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ROTFUCHS/200: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 246 - Juli 2018


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

20. Jahrgang, Nr. 246, Juli 2018



Aus dem Inhalt

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Kriegstreiber stoppen!

So kompliziert Klassenkämpfe oft verlaufen, in der Frage von Krieg und Frieden ist das anders: Kapitalismus und Krieg waren stets untrennbar miteinander verbunden, die Arbeiterbewegung und die sozialistischen Länder hatten und haben kein Interesse an Krieg.

Die mörderische Verbindung von Kapitalismus und Krieg gilt erst recht für das imperialistische Stadium. Mit dem Beginn der Verschmelzung von Industrie- und Finanzkapital zu Monopolen und deren Herrschaft in den damaligen Großmächten setzte zwischen 1890 und 1900 auch der Kampf um die Neuaufteilung der Welt ein. An dieser Analyse Lenins muß nichts geändert werden, im Gegenteil. Wir sind Zeugen eines voll entbrannten Kampfes um Machtpositionen und Einf lußsphären in der Welt.

Noch geht es vor allem um wirtschaftlich gegensätzliche Interessen. Die Debatten um mehr oder weniger Protektionismus sind aber mehr ein Ablenkungsmanöver als tatsächlicher Ausdruck der Widersprüche. Der Imperialismus sieht sich mit einer andauernden Überakkumulationskrise konfrontiert, die einige Kräfte mit Gewalt, mit einem großen Krieg, "lösen" wollen; andere neigen zu einem imperialistischen Frieden, d. h. zu Diktaten und Sanktionen gegen mißliebige Staaten und kleineren militärischen Konflikten.

Nun besteht die reale Gefahr, daß die Lage außer Kontrolle gerät. Das gemeinsame langfristige imperialistische Interesse ist die Einkreisung und Schwächung von Rußland und China. Zur Zeit sehen wir riesige Manöver in Osteuropa, werden neue Waffen und neue Interventionstruppen der EU angekündigt und wird ein weiteres NATOHauptquartier in Ulm für die Kriegspolitik gegen Rußland geschaffen. Der deutsche Imperialismus ist stets mit vorneweg. Und der Appetit wächst: Was wollte Kriegsministerin Ursula von der Leyen am ersten Juni-Wochenende in Singapur zusammen mit ihrem US-Amtskollegen James Mattis beim "Shangri-La-Dialog"? Laut "FAZ" wurde dort u. a. über eine "alte Idee", nämlich über eine gegen China gerichtete "NATO des Ostens" beraten. Sie soll aus den USA, Australien, Indien und Japan bestehen.

Gleichzeitig laufen die Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Iran. Die Provokationen Israels in Syrien sollen offenbar Teheran zu einer Reaktion veranlassen, die als Vorwand für einen Feldzug dienen kann. Die Bundeswehr ist mit verschiedenen "Missionen" bereits in der Region, darunter neuerdings im gesamten Irak - nicht mehr nur in dessen kurdischen Regionen.

Allerdings gibt es im Fall Iran offenkundig zwischen den USA (und Israel) einerseits und den anderen Unterzeichnerstaaten des Abkommens über das iranische Atomprogramm andererseits einen harten Interessengegensatz. Bundesrepublik, Frankreich und Großbritannien, die keinen Zweifel daran lassen, daß sie auch für einen "Regime change" in Teheran sind, wollen keinen weiteren Großkonflikt in unmittelbarer Nähe zu Westeuropa. Die gegenwärtige US-Führung spielt aber öffentlich mit einem großen Krieg. Rußland und China setzen sich ohnehin für Frieden in der Region ein. Wladimir Putin nutzt jede Gelegenheit, um vor einem Weltkrieg zu warnen.

In dieser Situation hat die Bundestagsfraktion der Linken am 25. April einer Resolution der Grünen zum 70. Gründungstag des Staates Israel zugestimmt. Behauptet wird darin, dieser habe "seine demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen" in einer feindlichen, von autoritären Regimen bestimmten Umgebung "geschaffen und erhalten". Die von Israel seit seiner Gründung verfolgte klassisch koloniale Besatzungs- und Kriegspolitik, die zu apartheidähnlichen Verhältnissen in den besetzten und zum Teil annektierten Gebieten geführt hat, wird faktisch ignoriert. Der Verdrehung von Tatsachen und Geschichte folgt zudem unter Berufung u. a. auf Joachim Gauck, dem bisher schlimmsten Kriegstreiber im Amt des Bundespräsidenten, die Forderung, "weiterhin für die Existenz und die Sicherheitsinteressen des Staates Israel als einem zentralen Prinzip der deutschen Außenund Sicherheitspolitik aktiv einzutreten". Das kommt einem Freibrief für Staatsterror und Krieg gleich. Aus ihm kann jederzeit ein "Flächenbrand" (UN-Generalsekretär António Guterres nach den israelischen Angriffen auf Syrien) entstehen.

Diese Erklärung, die an großen Teilen der Fraktion vorbei ins Parlament geschmuggelt wurde, stieß auch in der Partei Die Linke auf scharfe Kritik. Sie wurde in einer Zeit beschlossen, da nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen imperialistischen Ländern das Bewußtsein über den Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg stärker wird, da große Teile der Bevölkerung von Sorge um den Weltfrieden erfüllt sind.

Mehr denn je sollten Sozialisten und Kommunisten daher zusammenwirken, um gegen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung einzutreten, um über die Ursachen der Gefahren, die in diesem Gesellschaftssystem liegen, aufzuklären. Die Kampagne "Abrüsten statt aufrüsten" ist dafür ein geeignetes Instrument. Seit Herbst 2017 wurden für sie bereits Zehntausende Unterschriften gesammelt, Landes- und Ortsverbände der Partei Die Linke haben sich dem Aufruf gegen die Forderung, zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für Waffen und Militär auszugeben, angeschlossen. Die DKP hat sich das Ziel gestellt, bis zu ihrem Pressefest vom 7. bis zum 9. September in Dortmund 30.000 Unterschriften zu sammeln. Regionalgruppen des "RotFuchs" beraten über die Frage "Wie weiter mit der Friedensbewegung bei uns vor Ort?" Das alles ist dringend geboten, es ist höchste Zeit, denen, die Krieg benötigen und wollen, in den Arm zu fallen.

Arnold Schölzel

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Als eine Atomrakete auf Hawaii zuraste

Reizende Aussichten

Am 13. Januar wurden die Menschen auf Hawaii durch einen falschen Raketenalarm in Angst und Schrecken versetzt. Der in Honolulu lebende Doktorand der Amerikanistik Robert J. Barsocchini schildert, was er erlebte.

Gestern morgen, als ich Kaffee trank und die Zeitung las und meine Frau sich auf die Arbeit vorbereitete, hörten wir einen Notruf von unseren Telefonen. Ich dachte, es wäre eine Sturmwarnung, aber das Wetter war klar. Meine Frau sah ihr Telefon an und sagte, daß eine Rakete kommen würde. Sie wurde sofort aktiv, nahm eine Gallone Wasser aus dem Kühlschrank und brachte es und unsere Hunde ins Badezimmer, während ich mir die Nachricht auf ihrem Handy ansah und versuchte, das Gesagte zu verarbeiten. Es war ein Notfallalarm vom Staat: Oh nein!

Im Moment fliegt eine ballistische Rakete mit einer Geschwindigkeit von 15.000 Meilen pro Stunde durch die Luft nach Hawaii - wahrscheinlich nach Honolulu, wo wir uns befinden. Das passiert gerade.

Als Absolvent der Amerikanistik verfolge ich die Politik sehr genau und habe studiert, was bei einer Atomexplosion passiert. Ich wußte, daß Nord- und Südkorea während der Woche Friedensgespräche über die Olympischen Spiele geführt hatten, und als Reaktion darauf hatte das Trump-Regime militärische Angriffe auf Nordkorea angedroht und atomare Bomberflugzeuge über das Gebiet geschickt.

Also dachte ich mir, daß entweder Trump, in Anlehnung an Nixons selbsternannte "verrückte" Tradition, beschlossen hatte, einen Überraschungsangriff durchzuführen, und Nordkorea reagierte darauf, oder Nordkorea hatte einfach aus Angst einen Erstschlag ausgelöst. So oder so, dachte ich, das würde wahrscheinlich den Beginn eines riesigen Krieges bedeuten.

Ein ballistischer Raketenangriff schien schon immer eine ziemlich unwahrscheinliche Möglichkeit zu sein, aber etwas, was sicherlich jederzeit passieren könnte - und wahrscheinlich viel wahrscheinlicher war, als wir uns das vorzustellen wünschen. Und nun wurde uns von der Regierung in ganz eindeutigen Worten gesagt, es sei geschehen. Die Rakete war auf dem Weg. Sie würde jeden Moment einschlagen.

So kauerten wir uns im Badezimmer zusammen und bereiteten uns auf einen extrem schmerzhaften Tod oder einen nahen Tod vor. Während wir warteten, suchten wir online nach weiteren Neuigkeiten. Alles, was bei der Suche herauskam, waren Leute, die über den Alarm twitterten, Schock ausdrückten oder Dinge wie "Rakete auf Hawaii" sagten, "Ich werde jetzt sterben."

Also schickten wir einen Gruppentext an unsere Familien und verabschiedeten uns. Das könnte es für uns sehr wohl sein, da es für so viele schon einmal in ähnlicher Weise geschehen ist.

Nach etwa zwei Minuten des Wartens und Vorstellungen von der Hitzewelle, Verbrennungen dritten Grades, brennenden Organen, Sturm aus fliegendem Glas und Metall, Wind mit 600 Meilen pro Stunde und einstürzenden Gebäuden, was alles passieren würde, haben wir uns entschlossen, einen Ausbruch zu machen, um Schutz auf höher gelegenem Gebiet weiter weg von Honolulu zu finden.

Wir nahmen die Hunde und eilten hinaus. Einige waren draußen und weinten, mit verzweifelten Ausdrücken, die sagten, dies sei das Ende, das wird sehr schlimm werden. Wir fragten, ob sie mit uns kommen wollten, aber sie lehnten ab. Wir stiegen in unser Auto und fuhren bergauf von Honolulu weg und auf einen Safeway-Parkplatz. Einige Leute rannten mit Kisten mit Wasser aus dem Gebäude. Wir eilten mit unseren Hunden in das Innere von Safeway. Die Leute saßen auf dem Boden, die Köpfe in den Händen und warteten auf den Einschlag. Zehn Minuten waren vergangen. Bald würde es passieren.

Sobald wir uns fühlten, als wären wir an der besten Stelle im Gebäude, überprüften wir hektisch unsere Telefone erneut, als wir uns die Apokalypse vorstellten, die jede Sekunde stattfinden würde. Ich sah dann, daß die hawaiianische Abgeordnete Tulsi Gabbard gerade auf Twitter angekündigt hatte, daß sie die Behörden angerufen hatte und daß diese bestätigt hatten, daß es ein falscher Alarm war.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir zwölf Minuten damit verbracht, zu denken, daß eine nukleare ballistische Rakete tatsächlich auf Hawaii zusteuert und daß alles im Begriff war, extrem schrecklich zu werden. Von der Vorstellung, daß sich die Welt so total verändern wird, hin zu "Hoppla, bloß ein falscher Alarm", das ist eine ziemliche Umstellung.

Wir fingen an, den Leuten zu erzählen, daß wir von Gabbard gehört hatten, daß es sich um einen Fehlalarm handelte. Wir gingen raus und erzählten es anderen. Die Nachricht schien sich zu verbreiten, daß es keine Rakete gab. Manche waren immer noch vorsichtig, aber beruhigten sich. Wir setzten uns mit unseren Familien in Verbindung.

Als wir versuchten, uns wieder einzukriegen und zu diskutieren, was geschehen war, waren wir uns einig, daß es nicht so sehr darum ging, wütend auf denjenigen zu sein, der versehentlich den Alarm ausgelöst hatte (obwohl das offensichtlich ein schlimmer Fehler war), sondern vielmehr auf das Vorhandensein von Umständen, in denen eine Atombombe auf den Kopf zu bekommen tatsächlich eine Sache ist, die jederzeit wirklich passieren kann.

Wir dachten an die Millionen von Menschen, die durch diese Art von Waffen tatsächlich ausgelöscht oder ernsthaft verstümmelt wurden, die von unseren Steuergeldern bezahlt und von Rassisten und Sesselkriegern anstelle von Verhandlungen, in Aggressionskriegen und außergerichtlichen Hinrichtungen eingesetzt wurden - durch das Regime, das das Territorium kontrolliert, in dem wir leben. Wir dachten daran, daß die Menschen, die unter diesem und einem weitaus größeren Ausmaß an Streß und Bedrohung leben, getötet und entsetzlich verstümmelt werden, ständig durch Sprengstoffe, für die wir zahlen müssen, oder durch Regime, die von dieser Regierung unterstützt werden - dem größten Waffenhändler der Welt und 2013 in einer globalen Umfrage als die bei weitem größte Bedrohung für den Weltfrieden bezeichnet.

Wir haben gesehen, daß Propagandaunternehmen wie CBS bereits den Fehlalarm auf Hawaii nutzten, um ihre äußerst erfolgreichen Bemühungen fortzusetzen, die US-Bürger auf die Aggression gegen den "Schurkenstaat" Nordkorea vorzubereiten, der bereits einmal einen massiven Völkermord durch US-Bomber erlitten hat und seitdem von US-Bombern umzingelt und belagert wird.

Ein Freund außerhalb Hawaiis, der praktisch nur westliche Propaganda-Medien konsumiert, sagte zu mir, daß, wenn wir gestern atomisiert worden wären, "wenigstens Nordkorea kein Problem mehr wäre", da die USA es von der Landkarte löschen würden. Millionen von Menschen, einschließlich uns, würden schrecklich sterben, aber eine Volksgruppe, die Opfer des amerikanischen Völkermords geworden ist und unter ständigem, intensivem Druck und militärischer Bedrohung durch denselben völkermörderischen Staat lebt, würde für die Ewigkeit völlig ausgelöscht werden. Reizend ...

Robert Barsocchini, Honolulu
(Gestützt auf "antiwar.com")


Aus einer "Zivilschutzfibel" des Innenministeriums (Bonn, 1964)

Was soll man im Ernstfall tun?

Punkt 2
Beim Überraschungsangriff ohne vorherige Warnung: Wo Sie auch sind, ob im geschlossenen Raum oder im Freien: beim Lichtblitz einer Kernexplosion sofort zu Boden werfen. Gesicht abwenden. Kopf und Nacken bedecken, notfalls mit den Händen. Augen fest schließen. Im Auto: sofort Motor abstellen und auf den Boden des Wagens kauern.

Punkt 3
In den nächsten Sekunden noch nicht aufstehen. Kriechend Deckung suchen vor der Druckwelle. Eine Wand, ein Hauseingang können das Leben retten. Aber nicht anlehnen! Notfalls nützt auch eine Mulde. In dieser Deckung solange bleiben, bis die Druckwelle vorüber ist und keine Splitter und Trümmer mehr herumfliegen.

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Was Deutsche von Russen lernen können

Vielleicht sollte die Überschrift besser lauten: Was Deutschland von Rußland lernen kann. Ich meine aber beides: die Menschen und die Politik. Ich wundere mich, daß diese Frage in den großen Leitmedien überhaupt nicht gestellt wird. Auch in der deutschen Außenpolitik taucht sie nicht auf. Ich bin aber überzeugt, daß Rußland mehr ist als der Sündenbock für alles und jedes. Im russischen Alltag habe ich nach Erfahrungen und Erkenntnissen gesucht, die bemerkenswert oder gar nachahmenswert sein könnten. Meine Erkundungstour führte mich nach Moskau, nach Wolgograd (dem ehemaligen Stalingrad) und nach Astrachan.

Ein Nebeneffekt dieser Reise war für mich die Erkenntnis, welchen Stellenwert die Fußballweltmeisterschaft hat. Ich habe in Rußland niemanden getroffen, dem dieses Ereignis gleichgültig ist. Nicht alle Menschen dort werden Fußballfans sein, aber sie sind beseelt davon, daß Spielen verbindet. Rußland ist gastfreundlich, seine Türen sind weit geöffnet, selbst die russischen Fans sprechen nicht davon, wer gegen wen spielt, sondern wer mit wem.

In Wolgograd ist die Geschichte des zweiten Weltkriegs lebendig. Und das nicht nur, weil die eindrucksvolle Statue der Mutter Heimat überall sichtbar ist. Kein Flecken Erde ist hier nicht mit Blut getränkt. Kaum eine Familie, die nicht mehrere Tote zu beklagen hatte. Ihre Fotos werden am 9. Mai, dem Tag des Sieges, mitgeführt, nichts ist vergessen und niemand ist vergessen. Daraus erwächst ein unbedingter Wille zu Frieden und Verständigung, ausdrücklich und gerade auch mit Deutschland. So war auch das Spiel der U-18-Nationalmannschaften am 8. Mai, dem Tag der Befreiung Europas vom Faschismus, mehr als ein normales Fußballspiel.

Es war ein deutliches Zeichen für ein Miteinander, das möglich ist - und Freude bereitet. Das kann Deutschland von Rußland lernen.

Wolgograd ist in Rußland ein Zentrum der Volksdiplomatie. Im Oktober wird dort wieder der Austausch von Partnerstädten und gesellschaftlichen Organisationen unter dem Motto "Dialog an der Wolga" stattfinden.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es so, als ob in Europa das Zusammenleben von "Einheimischen" und "Neubürgern" ebenso spannungsgeladen ist wie die Koexistenz unterschiedlicher Religionen oder kultureller Prägungen. Deshalb wollte ich herausfinden, wie der Vielvölkerstaat Rußland mit diesem Problem umgeht. Astrachan ist dafür ein Beispiel. Hier leben zusammen Russen (die Mehrheitsbevölkerung), Kasachen, Tataren, Kalmücken, Aserbaidschaner, Armenier, Tschetschenen, Ukrainer, Juden. Ein Viertel der Bevölkerung sind Muslime. Astrachan ist eine gewaltfreie, kulturell offene Stadt.

Dieser Ausgleich im Inneren erleichtert den Ausgleich nach außen. Der Rayon Astrachan ist die einzige russische Gebietskörperschaft mit einem eigenen Außenminister. Er ist vor allem für die Zusammenarbeit der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres verantwortlich. Das sind so unterschiedlich verfaßte Staaten und Gesellschaften wie Rußland, Aserbaidschan, Iran, Kasachstan, Turkmenistan. Sie verstehen das Kaspische Meer als gemeinsames Binnengewässer, für das sie gemeinsam Verantwortung tragen - für seinen Erhalt, seine Verkehrswege, seine Nutzung. Dabei gibt es ungeklärte Fragen, aber keine kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern den Willen, zu Lösungen im Konsens zu kommen. Ich frage mich, ob nicht auch die Anrainerstaaten des Mittelmeeres gut beraten wären, das Mittelmeer als ihr Gemeinsames, sie Verbindendes zu betrachten. Das gilt auch für die Ostsee. Jedes auf seine eigene Art und Weise. Erinnert sei an die Ostsee-Friedenskonferenzen, mit denen für Entmilitarisierung und Zusammenarbeit geworben wurde.

Aus Astrachan in Rußland nehme ich mit: Auch sehr unterschiedlich verfaßte Staaten und Gesellschaften können friedlich koexistieren, sie können aber noch mehr: friedlich zusammenarbeiten.

Rußland gibt schrittweise immer weniger für Rüstung aus. In den letzten zwei Jahren wurde sein Militärhaushalt schon um mehr als 10 Prozent reduziert. Rußland wird sich nicht erneut zum "Totrüsten" treiben lassen. Das hat Wladimir Putin in seiner ersten Rede nach den Wahlen erneut unterstrichen. Daran ändert auch nichts, daß er zugleich über neue Waffensysteme spricht. Für Rußland heißt zur Zeit weniger Geld für Rüstung nicht einseitige Abrüstung, sondern der Rüstungshaushalt folgt einer strikt auf Verteidigung ausgerichteten, einer defensiven Militärstrategie. Deutschland hingegen hat sich an das Ziel der NATO, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Rüstung auszugeben, gebunden, das heißt in naher Zukunft: 70 Milliarden für Rüstung. Zum Vergleich: Die russischen Militärausgaben betragen jetzt 64 Milliarden Dollar, und sie sollen weiter sinken. Rußland als Großmacht gibt dann weniger für Militär aus als Deutschland, als die USA ohnehin, aber auch als Staaten wie Indien oder Saudi-Arabien.

Aus Moskau haben wir die Erkenntnis mitgebracht: Weniger für Rüstung, mehr für Soziales ist möglich.

Warum erscheint eigentlich die deutsche staatliche Außenpolitik nicht lernwillig und lernfähig? Der neue Außenminister Heiko Maas spielt sich vielmehr als Zucht- und Lehrmeister auf. Am deutschen Wesen ist die Welt noch nie genesen. Wir haben also dringenden Änderungsbedarf.

Wolfgang Gehrcke
(Außenpolitiker der Linkspartei)

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Spätes Eingeständnis

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Propagandalügen als Methode

Eine der größten imperialistischen Propagandalügen markierte den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Um den Angriff auf das Nachtbarland Polen zu rechtfertigen, täuschte die SS einen polnischen Überfall auf den deutschen Rundfunksender Gleiwitz am 31. August 1939 vor. Hitler äußerte sich bereits am 22. August vor Wehrmachtsgenerälen entsprechend: "Die Auslösung des Konfliktes wird durch eine geeignete Propaganda erfolgen. Die Glaubwürdigkeit ist dabei gleichgültig, im Sieg liegt das Recht." (22.8.1939, Ansprache Adolf Hitlers lt. Aufzeichnungen von Generaladmiral Boehm)

Nachdem die Franzosen 1954 im Indochinakrieg eine Niederlage erlitten hatte, wurde Vietnam geteilt. Die USA übernahmen die Rolle des Kolonialherrn in Südvietnam. Um gegen Nordvietnam militärisch vorgehen zu können, das die Befreiungsbewegung im Süden unterstützte, organisierten die Amerikaner den "Zwischenfall im Golf von Tonking". Sie behaupteten, daß nordvietnamnesische Schnellboote am 2. und 4. August 1964 US-Kriegsschiffe angegriffen hätten. Diese Angriffe haben jedoch nie stattgefunden. Vielmehr haben südvietnamesische Schnellboote mit Rückendeckung der US-Marine den Norden angegriffen. Mit einem enormen Propagandaaufwand weitete der USPräsident, L. B. Johnson, den Krieg auf ganz Vietnam aus. Der Einsatz von US-Truppen in Südvietnam und die Bombardierung Nordvietnams waren bereits 1963 geplant worden. Nach unterschiedlichen Schätzungen verlor Vietnam zwischen drei und fünf Millionen Menschen in diesem langen Krieg. Er endete am 1. Mai 1975 mit der Niederlage des südvietnamnesischen Regimes und der USA.

1999 überfiel die NATO Jugoslawien, um den Kosovo abzuspalten. Als Propagandalüge wurde behauptet, daß Jugoslawien eine ethnische Säuberung im Kosovo vornehmen würde. Der damalige SPD-Kriegsminister Scharping präsentierte während der NATO-Angriffe am 8. April 1999 einen "Hufeisenplan" zur ethnischen Säuberung im Kosovo. Außerdem behauptete er, es habe ein serbisches Massaker in Orahovac Anfang August 1998 gegeben. Es gab jedoch weder einen "Hufeisenplan" noch ein Massaker an Albanern! Zur Desinformation gehörte, daß über wirkliche Massaker albanischer Verbrecherbanden (UÇK) nicht berichtet wurde. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bestätigte 2014, daß der Krieg gegen Jugoslawien und die Abspaltung des Kosovos ein Völkerrechtsbruch waren.

Für den Kriegsbeginn gegen den Irak reichte die Propagandakriegslüge, daß Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen entwickle und besitze. Der damalige Außenminister der USA, Colin Powell, legte im UNO-Sicherheitsrat gefälschte Unterlagen vor. Amerikanische und britische Truppen überfielen am 20. März 2003 den Irak. Das Land steckt immer noch im Chaos ...

Propagandalügen kennzeichnen auch den Krieg gegen Syrien. Die USA und ihre Verbündeten (NATO, Europäischen Union, Israel u. a.) merken, daß sie das Heft des Handelns verloren haben. Wenn der Plan A - Vernichtung Syriens und Baschar al-Assads - nicht funktioniert, gibt es den Plan B - die Teilung Syriens. Am 11. Januar d. J. traf sich "die kleine Syriengruppe" bestehend aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien und Jordanien. Sie haben sich vermutlich für die Variante "Golf von Tonking" entschieden. Dabei wird mit verteilten Rollen vorgegangen. Terrororganisationen werden mit chemischen Produkten versorgt, aus denen Giftgas hergestellt werden kann. Diese setzen Giftgas ein oder täuschen Giftgaseinsätze vor, die dann den syrischen Truppen angelastet werden. Dazu paßt die Information eines syrischen Vertreters in der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Er teilte mit, daß im syrischen Duma chemische Stoffe deutscher und britischer Herkunft, insbesondere aus dem Labor Porton- Down in Salisbury gefunden wurden. Um einen maximalen Propagandaerfolg zu erreichen, werden "rote Linien" gezogen und geheimdienstlich gesteuerte Propagandagruppen, wie die "Weißhelme" und die "Syrische Stelle für Menschenrechte", eingesetzt. "White Helmets" ist nach eigenen Angaben 2013 in der Türkei von einem britischen Agenten und Söldnerdienstleister gegründet worden. Am 7. April wurde behauptet, daß die syrische Luftwaffe Giftgas eingesetzt hätte. Das war der Vorwand für die USA, Großbritannien und Frankreich, am 14. April einen Angriff auf Syrien mit 103 Raketen durchzuführen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow konstatierte: "Wir haben unwiderlegbare Beweise dafür, daß dies ein weiterer inszenierter Vorfall war" ...

Imperialistische Propaganda folgt immer dem gleichen Schema. Es werden Vorfälle oder Sachverhalte gesucht oder geschaffen, die entweder frei erfunden oder vorsätzlich falsch interpretiert werden. Dabei werden Unwahrheiten (Lügen), Halbwahrheiten und Wahrheiten geschickt miteinander verknüpft. Das geschieht in erster Linie in aktuellen Artikeln/Beiträgen, durch entsprechende Manipulationstechniken und Wortwahl. Ziel ist es, Meinungen, Einstellungen oder Handlungen zu beeinflussen, Gedanken zu verändern oder neu zu bilden. Das setzt freilich eine Gleichschaltung aller Medien, staatlicher und internationaler Institutionen voraus, die aus wenigen Quellen oder nur einer Quelle mit Informationen "versorgt" werden.

Natürlich ist diese Art der Propaganda nicht neu. Bereits Goebbels formulierte, daß Propaganda den Menschen mit den Ideen der Propaganda durchtränken muß, ohne daß er es überhaupt merkt, daß er durchtränkt wird. Er stellte die Propaganda als Bestandteil der Kriegsvorbereitung dar, um "die öffentliche Meinung" als "Heer der geistigen Vereinheitlichung" zu mobilisieren. Propaganda wäre somit "Weichensteller der Zeit".

Genau nach diesem Muster funktioniert heute imperialistische Propaganda in klassischen und modernen Medien. Sie dient der Systemerhaltung, der Unterwanderung anderer Länder, der Verleumdung unliebsamer Staaten, Institutionen und Personen, der Verhängung von Sanktionen und insbesondere der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung.

Dr. Ulrich Sommerfeld

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70 Jahre Israel - wo bleibt da Palästina?

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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Nakba, Israel und Die Linke

Am 14. April 2008 erklärte der damalige Linke-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi aus Anlaß des 60. Jahrestages der Gründung des Staates Israel, Antiimperialismus und "Antizionismus" könnten für seine Partei und Linke generell "keine vertretbare Position sein". Die "taz" meinte damals, Die Linke erkenne Israel als Teil der deutschen Staatsräson an und sei damit "endgültig im westlichen Wertesystem angekommen". Das war richtig. "jW"-Kommentator Werner Pirker fügte damals in der "jungen Welt" nur hinzu, daß "westliches Wertesystem und imperialistische Kriegsallianz Synonyme sind". Gysi habe seine "außenpolitische Reifeprüfung" abgelegt.

Zehn Jahre danach ist Die Linke weiter. In der Erklärung ihrer Bundestagsfraktion zu 70 Jahre Israel ist Antiimperialismus keiner Erwähnung wert - der 70jährige Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung kaum. Wer das schafft, hat sich mindestens mit den Ursachen der aktuellen Kriegsgefahr abgefunden oder gelangt nicht einmal zur Einsicht der Bundeskanzlerin, daß es hier wahrlich um Krieg und Frieden geht. Israel ist die einzige Atommacht im Nahen Osten und nutzt diesen Tatbestand für militärische Schläge und Feldzüge mit konventionellen Waffen in Permanenz - zumeist als Speerspitze der "Wertegemeinschaft". Die Behauptung, es gelte u. a. damit das Existenzrecht Israels zu sichern, ist angesichts des nuklearen Schilds, der 1973 von Tel Aviv schon einmal aktiviert wurde, eine Propagandaphrase. Ähnlich absurd ist die bundesdeutsche Staatsräson gewordene Gleichsetzung von Antisemitismus, Antizionismus und Israel-Kritik.

Letztere wird häufig, auch von der Linke-Vorsitzenden Katja Kipping, mit der Behauptung von doppelten Standards zurückgewiesen. Andere Staaten seien nicht Gegenstand ähnlich vehementer Kritik. Wenn der Vorwurf überhaupt zutrifft, sei entgegnet: Es gibt auch keinen anderen Staat, dessen Gründung aus einem völkisch inspirierten Kolonialvorhaben hervorging und der weltweit über die fast letzte klassische Kolonie verfügt. Es ging seit der Neuaufteilung der Welt im Ersten Weltkrieg und der wirklichen Geburtsurkunde Israels, der Balfour-Deklaration von 1917, um Landnahme und Vertreibung - ohne Grenzmarkierung und mit Berufung auf theologische Schriften. Die Benennung all dessen ändert nichts daran: Nach der Schoah wurde die Gründung Israels völkerrechtlich legitimiert, allerdings war Leitlinie aller seiner Regierungen, gemeinsam mit den imperialistischen Großmächten das Völkerrecht zu ignorieren und zu erodieren.

Dieser Prozeß hat sich in den vergangenen zehn Jahren beschleunigt. Der Gründungstag Israels mit dem "Gemetzel" ("New York Times") an der Grenze zu Gaza wie auch die Erinnerung an 70 Jahre Nakba finden in einer Situation statt, in der in Washington und in Tel Aviv außenpolitische Maxime ist: Probleme nicht politisch lösen, sondern auf die Spitze treiben bis hin zum Krieg. Wer davon schweigt wie Die Linke, sollte von Friedensbewegung nicht mehr reden.

Arnold Schölzel

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Nicolás Maduro erneut als Präsident bestätigt

Seit bald zwei Jahrzehnten gibt es keine Wahlen oder Volksabstimmungen in Venezuela, welche die venezolanische Rechte und ihre internationalen Verbündeten befriedigen.

Trotz aller Widrigkeiten und der Kampagnen zum Boykott gelang es den chavistischen Kräften am 20. Mai, wichtige Sektoren der Gesellschaft zu mobilisieren und die psychologische Grenze von sechs Millionen Stimmen für die Wiederwahl des Präsidenten Nicolás Maduro zu überwinden.

Gleichzeitig erhielt er dreimal soviel Stimmen wie der rechte Kandidat Henri Falcón, der Avanzada Progresista (AP), Movimiento al Socialismo (MAS) und Copei (Partido Social Cristiano) vertrat und laut Nationalem Wahlrat nur 1,9 Millionen Stimmen auf sich vereinen konnte. "Der Chavismus hat nicht nur die Mehrheit wiedergewonnen, sondern er wird auch jeden Tag stärker", sagte der Leiter der Kampagne Simón Bolívar Jorge Rodríguez bei einer Pressekonferenz im Bolívar-Theater in Caracas. Er stellte fest, man müsse den Willen des Volkes von Venezuela anerkennen, das die Richtung hin zu Souveränität, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung bestätigt habe. Er fügte hinzu, daß Venezuela und sein Volk Ziel maßloser Angriffe und Aggressionen gewesen seien, die von der nationalen und internationalen Rechten ausgingen, welche Forderungen der imperialen Mächte bediene, die das Land mit einem Wirtschaftskrieg überziehen.

Bei der Analyse der Abstimmungen der letzten drei Jahre erinnerte er daran, wie die negativen Indizes, wie sie bei den Parlamentswahlen 2015 zum Ausdruck kamen, als man 56 % der Wählerstimmen verloren hatte, durch die Abstimmung zur Verfassunggebenden Versammlung mit 43 % Beteiligung und durch die regionalen und Kreiswahlen, bei denen der Chavismus 54 % bzw. 70 % der Unterstützung des Volkes erreichen konnte, überwunden wurden.

Bei der jetzigen Wahl wurde diese Tendenz bestätigt. "Es war ein gewaltiger Sieg der venezolanischen Demokratie, eine Lektion für die ganze Welt, eine mächtige Botschaft, vor allem an diejenigen, die an ihrer aggressiven Haltung gegen Venezuela festhalten: Jede Stimme schickte eine Botschaft des Friedens, der Eintracht, des Respekts von dem Teil des Volkes ausgehend, das Aktionen der Gewalt, psychologischem und medialem Krieg durch Akteure der Rechten ausgesetzt war", sagte er.

Nach dem überzeugenden Wahlsieg beeilte sich eine Reihe von Ländern damit, die Ergebnisse kleinzureden. Länder wie Chile und Kolumbien, Mitglieder der sogenannten Gruppe von Lima, scheinen zu vergessen, daß es bei ihren jeweiligen Präsidentschaftswahlen über 50 % Enthaltungen gab, ohne daß das zu internationalen Sanktionen oder zum Rückzug ihrer Botschafter geführt hat.

In anderen Ländern wie der Schweiz, die weltweit als ein Beispiel für Demokratie angeführt wird, registrierte man bei den Wahlen auf Bundesebene im Jahr 2015 eine Wahlbeteiligung von gerade einmal 48 % der Wählerschaft. In den Vereinigten Staaten, die die Aggressionen gegen Venezuela anführen, erhielt der aktuelle Präsident weniger Stimmen als sein Rivale ...

In einem vom peruanischen Außenministerium herausgegebenen Kommuniqué heißt es, daß die Wahlen in Venezuela nicht "die internationalen Standards eines demokratischen, freien, gerechten und transparenten Prozesses" erfüllten. Die Mitgliedsländer der "Gruppe von Lima" kamen überein, den Grad der diplomatischen Beziehungen mit Venezuela herunterzuschrauben, weswegen sie die Botschafter in Caracas zur Beratung zurückriefen und die Botschafter Venezuelas einbestellten, um ihren Protest zum Ausdruck zu bringen.

US-Präsident Donald Trump seinerseits verhängte unmittelbar nach der Wahl neue Sanktionen gegen die venezolanische Regierung, indem er eine präsidiale Anordnung unterzeichnete, mit welcher der Verkauf von Schulden und Vermögenswerten durch die Regierung von Nicolás Maduro auf dem Gebiet der USA begrenzt wird.

So verbietet diese Anordnung jedem Bürger, jeder Institution und jedem US-Unternehmen venezolanische Schuldscheine, Vermögenswerte oder Eigentum der venezolanischen Regierung in den USA zu erwerben, wozu auch die von Petróleos de Venezuela S.A. (PDVSA) stammenden Investitionen gehören. Die neue Sanktionsmaßnahme ergänzt eine Reihe von Sanktionen, mit denen Washington anstrebt, die aktuelle Regierung mit einer Vertiefung der Wirtschaftskrise und der allgemeinen Unzufriedenheit zu stürzen.

Verschwiegen wurde währenddessen die Meinung Hunderter internationaler Beobachter, die bei den Wahlen am 20. Mai dabei waren. "Diese Wahlen müssen von allen anerkannt werden (...) es sind Ergebnisse des venezolanischen Volkswillens", sagte der Präsident des Rats der Wahlexperten Lateinamerikas (CEELA) Nicanor Moscoso, einer der die Wahlen begleitenden Organisationen.

Die Beobachter waren vom Nationalen Wahlrat Venezuelas eingeladen worden, und sie betonten, daß die Öffnung der Wahllokale ohne Zwischenfälle erfolgt und die Freiheit der Wahl gewährleistet gewesen sei.

Gestützt auf "Granma"
(Havanna)

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Soll der Bruch des Völkerrechts Normalität werden?

Bei der einseitigen Aufkündigung des Nuklearabkommens mit Iran durch die USA handelt es sich um eine ernsthafte Verletzung der Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats. Aber auch Israel hat, wie die Geschehnisse in Gaza zeigen, mit dem Völkerrecht wenig im Sinn und somit auch keine Skrupel, sofort nach Trumps Ankündigung Syrien mit Raketen anzugreifen. Wie bei den Angriffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zuvor gibt es auch für die israelische Behauptung eines angeblichen Angriffs iranischer Raketen auf die Golanhöhen keinen Nachweis, auch keine Schäden.

Die deutsche Regierung erklärt ihre Unterstützung für den israelischen Angriff und hat kein Problem damit, daß die nach 1945 entwickelten internationalen Regeln zur Verhinderung von Kriegen immer mehr an Bedeutung verlieren. Von politischer Unterstützung des UN-Generalsekretärs Guterres, einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern, ist nichts bekannt.

Die Aufkündigung des Nuklearabkommens und die Raketenangriffe sind Teil der Vorbereitung eines größeren Krieges (erst einmal) im Nahen Osten. US-Außenminister Pompeo erklärte Iran zum Zentrum des Terrorismus und der Aggressionen in diesem Raum, obwohl vom Iran bisher noch kein Krieg ausgegangen ist. Der neue "Sicherheitsberater" Trumps, John Bolton, verkündete vor iranischen Dissidenten (Volksmudschahedin), daß man die Führung im Iran auswechseln müsse und noch vor 2019 in Teheran den Sieg feiern werde.

Die USA haben als größter Exporteur von Waffen mehr als die Hälfte in den Nahen Osten geliefert, vor allem an Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate. Saudi-Arabien hat Katar mit Krieg gedroht, wenn es sich nicht der Allianz gegen Syrien und Iran anschließt.

Der Stabschef des ehemaligen US-Außenministers Colin Powell warnte in der "New York Times" und während einer Konferenz in Washington vor der Gefahr, daß Israel die USA in einen Krieg mit Iran ziehe, der einen Weltkrieg auslösen könne.

Um Irans Verteidigungsfähigkeit zu schwächen, fordert Trump dessen Verzicht auf die Entwicklung ballistischer Raketen. Zudem soll Teheran sich verpflichten, seine "destabilisierenden Aktivitäten in der Region, besonders in Syrien, Irak und Jemen" zu unterlassen.

Diese Forderungen unterstützten auch Frankreichs Präsident Macron, Bundeskanzlerin Merkel und die britische Premierministerin May in einer gemeinsamen Erklärung vom 8. Mai als erste Antwort auf Trumps Kündigung des Nuklearabkommens.

In ihren politischen Äußerungen und Aktivitäten treten sie gegen Trumps Aufkündigung des Iran-Vertrags auf, denn die neuen Sanktionen gegen Iran treffen auch ihre Handelsbeziehungen äußerst empfindlich. Allein für Airbus steht z. B. ein Vertrag in Höhe von ca. 16 Milliarden Euro auf dem Spiel.

Horst Neumann

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Was sagt der Koalitionsvertrag zur Friedensfrage?

Am 12. März 2018 verabschiedeten die Vertreter von CDU, CSU und FDP den Koalitionsvertrag "Ein neuer Anfang für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland.

Ein neuer Zusammenhalt für unser Land". Dieses 175seitige Dokument ist die Frucht eines halbjährigen Marionettentheaters nach dem desaströsen Abschneiden im Wahlkampf im September 2017. Zunächst ging es in Gesprächen um eine "Jamaika-Koalition", dann um die Fortsetzung der gescheiterten Koalition. Martin Schulz, der zu Beginn die erneute Koalition abgelehnt und dafür 100 % der Stimmen der SPD-Delegierten erhalten hatte, verglühte schnell und erbärmlich, ebenfalls Sigmar Gabriel, der zum beliebtesten Politiker hochgespielt worden war.

Der Kernsatz zu Krieg und Frieden lautet: "Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik muß im Sinne einer Friedensmacht Europa gestärkt werden." Was bedeutet den Autoren Europa als Friedensmacht? Zum einen "die Fortsetzung der EU-Erweiterungspolitik" und zum anderen "innere Reformen", um die "Handlungsfreiheit" der EU sicherzustellen. Um welche "Handlungen" soll es gehen?

1. Atomwaffen
Wer bestreitet, daß Kernwaffen die Existenz der Menschheit bedrohen? Nicht nur Willy Brandt und Erich Honecker forderten: Das Teufelszeug muß weg! Michail Gorbatschow trat 1985 mit der Losung an: Bis zum Jahr 2000 soll die Erde atomwaffenfrei sein. Die BRD trat wie die DDR vor mehr als dreißig Jahren dem Atomwaffensperrvertrag bei. Die Zahl der Staaten, die Atomwaffen besitzen, hat zugenommen, die Ausgaben für deren Produktion stiegen ebenfalls. 2017 betrugen die Ausgaben für Atomwaffen an 29 Firmen 525 Mrd. Dollar. Welch eine wahnsinnige Verschwendung für Waffen, deren Anwendung Selbstmord wäre! UNO-Generalsekretär Antonio Guterres erklärte am 19. September 2017 vor der UNO-Vollversammlung: "Die atomare Bedrohung ist so hoch wie noch nie seit dem Ende des kalten Krieges und die größte Gefahr in unserer Zeit."

Ist das durch die Berliner Brille nicht erkennbar? Deutschland hat sich der Bewegung von UNO-Mitgliedsstaaten, die keine Atomwaffen besitzen und deren Abschaffung fordern, nicht angeschlossen. Warum nicht?

2. NATO-Mitgliedschaft
Deutschland begründete seine NATO-Mitgliedschaft mit einer kommunistischen Gefahr, die aus Moskau drohe. Mit dem Sieg der "Demokratien", die sich 1990 etablierten, fiel der "Feind" weg. NATO und EU blieben nicht nur am Leben, sondern erweiterten ihr Gebiet im Zuge der "Osterweiterung" auf Kosten Moskaus. Das Koalitionspapier behauptet, Europa sei "ein Garant für eine gute Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand". Das Gegenteil ist wahr.

Der erste Abschnitt des Koalitionsvertrags trägt den Titel: "Ein neuer Anfang für Europa". Regiert Angela Merkel "Europa"? Gehört Rußland dazu? Auf den vier Seiten dieses Abschnitts werden die Begriffe Europa, EU, NATO ganze 47mal als Synonyme verwendet, obwohl jedes Mal etwas anderes gemeint ist. Stets ist ein Machtbereich gemeint, in dem Monopolisten die Macht ausüben, diese aber über die "Europa"-Politik auf den Kurs Berlins gezwungen werden sollen. Die Konflikte sind vorprogrammiert.

3. Rüstungsspirale
Im "Spiegel"-Gespräch vom 24. April mit Außenminister Maas lautete eine Aussage: "Polen und Ungarn haben sich von einem Teil der europäischen Werte verabschiedet." Beides hat weitreichende Konsequenzen für das Geschichtsbild der "Wende", die hier nicht erörtert werden.

Die Tatsache, daß Deutschland Mörder und Kriegstreiber überall in der Welt mit todbringenden Waffen versorgt, wird im Dokument nicht erwähnt. Aus Scham? Der kritische Leser weiß: Ohne Waffen kein Krieg.

In unserem Fall hieß der Lieferant Sigmar Gabriel, der Vorsitzender der Partei August Bebels war. Er avancierte zum beliebtesten Politiker, als und nachdem der Rüstungsexport auch in Krisen- und Kriegsgebiete alle Rekorde gebrochen hatte. Als Beitrag der Deutschen zum Frieden oder zum Nutzen der skrupellosen Rüstungsgewinnler?

4. Beziehungen zu Rußland
Niemand kann ernsthaft bestreiten: Das verhängnisvollste Ereignis in der deutschen Außenpolit ik des vergangenen Jahrhunderts war die Aggression Hitlerdeutschlands gegen die Sowjetunion und die Okkupation von Teilen dieses Landes. Matthias Platzeck rühmte am 14. April die Russen dafür, daß sie nach 1945 "Versöhnung, Vergebung und Freundschaft angeboten" hätten, "die Deutschen" seien aber nicht sensibel genug mit diesem Angebot umgegangen. Sein Urteil kann für die DDR-Deutschen nicht gelten. Ohne deren Vorleistung hätte Gorbatschow nie "bis zur Selbstverleugnung" die deutsche Einheit akzeptieren können. Die "Osterweiterung" war die Folge und zugleich die Ursache für die jetzigen Spannungen. Der Koalitionsvertrag unterschlägt den gefährlichsten Konflikt. Warum?

5. Weltweite Militäreinsätze der Bundeswehr
Die neue Bundesregierung hat, kaum im Amt, einige Bundeswehreinsätze verlängert. Daß das wichtige Entscheidungen sind, für einige über Leben und Tod, wird kaum einer Begründung bedürfen, nachdem die Ministerin in Hannover am 12. März einen neuen Abschnitt der Traditionspflege der Bundeswehr eingeleitet hat. Eine Kaserne wurde nach einem Stabsfeldwebel genannt, der in Afghanistan, "fern der Heimat" gefallen war. Er hat also Deutschland am Hindukusch verteidigt, wie ein anderer Minister es gefordert hatte. Zum Glück gibt es in Japan oder China noch keine Minister, die ihre Länder am Rhein verteidigen wollen. Aus welchen Gründen auch immer, der Koalitionsvertrag sagt zur Zukunft der Militäreinsätze nichts. Dabei sind sie das sichtbarste Zeichen für die seit 1990 veränderte Strategie. Solange die DDR und die NVA existierten, war die BRD gezwungen, sich bei kriegerischen Handlungen "out of area" zurückzuhalten. Die NVA war objektiv "peacekeeper".

6. Das Völker- und Staatsrecht
Den Verfassern des Koalitionsvertrages scheinen Völkerrecht und Verfassung beim Regieren überflüssig oder lästig zu sein. Das Grundgesetz läßt den Einsatz der Bundeswehr nur zum Zwecke der Verteidigung unter Beachtung bestimmter Prozeduren zu. Das Völkerrecht, zu dessen Einhaltung jeder deutsche Bürger nach dem Grundgesetz (Artikel 24) verpflichtet ist, verlangt den Gewaltverzicht und verbietet die Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten.

Der Koalitionsvertrag ist blind für die Tatsache, daß die Regierung und die Mehrheit des Bundestages beim Einsatz der Bundeswehr in der Regel gegen das Grundgesetz und die UNO-Charta verstoßen. Während der vierzigjährigen Existenz der DDR hat auch die Bundeswehr keine Einsätze "out of area" durchgeführt, seit 1990 sind es Einsätze in siebzehn Ländern, darunter 1999 die Aggression gegen Juoslawien durch Gerhard Schröder, Joseph Fischer und Rudolf Scharping. Gerhard Schröder hat den Völkerrechtsbruch inzwischen öffentlich eingestanden.

Der bisherige Höhepunkt war Merkels Komplizenschaft beim Luftangriff der USA in Syrien am 20. April. Angela Merkel erklärte die Antwort auf einen unbewiesenen Giftgaseinsatz Syriens als "berechtigt und angemessen", womit sie die Rolle eines Anklägers und Richters für sich beanspruchte. Ein Spruch des Sicherheitsrats war weder vor noch nach dem Völkerrechtsbruch erreichbar. Der Koalitionsvertrag erleichtert es der Regierung, den Kurs auf einen Krieg zu verstärken, in dem er mit sprachlichen Tricks den wahren Charakter der Politik verschleiert. Auf den Mißbrauch des Begriffs "Europa" wurde bereits verwiesen.

Auch die Begriffe wir/unser helfen, die Vorgänge zu vernebeln.

"Wir wollen, wir werden, wir brauchen" suggeriert, die große Koalition regiere im Interesse des Volkes ...

Prof. Dr. Horst Schneider †

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Gegen Geschichtsverzerrung, kriegerische Hysterie und Abbau von Grundrechten

Seit Dezember 2014 ist in Thüringen eine Regierungskoalition von Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) tätig.

Unter dem Einfluß der seit den 90er Jahren von der CDU/CSU bundesweit im Zusammenwirken mit der SPD geprägten Geschichtspolitik sowie mit bündnispolitischen Vorwänden wurde von ihr die weitere und noch entschiedenere "Aufarbeitung" von Geschichte und Gesellschaft der DDR zu einem vorrangigen Projekt der Koalition und absolutem Schwerpunkt auf dem Gebiet historischer Forschung, Bildung und Propaganda erklärt. Die wissenschaftlich, politisch und rechtsgeschichtlich unhaltbare Etikettierung der DDR als "Unrechtsstaat" wurde dem Abmarsch nach rechts als Flagge vorangetragen.

Am 7. März 2018 wurde dem Landtag unter dem Titel "Bericht der Landesregierung zu ihren Aktivitäten auf dem Gebiet der Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen" der Rapport für die Zeit vom März 2017 bis Februar 2018 zugeleitet. (...) Die inhaltliche Orientierung ist stichwortartig zu erkennen: Opferverbände, Rehabilitierungen, Heimkinder, Zwangsausgesiedelte, Zwangsadoptierte, Haftzwangsarbeit, Verfolgte Schüler, SED-Unrecht im Sport, Strafrechtliche Aufarbeitung, Erinnerungskultur und Gedenkstätten, Schule und Ausbildung, Wissenschaftliche Aufarbeitung, Politische Bildung, Demokratieerziehung (...)

Die Liste verdeutlicht: Das Bild von Gesellschaft und Geschichte der DDR soll dauerhaft durch die vorrangige Darstellung frag- und kritikwürdiger Sachverhalte und Momente - tatsächlicher oder brauchbar interpretierter oder erfundener - gezeichnet werden, die zugunsten dieses Zweckes beliebig pauschalisiert, übertrieben sowie unablässig (...) wiederholt werden. Die Initiatoren sehen die Politik, die Medien, die politische Bildung und die Schule als entscheidende Ebenen einer lückenlosen Indoktrination der Bevölkerung an. Im Unterschied zu Gestapo und SD, aber auch zu Verfassungsschutz und BND, sind Aktivitäten, Personen und Akten der Staatssicherheit der DDR von Anbeginn durch Archivöffnungen ohne Datenschutz der Politik und den Medien zugänglich gemacht worden. Das Anliegen bleibt, dies unablässig öffentlich zu thematisieren und zu denunzieren, um die DDR auch nachwachsenden Generationen schließlich als das wohl dunkelste Phänomen der deutschen Geschichte überhaupt einzubleuen. (...)

Damit überrascht kaum noch, daß vorzugsweise antikommunistisch motivierte Behörden und Einrichtungen als geschätzte Partner einer vermeintlich völlig anderen Koalition unverändert wirken können sowie Förderung erfahren: Landesbeauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie drei Außenstellen des "Stasi"-Bundesbeauftragten, Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Stiftung Ettersberg für international vergleichende Diktaturforschung, Lehrstuhl für europäischen Diktaturenvergleich an der Universität Jena, Grenzlandmuseen und Museum Andreasstraße Erfurt. Sie sind weiter zu den von ihnen bevorzugten Themen eingeladen wie "Diktatur" versus "Demokratie", "Volksaufstand" 1953 in der DDR, "Friedliche Revolution", Grenzregime der DDR, Mauerbau und Mauerfall u. ä. (...) In den Schulen sollen "DDR-Unrecht", "Unrechtsstaat" und "Opfer des DDR-Regimes" stärker behandelt werden.

Die Wissenschaft habe die DDR außer Analogien mit dem Verbrecherstaat bis 1945 zu ziehen auch in die "europäische Diktaturgeschichte nach dem zweiten Weltkrieg", also neben Franco-Spanien, Portugals langjähriger Diktatur sowie türkischen und griechischen Militärregimes, einzuordnen.

Seit Ende 2017 erwuchsen aus jenen staatlich betriebenen Aktivitäten Thüringens in der Gruppe der ostdeutschen Bundesländer sowie von diesen im Bundesrat Beiträge zur künftigen Geschichtspolitik auf Bundesebene. Letzteres fand inzwischen seinen Niederschlag im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 7. Februar 2018. Im Abschnitt "Gedenken und Erinnern" wird die DDR ausschließlich unter den Vorzeichen von "Diktatur" und "Unrecht" thematisiert. Zum Umgang mit wiederholtem massenhaftem Unrecht in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es keine Aussage. Die fortgesetzte Deklassierung Ostdeutscher geht über die geschichtsideologische Geringschätzung hinaus bis zur Fortschreibung verfassungswidriger Sonderregelungen: "Die Überprüfungsmöglichkeit auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Stasitätigkeit im öffentlichen Dienst soll für einen weiter zu beschränkenden Personenkreis bis zum 31. Dezember 2030 verlängert werden." Die "Stasi"-Unterlagenbehörde werde "zukunftsfest" gemacht. Darüber hinaus stehen den "durch SED-Unrecht Geschädigten" auch künftig gesellschaftliche Anerkennung und Rehabilitierung zu: "Deshalb wird die Koalition die Fristen in den Rehabilitationsgesetzen streichen." Letzteres bedeutet, daß Anträge auf Rehabilitierung oder Wiedergutmachung, die sich auf erlittenes "SED-Unrecht" berufen, auf unbegrenzte Zeit mit Aussicht auf entsprechende Leistungen gestellt werden können.

Es gibt ein eindrucksvolles internationales Dokument der "Entfristung" von Strafbarkeiten: Die Generalversammlung der UNO beschloß im November 1968 die Konvention über die Unverjährbarkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Nazi- und Kriegsverbrechen des deutschen Faschismus in zahlreichen Ländern zwischen 1939 und 1945 waren der entscheidende und zwingende Anlaß für diesen Schritt, der auch eine besondere Verpflichtung für beide deutsche Staaten bedeutete. Er war auch eine Reaktion auf das Bestreben von CDU, CSU und FDP, am 9. Mai 1965 alle Nazi- und Kriegsverbrechen verjähren zu lassen.

Die DDR trat der Konvention bei und nahm diese Rechtsposition in ihre Verfassung von 1968 auf. Die BRD weigerte sich und ist der Konvention niemals beigetreten.

Die in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik ungewöhnlichen neueren Regelungen erklären sich weniger aus einer künftig zu erwartenden, erheblichen Anzahl von Schädigungen, die erst nach drei Jahrzehnten und später neu bemerkt oder behauptetet würden. Ihretwegen sei es angeblich notwendig zu ermöglichen, weiterhin Ansprüche auf Rehabilitierung und Wiedergutmachung geltend zu machen. Vielmehr geht es wie auf anderen Gebieten um den damit verbundenen Beitrag für die dauerhafte und unablässige, öffentlichkeitswirksam thematisierte Herabsetzung der DDR. (...)

Es ist angesichts der absehbaren Bestrebungen in Politik, politischer Bildung und Medien notwendig, die Schlußstrichpolitik der Bundesrepublik in Erinnerung zu rufen, mit der ab September 1949 die Schuldfrage, Aufklärung, Sühne und Wiedergutmachung nach den Verbrechen der faschistischen Diktatur verdrängt wurden: die Aufeinanderfolge von Straffreiheit, Verjährungen, Amnestien und Begnadigungen für Nazi- und Kriegsverbrecher, die Rehabilitierung und Integration der Masse der Täter und Mitläufer des Verbrecherstaates, die Anfeindung und Ächtung des Antifaschismus sowie jahrzehntelange Versäumnisse der Wiedergutmachung gegenüber großen Opfergruppen im In- und Ausland.

Mehrjährige, geschweige denn jahrzehntelange, flächendeckende Überprüfungen bezüglich Tätigkeiten im vorangegangenen System oder die Entfristung von Ansprüchen auf Wiedergutmachung waren weder vorgesehen noch jemals realisiert worden. Soweit sie gefordert worden waren, wurden sie mit Verweisen auf Gebote der Grundgesetzes und der Rechtssicherheit abgewiesen. Alles geschah auf Initiative und in der Verantwortung von CDU, CSU und FDP mit Unterstützung weiterer Rechtskräfte sowie zunehmend auch seitens der SPD. (...)

Die an der NATO und ihrer Führungsmacht USA orientierte Staatsräson der Bundesrepublik bedarf im Dienst weiterer Aufrüstung und Auslandseinsätze sowie künftiger Rüstungsexporte für Tötungszwecke verschiedenster Regimes der geschichtsideologischen Prägung der kämpfenden Truppe ebenso wie der Heimatfront. Dem dient auch die Ächtung der antimilitaristischen Herkunft der DDR sowie der friedenspolitisch konstruktiven Rolle ihrer Streitkräfte im Traditionsverständnis der Bundeswehr. (...)

Die Unterstützung wiederholter völkerrechtswidriger Drohungen, Aggressionsakte und Okkupationen seitens NATO-Staaten und deren Verbündete sowie ihrer Hochrüstung durch die Bundesregierung signalisiert die fortgeschrittene Stufe der Rückkehr zu friedensfeindlicher und menschenverachtender Macht- und Interessenpolitik. Eine Wende zum Vorrang von Friedenspolitik und Abrüstung ist im Einklang mit den Erwartungen der Mehrheit der Bevölkerung durch demokratische Bewegungen und Bündnisse zu erzwingen. (...)

Alles in allem geht es in der von oben angestrebten Weise grundsätzlich sowie im Kontext deutscher und europäischer Rechtsentwicklungen darum, die weltgeschichtlich einmalige Verbrechensbilanz des deutschen Imperialismus, Militarismus und Faschismus von 1900 bis 1945 auf weite Sicht zu relativieren und in den Hintergrund des öffentlichen Geschichtsbewußtseins treten zu lassen. Die antikommunistische Formierung der bundesdeutschen Gesellschaft unter konservativer Hegemonie und das erneute Betreben, ökonomisch, militärisch und politisch in Europa und der Welt einflußreichere Positionen und wachsenden Einfluß zu erlangen, bedingen und durchdringen sich gegenseitig. Die Kontroversen um Gesellschaft und Politik der DDR sowie ihren Platz in der deutschen und europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts sind Teil dieser Auseinandersetzungen. Die Tragweite der Herausforderung ist zu erkennen und demokratisch-antimilitaristischem Handeln zugrunde zu legen.

Grundsätzliche und kämpferisch zu erstreitende, alternative gesellschafts-, sozial- und friedenspolitische Ziele sind das Gebot der Stunde.

Prof. Dr. Ludwig Elm, Jena

Unter Zustimmung von Prof. Dr. Edeltraut Felfe, Greifswald / Prof. Dr. Hermann Klenner, Berlin / Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch / Prof. Dr. Ekkehard Lieberam, Leipzig / Prof. Dr. Manfred Weißbecker, Jena

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Unheilbar kriegssüchtig

Der Hauptfeind steht im eigenen Land: Die Mehrheit der Bevölkerung ruft nicht nach Krieg, im Gegenteil. Zumindest einer stemmt sich jetzt gegen die Wehrkraftzersetzung, der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn, von 1981 bis 2012 an der Universität der Bundeswehr in München tätig. Er erteilte dem Defätistenkollektiv der Deutschen am 4. Mai in der "Welt" unter dem Titel "Wir schaffen es nicht" eine Lektion. Denn gemeint sei damit "zur Abwechslung" nicht "das schon jetzt absehbare Scheitern staatlicher Integrationspolitik", die Rede sei "vom ebenfalls absehbaren Scheitern unserer Sicherheitspolitik nach außen und innen".

Es hapere im "sicherheitspolitischen Entwicklungsland" an Gefahrenanalyse und einer faktenbasierten Strategie. Schuld daran sei weniger oder zumindest nicht nur "die" Politik, "wir", in Großbuchstaben gedruckt, seien es, "jedenfalls die meisten von uns". Zu denen zählt sich Wolffsohn nicht, er belehrt "die meisten" daher: "'Die' Politik reagiert nur. Sie liefert seit Jahrzehnten, was wir wahrnehmen und wünschen: eine friedliche Welt." Dem ist zu entnehmen: Die bald 20 Jahre andauernde bewaffnete deutsche Beteiligung an den Feldzügen des Westens von Kosovo und Afghanistan bis hin zu Mali, Syrien und Irak entsprang dem Wunsch der Mehrheit nach einer friedlichen Welt. Die in Berlin Regierenden vollstreckten lediglich den allgemeinen Willen. Auf diese großartige Idee war nicht einmal der Kriegspfaffe Joachim Gauck gekommen. Er stufte kurz nach Amtsantritt als Bundespräsident im Juni 2012 das deutsche "Wir" als "glückssüchtig" ein, also als krankhaft abhängig, weil es so ungern an neue deutsche Kriegsversehrte und noch viel weniger gern daran denke, "daß es wieder deutsche Gefallene gibt".

Wolffsohn geht endlich über Gauck hinaus: Nicht nur "die" Gesellschaft hat moralisch abgerüstet, ihre Regierung auch. Das konnte der Staatschef schlecht sagen. Der Bundeswehr-Gelehrte hält nun beiden, Gesellschaft und Politik, den Spiegel vor und diagnostiziert "Wirklichkeitsdefizite", "Zukunftsschwäche" und andere Leiden. Denn: "Indem sie seit Jahrzehnten 'Nie wieder!' rufen, ähneln sie Autofahrern, die nur in den Rückspiegel schauen, so daß es vorne kracht." Das "Nie wieder" sei ja "eigentlich sympathisch", es habe "die alte deutsche Krankheit, das alte und kruppstahlharte Ich des deutschen Michels" dauerhaft besiegen wollen, gewählt aber hätten "wir" mehr Wohlfahrt als Sicherheit.

Wer bisher annahm, die deutsche Exportquote und ihre militärische Absicherung seien zur Zeit Triebfedern deutscher Politik, so wie es in den "Verteidigungspolitischen Richtlinien" seit 1992 wiederholt formuliert wurde, erfährt durch Wolffsohn: Stimmt nicht. Fettlebe und Ruhe sind's deutsche Panier. Und wenn schon geistig-moralischer Verfall, dann aber richtig: "Undankbar und übermütig, nörgelten wir - nicht erst seit dem Republikaner Trump - an 'den' Amerikanern herum." Die Bundesrepublik - sittlich ein Schweinestall.

Auch in der inneren Sicherheitspolitik: Erst "Nie wieder Antisemitismus!" rufen und dann "den roten Teppich" für "alleinstehende junge Männer aus islamischen Staaten" auslegen, die ohne Papiere, mit Handy "sowie mit eingetrichtertem religiösem oder nahostpolitischem Judenhaß" kommen, ein "Import gefährlicher Judenhasser". Die Bundesrepublik - eine antisemitische Zuwanderungsveranstaltung.

Wer wie ein Rassist redet, ist vielleicht einer. Wolffsohn vermißt das Bekenntnis zum imperialistischen, also stets auch mit rassistischer Mobilisierung geführten Krieg und hält es folgerichtig mit Pseudomedizin: "Wenn überhaupt, kann die deutsche Krankheit nicht kurzfristig geheilt werden. Wir schaffen es - nicht." Schön wär's, Mordspatriot!

A. Sch.

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Fortsetzung der Diskussion: Wagenknechts und Lafontaines Denkfehler

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Plädoyer für einen klassenpolitischen Neuanfang

Auf Initiative von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht ist erfreulicherweise eine Diskussion über eine linke Sammlungsbewegung in Gang gekommen. In Großbritannien unter Jeremy Corbyn und in Frankreich unter Jean Luc Melenchon gibt es linke Sammlungsbewegungen. Sie lehren die Herrschenden das Fürchten. Sie zeigen, daß linke Mobilisierung auch heute möglich ist. Erfreulich ist aus meiner Sicht, daß die Initiative von Sahra und Oskar in eine richtige Richtung geht: Die Linke wird nur Erfolge gegen die neoliberale Kapitaloffensive zur Verbesserung der sozialen und politischen Lebenslage der einfachen Menschen erreichen können, wenn die Klasse der Lohnarbeiter wieder selbst zum politischen Akteur wird.

Ich bin fassungslos, wenn im Sinne einer regelrechten Gläubigkeit an die parlamentarische Scheinwelt gesagt wird, eine Sammlung der Linken habe das Ziel, alle linken Politiker aus Linkspartei, SPD und Grünen zusammenzubringen, um eine "soziale Regierung" zu bilden. Was für eine Ignoranz gegenüber der Marxschen Politik- und Klassentheorie!

Übersehen wird (unbewußt oder bewußt), daß Karl Marx uns eine ganz andere, wirklich taugliche politische Erkenntnis hinterlassen hat: Machtpolitische Grundlage linker Politik sind die Interessen der Lohnarbeiter; machtpolitische Voraussetzung erfolgreicher linker Politik ist nicht die Standhaftigkeit linker Politiker, sondern das aktive Eingreifen der Lohnarbeiterklasse in den politischen Prozeß.

Für einen wirklichen Politikwechsel bedarf es nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte dabei schon eines revolutionären gesellschaftlichen Aufbruchs mit der politischen Kraft etwa der deutschen Novemberrevolution vor 100 Jahren. Linke Politik kann nur erfolgreich sein, wenn wir die Herrschaft des Kapitals durch Gegenmacht der Lohnarbeiter unter Druck setzen, wenn die Arbeiterklasse, wie es Rosa Luxemburg im Jahre 1905 in ihrem Artikel über die russische Revolution schrieb, selber die politische Bühne betritt.

Karl Marx hatte recht, wenn er davon ausging, daß Sozialismus ohne eine kämpfende Arbeiterklasse nichts ist als eine interessante Utopie. Wenn Die Linke gegen den aktuellen Rechtsruck in der Politik wieder in die Offensive kommen will, dann muß sie sich frei machen von allen politischen Illusionen und politischen Verstrickungen mit den Regierenden. Sie muß einen klassenpolitischen Neuanfang im Geiste von Karl Marx und Friedrich Engels in Richtung der Entwicklung der Lohnarbeiter zur "Klasse für sich selbst" auf ihre Fahnen schreiben.

Prof. Dr. Ekkehard Lieberam, Leipzig
(Aus seiner Rede zum 200. Geburtstag von Karl Marx)

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Erfolge lassen sich nur gemeinsam erringen

In einem Antrag an den 6. Parteitag der Partei Die Linke schrieben Raimon Brete und weitere Mitglieder des PDL-Stadtverbands Chemnitz:
Es ist höchste Zeit, daß die Kräfte, die eine friedliche, soziale und solidarische Gesellschaft wirklich wollen, sich zusammenschließen und eine wirksame linke Alternative gemeinsam begründen und dafür aktiv sowie vorurteilsfrei arbeiten. Wir wissen nur zu gut, Erfolge kann man nur miteinander und nicht getrennt und gegeneinander erreichen.

Packen wir es bei aller Unterschiedlichkeit in einzelnen Fragen zur weiteren gesellschaftlichen Entwicklung an, wenn der Grundkonsens Frieden und soziale Gerechtigkeit lautet!

Das Ziel bleibt die Überwindung des vorherrschenden ungerechten sowie kriegerischen kapitalistischen Gesellschaftssystems.

Auch aus Halle erreichte uns ein Aufruf zur Bildung einer "linken Einheitsbewegung dieses Landes", den viele Befürworter unterschrieben haben. In diesem Appell heißt es:
An den Grenzen Rußlands werden bewaffnete Aggressionskräfte unter maßgeblicher deutscher Beteiligung stationiert (...). Diese menschenfeindliche Politik ist nicht nachhaltig durch die Betroffenen gestört. Sie wird mehr oder weniger offen beim Namen genannt, entlarvt, kritisiert und auch als friedensfeindlich bezeichnet. Parlamentarische Gremien sind ohne Zweifel wirksam benutzte Tribünen von linken Gegenmaßnahmen.

Die Wirklichkeit in unserem Land zeigt aber, daß (...) viele Menschen Aktivitäten linker Politik in Deutschland und Europa vermissen. Im Gegensatz dazu stellen wir die Bündelung rechter Kräfte fest, die sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarländern Österreich, den Niederlanden und Frankreich besonders offen vorgehen.

Es ist höchste Zeit, dieser menschenfeindlichen und friedensgefährdenden Politik gemeinsam entgegenzutreten. Weltweit suchen Linke nach Wegen dazu. In einigen Ländern sind sie damit erfolgreich. Das muß auch in Deutschland möglich sein.

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Ohne Druck von unten ändert sich nichts

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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Was wir wollen

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200 Jahre Karl Marx - eine Nachlese

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75 Jahre NKFD

Am 12. Juli 1988 fand in Berlin eine Festveranstaltung zum 45. Jahrestag der Gründung des Nationalkomitees "Freies Deutschland" statt. Wir bringen aus Anlaß des 75. Jahrestags einen Auszug aus der damaligen Rede von Armeegeneral Heinz Keßler, Verteidigungsminister der DDR:

Der faschistische Raubkrieg war das größte Verbrechen an der Menschheit und auch am deutschen Volk. Es war ein barbarischer Krieg. Jetzt ging es um die Beendigung dieses Krieges, die Wiedererlangung des Friedens, den Sturz des Faschismus, der das deutsche Volk unweigerlich in die Katastrophe trieb. Das Nationalkomitee erklärte in seinem Manifest vom 13. Juli 1943 an die Wehrmacht und das deutsche Volk: "Der Krieg ist verloren. Deutschland kann ihn nur noch hinschleppen um den Preis unermeßlicher Opfer und Entbehrungen. Die Weiterführung des aussichtslosen Krieges würde das Ende der Nation bedeuten. Aber Deutschland darf nicht sterben! Es geht jetzt um Sein oder Nichtsein unseres Vaterlandes." (...)

Die Gründung des Nationalkomitees "Freies Deutschland" auf sowjetischem Boden erfolgte mit großer Unterstützung und vollem Verständnis der Führung der KPdSU und der Sowjetregierung. Die Vorhut der deutschen Arbeiterklasse, die deutschen Kommunisten, standen von Anbeginn des Sowjetstaates fest an seiner Seite und fühlten sich engstens mit der Partei Lenins verbunden. Sie unterstützten entsprechend ihren damals noch geringen Möglichkeiten die Völker der UdSSR in ihrem schweren Aufbauwerk und erhielten selbst auf vielfache Weise solidarische Hilfe vom Sowjetvolk. Die KPD leistete eine enorme politischideologische Arbeit für die Entwicklung der Freundschaft der deutschen Werktätigen mit den sowjetischen Arbeitern und Bauern. "Hände weg von Sowjetrußland", das war eine der wichtigsten Aktionen der internationalen Arbeiterklasse und auch der fortschrittlichen Kräfte des deutschen Volkes im Kampf um das Überleben der jungen Sowjetmacht in der imperialistischen Umkreisung. (...)

Viele Kämpfer des ant ifaschistischen Widerstandes und der Bewegung "Freies Deutschland" erlebten den Neubeginn eines demokratischen Deutschland nicht mehr. Sie starben unter dem Fallbeil, durch faschistische Erschießungskommandos oder im Feuer der Waffen der Hitlerarmee als deutsche Patrioten. (...) Geist und Tat des Nationalkomitees und der Bewegung "Freies Deutschland" gehören zu den besten Traditionen unseres Volkes und seiner sozialistischen Streitkräfte. (...)

Mehr als 20 Generale und Admirale, die als leitende Kader die kasernierte Volkspolizei und später die Nationale Volksarmee mit aufbauten, waren Angehörige der Bewegung "Freies Deutschland" oder kämpften entsprechend den Weisungen des Zentralkomitees der KPD und den Zielstellungen des Nationalkomitees in der Sowjetunion und in anderen europäischen Ländern gegen den Faschismus.

In den Stäben unserer Streitkräfte wirkten annähernd 100 Stabsoffiziere, die Mitglieder der Bewegung "Freies Deutschland" waren und zum größten Teil im unmittelbaren Fronteinsatz gegen die faschistische Armee gekämpft hatten. Fast 200 Offiziere hatten eine antifaschistische Schule in der Sowjetunion besucht. (...) Auch heute handelt die DDR getreu der Leninschen Erkenntnis, daß eine Revolution nur dann etwas wert ist, wenn sie sich auch zu verteidigen versteht. (...) Konsequent verwirklichen wir in der DDR die Lehren aus dem antifaschistischen Widerstandskampf.

Mit tiefer Berechtigung können wir sagen: Das Vermächtnis all seiner Helden lebt weiter in den Taten unserer Bürger zur umfassenden Stärkung unseres sozialistischen Vaterlandes.

Die vor einem halben Jahrhundert in der schweren Zeit des antifaschistischen Widerstandes verwirklichten Ideen von der Einheitsund Volksfront wurden in der DDR durch die Vereinigung der KPD und SPD zur SED, durch die Schaffung einheitlicher Gewerkschaften und eines einheitlichen antifaschistischen Jugendverbandes erfolgreich weitergeführt. Sie sind verkörpert im breiten demokratischen Bündnis der in der Nationalen Front der DDR vereinten Parteien und gesellschaftlichen Organisationen unterschiedlichen Charakters sowie in der alle Schichten unseres Volkes umfassenden Friedensbewegung.

Besonders auf dem Felde der Außenpolitik, in der wichtigsten Frage der Weltpolitik, der Sicherung des Friedens und der Abwendung eines nuklearen Infernos, hat sich die breite Bündnispolitik der SED und unserer Republik als wirksamer Beitrag im internationalen Ringen der Sowjetunion, der sozialistischen Staaten und aller anderen Friedenskräfte erwiesen.

Heinz Keßler
(1988)

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Tips für einen Besuch bei Lenin

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Nelson Mandela zum 100.

How does change happen? - Wie entsteht Veränderung? So lautete der Titel eines Vortrags, den Angela Davis vor fünf Jahren an der Goethe-Universität Frankfurt/Main hielt. Bevor sie ihren eigenen Vortrag begann, würdigte sie Nelson Mandela, der am 18. Juli seinen 100. Geburtstag hätte feiern können.

Es lebe Mandela! 1985, fünf Jahre bevor Nelson Mandela spätestens aus dem Gefängnis hätte entlassen werden sollen, bot das Apartheid-Regime Nelson Mandela unter der Bedingung die Freiheit an, daß er bereit wäre, der Gewalt zu entsagen. Mandela wies dieses Angebot mit der von seiner Tochter übermittelten Begründung zurück: Die Apartheid-Regierung sei diejenige Partei, die sich gegen die Anwendung von Gewalt aussprechen müsse. Zudem könne man nur verhandeln, wenn man frei sei, Gefangene seien in Verträge nicht eingebunden. Oft wurde Mandela als eine Person beschrieben, die bereit sei zu vergeben und zu vergessen. Seine Beziehung zu Willem de Klerk, seine Freundschaft mit einem der Wächter von Robben Island, den er zu seiner Hochzeit mit Graça Machel eingeladen hat - in all diesen Beziehungen erzwang er Veränderung. Ja, er bot ihnen die Hand, aber er forderte auch eine Gegenleistung ein, sie konnten nicht dieselben Befürworter oder Nutznießer der Apartheid bleiben wie zuvor. Sie hatten sofort mit dem Prozeß zu beginnen, der die eigene Person und die Gesellschaft von Rassismus, Ausbeutung und Gewalt befreit.

Hierin lag die Bedeutung des Friedens- und des Annäherungsprozesses. Es ging nicht einfach um Vergeben und Vergessen, sondern um Wandlung, revolutionäre Wandlung des einzelnen und Wandlung der sozialen Beziehungen. Ich werde mich an Nelson Mandela oder Madiba, wie wir ihn zu nennen lernten, erinnern, weil er ein wahrhafter Revolutionär war: Er und seine Kameraden forderten die Niederwerfung des Apartheid-Staates. Doch auch wenn das Post-Apartheid-Südafrika weiterhin von einem Haufen Probleme geplagt wird, negiert dieser Zustand nicht die großen Erfolge, die erzielt worden sind. Mit Hilfe der weltweiten Solidarität - sogar zu einem Zeitpunkt, als die US-Regierung Mandela als einen Geächteten und Terroristen behandelte - war die Bewegung siegreich. Mandela wird auch in Zukunft ein Versprechen repräsentieren, das Versprechen von Revolution und Wandlung der Gegenwart.

Er war für mich, solange ich zurückdenken kann, eine zentrale Quelle der Inspiration.

Angela Davis

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Ein Kulturzentrum für Hout Bay

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
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Wissenschaft im Dienst des Friedens

Manche Menschen neigen leider dazu, Auseinandersetzungen und Gedanken über eine bevorstehende große und sogar unvorstellbare Gefahr zu verdrängen. Das sind die noch Zögernden und auch die "Lauen" unter unseren Kollegen, die, trotz guten Willens, mehr oder weniger abseits stehen.

So fragte mich während der Vorbereitungen zur Bildung des "DDR-Komitees für wissenschaftliche Fragen der Sicherung des Friedens und der Abrüstung" ein Kollege, ob denn die in der DDR bestehenden Gremien (Friedensrat, Nationale Pugwash-Gruppe, Komitee für europäische Sicherheit, auch die Mitgliedschaft in der Weltföderation der Wissenschaftler u. a.) nicht ausreichend seien und ob ein neues Komitee noch Eigenes zu leisten vermöge. Ich antwortete ihm, das hätte ich mich zunächst auch gefragt. Man könne zwar die Konstituierung dieses Komitees ganz allgemein damit begründen, daß gerade die Wissenschaftler in der gegenwärtigen Situation gar nicht genug für die Sicherung des Friedens und für die Abrüstung tun könnten.

Eine solche Antwort schiene mir aber zu oberflächlich. Also: Was kann und muß ein Wissenschaftler heute und hier tun, um sich wirklich ernsthaft allen Varianten und Konsequenzen des Kampfes um Frieden und Abrüstung zu stellen?

Das beginnt damit, daß die Wissenschaftler aller Fakultäten dazu berufen sind, jede ihnen zugängliche Information über die internationale Lage auszuwerten und die Wahrheit über die Urheber dieser Gefahr zu verbreiten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Konzeption des "atomaren Erstschlages" stammt doch nicht von der UdSSR oder von den anderen sozialistischen Ländern. Und so dürfen und werden wir - wie Hermann Kant kürzlich sagte - "nicht mitmachen beim großzügigen Umgang mit der gleichmacherischen Vokabel von den Supermächten", ... denn "es war und ist nicht zu überhören, daß der Führer der einen Weltmacht von der anderen als dem Sitz des Bösen spricht und die Führer dieser anderen Weltmacht vom Prinzip der friedlichen Koexistenz nicht lassen wollen. -Da käme ein Gleichheitszeichen zwischen den beiden einer gefährlichen Lüge gleich."

Mitte Mai hatte die Akademie der Wissenschaften der UdSSR zu einer Konferenz "Für die Rettung der Menschheit vor der Gefahr eines Atomkrieges, für Frieden und Abrüstung" eingeladen, an der mehrere hundert Wissenschaftler aus der UdSSR und 45 Vertreter aus sozialistischen und nichtsozialistischen Ländern teilnahmen.

Diese Maitage in Moskau waren besonders dazu angetan zu spüren, was verbrannt, zerstört und vollständig und unwiederbringlich vernichtet würde, wenn wir diejenigen nicht daran hindern, die bereit sind, es auf einen "Versuch", auf einen "begrenzten Atomkrieg" ankommen zu lassen. Man sagte mir, es sei der schönste und wärmste Mai seit 1948, und ich glaube mich zu erinnern, daß wir vor 35 Jahren die Verheißung und Pracht dieses Frühlings in Klin bei Moskau während des Aufbaus der Kapron-Fabrik trotz angestrengter Arbeit genossen haben, denn der Winter war lang und kalt gewesen. Ich spreche von Verheißung, weil wir sahen und hörten, wie die Folgen und Zerstörungen des zweiten Weltkrieges allmählich verschwanden, wie Neues aus Trümmern wuchs, und wir waren überzeugt davon, daß ähnliches nicht wieder geschehen würde, obschon wir vom Schrecken der Hiroshima-Bombe wußten.

An jene Zeit erinnerte der 80jährige und bewundernswert vitale Präsident der Moskauer Akademie der Wissenschaften, A. P. Alexandrow, als die UdSSR begann, Kernkraftwerke und Atomeisbrecher zu bauen, die USA dagegen die ersten Atom-U-Boote konstruierten und die A-Bomben weiterentwickelten, eine Zeit, in der die UdSSR bereits bei jedem Schritt, den sie tat, von der imperialistischen Propaganda als "Aggressor" hingestellt wurde, obwohl das Gegenteil für jedermann sichtbar war. Die Sowjetunion folgte erst - gegen ihre erklärten Absichten - mit Rüstungen, nachdem die Entwicklungen in den USA bedrohlich wurden. Jedermann sei von Herzen froh gewesen, als Ende der sechziger Jahre eine Entspannungsphase begann und die Vernunft die Oberhand zu gewinnen schien. Inzwischen aber ist das Wort "Entspannung" mehr und mehr aus dem Sprachgebrauch der USA und der NATO verschwunden, und erneut werden Töne laut und Taten sichtbar, die an die schlimmsten Zeiten des kalten Krieges nach 1945 erinnern. Aus dieser gegenwärtigen politischen Situation wurden die Aufgaben der Wissenschaftler zur Abwendung eines Kernwaffenkrieges abgeleitet:

1. Es ist außerordentlich wichtig, unermüdlich die schweren und unausdenkbaren Folgen eines Kernwaffenkrieges in Wort und Schrift aufzuzeigen, ohne Angst zu schüren oder Psychosen zu erzeugen. Die Haltlosigkeit und die Gefährlichkeit der Konzeption eines "begrenzten" oder "langwierigen" Atomkrieges muß allen Menschen mit wissenschaftlichen Aussagen nachgewiesen werden, um der Bagatellisierung eines Nuklearkrieges entgegenzutreten.

2. Die exakten Gegenargumente der Wissenschaftler gegen die irreführende Propaganda kapitalistischer Länder zur Begründung der Aufstellung von neuen Mittelstreckenraketen in Westeuropa bekommen immer größere Bedeutung. Die Tricks der falschen NATO-"Friedenspropheten" sind als das, was sie in Wirklichkeit sind, bloßzustellen: die Vortäuschung von Friedensliebe als Tarnung für das skrupellose Vorhaben, Europa zum Schlachtfeld eines Nuklearkrieges mit allen seinen Folgen und Verlusten, mit der vollständigen Vernichtung unserer zweitausendjährigen Kultur werden zu lassen. Die Wissenschaftler müssen allen Europäern sagen, was dieser von Washington konzipierte "Stellvertreterkrieg" für sie bedeuten würde - und für die Amerikaner, in denen dieses Konzept die trügerische Hoffnung wecken soll, sie würden von der Katastrophe nicht betroffen sein und der Nuklearkrieg ließe sich auf Europa begrenzen. Das gleiche Ziel wie die Brüsseler Raketen-Beschlüsse verfolgt auch die Schaffung neuer Antiraketensysteme und die vorgesehene Ausweitung der Rüstung in den Kosmos: In Washington spielt man in völliger Fehleinschätzung der eigenen Lage mit dem Atomkrieg.

3. Alle Versuche, die Antikriegsbewegung zu spalten oder zu schwächen und dieser immer größer werdenden Bewegung und ihren Menschen, die nichts anderes wünschen als Frieden, falsche und unlautere politische Absichten und Motive zu unterstellen und sie als "kommunistisch unterwandert" zu verteufeln, müssen vor allem von Gesellschaftswissenschaftlern bekämpft wenden. Dazu gehört auch, der besonders infamen Lüge, die Sowjetunion drohe mit Krieg und Unterwerfung anderer Völker, entgegenzutreten, da diese Unwahrheit besonders geeignet ist, die Antikriegsbewegung zu schwächen und die Lauterkeit ihrer Motive herabzusetzen.

4. Gerade die Wissenschaftler müssen sich energisch bemühen, zu verhindern, daß wieder Schranken gegen eine ersprießliche internationale wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit errichtet werden und daß im Interesse von Feinden des Friedens Kooperationen zerstört werden, die sich als fruchtbar für alle Beteiligten erwiesen haben.

"Man kann nicht umhin", sagte ein Redner, "dem Akademiemitglied W. A. Engelhardt zuzustimmen, wenn er die Frage nach der größeren Verantwortung der Gelehrten und der Wissenschaft beim Entstehen von Gefahren globalen Charakters aufwirft, an deren Entstehen die Wissenschaft und ihre Schöpfer, das heißt die Forscher, mitgewirkt haben", und er mahnte abschließend, daß "die Intensität des Rüstungswettlaufs ... auch von jenen Menschen der Wissenschaft aufrechterhalten wird, die im Westen ihr Wissen und Talent bewußt in den Dienst des Krieges stellen. Mögen diese Gelehrten ihre Verantwortung erkennen, mögen sie ihre nicht unerheblichen Möglichkeiten darauf richten, den Lauf der Ereignisse im Interesse des Friedens zu beeinflussen!" Deshalb muß auch unsere tiefe Besorgnis um die Geschicke der Menschheit sich in immer wirksameren Aktionen ausdrücken und niederschlagen; denn es soll später niemand sagen können, er habe nicht gewußt, was er anrichtete.

Es darf nicht geschehen, daß die Menschheit ihr Wissen zu nichts Besserem zu gebrauchen weiß, als sich selbst umzubringen und die Erde völlig zu zerstören. Auch die Meinung, die man bisweilen hört, es gäbe immer noch genügend Chancen für Überlebende, und diese würden das Zerstörte wieder aufbauen, ist eine gefährliche Illusion. Biologen und Mediziner haben erneut in Moskau schwerwiegende Gründe genannt, daß es nur genetisch Geschädigte als "Überlebende" geben wird, und daß niemand die biologischen Konsequenzen eines Nuklearkrieges voraussagen kann. Daher ist es mehr als gewissenlos, wenn die US-Administration den Standpunkt vertritt, sie könne die Überlegenheit in einem Kernwaffenkrieg gewinnen, und wenn Edward Teller erklärt, ein Atomkrieg sei durchaus möglich und nicht so verhängnisvoll, wie behauptet würde. Der ganze Widersinn der Befürworter einer "Neurüstung" oder "Nachrüstung", die das bestehende Gleichgewicht zerstört, wird offenbar, wenn das unablässige Bemühen der Mediziner, Biologen und Pharmakologen um die Ausrottung von Krankheiten und Seuchen diesem Streben nach Aufrüstung mit den alles vernichtenden ABC-Waffen, die im Falle ihres Einsatzes die Erde unbewohnbar machen, gegenübergestellt wird. Eben deshalb müssen die Wissenschaftler dazu beitragen, die Beseitigung dieser Waffen aus den Rüstungsarsenalen zu erreichen, um die Erde vor der Vernichtung zu bewahren.

Die Konferenz war - trotz vieler schrecklichen Offenbarungen - dennoch nicht dazu angetan, Angst zu verbreiten. Sie schaffte Klarheit, Klarheit auch darüber, "was und wer uns bedroht". Wir müssen - und das gilt gerade auch für die Wissenschaftler der DDR, die wir an der Grenze der beiden Weltanschauungen leben - die Wahrheit verbreiten, daß allein der Frieden Grundlage der sozialistischen Gesellschaft ist, weil diese Gesellschaftsordnung nur im Frieden gedeihen kann. Wir müssen aber auch - ich wiederhole das noch einmal - diejenigen bei uns und überall in Europa zu erreichen suchen, die bewußt nichts hören wollen und sich "abschotten", und wir müssen sie über die Folgen dieses möglicherweise tödlichen Desinteresses aufklären. Wir müssen darüber hinaus Vertrauen schaffen, indem wir uns mit unserer ganzen Person für die Wahrheit einsetzen, indem wir angehen gegen die infame Lüge, der Sozialismus und der Kommunismus bedrohten die Welt, indem wir mit der Beantwortung der einfachen und ebenso alten Frage beginnen, wer denn an Kriegen verdient hat und wer jetzt die Gewinne aus der Aufrüstung einstreicht. Wir müssen uns mit allen Mitteln, die uns unser Wissen und Gewissen in die Hand geben, wehren dagegen, daß einige wenige mit der verlogenen These, sie müßten die Demokratie und die Freiheit retten, bereit sind, Hunderte Millionen von Menschen in den sicheren Tod zu schicken. Ein Krieg mit ABC-Waffen wäre heute nicht mehr "die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", er wäre das Ende der Menschheit.

Hermann Klare
(RF-Archiv, 1983)

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Bei Marx - unter seinem Banner

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DAS HISTORISCHE STICHWORT

Der 6. Juli 1918

Moskau, 6. Juli 1918, 14 Uhr. Der Leiter der Geheimabteilung der Tscheka, der Sozialrevolutionär Bljumkin, und das Mitglied des Revolutionstribunals Andrejew verlassen gegen 14 Uhr das Gebäude der "Gesamtrussischen Außerordentlichen Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution, Sabotage und Spekulation". Ein Auto bringt sie zur deutschen Botschaft. Unter Vorlage schriftlicher Vollmachten bitten sie um eine persönliche Unterredung mit dem Botschafter Graf Mirbach. Als Mirbach um 14.47 Uhr in Begleitung von Dr. Riezler und Leutnant Müller erscheint, ziehen Bljumkin und Andrejew nach kurzem Wortwechsel Pistolen, schießen auf den Grafen Mirbach und werfen zwei Handgranaten. Der Botschafter des kaiserlichen Deutschland in Moskau wird getötet. Die Täter können flüchten. Der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare, Lenin, wird wenig später über das Attentat informiert. Er fordert sofort den Vorsitzenden der Tscheka, Felix Dsershinski, auf, persönlich die Untersuchung vorzunehmen. Die Ermordung Mirbachs erfolgte auf Beschluß des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre; sie gibt das Zeichen für Rebellionen in Moskau, Petrograd und Jaroslawl. Ihr Ziel ist es, die Bolschewiki von der Macht zu verdrängen. Felix Dsershinski wird im Hauptquartier der Sozialrevolutionäre verhaftet.

Kreml, 17.50 Uhr. Lenin wird über die Meuterei der Sozialrevolutionäre informiert. Er gibt Weisung, den offenen Aufstand niederzuschlagen und die Fraktion der Sozialrevolutionäre auf dem V. Gesamtrussischen Kongreß der Sowjets der Arbeiter-, Bauern-, Soldaten- und Rotarmistendeputierten zu verhaften. Die Aufrührer besetzen in den Abendstunden das Telegrafenamt, das Elektrizitätswerk, das Gebäude der Tscheka. Sie bereiten sich für den 7. Juli zum Sturm auf den Kreml, den Sitz der sowjetischen Regierung, vor. Die Situation ist bedrohlich. Der Regierung stehen zur Verteidigung des Kreml nur ein Regiment und eine Gruppe Offiziersschüler zur Verfügung. Größere Einheiten befinden sich in den Sommerlagern außerhalb der Stadt. Auf der Seite der Sozialrevolutionäre stehen einige tausend aufgewiegelte und irregeführte Soldaten. Den Bolschewiki gelingt es in der Nacht zum 7. Juli, revolutionäre Arbeiter Moskaus gegen den Putschversuch zu mobilisieren. Dramatische Stunden ziehen herauf, von deren Ausgang das Schicksal des ganzen Landes und der jungen Revolution abhängen. Die Bolschewiki können die Soldaten einer Division lettischer Schützen vom konterrevolutionären Charakter der Meuterei der Sozialrevolutionäre überzeugen. Die lettischen Schützen ziehen in die Stadt ein. In den Morgenstunden des 7. Juli ist die Meuterei der Sozialrevolutionäre niedergeschlagen.

9. Juli. Der V. Sowjetkongreß nimmt seine Arbeit wieder auf. Nach dem Bericht der Regierung über die Ereignisse billigt er die Maßnahmen zur Liquidierung des Putsches und faßt einstimmig den Beschluß, die linken Sozialrevolutionäre aus den Sowjets zu verjagen.

10. Juli. Der Kongreß bestätigt die Verfassung der Russischen Föderativen Sowjetrepublik. Mit diesem Akt erklärt er der ganzen Welt, daß der erste Staat der Arbeiter und der Bauern auf seinem Wege zum Aufbau des Sozialismus weiter vorwärtsschreitet.


Es hat während des Verlaufs der proletarischen Revolution in Rußland, in den Tagen des Oktober 1917, wahrlich nicht an dramatischen Situationen gefehlt. Sie waren nicht weniger erregend als die Ereignisse des 6. Juli 1918. Und doch hing das Schicksal der Revolution an diesem Tage an einem seidenen Faden. Der gefährliche Stoß gegen die junge Sowjetmacht kam diesmal nicht aus den Reihen der erklärten Feinde der proletarischen Revolution, sondern von Menschen, die auch ihren Anteil am Kampf gegen den Zarismus, am Sturz des verhaßten Regimes hatten.

Die Sozialrevolutionäre waren eine russische kleinbürgerliche Partei mit einer starken bäuerlichen Basis. Sie waren für den Sturz der zaristischen Selbstherrschaft, traten für die Aufteilung des Großgrundbesitzes und die Gründung einer demokratischen Republik ein. Eine wesentliche, der Taktik der Bolschewiki widersprechende Methode des politischen Kampfes dieser Partei war der individuelle Terror als Hauptkampfmittel gegen den Zarismus. Der Klassencharakter des Staates und die führende Rolle des Proletariats wurden von den Sozialrevolutionären geleugnet.

Nach der bürgerlich-demokratischen Februarrevolution 1917 gewannen die Sozialrevolutionäre zeitweise starken Einfluß in den Sowjets der Arbeiter und Soldaten, sie waren die Hauptstütze der Provisorischen Regierung. Aber ihre schwankende politische Haltung führte zur Spaltung der Partei. Als die linken Sozialrevolutionäre die Errungenschaften der Oktoberrevolution anerkannten, wurden ihre Vertreter von den Bolschewiki in die Regierung aufgenommen - Zeichen der Bereitschaft, mit allen Parteien zusammenzuarbeiten. Aber die linken Sozialrevolutionäre entpuppten sich bald wieder als kleinbürgerliche Opportunisten, die das Volk mit Phrasen und falschen Versprechungen fütterten und immer entschiedener gegen die sozialistische Umgestaltung des Landes auftraten.

Aus Protest gegen die Unterzeichnung des Brester Friedens (3. März 1918) mit dem imperialistischen Deutschland waren sie aus der Regierung ausgetreten, nicht erkennend, daß dem Lande keine andere Wahl blieb, um eine Atempause zur Festigung der Revolution und zum Aufbau einer proletarischen Armee zu bekommen. Die ultimativ vorgetragenen Bedingungen des deutschen Imperialismus waren schmachvoll. "Es ist unglaublich, unerhört schwer, einen unglückseligen, maßlos schweren, unendlich erniedrigenden Frieden zu unterzeichnen, wenn der Starke dem Schwachen das Messer an die Kehle setzt." (Lenin, Werke Bd. 27, S. 35)

Und Lenin schreibt weiter: "Den Frieden zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu unterzeichnen heißt dem deutschen Imperialismus den bewaffneten Aufstand oder den revolutionären Krieg zu erklären. Das ist entweder eine Phrase oder eine Provokation der russischen Bourgeoisie, die begierig den Einmarsch der Deutschen erwartet." (Ebenda, S. 41)

Die Sozialrevolutionäre in ihrer politischen Kurzsichtigkeit, erfüllt von kleinbürgerlichem Revoluzzertum und Anarchismus, sahen nur die schmachvollen Friedensbedingungen. Sie erkannten nicht, daß der Brester Frieden ein Schlag gegen die herrschenden Kreise der USA, Großbritanniens und Frankreichs war, die darauf spekulierten, daß das imperialistische Deutschland, mit dem sie sich selber noch im Kriege befanden, zum Totengräber der sozialistischen Revolution werden sollte. Die Sozialrevolutionäre beschritten in ihrer Verblendung den Weg des offenen antisowjetischen Kampfes und konterrevolutionärer Aktionen. In der provokatorischen Absicht, den Brester Frieden zu sabotieren, ließen sie den deutschen Botschafter Graf Mirbach ermorden. RF

Programm (1968) zu dem sowjetischen Film "Der 6. Juli" von Juli Karassik nach dem Drehbuch von Michail Schatrow (deutsche Synchronsprecher waren u. a. Gerry Wolff, Hans-Peter Minetti und Norbert Christian)

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Georgi W. Plechanow - Parteigründer und Theoretiker

Sucht man unter den Schriften zu namhaften Politikern und Theoretikern der internationalen Arbeiterbewegung nach Georgi Walentinowitsch Plechanow, findet man fast nichts über diesen Kampfgefährten Lenins, seine Rolle bei der Entwicklung der Arbeiterbewegung und seine Bedeutung für die Vertiefung marxistischen Denkens. Sein 100. Todestag - er starb am 30. Mai 1918 - ist Anlaß, mit diesem Beitrag zur schrittweisen Schließung dieser Lücke beizutragen. Um es vorweg zu sagen: Lenin betonte 1921, daß man kein wahrer und bewußter Kommunist werden könne, wenn man nicht alles, was Plechanow über Philosophie geschrieben hat, studiere, denn es sei das "Beste in der gesamten internationalen marxistischen Literatur".

Worauf stützt sich diese Einschätzung? Georgi W. Plechanow - geboren am 11. Dezember 1856 - lebte in einer Zeit, in der Rußland durch Peter I. den Übergang vom Mit telalter in die Moderne und den Anschluß an Westeuropa vollzogen hatte.

Wie die Aufklärer Lomonossow oder Belinski lobte auch Plechanow den Zaren dafür, daß er "den ungeheuren Umschwung vollendet habe, der Rußland vor der Verknöcherung rettete".(1) Aber dieser russische Weg war verbunden mit einer zunehmenden Unterdrückung der Bauernschaft sowie mit der zaristischen Diktatur im gesamten Land. Auf diesem Hintergrund entstand die antizaristische Organisation der Volkstümler (Narodniki), der sich der Gutsbesitzersohn aus dem Gouvernement Tambow aus humanistischem Geist heraus anschloß. Er hatte nach Absolvierung der Kadettenanstalt in Woronesch von 1874 bis 1876 am Petersburger Institut für Bergbau studiert. In dieser Zeit wurde sein sozialpolitisches Denken stark von den Ideen der russischen revolutionären Demokraten Tschernyschewski, Dobroljubow, Herzen und Belinski beeinflußt. Seit 1875 nahm er an revolutionären Aktivitäten der Volkstümler teil, weshalb er 1877 und 1878 zweimal verhaftet wurde und daher 1880 emigrierte. Von 1880 bis 1917 lebte er abwechselnd in der Schweiz, in Italien und Frankreich. Obwohl sich Plechanow in dieser Zeit mit Schriften von Marx beschäftigte, hing er noch der Volkstümlerideologie mit ihrer Hoffnung auf die Entwicklung der bäuerlichen Dorfgemeinde an.

Nachdem der russische Nationalökonom V.I. Orlow (1848-1885) in einer ausführlichen Analyse nachgewiesen hatte, daß die Dorfgemeinde insbesondere im Bezirk Moskau bereits im Verfall begriffen war und dieser Zerfallsprozeß tendenziell das ganze Land erfaßte, verstand Plechanow, daß auf einer zerfallenden Wirtschaftsform keine neue sozialökonomische Gesellschaft errichtet werden kann, orientierte sich auf die Arbeiterbewegung und vertiefte sich in die marxistische Literatur.

Auf dieser Basis und unter Einbeziehung der Erfahrungen der westeuropäischen Arbeiterbewegung brach er 1881/1882 mit der Volkstümlerideologie und wurde Marxist. 1883 gründete er in Genf zusammen mit Paul Axelrod, Vera Sassulitsch u. a. die erste russische marxistische Organisation "Befreiung der Arbeit", die Lenin als Gründung der Sozialdemokratie in Rußland bezeichnete. Er schrieb: "Die literarischen Erzeugnisse dieser Gruppe, die unzensiert im Ausland gedruckt wurden, begannen zum erstenmal mit der systematischen und alle praktischen Schlußfolgerungen enthaltenden Darlegung der marxistischen Idee (...)"(2) Und Lenin schlußfolgert: "Die Gründung der russischen Sozialdemokratie ist das Hauptverdienst der Gruppe Befreiung der Arbeit - Plechanows, Axelrods und ihrer Freunde."

Plechanows wissenschaftliche Aktivitäten bestanden in dieser Zeit darin, das "Kommunistische Manifest" ins Russische zu übersetzen und herauszugeben. Auch die "Thesen über Feuerbach" von Marx sowie die Arbeit von Engels "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie" hat er übersetzt.

In seiner ersten eigenen marxistischen Arbeit "Sozialismus und politischer Kampf" (1883) sowie in dem 1885 nachfolgenden Buch "Unsere Meinungsverschiedenheiten" analysierte er erstmals ausführlich die kapitalistische Entwicklung Rußlands, orientierte auf die Arbeiterklasse als die entscheidende revolutionäre Kraft und rief die Volkstümler dazu auf, sich an ihre Seite zu stellen.

Damit begann Plechanows intensiver politischer und theoretischer Kampf gegen die Ideologie der Volkstümler und andere antimarxistische Auffassungen. Im Verlaufe dessen wurde er zum Hauptvertreter des Marxismus in Rußland, erhielt internationale Bedeutung und trug wesentlich zur Vertiefung marxistischen Denkens bei.

Eine maßgebliche Rolle spielten dabei seine beiden Schriften "Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung" (1895) und "Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte" (1898).

Die internationale Wirksamkeit zeigte sich darin, daß er 1889 am Gründungskongreß der II. Internationale in Paris teilnahm und in den 90er Jahren zu den führenden Theoretikern der II. Internationale gehörte. In diesem Zusammenhang beauftragte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands 1894 Plechanow damit, die Schrift "Anarchismus und Sozialismus" zu verfassen, die in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde.

Er wurde zum Mitglied des Ständigen Internationalen Komitees der Internationale gewählt, was Lenin damit begründete, es sei "besonders notwendig, auf diesen wichtigen Posten einen Mann zu stellen, der fähig ist, der Strömung zu widerstehen und ein gewichtiges Wort gegen das ideologische Schwanken zu sagen. Aus diesem Grunde (...) stimmen wir für G.W. Plechanow."(3)

Damit wurde Plechanow in dieser Periode zum Initiator der Verbreitung des Marxismus in Rußland. Er war der geistige Führer der jungen russischen Intelligenz sowie klassenbewußter Teile der Arbeiterschaft. Mit seinen Arbeiten wurde eine ganze Generation russischer Marxisten erzogen. Lenin und Trotzki erkannten ihn als ihren Lehrmeister an.

1895 lernte er in Petersburg Lenin kennen, der sich bereits mit den Schriften von Marx und Engels, aber auch von Plechanow beschäftigt hatte. Von da an führten sie gemeinsam die Auseinandersetzung mit den Volkstümlern, mit dem "legalen Marxismus" und dem Revisionismus. Lenin stellte dazu fest: "Plechanow, einer der Begründer und Führer der russischen Sozialdemokratie, hatte durchaus recht, als er schonungslose Kritik an der neuesten 'Kritik' Bernsteins übte ..."(4) Dieser gemeinsame Kampf führte zur Gründung der ersten marxistischen Zeitschrift in Rußland im Jahre 1900, der "Iskra".

Beim Parteikongreß, auf dem sich die Trennung von Bolschewiki und Menschewiki vollzog, stand Plechanow fest an der Seite Lenins. Er vertrat das gemeinsam erarbeitete Programm, polemisierte gegen die Volkstümler und betonte die Rolle der Arbeiterklasse als entscheidendes revolutionäres Element. Lenin hat in dieser Phase eng mit Plechanow zusammengearbeitet. Das betraf besonders die Auseinandersetzungen über die Leitungsorgane des Parteitages wie Büro, Org.-Komitee, Stimmberechtigungen und Redaktionskommission. Beide standen in allen wichtigen Gremien auf gleicher Position. Besonders wichtig war dabei die Unterstützung Plechanows für Lenins Definition der Parteimitgliedschaft im Statut.

Hier ist der Platz, um die wissenschaftlichen Leistungen Plechanows bei der Verbreitung, Verteidigung und Vertiefung marxistischen Denkens zusammenfassend zu skizzieren. Und das an dieser Stelle deshalb, weil von da an der weitere Lebensweg von Plechanow von verschiedenen Widersprüchlichkeiten begleitet war. Das begann mit seinem vorsichtigen Bemühen, die Aktivitäten von Bolschewiki und Menschewiki zur Lösung der eigentlich gemeinsamen Aufgaben zu vereinen. Damit geriet er auf die Position des Versöhnlers. Das darf aber den Blick in bezug auf seine marxistischen wissenschaftlichen Leistungen nicht verstellen.

Die volkswirtschaftlichen Arbeiten Plechanows konzentrierten sich auf die Frage nach dem Entwicklungsstadium der russischen Wirtschaft. Er analysierte diese seit der Reform von 1861, untersuchte die Entfaltung der Warenproduktion, stellte den kapitalistischen Charakter dieser Warenproduktion fest und kommt zu der von Lenin zustimmend zitierten Erkenntnis: "Rußland hat den kapitalistischen Weg beschritten."(5)

Diese Feststellung beruhte auf der Anwendung der Marxschen Methode des historischen Materialismus. Das ermöglichte ihm den Nachweis von objektiven Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung. Dazu gehörte auch die Anerkennung des zunächst progressiven Charakters des Kapitalismus mit seiner Entfaltung der Warenproduktion sowie der tiefgreifenden Umwälzung von Industrie, Handel und Finanzwesen. Er erkennt darin die Entstehung der materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus und leitet daraus die aufsteigende Rolle der Arbeiterklasse und ihre historische revolutionäre Funktion ab.

In diesem Zusammenhang schrieb er: "Diese vollständig materialistische Auffassung der Geschichte ist eine der größten Entdeckungen unseres an wissenschaftlichen Entdeckungen so reichen Jahrhunderts" und fährt fort: "Die von Marx bewirkte Revolution der sozialen Wissenschaft kann mit der von Kopernikus in der Astronomie bewirkten verglichen werden."(6) Hier wie anderswo zitiert er ausführlich aus "Zur Kritik der politischen Ökonomie" von Marx, aus dem "Kommunistischen Manifest" und beschäftigt sich mit den Kategorien Kapital, Ware, Wert- und Mehrwert, Arbeitskraft und Arbeitslohn. Dies z. B. in der Schrift "Die Werttheorie von Marx und ihre Bedeutung".(7) In dieser Phase der Propagierung der marxistischen politischen Ökonomie waren die analytischen Publikationen Plechanows ein bedeutsamer Beitrag zu ihrem Verständnis.

Im Zusammenhang mit der Philosophie beschäftigte er sich zunächst mit deren Geschichte. Nach ihrem Studium folgte er den Gedanken von Marx bei der Analyse von Hegels idealistischer Dialektik und unterstützte es, sie vom Kopf auf die Füße zu stellen. Damit kam er zum dialektischen Materialismus, zu dessen weiterer Ausarbeitung und Verbreitung er in bedeutendem Maße beitrug. Die entsprechenden Arbeiten Plechanows waren nach den Worten Lenins "das Beste in der ganzen internationalen marxistischen Literatur" jener Epoche.

Dazu gehören auch seine Ausarbeitungen über historischen Materialismus. 1894 kennzeichnete er die materialistische Geschichtsauffassung als Antwort auf die Frage, "wie die konkrete Tätigkeit des Menschen sich entwickele, wie sich durch sie das Selbstbewußtsein des Menschen entwickele, wie die subjektive Seite der Geschichte entstehe". Bei seiner Polemik gegen Treitschkes These "Männer machen die Geschichte" erläuterte er die Rolle der Volksmassen als entscheidendem Faktor des gesellschaftlichen Fortschritts. Ihm war klar, daß die revolutionäre Volksbewegung nicht spontan gesellschaftliche Veränderungen herbeiführt. Bereits in seinen ersten politischen Reden sprach er von der Notwendigkeit, eine revolutionäre Partei zu gründen.

Zurück zu den Differenzen mit Lenin. Diese bezogen sich zunächst auf die Besetzung der Redaktion der "Iskra". Als Redaktionsvorsitzender hat Plechanow entgegen Parteibeschlüssen Martow und zwei weitere Menschewisten in die Redaktion kooptiert und damit die Mehrheitsverhältnisse verändert. Daraufhin trat Lenin aus der Redaktion aus. Das ZK der SDAPR hat in seiner Sitzung am 27. November 1903 in Genf einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: "Die Kooptierung von Anhängern Martows in die Redaktion (der "Iskra" - H. M.) durch Genossen Plechanow stellt einen direkten Übergang Plechanows auf die Seite der Minderheit des Parteitags dar, einer Minderheit, von der Plechanow selbst wiederholt öffentlich erklärt hat, daß sie zum Opportunismus und Anarchismus neigt."(8) In einem Artikel erklärte Plechanow, man müsse "mitunter selbst demjenigen nachgeben, der irrtümlich zum Revisionismus und als anarchistischer Individualist handle".(9) Damit bestätigte er seine Rolle als Zentrist.

Diese Position, durch Kompromißbereitschaft beide Flügel zu vereinen, wurde auf dem III. Parteitag in einer speziellen Resolution noch als verständlich akzeptiert, wobei jedoch sein anschließender völliger Übergang auf die Seite der Menschewiki verurteilt wurde.(10)

Die Auseinandersetzungen vor allem zwischen Lenin und Plechanow setzten sich über die Folgejahre fort, wobei Plechanow mehrfach Schwankungen unterlag. Das veranlaßte Lenin, ihn mitunter vom Menschewiki und Revisionisten zum Versöhnler herunterzustufen.

Die Differenzen verschärften sich bei der Vorbereitung der Oktoberrevolution. Obwohl Plechanow grundsätzlich auf revolutionärer Position stand, hielt er den Zeitpunkt für verfrüht.(11) Es war ihm infolge schwerer Krankheit und frühen Todes nicht mehr vergönnt, an der weiteren Entwicklung teilzunehmen. In der Grabrede, die kein Geringerer als Lunatscharski hielt, heißt es: "Von Plechanow muß begraben werden, was an ihm sterblich, eine Frucht der Schwäche und des Alters war. Wir werden das von ihm in seiner Blüte geschaffene Unsterbliche bewahren. So ehren wir den Helden revolutionären Geistes ungeachtet dessen, daß er in den letzten Jahren vor seinem Tode vom richtigen Wege abkam." Dennoch stand er bis zu seinem Ende in allen theoretischen und weltanschaulichen Grundfragen fest auf dem Boden des Marxismus.

Ungeachtet der Differenzen hat Lenin schon 1918 angewiesen, für die Sammlung, Bewahrung und Publizierung von Plechanows wissenschaftlichem und politischem Erbe zu sorgen. Daraus entstand 1928 in Leningrad das "Plechanow-Haus", welches auch in St. Petersburg fortgeführt wird.

Drei Jahre nach Plechanows Tod schrieb Lenin: "... alles, was Plechanow über Philosophie geschrieben hat, (...) muß in die Reihe der obligatorischen Lehrbücher des Kommunismus aufgenommen werden."(12)

Prof. Dr. Herbert Meißner


Anmerkungen

1) Zitiert nach M. Alexander / G. Stökl: Russische Geschichte, Stuttgart 2009, S. 286
2) W. I. Lenin, LW, Bd. 20, S. 244
3) W. I. Lenin, LW, Bd. 4, S. 378
4) W. I. Lenin, LW, Bd. 4, S. 205
5) W. I. Lenin, LW, Bd. 1, S. 190
6) G. W. Plechanow: Anarchismus und Sozialismus. Juni 1920. Verlag Vorwärts, neu bei BMV, Cottbus 2015, S. 25
7) G. W. Plechanow, Die Werttheorie von Marx und ihre Bedeutung, Petersburg 1900
8) W. I. Lenin, LW, Bd. 7, S. 104
9) G. W. Plechanow, Nr. 52 der "Iskra" vom November 1903, Hervorhebungen im Original
10) W. I. Lenin, LW, Bd. 8, S. 182
11) Siehe: G. W. Plechanow: Zwischen Revolution und Demokratie, Artikel und Reden 1917-1918, BasisDruck, Berlin 2016
12) W. I. Lenin, LW, Bd. 32, S. 85 f.

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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG
Wegbereiter einer neuen Zeit: Die ersten Schritte
Sendung des Deutschlandsenders vom 12. September 1974

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Zum 120. Geburtstag von Herbert Marcuse

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Von Privateigentum, "Quasi-Eigentum" und Volkseigentum

In heutigen Diskussionen zur Rolle des Eigentums in der Wirtschaftspolitik sind diametrale Positionen feststellbar: einerseits eine Verherrlichung des Privateigentums an Produktionsmitteln und andererseits eine Verteufelung vergesellschafteten Eigentums ("Volkseigentum"; "Staatseigentum" o. ä.).

So werden dem Privateigentum wahre Wunderwirkungen zugesprochen. Nur so könne sich Schöpfertum, Kreativität, Innovation entfalten, Freiheit und Verantwortung verwirklichen, Durchsetzungsvermögen und Organisationsfähigkeit beweisen, Lust und Freude an der Nutzung und Mehrung von Produktivkräften entwickeln usw. Demgegenüber wird vergesellschaftetes Eigentum identifiziert mit Schlamperei, Uneffektivität, Verfall und anderen Charakterisierungen und somit rundweg abgelehnt. Ich bin dagegen der Meinung, daß solche Schwarz-Weiß-Malereien keiner sachlichen Prüfung standhalten.

Sollte es wirklich so sein, daß nur Privateigentum Initiativen und Schöpfertum hervorbringen kann, solches also per se kreativ ist? In Wirklichkeit gibt es eine Vielzahl von Impulsgebern für Kreativität. Sicher mag das Eigentum eine besondere Rolle spielen und ein wichtiger Motivator für Aktivitäten verschiedenster Art sein, aber er ist bei weitem nicht der einzige und vor allem auch nicht der unproblematischste. Schaut man etwas genauer hinter die Kulissen, stellt man fest, daß es gar nicht das (juristische) Eigentum ist, das solche "Wunderwirkungen" hervorbringt. Es ist ohnehin nicht das Eigentum an sich, sondern es sind bestenfalls die Eigentümer, die besondere Taten vollbringen können und sich dabei ihrer Verfügungsmacht über Produktionsmittel bedienen.

Vielleicht trifft es noch bei Einzelunternehmen oder anderen Kleinstunternehmen zu, vielleicht auch noch bei Neugründungen von Firmen, daß der oder die Eigentümer selbst "Hand anlegen" und die tatsächlichen Macher, Erfinder, Organisatoren sind. Aber schon in Unternehmen mit mehreren Beschäftigten findet eine Übertragung von bestimmten Aufgaben, auch mit solchen eines bestimmten Maßes unternehmerischer Verantwortung auf einzelne Mitarbeiter statt, also auch auf "Nicht-Eigentümer". In einer GmbH ist es selbstverständlich, daß zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern unterschieden wird. Sie können, müssen aber keineswegs personell identisch sein. Und in Großunternehmen, vor allem Aktiengesellschaften, verschwindet ein sicht- und spürbarer Zusammenhang von Eigentümern und handelnden Akteuren vollends. Der Siemenskonzern z. B. weist 538.000 Aktionäre - also Eigentümer - aus. Viele von ihnen wissen wahrscheinlich gar nicht, daß sie bei Siemens (Mit)-Eigentümer sind und was und wie in den Fabriken überhaupt produziert wird. Das Eigentum hat sich bis zur Unkenntlichkeit "anonymisiert". Wie kann dieses Eigentum dann Quelle von Effektivität sein?

Bemerkenswert ist aber, daß trotz dieser "Anonymisierung - was ja dem Volkseigentum als Grund des Scheiterns nachgesagt wird - in den Einzelbetrieben keineswegs Chaos und Schlamperei herrschen.

Die Rolle, welche die tatsächlichen Eigentümer spielen, reduziert sich darauf, die Ziele der Unternehmen vorzugeben - unter Verhältnissen des Privateigentums nämlich Maximalprofit zu erzielen - und dafür die erforderlichen Personalentscheidungen zu treffen. Mit Hilfe der Aufsichtsräte - als Herrschaftsgremien der Eigentümer/Aktionäre - werden die eigentlichen Organisatoren der Unternehmen, nämlich die Vorstände, bestimmt, von denen erwartet wird, daß sie im Sinne der Zielsetzung - Profitmaximierung - die Unternehmen planen und leiten.

Das ist der Hintergrund dafür, daß z. T. exorbitante Managergehälter gezahlt werden, bis in zweistellige Millionenbeträge als Jahresgehälter. Denn die tatsächlichen Eigentümer verfügen in der Regel überhaupt nicht über die Fähigkeiten, große Unternehmen zu führen oder die wissenschaftlich-technischen bzw. die betriebswirtschaftlichen Prozesse zu beherrschen. Vielfach sind es auch nur die Erben der ursprünglichen, vielleicht damals tatsächlich sehr befähigten Unternehmensgründer. Sie müssen sich also solcher personeller Kapazitäten bedienen und an das Unternehmen binden, die den Eigentümern höchstmöglichen Profit sichern. Die Manager sind sozusagen die beauftragten, willfährige Vollstrecker des Profitstrebens der Eigentümer - die dann selbst öffentlich gar nicht mehr in Erscheinung treten.

Das Problem besteht darin - der Kapitalismus hat diesbezüglich jahrhundertelange Erfahrungen gesammelt - Manager und Mitarbeiter so an das Unternehmen zu binden, daß sie sich praktisch mit diesem identifizieren und so ein eigenständiges (nicht-juristisches) "Eigentümerbewußtsein" entwickeln. Ich verwende hierfür gern den Begriff "Quasi-Eigentum". Diese "Quasi-Eigentümer" denken, entscheiden und handeln dann so, als wären sie selbst Eigentümer, obwohl sie es juristisch nicht sind.

Aber auch "einfache" Arbeiter und Angestellte werden geschickt eingebunden in die Arbeit der kapitalistischen Unternehmen und sind durchaus bereit, sich initiativreich und auch opferbereit für "ihr" Unternehmen einzusetzen. In gutgehenden, also profitablen Unternehmen haben auch die "kleinen" Mitarbeiter Chancen, angemessene Löhne und Gehälter zu erlangen, auch wenn diese mitunter erst hart erstritten werden müssen. Geht es dagegen den Unternehmen schlecht, sind sie zu manchen Zugeständnissen bereit, verzichten teilweise auch auf Lohn, aus Angst, sonst ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Man kann durchaus davon reden, daß eine gewisse Interessenübereinstimmung hergestellt werden konnte zwischen Eigentümern und den "Quasi-Eigentümern", Managern wie Arbeitern. Das Bindeglied dieser Interessenübereinstimmung ist ganz offensichtlich der Profit. Für die Eigentümer ist er das alles entscheidende Ziel der Unternehmung; aber die Mitarbeiter partizipieren - wenn auch in höchst unterschiedlichem Maße - an dem Profit. Hier mag es Protest geben, weil zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten ja niemals übereinstimmende Interessen bestehen können. Ich sehe das aber ganz pragmatisch. Solange auch die Arbeiter ihren gesicherten Arbeitsplatz und auskömmlichen Lohn bekommen, werden sie nicht so ohne weiteres bereit sein, ihre "Ausbeuter" davonjagen zu wollen, also sich nicht den Ast absägen wollen, auf dem sie sitzen. Das Gefühl, ausgebeutet zu werden, ist zumindest in entwickelteren kapitalistischen Ländern praktisch kaum noch vorhanden. "Ausbeutung" hat weitgehend den Charakter von physisch und seelisch schmerzhafter, lebensbedrohender Schufterei verloren, wie wahrscheinlich viele Menschen den Begriff auch heute noch deuten. ("Ausbeutung" im Sinne von Aneignung fremder Arbeit bzw. von Naturressourcen ist natürlich weiterhin wesentliches Merkmal kapitalistischer Produktionsverhältnisse.)

Zu unterstreichen ist nochmals, daß es wichtig ist zu unterscheiden zwischen den eigentlichen (juristischen) Eigentümern und den tatsächlich aktiven Organisatoren der wirtschaftlichen Prozesse in den Unternehmen, also den Managern wie Arbeitern, den Ingenieuren und Technikern, den Marketingund sonstigen Spezialisten. Es ist deshalb ein verhängnisvoller Trugschluß, dem Privateigentum derartige sagenhafte Fähigkeiten zuzusprechen, was in Wirklichkeit "nur" eine Frage einer geschickten Organisation der betrieblichen Reproduktionsprozesse ist.

Davon ausgehend sehe ich nicht den geringsten Grund, nicht auch im Rahmen eines (angeblich so "anonymen") Volkseigentums Bedingungen zu schaffen, daß die Werktätigen sich voll als "Quasi-Eigentümer" fühlen und entsprechend handeln. Mehr noch. Auf dieser Basis können sie sogar noch enger an das Eigentum gebunden werden, sie müssen keine Ängste ausstehen, rausgeschmissen zu werden, weil die hohen Herren um ihre Profite bangen, oder davor, noch mehr Arbeitshetze ausgeliefert zu werden. Das Volkseigentum hat darüber hinaus einen noch viel größeren Spielraum, die ergiebigsten und nützlichsten Methoden der Wirtschaftsführung zu entwickeln, als jedes auf Privateigentum basierende System. Man ist nicht durch Begehrlichkeiten und Sonderrechte der Einzelunternehmer gezwungen, Rücksicht zu nehmen.

Dr. Peter Elz

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Lohn, Preis und Profit heute

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Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Ökologie - ein Feld im Klassenkampf

Die Linkspartei meint: "Ökologie ist die beste Sozialpolitik!" Bei der SPD-Führung heißt es, sie wolle Widersprüche zwischen Umweltschutz und "Arbeit" überwinden, CDU und FDP glauben an "mehr unternehmerisches Engagement" auf diesem Politikfeld. Die Grünen wiederum sehen in ökologischen Verfahrensweisen "Treibsätze für Wirtschaftswachstum und Wohlstand". Lediglich die AfD leugnet die Gefahren von Klimawandel und Umweltzerstörung, lobt Dieselantriebe und lehnt erneuerbare Energien ab. Deutschland gehört heute zu den wenigen Ländern, in denen die öffentliche Meinung den Umweltschutz-Gedanken mehrheitlich positiv bewertet. Deshalb gibt es hierzulande zahllose verschiedene Umweltgruppen, Bürgerinitiativen, Modellversuche, alltägliche nützliche Kleinarbeit, Innovationsideen und Projekte, von manchem als "bürgerliches Engagement" ebenso gepriesen wie die ehrenamtliche karitative Arbeit im Sozialbereich.

Die Umweltwissenschaft befaßt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Mensch, Fauna, Vegetation, Klima, Hydrologie, Böden und Bodenschätzen. Alle Lebewesen sind vom Gebrauch begrenzter Ressourcen abhängig. Der Mensch konnte seine unmittelbare Abhängigkeit zwar durch Wissenschaft und Technologie verringern, bleibt aber auf die künftige Verfügbarkeit der materiellen Lebensgrundlagen angewiesen. Auch vermag er es nicht, elementare Naturgewalten zu kontrollieren. Das noch im 19. Jahrhundert gepriesene Denken in immer größeren Maßstäben ist der Sorge um unsere Zukunftsfähigkeit gewichen.

Heute ist die Nachhaltigkeitsforschung ein unverzichtbarer Hoffnungsträger: Dabei geht es um die vorausschauende Erkenntnis der Konsequenzen und Wechselwirkungen wirtschaftlicher und technologischer Aktivitäten mit dem Ziel sparsamen Verbrauchs, Recyclings und anhaltender Nutzbarkeit. Alle Wissenschaftszweige müssen die Entwicklung neuer umweltschonender Energiequellen, Landwirtschaft, Werkstoffe und industrieller Produktionsmethoden forcieren. Einerseits bieten Cyber-Technik und globale Vernetzung beste Voraussetzungen einer weltweiten ökologischen Bestandsaufnahme des Planeten und der Gewichtung seiner verschiedenen Bedrohungen. Andererseits erfordern konkrete Maßnahmen gegen die gefährlichsten, tendenziell irreversiblen Umweltschäden eine international abgestimmte solidarische Regulierung der Weltwirtschaft, also eine soziale umweltpolitische Planwirtschaft.

Es gibt Probleme, die vorwiegend global, zwischenstaatlich, national oder regional lösbar sind. Und es gibt Probleme unterschiedlicher Tragweite und Brisanz. Das könnte bei der Festlegung von Prioritäten bei ökopolitischen Entscheidungen zum Hauptkriterium werden. Zugleich muß jeder dadurch eintretende Verlust existenzsichernder Arbeitsplätze oder Handelssegmente lokaler wie nationaler Standorte vorausplanend aufgefangen werden. Unsozialer, privilegierender und repressiv-diskriminierender Umweltschutz schafft neue Probleme für die wachsende Weltbevölkerung und diskreditiert die unerläßliche Sicherung unserer Lebensgrundlagen.

Während die Konzerne gern auch mittels Werbetrommel und Mode-Trends ihre Angebotspalette mit profitablen ökologischen Wirtschaftssegmenten ergänzen, integrieren sie diese aber in den Strudel des Konzentrationsprozesses einer globalisierten agrarindustriellen Massenproduktion. Gefördert von Regierungen als willigen Handlangern des neoliberalen Kapitalismus: Ihre ökologischen Vorzeigeprogramme wie die "energetische Sanierung" sind Konjunkturprogramme, deren Kosten allein der Bevölkerung aufgebürdet werden. So setzt sich die Ausbeutung des Planeten und seiner Bewohner unbeirrt fort: Steigende Energie- und Rohstoffverschwendung, das Anheizen maßloser Konsumabhängigkeit und des privaten Automobilverkehrs, zerstörerische, vom Wachstumszwang getriebene Konkurrenzkämpfe, der rücksichtslose Gebrauch auch umweltschädlichster Mittel zur Profitmaximierung bewirken die flächendeckende Zerstörung und Vergiftung von Nahrung, Böden, Luft und Wasser, sogar einen Klimawandel.

Mahatma Gandhis Fazit: "Die Welt hat genug für die Bedürfnisse aller, aber nicht genug für einiger Leute Gier." Unter den Rahmenbedingungen der kapitalistischen freien Marktwirtschaft ist eine nachhaltige Ökologie nicht möglich. Umweltschutz ist deshalb auch Klassenkampf. Klassengegensätze gibt es gerade auch auf ökologischem Gebiet: Parkvillen für "gesunden nachhaltigen Wohnkomfort" hier und Slum-Hütten dort, Bio-Champagner einerseits und schadstoffbelastete industrielle Massennahrung andererseits, Luxuskarossen und überfüllte Pendlerzüge, Export von EU-Schlachtabfällen in Hungerländer und "Vermaisung" für "Bio-Diesel". Die Öko-Schikkeria läßt Premium-Kaffee mit Segelschiffen (für den Preis von 15 Euro pro Pfund) in Hamburg anlanden. Für das Volk gibt es von den Wirtschafts-Lobbyisten noch das "Green-Washing", z. B. die VW-Abgastests, welche die Harmlosigkeit von Dieselautos beweisen sollen, oder den "Nachhaltigkeitspreis der Deutschen Unternehmer-Initiative Energieeffizienz" für Studenten, die eine Handy-App zum Vortemperieren gebuchter Hotelzimmer erfunden haben. Die Umweltwissenschaft ist von einer vollständigen Kenntnis und der Lösung aller komplexen Probleme noch weit entfernt. Täglich neue Erkenntnisse erschweren dabei die Entwicklung einer wirksamen politischen Umweltstrategie, lassen Spielraum für kollektive Ängste, für Irrationalismus und Subjektivismus umweltpolitischer Ideologismen, kontraproduktive Irrwege, Täuschungen und eigennützige Instrumentalisierung. Eine fundierte marxistische Umwelt-Strategie gibt es nach meiner Kenntnis bislang noch nicht.

Ziele sozialistischer internationalistischer Umweltpolitik wären z. B die globale Verteilungsgerechtigkeit gesunder Ernährung; Konsumbedarf-Standards, die soziale Teilhabe sichern; freie ÖPNV-Mobilität; ökologisch unbedenklicher und bezahlbarer Wohnraum; gute medizinische Versorgung für alle; gesunde Atemluft; intakte Naturräume; strafrechtliche Verbote umweltschädlicher Produktions-, Konsum- und Wirtschaftsweisen. Friedenspolitik muß die militärische Verwüstung ganzer Landstriche verhindern. Auch in der Ökologie geht es um den Kampf um unsere Zukunft - im Sozialismus oder in der Barbarei.

Jobst-Heinrich Müller

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Dialektik der Natur

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LUTZ JAHODA: LUSTIG IST ANDERS ...

Der schutzmachthörigen Vasallenpresse
die lebenserhaltende Hinweisadresse,
aber auch als siebten Sinn
zugeeignet der Kanzlerin

Nicht der Russe bedroht den Frieden.
Es ist die Gemeinschaft der perfiden
Unruhestifter und Verächter,
Wortverdreher, Menschenschlächter,
mit den rotweißen Streifen und Sternen
in Unschuldsweiß auf tiefblauem Grunde.
Ihr solltet aus der Geschichte lernen:
Selbst Rom ging eines Tags vor die Hunde!

Aus Lutz Jahoda / Reiner Schwalme:
Lustig ist anders, Norderstedt 2017



Guantánamo-Verträge
fristlos kündigen!

Ich würde es begrüßen, wenn die
kubanische Regierung so souverän
wäre, die Guantánamo betreffenden,
ihr aufgezwungenen Mietverträge mit
den USA als sittenwidrig fristlos zu
kündigen und die dort stationierten
US-Bürger unverzüglich des Landes
zu verweisen. Das in Guantánamo
stationierte US-Foltergefängnis ist
- notfalls mit polizeilicher Gewalt -
zu räumen. Die Gefangenen sind
in Schutz zu nehmen und in neuen,
rechtsstaatlichen Verfahren unter
Achtung ihrer Menschenrechte und
Menschenwürde zu vernehmen,
vor allem aber im Falle erwiesener
Unschuld zu rehabilitieren und in jedem
Falle für die erlittenen Folterqualen
optimal zu entschädigen.
Die US-Folterknechte sowie die
US-Behörden, auf deren Anweisung
oder mit deren Duldung sie gegen
die Menschenrechte der Gefangenen
verstoßen haben, sind zugleich ihrerseits
vor Gericht zu stellen und einer
gerechten Strafe zuzuführen.

Theodor Weißenborn

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John Lennons FBI-Akte

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WANDERUNGEN DURCH WESTDEUTSCHLAND (4)

Trommelfeuer zwischen Autos

Aufgewachsen in Westdeutschland, bis in die 70er Jahre unterrichtet von Nazi-Lehrern, belegt mit Ausbildungsverbot, entdeckt der Verfasser negative, aber auch positive Seiten an diesem Land. In loser Folge berichtet er über Entdeckungen auf seinen Wanderungen durch Westdeutschland.

Auf steilen Pfaden erklimmt der Wanderer den Schwarzwald. Das deutsche Pendant zu den französischen Vogesen - Mittelgebirge rechts und links des Rheins - war in den vergangenen Jahrhunderten wie viele bewaldete Gegenden eine Region bitterer Armut. Von hier gingen Aufstände im Bauernkrieg aus, von hier flohen im neunzehnten Jahrhundert viele vor dem Hungertod nach Übersee ins "gelobte Land" Nordamerika. Etliche Kommunen unterstützten die Auswanderung finanziell, entledigten sie sich doch dadurch der Ärmsten.

Einer der Berufe, die arme Familien halbwegs über Wasser halten konnten, war der des Köhlers. Tief im Wald wurden Meiler aufgeschichtet, und der Köhler mußte nahebei in einer Hütte wohnen, um den Zustand des Schwelbrandes jederzeit kontrollieren und regeln zu können. Die erzeugte Kohle und Pottasche fand unter anderem in der Glasherstellung Verwendung.

Mit Schiffbau in den Niederlanden und dem Aufkommen der Dampfmaschinen stieg der Holzverbrauch drastisch an. Innerhalb weniger Jahre wurden ganze Wälder abgeholzt, so auch der später so genannte Schwarzwald, der ursprünglich noch ein heller Mischwald mit vielen Laubbäumen war. Um rasch wieder neues Holz ernten zu können, wurden in Monokulturen schnell wachsende Fichten gepflanzt, die durch ihr dunkles Kleid der Gegend ihren Namen gaben.

Welcher Übersee-Tourist kennt nicht die Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald? Ursprünglich wurden sie nur aus Holz gefertigt, dann mit metallenem Innenleben, und mit der Zeit boomte die Uhrenindustrie in der strukturschwachen Gegend. Eines von mehreren Uhrenmuseen steht in Schramberg im mittleren Schwarzwald.

Den Wanderer zieht es jedoch eher in die unteren Räume des Gebäudes, das eine ziemlich einzigartige Sammlung von Fahrzeugen und skurrilen Gefährten der Nachkriegszeit beherbergt. Das Museum trägt den sinnigen Namen "Erfinderzeiten".

Museen sollten die jeweilige Geschichte zeit lich distanziert und mit Hang zur Wahrheit zeigen. Doch wie an vielen Orten wurden auch in Schramberg bei der Beschriftung etlicher Exponate die ideologischen Scheuklappen angelegt. Zum Trabant-Vorläufer P70 lautet die Erklärung auf der zugehörigen Tafel: "(...) Hergestellt wurde das Duroplast aus Baumwolle, Lumpen und Phenolharz. Tiefziehblech war einst in der DDR Mangelware. Der Besitz eines Privat-PKWs war ideologisch bedenklich und ein unzulässiger Luxus. Erst nach dem Arbeiteraufstand von 1953 gab das Politbüro die Produktion frei. Vorbild war der (westdeutsche, H. D.) Lloyd 400. Preis Ostmark 7650,-"

Zu einem Krause-Motorroller von 1958 heißt es: "(...) Krause kam als Privatbetrieb anfangs ganz ordentlich durch die sozialistischen Zeiten. Der Betrieb lief gut, doch es durfte ideologisch nicht sein. 1972 wurde auch Krause verstaatlicht und zu einem VEB-Betrieb umgewandelt." Abgesehen vom Mangel an ordentlichem Deutsch kann der Wanderer dem Texteverfasser auch geistige Ladehemmung bescheinigen.

Dazu passen die nebenan aufgehängten zeitgenössischen Plakate: "Schlußstrich drunter! Schluß mit Entnazifizierung, Entrechtung, Entmündigung (...) - wählt FDP!" und "Wer sperrt die Grenzen? Die Kommunisten! Der Weg der SPD führt zur Einheit in Freiheit". Das sind Plakate, wie sie der Wanderer aus seiner westdeutschen Kindheit kennt. Ein Plakat der KPD sucht er jedoch vergebens in Schramberg.

So interessant die Sammlung ist, so atmet sie doch den dumpfen Geist der Adenauer-Ära. Der Wanderer hält sie dennoch für empfehlenswert. Denn sie zeigt neben äußerst seltenen Nachkriegsfahrzeugen und Einzelstücken, wie über 70 Jahre ideologisches Trommelfeuer bei manchen nicht ohne Wirkung geblieben ist.

Hans Dölzer

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Zur sozialen Aufgabe der Literatur

Der Schriftsteller als Sprecher der Sprachlosen

Ich bin nicht Robinson. Ich lebe in einer Gemeinschaft unter Menschen, und Wirklichkeit ist für mich nicht ein Gegenstand privater Entdeckerfreude, unverbindlichen ästhetischen Vergnügens oder gar interesselosen Wohlgefallens, sondern die gesellschaftliche Realität, in der ich lebe. Greifen wir einen konkreten Bereich aus dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit heraus: die Welt des psychisch Kranken.

"Wie kommt es", so hat man mich gefragt, "daß Sie gerade diesen Bereich zu einem Hauptthema Ihrer literarischen Arbeit gemacht haben? Warum schreiben Sie über Außenseiter?"

Vorab: Ich habe den Außenseiter nicht erfunden, weder das Wort noch die Sache - beides finde ich vor. Es ist mir Vorwurf im doppelten Sinn des Wortes, und diesen Vorwurf greife ich auf.

Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, auch einige Politiker haben den Teufelskreis erkannt, in dem unsere gesellschaftlichen Einrichtungen die Übel, die zu beseitigen sie beauftragt sind, fortlaufend in sich selbst erzeugen. Man weiß das, und wenn es dennoch dabei bleibt, so deshalb, weil die Verantwortlichen keinem Leidensdruck ausgesetzt sind und somit keinen Handlungsbedarf sehen. Aber nein! Man hat - fast hätte ich's vergessen - enorme Fortschritte gemacht: in den geschlossenen Abteilungen der Universitäts-Nervenkliniken und in den psychiatrischen Landeskrankenhäusern hat man die unschönen und für jedermann sichtbaren Gitterstäbe vor den Fenstern durch unzerbrechliche Glasscheiben, durch Panzerglas, ersetzt. Wer hätte derlei vor 500 Jahren auch nur zu denken gewagt! Auch Klimaanlagen wurden installiert, Zwangsjacken ausgemustert und durch Fixationsbetten ersetzt, und vorbei sind die Zeiten, in denen Patienten Tüten klebten - heute sortieren sie kleine Elektroteile für die Firma Siemens. In den Niederlanden, in der Provinz Amsterdam, wurde der Elektroschock als Körperverletzung gänzlich verboten. (Inzwischen wurde er freilich wieder erlaubt, und zwar mit Rücksicht aufs Pflegepersonal, damit auf der Station mehr Ruhe herrscht.)

Was die Profitmaximierung der Pharmaindustrie betrifft - man denke dabei auch an die vielen Arbeitsplätze, ähnlich wie in der Tabakindustrie! - so wird zwar gelegentlich die eine oder andere "chemische Keule", ein Psychopharmakum wie etwa Lepronex oder Haloperidol, die zum Nierenversagen führen, aus dem Handel gezogen, gelangt aber alsbald in etwas anderer Zusammensetzung und unter anderem Namen wieder auf den Markt. Und sollte es einmal ganz kraß kommen, etwa wenn Medizinstudenten, die im Landeskrankenhaus Zwiefalten praktiziert haben, berichten, daß dort 30 von 100 Patienten keinen eigenen Waschlappen haben, so genügt es, wenn die Verantwortlichen sagen: "So etwas gibt es einfach nicht!"

Der Außenseiter ist eine Kategorie der Verdrängung, das lebendige Denkmal gescheiterter Integration, Sand im sozialen Getriebe, denn die zivilisierte Gesellschaft ist vornehmlich damit beschäftigt, ihr Image zu pflegen. Sie verbannt die Obdachlosen ins Asyl und die psychisch Kranken hinter Panzerglas - an die Peripherie der Städte, ins landschaftlich idyllische Abseits, ins Aus. Der städtische Rasen bleibt sauber.

Dies der sozialpathologische Befund - Stachel im Fleisch und semesterfüllendes Thema für kritisch engagierte Literaten.

Bei Beherzigung des Satzes von Ernest Hemingway, der Schriftsteller solle nur über das schreiben, was er kennt, ist es daher nur folgerichtig, wenn Autoren ihren Platz am Schreibtisch verlassen und in die Institutionen gehen, um konkrete Kenntnis von den Vorgängen in dieser Gesellschaft zu erlangen, daß sie gerade die hinter Mattglas und Panzerglas und Gitterstäbe verdrängten unschönen, bedrückenden und beschämenden Inhalte in das öffentliche und private Bewußtsein zurückholen, um auf diese Weise eine Grundvoraussetzung für die kollektive praktische Bewältigung dieser Inhalte zu schaffen. Dies eben, das Bewußtmachen des Verdrängten, halte ich für die soziale Aufgabe einer Literatur, die sich als gesellschaftliche Einrichtung versteht und bejaht: Aufklärung (oder modischer: Information) und damit permanente Therapie des chronisch an Verdrängungen leidenden öffentlichen und privaten Bewußtseins.

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten habe ich auf Einladung Sozialpolitischer Arbeitskreise wiederholt in Universitäts-Nervenkliniken, so in Düsseldorf, Erlangen, Tübingen und andernorts, meine Krankheitsbeschreibungen vorgetragen und mit Patienten, Pflegern und Medizinern über meine Texte diskutiert. Dabei zeigte sich, daß die poetische Darstellung leidvoller seelischer Vorgänge dem Hörer Identifikationserlebnisse ermöglicht und dazu beitragen kann, ihm seine eigene gesellschaftlich bedingte oder doch gesellschaftlich mitbestimmte Situation durchsichtig zu machen und ihm Entstehung und Verlauf seiner Krankheit zu deuten.

Der medizinische Fachjargon beschreibt den Patienten als "Fall", eher wie ein Abstraktum denn als lebendigen Menschen, und das medizinische Lehrbuch liefert, mehr oder weniger korrekt, nur die rational zugänglichen, meßbaren Fakten, während die poetische Rede den Bereich des Arationalen erschließt und zugleich die aus ihm sich aufdrängenden Emotionen allererst bewußt und benennbar macht. Dabei ist der Autor, das sprachliche Medium, sowohl Fürsprecher als auch Dolmetscher oder Interpret des Patienten. Denn der Patient selbst, gerade er als der doch primär Betroffene, ist oft gar nicht in der Lage, seine Ängste und Nöte wie auch seine Wünsche und Sehnsüchte zu artikulieren, sei es aus Scham, sich seelisch bloßzustellen, sei es aus Furcht vor Spott oder moralischer Einschüchterung oder weil die seelischen Verletzungen, die er erlitten hat, so entsetzlich sind, daß das Erlebte ihm schlicht die Sprache verschlagen hat. Der Schriftsteller kann dann wie ein Schauspieler die Rolle des Patienten übernehmen, sich in ihn hineinversetzen und aus seiner, des Patienten Sicht alles das zur Sprache bringen, was dieser selbst nicht sagen kann oder verschweigen will.

Dies wird um so mehr gelingen, je besser der Autor sein Handwerk, vor allem die Erzähltechnik des inneren Monologs, beherrscht, je vielfältiger und genauer seine Menschenkenntnis ist und je weiter seine soziale Phantasie reicht, so daß er womöglich auch in schwierigen Fällen anhand nur spärlich zugänglicher Daten die verborgenen seelischen Vorgänge erschließen kann. Korrektiv für die Verbindlichkeit, die Authentizität oder die Wahrheit einer solchen Literatur ist dabei stets die als Erkenntnisziel vorgegebene objektive Realität, denn mit Recht fordern wir vom Schriftsteller wie von jedermann, daß er nicht lüge, und von dem, was er schreibt, daß es den wahren Sachverhalt zeige.

Während ich dies schreibe, sitzt der schwachsinnige Knecht eines Bauern vor der Schuppentür auf der Erde, schneidet Bilder aus alten Illustrierten und verwahrt sie in einem Karton. Vor einem halben Jahr haben die Ärzte seinen Kehlkopf entfernt. Er sammelt Bilder von Prinzessin Maxima. Er wiegt noch hundert Pfund. Manchmal zeigt er mir die Bilder. Er krächzt. Er küßt die Bilder. Er lächelt. Er kann nicht sprechen. Er hat nie schreiben gelernt. Er hat nie sprechen können.

Ich werde nicht arbeitslos.

Theodor Weißenborn

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George Grosz zum 125.

Revolte gegen Obrigkeit, Spießbürger, Kriegstreiber

Grosz, geboren am 26. Juli 1893 als Georg Ehrenfried Groß in Berlin, gehört zu den einflußreichsten Bildenden Künstlern Deutschlands des vorigen Jahrhunderts. Satirische Schärfe und ein antimilitaristisches, politisch Partei nehmendes Bekenntnis zeichnen seine grafischen Blätter, Malereien und Karikaturen aus. Im der künstlerisch offenen Liberalität der Weimarer Republik erreichte der junge Grosz früh Beachtung und Erfolg. Er gab den bedrückenden menschlichen Abseitigkeiten, dem sittlichen Verfall im Nachkriegselend der 20er Jahre Gestalt, geißelte die sozialen Gegensätze zwischen Arbeit und Kapital, attackierte schonungslos die moralische Verderbtheit in Klerus, Großbourgeoisie und Offiziersclique. Als er 1933 unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung floh und in die USA emigrierte, war er einer der ersten, dessen Werk im Nazireich verboten, vernichtet und als "entartet" beschimpft wurde. Erst zwei Jahre vor seinem Tod, 1957, kehrte der deutsch-amerikanische Grafiker, Maler und Bühnenbildner George Grosz - nunmehr auch international anerkannt als Künstler und Hochschullehrer - in seine Heimatstadt Berlin zurück. Zeitlebens blieb er einer politisch-realistischen Kunst verpflichtet.

Kunsthistoriker ordnen George Grosz als einen führenden Vertreter der "Neuen Sachlichkeit" ein, jener die europäische Nach- und Zwischenkriegszeit ab 1918 bezeichnenden neuen Stilrichtung. Sie gewann schnell und nachhaltig an Einfluß, denn sowohl der realitätsferne Avantgardismus als auch die traditionalistisch idealisierende Bildsprache hatten sich als untauglich erwiesen, die tief zerklüftete, gebrochene neue Lebenswelt zu interpretieren. Ein kühler Blick, eine von Illusionen befreite Besinnung auf das Wirkliche prägte die Darstellungsweise der "Neuen Sachlichkeit". Doch fällt es schwer, die Bilder eines George Grosz in die Schublade "sachlich objektivierend" zu stecken. Denn jedes der Blätter, Tafeln oder Pressezeichnungen erschreckt den Betrachter wie ein schriller Protestschrei: Lüge! Abscheu! Inferno!

Der Kriegsteilnehmer Georg Groß hatte sogar seinen Namen anglifiziert, um sich noch schärfer gegen nationalistische Kriegshetze abzugrenzen. Besser als mit "Neue Sachlichkeit" ist der Rebell George Grosz wohl mit Dadaismus charakterisiert. Dada steht als künstlerische Richtung für geistige Revolte und radikale Demontage der bestehenden bürgerlichen Ideen und Normen. Zusammen mit dem Plakatkünstler John Heartfield und dem Schriftsteller Wieland Herzfelde hat George Grosz die später berühmte Berliner Dada-Szene begründet. Aufgrund der bildnerisch gestalteten sowie provokatorisch gelebten Rebellion gegen Obrigkeitsstaat, Spießbürgertum und Militarismus ergab sich für George Grosz folgerichtig die revolutionäre Aktion. Er bekannte sich zu den Zielen der Novemberrevolution 1918 und wurde Gründungsmitglied der KPD. In der darauffolgenden, fruchtbaren Schaffensperiode wandelte sich die Programmatik seiner Arbeiten vom satirisch-provokanten Protest zur Kunst im Dienst der kämpfenden Arbeiterklasse.

Im Unterschied zu den frühen dadaistischen Bildern mit Kneipen-, Straßen- und Großstadtszenen schuf Grosz nunmehr kämpferische Darstellungen des politischen Gegners. Sehr eindringlich zeigt dies sein Gemälde "Stützen der Gesellschaft": Pfaffe, Offizier, Professor, dazu ein rangniederer Reservist als williger, gläubiger Mitläufer und eine Hure als willfähriges, demoralisiertes Subjekt. 1922/23 gab der Malik-Verlag Grosz' Arbeiten als gebundene Bildermappe unter dem Titel "Ecce homo" ("Siehe da, der Mensch") heraus. Sie umfaßte Aquarelle, Zeichnungen und Gouachen, die in den Jahren 1915 bis 1922 entstanden waren. "Kantige stumpfsinnige Militärschädel, dekadente Oberschichtbohemiens, lüsterne Finanzmagnaten, halbnackte Prostituierte, (...) - ein erbarmungsloser Querschnitt vor allem der höheren Gesellschaft" - beschreibt ein Online-Lexikon diese Blätter treffend.

Grosz solidarisierte sich mit den notleidenden Proletarierfamilien, obwohl er selbst als erfolgreicher Künstler mit seiner Familie im noblen Berliner Stadtteil Wilmersdorf lebte. Eine Studienreise in Begleitung des Schriftstellers Maxim Gorki führte George Grosz 1922 für fünf Monate in die junge Sowjetunion. Doch die dort gewonnenen Eindrücke überzeugten den radikalen Freiheitskämpfer George Grosz nicht. Sei es aus Enttäuschung über die schlechten Lebensverhältnisse der arbeitenden Massen im krisengeschüttelten Sowjetland, sei es aus anderen Gründen, wandte sich der Künstler vom sowjetrussischen Modell der Revolution ab und verließ die KPD. Seine Parteinahme für die ausgebeuteten und entrechteten Arbeiter, sein Eintreten gegen den Krieg blieben davon jedoch unberührt.

Die Exiljahre in den USA brachten eine Rückbesinnung auch auf "zartere", dekorativere Themen wie Stilleben, Porträts und Landschaften. Der Emigrant mußte seinen Broterwerb organisieren und tat dies mit dem Vermarkten von gut verkäuflichen Bildern wie auch als Hochschullehrer. Weltgeltung in der Geschichte der Bildenden Kunst jedoch hat George Grosz mit seinem revolutionären Kämpfertum erlangt.

Marianne Walz

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Mordsache Helmut Just

Eine Schneedecke lag über Berlin. Tausende füllten an diesem kalten 5. Januar 1953 den Gendarmenmarkt, dessen Ruinen immer noch von einstiger architektonischer Schönheit kündeten und der inzwischen Platz der Akademie hieß. Sie nahmen Abschied von einem jungen Volkspolizisten, dessen tragischer Tod wenige Tage zuvor manchem in Erinnerung brachte, wie explosiv die Situation in der gespaltenen Stadt war. Ein Trauergeleit, das sonst nur für Staatsbegräbnisse vorgesehen war, brachte die sterbliche Hülle des Unterwachtmeisters nach Friedrichsfelde.

Es geschah am 30. Dezember 1952. Die schlecht beleuchteten Straßen von Berlin-Prenzlauer Berg lagen im Nebel. Gegen 20.45 Uhr begab sich der Unterwachtmeister Helmut Just zum Kontrollpunkt auf der Behmbrücke, die in den französischen Sektor führte. Eigentlich hatte er gar keinen Postendienst. Er war für einen Kollegen eingesprungen, erreichte den Kontrollpunkt aber nie. Zwei Schüsse aus nächster Nähe trafen ihn von hinten in den Kopf. Jede Hilfe kam zu spät. Noch auf dem Weg in das Krankenhaus verstarb Just.

Der 19jährige war in Berlin-Karlshorst aufgewachsen und zur Schule gegangen. Seine Mutter arbeitete in einer Wäscherei, der Vater in einem Kraftstoffwerk in Rummelsburg. Die Leidenschaft des heranwachsenden Helmut gehörte dem Boxen. Er galt als hoffnungsvolles Nachwuchstalent. Der hilfsbereite Junge war bei Nachbarn und Kollegen beliebt. Erst wenige Monate zuvor hatte er seine Malerlehre abgeschlossen und sich im Sommer zum Polizeidienst gemeldet.

Im Osten Berlins ordnete man die Tat Agentenzentralen und Parteien in den Westsektoren zu. In der Tat lag der Verdacht eines politisch motivierten Racheaktes nahe. Presseveröffentlichungen und die öffentliche Trauerfeier am Rathaus Schöneberg heizten die antikommunistische Stimmung an. Besatzungsmächte und Behörden beider Seiten sparten nicht mit wechselseitigen Schuldzuweisungen. Geheimdienstoperationen und Übergriffe hatten in den Monaten zuvor für genügend Konflikte und Mißtrauen gesorgt. Politisch motivierte Angriffe auf Volkspolizisten und Angehörige der Reichsbahn waren damals keine Seltenheit. Der Eisenbahner Ernst Kamith verstarb im November 1952 an den Folgen einer gewaltsamen Polizeiaktion. Der Westberliner Polizeiinspektor Zunker mußte sich deswegen vor dem Moabiter Schwurgericht verantworten. Im Bezirk Magdeburg war im Oktober 1952 der VP-Oberwachtmeister Hans Panneck in einer Gaststätte mit faschistischen Liedern provoziert und anschließend von einem Fleischermeister niedergeschlagen worden. Auch er verstarb.

Keiner der Zeugen half ihm. Im Mordfall Helmut Just konnte aber auch das kriminelle Milieu, das von der Teilung der Stadt, illegalen Warentransfers und Währungsmanipulationen profitierte, als potentieller Täterkreis nicht ausgeklammert werden. Restriktionen ihrer Geschäfte hatten die feindselige Haltung gegen Ostberliner Ordnungskräfte verstärkt.

Die Sonderkommission, die zur Aufklärung des Polizistenmordes am 6. Januar eingesetzt wurde, fand zwar zahlreiche Verdachtsmomente, aber keine der Spuren führte zum erhofften Erfolg. Der offizielle Verdacht ließ sich nicht untermauern. Die Ermittlungen liefen ins Leere. Der von Zeugen benannte tatverdächtige Personenkreis konnte nicht namhaft gemacht werden. Am 16. Februar stellte die Sonderkommission ihre Arbeit ein. Sie hatte zwar Verwicklungen von Gastwirten und VP-Angehörigen in kriminelle Machenschaften nachweisen können, der Mordfall Helmut Just blieb trotz verdeckter Ermittlungen ungeklärt - bis heute.

In der DDR war der Name von Helmut Just auf Straßen und in Einrichtungen allgegenwärtig. Die konkreten Umstände seines tragischen Todes gerieten hingegen mit der Zeit in Vergessenheit. Wenig Sinn für Tatsachen zeigten vor allem diejenigen, die in ihm nach 1989 einen "Mauermörder" zu erkennen glaubten und die Erinnerung an den Vorfall eilfertig aus dem Berliner Straßenbild tilgten. Nur noch das Grabmal auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde, das Steinmetzlehrlinge seines ehemaligen Ausbildungsbetriebes für ihn gefertigt hatten, mahnt zu Nachdenklichkeit.

Gestützt auf einen Bericht von Jürgen Hofmann

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Sie schützten die Botschaften in der DDR

Die Autoren erinnern mit ihrem Buch "Die Sicherheit der Botschaften in der DDR. Über die Arbeit des Missionsschutzes" an fast Vergessenes - an die hohe Einsatzbereitschaft der 1102 Angehörigen des Wachkommandos Missionsschutz (WKM), die in enger Kooperation mit speziellen Bereichen der Spionageabwehr des MfS, für den Schutz, die Sicherheit, die Arbeitsfähigkeit, aber auch für die operative Kontrolle diplomatischer Vertretungen und deren Personal in der DDR verantwortlich waren. Partner für diese wichtigen politischen Aufgaben waren die Protokollabteilung des DDR-Außenministeriums, das Dienstleistungsamt für ausländische Vertretungen (DAV), das Zollamt 1 (Diplomatenzollamt) und die jeweils örtlichen VP-Inspektionen.

Die Autoren erläutern zunächst einige Grundbegriffe des Völker-/Diplomatenrechts und schildern die Geschichte des WKM ab 1965, die aber faktisch in den 70er Jahren erst richtig beginnt. Erinnert sei an den Grundlagenvertrag 1972, die Aufnahme von DDR und BRD in die UNO 1973, die Welle der Anerkennung der DDR, die Schaffung von Ständigen Vertretungen der DDR und der BRD 1974 oder den Helsinki-Prozeß 1975.

In der Anlage sind bisher geheime bzw. nicht bekannte Befehle des MdI und des MfS der DDR sowie wichtige Sicherungsobjekte des WKM zusammengefaßt. In den 80er Jahren wurden aus unterschiedlichen Gründen die Botschaften der UdSSR, der USA und einiger arabischer Staaten, vor allem aber die Ständige Vertretung der BRD zu Schwerpunkten der Schutz- und Sicherungsarbeit des WKM und der MfS-Abteilungen. Aufgezeigt wird, wie nachrichtendienstliche, aber auch allgemein kriminelle Aktivitäten zahlreicher Diplomaten in der DDR durch die unmittelbare Nachbarschaft Westberlins sowie die Privilegien bevorrechteter Personen (Kontrollbefreiung u. a.) stimuliert worden sind.

Für ihre gewissenhafte, stets einsatzbereite und effektive Sicherungsarbeit zum Rund-um-die-Uhr-Schutz von 72 Botschaften, 69 Residenzen, 24 Handelsvertretungen, 24 konsularische Vertretungen und einer ganzen Reihe von Folgeeinrichtungen sowie die enge Kooperation mit speziellen Bereichen des MfS wurde das Wachkommando Missionsschutz der DDR 1984 mit dem Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Gold ausgezeichnet. Die drei Autoren berichten darüber sehr informativ und kenntnisreich. Sie würdigen diese Arbeit mit einem Dankeschön an alle Beteiligten, weil sie halfen, die internationale Autorität der DDR zu stärken.

Es war wohl kein Zufall, daß die größte Polizeidienststelle Berlins ausgerechnet am 3. Oktober 1990 ihren Dienst ohne jegliche Versorgungsansprüche der dort tätig Gewesenen beenden mußte.

Wolfgang Stuchly, Berlin

H.-J. Dahle, L. Fröhlich und B. Tuczek:
Die Sicherheit der Botschaften in der DDR.
Verlag am Park, Berlin 2018, 160 Seiten, 14,99 €

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Produktionsgenossenschaften haben Zukunft

Mit dem Jahr 1989 kam das Ende der LPGs der DDR wie überhaupt aller landwirtschaftlichen Nacheinrichtungen, einschließlich der hocheffektiven Landmaschinenindustrie unseres Landes.

Als ich 1961 in der LPG "Vereinte Kraft" anfing zu arbeiten, bestand diese aus den Bauernwirtschaften der beiden Dörfer Vippachedelhausen und Thalborn und war rund 850 ha groß. 1969 wurde sie mit rund 5000 ha Landwirtschaftlicher Nutzfläche (LN) in der DDR die erste spezialisierte LPG Pflanzenproduktion, in der 750 Mitglieder arbeiteten.

Bemerkenswert ist, was dann 1990, als mit dem "Landwirtschaftsanpassungsgesetz" die LPGs liquidiert werden sollten, geschah.

Wir begannen, ein Konzept zu entwickeln, mit dem es gelang - nun unter kapitalistischen Bedingungen -, auf der Grundlage des Genossenschaftsgesetzes der BRD erneut auf genossenschaftlicher Grundlage zu arbeiten. Nach wochenlanger Diskussion mit den Bodeneigentümern - sie waren ja durch die DDR nicht enteignet worden - kam es zur Bildung einer neuen Produktionsgenossenschaft. Die meisten entschieden sich das zweite Mal für den genossenschaftlichen Großbetrieb auf nun 4000 ha LN. Kaum einer wollte wieder auf Klein-Klein zurück. Heute arbeitet diese Erzeugergenossenschaft sehr erfolgreich und produziert Spitzenerträge auf dem Acker und in der Milchproduktion: bei Weizen 85 dt/ha, auf Teilschlägen sogar 100 dt/ha; Gerste 75 dt/ha, Zuckerrüben 800 dt/ha, Silomais 750 dt/ha, ca. 1500 ha stehen unter Bewässerung. Noch zu DDR-Zeiten wurde dafür ein Staudamm gebaut. Der Betrieb hält 1620 Kühe mit Nachzucht. Die Milchleistung beträgt 9000 kg je Kuh. Eine Biogasanlage liefert rund 10.000 KWh.

So oder so ähnlich verlief die Entwicklung auf dem Gebiet der Landwirtschaft in vielen Einrichtungen der DDR. Ca. 60 % der Ackerfläche werden heute von großen Genossenschaften oder GmbHs bewirtschaftet, die z. T. bis zu 900 ha LN umfassen. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß es für Großbetriebe dieser Art nicht einfach ist, unter den Bedingungen eines entwickelten Kapitalismus in der BRD und der EU zu wirtschaften. Und natürlich ist kapitalistischer Gigantismus nichts anderes als der Weg zur Erlangung von Maximalprofit. Ich denke da z. B. an die riesigen Ölplantagen in Brasilien, in Süd- und Ostasien oder anderswo, auf denen Mensch und Natur gnadenlos ausgebeutet werden.

Vor allem Politiker der "Grünen" favorisieren die Vorstellung, daß eine kleine, arbeitsteilige, ökologisch geförderte familiäre bäuerliche Landwirtschaft ein Heilmittel gegen den Klimawandel und ein Schutz von Nutztieren sei. Natürlich gibt es in Deutschland wie in vielen Ländern der Erde, vor allem in Afrika, Südamerika und Asien, Kleinbetriebe. Doch die Tendenz ist abnehmend. In Moçambique z. B. entwickeln sich bereits genossenschaftliche Formen der Arbeit. Immer mehr Klein- und Mittelbauern freunden sich mit dem Kooperationsgedanken an, denn er entspricht den Interessen der Menschen überall auf der Welt, die den Boden bearbeiten und Sicherheit brauchen.

Eberhard Herr

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BUCHTIPS
- Egon Krenz: China. Wie ich es sehe

China - die neue Bedrohung für die europäischen Wirtschaftsmächte? Ein Land, in dem Korruption an der Tagesordnung ist?

China - die zweitgrößte Wirtschaftsnation unter Führung einer kommunistischen Partei auf dem besten Weg, die Weltmacht USA zu überholen? Land im Aufbruch oder Land des enthemmten Kapitalismus? Diese Fragen beschäftigen auch Egon Krenz. Er kennt China nicht nur aus Zeiten, als er es in politischer Funktion bereiste, sondern ist bis heute regelmäßig zu Gast, zuletzt im Oktober 2017 bei einer wissenschaftlich-historischen Konferenz. Er fuhr, wie jedes Mal, durchs Land, sprach mit Betriebsleitern und Parteifunktionären, mit den neuen Managern der boomenden Industrie, mit Studenten und Bankern, schaute genau hin. Und nimmt für sich in Anspruch, gelernt zu haben, "nicht überheblich gegenüber anderen und neuen Wegen" zu sein. Wie sieht Chinas eigener Weg aus? Wie und zu welchem Preis erreichen die Chinesen ihr selbsterklärtes Ziel, eine "Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand" zu sein?

Edition Ost, Berlin 2018, 160 S., 12,99 €



- A. Groth / N. Paech / R. Falk (Hg.):
Palästina - Vertreibung, Krieg und Besatzung

Wie der Konflikt die Demokratie untergräbt

Seit Israel die palästinensischen Gebiete und Ostjerusalem besetzt hält, werden Palästinenser aus ihren Heimatorten vertrieben, ihrer Rechte und ihres Besitzes beraubt. In diesem Buch werden der Siedlungsbau, die Situation von Kindern in israelischen Gefängnissen, die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Checkpoints und Mauer, die Lage in Gaza, die Rolle der UNO und der Abbau demokratischer Rechte in Israel und Palästina erörtert. Um die öffentliche Debatte der israelischen Menschen- und Völkerrechtsverstöße zu verhindern, werden in Europa mit haltlosen, teilweise grotesken Antisemitismusvorwürfen Kampagnen gegen Veranstaltungen, Personen und Publikationen wie den "RotFuchs" geführt. Insofern geht es auch um Meinungsfreiheit und Demokratie bei uns.

PapyRossa-Verlag, Köln 2018, 284 S., 16,90 €


- Eyal Sivan, Armelle Laborie: Legitimer Protest
Plädoyer für einen kulturellen und akademischen Boykott Israels

Im Juli 2005 startete die palästinensische Zivilgesellschaft einen Aufruf für den Boykott des israelischen Staates auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene. Dieser Protest soll mithelfen, jahrzehntelange Forderungen der palästinensischen Bevölkerung durchzusetzen, nachdem unzählige Resolutionen der UNO gegen Israel wirkungslos geblieben waren. Es geht um ein Ende der Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten, eine rechtliche Gleichstellung der arabisch-palästinensischen Bürger Israels und das Recht auf Rückkehr für die vertriebenen Palästinenser. Eyal Sivan und Armelle Laborie berichten über den erfolgreichen Boykott israelischer Forschungs- und Kultureinrichtungen durch immer mehr internationale Wissenschaftler und Künstler. Sie setzen sich aber auch mit dem Gegenangriff der israelischen Seite auseinander, die mit ganzer Kraft den Versuch einer Delegitimierung und Kriminalisierung der Boykottbewegung betreibt.

Promedia-Verlag, Wien 2018, 184 S., 17,90 €

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Karl Nendel - General der Mikroelektronik

Als ich mich mit dem ehemaligen Direktor des ZFTM Dresden, Prof. Dr. Ulf Gottschling, zur Wertung dieses Buches austauschte, waren wir uns einig: Gelungen. Ein Stück DDR-Geschichte im Blickpunkt der eigenen Entwicklung vom Schlosser und Elektriker bis zum Staatssekretär und Regierungsbeauftragten nachhaltig aufgearbeitet. In der Reihe der "Rohnstock-Biografien" nimmt die Autobiographie von Karl Nendel einen bedeutenden Platz ein - ebenso wie die Bände von "Jetzt reden wir" ehemaliger Generaldirektoren von Industriekombinaten der DDR.

Karl Nendel beschreibt nicht nur seinen beruflichen, klassenbewußten Weg von der Braunkohle bis zum Staatssekretär im Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik - nein, er zieht eine klare und nüchterne Bilanz der Entwicklung der Mikroelektronik in der DDR. Vor dem Hintergrund vieler Schwierigkeiten, Devisenhandel und Embargopolitik inbegriffen, zeigt Nendel die Mühen auf, in der internationalen Entwicklung der Computertechnologien mitzuhalten.

Wer mit Karl Nendel zusammenarbeitete, weiß, daß seine Durchsetzungskraft - beispielgebend für einige -, aber auch manchmal "zu hoch" angesetzt war. Am Schluß jedenfalls zählte das Ergebnis. Und das war unter vielen Ministern der Elektrotechnik und Elektronik so. "Machtmensch und Macher" - das ist der richtige Ausdruck, mit dem Jörg Roesler und Hermann Leihkauf Nendel im Buch treffend charakterisieren.

Ich war zu Nendels Zeiten Direktor der Zentralschule des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik (MEE) in Crostau/Landkreis Bautzen und konnte Karl Nendel mehrfach in der Fortbildung leitender Kader des Industriebereichs Elektrotechnik und Elektronik erleben. Sein Auftritt war immer ein Höhepunkt im Bildungszyklus. Er sparte weder mit Lob noch mit Kritik und ebnete so manchem den Weg für Fortschritte in der Arbeit des Industriebereiches mit 15 Kombinaten. Am Siegeszug der Mikroelektronik hat er einen nicht unerheblichen Anteil. Die 1-MB-Story: Unbedingt lesenswert auch der Einstieg des MEE in das Rüstungsgeschäft. Auch hier stand Karl Nendel, fachlich fundiert, immer auf festen Füßen.

1989 brach für Karl Nendel wie für viele von uns nicht nur eine Welt zusammen - unsere Ideale auch als Wirtschaftspolitiker wurden zerstört. Aber, aufrappeln und zu neuen Ufern kommen waren wir gewohnt. Für mich, beginnend in der Verteidigungsindustrie, dem Landmaschinenbau, der Elektrotechnik und Elektronik und der späteren Fortbildung leitender Kader. Mehr als 12 Jahre konnte ich als Mitglied des Wissenschaftlichen Rates der AfG beim ZK der SED wesentliches zur Führung von großen Wirtschaftseinheiten vermitteln. So ist sicher für mich und viele Leser das Handeln von Karl Nendel nachvollziehbar. Nichts hat er übertrieben.

Dem Leser und uns, die in der DDR eine einmalige berufliche Entwicklung erfahren haben, ist das Buch als "Standardwerk zum Nachdenken" zu empfehlen.

Prof. Dr. Dieter Rost, Kirschau

Karl Nendel - General der Mikroelektronik.
Autobiographie. Rohnstock-Biografien.
edition berolina, Berlin 2017. 238 S., 19,99 €
(Taschenbuch 12,99 €)

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Aus einem Brief vom 8. April 1966 an Irma Gabler-Thälmann

Ich bin der ehemalige Kommandant von Bischofswerda

Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen aus dem fernen sonnigen Usbekistan schreibe. Ich bin der ehemalige Kommandant von Bischofswerda, Major der Reserve Grigorij Dmitrijewitsch Borisenko ...

Wir begannen mit Otto Bertel und mit der Hilfe der Kommunisten, Sozialdemokraten und Antifaschisten in Bischofswerda ein neues Leben für das deutsche Volk aufzubauen ...

Erlauben Sie mir bitte, daß ich kurz berichte, wie ich Militärkommandant von Bischofswerda geworden bin. Ihnen ist ja bekannt, daß die Sowjetarmee unter Führung der KPdSU in Ihrem Lande den Faschismus zerschlagen hat. Nach Deutschland kam die Sowjetarmee, um das deutsche Volk und die Staaten Europas vom Hitlerfaschismus zu befreien.

Am 2. Mai (1945), um 4 Uhr früh, befreite ich mit meinen Kämpfern die Einwohne Bischofswerdas vom Hitlerfaschismus. Später wurde ich vom Kommando der Sowjetarmee zum Kommandanten der Militäradministration für den Kreis und die Stadt Bischofswerda ernannt. Die Faschisten hatten keine Gelegenheit mehr, den 1. Mai 1945 zu feiern, obwohl die Stadt Bischofswerda schon zur 1.-Mai-Feier vorbereitet worden war.

Als Vertreter der Sowjetmacht hatte ich als erstes alle Kommunisten, Sozialdemokraten und Antifaschisten zu mir in die Kommandantur eingeladen, wo wir die erste Volksversammlung von Bischofswerda im Haus des früheren faschistischen Bürgermeisters durchführten.

Die Versammlung wurde von meinem Stellvertreter, dem Politleiter der Militärkommandantur, Hauptmann Manin, eröffnet. Ich hatte dann die Möglichkeit, in gebrochenem Deutsch zu sagen: "Zu Ihnen nach Bischofswerda kam die Sowjetarmee. Sie befreite Sie vom Hitlerfaschismus. Alle Gesetze und Anordnungen der Hitlerfaschisten werden außer Kraft gesetzt. Es gelten ab sofort die Gesetze und Anordnungen der Volksmacht, alle faschistischen Bilder, Losungen und Plakate sind zu entfernen." ...

Die dringlichste Aufgabe aber war, die Äcker im Kreis Bischofswerda zu bestellen, und so sagte ich den Anwesenden, es gäbe ein russisches Sprichwort: "Der Sommer ernährt den Winter!" Die Sowjetmacht wolle nicht, daß Ostdeutschland hungert ...

Wir sind dann zur Bautzener Haftanstalt gefahren, wo Ihr Vater, Ernst Thälmann, inhaftiert war. Dort wurde ein Denkmal für Ihren Vater errichtet. Daneben befindet sich das Grab des sowjetischen Sergeanten Maslow, der bei der Befreiung der Bautzener Haftanstalt gefallen war. Sergeant Maslow wollte als erster Ihren Vater aus der Haftanstalt holen. Er wußte, daß Ihr Vater Kommunist war. Was er aber nicht wußte, war, daß er schon am 16. August 1944 aus der Bautzener Haftanstalt in das Todeslager Buchenwald fortgebracht worden war, wo er von den Gestapoleuten auf direkten Befehl Hitlers umgebracht wurde ...

Major der Reserve
Grigorij Dmitrijewitsch Borisenko

Ehemaliger Militärkommandant von Bischofswerda
Jangijul (Usbekische SSR), 8. April 1966

Auswahl und Übersetzung: Cilly Keller, Hamburg

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Stimmen aus aller Welt über die DDR

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen veröffentlichen wir hier einige dieser Äußerungen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt (und für uns) war.


Miyako Shigeto
Verantwortliche für Frauenfragen in der Sozialistischen Partei Japans

In vielen Betrieben, die ich während meines Aufenthaltes in der DDR besucht habe, arbeiten Frauen wie Männer. Als ich das Petrolchemische Kombinat Schwedt besuchen sollte, äußerte ich meinen Wunsch, einen Frauen-Betrieb zu besichtigen. Alle Leute sahen mich etwas verzweifelt an, und ich spürte, daß ich eine falsche Vorstellung hatte. Ich glaubte bis dahin, daß der Industriezweig der Petrolchemie mit werktätigen Frauen wenig zu tun habe. Hier mußte ich mich vom Gegenteil überzeugen lassen. Als ich das Zentrum der dringlichen medizinischen Hilfe von Berlin besuchte, sah ich, daß es von einer Ärztin geleitet wird. In der DDR ist die Zeit längst vorbei, in der nur vereinzelt Frauen einen Beruf ausübten. Die Arbeit hat im Leben der Frauen einen festen Platz eingenommen. Ihre berufliche Tätigkeit bedeutet für sie Selbstverwirklichung. Es war wunderbar, so viele Mütter zu sehen, die neben der Kinderbetreuung und -erziehung ihre fachliche und politische Qualifizierung vervollkommnen.

Mutter zu sein und gleichzeitig berufstätig bedeutet für die japanischen Frauen Sorge und Unsicherheit. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Rolle der Mutter zwangsweise eingeschränkt ist, wenn Frauen ihre Gleichberechtigung fordern. Unsere Bewegung in Japan hat viele schwierige Aufgaben. Wir wissen jedoch, daß sie lösbar sind. Dies haben uns die Frauen der DDR mit großer Zuversicht gezeigt.


Giorgio Morpurgo

Präsident des Parlamentsausschusses für öffentliche Arbeiten, Städtebau und Territorialplanung der Region Lombardei, Italien

Am meisten imponiert mir, wie in der DDR gute Pläne auch wirklich in die Tat umgesetzt werden. Ich meine vor allem die sozialpolitischen Vorhaben, die Zug um Zug realisiert werden - nicht zuletzt im Wohnungsbau. Zu meinem Gesamteindruck gehören auch das sichtbare Wohlergehen, die soziale Sicherheit, die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der vielen Bürger, die ich kennenlernte.

Das Vorhaben der Regierung der DDR, in absehbarer Zeit so viele Wohnungen zu bauen, daß jede Familie in guten Verhältnissen wohnen kann, ist eine - so meine ich - für alle beglückende Perspektive. Das wäre in Italien gegenwärtig nicht einmal denkbar, geschweige denn realisierbar. Es gibt bei uns viele Familien, die nicht nur fünf oder zehn Jahre, sondern faktisch ihr ganzes Leben lang auf eine zumutbare und zugleich erschwingliche eigene Wohnung warten müssen. Wenn ich höre, daß man in der DDR durchschnittlich nur 4,3 Prozent des Familieneinkommens für die Wohnungsmiete aufzubringen braucht, so ist auch das unter kapitalistischen Verhältnissen einfach unvorstellbar.

Ich war 1970 schon einmal in der DDR. Damals war beispielsweise der Berliner Alexanderplatz ein einziges Baugelände riesigen Ausmaßes. Heute ist er das attraktive, moderne Zentrum der DDR-Hauptstadt. So haben alle Städte, die ich damals sah, inzwischen ein neues, schöneres Gesicht erhalten.

Das historische und doch moderne Zentrum Leipzigs, die rekonstruierten Gebäude der anziehenden Fußgängerboulevards in Weimar und Halle, das in historischer und zugleich neuer Schönheit wiederaufgebaute Dresden - überall in der DDR habe ich menschenfreundliche Städte gesehen. In diesem Zusammenhang ein sicherlich aufschlußreicher Vergleich der Umweltgestaltung: In meiner Heimatstadt Milano kommen 2,8 Quadratmeter Grünfläche auf einen Bürger. In den Großstädten der DDR werden, wie ich sah und hörte, durchschnittlich 15 bis 20 Quadratmeter Grünfläche je Einwohner angelegt und gepflegt. Noch ein Detail: Bei uns in Milano wurde in den letzten 30 Jahren nicht ein einziger öffentlicher Springbrunnen angelegt - in den Städten der DDR aber bewunderten wir geradezu auf Schritt und Tritt Springbrunnen aller Größen und Stilarten.


Dr. Leader Stirling (1906-2003)

Gesundheitsminister der Vereinigten Republik Tansania von 1975 bis 1980 

Eine Fülle guter Eindrücke und Beweise ehrlicher, uneigennütziger Hilfe der DDR begleiten unsere Delegation bei der Heimreise nach Tansania. Am stärksten bewegt bin ich von dem hohen Leistungsstand des Gesundheitswesens und der Qualität medizinischer Betreuung. Imponierend ist die große Zahl der Ärzte und mittleren medizinischen Fachkräfte. Das dicht geknüpfte Netz medizinischer Fachbetreuung, wie wir es in der DDR vorfanden, ist für uns und auch andere Länder beispielhaft. Insgesamt hat mich das spürbare ideelle, ethische, moralische und politische Engagement aller medizinisch und sozial Tätigen in der DDR überaus beeindruckt.

Viele tansanische Ärzte haben in der DDR eine solide Ausbildung erhalten. Mit diesen jungen Kräften haben wir unser Gesundheitswesen nicht nur personell stärken können, sondern auch Möglichkeiten geschaffen, daß diese Mediziner ihr in der DDR erworbenes respektables Wissen an Kollegen weitergeben. Das sind Früchte unserer Zusammenarbeit.

Wir haben uns sehr darüber gefreut, daß uns Dr. Weigelt bei unserer Studienreise begleitet hat. Dieser DDR-Arzt war drei Jahre als leitender Arzt der NUTA-Kliniken in Daressalam und Tanga tätig. Dort hat er zusätzliche Fortbildungskurse organisiert und damit geholfen, medizinische Behandlungskapazitäten in unserem Land zu erweitern.


Dr. Abdul Matjid Abdul-Madi

Staatssekretär im Sekretariat für Gesundheitswesen der Sozialistischen Libyschen Arabischen Volksjamahiriya

Als ich im Juni 1978 zum erstenmal den Boden der DDR betrat, fühlte ich mich sofort unter Freunden und hatte das angenehme Empfinden, als wäre ich schon lange mit ihnen vertraut. Beim Besuch von Gesundheitseinrichtungen unterschiedlicher Größe und Aufgabenstellung habe ich einen guten Überblick der Struktur und Kapazität eines staatlichen Gesundheitswesens erhalten, dessen international anerkannte Leistungen meine Erwartungen weit übertrafen. Ärztliche Mühen, die liebevolle Fürsorge um die Patienten in ambulanter und klinischer, prophylaktischer, therapeutischer, rehabilitativer und dispensairer Betreuung, die erforderlichen Arzneimittel und alle erdenklichen medizinischen Hilfsmittel bis zum elektrisch angetriebenen Versehrtenmobil - all das ist kostenfrei für die Bürger in der DDR.

Geradezu begeistert hat mich die intensive Betreuung der Schwangeren, das medizinische wie gesellschaftliche Engagement für Mütter und Kinder wie für junge Familien, was zu der weltbekannt geringen Säuglings- und Kindersterblichkeit sowie zu dem für europäische Industrienationen erstaunlichen Geburtenzuwachs geführt hat.

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Ab und zu etwas Verrücktes

Im Alter läßt die Lust am Ausgeflippten nach, müde Knochen und Ruhebedürfnis bremsen, die Experimentierfreude der Jugendzeit nimmt ab. Doch das Vergnügen, an all die wunderbar freudigen Verrücktheiten vor 60 Jahren zurückzudenken, ist immer noch da.

Eigentlich wollte ich Lehrer für Deutsch und Sport werden, aber da hätte ich zu Hause in Rostock studieren und weiter unter der Fuchtel der Mut ter stehen müssen. Deshalb griff ich, ohne zu wissen, was mich genau erwartet, sofort zu, als das Angebot "Biologie, Werken" vom Pädagogischen Institut Güstrow kam.

Besonders geschickt war ich nicht mit Hammer, Feile, Lötkolben, Falzbein und Schraubzwinge. Später konnte ich das Fach zugunsten von Sport und Deutsch sehr schnell wegorganisieren. In der Familie aber hieß es immer mit spitzbübischer Miene, wenn der Vater etwas reparieren sollte: "Ich denke, du hast Werken studiert?"

Die Zeit in Güstrow war die sorgloseste Zeit meines Lebens, unbekümmert, nur mir selbst verantwortlich, hatte ich drei wunderbare Jahre. Wir kamen zu dritt aus Rostock: Inge, Sprudel und ich. Mir aber fiel sofort ein schönes braunhaariges Mädchen in kariertem Hemd und Jeans auf, das ich von Anfang an mochte: Schigu. Eigentlich hieß sie Renate Pfeif, aber niemand von uns nannte sie so, wie auch mich alle nur Atze riefen.

Ich bewunderte sie, wenn sie allein für sich tanzte, sang oder pfiff. Für mich war sie die verkörperte Freiheit, so wäre ich gern gewesen, und ich ahmte sie sogar beim Pfeiferauchen nach. Es hat uns Spaß gemacht, auf den Mensastufen sitzend, Leute mit unserem Auftreten zu schockieren. Manchmal sind wir dabei übers Ziel hinausgeschossen. "Das ist mir in meiner ganzen pädagogischen Praxis noch nicht passiert", staunt Frau Müller, die Wirtin der Studentenkneipe, als wir verärgert, ich weiß nicht mehr warum, zwei doppelte Wodka bestellen und grimmig unsere Pfeife dampfen.

Schigu gibt sich gern rauhbeinig, hat aber einen herzensguten Kern. Sie trägt ein leuchtend rotes Leintuch mit weißen Punkten, das ich bestaune. Da nimmt sie eine Schere, teilt das schöne Stück, und stolz trage ich nun auch ein Gepunktetes. Aus unserem Wohnheim kann man die Wiesen und den Sumpfsee sehen. Wir nutzen das Gelände zu allen Tages- und Nachtzeiten. Vor dem Frühstück klettern wir über den Zaun und laufen zum Baden. In der Vorlesung erzählt der Psychologe genüßlich, daß er heute Morgen schon zwei junge Damen überm Zaun hängen sah. Jeder kann an zwei rot anlaufenden Köpfen sehen, wer das war.

Seltsame Sitten haben die Jungen: Peti beleckt seine Hand, dann knallt er sie auf seinen Pudding, "Meine", sagt er und grient uns an. Harry steht auf dem Stuhl, dann auf dem Tisch und wickelt drei Kilometer Faden von seiner Roulade. Eugen kauft seine Socken viel zu groß, zerlatscht die Spitze, kippt die zerlöcherten einmal um und ein zweites Mal. So hat er für ein Geld drei Paar Socken.

Peti will FDJ-Beitrag kassieren. Deshalb werden wir doch bei so schönem Wetter nicht aus dem Garten gehen. Er schnappt sich in unserem Zimmer Sigrids BH, den sie zum Trocknen ausgebreitet hat, und winkt uns damit zu. Wir stürzen nach oben, bezahlen, bevor er sich neue Dummheiten ausdenken kann.

Einmal rennen wir von Zimmer zu Zimmer und kündigen, ohne mit jemandem vorher zu sprechen, eine Nachtwanderung an und staunen: alle kommen. Mit Taschenlampen geht es zum Sumpfsee. Sternenschein, das Käuzchen schreit, eine Igelmutter mit einer Reihe rosafarbener Jungen im Gefolge kreuzt unseren Weg. Die Jungen machen Feuer, und wir singen leise zu Roberts Mundharmonika.

Unser Haus wird von Minna Kuhblum betreut. Wenn sie ihre Treppe geputzt hat, sagt sie: "Haste mal ne Ziejaredde, mech piebt de Longe." Schigu kreischt vor Vergnügen. Das vergeht ihr aber, wenn Minna durch die Gänge tobt: "Wer hat mich wieder von de Blumen jeklaut, ich wer eich melden, wer ich eich." In solchem Fall lachen wir erst, wenn Minna weg und die Gefahr vorbei ist.

Wenn am Abend alle im Bett liegen, geht das Lachen weiter. Wir erzählen uns Witze, jeder seinen und immer den gleichen. Schigu kommt herein: "Bei mir ist eine eingezogen, die heißt Iwe Bier und hat gefragt: 'Seid ihr auch kindisch? Ich bin kindisch.'" Waren wir, waren wir, haben das damals aber anders gesehen und uns über die kindisch-kindliche Verwechslung schadenfroh amüsiert.

Schadenfroh waren besonders einige unserer sieben Jungen. Ich höre noch immer Eugen und Robert hämisch, egal was wir taten: "Ach die Schnallen!" Wie sie jede Note, die schlechter als ihre war, gefeiert haben! Noch zwanzig Jahre später schafft einer von ihnen es nicht, meinen Erfolg auf dem VIII. Pädagogischen Kongreß gelassen zu nehmen. "Na mit deiner Schwärmerei von Kuckuck und Nachtigall im Wuhletal hast du aber gelogen." Wieder denke ich nur "Dämlicher Neidhammel" und lasse mich wie damals nicht beeindrucken.

Das Institut erhält einen Neubau. Als Werkstudenten werden wir bei Maurerarbeiten eingesetzt. Gemeinsam mit Schigu ziehe ich eine Zwischenwand aus Ziegeln hoch. Als wir aus der Pause zurückkommen, lächeln uns die Maurer freundlich zu. Aha, sie sind also zufrieden mit unserer Arbeit. Wir müssen jetzt Mauerwerk verfugen. Die Wasserwaage und die breite Maurerkelle geben wir ab. Richtfest. Stolz erzählen wir: "Diese Wand haben wir hochgezogen." Und jetzt kommt es heraus. Der Polier sagt: "Eure Mauer war so schief, die hätte nicht standgehalten, die Lehrlinge haben sie heimlich in der Pause eingerissen und neu aufgebaut." Unser Lachen klingt etwas gequält.

Beim Landwirtschaftspraktikum wird uns viel abverlangt, besonders das Melken fällt mir schwer, kümmerlich tropft die Milch aus meiner Kuh. Geduldig steht sie, wedelt mit der Schwanzquaste nach Fliegen, dann dreht sie den Kopf zu mir: "Was wirtschaftest du da?", scheint sie zu fragen.

Das Essen auf dem Dorf ist reich und deftig. Ich habe mir den Bauch so mit Bratkartoffeln vollgeschlagen, daß ich abends beim Landfilm meinen Rock öffnen muß. Das Licht geht wieder an, ich stehe in der ersten Reihe, der Rock fällt - zum Vergnügen der hinteren Reihen. Das erinnert doch sehr an unsere Fahrt mit dem LKW über den Schweriner Schloßplatz, auf dem Weg zu den Mehrkampfmeisterschaften der GST. Wir lästern über den Rock einer jungen Frau. Er lugt unordentlich unter ihrem Mantel hervor: "So läuft man doch nicht herum!" Da wird der Rock immer länger und landet auf dem Pflaster. Schön lacht es sich, wenn man selbst nicht betroffen ist ...

Der Kontakt zu meinen Studienfreunden reißt nie ab. Wir schmunzeln immer noch über die ollen Kamellen, und neue kommen hinzu. Tochter Antje macht Ferien bei Schigu. Danach soll uns das Kind in Wismar übergeben werden. Die beiden verpassen den Zug. Sie stellen sich an die Straße, Schigu hält ein Auto an und erzählt uns begeistert, daß es der Klützer Leichenwagen war, mit dem sie pünktlich angekommen sind.

Sie schreckt vor nichts zurück, wenn sie etwas erreichen will. Als kürzlich mein Knie streikt, gibt sie jede Menge Ratschläge, wie ich mir helfen soll, und schickt mir ein selbstgewebtes Fell von ihrem letzten Schaf. Es ist nicht nur die Wärme des Fells, die mir guttut.

Edda Winkel

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Es ist Sommer. Im Wald und auf der Heide macht sich ein einziges Hochgefühl breit. Kann jemand, oder etwas, die Natur überbieten? Muß ja nicht! Aber wenn du lachen, lächeln, dich erinnern und Neues erfahren willst oder die schönen Gefühle mit einem Hauch Verwunderung würzen, dann kann ich etwas anbieten und meine es sogar dringlich: Mein alter Freund Schneidi, bürgerlich Klaus Schneider, begegnete mir eines Tages auf der Treppe im Rundfunkhaus Nalepastraße. Der Fahrstuhl war wie immer gerade kaputt, so daß es zu dieser historischen Begegnung kommen mußte. Ich trug ein Blatt Papier bei mir, auf dem ich ungewöhnlich lange an einem Text gearbeitet hatte, bis die Gedanken sich endlich zu Versen hinbewegten.

Klaus Schneider war Musikredakteur und schneller Leser. Ich gab ihm das Papier (DIN A4), er warf zwei Blicke auf den Text, murmelte etwas von "Lange nich so 'n guten gesehn" und trollte sich.

Es könnte länger gedauert haben, und es mag auch sein, daß ich nicht besonders ungeduldig auf seinen Teil der Arbeit gewartet habe, weil ich mir nicht sicher war, ob es sich wirklich um einen guten Text handelte.

Historisch gesehen hat er uns mit seiner Komposition ein Volkslied geschenkt. So nannte es ein Zuhörer, als der Ernst-Busch-Chor auf der Bühne vom Einfachen Frieden sang, und er und ich zuhörten. "Schönes altes Volkslied", sagte er, und ich erwiderte: "Ja."

Mein Freund Schneidi gilt als unerträglich lange und zäh fummelnder Werk-Tätiger. Daß er dieses Buch "Leute & Lieder" zu einem druckfertigen Werk gebracht hat, dabei sicher auch Freunde wie Walter Cikan und Jörn Fechner verschleißend, das kann ich nur mit Respekt wahrnehmen. Da liegt nun ein Buch vor, das ich allein vom Arbeitsaufwand unterlassen hätte. Und du hättest es auch nicht geschafft. Guck nicht so! Denn: über Jahre hinweg hat Schneider bekannte Leute nach ihren Lieblingsliedern gefragt, schriftlich und auch mehrmals, scheinbar in aller Ruhe und unverdrossen - bis sie Auskunft gaben über ihre drei durch das Leben getragenen Lieblingslieder. Mir scheint, sogar ehrlich. Und das will besonders erwähnt sein, weil es sich bei vielen Persönlichkeiten um Leute handelt, die nie unbeobachtet sein konnten oder können. Sie sind alle bekannt und einige sogar berühmt. Darunter solche, die wir nicht in unser Abendgebet einschließen würden neben denen, die uns Grund gegeben haben, ihnen nachzutrauern, oder ein langes Leben für sie zu erhoffen. Das heißt nicht, daß ihre Auswahl nicht manchmal zu denken gibt, aber durch das Buch haben wir ja die Möglichkeit, viel mehr zu erfahren.

Erkenne ich das Unternehmen und seine Art und Weise schon als wichtig, schon als so wichtig wie auch schön, gilt mein Respekt der aufwendigen Erkundung von Herkunft und Lebensgeschichte so vieler Lieder, von denen wir fast alle kennen, sie selber gesungen oder gesummt haben, aber ihre Legende kannten wir nicht. Nicht einmal bei den von mir selber genannten Liedern, außer dem einen, dem unseren.

All die angeschriebenen Persönlichkeiten haben oft, auf langem Weg, oder spontan, tatsächlich geantwortet. Und wenn nicht, ist der Meister ihnen nachgestiegen, bis sie sich aufgerappelt und geantwortet haben. Eine solche Unternehmung kostet Lebenszeit, innere Gewißheit. Es braucht gute Kumpels, die man so nerven muß, daß sie lieber zugreifen, auch ermitteln, und zum Ende hin mit wertvollem Eingreifen und Durchsetzung von Abschluß der Arbeit die nötige Hilfe geben. Ich kenne die in Dank erwähnten Mitmacher aus unserer Zeit, Ende der Sechziger. Sie waren Liedermacher und Mitsingende, so alltäglich war das wie das kollektive Stullenschmieren nach Veranstaltungen.

Dieses Buch entstand aus Erfahrung, als Aufbruch und Anspruch, es verlangte Langmut und wissenschaftliche Methode. Ich liebe es, halte es in meiner Nähe und greife täglich danach, um mich zu freuen, zu wundern, gelegentlich auch zu korrigieren. Manches zwingt zum Umdenken, manches bestätigt Urteile, seltsam: oft über den Antwortenden und die Lieder gleichzeitig.

Die mindestens bekannten Leute, wenn nicht gar solche, die in die Schriften eingehen, oder jener, der in anderen Zusammenhängen eher aneckend wirkt, läßt uns teilhaben an einem Erleben, das ihn weit von seinem frühen Ich weggeführt hat, oder die Meinung, die wir von ihm haben, wird bestätigt, ob uns das immer angenehm ist oder nicht. Bei manchem habe ich gedacht: Gerade dieser Mensch und diese Lieder, das hätte ich nicht erfinden können.

Also: Klaus Schneider-Bierschulz: Leute & Lieder.
Herausgegeben von Jörn Fechner, Nora-Verlagsgemeinschaft.
Berlin 2018, 200 S., 19,90 €, ISBN 978-3-86557-434-3

Es ist Sommer, und dieses Buch wird dich fesseln, amüsieren und kann später, viel später einmal, mit gutem Gewissen den Erben weitergereicht werden.


Der einfache Frieden

1. Wenn ein Gras wächst, wo nah ein Haus steht, und vom Schornstein steigt der Rauch / soll'n die Leute beieinandersitzen, vor sich Brot und Ruhe auch, und Ruhe auch.
Das ist der einfache Frieden, den schätze nicht gering. Es ist um den einfachen Frieden
Seit Tausenden von Jahren ein beschwerlich Ding.

2. Wo ein Mann wohnt, soll eine Frau sein, daß das eine das andre wärmt / soll'n sich lieben und soll'n sich streiten, von der Angst nicht abgehärmt, nicht abgehärmt.
Das ist der einfache Frieden ...

3. Wo ein Ball liegt, da soll nah ein Kind spiel'n, das zwei gute Eltern hat, und soll alle Aussicht haben, ob im Land, ob in der Stadt, ob in der Stadt.
Das ist der einfache Frieden ...

4. Wo die Welt war, da soll die Welt sein und die Erde mittendrin, daß ich selber auch ein Ahne ungeborner Menschen bin, Menschen bin.
Das ist der einfache Frieden ...

5. Wo ein Leben war, da soll ein Tod sein, unter Tränen still ins Grab, wo der Nachfahr manchmal hingeht zu dem Menschen, den es gab.
Das ist der einfache Frieden ...


Das Lied "Der einfache Frieden" wurde 1981 von Gisela Steineckert (Text) und Klaus Schneider (Musik) für den Rundfunk-Kinderchor Berlin geschrieben, der es am 5. April 1981 im Apollo-Saal der Staatsoper Berlin uraufführte. Zahlreiche Interpreten, zuerst Kurt Nolze und Gisela May, sowie viele Chöre nahmen das Lied in ihr Repertoire auf.

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LESERBRIEFE

Zu Anton Latzo: Friedensvertrag von Brest-Litowsk (RF 242, S. 11f.)
Mit Interesse las ich den Artikel über den Friedensvertrag von Brest-Litowsk. Ein Thema, das recht gut erforscht ist und auch Gegenstand literarischer Bearbeitung wurde (z. B. durch Michail Schatrow). Der Artikel hat mich veranlaßt, noch einmal bei Lenin und in den veröffentlichten Sitzungsprotokollen des ZK nachzulesen, wie sich die Kontroverse zwischen den drei Auffassungen: 1. annexionistischer Separatfrieden, 2. revolutionärer Krieg, 3. der Krieg wird für eingestellt erklärt, die Armee demobilisiert, der Frieden jedoch nicht unterzeichnet, abgespielt hat. Diese Auseinandersetzung ist sehr lehrreich. Erstens zeigt sie die außergewöhnliche Fähigkeit Lenins, von Tatsachen auszugehen, diese allseitig zu analysieren und zu sagen, was ist. Damit hängt dann zusammen, daß er jegliche "revolutionäre" bzw. "linke" Phraseologie in der Politik der kommunistischen Partei und des sozialistischen Staates (der Sowjetmacht) verurteilt und schonungslos entlarvt, weil es um die Frage des Überlebens der Revolution geht.
Zweitens ist es keineswegs unwichtig zu erfahren, daß Lenins Auffassung nicht per se gesiegt hat. Er griff sogar zu dem Mittel eines Ultimatums. Man darf in diesem Umstand ernsthaftester Debatte, in der es um Sein oder Nichtsein ging, nicht etwas Feindseliges hineininterpretieren. Diejenigen, die hier diskutierten, Stalin eingeschlossen, dem Lenin am 23. Februar 1918 widersprechen mußte, weil er meinte, man brauche die Bedingungen nicht zu unterzeichnen, stritten leidenschaftlich und alle von einer bestimmten Lagebeurteilung ausgehend, wobei sich letztlich nur die Beurteilung Lenins als richtig erwies. Das betrifft auch seinen äußerst weiten Blick für die Agitation durch das Beispiel: "Unsere Agitation geht weiter. Wir agitieren nicht mit Worten, sondern mit der Revolution. Und das bleibt."
Drittens erscheint es sehr wichtig, zwischen der Auffassung und dem Verhalten Bucharins und der Auffassung und dem Verhalten Trotzkis zu unterscheiden. Bei Anton Latzo werden beide in einen Topf geworfen. Ein gründlicher Blick in den Band 27 der Werke Lenins zeigt, daß dieser differenziert: "Daß aber die neuen Bedingungen schlimmer, schwerer, erniedrigender sind als die schlimmen, schweren und erniedrigenden Brester Bedingungen, daran tragen die Schuld gegenüber der großrussischen Sowjetrepublik unsere jammervollen 'Linken' Bucharin, Lomow, Urizki und Konsorten." (LW Bd. 27, S. 67) Zu den "Konsorten" zählte Lenin nicht Trotzki, mit dem er sich allerdings auch sehr gründlich und offensiv auf dem Außerordentlichen VII. Parteitag der KPR(B) auseinandersetzte. Trotzki brach das Versprechen, das er Lenin gegeben hatte, nämlich im Falle eines Ultimatums den Friedensvertrag zu unterschreiben. Er gab in Brest-Litowsk folgende Erklärung ab: "Wir scheiden aus dem Krieg aus, aber sehen uns gezwungen, die Unterzeichnung des Friedensvertrages abzulehnen." (A. Reisberg: Lenin - Dokumente seines Lebens. 1870-1924, Bd. 2, Leipzig 1977, S. 148) Das war eine halsbrecherische Politik der Halbheiten. Dennoch führte Lenin auf dem VII. Parteitag aus: "Trotzkis Taktik war richtig, insofern sie darauf ausging, die Sache in die Länge zu ziehen: sie wurde unrichtig, als der Zustand des Krieges für beendet erklärt und der Frieden nicht unterzeichnet wurde. Ich schlug in der bestimmtesten Form vor, den Frieden zu unterzeichnen. Einen besseren Frieden als den Brester konnten wir nicht bekommen. Es ist allen klar, daß wir dann eine Atempause von einem Monat gehabt, daß wir nicht verspielt hätten. Da die Geschichte diese Möglichkeit zunichte gemacht hat, so lohnt es sich nicht, daran zu erinnern, aber es ist lächerlich, wenn Bucharin sagt: 'Das Leben wird zeigen, daß wir recht hatten.' Ich habe recht behalten ..." (LW, Bd. 27, S. 100)

Herbert Münchow, Leipzig


Die farbigen Grafiken im März-"RotFuchs" sind ganz toll - das eindrucksvolle Gorki-Bild und der Rücktitel (der eigentlich auf die Titelseite gehört!). Besonders gefreut hab ich mich natürlich über den Kisch-Beitrag.
­... ach so, und die Titelgrafik der Beilage. Fast wie ein Plakat! Super! Das nur auf den ersten Blick, ohne schon irgendeine Zeile gelesen zu haben.

René Senenko, Hamburg


Es ist ungeheuerlich, daß wieder großes Kriegsgerät durch Deutschland gen Osten transportiert wird. Schweres Gerät, vornehmlich Panzer, rollen auch über die Straßen des sächsischen Frankenberg und sind damit Bestandteil eines Bedrohungsszenarios gegenüber Rußland. Anstatt deeskalierend zu wirken, wird seitens der verantwortlichen Politiker und Militärs Öl ins Feuer gegossen, und Deutschland ist dabei. Erinnert sei an die friedenspolitischen Forderungen aus der "Wendezeit" und das Versprechen, daß es keine NATO-Erweiterung geben wird. Schon vergessen?
Statt gegenseitige Achtung und Toleranz zu fördern, übt man sich in Schuldzuweisungen, Arroganz und militärischer Machtdemonstrationen - alles untauglich zum Erreichen eines friedlicheren Europas, das uns allen am Herzen liegen sollte.
Man muß dem Nachbarn die Hand reichen und nicht die Faust zeigen.
Deutschlands verantwortliche Politiker sollten sich mit ganzer Kraft für eine europäische bzw. internationale Friedenskonferenz einsetzen und dafür werben.

Matthias Schwander, Chemnitz


Weder die US-Amerikaner noch die Deutschen haben einen vernünftigen Grund, die Russen zu provozieren, mit Sanktionen zu belegen, an der Staatsgrenze Militär zu stationieren oder gar militärische Angriffe zu planen. Die Russen sind in ihrer jahrhundertelangen Geschichte immer fertig geworden mit Aggressoren, egal, ob diese aus der Mongolei, aus Polen, aus Frankreich oder aus Deutschland kamen. Und nun - nach dem Ende der Sowjetunion - ist das größte Land der Erde mit dem bevölkerungsreichsten (China) eng verbunden. Das ist die beste Garantie dafür, daß weder ein Möchtegern-Weltpolizist USA noch eine zerstrittene EU eine reale Chance zur Vernichtung Rußlands und Chinas haben. Denkende Menschen begreifen das und verurteilen das US-EU-NATO-Säbelrasseln gegen Rußland.

Horst Jäkel, Potsdam


Im März 1945 war es noch bitterkalt. Ich lag an einer Friedhofsmauer in Neustadt an der Reda von Kugeln getroffen zusammengekauert und wartete auf den Tod. Doch nach einer Bewußtlosigkeit erwachte ich. Ich lag in einem weißbezogenen Bett und starrte die Decke an, neben mir lag ein sehr junger russischer Soldat. Seine Wangen waren eingefallen. Die Gesichtsfarbe ähnelte einer Apfelblüte. Er wollte, aber er konnte mir auf meine Fragen keine Antwort geben. Als nach kurzer Zeit eine Ärztin das Zimmer betrat und den Soldaten auf russisch ansprach, wußte ich, ich war in einem russischen Lazarett. Angst stieg in mir auf, eine Hitzewelle nach der anderen durchströmte meinen Körper, schließlich konnte ich die Tränen nicht mehr halten. Mit wenigen zärtlichen und auch ermahnenden Worten, dabei auf den Soldaten zeigend, beruhigte mich die Ärztin. Ich war damals neun Jahre.
Am anderen Tag erfuhr ich die Schwere der Verwundung des Soldaten, mehrere Kugeln hatten seinen Bauch durchschlagen. Er kämpfte seinen letzten Kampf.
Ich reichte ihm meine Hand, um ihn zu trösten. Er sah mich an und flüsterte "Woina kaputt". Er atmete tief und schwer, und nach einem tiefen Seufzer verstarb Igor.
Igor starb für sein Vaterland und für die Befreiung des deutschen Jungen, der mit Hilfe russischer Ärzte gesund wurde und leben durfte.
Dieses Ereignis war der Ausgangspunkt meiner immerwährenden Freundschaft mit dem russischen Volk.
Wahrscheinlich im gleichen Alter wie damals Igor, tat ich in den 50er Jahren Dienst an der Demarkationslinie zwischen dem wiedererstarkten militaristischen und dem demokratischen Teil Deutschlands. Meine ganze Kraft widmete ich den Friedensbemühungen meines Staates. Leider haben wir den Kampf verloren. Wir sollten ihn wieder aufnehmen, dann wäre Igor nicht sinnlos gestorben.

Gerhard Perlick, Bützow


Rußland steht heute mehr denn je im Blickpunkt jener, die sich dem Frieden verpflichtet fühlen. Doch die Hoffnungen auf ein gedeihliches Verhältnis, geboren aus den Lehren der Geschichte und dem Bemühen, den Weg des sich erneuernden Rußlands frei von Vorbehalten zu sehen, scheinen sich gegenwärtig nicht zu erfüllen. Völlig unbefriedigend ist die Umsetzung des NATO-Rußland-Vertrages, der doch beide Seiten auf gleicher Augenhöhe sieht. Die Sowjetunion war bei der Zerschlagung des Hitlerfaschismus ein willkommener starker Partner an vorderster Front. Heute ist Rußland ein willkommenes Feindbild, auch als Rechtfertigung für militärische Aufrüstung. Im Gegensatz zu dem desolaten Zustand Rußlands unter Gorbatschow und Jelzin ist es heute unbestritten wieder eine Großmacht.
Die große Mehrheit sieht in Putin ihren "Kapitän". Mit Sanktionen eine derartig stolze und patriotische Haltung aufzuweichen, wird nicht gelingen. Gibt nicht auch die Tatsache zu denken, daß vor allem die westlichen Großmächte schon vor dem 2. Weltkrieg und erst recht danach im kalten Krieg dem Land mit Vorbehalten und oft feindlich begegneten? Manchem Mächtigen unserer Tage fällt es offensichtlich schwer einzugestehen, daß wir es mit einer multipolaren Welt zu tun haben, deren Konflikte nicht militärisch, sondern ausschließlich auf dem Weg der friedlichen Koexistenz gelöst werden können.
Ohne Kompromisse und beiderseitigem gutem Willen sind die Aussichten auf Frieden gleich null, nicht nur in der Ukraine, sondern weltweit.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Es empört mich immer wieder, wenn sich unsere "Volksvertreter" in rhetorischer Überheblichkeit gegenüber Rußland äußern, wie es vor kurzem Außenminister Maas bei seinem Treffen mit dem französischen Amtskollegen nach Putins Präsidentschaftswahl tat. Er erklärte, daß er nun von russischer Seite erleichternde Schritte im Syrien- und im Ukraine-Krim-Konflikt gegenüber der EU erwarte. Sonst würde Rußland bald isoliert in der Welt dastehen. Was für eine Anmaßung!

Hans-Georg Vogl, Zwickau


Eine Vorverurteilung ist, wenn es gegen "die Russen" geht, in westeuropäischen Ländern offenbar geltendes Recht. Das fehlende Einknicken Putins vor der "freiheitlichen Welt" läßt die obersten Herren der NATO und der EU die Kriegsfanfare blasen, durch Ursula von der Leyen und Angela Merkel noch verstärkt. Das will mir nicht gefallen!
Mir ist in Erinnerung: Es gab einen englischen Premier namens Sir Winston Churchill, dessen Fulton-Rede 1946 die Zeit des kalten Krieges einleitete. Von dieser Rede ausgehend wurde später dann für die Grenzsicherungs- und Schutzmaßnahmen der DDR das Wort "Eiserner Vorhang" erfunden. Diesen kalten Krieg habe ich seit meinem Dienstantritt im Januar 1951 in den polizeilichen Organen der DDR, aus denen sich die die Teilstreitkräfte der NVA bildeten, erlebt. Wie dieser für Angehörige der bewaffneten Organe verlief, wann, wo, was geschah oder verhindert wurde, welchen Strapazen oder welchen Eingriffen in das persönliche Leben wir ausgesetzt waren, weiß jeder, der in den operativen Verbänden Dienst versehen hat.
Heute ist immer öfter die Rede von "moderner Kriegsführung", was besonders den Jungen schmackhaft gemacht werden soll, aber nichts anderes bedeutet als Einstimmung der Massen auf die Möglichkeit eines heißen Krieges. Modernste Kampfflugzeuge fliegen mit Überschallgeschwindigkeit und verschießen weitreichende, selbst ihr Ziel suchende Raketen mit enormer Vernichtungskraft. Im Zielgebiet sehen weder Kämpfer noch Zivilisten, was auf sie zufliegt. Der Tod scheint aus dem Nichts zu kommen. So oder so ähnlich vermitteln es Wort und Bild in den Medien.
Wird ein solcher Krieg ausgelöst, wird die ganze Erde ein vielfaches Hiroshima und Nagasaki und künftig unbewohnbar sein. Es ist höchste Zeit, dagegen aufzustehen!

Hans Friedrich Bieler, Hollingstedt


Journalisten sollten recherchieren, berichten, analysieren, kommentieren und aufdecken. Leider kann ich davon in den bürgerlichen Massenmedien nichts erkennen. Im Gegenteil, es wird immer mehr eine Konfrontationspolitik gegen Rußland und Syrien betrieben.
Sollten wir uns nicht daran erinnern, mit welcher Lüge der erste Krieg gegen den Irak begonnen wurde? Es waren die Worte einer angeblichen kuwaitischen Krankenschwester, die unter Tränen sagte: "Ich habe gesehen, wie die irakischen Soldaten mit Gewehren in das Krankenhaus kamen ..., die Säuglinge aus den Brutkästen nahmen, die Brutkästen mitnahmen und die Kinder auf dem kalten Boden liegen ließen, wo sie starben." Den Text für die "Brutkastenlüge" hatte die Managerin der PR-Agentur Hill & Knowlton formuliert.
Und ähnlich verhielten sie sich, als am 5. Februar 2003 der Außenminister der USA Colin Powell den längst beschlossenen Krieg der Regierung Bush gegen den Irak mit falschen Beweisen begründete, der Irak besitze erhebliche Mengen chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen. Daß er sich Jahre später für seine Falschdarstellung entschuldigte, brachte die Hunderttausenden von Toten des Krieges nicht wieder ins Leben zurück.
Daher kann ich auch den Berichten der Mainstream-Medien zum angeblichen Giftgaseinsatz der Truppen Baschar al-Assads nicht folgen. Und völlig außerhalb meines Rechtsverständnisses befindet sich die Tatsache, daß die USA, Frankreich und Großbritannien todbringende Raketen auf Syrien starten, noch bevor dieser angebliche Giftgaseinsatz und seine Hintergründe durch die dafür zuständige OPCW aufgeklärt wurden.

Karl-Heinz Popp, Römhild


Zu Theodor Weißenborn: Über die Dialektik von Vertrauen und Kontrolle (RF 242, S. 23 )

Vertraut sein bedeutet innig zugeneigt sein. Vertrauen kommt von Treue, einer Tugend von Beständigkeit und Zuverlässigkeit. Ein Kontrolleur aber ist ein Aufsichtsbeamter, der überwacht, prüft, um zu beherrschen. Nun ist aber nach der Interpretation Theodor Weißenborns Letzteres Ersterem vorzuziehen; und dies, weil, so seine Behauptung: "Wer Kontrolle zuläßt, begründet Vertrauen - wer sich der Kontrolle zu entziehen sucht, weckt Argwohn." Dies sei die dialektische Beziehung zwischen beiden Begrifflichkeiten.
Das Leben bringt uns aber eine solche Mannigfaltigkeit der Wechselbeziehungen und Ursächlichkeiten, daß man schon mal Ursache und Wirkung durcheinanderbringen kann. Es bedarf keiner besonderen Kenntnis des Menschwerdens, um die Frage, was auf wem beruht, zu beantworten: Basiert das Vertrauen auf der Kontrolle oder umgekehrt?
Nun schreibt Weißenborn selbst vom "'Urvertrauen', dessen der Mensch bedarf, da er im Leben sonst keinen einzigen Schritt mit Zuversicht tun könnte, keine einzige Entscheidung treffen könnte, von deren Richtigkeit er überzeugt wäre, keinen erfolgversprechenden Plan entwickeln und niemals eine beherzte Tat vollbringen könnte". Es muß eben zunächst einmal eine Eigenart sich entwickelt haben, ehe man diese kontrollieren kann!
Der Ausspruch "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" bezieht sich auf eine Frage von Gut und Böse. Dieser Gegensatz bewegt sich auf moralischem, also auf einem ausschließlich der Menschengeschichte angehörigen Gebiet, und darf nicht, wie es Theodor Weißenborn macht, abstrakt behandelt werden. Alle bisherige Moraltheorie ist das Erzeugnis der jeweiligen ökonomischen Verhältnisse. Und wie die Gesellschaft sich bisher in Klassengegensätzen bewegte, so ist die Moral stets eine Klassenmoral.
Der Sozialismus ist positives Selbstbewußtsein des Menschen, wie das wirkliche Leben positiv vermittelte Wirklichkeit des Menschen ist. Im Verhältnis des Menschen zum Menschen zeigt sich, inwieweit das Bedürfnis des Menschen zum menschlichen Bedürfnis, inwieweit ihm also der andere Mensch als Mensch zum Bedürfnis geworden ist, inwieweit er in seinem individuellsten Dasein zugleich Gemeinwesen ist.

Tilman Rosenau, Hamburg


Warum werden eigentlich Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen von manchen als "Mitteldeutschland" bezeichnet und das nicht erst seit 1989?
Was verbirgt sich hinter der Behauptung, die genanten Bundesländer seien "Mitteldeutschland"? Wenn wir die Landkarte des "Deutschen Reiches" in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 ansehen, befinden sich diese Bundesländer tatsächlich in der Mitte Deutschlands.
Leider betrachten nicht nur deutsche Historiker und Strategen Schlesien und Pommern (heute Polen) sowie Königsberg (heute Kaliningrad, Rußland) immer noch als "ihr" Ostdeutschland. Ist aber dieses einstige "Ostdeutschland", also die deutschen Ostgebiete, seit 1945 nicht längst Geschichte? Rennen da nicht einige "Träumer" nostalgisch einem veralteten Ideal hinterher, das heute wieder instrumentalisiert werden soll?
Will man uns weismachen, daß Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen nicht nur historisch "Mitteldeutschland" seien, sondern auch "Ostdeutschland" ostwärts der Oder liegt?

Peter Dornbruch, Schwerin


Im Vorwort zu seinem Buch "Who's who in CIA?" aus dem Jahre 1968 schreibt Julius Mader.
"Noch nie in der Geschichte der USA war der Einfluß ihres Geheimdienstsystems auf die Innen- und Außenpolitik sowie auf die militärische Strategie und Taktik so groß wie heute. Denn die Geheimdienstzweige der USA spielen als Werkzeuge der in Nordamerika herrschenden Monopolgruppen in der Globalstrategie eine besondere Rolle.
Der nordamerikanische Imperialismus nimmt für sich das Recht in Anspruch, gewissermaßen als Weltgendarm auf dem ganzen Globus gegen jegliche demokratische, fortschrittliche und nichtkapitalistische Entwicklung zu intervenieren. (...) Die Globalstrategie der USA wirkt sich indes in den jungen Nationalstaaten und auch zunehmend in jenen Staaten aus, die von ihren Regierungen durch Verträge an die USA gekettet worden sind. Die jüngste Vergangenheit lieferte den Völkern massive Beweise von vier Kontinenten für die permanente antinationale Wühlarbeit und die verbrecherische Kriegsvorbereitung der Geheimdienste der USA. Diese senden ihre Spione und Diversanten aus, konspirieren mit neo- und profaschistischen Kohorten, bereiten Putsche sowie die bewaffnete Intervention vor und stimulieren die ideologische Subversion. (...)
In jedem Falle aber bereiten geheimdienstliche Aktionen die direkten militärischen Operationen vor. Oft soll die großangelegte geheimdienstliche Subversion die Kampfhandlungen der Streitkräfte der USA unterstützen und den angestrebten antinationalen Effekt potenzieren helfen. (...) Unter diesem Aspekt formulierte der damalige Präsident der USA schon 1962: 'In dem Maße, in dem die militärischen Waffen mörderischer werden und eine zunehmende Zahl von Ländern über solche verfügt, erlangen der Subversionskrieg, Guerillakampf und andere Formen von Kämpfen immer größere Bedeutung. In dem Maße, wie die thermonuklearen Waffen mächtiger werden und man weniger Möglichkeiten für ihre Anwendung hat, spielt der Subversionskrieg eine ohne Unterlaß bedeutender werdende Rolle.' Damit wurden die psychologische Kriegführung und alle schmutzigen Methoden der Subversion auch öffentlich zur Staatspolitik der USA erhoben." Wie recht der Autor doch hatte!

Johann Weber, Niederbayern


Am 18. Mai 2000 stellte ich der Zeitschrift "Disput" folgende kurze Lageeinschätzung zur Verfügung:
"Die BRD driftet auf amerikanische Verhältnisse zu: 'Bad' Jobs, Kriminalität, krasser werdendes, soziales Gefälle nach Himmelsrichtung und Gesellschaftsstatus ... Wenn weiter SPD und CDU - natürlich im 'demokratischen' Wechsel - ohne entschiedene Gegenwehr wursteln dürfen, wird der Rest des 'Sozialstaats'gebotes bald über Bord geworfen sein. Denn alles, was an 'Sozialstaat' möglich war, wegen und nicht trotz des Fortschritts, wegen und nicht trotz der Systemauseinandersetzung bis 1990, wird nunmehr dem alles beherrschenden 'Sachzwang' unterworfen: Profit machen, egal was dafür geopfert werden muß. Nicht der Computerfortschritt zerstört die zivilisatorischen Errungenschaften wie Achtstundentag, Rente, Gesundheitsfürsorge und soziale Mindestexistenzsicherung. Nur die Unwilligkeit der politischen und vor allem der hinter diesen agierenden wirtschaftlich führenden Kräfte führt zu dem Desaster. Diese Kräfte haben wegen der Riesenprofite keine Lust, 'die menschlichen Ressourcen mit den unerfüllten Bedürfnissen der Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen' (Bill Gates)." Denn das würde zur Verteilung der Früchte des Fortschrittes an viele führen und damit die Profite schmälern. Die PDS (jetzt Die Linke - R. L.) sollte in Ihrem Programm sehr konkret die Schritte beschreiben, die aus dem kapitalistischen Sumpf herausführen und aufzeigen, wie man zwingend zu 'mehr Gerechtigkeit und Demokratie' kommt. An der Eigentumsfrage wird man dabei wohl nicht vorbeikommen."

Renato Lorenz, Berlin


Ich bin ein strikter Befürworter der Bündelung aller linken Kräfte in diesem Land zur Eindämmung der akuten Gefahr für den Weltfrieden. Aus ganzem Herzen stimme ich den Ausführungen des Genossen Oberst a. D. Hackenberg im "RotFuchs" vom Mai 2018 zu, daß es einen "Aufschrei gegen die kriegstreiberischen bundesdeutschen Ambitionen geben muß ­..., es dazu die Kraft der Straße braucht und die Partei Die Linke sich an die Spitze stellt".
Das ist das Gebot der Stunde, wenn es um die Erhaltung des Friedens geht.
In der gleichen "RotFuchs"-Ausgabe denkt auch Andreas Wehr in seinem Artikel über eine linke Sammlungsbewegung nach. Die von ihm vorgenommene Analyse linker Parteien in Europa und auch des Zustandes in der Partei Die Linke offenbart Probleme in der Führung linker Parteien. Man kann den inhaltlichen Ausführungen auf den ersten Blick zustimmen, wenn da nicht ein Argument aufgeführt würde, das in Wirklichkeit einer Sammlung aller linken Kräfte zuwiderläuft.
Andreas Wehr argumentiert, daß der Partei Die Linke eine Sammlungsbewegung nur gelingt, wenn sie ein geschlossenes theoretisches Weltbild ausbilden kann, an dem sich die Mitglieder ausrichten können. Doch genau das verhindert m. E. ein Zusammengehen aller linken Kräfte. Andreas Wehr formulierte an anderer Stelle: "Es bedarf einer politischen Kraft, die sich dem starken Rechtstrend entgegenstemmt ... Die Partei Die Linke ist diese Kraft nicht." Was soll man davon halten?
Mir bleibt nur, an alle linken Kräfte zu appellieren, die Lehren aus der Geschichte zur Vereinigung aller Friedenskräfte zu ziehen.
Nehmen wir auch die Rede von Putin am 9. Mai, dem Tag des Sieges, auf, in der er sagte: "Alle Länder, die ganze Menschheit, sollte sich bewußt werden, wie zerbrechlich die Welt ist, und daß nur unser gemeinsames Bestreben, einander zuzuhören, sich zu vertrauen und einander zu achten, sie stabilisieren kann."

Oberstleutnant a. D. Peter Meißner, E-Mail


Eine "Wende-Erzählung", die zu lesen sich lohnt, ist in meinem kleinen Mövenort-Verlag erschienen, "Nachkriegsbastard" von Maria Charlotte Wulff. Sie schlägt einen Bogen von der Nachkriegszeit bis heute. 40 Jahre Schwerin (mit neun beruflichen Stationen, u. a. Fleischkombinat, Lederwarenwerk, Staatsapparat und Handwerkskammer), Konterzeit in Rostock ("Kurze Zeit lief ich mit einem Behelfsausweis der SPD herum ­... Nachdem ich Dr. Ingo Richter, Käthe Woltemath und Joachim Gauck eine Weile zugehört hatte, wollte ich kein echtes SPD-Mitglied werden ..."), hernach ostdeutsche Ostseeküste. Das Buch ist auf der einen Seite unpolitisch und subjektiv, beschreibt die Arbeitswelt der DDR und ist ein Mutmacher für Frauen, einmal mehr aufzustehen als hinzufallen. Es ist politisch, weil die DDR in ihr Recht gestellt wird und keinerlei Anwandlung besteht, dem Zeitgeist zu dienen, also sie zu schmähen. Es handelt sich um ein schönes Stück Belletristik, mit leichter Hand notiert. Erhältlich über den Verlag in Rämel 1, 18374 Zingst oder über moevenortverlag@gmail.com, 268 Seiten, 12 €, ISBN 978-3-9818955-2-0.

Dr. Walter Lambrecht, Zingst


In meinen Unterlagen befindet sich ein NDArtikel vom 25. November 2000 über Untersuchungsergebnisse des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg im "Sozialreport 50+". Frau Dr. Haupt und Herr Prof. Dr. Winckler stellen darin fest, daß die Rentenangleichung Ost an West nicht vor 2030 erfolgen würde. Die Solidität dieser Analyse steht außer Zweifel; zudem ist zum Problemkreis Rente noch längst nicht das letzte Wort gesprochen. Ein Ausdruck dafür, daß Rentenfragen in ihrer Kompliziertheit und Komplexität noch weiter im Mittelpunkt sozialpolitischer Arbeit stehen werden, ist der von Frau Nahles eingereichte Gesetzentwurf des Rentenüberleitungsabschlußgesetzes, das die Rentendiskussion 2025 abschließen und endgültig beenden soll. Die angekündigten sieben Schritte werden noch einen hohen Aufwand erfordern. SPD-Minister in der jetzigen Koalitionsregierung, die Herren Scholz und Heil, haben mit Gerhard Schröder die Agenda 2010 erarbeitet, auch der jetzige Bundespräsident Steinmeier war federführend daran beteiligt, und Riester hatte schon im Januar 1999 zugesichert, daß die Rentenfrage bis zum Jahresende gelöst sei. Die immer nur ständige Betonung der "historischen Leistung bei der Angleichung der Rentenwerte" führt zu der Schlußfolgerung, daß alle anderen, die Rente nach wie vor begrenzenden Faktoren und Überführungslücken ausgeklammert werden. Das vorliegende Gesetz hat das zum Inhalt - es soll einen beispiellosen Prozeß der Enteignungspolitik abschließen und den Sozialraub nach drei Jahrzehnten mit diesem Gesetz festschreiben. Der Kampf um soziale Gerechtigkeit, um eine lebensstandardsichernde Rente bleibt also auf der Tagesordnung.

Wilhelm Bente, Stralsund


In der Mai-Ausgabe des "RotFuchs" wurde anläßlich des Kampftages für das freie Buch am 10. Mai ein Artikel aus der "Weltbühne" 18/1983 wiederveröffentlicht. In ihm wurde über die Bücherverbrennung der Faschisten im Jahre 1933 geschrieben.
U. a. wird darin dargelegt: "Die Bücherverbrennung war keine Erfindung der Faschisten. Bücher verbrennen, das bedeutet Intoleranz, Antihumanismus, Unterdrückung. Die Geschichte der Klassengesellschaften ist reich an diesen Merkmalen." Es folgen Beispiele von Vorkommnissen in anderen Ländern.
Nach der Konterrevolution von 1990 folgte auf die Tilgung unzähliger Straßennamen und die Entsorgung der Namensschilder wie 1933 eine "Bestandsbereinigung" in den Bibliotheken. Die DDR-Literatur landete zu einem großen Teil u. a. in bereitstehende Müllcontainer. (Wir haben bereits mehrfach ausführlich über diese schändliche Kulturbarbarei berichtet. Die Red.) 1933 sprach man von "Bücherverbrennung". Welcher Begriff wäre wohl für die brachiale Aktion zur Vernichtung von DDR-Literatur angebracht?
Aus Anlaß des 75. Jahrestages der faschistischen Bücherverbrennung hielt Bundespräsident Köhler eine Ansprache. Er rief dazu auf, "die Freiheit des Wortes und der Kunst" zu verteidigen, was angesichts der getätigten Vernichtung von DDR-Literatur nur als Hohn empfunden werden kann.
Die massenhafte Vernichtung von DDR-Literatur ist ebenso verwerflich, ja verbrecherisch wie die Bücherverbrennung der Faschisten.

Arndt Maser, Riesa


Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.
Postfach 02 12 19, 10123 Berlin


Das Impressum für die obenstehende Ausgabe ist zu finden unter:
http://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2018/RF-246-07-18.pdf

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Quelle:
RotFuchs Nr. 246, 21. Jahrgang, Juli 2018
Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2018

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