker vom Court of Common Pleas (erstinstanzliches Gericht für Zivil- und Strafsachen) in Philadelphia, USA, ein juristischer Durchbruch für Mumia Abu-Jamal. Es eröffnet ihm endlich die Chance auf ein neues Verfahren, in dem er die vielen ungehörten Beweise für seine Unschuld vorlegen könnte. Der Inhalt der bemerkenswerten Entscheidung: Das Oberste Gericht des US-Bundesstaates Pennsylvania war befangen, als es 1998 Abu-Jamals Berufung gegen seine Verurteilung zum Tod wegen Mordes an dem Polizeibeamten Daniel Faulkner zurückwies. Ronald Castille war als Richter an dieser Entscheidung gegen Abu-Jamal beteiligt. Juristischer Haken: Castille war vorher als Leiter der Staatsanwaltschaft von Philadelphia Ankläger gegen Abu-Jamal und darüber hinaus ein öffentlich scharfer Befürworter der Verhängung von Todesstrafe-Urteilen und eiliger Hinrichtungstermine, insbesondere gegen "Polizistenmörder".

Abu-Jamal war für den Mord an dem Polizeibeamten Daniel Faulkner am 9. Dezember 1981 verhaftet und im Juli 1982 zum Tod verurteilt worden - eine Tat, die er von Anfang an und seither unermüdlich bestritten hat. Er verbringt fast 29 Jahre im Todestrakt, bis das Todesurteil im Dezember 2001 wegen verfassungswidriger Verfahrensfehler aufgehoben wird, womit die Staatsanwaltschaft sich aber erst Ende 2011 endgültig zufriedengibt. Entscheidend für den Fall - Abu-Jamal ist Afroamerikaner und ehemaliger Black-Panther-Aktivist. Der erschossene Polizist war weiß und Mitglied der notorisch rechtslastigen Polizeibruderschaft FOP.

Abu-Jamal hat mit Hilfe engagierter Anwältinnen und Anwälte zahllose Versuche unternommen, Gehör zu finden und zu seinem Recht zu kommen. Nach 37 Jahren könnte das jetzt möglich werden. Richter Tucker in seinem Präzedenzurteil: "Falls ein Richter zuerst als Staatsanwalt / Ankläger und dann als Richter gearbeitet hat, stellt das einen Fall automatischer Voreingenommenheit und der Verletzung eines ordentlichen Verfahrens dar." Und: "Das Gericht befindet, daß der Rückzug durch Richter Castille angemessen gewesen wäre, um die Neutralität des rechtlichen Verfahrens in Abu-Jamals Berufung vor dem Pennsylvania Supreme Court sicherzustellen." Amnesty International hat bereits im Jahr 2000 auf 32 Seiten zum Fall Abu-Jamal die dramatischen Verfahrensfehler aufgelistet und abschließend ein neues Verfahren gefordert.

Alle Augen richten sich nun auf den neuen, bürgerrechtsorientierten Bezirksstaatsanwalt Philadelphias, Larry Krasner. Er war vor einem Jahr mit großer Mehrheit für sein Versprechen ins Amt gewählt worden, mit dem notorisch rassistisch motivierten Fehlverhalten seiner Behörde in einer Stadt mit fast 50 Prozent schwarzer Bevölkerung aufzuräumen. Seine Behörde hat das Recht, innerhalb von 30 Tagen Berufung gegen dieses Urteil einzulegen. Daran, ob er darauf verzichtet, wird sich sein Anspruch messen lassen, wirklich etwas Neues zu bewegen.

*

Erinnerung an Michail Scholochow

Der Schriftsteller Michail Scholochow wurde am 24. Mai 1905 im Vorwerk Krushilin der Staniza Wjoschenskaja im Gebiet Rostow geboren. Schon von früher Jugend an beteiligte er sich am Kampf um die Durchsetzung und Festigung der Sowjetmacht im Dongebiet. Zwanzigjährig veröffentlicht er in Moskau seine ersten Bücher: die "Don-Erzählungen" und "Flimmernde Steppe". Alexander Serafimowitsch ("Der eiserne Strom"), der damals prophezeite, daß Scholochow in einem Jahr in der ganzen Sowjetunion und in zehn Jahren in der ganzen Welt bekannt sein werde, behielt recht.

Die ersten Bände seines berühmtesten Romans, "Der stille Don", erschienen 1928. Seit dieser Zeit genießt das vielbändige Werk, das die historisch-revolutionäre Umgestaltung seiner Heimat am Beispiel des widersprüchlichen Donkosaken Melechow schildert, ungebrochene Popularität breiter Leserschichten inner- und außerhalb der Staaten der früheren Sowjetunion. Nicht zuletzt mit diesem Buch wurde der Beweis erbracht, daß die großen revolutionären Umgestaltungen auch von künstlerischem Fortschritt begleitet wurden.

Es kein Zufall, daß seit Scholochows Tod die bürgerliche Journaille in unterschiedlichen Varianten immer wieder die Lüge auftischt, Scholochow hätte den "Stillen Don" nicht selbst geschrieben. Im Jahr 1965 erhielt er in Stockholm für das mehrbändige Werk den Nobelpreis für Literatur. Scholochow sagte zur Entstehungsgeschichte seines großen Romans: "Ich wollte über das Volk schreiben, in dessen Mitte ich geboren bin und das ich kenne."

Internationale Bekanntheit errang auch sein Roman "Neuland unterm Pflug", in dem Scholochow eindringlich die vielgestaltigen Probleme bei der sozialistischen Umgestaltung des Dorfes schilderte. Nicht weniger tiefen Eindruck hinterließen bei seinen Millionen Lesern Scholochows so eindrucksvoll verfilmten Bücher über den Großen Vaterländischen Krieg, "Ein Menschenschicksal" und "Sie kämpften für die Heimat". Scholochow hatte als Frontkorrespondent der Zeitungen "Prawda" und "Krasnaja Swesda" selbst den schweren und opferreichen Kampf der Roten Armee gegen die faschistische Wehrmacht miterlebt.

"Scholochow mied nie die Widersprüche des Lebens", schrieb Konstantin Fedin, "einerlei, welche Epoche er schilderte. Nie versteckte er tragische Situationen in tröstlichen Feldblumensträußen. Aber die Wahrheit ist so stark, daß die Bitterkeit des Lebens, wie fürchterlich es immer ist, vom Willen und Drang zum Glück, von der Freude seiner Verwirklichung überwunden wird."

Michail Scholochow starb vor 35 Jahren, am 21. Februar 1984.

RF

*

BUCHTIPS

Alfred Kosing: Epochen und Epochenwechsel in der neueren Geschichte
Probleme der Theorie und der Politik

In welcher Epoche leben wir? 1960, auf einer Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien in Moskau, meinte man, daß die Menschheit sich in der Epoche des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus befindet. Eine solche Feststellung bestimmte nicht nur den Charakter gesellschaftlicher Veränderungen, sondern legte strategische Handlungsoptionen fest. Kosing fragt, aus welchen objektiven und subjektiven Gründen diese Bewertung derart einseitig und fehlerhaft sein konnte, daß sie für die kommunistische Weltbewegung eine überwiegend falsche politische Aufgabenstellung und Orientierung zur Folge hatte.

Verlag am Park, Berlin 2018, 242 Seiten, 16,99 €



Peter Michel: Gewissenstrommler
Essays zur bildenden Kunst 1994-2018

In der kapitalistischen Gegenwart wird der Wert von Kunst zumeist in Euro berechnet und manipuliert. Geistige Werte spielen auf dem Kunstmarkt eine marginale Rolle. Deshalb gibt es bis heute Schwierigkeiten mit Kunst, die in der DDR entstand. Sie wird verunglimpft, in den Depots "vergessen" oder gar vernichtet. Peter Michel hat sich als ein "Gewissenstrommler" jahrzehntelang mit ideologisch motivierter Intoleranz gegenüber dieser Kunst auseinandergesetzt. Seine Erfahrungen und seine detaillierten Kenntnisse können helfen, Vorurteile abzubauen und achtungsvoll mit diesem Erbe umzugehen.

Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2018, 270 Seiten, 14 €



Kerem Schamberger / Michael Meyen: Die Kurden
Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion

Wer weiß um den Krieg, den die Regierung in Ankara seit 2015 gegen die Kurden führt? Wer erinnert sich an die Repressionen in den 90ern? Hierzulande kennt man allenfalls die PKK und fragt sich vielleicht verwundert, warum immer noch Tausende mit den Farben und Symbolen dieser "Terrororganisation" in ganz Europa auf die Straßen gehen. Schamberger und Meyen zeigen, daß die Verfolgung der Kurden in der Gründungsgeschichte der Türkei wurzelt und daß der eigentliche Putsch dort schon 2015 stattfand - ein ziviler Putsch durch die AKP. Doch der Westen will sein Bündnis mit dem Erdogan-Regime nicht gefährden und läßt deshalb ein 25-Millionen-Volk im Stich.

Westend-Verlag, Frankfurt a. M. 2018, 240 Seiten, 20 €



Günter Piening: Die Macht der Migration
Zehn Gespräche zu Mobilität und Kapitalismus

In diesem Buch werden migrationspolitische Debatten reflektiert und die machtvollen Effekte von Migration, Einwanderung und Mobilität in einer zunehmend transnationalen Welt diskutiert. In einer Zeit, in der an Menschenrechten, humanistischen Idealen und Liberalismus ausgerichtete Grundsätze zurückgedrängt werden, wollen die Beiträge der tiefen Kluft zwischen linken Forderungen und der gesellschaftlichen Stimmung etwas Positives entgegensetzen: das der Migration innewohnende demokratisierende Potential für einen kapitalismuskritischen, solidarischen Gesellschaftsentwurf.

Unrast-Verlag, Münster 2018, 112 Seiten, 9,80 €

*

Erinnerungen an Nadeshda Konstantinowna Krupskaja
(26.2.1869 - 27.2.1939)

Sie war ein ungewöhnlicher, ein hervorragender Mensch, die bedeutendste und schönste Gestalt einer russischen Frau in unserer großen Revolution. Sie war eine aufrechte und unermüdliche Mitkämpferin Lenins, seine Frau, Freundin und Gefährtin. Sie war Lenin eine unersetzliche Kampfgefährtin in den ersten Jahren der Schaffung und des Aufbaus der Partei, als die haßerfüllten zaristischen Henker die Bolschewiki verhafteten, sie in die Gefängnisse warfen und verbannten. Nadeshda Konstantinowna Krupskaja kämpfte mutig und standhaft für den Sieg der Idee Lenins und für die Festigung der Partei. Leidenschaftlich verteidigte sie die Partei gegen die Intrigen der Menschewiki und gegen die anderen Feinde des Bolschewismus.

Nadeshda Krupskaja war rein äußerlich sehr zurückhaltend und selbstbeherrscht. Gleichzeitig war sie aber unerbittlich gegenüber den Feinden der Partei, haßte labile und schwankende Kampfgefährten zutiefst und von ganzem Herzen. Mit welch unerschöpflicher Geduld und Herzlichkeit aber verstand sie es, die Arbeiter zu begeistern und ihnen die Ideen Lenins sowie die Ziele und Aufgaben der Bolschewiki zu erläutern!

Als Lenin viele Jahre fern von der Heimat im Exil leben mußte und auch von dort aus die Tätigkeit der Partei leitete, war Nadeshda nicht nur einfach seine persönliche Sekretärin, sondern ersetzte den ganzen Apparat des Auslandsbüros der Partei. Das war in den verantwortungsvollsten Jahren des Kampfes unserer Partei, die während des ersten Weltkriegs die große Revolution von 1917 vorbereitete.

Nadeshda hielt nicht nur die Verbindung mit den Bolschewiki in Rußland aufrecht, sondern führte auch - sie beherrschte einige Fremdsprachen - einen ungeheuer großen Schriftverkehr mit den Anhängern Lenins in anderen Ländern. Viele von ihnen bildeten später den Kern der kommunistischen Parteien in einigen Ländern Europas, Asiens und Amerikas.

Nadeshda Krupskaja war ungewöhnlich arbeitsfähig. In ihrer Arbeit war sie fleißig, exakt und sorgfältig. Bei ihr reichte für alles die Zeit, Energie und herzliche Anteilnahme. Junge Bolschewiki, die Rußland hatten verlassen müssen, suchten und fanden bei Nadeshda Rat und moralische Unterstützung. Mit klugen und herzlichen Worten verstand sie es, deren Glauben an den Sieg der Linie der Partei und an der Verwirklichung der großen Ideen des Kommunismus zu festigen.

Im April 1917 kehrte Nadeshda zusammen mit Lenin nach Rußland zurück. Der angespannte revolutionäre Kampf der Partei Lenins gegen die Bourgeoisie, die die Macht an sich gerissen hatte, führte in den Oktobertagen schließlich zum Sieg. Unter der Sowjetmacht beauftragte die Partei Nadeshda mit verantwortlichen staatlichen Funktionen auf dem Gebiet der Volksbildung. Nadeshda Krupskaja war von Beruf Pädagogin und verstand deshalb ausgezeichnet, daß der Kampf gegen Unwissenheit sowie kulturelle und politische Rückständigkeit des Volkes eine der Hauptaufgaben der jungen Sowjetrepublik darstellte. Ihr war klar, daß der sozialistische Aufbau nur möglich war, wenn die Volksbildung umfassend entwickelt ist. Nadeshda Krupskaja wurde so zu einer Persönlichkeit, der das sowjetische Volk eine gewaltige und gleichzeitig ehrenvolle Aufgabe übertragen hatte, die in der Beseitigung des Analphabetentums und in der Schaffung von Schulen, Lehrgängen, Lesestuben, Bibliotheken u. a. im ganzen Land bestand.

Nadeshda Krupskaja sorgte in den ersten Jahren der Sowjetmacht für bessere Lebensbedingungen und für die Befriedigung der Bedürfnisse der Lehrer. Sie reagierte mit großer Anteilnahme auf die Belange der Schüler und Studenten. Nadeshda unterbreitete auf Beratungen und Kundgebungen konkrete Vorschläge zur Erweiterung der Arbeit auf dem Gebiet der Volksbildung.

Nadeshda trat stets mit gutdurchdachten Reden auf. Sie erläuterte die Probleme mit Worten, die jede Arbeiterin und jede Bäuerin verstand. Sie sprach leise, aber ihre Stimme klang angenehm. Ihre Herzenswärme schwang in ihren Reden mit.

Es war nicht erstaunlich, daß Nadeshda Krupskaja aus allen Gegenden des Landes Briefe erhielt, Zehntausende Briefe. Sie freute sich sehr und war stolz darauf, wenn der Brief einer Kolchosbäuerin oder Arbeiterin das Wachstum ihres politischen Reifegrades und ihrer bewußten Teilnahme am Aufbau des Sozialismus unter Beweis stellte. Wenn Nadeshda auf Mängel und Unordnung in unserem Sowjetstaat und im Alltag hingewiesen wurde, antwortete sie sicher und ruhig: "Das alles wird die Partei überwinden. Das alles werden wir umgestalten." - Nadeshda ließ selbst in den schwersten Situationen oder bei politischen Mißerfolgen niemals den Mut sinken. Bei all jenen, denen das Glück zuteil geworden war, sie persönlich zu kennen, wird sie für immer als unerschütterlich standhafter und zielstrebiger Mensch in Erinnerung bleiben. Die meisten kennen Nadeshda Krupskaja nur von Aufnahmen aus den letzten Lebensjahren, als ihre Gesundheit bereits stark untergraben war. Sie trug einfache, dunkle Kleider, war glatt gekämmt und ernst. Wer sie jedoch näher kannte, weiß, daß in ihr bis zu ihrem Tode die Lebensfreude sprühte. In ihrer Jugend hatte Nadeshda sehr gerne gelacht und gescherzt.

Die Verdienste von Nadeshda als aktive Parteifunktionärin sind gut bekannt. Aber nur wenige wissen um ihre Verdienste auf dem Gebiet der Parteiarbeit unter den Frauen.

1905 erschien in Rußland die legale Ausgabe der Broschüre "Die werktätige Frau" von N. K. Krupskaja unter dem Pseudonym Sablina. In der Broschüre wurde die Notwendigkeit begründet, die breite Masse der Frauen in den revolutionären Kampf um ihre Befreiung von der Rechtlosigkeit in der Politik und im Alltagsleben einzubeziehen, ihr politisches Bewußtsein zu heben und sie mit der Arbeit der Partei vertraut zu machen. Nadeshda Krupskaja gehörte zum Redaktionskollegium der ersten Ausgabe der Zeitschrift "Rabotniza" (Arbeiterin), arbeitete mit uns, die wir zum Prawda-Verlag gehörten, in der Redaktion des "Listok Rabotnizy" (Blatt der Arbeiterin) sowie mit der Zeitschrift "Kommunistka" (Kommunistin) zusammen und beteiligte sich an der Herausgabe der ersten Hefte der Zeitschrift "Krestjanka" (Bäuerin). Sie nahm auch an Beratungen der Partei über die Arbeit unter den Frauen und an einigen internationalen Konferenzen kommunistischer Frauenorganisationen teil. Wenn Entwürfe von Dekreten der Sowjetmacht erörtert wurden, die in erster Linie die Frauen betrafen, beriet sich Lenin mit Nadeshda, und auch wir, die Mitarbeiterinnen der Frauenabteilung, holten uns gern Rat von ihr ein, was die Fragen der Abteilung betraf.

Nadeshda Krupskaja verhielt sich neben der Arbeit unter den Frauen mit besonderer Herzlichkeit und Aufmerksamkeit zur Jugend. Sie leistete einen großen Beitrag zur Schaffung und Festigung des Komsomol.

Der standhafte, kompromißlose und mutige Charakter Nadeshdas, ihr leidenschaftliches, mitfühlendes Herz und ihre grenzenlose Liebe zu Lenin, ihrem Freund und Gatten, und zur Partei bildeten bei ihr eine Einheit und dienen uns als Vorbild dafür, wie in unserer Epoche des aufgebauten Sozialismus in der UdSSR und zu Beginn der nachfolgenden Etappe - des Sieges des Kommunismus - eine Sowjetbürgerin sein muß.

Alexandra Kollontai
(Februar 1949; RF-Archiv)

*

WANDERUNGEN DURCH WESTDEUTSCHLAND (9)

Revolutionäre Traditionen und sterbende Industrie

Ein Katzensprung ist es für den Wanderer vom idyllischen Beamtenstädtchen Heidelberg zur Industriestadt Mannheim. Kurfürst Carl Philipp hatte Heidelberg 1720 verlassen und sich das einstige kleine Fischerdorf Mannheim als seine Residenz ausgesucht.

Den bereits von seinen Vorgängern angelegten hufeisenförmigen Stadtplan mit durch Straßen eingeteilten Bauquadraten behielt er bei und plazierte sein neues Schloß wie eine Bühne vor dem Konzertsaal. Noch heute gibt es im Zentrum keine Straßennamen, sondern Schachbrett-Adressen. Mannheimer wissen Bescheid, wenn sie etwa hören: "Karl wohnt in Q5,17." Auswärtige hingegen verzweifeln daran und irren suchend durch die Quadrate der Innenstadt.

Innerhalb des 19. Jahrhunderts wuchs die Einwohnerzahl von 25.000 auf das Vierfache. Mannheim platzte vor neuer Industrie und entsprechenden Arbeitermassen aus allen Nähten. Und die Stadt wurde zur Keimzelle der neuen Mobilität. Fahrraderfinder Carl Drais lebte hier, Autopionier Carl Benz, der Elektroauto-Erfinder Andreas Flocken. Die Lanz-Traktorenwerke siedelten sich ebenso an wie die MWM (Motorenwerke Mannheim), die Luftschiff-Werke Schütte-Lanz, Zughersteller Bombardier und das Elektrounternehmen BBC (später ABB, dann Alstom, jetzt General Electric). Hinzu kam am Zusammenfluß von Rhein und Neckar einer der größten Binnenhäfen Europas, was sich durch die gigantische Rheinbegradigung Johann Gottfried Tullas im 19. Jahrhundert noch verstärkte.

Die Arbeiter- und Industriestadt wurde ein Mittelpunkt revolutionärer Bewegung sowohl 1848 als auch in den folgenden Epochen. Vor allem der Stadtteil Neckarstadt war traditionell rot. Als Hitler 1934 auch dort einen Umzug veranstaltete, wurde seine Kolonne aus den Häusern mit Geschirr und Blumentöpfen beworfen, die Straße war mit Scherben übersät. Er traute sich danach nie mehr in dieses Wohngebiet.

Der Wanderer könnte noch viel erzählen über die Zeit des Faschismus in Mannheim - der Geburtsstadt von Herbert Mies (von 1973 bis 1990 Vorsitzender der DKP) und der DDR-Minister Heinz Hoffmann und Paul Wandel.

Eine Nachkriegsepisode Mannheims hat die Stadt allen anderen westdeutschen Städten voraus: Fast wäre ein Kommunist Oberbürgermeister geworden.

Am 31. Juli 1949 sollte in Mannheim ein neuer Stadtchef gewählt werden. Überall im Land wollten Sozialdemokraten mit den Kommunisten zusammengehen, hatten sie doch gemeinsam in den Zuchthäusern und KZs gesessen. Die Mannheimer KPD schlug daher der örtlichen SPD vor, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen. Doch da griff der Parteivorstand in Hannover ein und verbot die Zusammenarbeit. So gingen die Mannheimer Sozialdemokraten ein Bündnis mit der CDU ein und nominierten Hermann Heimerich. Die Alternative der KPD war daraufhin Erwin Eckert.

Eckert war in der Weimarer Zeit Stadtpfarrer in Mannheim gewesen, hatte sich wegen der Zustimmung seiner SPD zum Panzerkreuzerbau mit ihr überworfen und war zur KPD übergetreten. Sofort hatte ihn die badische Kirchenleitung hinausgeworfen, obwohl er Christ geblieben war, und ihn in die völlige Mittellosigkeit entlassen. Faschistische Pfarrer hingegen wurden weiter geduldet wie der in Waldwimmersbach bei Heidelberg, der bereits 1928 eine Hakenkreuzfahne über den Altar legte.

Eckert, zu dessen Predigten vor dem Krieg Tausende Mannheimer strömten, war nach wie vor bekannt und beliebt. Bei der Wahl 1949 unterlag er zwar mit knapp 35 % Wählerstimmen (Heimerich, SPD: 65 %), aber nie zuvor oder danach hatte in Westdeutschland ein Kommunist ein derart hohes Ergebnis erzielt.

Ohnehin hatte die KPD - später die DKP - ein beachtliches Renommee in der Arbeiterstadt. Von 1945 bis 1994 saßen ununterbrochen Kommunisten im Gemeinderat, selbst während der Zeit vom KPD-Verbot 1956 bis zur Konstituierung der DKP 1968.

Im heutigen Zeitalter des unproduktiven Kapitalismus stirbt auch die Industrie in Mannheim. Werke schließen, werden verlagert, entlassen Beschäftigte in großer Zahl.

Die Stadtverwaltung unter einem SPD-Oberbürgermeister versucht mit kulturellen Angeboten gegenzuhalten, und tatsächlich bietet Mannheim mittlerweile ein besseres Kulturprogramm als das nahe Heidelberg. So wird das Feuer der viele Jahrzehnte gepflegten Konkurrenz zwischen den beiden Städten auch heute noch am Glimmen gehalten.

"Monnem hinne!", frotzeln die Heidelberger gerne, indem sie den Ausruf der Schaffner in den Eisenbahnzügen des frühen 20. Jahrhunderts wiederholen. Diese Züge wurden in der Mitte entkoppelt, und der hintere Teil fuhr eben nach Mannheim weiter, der vordere nach Heidelberg. Mannheimer revanchieren sich mit der Invektive "Schloßbeleuchter!", wenn sie dem Heidelberger "Neckarschleimer" Kontra geben. Und noch im Jahr 2000 gab es heftige regionale Auseinandersetzungen in der Gewerkschaft ver.di, weil die Geschäftsstellen der beiden kurpfälzischen Städte zusammengelegt werden sollten.

Die US-Armee, in Mannheim jahrzehntelang mit zahlreichen Kasernen präsent, hat sich zurückgezogen - bis auf die "Coleman-Barracks" im Norden. Hier werden Panzer, LKW und schweres Kriegsgerät konzentriert, das gegen Rußland eingesetzt werden soll, wie Ben Hodges, kommandierender General der US-Armee in Europa, offenherzig zugibt. Es ist das größte US-Militärlager in Deutschland. Die imperialistische Kriegsgefahr nimmt also auch hier zu.

Der Wanderer verläßt die Stadt im Dreiländereck Baden/Rheinland-Pfalz/Hessen und vollführt einen Schlenker über das nahe badische Weinheim an der Bergstraße und das hessische Lampertheim im Ried, bevor er weiter nach Westen stiefelt.

Hans Dölzer †

*

Zur Klärung eines oft falsch verwendeten Begriffs

Was ist eigentlich tragisch?

Man muß kein Altphilologe sein und muß weder das Graecum noch das kleine oder das große Latinum haben, um zu wissen, was Tragik ist. Ein guter Deutsch-Unterricht mit der Lektüre eines klassischen Dramas von Goethe oder Schiller tut es auch. Aber was ist mit unseren Journalisten, den Presse-, Rundfunk- und Fernsehreportern los? Hatten die allesamt keinen guten Deutsch-Unterricht? Oder haben sie während ihrer Schulzeit wichtige Lektionen versäumt? Und haben sie sich danach auch nicht mehr ausreichend weitergebildet, weil in der Medienlandschaft ohnehin "anything goes"?

Wie auch immer - mit der deutschen Sprache stehen viele auf Kriegsfuß. Sprachlich stümpert man herum, daß es einen graust. Man gedenkt "den Toten", läßt sich nicht "auseinanderdividieren", interviewt "den Held", verwechselt Referenz und Reverenz und begeht eine linguistische Torheit nach der andern.

Eine besonders auffällige der Eseleien ist, daß - wohl aufgrund eines begrenzten Wortschatzes - jedes Ereignis, bei dem Menschen zu Tode kommen, als "tragisch" bezeichnet wird. Wenn ein Schulbus oder ein Motorradfahrer verunglückt, ein Kind aus dem Fenster stürzt oder ertrinkt, ein Zug entgleist, ein Wohnblock in Flammen aufgeht, ein Fährschiff versinkt, ein Flugzeug abstürzt, ein Vulkan ausbricht, eine Bombe oder ein Tankwagen explodiert - immer hat sich ein "tragischer" Unfall ereignet, immer ist es "tragisch", und immer ist die Bezeichnung "tragisch" unzutreffend, also falsch!

Wohlbemerkt: alle soeben genannten Ereignisse sind traurig, in hohem Maße beklagenswert, schrecklich, furchtbar, entsetzlich oder gar grauenhaft. Aber tragisch? Nein! Tragisch sind sie nicht! Nicht die Bohne! Denn hier stehen keine miteinander konkurrierende Werte auf dem Spiel, Werte, von denen jeweils nur einer auf Kosten des anderen realisiert werden kann. In keinem dieser Fälle ist so etwas wie ein Dilemma, eine Zwickmühle zu erkennen, eine Situation, in der eine handelnde Person (der "Held" der Tragödie) angesichts einer Alternative, wie immer sie entscheidet und was immer sie tut oder läßt, unausweichlich in der einen oder anderen Richtung schuldig wird.

Die nachstehenden konkreten Beispiele mögen zeigen, was das Wort Tragik wirklich bedeutet:

Als tragisch wäre die Situation eines Arztes zu bezeichnen, der als Helfer bei einer extrem schwierigen Geburt entscheiden muß, ob er den Fötus im Mutterleib zerstückeln soll, um das Leben der Mutter zu retten, oder ob er dem Ungeborenen zum Leben verhelfen und dabei das Leben der Mutter gefährden soll.

Und tragisch könnte auch die Situation eines Politikers sein, der entscheiden muß, ob er Truppen in ein anderes Land entsenden soll mit dem Auftrag, in einen dort tobenden Bürgerkrieg einzugreifen, um jene Menschen zu beschützen, die sonst aller Voraussicht nach von einem grausamen Gegner wie etwa dem IS massakriert werden würden, und der zugleich vor der Frage steht, ob er, um Menschenrechte zu schützen, gegen das Völkerrecht verstoßen darf, wodurch er womöglich (gleichsam Benzin ins Feuer gießend) das Kriegsgeschehen noch ausweiten würde, oder ob er das Völkerrecht achten und dadurch Menschenrechte preisgeben soll. Was wiegt schwerer? Das konkrete Menschenrecht des einzelnen oder das Völkerrecht, das indirekt ja auch Werte und Rechte des einzelnen in seiner Gemeinschaft schützt? - Wer möchte es wagen, dies zu entscheiden?

Gemeinsam ist den hier geschilderten Situationen, daß in ihnen nicht Wert gegen Unwert, sondern Wert gegen Wert steht, wobei nicht beide zugleich und in gleicher Weise verwirklicht werden können, sondern immer der eine zugunsten des anderen bevorzugt, der andere zugunsten des einen hintangesetzt oder gar vernichtet werden muß. Auch Nichtentscheiden oder Davonlaufen hilft hier nicht weiter, denn auch durch Unterlassung kann man schuldig werden, im privaten Leben ebenso wie im öffentlichen und politischen Raum. (Siehe auch, was das StGB unter dem Stichwort "unterlassene Hilfe" hierzu sagt.) Die Ethik rät, in solchen schwer entscheidbaren Situationen das "kleinere Übel" zu wählen, damit der höhere Wert bewahrt oder verwirklicht werden kann. Das klingt theoretisch plausibel. Das Problem ist nur: Wie erkenne ich jeweils, welches das kleinere und welches das größere Übel oder welches der höhere und welches der niedere Wert ist? In der Praxis gehen die Ansichten darüber oft extrem auseinander, so daß die letztgültige Entscheidung in der konkreten Situation immer nur vom einzelnen in nicht delegierbarer, eigener persönlicher Verantwortung getroffen werden kann.

"Aus der tragischen Situation", schreibt Nicolai Hartmann in seiner "Ethik", "gibt es den schuldlosen Ausgang nicht." Dies ist die wahre Tragik: das unausweichliche, notwendige Schuldigwerden. Dies ist die Crux des menschlichen Daseins in einer nun einmal so und nicht anders beschaffenen Welt, die Crux unserer Existenz, die niemand uns abnehmen kann und die - entgegen anderslautenden (kirchlichen) Meldungen - auch Jesus den Gläubigen nicht abgenommen hat (von dem es heißt, daß er die Tragik durch seinen Opfertod am Kreuz überwunden habe), ist doch die Welt seit seinem Tod genauso tragisch strukturiert wie zuvor ...

Theodor Weißenborn

*

Politische Justiz in der Ära Adenauer

Unter dem Titel "Staat ohne Recht. Des Bonner Staats strafrechtliche Sonderjustiz" erschien 1959 eine Publikation von Juristen aus der BRD und der DDR. Darin wurde die rechts- und verfassungswidrige Strafverfolgung zahlloser westdeutscher Kommunisten nach dem Verbotsurteil der KPD mit dokumentarischen Belegen gebrandmarkt. Von den damaligen Autoren lebt nur noch Prof. Erich Buchholz. Seit 1988 kämpft die "Initiativgruppe zur Rehabilitierung der Opfer des kalten Krieges" nicht nur für die Aufhebung der Unrechtsurteile gegen die KPD und deren Mitglieder. Sie wollen, wie Buchholz und Dobrawa, daß diese Vorgänge nicht vergessen und unter dem Propagandaberg "Unrechtsstaat DDR" begraben werden. Die beiden Juristen Buchholz und Dobrawa haben Wesentliches zum Thema zusammengetragen.

Aus dem Vorwort:
Mitte Dezember 2015 informierte das öffentlich-rechtliche, also das Staatsfernsehen der Bundesrepublik, über den Stand des Verbotsverfahrens gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht. Dazu hieß es, daß dieses Gericht erst- und bislang einmalig im Jahre 1956 das Verbot einer politischen Partei beschlossen hatte. Nicht mitgeteilt wurde jedoch, um welche Partei es sich gehandelt hatte. Mithin war die Nachricht unvollständig. Sie war überdies aber auch falsch.

Verboten worden war damals die Kommunistische Partei Deutschlands. Allerdings war sie nicht die erste Partei. Bereits vier Jahre zuvor hatte - auf Veranlassung von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) - das Bundesverfassungsgericht eine Partei verboten. Das war gleichsam der Probelauf für ein neues, in der deutschen Rechtsgeschichte noch nie erfolgtes Verbotsverfahren. Es ging ohne Komplikationen über die Bühne. Am 23. Oktober 1952 sprachen die Verfassungsrichter ihr Urteil. Die Sozialistische Reichspartei, die sich in der Nachfolge der faschistischen NSDAP sah, mußte ihre Tätigkeit einstellen.

War's nur die Nachlässigkeit des Nachrichtenredakteurs, daß die KPD in dieser Meldung unerwähnt blieb? Oder war es mit Absicht verschwiegen worden, weil es sich doch um die einzige kommunistische Partei handelte, die jemals in Europa nach dem Krieg verboten worden war? In jenem Staat, in welchem nach dessen eigenem Rechtsverständnis das Deutsche Reich fortbestand. Im Hitlerstaat war bekanntlich die KPD auch verboten worden.

Erich Buchholz / Ralph Dobrawa: Politische Justiz in der Ära Adenauer.
Verlag am Park, Berlin 2018. 140 S., 14 Euro, ISBN 978-3-947094-20-2

*

Zweierlei Maß bei Recht und Gerechtigkeit

Im Koalitionsvertrag zwischen den Parteien Die Linke, SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen für die 6. Wahlperiode des Thüringer Landtags wurde festgehalten: "Die DDR war eine Diktatur, kein Rechtsstaat. Weil [...] jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnte, wenn einer der kleinen oder großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat."

Warum verurteilen diese drei Parteien das der DDR unterstellte Verhalten und nicht das unrechtsstaatliche Handeln der Alt-BRD-Regierungen? Bereits in den Gründungsjahren der BRD gab es zwei gravierende verfassungswidrige Maßnahmen der Adenauer-Regierung.

Nehmen wir das FDJ-Verbot: Über 6000 Jugendliche aus der BRD nahmen am Deutschlandtreffen vom 27. bis 29. Mai 1950 in Ostberlin teil. Dies hinderte die Polizei nicht, ohne jede gesetzliche Grundlage deutschlandweit eine Menschenjagd an der Grenze gegen die westdeutschen FDJler durchzuführen. Auf der West-Seite der Grenze stießen die Jugendlichen auf eine Sperrkette, die mit der gesamten kasernierten Polizei Nordwestdeutschlands aus den Kasernen von Hamburg, Lübeck und Kiel sowie mit Polizeischülern und mit Hunderten Polizeihunden gesichert war. Die Jugendlichen sollten in ein Lager gebracht werden, um sie dort zu registrieren. Unter einmütigem Protest lehnten alle Jugendlichen dies ab. Die Polizei ging mit außerordentlicher Rohheit vor. Zollbeamte schlugen mit Karabinern auf sie ein. Schwere Kopfverletzungen, Armbrüche und Verrenkungen wurden gemeldet. Die Polizei weigerte sich, den Verletzten Hilfe zu gewähren. Vom 5. bis 19. August 1951 fand das nächste Großereignis statt: die Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin. Bei Adenauer läuteten die Alarmglocken. Diesmal mußte verhindert werden, daß Tausende Jugendliche an den Weltfestspielen teilnehmen konnten. Unter anderem deshalb beschloß das Adenauer-Kabinett Ende Juni 1951 das Verbot der FDJ.

Im Bundesinnenministerium wurden unverzüglich die notwendigen Schritte bei den Landesregierungen unternommen, um jede Betätigung der FDJ zu unterbinden. Auch der Magistrat von Westberlin hat ein solches Verbot erlassen.

Oder denken wir an das KPD-Verbot. Am 16. November 1951 reichte die Adenauer-Regierung eine Klage gegen die KPD ein. Das Bundesverfassungsgericht sollte die Verfassungswidrigkeit der KPD feststellen.

In acht Punkten hatte die Bundesregierung ihre Klage gegen die KPD begründet.

Punkt 1 lautete: "Die KPD handelt im Rahmen eines von den Machthabern in der Sowjetzone entworfenen und seit Jahr und Tag verfolgten Angriffsplanes, in dem die KPD das Rückgrat der inneren Aggression darstellt. [...]"

Am gleichen Tag forderte der Adenauer-Minister Lehr "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer" auf, ihre Reihen nach "Verfassungsfeinden" zu überprüfen. Wer Geld an solche Organisationen gebe, werde unter Umständen ihr Mittäter sein. Das Denunzieren wurde von der Adenauer-Regierung staatlich verordnet.

Bereits einen Tag später fanden Polizei-Überfälle auf KPD-Büros statt. Eine verfassungswidrige Hausdurchsuchungs-Großaktion hat die Lehr-Polizei zur Vorbereitung des Verbots der KPD in Arnsberg, dem größten Bezirk des Ruhrgebiets, vorgenommen. Ihre Büros und Wohnungen von Parteimitgliedern wurden in Hamm, Unna, Lüdenscheid, Annepe-Ruhr, Soest, Siegen-Land und Olpe durchsucht, obwohl keine richterlichen Durchsuchungsbefehle vorlagen. Kriminalpolizisten drangen in Begleitung von uniformierten Beamten überall ein und beschlagnahmten parteiinternes Material.

Welche Rechte hatten aus politischen Gründen Inhaftierte in der Alt-BRD? Sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, war der Verlust des Arbeitsplatzes sicher. Haftverkürzungen wurden nicht gewährt. Nach der Entlassung waren fast alle Betroffenen arbeitslos. Sie hatten kein Recht auf einen Arbeitsplatz. Arbeitslosigkeit war die Folge. Die dennoch einen Arbeitsplatz fanden, mußten sich mit geringwertigen Arbeitsplätzen zufriedengeben. An Studium war überhaupt nicht zu denken. Viele standen vor dem sozialen Absturz.

Wäre es hier nicht tatsächlich angebracht, von einem "Unrechtsstaat" zu sprechen?

Johann Weber

*

Stimmen aus aller Welt über die DDR

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen veröffentlichen wir hier einige dieser Äußerungen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt (und für uns) war.

Arthur Blenkinsop (1911-1979)
Abgeordneter der Labour Party, Leiter einer Delegation des britischen Parlaments

Dieses ist der erste offizielle DDR-Besuch einer Delegation im Rahmen der Interparlamentarischen Union aus Großbritannien. Der Zweck dieser Reise war es, uns ein Bild über die Verhältnisse in der DDR zu verschaffen, um geeignete Gebiete für eine erweiterte Zusammenarbeit abzustecken. Ich bin sicher, daß es dazu eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt, um die Beziehungen unserer Länder auf verschiedenen Gebieten zum beiderseitigen Nutzen auszubauen.

Zum Beispiel auf kulturellem Gebiet. Ich bin sehr von dem enormen Publikumsinteresse an den Galerien und Museen der DDR beeindruckt, ein Interesse, das wir unter anderem in der Kunstausstellung in Dresden beobachten konnten. Ich würde einen Teil dieser Ausstellung sehr gerne in Großbritannien sehen. Ich bin der Ansicht, daß wir in dieser und in anderer Weise voneinander lernen können.

Es war ein sehr intensives, aber auch ein sehr angenehmes Programm. Wir hatten viele Möglichkeiten, Kontakte herzustellen, wir hatten zahlreiche offizielle und halboffizielle Gespräche mit führenden Staatsmännern der DDR, aber auch sehr aufgelockerte Unterhaltungen mit Städteplanern in Dresden, mit Kunstschaffenden, mit Restauratoren der wiedererstandenen Kunstschätze der Stadt an der Elbe, aber auch mit Besuchern der Ausstellungen und Galerien. Wir folgten mit großer Aufmerksamkeit den Streitgesprächen in der Kunstausstellung - das war ein faszinierendes Erlebnis für uns.

Wir haben sehr viele Gemeinsamkeiten gefunden. Sowohl Ihr Land als auch das unsrige hatten durch den Krieg große Verluste zu beklagen, daher teilen wir sowohl die tiefe Besorgnis um die Erhaltung als auch das besondere Interesse an der Festigung des Friedens.


Shri Sonar Chand

Tänzer, Leiter eines Ballettensembles in New Delhi, Indien

Rund vier Monate lang hatte ich die Ehre und die Freude, als choreographischer Berater an der Vorbereitung der Uraufführung einer musikalischen Version unseres alten Sanskritstückes "Vasantasena" am Metropol-Theater in der DDR-Hauptstadt mitzuwirken.

Ich bin deshalb so glücklich, nach Berlin gekommen zu sein, weil ich hier miterleben kann, wie unser klassisches Stück erstmals mit Musik auf eine europäische Bühne kommt, ohne daß es in seiner Grundgestalt, seinem Grundgehalt verändert wird. Die Zusammenarbeit mit dem Metropol-Theater war sehr gut. All meine Skepsis, was ich wohl den Tänzern, der Choreographin, Frau Johanna Freiberg, vermitteln könnte, schwand schnell. Ich fühlte, daß ich gebraucht wurde, meine Vorschläge auf fruchtbaren Boden fielen. Gern wäre ich länger bei Ihnen geblieben, und gern würde ich wiederkommen. Es war sehr nützlich hier. In Indien kann ich viel berichten, auch so ein Mittler zwischen unseren Kulturen sein.

Kultur ist überall geeignet, Verbindungen zu schaffen. Und ich habe festgestellt, daß Sie eine sehr hochentwickelte Kultur haben. Ich habe, offen gestanden, zunächst gedacht: Die DDR ist ein Industrieland; allzuviel wird man dort für Kultur nicht übrig haben und schon gar nicht für die Künste. In Wirklichkeit ist das Interesse der Bevölkerung dafür viel größer als bei uns. Und die Kultur wird durch Ihren Staat außerordentlich unterstützt.

Ich bin hier in Berlin oft ins Theater gegangen, mehr zu meiner Freude, nicht einfach nur aus fachlichem Interesse oder gar um etwas zu bemäkeln. Wohl ein dutzendmal war ich in Oper und Ballett, auch im Pantomimenensemble des Deutschen Theaters, in Brechts "Puntila" im Berliner Ensemble. Oft verstand ich die Sprache nicht. Aber kaum etwas blieb unverständlich. Fast überall stieß ich auf eine wohltuend neue Art von Regie, selbst wenn man mal zu inhaltlichen Fragen geteilter Meinung sein kann. Das gilt zum Beispiel für die neue "Schwanensee"-Version des weltberühmten Choreographen Tom Schilling an der Komischen Oper. Diese Choreographie ist sehr gut, trotz aller möglichen Einwände. Ich finde es sehr interessant, wie Ihre Choreographen Erfahrungen aus der Klassik sammeln und damit auch experimentieren. Bei uns ist das ganz anders: Was Klassik ist, das rühren wir nicht an, das muß so bleiben. An Ihren Theatern wird zutiefst schöpferisch gearbeitet. Überhaupt herrscht in Ihrem Lande eine schöne menschliche Atmosphäre, die mir sehr gefällt und die einen gut arbeiten läßt.


Prof. d'Arcy Haymann

Leiterin der Sektion Bildende Kunst In der UNESCO (1960-1980)

Am meisten beeindruckt hat mich die gesellschaftliche Stellung des Künstlers in diesem Land, die Aufmerksamkeit, die er genießt. Er ist ein ebenso wichtiges Mitglied der Gesellschaft wie zum Beispiel ein Wissenschaftler. Nicht zuletzt deswegen ist dieses gesellschaftliche System interessant und wertvoll.

Alle kulturellen Aktivitäten, die ich in der DDR sah, haben mich in der Auffassung bestärkt, daß es einige sehr interessante Gebiete der Zusammenarbeit zwischen der UNESCO und der DDR geben wird.

Meine Beobachtungen in den Städten Schwerin und Güstrow, aber auch bei der 6. Biennale der Ostseestaaten in Rostock haben mich auf die Idee eines interessanten Projekts gebracht. Mit Hilfe des Mediums Fernsehen sollte ein Programm entwickelt werden, das die vielfältigen Initiativen zur Entwicklung von Beziehungen zwischen Kommunen - Städten und Dörfern - und dem, was wir die ästhetische Erziehung der Bevölkerung nennen, darstellt. Gerade auf diesem Gebiet habe ich in der DDR vieles beobachtet, wovon ich glaube, daß es für uns interessant ist, denn hier wird tatsächlich versucht, die Kunst allen Menschen nahezubringen.

*

Angetreten, aus der Welt einen Garten zu machen ...

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

*

Roberto Yáñez: "Ich war der letzte Bürger der DDR"

Am Leben von Roberto, dem Enkel von Margot und Erich Honecker, wird deutlich, was wir als Bürger der DDR erlebt haben - in guten, aber auch in weniger guten Zeiten -, was uns noch heute bewegt und immer wieder zu Schlußfolgerungen für die in der Gegenwart zu treffenden Entscheidungen führen muß. Das ist oft nicht einfach.

Als treue Leserin auch des "RotFuchs" suchte Margot Honecker bis zu ihrem Lebensende Antworten auf die neue Zeit. Großväterliche und großmütterliche Liebe zu Roberto zieht sich durch das ganze Buch. Es bietet nicht nur eine Familiengeschichte der Honeckers, sondern zeigt Parallelen zum Leben vieler Menschen in der DDR, die als Sozialisten fest zu ihrer Gesellschaft standen.

Im Dialog mit Roberto schreibt der Regisseur zahlreicher filmischer Zeitzeugen-Porträts Thomas Grimm über das Leben von Erich und Margot Honecker, über ihre Tochter Sonja und deren Sohn Roberto, seine Freunde, seine Kindheitserinnerungen und unbeschwerte Zeiten in Berlin, Wandlitz und "Wildfang", aber auch über das spätere Leben in Chile, in Santiago und Valivia. Die Lebens- und Schaffensstationen von Roberto, anknüpfend an das Leben mit Oma und Opa, werden dargestellt und immer mit einem politischen Akzent verbunden. Es geht um das Annehmen persönlicher Verantwortung für das Erbe der Geschichte, im Guten wie im weniger Guten. Roberto hat dies in vielen Geschichten und Songs verarbeitet - in gewissem Sinne als Künstler der neuen Zeit, der sich selbst - gelegentlich auch auf Umwegen - die Welt der Dichtung, der Musik und der Malerei geöffnet hat. Viele Lebensstationen seines Großvaters und der Großmutter kreuzten den Weg Robertos, ihn später zu tieferem Nachdenken zwingend: Opa bei Pfarrer Uwe Hollmer in Lobetal, in Beelitz, in Moskau, Auslieferung nach Deutschland, Haft und Krankheit, Ausreise von Margot, später von Erich Honecker ... Alles wird treffend beschrieben, auch mit vielen Informationen und bisher nicht veröffentlichten Fotos. Über die Jahre in Chile war wenig bekannt. Roberto spricht ungezwungen über diese Zeit, ebenso über die nach dem Tod der Großmutter.

Viele Seiten des Buches sind dem Leben in Berlin (Leipziger Straße), Wandlitz und dem kleinen Forsthaus Wildfang gewidmet. Letzteres ist leider heute, wie so vieles, dem Verfall preisgegeben.

Perestrojka und Glasnost, das politische Geschehen um Gorbatschow, der Zerfall der Sowjetunion werden im Buch - mit ihren Auswirkungen auf Erich Honecker, aber auch auf seine Gesundheit und das Leben der Familie - ungeschminkt dargestellt und bewertet. Roberto, der Liebling des Großvaters, steht oft im Mittelpunkt der Familie, was u. a. in Briefen Honeckers an seinen Enkel, etwa aus der Haft in Moabit, zum Ausdruck kommt. Roberto ist Überheblichkeit fremd, auch als er nach 23 Jahren noch einmal nach Berlin kommt und Stätten besucht, die seine Kindheit und Jugendzeit prägten. Als "Lieblingsenkel" der Honeckers von Grimm treffend skizziert, wird dem Leser Positives, aber auch Negatives wie in einem Zeitraffer vor Augen geführt. Er wird beim Lesen mit seinen eigenen Erlebnissen und Erinnerungen konfrontiert. Grund genug, vieles zu durchdenken, manches vielleicht neu zu bewerten.

Prof. Dr. Dieter Rost

Roberto Yáñez / Thomas Grimm: Ich war der letzte Bürger der DDR.
Mein Leben als Enkel der Honeckers.
Insel-Verlag, Berlin 2018, 256 S., 20 €

*

Kämpfende Kunst - HAP Grieshaber

Helmut Andreas Paul Grieshaber - die Initialen seiner drei Vornamen hat er miteinander verbunden. HAP Grieshaber wurde der Name eines unverwechselbaren Werkes für den internationalen Kunstmarkt, für Kenner, für die Freunde - er wurde zum Zeichen heute seltenen Einverständnisses von Künstler und Volk. Keiner der deutschen Maler und Graphiker, die die bildende Kunst dieses Jahrhunderts mitgeprägt haben, war Zeit seines Lebens so volkstümlich wie er, vergleichbar dem Spanier Picasso. Was die Meister des Expressionismus, betroffen von gesellschaftlicher Krise und Krieg, sich gewünscht hatten, dem Volk nahe zu sein, seinen Nöten und seiner Sehnsucht verständlichen Ausdruck zu geben, HAP Grieshaber ist es nach dem 2. Weltkrieg in einer Periode gelungen, in der die Kunst der Avantgarde den Weg der Abstraktion und Entfremdung ging. Über 35 Jahre waren seine Hütten und der Garten auf der Achalm, dem Hüteberg Reutlingens, Geburtsstätte eines Werks, das seine Quelle in den aktuellen Provokationen der menschlichen Existenz hat - in der Fortdauer von Gewalt und Notstand und in der Gefährdung des Gleichgewichts zwischen Technik und Natur, eines Werks, das in seinen geistigen Bezügen von der prähistorischen mittelmeerischen Kultur und der Antike, den Kulturen Asiens - Christentum und Gotik umfassend - bis zur kulturellen Moderne reicht. Viele Schriftsteller, aus Westdeutschland wie aus der DDR, haben Grieshaber auf seinem Berg besucht.

Hier arbeitete er, entstammend einer mittleren Beamtenfamilie, Zeitgenosse, der mit Schneidmesser, Farbe und Druckerpresse am Kampf gegen die Diktaturen in Griechenland und Chile, gegen die amerikanische Aggression in Vietnam teilnahm, gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik, gegen die Notstandsgesetze. Hier schnitt er Naturfreunden wie Kriegsdienstverweigerern Plakate. Den Gewerkschaften machte er Plakate zum 1. Mai, den Druckern zu ihrem Streik, der Literatur der "Dritten Welt" zu ihrem Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse. Noch in den letzten Monaten seines Lebens arbeitete er im nahen Tübingen mit inhaftierten Jugendlichen.

23, dem "Engel der Geschichte" gewidmete, zum Teil großformatige Mappen erschienen in unregelmäßigen Abständen mit Holzschnitten, eigenen Texten und Texten von Freunden, Gedichten, Prosastücken, Aufrufen, Hilferufen, jedes Mal eine Aktion: zum 450sten Jahrestag des Deutschen Bauernkriegs und zur Erinnerung an den Maler Jerg Ratgeb, der als Mitkämpfer der Aufständischen 1525 gevierteilt wurde; zum Elend der Psychiatrie mit Heinar Kipphardt; für Martin Luther King; Presse-Engel, Studenten-Engel, Engel, die streiten für die Rechtlosen und Verachteten, für die bedrohten Landschaften und Tiere. Zu den über sechzig Büchern, die mit vom Stock gedruckten Holzschnitten erscheinen, gehören Pablo Nerudas "Aufenthalt auf Erden", Stephan Hermlins "Städteballaden" und Margarete Hansmanns Griechenlandbuch "Zwischen Urne und Stier".

Der "Totentanz von Basel" mit vierzig Farbholzschnitten und mittelalterlichen Reimen in deutsch, französisch und englisch wurde wie eine Reihe anderer Bücher in Dresden gedruckt und gleichzeitig in Leipzig und Essen zum ersten Mal gezeigt. Wandbilder entstanden: "Die Sintflut", dreimal dreizehn Meter für das Zoologische Institut in Heidelberg; Wandbilder für Rathäuser, Altarwände für Kirchen - gleichnishafte Ausdeutungen des Sinns des menschlichen Lebens; großflächige Figuren, Pflanzen und Tiere in Farben von sanfter Glut, ins Holz geschnitten, gefräst, die Flächen gehackt, geschrubbt.

Die Kontur, Ergebnis von Willen, Leidenschaft, Vision und Widerstand des Holzes - sichtbare Spur des Herstellungsvorgangs. Grieshaber war und blieb Drucker. Dem widerstehenden Holz die Vision aufzuzwingen und sie auf Papier, auf Rinde, welchem Material auch immer, vervielfältigt erstehen zu lassen, zur Anschauung vieler - das trieb ihn. Es ging ihm um das Machen. Im Vollzug entstand ein Werk, das mit dem geschichtlichen Gegenstand und der menschlich erfahrenen Natur frei umging, dem Gesetz des Handwerks folgend. Er hat widersprochen, wenn man sein Werk als "engagierte Kunst" bezeichnete, das sei ein "weißer Schimmel": "Was ich vorzeige, sind Holzschnitte." Was er mache, sei eine Aktion, "und zum Schluß wird daraus vielleicht Kunst und Literatur". Am 15. Februar vor 110 Jahren wurde Grieshaber geboren, er starb am 12. Mai 1981.

Gestützt auf einen Beitrag von H. Brender
(RF-Archiv)

*

LESERBRIEFE

Zu Heinz Kamnitzer: Die Dolchstoßlegende, RF 251, S. 21
Die Dezemberausgabe des "RotFuchs" enthält einen sehr interessanten Artikel zur Dolchstoßlegende. Leider hat der Autor keine authentische Quelle zu seiner Aussage angegeben, daß Reichskanzler Ebert am 11.12. 1918 den von der Front zurückkehrenden Truppen in Berlin zugerufen hat: "Ihr kehrt zurück - im Felde unbesiegt."
Eine exakte Quellenangabe halte ich für aktuelle Auseinandersetzungen für unerläßlich. Damit wäre zu belegen, daß die Dolchstoßlegende von Anfang an auch das Denken und Handeln der Regierung um Ebert bestimmt hat und die damalige Mehrheitssozialdemokratie durchaus nicht nur Opfer dieser demagogischen Ideologie war. Für die 2019 zu erwartende Legendenbildung über den Ursprung der Weimarer Republik wäre das wichtig zu wissen. Hier in unserer Region Schwarzburg ist mancher Kult mit "Denkorten der Demokratie" zu erwarten, und die Verfassungsunterschrift durch Ebert wird dabei eine große Rolle spielen. Ich möchte gern mit meinen Mitteln und Möglichkeiten etwas Luft aus diesem Ballon lassen und bitte Euch um eine Auskunft.

Dr. Wolfgang Künzel, Bad Blankenburg

Anm. der Red.: Das Zitat aus der Ansprache Friedrich Eberts an heimkehrende Soldaten in Berlin vom 11.12.1918 findet sich sinngemäß in: Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Hrsg. von Herbert Michaelis und Ernst Schraepler, Bd. 3, Berlin o.J. (1958), S. 504f. Es heißt dort: "Kein Feind hat Euch überwunden. Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer drückender wurde, haben wir den Kampf aufgegeben. [...] Erhobenen Hauptes dürft ihr zurückkehren."


Die USA heute, nicht ohne gesellschaftliche Konflikte, werden regiert von einer autoritären Präsidialdemokratie. Der Präsident mißachtet offensichtlich das gestörte Verhältnis zwischen der Natur und den Menschen. Um präsidiales Tun nach dem Prinzip "USA first" zu rechtfertigen, ist die Anwendung von Verschwörungstheorien gegen vermeintliche Gegner auch Praxis. Verbündete, wie zum Beispiel die BRD, werden durch eine regressive Wirtschaftspolitik der Eskalation der Zölle belastet. Neue Machtkonstellationen entstehen, ein möglicher Handelskrieg mit China wird konzipiert. Die NATO rüstet auf wie nie zuvor. In der Europäischen Union ist man dabei, eine eigene Armee aufzustellen. In dieser Armee sollen die Deutschen nicht nur die Verantwortung tragen für einsatzfähige Kampfdrohnen, sondern auch die Speerspitze stellen in einer schnellen Eingreiftruppe gegen eine vermeintliche Bedrohung Polens und der baltischen Staaten durch Rußland.
Aber alle sprechen von Frieden. Blicken wir auf die Staatengemeinschaft in Europa, so stellt sie alles andere als eine solidarische Gemeinschaft dar. Länder fühlen sich in der Union bevormundet und sehnen sich um ihrer eigenen Geschichte willen nach der Pflege und Erhaltung eines Nationalstaates. Aber für die Identität eines Landes, für die Quellen und Geburtsstätten seiner Entwicklung ist die Pflege einer alle verbindenden Kultur und Solidarität lebensnotwendig. In Zeiten, die große Veränderungen andeuten, auch solche, wo Gesellschaftsordnungen ihren historischen Höhepunkt erreicht haben und neue Wege für das Leben und Überleben auf der Erde gefunden werden müssen, versuchen "falsche Propheten", "Rattenfänger" und großmäulige Verkünder von scheinbar besseren Wegen mitzumischen.
Für notwendige Veränderungen auf der Erde haben wir keine unendlich lange Zeit mehr. Im Grunde genommen müßte sich das "Gesicht" der Gesellschaftsordnung den ökologischen und natürlichen Zwängen unterordnen. Nicht die Natur hat sich den Menschen anzupassen, sondern umgekehrt. Die Katastrophen vielerorts in ihrem schrecklichen und ungeahnten Ausmaß zeigen das "Aufbegehren" der Natur. Eine von Profit- und Machtinteressen dominierte Gesellschaftsordnung kann das gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Natur nicht mehr beherrschen.
Wir Menschen, insbesondere die Superreichen mit ihren Machtstrukturen, leben doch bereits weit über den Möglichkeiten, die unsere Erde uns unbeschadet geben kann.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


"Notausgang" lautet der Titel eines kürzlich erschienenen Büchleins, das sich mit den Problemen syrischer Flüchtlinge in der BRD beschäftigt. Es trägt den Untertitel "Ein Flüchtlingsdrama in mehreren Büroakten" und seziert nahezu die bundesdeutsche Bürokratie, die selbst von gutwilligen heimischen Helfern schwer zu bewältigen ist, um Menschen aus Nahost hier einen Aufenthalt zu ermöglichen.
Basel Mouselli aus Aleppo und Olaf Kirmis aus Magdeburg sind die Autoren des Büchleins, das nicht nur einen bewegend tiefen Einblick in die Psyche eines 23jährigen Kriegsflüchtlings gewährt, es macht zugleich, oft mit leicht satirischem Unterton, auf das Zuständigkeitsgerangel der einzelnen Ämter aufmerksam. Wie frustrierend deren Handeln dabei oft ist, wird u. a. an der Forderung deutlich, ein in Magdeburg geborenes Baby nach Halberstadt zur Zentralen Aufnahmestelle zum Fotografieren zu bringen, damit es in Magdeburg einen Aufnahmestatus bekommt.
Diese kleine literarische Dokumentation dürfte vor allem hilfreich sein, immer wieder anzutreffende Klischees über die von der Bundesrepublik aufgenommenen Syrer zu beseitigen, und informiert den Leser so ganz nebenbei über kleine interkulturelle Mißverständnisse.

Joachim H. Klaus, Magdeburg


Basel Mouselli/Olaf Kirmis: Notausgang. Ein Flüchtlingsdrama in mehreren Büroakten. Dorise-Verlag, Erfurt 2018. 72 S., 9,90 €

Immer wieder gibt es Diskussionen über die Offenhaltung von Grenzen - für wen, und für wen nicht?
Im Grunde muß man viel tiefgründiger die Ursachen benennen, warum es zu Flüchtlingsströmen kommt. Richtig ist, daß Menschen in Not Hilfe brauchen, aber es ist zu hinterfragen, warum sie überhaupt zur Flucht aus ihren Ländern gezwungen sind. Unbestritten ist, in einer Welt des Friedens und sozialer Gerechtigkeit würde es wohl kaum Flüchtlinge geben, doch diese Welt bleibt nur ein Wunschtraum, solange die Gier nach Macht und Profit einiger weniger die Weltgeschichte bestimmt. Wer Länder ausplündert, um selber an die Rohstoffe zu kommen, und wer Waffen exportiert, damit seine Rüstungslobby sich eine goldene Nase verdient, der braucht sich nicht zu wundern, wenn seine Waffen in Kriegen eingesetzt werden und die Menschen davor fliehen. Ein weiterer Diskussionspunkt bei dem Thema offene Grenzen ist die Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten" Migranten und Flüchtlingen. Hier wird selektiert: Wen können die Unternehmen als Fachkraft gebrauchen, und wer verursacht nur Kosten? Erst hat man die Herkunftsländer ihrer Rohstoffe beraubt, jetzt geht es um Fachkräfteraub. Logisch, wenn Deutschland Experten für Profitmaximierung braucht, holt man sie von dort, wo es sie gibt. Zynisch werden sie dann noch als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet. Mit Ursachenbekämpfung hat das alles nichts zu tun. Man muß das Übel bei Namen nennen: Profitgier, Ausbeutung und Kriege.

René Osselmann, Magdeburg


In allen Ehren hatte das Porträt des Nazi-Verbrechers Globke, der wesentlich verantwortlich für die Judenvernichtung, für Shoa bzw. Holocaust steht, seinen Platz im Bundeskanzleramt.
Er hatte Ehrenplatz und ehrendes Gedenken genossen in jener Regierungszentrale deutscher Politik unserer Tage, die mit verbrecherischer Umdeutung des Begriffes "Antisemitismus" vom Wesen des Faschismus nichts mehr wissen will, Schuld und eigne Geschichte relativiert, vergessen zu machen sucht, Antisemitismus moralischverlogen, demagogisch in eigenem Interesse benutzt. Massenmord, Vernichtungspolitik des deutschen Faschismus zur Legitimierung heutiger imperialer und Kriegspolitik, zur Pflege erwünschter Feindbilder und Rechtfertigung neuen Völkermordes und neuer Unterdrückung zu benutzen, wie könnte Ursache und Wurzel des Faschismus deutlicher hervortreten? Mit dem Antisemitismus-Dreh jede verbrecherische Besatzungspolitik des Staates Israel zu rechtfertigen, dessen Kriegspolitik und Rolle in Nahost unter Schutz zu stellen, Kritik für strafbar zu erklären, wer kann und will an dem herrschenden Geiste im heutigen Deutschland noch Zweifel haben? Das mag uns an sich nicht einmal mehr sehr wundern. Es bestätigt die Traditionslinie der BRD bis in das Deutschland von heute. Die Sache wird ganz irrsinnig, entstellt und unbegreiflich, wenn selbst Politiker der "Linken" dem Tribut zollen, sich auf gleiche Fährte treiben lassen, vielleicht aus Unkenntnis in zweifelhafte Moral flüchten oder doch gar auf Regierungsfähigkeit bedacht sind. Auf jeden Fall ist es Beleg dafür, wie "linke" Politik bei entscheidenden Themen wie diesem bis zum Migrationsthema u. a. den Verlust von linken Grundpositionen offenbart, die das Links-Sein überhaupt ausmachen. Leider hat es PDL-Politik nicht fertiggebracht, zu Themen wie 70 Jahre Staat Israel, Erklärung Jerusalems zur israelischen Hauptstadt, "Antisemitismus" klare Worte zu finden, Völkerrecht für alle einzufordern, wie die Kanzlerin selbst an jedem Ort der Welt Menschenrechte einfordert.
Wenn wir Probleme mit "Antisemitismus" haben, wie er entstellt wird, wo sind dann die Politiker, die das Thema aufarbeiten, Wahrheiten nicht verschweigen, Geschichte sprechen lassen, die jüngeren Generationen schon unbekannt sind? Warum wird zugelassen, daß der Staat Israel identisch gesetzt wird mit dem Judentum, mit gläubigen und den Nachkommen verfolgter und ermordeter Juden? Wie kann eine Kritik an der Politik des Staates Israel antisemitisch sein, wo Semiten nicht nur Juden sind, Juden weltweit als Deutsche, Franzosen, Amerikaner usw. leben? Wenn Kritik an Israel antisemitisch sein soll, warum ist das bei Kritik an Rußland mit 27 Millionen Opfern ganz anders? Warum wird gern auf die tiefen Ursachen und Jahrtausende Geschichte von Judenfeindschaft, Antisemitismus verwiesen, aber die wesentlichsten Fakten werden unterschlagen? Was hat die Kolonialmacht England nach 1917/1945 hinterlassen und als Konflikt gelegt? Was war vor Hamas an israelischem Terror gegen die Kolonialmacht, wessen "Kind" ist Hamas? Terror ist nicht gleich Terror. Es gibt den verzweifelten Terror des Schwachen gegen den hochgerüsteten Starken, den der Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Wer ist nach 1948 in welche Rolle gelangt und bewußt gefördert worden?
Was ist zu zahllosen klaren UNO-Resolutionen zu sagen, die sich an Israel richten und von der Weltgemeinschaft in großer Mehrheit Zustimmung erhielten?
Was ist mit den Tausenden Israelis, die sich gegen die Kriegs- und Unterdrückungspolitik ihres Staates wenden und demonstrieren? Der Staat Israel ist nicht das Volk Israels und schon gar nicht Staat eines jüdischen Volkes.
Wer kann sich heute anmaßen, aus Jahrtausenden Geschichte den einzigen Schuldigen an heutigem Konflikt herauszufiltern? Die Frage nach den Interessen und den Klassenkräften erweist sich als die klärende Frage. Interessengeleitet und eigentlich leicht als imperialistische Propaganda zu durchschauen ist das Schema:
Judentum = Israel = westliche Zivilisation = Kapitalismus = War on Terror = das Gute und Islam = arabische Welt = Barbarei = Antikapitalismus = linke Friedensbewegung = das Böse.
Zu sagen, was ist, wie Rosa Luxemburg es forderte, das können wir noch immer!

Roland Winkler, Aue


Wenn der ukrainische Präsident Poroschenko über seinen Botschafter Andrij Melnyk in der BRD Forderungen nach neuen Sanktionen seitens Deutschlands gegenüber Rußland stellt sowie Wünsche nach Präsenz der deutschen Marine vor der Krim äußert, zeugt das davon, daß er in der bundesdeutschen Regierung "verständnisvolle" Partner vermutet - Provokationen ersten Grades, und man muß mal wieder "Farbe bekennen".

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Dem Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung "Aufstehen!" sollte man unbedingt zustimmen und sich dort einbringen.
Er spricht wesentliche Eckpunkte dringend notwendiger Veränderungen an, ist antiimperialistisch, antifaschistisch und sozial progressiv. Er steht für die gegenwärtig notwendige Verteidigung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Aus "Aufstehen!" kann ein breites demokratisches Bündnis für Frieden und sozialen Fortschritt mit weitreichenden Folgen entstehen. Schon vor Verkündung der Initiative hatten alle bürgerlichen Parteien ihre Ablehnung signalisiert. Das war zu erwarten, und die Störversuche werden noch heftiger ausfallen.
Schon am ersten Tag waren Mißtöne selbst von einer der Gründerinnen zu hören, die von ihrer Jugend in der Diktatur, gemeint war die DDR, sprach. Um es klar zu sagen: Die DDR hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun! Es geht um ganz andere Fragen.
Mißtöne gibt es leider auch vom Parteivorstand der Partei Die Linke. Faktisch kommt dessen Distanzierung von der Sammlungsbewegung einem innerparteilichen Rechtsruck gleich. Die Initiative sei kein Projekt der Linken, so der PV, was nichts weiter als ein Armutsargument ist.
Vielsagend ist auch die Passage. "Wir gehen davon aus, daß all jene Genossinnen und Genossen, die in 'Aufstehen!' mitarbeiten wollen, in ihrem Engagement - wie in anderen gesellschaftlichen Bündnissen - die Interessen und Beschlüsse unserer Partei vertreten. Das gilt insbesondere für Funktions- und Mandatsträgerinnen ..."
Wäre es nicht richtiger zu sagen, daß man von allen Parteimitgliedern eine aktive Teilnahme erwartet? So entsteht, sicher nicht zu unrecht, der Eindruck, daß die Führung der Linkspartei ganz andere Ziele vertritt und Parteimitglieder auffordert, sich der Initiative fernzuhalten.
Gregor Gysi bedauerte, daß er hierzu nicht befragt worden sei, weist dann darauf hin, daß, wenn die Sammlungsbewegung zu Wahlen antreten sollte, Die Linke gespalten sein würde.
In seiner neusten Publikation nennt er den "Prager Frühling" als ein Beispiel für den demokratischen Sozialismus. Gysi erklärte, stolz darauf zu sein, eine "Radikalisierung seiner Partei verhindert zu haben". Ich meine, mit seiner Haltung zur Konterrevolution in der CSSR kann er kein Ratgeber für konsequente Linke sein.

Dr. Bernhard Majorow, Erkner


Wer aufsteht, verändert zwar seine körperliche Position vom Liegen in den Stand. Hat er damit aber auch schon seinen Geisteszustand geändert? Ist er vom langen und womöglich auch festen Schlaf schon vollkommen aufgewacht, oder wirken seine Träume nach? Schwankt er noch, benommen durch den schrillen Weckruf "Aufstehen!"?
"Aufwachen!" müßte jetzt folgen. Scheinwohlstand, Lethargie, Kapitulation, Duldung und Phlegma sind zu stark dem Nachtschlaf der Bundesbürger wie K.-o.-Tropfen beigemischt. Sie bleiben selbst nach dem "Aufstehen!" müde und träumerisch. Auch jene, denen durch soziale Alpträume ein gesunder Schlaf geraubt wird, reizt "Aufstehen" noch nicht sonderlich. Sie möchten lieber liegen bleiben und "sich noch einmal auf die andere Seite drehen", in der Hoffnung, es gelingt vielleicht doch noch, Ruhe im "zweiten Schlaf" zu finden.
Nur etwa tausend standen auf und kamen am 9. November 2018 auf den Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. Mit fünfzigtausend Flugblättern aber waren die Berliner Bürger zum "Aufstehen" geweckt worden. Wo blieben die restlichen Neunundvierzigtausend?
Dabei ist der "Aufstehen"-Ruf in die bundesdeutsche Nacht so wichtig, denn es brennt schon lichterloh in Deutschland. Angezündet von der AfD schwelt der politische Brand in fast allen deutschen Bundesländern und ist dabei, sich auf den Bundestag, wie in Folge auch auf die Bundesregierung, auszubreiten.
Aber sind Sahra Wagenknecht und ihre linke "Feuerwehr" stark genug, gegen diesen Brand anzugehen, ihn gar zu löschen? In ihrem "Löschwasser" ist noch zu viel Luft, die Blasen verursacht. Bedauerlich und unverständlich, daß dafür der "linke Hydrant" ursächlich ist. Aus ihm fließt kein "sauberes Wasser" für die Brandlöschschläuche von "Aufstehen". Der "Hydrant" ist zu verschmutzt von "Selfie-Schmalz" und "Talkshow-Kalk".
Eine Generalreinigung des Hydranten ist vonnöten. Aber welche der zahlreichen linken Fachwerkstätten macht das, ja kann das? Welche dieser Werkstätten in der Bundesrepublik oder gar in Europa hat ein von den Massen annehmbares Angebot? Das Werkzeug für eine Grundreinigung ist eigentlich ausreichend vorhanden. Marx, Engels und Lenin bieten es reichlich an, und deren "Geschäftsbedingungen" sind durchweg akzeptabel.

Manfred Wild, E-Mail


Während in den Westzonen, der späteren BRD, mit Hilfe der Milliarden Dollar des Marshallplans Erhards "Wirtschaftswunder" organisiert wurde, geschah in der DDR das wirkliche Wunder. Entgegen Adenauers Vermutung, der "lebende Leichnam DDR" würde sich nicht einmal ein Jahr halten können, existierte die DDR immerhin gut 40 Jahre aus eigener Kraft. Von 1949 bis 1989 wurde die Wirtschaftsleistung verzehnfacht. Das heißt 90 % der industriellen und landwirtschaftlichen Produktionsstätten, welche 1989 existierten, wurden von den Arbeitern und Bauern der DDR errichtet. Die meisten wurden bis 1993 nach der Privatisierung ausgeraubt und stillgelegt. Damit gingen gleichzeitig in kürzester Frist über zwei Millionen Arbeitsplätze verloren.
Schon bei den "Verhandlungen" zum Einigungsvertrag machte der BRD-Verhandlungsführer Dr. Wolfgang Schäuble den am 18. März gewählten Polit-Abc-Schützen klar: "Es geht hier nicht um die Vereinigung zweier gleicher Partner, sondern um die Angliederung eines Kleinen an einen Großen!" Und so wurde der umfangreiche "Einigungsvertrag" von Volkskammer und Bundestag fast ungelesen durchgewinkt. Der Hauptteil des Textes, nämlich die Anlage I, Besondere Bestimmungen zur Überleitung von Bundesrecht, war bereits in den 50er Jahren formuliert, als Adenauer noch der Illusion nachhing, er könne der Sowjetunion die DDR abkaufen. Der Anschluß oder besser die Annexion ging damit zu Lasten der Bevölkerung der DDR. Sie mußte nach 1945 die Wiedergutmachungsleistungen an die Sowjetunion allein tragen, aber es gelang trotzdem, ein eigenes, wirkliches Wunder zu schaffen. 1989 ging es zurück in die alten Bahnen, verbunden allerdings mit atemberaubender technischer Modernität.
So leben wir heute in diesem sich zuspitzenden Widerspruch: modernste Medientechnik, digitalisierte Kommunikations- und Arbeitswelt und archaische gesellschaftliche Verhältnisse. Viele Bürger sehen die Schuld an den sozialen und ökonomischen Problemen schon wieder bei den Fremden, den Flüchtlingen, wie vor 1933 bei den Juden und den Kommunisten.
Wo ist die Kraft, welche diese Entwicklung stoppen und umkehren kann?

Henning Wesarg, Halberstadt


Zu Edda Winkel: Neue grimmige Abrechnung, RF 251, S. 27

­... es kamen auch Wölfe aus dem Westen
in Nadelstreifen, nicht immer die Besten,
um den maroden Osten zu sanieren
und dabei kräftig abzukassieren.
Sie graben keine Höhlen, sondern wohnen gepflegt
und werden umsorgt, von den Banken gehegt.
Sie haben sich eingelebt, gesetzlich geschützt und unversehrt
Sogar mit dem Bundesverdienstkreuz zuweilen geehrt.
Die schlimmsten Räuber werden auch nicht erledigt,
sondern in Bronze gegossen und als Denkmal verewigt!

Peter Pöschmann, Döbeln


Zu Heidi Richter: Zum 70. Jahrestag der Gründung der Pionierorganisation, RF 251, S. 33

Ich freue mich, daß Ihr den 70. Jahrestag nicht vergessen habt. Meine Zeitungsverkäuferin meinte, daß sie gern Junger Pionier gewesen sei, und sie habe sogar noch das Halstuch und den Pionierausweis. Was den Gruß der Pioniere betrifft, ist weniger bekannt, daß Gruß und Antwort aus einer Zeit stammen, als es darum ging, eine neue Welt aufzubauen und ein Vermächtnis fortzusetzen. Heute haben Bildung und Erziehung einen ganz anderen Inhalt. In der Fachwelt wird von "Kinderwohlgefährdung" gesprochen. Ursachen und Triebkräfte bleiben allerdings im dunkeln.
Im Rahmen der EU ist die bundesdeutsche Kinderpolitik am wenigsten erfolgreich, wie man auch an der Suche des deutschen Fernsehens nach den "Herzen für Kinder" sehen kann. Wenn Kinder angesichts chaotischer Zustände schreien: "Habt ihr eine andere Welt für uns? Wir haben Angst!" ist ihre Welt eine Welt ohne Zukunft. Noch bestehende Rekordleistungen einstiger Schützlinge, die ich in meiner Tätigkeit als Sportpädagoge, Trainer und Übungsleiter einmal betreute, können nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr die Gemeinnützigkeit der Bewegungs- und Sportkultur gefährdet und unsere Lebensqualität manipuliert wird. Das kleine Mädchen im Wunderland, das den Weg in die Welt nicht kannte und die Katze danach fragte, ist allgegenwärtig. "Wenn wir nicht wissen, wo wir hin wollen, müssen wir nur laufen."

Manfred Wozniak, Erfurt


Der "Blutige Freitag" 1919 ist nicht vergessen. 18 Menschen starben auf dem Platz vor dem Chemnitzer Hauptbahnhof bei der blutigsten politischen Auseinandersetzung, die hier vor Errichtung der Naziherrschaft stattfand. Eine machtvolle Protestdemonstration Chemnitzer Arbeiter am 8. August 1919 gegen die katastrophalen Lebensverhältnisse eskalierte infolge einer verhängnisvollen Provokation und weitete sich aus zu einem vierstündigen erbitterten Kampf mit den zur gleichen Zeit am Bahnhof eingetroffenen Einheiten der Reichswehr.
Dem Andenken an diese Ereignisse wurde in der DDR ein Denkmal gesetzt. Mein Vater, Hanns Diettrich, arbeitete insgesamt 15 Jahre an dem Projekt "Augustkämpferdenkmal". Die Arbeit an den Entwürfen begann 1962. Die Umsetzung in das originalgroße Gipsmodell für die Steinfassung erfolgte ab 1971 in seinem Atelier. Die Übertragung in Naturstein begann 1976 in den Sächsischen Sandsteinwerken in Dresden durch Steinbildhauer.
Die Art der Gestaltung soll auch eine Verneigung vor dem Maler Karl Schmidt-Rottluff sein. Die im Grauton gehaltenen Fugen zwischen den einzelnen Blöcken des Gesamtdenkmals im Gegensatz zum Rot des Rochlitzer Porphyrs verkörpern die Eingebundenheit des einzelnen in die Geschlossenheit einheitlichen Handelns der Arbeiter.
Die Einweihung des Denkmals fand am 8. August 1977 statt.
Mit einer möglichen geplanten Verlegung des gegenwärtigen Busbahnhofes in die unmittelbare Nähe des Hauptbahnhofes wird die erneute Versetzung des Denkmals notwendig.

Diplom-Bildhauer Frank Diettrich, Chemnitz


Schlicht und einfach, geradezu bescheiden, steht seit 40 Jahren ein Denkmal unweit des Rüdersdorfer Kulturhauses "Martin Andersen Nexö". Denkmäler werden - so wie man Straßen und Plätze nach Persönlichkeiten benennt - errichtet, um an Personen zu erinnern, die in der Geschichte eine große Rolle gespielt haben. Sie sind Symbole, an denen sich je nach Klassenstandpunkt die "Geister scheiden".
Auch in Rüdersdorf wurde insbesondere unmittelbar nach 1989/90 um Namen von Plätzen, Straßen und Denkmäler gestritten. Absicht war es, alles auszulöschen, was an die DDR als antikapitalistische Alternative zur BRD erinnerte. In diesem Zusammenhang verlor auch der Leninplatz seinen Namen.
Es gibt bürgerliche Wissenschaftler, die wichtige Gedanken Lenins aus den Bereichen Geschichte, Kunst, Literatur, Pädagogik und Philosophie akzeptieren. Das Bertelsmann-Lexikon beschreibt ihn als einen "mit großer Wissenschaft begabten, gleichzeitig politischen Visionär, weitblickenden Strategen und genialen Taktiker". Doch wachgerüttelt wurde die Welt mit den ersten Erlassen nach der Oktoberrevolution. Es waren das Dekret über den Frieden und das über den Grund und Boden. Bei Gutsbesitzern wurde der Grund und Boden konfisziert, Banken und Großindustrie wurden nationalisiert, und die Arbeiterkontrolle wurde eingeführt.
Von außerordentlicher, ja geradezu existentieller Bedeutung sind Lenins Beziehungen zur deutschen Geschichte, die durch zwei große Ereignisse gekennzeichnet sind: sein mutiger und letztlich von Erfolg gekrönter Einsatz für den Friedensschluß mit Deutschland im 1. Weltkrieg sowie der mit Deutschland geschlossene Vertrag von Rapallo (1922), welcher der Weimarer Republik gleichberechtigte zwischenstaatliche Beziehungen und Souveränität ermöglichte.
Beide Aktivitäten lagen im Interesse sowohl des deutschen als auch des russischen Volkes. Auf dem früheren Rüdersdorfer Leninplatz steht das kleine Lenindenkmal hinter dem Kulturhaus, wogegen der überlebensgroße Lenin vom Strausberger Markt im Garten des Museums verschwand. Es wurde für zehn Jahre an ein Museum ausgeliehen, welches DDR-Geschichte ausstellt.
Auch jenen, die sich mit der Geschichte nicht so auskennen, schrieb Lenin ins Tagebuch: "Das Leben schreitet in Widersprüchen voran, und die lebendigen Widersprüche sind um vieles reicher, mannigfaltiger und inhaltsvoller, als es dem menschlichen Verstand anfänglich scheint." (LW, 34/396)

Heinz Pocher, Strausberg


Zu Gisela Steineckert: Hand aufs Herz, RF 251, S. 35

Sehr geehrte Frau Steineckert, es gibt Begegnungen mit Menschen und ihren Büchern, denen vertraut man bis zum Ende aller Tage. Nicht oft bin ich Menschen begegnet, die zu mir sofort den richtigen Draht fanden und nicht selten zu Tränen rührten. Auch Ihr letzter Beitrag im "RotFuchs" war so ein Auslöser.
Nicht nur ich, ganz besonders aber unsere Zeitschrift, erleiden einen großen Verlust, wenn Ihr Beitrag "Hand aufs Herz" nun fehlen wird. Nunmehr müssen Ihre bisher veröffentlichten Bücher diese Lücke füllen. Ich habe die Hoffnung, daß Ihre Beiträge im "RotFuchs" in einer Zusammenfassung zur Veröffentlichung kommen. Das alles darf nicht in Vergessenheit geraten, weil so viel Wahres und Schönes selbstbewußt und literarisch gekonnt zum Ausdruck kommt.

Annelore Falke, Pößneck


Liebe Unterstützer, Freunde und Genossen, wir möchten das Ende eines ereignisreichen Jahres zum Anlaß nehmen, allen, die uns geholfen haben, das Vermächtnis von Oberst Viktor Nikolajewitsch Schandakow und Juri Alexejewitsch Wladimirow zu bewahren, herzlich Dank zu sagen. Danke für die Anteilnahme, Danke für die Information an alle Gleichgesinnten, Danke für die organisatorische sowie finanzielle Unterstützung, Danke für die Teilnahme an den Ehrungen am Fliegerehrenmal Syhra, Danke für die Mitwirkung an der Wiedereinweihungsfeier, die zu einer Manifestation für Menschlichkeit und Frieden, für die Erhaltung der Freundschaft zum Lande Lenins und der Forderung nach Rückkehr zu einer Entspannungspolitik wurde.
Wir wünschen uns eine weitere freundschaftliche Zusammenarbeit bei unseren gemeinsamen Bestrebungen für Frieden und Völkerverständigung. Bitte übermittelt unseren Dank und unsere Wünsche auch an alle, die in gleicher Sache mit Euch und uns verbunden sind.

Bernd Gnant im Namen des Ortsverbandes und der Stadtratsfraktion Geithain der Partei Die Linke

*

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin


Das Impressum für die obenstehende Ausgabe ist zu finden unter:
www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2019/RF-253-02-19.pdf

*

Quelle:
RotFuchs Nr. 253, 22. Jahrgang, Februar 2019
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang