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ROTFUCHS/182: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 228 - Januar 2017


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

19. Jahrgang, Nr. 228, Januar 2017



Inhalt

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Unsere Alternative heißt Solidarität

Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung kennt großartige Abschnitte, deren Errungenschaften zum Teil bis heute trotz aller Anstrengungen der herrschenden Klasse nicht völlig beseitigt werden konnten. Selbstverständlich ist wahr: Das an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erkämpfte Sozialversicherungssystem wurde im vergangenen Jahrzehnt systematisch vor allem von SPD-Politikern auf die schiefe Bahn von Privatisierung und Deregulierung geschoben, d. h. Spekulanten in den Rachen geworfen. Sozialdemokraten waren es, die sich vom VW-Manager Peter Hartz die nach ihm benannten Gesetze entwerfen ließen, mit denen Armut staatlich verordnet wurde. Zusammen mit der Einführung des sogenannten Niedriglohnsektors machte das die Bundesrepublik bei enorm steigender Arbeitsproduktivität zu einem Dumpinglohnland, das ganze Volkswirtschaften in die Verschuldung oder gar in den Bankrott trieb.

Die deutsche Exportwalze hinterläßt Armut auch im Ausland und ist zum Schrecken der Arbeiter und Angestellten anderer Länder geworden. Das deutsche Wort "Niedriglohnsektor" verbinden sie ebenso wie ihre Kapitalherren mit dem "Erfolgs"modell eines gnadenlosen imperialistischen Konkurrenzkampfes. Am 26. November verkündete "Der Spiegel" den Rekord aller Rekorde bei den deutschen Ausfuhren für das Jahr 2016: "Noch nie erwirtschaftete Deutschland einen höheren Leistungsbilanzüberschuß als dieses Jahr, noch nie lag dessen Anteil am Bruttoinlandsprodukt höher." Dieser Wert stieg den Prognosen nach auf 8,9 Prozent, in absoluten Ziffern: auf 279 Milliarden Euro, weitaus mehr, als die VR China erzielt. Wahrscheinlich liegt die Quote noch höher. Noch nie, so "Der Spiegel" weiter, habe eine reiche, reife Volkswirtschaft ähnlich hohe Überschüsse erzielt. Sie kennzeichneten eher Entwicklungsländer, die niedrige Löhne nutzten, um über Exporte zu Wohlstand zu gelangen. Wahr ist aber auch: Die soziale Kluft zwischen herrschender und unterdrückter Klasse ist eben wegen solcher Rekorde hier und in anderen imperialistischen Ländern derart größer geworden, daß sich die regierenden Parteien ihrer oft seit 1945 unangefochtenen Stellung bei Wahlen nicht mehr sicher sein können. Sie sehen sich z. B. in der Bundesrepublik, die durch die Räuberei ihres Großkapitals im Vergleich zu anderen Staaten im Geld schwimmt, gezwungen, "Korrekturen" an den schlimmsten sozialen Schandtaten vorzunehmen. Das "Brexit"-Referendum, die AfD-Wahlerfolge in der Bundesrepublik und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sprechen aber eine deutliche Sprache.

Letzteres besagt zugleich, daß es den Herrschenden im Zeichen des globalen Ringens um Macht gelungen ist, mit Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus die vielen, die sich in gleicher prekärer Lage befinden, zu spalten und gegeneinander aufzubringen. Richtig ist aber auch, daß sich internationalistische, antirassistische Haltungen in vielen gesellschaftlichen Schichten weltweit durchgesetzt haben und sich in den meisten imperialistischen Ländern fast gleichstarke politische Blöcke gegenüberstehen.

Wahr ist, daß Sozialisten und Kommunisten weltweit immer noch an den Folgen der seit der Machtübergabe an den deutschen Faschismus 1933 größten Niederlage der Arbeiterbewegung von 1990 schwer zu tragen haben und nicht in der Lage waren, der Entfesselung des Imperialismus nach dem Untergang von DDR und Sowjetunion etwas entgegenzusetzen. Wahr ist aber auch, daß die Errungenschaften des Sozialismus von den Siegern nicht "verdaut" werden konnten und sich ins Gedächtnis der Besiegten unauslöschlich eingeprägt haben. Die Bekämpfung der DDR, ihrer sozialen Sicherheit, ihres Gesundheits- und Bildungssystems ist in der Bundesrepublik angesichts einer Situation, in der "die ganze Lebensstellung immer unsicherer" wird ("Manifest der Kommunistischen Partei"), politische Chefsache, und sie wird im Bundeskanzleramt koordiniert. International schlugen der linke wie der rechte Antikommunismus fast übergangslos in Bekämpfung Rußlands als Hauptfeind um. Der amtierende Präsident wird in einer Weise dämonisiert, wie es in Kriegszeiten üblich ist. Und ja - der Appetit kommt beim Essen - die Kriegsherren und -damen des Westens riskieren nach einer Kette von Kriegen, die sie angezettelt haben, einen dritten Weltkrieg und damit ein nukleares Inferno.

Sind Sozialisten und Kommunisten angesichts dessen machtlos? Nein, weder die Mehrheit der deutschen noch der Weltbevölkerung folgt denen, die an Frieden kein Interesse haben. Aus dieser Haltung erwachsen gegenwärtig aber weder nennenswerter Protest noch wirksamer Widerstand. Unsere Aufgabe muß sein, jeder an seinem Ort, in seiner Organisation oder als Parteiloser, in der Öffentlichkeit aufzuklären und sich mit anderen Gleichgesinnten zu verständigen. Die Friedensfrage ist dabei kein Einzelproblem, sondern der Schlüssel, um die Zusammengehörigkeit von Imperialismus und Krieg einerseits, von Sozialismus und Frieden andererseits nachzuweisen. Erinnert sei an einen Text, den Karl Marx 1864 am Ende einer für die Arbeiterbewegung vernichtenden Reaktionsperiode (und "goldenen" Jahrzehnten für das Kapital) schrieb, die "Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation". Er fragt dort abschließend: "Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Gut und Blut vergeudet?" Er feiert dort den Widerstand der englischen Arbeiterklasse, die eine Teilnahme ihres Landes am amerikanischen Bürgerkrieg auf seiten der Südstaaten verhinderte und es "vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei" bewahrte.

Der Kampf für eine auswärtige Politik, in der "die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts (...) als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen" geltend gemacht werden, sind, so Marx, "eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse". An dieser Feststellung hat sich ungeachtet des Wandels aller Umstände nichts geändert. Die damit verbundene Forderung ist zutiefst humanistisch - und sie ist verständlich. Tun wir alles, um sie zu verbreiten, auch wenn wir zur Zeit nur wenige sind!

Arnold Schölzel

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Comandante Fidel Castro - presente!

Mit großem Schmerz haben wir die Nachricht vom Ableben des Comandante Fidel Castro erhalten. Wir reihen uns ein in die Millionen, die ihr Beileid ausdrücken. An die Familienangehörigen von Fidel, an seine engsten Vertrauten und Freunde, an seine Partei, an sein Volk, an alle, die das Privileg gehabt haben, ihn kennenzulernen, und alle, die sich in aller Welt durch seine Ideen, sein Beispiel und seine Standhaftigkeit inspirieren ließen: Wir sagen Euch, daß wir bei Euch sind! Wir verspüren den gleichen Schmerz auf der anderen Seite des Atlantiks, im alten Europa, das sich ebenfalls verneigt vor diesem großen Genossen und Menschen, der seinen Platz in der Geschichte der Menschheit hat.

In den neunzig Jahren seines Lebens ist viel über Fidels Werk gesagt worden, und man wird in der Zukunft über dieses Werk reden. Unabhängig davon, was die Medien sagen, hat die Geschichte Fidel bereits freigesprochen - es ist nicht erforderlich, daß Politiker oder Medien sein Werk absegnen.

Die Bedeutung der Kubanischen Revolution ist in erster Linie sozialer Art: Sie hat in den 60er-Jahren die Arbeiterklasse, die Bauern, die Ausgebeuteten an die Macht gebracht. Sie war in jener Zeit der Startpunkt für Aufstandsbewegungen in Lateinamerika und Afrika. Aber die Kubanische Revolution zeichnet sich auch dadurch aus, die Niederlage des Sozialismus in Europa und der UdSSR überlebt und sich der Attacken des US-Imperialismus und der kriminellen Blockade widersetzt zu haben. Trotz aller Widrigkeiten konnte Kuba, mit der PCC und Fidel an ihrer Spitze, durch die Sonderperiode kommen und ist heute stärker als vor zwanzig Jahren. Dank Fidels, Raúls und der Kommunistischen Partei Kubas hat die Revolution eine gesellschaftliche Gleichheit gebracht, die nur möglich ist im Sozialismus. Das ist der Platz dieser Revolution und Fidel Castros in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Und Kuba hat 1991/92 nicht einfach Halt gemacht: Der Genosse Fidel brachte Kuba und sein Volk vom 20. in das 21. Jahrhundert. Der Platz Kubas heute ist weiterhin einer des Internationalismus. Die Befreiung verschiedener afrikanischer Länder, aber auch die kubanische Hilfe im medizinischen, humanitären und gesundheitlichen Bereich in so vielen Regionen der Welt ist ein Akt der Zärtlichkeit, die, wie wir wissen, die internationalistische Solidarität ist.

Die Deutsche Kommunistische Partei verneigt sich vor Fidel Castro, der für uns ein Beispiel war, ist und sein wird. Wir sagen tausendmal: Fidel presente!

Es lebe die internationale Solidarität! Es lebe die Kubanische Revolution! Es lebe Fidel!

Patrik Köbele (Vorsitzender der DKP)

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Der russische Präsident Wladimir Putin hat dem Volk, der Regierung Kubas und Raúl Castro kondoliert. "Ich drücke Ihnen und dem Volk von Kuba mein tiefstes Beileid zum Tod des Revolutionsführers und Ihres Bruders Fidel Castro aus. Der Name dieses hervorragenden Politikers gilt zu Recht als Symbol einer Epoche in der jüngsten Zeitgeschichte. Das von ihm und seinen Mitstreitern aufgebaute freie und unabhängige Kuba ist zu einem einflußreichen Mitglied der internationalen Gesellschaft geworden, das viele Länder und Völker begeistert", heißt es im Telegramm des russischen Präsidenten.

Chinas Staatschef und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Xi Jinping hat in einem Telegramm an den Ersten Sekretär des Zentralkomitees der PCC, Raul Castro, der Familie von Fidel Castro im Namen des chinesischen Volkes, der Regierung und der KP sein Beileid übermittelt.

Xi Jinping betonte in seinem Beileidstelegramm, daß Fidel Castro als Gründer der Kommunistischen Partei Kubas und Begründer des Sozialismus im Land "ein großer Anführer des kubanischen Volkes" gewesen sei. "Das chinesische Volk hat einen guten und wahrhaftigen Genossen verloren. Genosse Castro wird immer weiterleben", erklärte Jinping. Er habe all seine Kräfte im Kampf für die Befreiung des kubanischen Volkes, die Verteidigung der nationalen Souveränität und den Aufbau des Sozialismus gegeben. "Castro hat dem kubanischen Volk und der weltweiten Entwicklung des Sozialismus einen unsterblichen historischen Dienst erwiesen."

Rafael Correa (Präsident Ecuadors): Fidel lebt weiter in den Gesichtern der Kinder, die zur Schule gehen, in denen der Kranken, die ihr Leben retten, in denen der Arbeiter, die die Früchte ihrer Arbeit ernten. Sein Kampf geht weiter in den Anstrengungen jedes jungen Idealisten, der sich daranmacht, die Welt zu verändern.

Auf dem am meisten ungleichen Kontinent des Planeten hast du uns das einzige Land hinterlassen, in dem es keine unterernährten Kinder gibt, in dem die höchste Lebenserwartung herrscht, in dem 100 Prozent zur Schule gehen und kein Kind auf der Straße lebt.

Es ist reine Verlogenheit, über Erfolg oder Scheitern des kubanischen Wirtschaftsmodells zu diskutieren, ohne von der mehr als 50 Jahre dauernden verbrecherischen Blockade zu sprechen. Angesichts einer solchen Blockade würde jedes kapitalistische Land in Lateinamerika in wenigen Monaten zusammenbrechen. ...

Kuba wird voranschreiten durch seine revolutionären Prinzipien, durch seine außerordentlichen menschlichen Talente, aber auch, weil der Widerstand Bestandteil seiner Kultur ist, und mit dem Beispiel Fidels wird das kubanische Volk niemals erlauben, daß sein Land wieder zur Kolonie eines Imperiums wird.

Danke, Fidel! Die Mehrheit liebte dich leidenschaftlich, eine Minderheit haßte dich, aber niemand konnte dich ignorieren. Manche Kämpfer werden im Alter von ihren härtesten Widersachern akzeptiert, weil sie nicht mehr gefährlich sind. Du aber hattest nicht einmal diese Ruhe, denn bis zuletzt gab es kein Prinzip, das dein klares Wort und dein leuchtender Geist nicht verteidigten, keine Wahrheit, die nicht ausgesprochen wurde, kein Verbrechen, das nicht angeprangert wurde.

¡Hasta la victoria siempre!

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Großes Treffen kommunistischer und Arbeiterparteien in Hanoi
Gemeinsame Resolution verabschiedet

Vom 28. bis zum 30. Oktober 2016 trafen sich 57 kommunistische und Arbeiterparteien in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. Es war das 18. Treffen in Folge, seit die Kommunistische Partei Griechenlands 1999 zum ersten Mal zu einer weltweiten Zusammenarbeit mit regelmäßigen Treffen eingeladen hatte.

Die Beratung hatte den Arbeitstitel "Kapitalistische Krise und imperialistische Offensive-Strategie und Taktik der kommunistischen und Arbeiterparteien im Kampf für Frieden, Arbeiter- und Menschenrechte, für Sozialismus". Hoang Binh Quan, verantwortlich für die internationalen Beziehungen bei der KP Vietnams, verwies auf die Erfolge in der Wirtschaft und die Verbesserung der Lebensbedingungen des vietnamesischen Volkes, nachdem der 6. Parteitag Fehler überwunden hatte, die aufgrund der enormen Schwierigkeiten nach dem antikolonialistischen und antiimperialistischen Befreiungskrieg gemacht wurden.

Heute könne man auf Stabilität und internationale Integration blicken. Die DKP befaßte sich in ihrem Beitrag mit der Auswirkung des AfD-Anwachsens bei Wahlen auf die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, den Kriegen als Fluchtursache, der Rolle Deutschlands und der EU dabei sowie mit dem Sofortprogramm der DKP und deren internationalistischen Initiativen der letzten Arbeitsperiode.

Zum Rahmenprogramm gehörte neben Besuchen des Ho-Chi-Minh-Hauses und des Militärmuseums auch ein Treffen mit dem Generalsekretär der KP Vietnams, Nguyen Phu Trong. Dieser dankte den Anwesenden für die Unterstützung Vietnams in den Jahren der ausländischen Aggression.

Nach drei Treffen ohne eine gemeinsame Erklärung wurde in Vietnam nach monatelangen, intensiven Vorarbeiten erstmals wieder ein Text verabschiedet, den alle teilnehmenden KPs und Arbeiterparteien unterschreiben konnten. Darin wird zum Ausdruck gebracht, daß der Kapitalismus in der Welt eine verschlechterte wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage, gepaart mit einer Umwelt- und Flüchtlingskrise, und wachsende Unsicherheit und Instabilität verursacht hat.

Seiner eigenen inneren Krise versucht er mit Interventionen, Einmischung und Machenschaften wie der Unterstützung von Kräften wie dem IS und anderer krimineller Kräfte zu begegnen. Die Parteien begrüßen in der Resolution die Kämpfe der Völker in allen Teilen der Welt gegen diese kapitalistische und imperialistische Offensive und für Arbeits-, gesellschaftliche und demokratische Rechte, Geschlechtergleichheit, nationale Unabhängigkeit und Souveränität, Frieden und Sozialismus. Bezug nehmend auch auf die Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am Vorabend ihres 100. Jahrestags, rufen die Parteien dazu auf, in der kommenden Zeit gemeinsame Aktionen u. a. zu folgenden Themen durchzuführen:

  • Gemeinsames Begehen des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution
  • 150. Jahrestag der Veröffentlichung des "Kapitals"
  • Austausch von Strategien und Erfahrungen zur Verstärkung des Kampfs gegen alle Formen ideologischer und politischer Vormacht des Kapitalismus
  • Aktivitäten zur Verteidigung der Freiheit und des Rechts gegen den Antikommunismus und alle Arten der Diskriminierung sowie Solidarität gegen Parteiverbote; Aktivitäten gegen Faschismus und Neonazismus in der Woche vom 5. bis 11. Mai
  • Verstärkung des Kampfs um Frieden und gegen imperialistische Okkupation, Interventionen und Einmischung, gegen die NATO und ihre Erweiterung, gegen Atomwaffen und Auslandsbasen und für friedliche Beilegung aller Konflikte

Die Vorbereitungsgruppe wurde für die nächste dreijährige Periode von 16 auf jetzt 19 Parteien vergrößert. Zudem besteht noch der Wunsch fünf weiterer Parteien - der Französischen KP, der PdA Koreas, der Sudanesischen KP, der KP der Völker Spaniens und der KP Chinas - auf Aufnahme in dieses Gremium. Als Mitglieder des "SolidNet" aus bis dato 116 Parteien, das die Basis für eine Teilnahme an den internationalen Treffen darstellt, sind die "Sozialistische Bewegung Kasachstans" und die KP Italiens aufgenommen worden. Das nächste Treffen wird 2017 in der Russischen Föderation stattfinden.


Weitere Informationen unter www.solidnet.org

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Belgien: Die PTB hat jetzt 10 000 Mitglieder

Die belgische Partei der Arbeit (PTB/PvdA) hat kürzlich ihr zehntausendstes Mitglied aufgenommen. Eine 31jährige Krankenschwester aus der flämischen Gemeinde Lierre wurde vom PTB-Vorsitzenden Peter Mertens willkommen geheißen.Die PTB zeigt damit, daß sie als Partei mit klarer antikapitalistischer Konzeption nicht nur bei Meinungsumfragen zu Wahlen gute Werte erreicht. 2003 lag ihre Mitgliederzahl noch bei 1500.

"In der PTB habe ich Menschen getroffen, die wirklich menschlich eingestellt sind, die mit Menschlichkeit agieren und alle in ihrer Umgebung berücksichtigen. Ebenso werden Menschen anderer Kulturen beachtet und solche, die in Armut leben", sagte das neue Mitglied. "Endlich fühlte ich mich nicht mehr allein mit den Werten und Normen, die mir wichtig sind. Das ist, wie wenn man nach einer langen Suche nach Hause kommt." Peter Mertens nannte dies "ein sehr schönes Kompliment von einem tollen neuen Mitglied". Werte wie Menschlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit gehörten zur "DNA unserer Partei ... Wir sind eine Basis-Partei und werden das immer bleiben. Aktiv vor Ort, da wo die Menschen leben und arbeiten, sind unsere Mitglieder das Herz der Partei."

Gestützt auf "UZ", 11.11.2016

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Der Präsident als Aschenputtler - eine Kalendergeschichte
von Erasmus Schöffer

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Erdogans Rocker und Merkels Kumpanei
von Sevim Dagdelen

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Kriegsabenteurer weiter am Werk
Zum neuen Bundeswehr-Weißbuch (2 und Schluß)

Obwohl die weltpolitische Lage eigentlich dazu herausfordert, hat das neue Weißbuch in der Öffentlichkeit bisher nur eine marginale inhaltliche Debatte ausgelöst. Anstelle einer wissenschaftlichen Analyse angenommener auf Deutschland gerichteter Bedrohungen, ist die Rede davon, daß "die internationale Ordnung im Umbruch ist" und "Treiber des Umbruchs" dafür verantwortlich sind. Weiter heißt es, das Umfeld sei noch "komplexer, volatiler, dynamischer und schwieriger vorhersehbar" geworden. Das Wort volatil übersetzt der Duden mit flüchtig, verdampfend (chem.). Im Zusammenhang mit militärpolitischen Fragen kann es so gut wie alles bedeuten.

Anstatt die tatsächlich gegebene Bedrohungslage wissenschaftlich zu analysieren, wird zahlreichen Staaten kurzerhand "eine schlechte Regierungsführung und eine weitverbreitete Vetternwirtschaft und Korruption, die vielfach mit organisierter Kriminalität verflochten ist und innerstaatliche Konflikte sowie regionale und internationale Krisen befördern", unterstellt.

Bei objektiver Betrachtung dieses Sachverhalts wäre an erster Stelle das Kernwaffenpotential der Länder zu nennen, die mit ihren Trägermitteln das deutsche Territorium erreichen können, unabhängig davon, wie sich gegenwärtig ihre bilateralen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland darstellen. Konkret sind das: Frankreich, Großbritannien, die USA, Israel, Rußland und China.

Müßte man nun mögliche Bedrohungen durch Deutschlands Nachbarn befürchten? Bekanntlich grenzen an die BRD neun unmittelbare Nachbarstaaten, von denen sieben der NATO angehören und acht Mitglieder der EU sind. Österreich ist nicht in der NATO, aber EU-Mitglied, die Schweiz ist weder NATO- noch EU-Mitglied. Das macht deutlich, daß eine direkte Bedrohung Deutschland aus seinem unmittelbaren Umfeld nicht gegeben ist. Doch: Wie empfinden unsere Nachbarn das erneute deutsche Streben nach Vorherrschaft? Allein die ökonomische Stärke der BRD löst bei ihnen Besorgnis aus. Werden angesichts des immer lauter werdenden deutschen Führungsanspruchs nicht Erinnerungen daran wach, daß es vor nicht allzu langer Zeit deutsche Truppen waren, die ihre Länder überfallen, unterjocht und ausgebeutet haben?

Angenommen werden kann also, daß - auch aus dem realen Kräfteverhältnis zwischen der NATO und potentiellen Gegnern im weiteren Umfeld - Deutschland keine Bedrohung erwächst. Bedrohungen erwachsen dagegen zweifellos aus dem Cyber- und Informationsraum. Sie gehen nicht nur von potentiellen Gegnern, sondern auch von Verbündeten der BRD aus, insbesondere von den USA, wie sich bereits erwiesen hat. "Insgesamt hat sich der Cyber- und Informationsraum [...] zu einem internationalen und strategischen Handlungsspielraum entwickelt, der so gut wie grenzenlos ist." Diese Einschätzung ist zweifellos zutreffend. Das Internet ist längst zu einer Zone geworden, in der offensive und defensive Aktionen stattfinden.

Die Feststellung, wonach "bewaffnete Konflikte, Verfolgung und Vertreibung, widrige wirtschaftliche, soziale oder ökologische Rahmenbedingungen sowie Armut oder Hunger weltweit Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen", klammert bewußt die Frage nach den Ursachen und Verursachern dafür aus. Wer hat Afghanistan, Irak, Libyen, Tunesien, Somalia, Syrien und Mali durch subversive und militärische Interventionen destabilisiert, ihrer Selbstbestimmung beraubt und sie in wirtschaftliches Chaos gestürzt? Es waren jene Staaten, in denen danach die Flüchtlinge angekommen sind.

Weiter steht im Weißbuch: "Deutschlands Sicherheit ist untrennbar mit der seiner Verbündeten in NATO und EU verbunden. [...] Nur gemeinsam mit den USA kann sich Europa wirkungsvoll gegen die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts verteidigen und glaubwürdige Abschreckung gewährleisten."

Diese Aussage ist prinzipiell falsch. Die USA bedrohen gegenwärtig die ganze Welt, auch Deutschland.

Das Weißbuch macht deutlich: Deutschland sieht sich schon in der obersten Liga, im Kreis der global agierenden und dominierenden Mächte, als Großmacht. Daher der Anspruch auf "mehr Verantwortung", also "mehr Einfluß" in der Welt, wofür es der unmittelbaren Bedrohung der eigenen Sicherheit gar nicht mehr bedarf, um militärisch aufzurüsten und zu intervenieren. Es reicht schon aus, wenn die erklärten und weitgespannten Eigeninteressen irgendwo in der Welt gefährdet erscheinen. Das Weißbuch unterstreicht zumindest die Vormachtstellung Deutschlands in der EU, und es versteht sich wohl auch darüber hinaus als richtungsweisend, da es in eine Zeit fällt, in der die Karten unter den Großmächten zur Sicherung ihres regionalen oder globalen Einflusses neu gemischt werden.

Insoweit ist das Dokument ein Zeugnis des neuen Selbstverständnisses des deutschen Imperialismus, weit über rein militärpolitische und militärische Zusammenhänge hinaus. Die den Ergebnissen des II. Weltkrieges geschuldete, seit 1990 bereits abnehmende deutsche Zurückhaltung im Einsatz militärischer Mittel geht jedenfalls ihrem Ende entgegen. Der militärische Faktor soll offensichtlich erneut ein bevorzugtes Mittel der Politik werden. Damit wird die historische Erfahrung ignoriert, wonach Kriege die Probleme der menschlichen Gesellschaft nicht gelöst, dafür aber neue geschaffen haben. Zu fordern ist daher, die Prävention von Kriegen als wichtigstes Prinzip in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu verankern. Denn wir befinden uns gegenwärtig an einem Wendepunkt der Geschichte - vielen ist der Ernst der Lage allerdings noch nicht bewußt. Politiker und Medien reden leichtfertig von Krieg und scheinen nicht zu wissen, was Krieg bedeutet. Wenn man die unklaren, wolkigen Formulierungen, sprachlichen Verschleierungen und artfremden Begriffe im Weißbuch liest, drängt sich der Verdacht auf, daß die Verfasser des Werks mit dem Feuer spielen wollen.

Vergleicht man das vorliegende Weißbuch 2016 mit der Militärdoktrin der Russischen Föderation (2014) und dem Weißbuch der VR China (2015), so liegen im wahrsten Sinne des Wortes Welten dazwischen.

Bernd Biedermann, Berlin

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Eine Welt oder keine Welt
Martin Niemöller - U-Boot-Offizier, Widerstandskämpfer, Gegner der Atomrüstung

Ziemt es sich, im Lutherjahr, in dem Kirche und Staat jeden Tag mit "events" den Reformator rühmen, an Martin Niemöller zu erinnern? Reicht der Hinweis auf den 125. Jahrestag seiner Geburt am 14. Januar 1892 und der Verweis auf den Vornamen Martin, den sein Vater als treuer Lutheraner ausgewählt hatte? Es gibt gewichtigere Gründe, vor allem aktuelle Erfordernisse, die uns dazu bewegen, sein Vermächtnis der Vergessenheit zu entreißen.

Als Martin Niemöller 1910 das Abitur mit glänzendem Zeugnis abgelegt hatte, zuckten die Blitze des bevorstehenden Krieges am politischen Horizont. Der Pfarrerssohn wählte die Offizierslaufbahn bei der Kriegsmarine. Das war seit Luthers Zeiten nicht ungewöhnlich in Pfarrersfamilien. Die Lutherkirche hatte die Kriege der Landesfürsten gesegnet. Wilhelm II. war Oberhaupt der Kirche. "Gott mit uns" war die Losung, die die Kirche lieferte. Es wurde um den "Platz an der Sonne" gekämpft, und Martin Niemöller war dabei. Er war "als Seeoffizier über alle Maßen glücklich gewesen", schrieb er später.

Niemöller betrachtete die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg auch als seine persönliche Katastrophe. Er glaubte an die Dolchstoßlegende. Schließlich entschied er sich für das Studium der Theologie, das er im Januar 1920 begann. Aber schon im März 1920 unterbrach er sein Studium, um als Bataillonskommandeur eines Freikorps gegen die Rote Ruhrarmee zu kämpfen. Nach seinem Studium wurde Niemöller zunächst in der "Inneren Mission" beschäftigt. Am 1. Juli 1931 bekam er eine Pfarrstelle in Berlin-Dahlem. Als Hitler Reichskanzler wurde und er von Dibelius auf dem Staatsakt in Potsdam im März 1933 gesegnet worden war, entbrannte in der protestantischen Kirche der Streit um die Frage, wie sie sich zur Politik der Hitler-Regierung verhalten solle. Die "Deutschen Christen" unterstützten in der Tradition Martin Luthers die "Obrigkeit". Sie forderten eine "Reichskirche", die Einführung des "Führerprinzips" in der Kirchenhierarchie und den Ausschluß "Fremdrassiger", der Juden. Luther hatte die Saat für den Judenhaß gelegt.

Martin Niemöller trat den "Deutschen Christen" entgegen und gründete mit Gleichgesinnten Ende 1933 den Pfarrernotbund, dem bis Weihnachten 7000 evangelische Pfarrer (40 % der Gesamtheit) beitraten. Dieser Notbund verwandelte sich im Frühjahr 1934 in die "Bekennende Kirche", die Hitler am 4. Juni 1934 eine Protestschrift überreichte. In ihr wurden die faschistische Politik und Ideologie verurteilt.

Niemöller wirkte im Geiste der Schrift. Hitler ließ ihn am 1. Juli 1937 verhaften. Über das Urteil tobte er, denn der widerständige Pastor wurde "nur" zu sieben Monaten Festungshaft und 2000 Mark Geldstrafe verurteilt. Die Haftstrafe galt als verbüßt. Niemöller kam trotzdem nicht frei. Hitler ließ ihn als "persönlichen" Gefangenen zuerst im Konzentrationslager Sachsenhausen, ab 1. Juli 1941 in Dachau einkerkern. Der "bekennende" Pastor überlebte und wurde zur Symbolfigur des protestantischen Widerstands gegen Hitler.

Das schuf ihm eine Sonderstellung in der Kirche. Zudem wirkten seine Erfahrungen aus der Haftzeit. Im Herbst 1947 wurde Niemöller in Hessen-Nassau zum Kirchenpräsidenten gewählt. Gleichzeitig wirkte er als stellvertretender Vorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und Leiter des kirchlichen Außenamtes. Er war der erste Deutsche, der mit seiner Reputation in England, Schottland, den USA, Schweden und Norwegen öffentlich auftreten durfte. 1952 knüpfte er auch in Moskau Kontakte zu orthodoxen Kirchenführern. Das brachte ihm den grimmigen Zorn vieler Glaubensbrüder ein, die den Weg des kalten Krieges und der Remilitarisierung mitgingen und segneten.

In den Nachkriegsjahren entwickelte sich der hessische Kirchenpräsident zu einem scharfen Kritiker der Spaltungs- und Aufrüstungspolitik Adenauers: "Die jetzige Staatsform wurde in Rom gezeugt und in Washington verkündet", urteilte er. Er trat gegen die Remilitarisierung auf und wollte die Verständigung mit der Sowjetunion. Die BRD müsse sich von der Revanchepolitik lösen und ihre Souveränität gegenüber den USA durchsetzen. Er mußte sich als "Vaterlandsverräter" und "Agent Moskaus" beschimpfen lassen.

Niemöller wurde 1954 Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft. Zu dieser Zeit war er in der EKD isoliert und kaltgestellt. Das Wort führten Theologen wie Dibelius und Asmussen, die auch den Seelsorgevertrag durchsetzten, den Adenauer und Dibelius am 22. Februar 1957 unterzeichneten. Das Bündnis von Thron und Altar war in neuer Form wiederhergestellt.

Seit Mitte der 50er Jahre wurde Niemöller zum nimmermüden Mahner von "Gottes Gebot im Atomzeitalter". Adenauer und Strauß strebten die atomare Bewaffnung der Bundeswehr an.

Diese Pläne wurden zur größten Gefahr für den Frieden in Europa. Nach einem Gespräch mit den Atomphysikern Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und Otto Hahn am 6. Juni 1954 - alle drei waren 1957 Unterzeichner des berühmten "Göttinger Appells" - wurde Niemöller zum entschiedenen Vorkämpfer gegen die atomare Rüstung. Niemöller erklärte: "Seit 1954 können Menschen das Leben auf der Erdoberfläche umbringen. Das heißt, seit 1954 können die Menschen die Erde so machen, wie es in Moses, Vers 1, geschrieben steht: 'Und die Erde war wüst und leer.'" Diese Gefahr ist seit den 50er Jahren enorm gewachsen. Die Zahl und die Sprengkraft der Atomwaffen sind noch größer geworden. Die Zahl der Atommächte hat sich vergrößert. Auch auf deutschem Boden sind Atomwaffen stationiert. Das alles macht Niemöllers Vermächtnis aktuell wie nie. Auch die Lage in seiner Kirche hat sich verändert. Damals gab es einige Theologen wie Hans Asmussen, die die Bombe als "Strafrute Gottes" betrachteten. Es kam nicht zu einer Ächtung der Atomwaffen durch die Lutherkirche.

Und die Rufe der Schorlemmer, Eppelmann und Gauck, Frieden ohne Waffen zu schaffen, sind seit der "friedlichen Revolution" verstummt. Daß die "events" im Lutherjahr etwas ändern, zeichnet sich nicht ab. Gerade deshalb ist das Wirken des Lenin-Friedenspreisträgers Martin Niemöller Beispiel und Ermutigung.

Er erklärte, "daß heute die Ausbildung zum Soldaten ... die Hohe Schule für Kriegsverbrecher" ist. Strauß stellte einen Strafantrag wegen "Beleidigung der Bundeswehr", was Niemöller nicht abschreckte. Anfang der achtziger Jahre war er mit General Bastian einer der Initiatoren des "Krefelder Appells", der sich zu einer machtvollen Kraft entwickelte. Der Schatz an damals gemachten Erfahrungen ist für die Gegenwart zu erschließen.

Ich bin dankbar, daß ich von 1981 bis 1984 jeweils in einer Oktoberwoche auf Einladung der "Krefelder" die Friedenspolitik der DDR vorstellen durfte, zuerst in Karlsruhe, zuletzt in München. Niemöller ehren heißt, seinen Kampf bis zum Erfolg fortzusetzen - damit die Menschheit noch rechtzeitig von der Geißel des Krieges befreit wird.

Prof. Dr. Horst Schneider



Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.

Martin Niemöller

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Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte

So lautet die erste Zeile eines Liedes, das im Verlaufe des 19. Jahrhunderts und bis ins 20. hinein ganze Generationen von Schulkindern auswendig gelernt und auch gesungen haben. In seinen "Liedern für Teutsche" (1813) veröffentlichte Ernst Moritz Arndt (1769-1860) dieses "Vaterlandslied" neben anderen patriotischen und kämpferischen Gesängen. Es war die Zeit der Erhebung progressiver und vaterländischer Kräfte gegen die napoleonische Fremdherrschaft.

Dieses Lied des umtriebigen Publizisten, Historikers und Lyrikers mit einem Hang zum Romantisieren ist aus der Aufbruchstimmung der damaligen Zeit zu verstehen, da sich durch die vernichtende Niederlage des korsischen Diktators vor Moskau 1812 auch völlig neue Perspektiven für die anderen geknechteten Völker abzeichneten. Es verbindet plebejischen Zorn und Erbitterung gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung mit einem todesverachtenden Glauben und geradezu religiös-verzückten Vertrauen in den Erfolg von Waffengewalt, die sich gegen die Tyrannei der französischen Besatzungsmacht richtet.

So verständlich die Attitüde des Aufbegehrens gegen eine ungerechte Fremdherrschaft in dieser Situation war, so gefährlich waren bestimmte Konsequenzen, die sich in Arndts Lebensgang, vor allem aber in der weiteren Wirkungsgeschichte dieses Liedes ablesen ließen. Auch er selber ist der Gefahr nicht entgangen, die darin lag, den Haß auf den Diktator gleitend in eine Verachtung "des Franzosen" an sich übergehen zu lassen. Daraus konnte ein sich später weiter verfestigender antifranzösischer Chauvinismus seinen Honig saugen und die westliche Nachbarnation schließlich zum "Erbfeind" erklären. Der aber wurde zunächst im Krieg von 1870/71 besiegt, was die spiegelbildlichen deutschfeindlichen Ressentiments in den folgenden Jahrzehnten auf französischer Seite zumindest nicht ganz unverständlich erscheinen läßt.

Als sich das deutsche Kaiserreich 1914 sehr bereitwillig in einen neuen Krieg hinein ziehen ließ, verbanden sich natürlich wiederum Franzosenfeindschaft, deutscher Nationalismus und Chauvinismus auf das Innigste. Es kann nicht verwundern, wenn dabei auf die nationalistischen Ambitionen des verehrten Dichters des Vaterlandsliedes zurückgegriffen wurde. In einem Aufruf von 1813 hatte Ernst Moritz Arndt einst geschrieben: "Nicht mehr Katholiken und Protestanten, nicht mehr Preußen und Österreicher, Sachsen und Bayern, Schlesier und Hannoveraner, nicht mehr verschiedenen Glaubens, verschiedener Gesinnung und verschiedenen Willens - Deutsche seid, eins seid, wollet eins sein durch Liebe und Treue!"(1) Und wenige Tage nach Kriegsausbruch, am 4. August 1914, erklärte Kaiser Wilhelm II. in seiner Thronrede bei Eröffnung des Reichstages zu Berlin, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche.

Und dies geschah in der Sitzung des Reichstages, in der SPD-Fraktionsvorsitzender Hugo Haase auch jene Erklärung abgab, die Sozialdemokraten ließen "in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich", und gleichzeitig die Zustimmung zu den geforderten Kriegskrediten erteilte.

Nun konnte der Gott, der Eisen wachsen ließ, eine neue Todessaat in den Fabriken an Rhein und Ruhr heranwachsen sehen, die unvergleichlich größer war als das relativ bescheidene Waffenarsenal einhundert Jahre zuvor. Dank der - auch mit Hilfe der SPD beschafften - Gelder konnte der wilhelminische Staat eine gewaltige Waffenproduktion in Auftrag geben, die von den Herren der Rüstungsschmieden gegen Barzahlung dankbar in Gang gesetzt wurde.

Die Mehrzahl der in diesen imperialistischen Krieg gezogenen Soldaten erkannte spät oder gar nicht, daß sie zu Knechten ökonomisch und politisch Mächtiger geworden waren. Der Götze Krieg, der sie in furchtbare "Stahlgewitter"(2) hatte ziehen lassen, bescherte dagegen allzu vielen ein elendes Verröcheln in den Schützengräben oder ein späteres jammervolles Siechtum als Krüppel. Die Novemberrevolution von 1918/19 leitete einen Teil der Erbitterung und Verzweiflung über diesen eisensäenden Todesgott um in einen Aufruhr, der das Kaisertum hinwegfegte und Chancen für ein besseres Staatswesen eröffnete.

Aus vielen Gründen, die hier nicht erörtert werden können, wurden diese Chancen jedoch vertan. Sinnlicher Ausdruck für dieses Versagen war das Entstehen unzähliger Kriegerdenkmäler an die umgekommenen Soldaten des "großen Krieges", auf denen das falsche Etikett vom "Heldentod" angebracht wurde. Einer der Sprüche, die sich dafür eigneten, war - wie könnte es anders sein - Ernst Moritz Arndts erste Zeile seines Vaterlandsliedes.

Daß die Arndtsche Tradition auch später in der Nazizeit dankbar aufgegriffen wurde, zeigt eine Kriegerehrung, die sich der Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation AG im Jahre 1934 hat einfallen lassen: Ein zwölf Meter hohes Schwert aus Stahl trägt eben diese stolze Inschrift, mit der Ernst Moritz Arndt sein berühmtes Lied beginnen ließ.

Peter Franz

Anmerkungen
1) "Ein einig Volk von Brüdern!" - so lautete der Titel eines Buches, das als "Kriegs-Katechismus für deutsche Soldaten" erschien.

2) So der Titel des gleichnamigen Buches von Ernst Jünger

3) Siehe dazu Peter Franz: Martialische Idole. Die Kriegerdenkmäler in Thüringen und ihre Botschaften, Jena 2000. Hg. vom Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft e.V., Jena

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Zwingend links

In der Ausgabe des "nd" vom 5./6.11.2016 veröffentlichte Dietmar Bartsch, Kovorsitzender der Fraktion der Partei Die Linke im Bundestag, einen Beitrag unter der Überschrift "Zwingend links. Über Risiken, Bündnisfähigkeit - und die Fähigkeit, zuhören zu können".

Gabriel könnte in der nächsten Woche Bundeskanzler werden, hatte Bartsch in der "Rheinischen Post" geäußert. Tatsächlich wäre das vielleicht Gabriels letzte Chance. Denn ob es nach der Bundestagswahl 2017 noch eine rot-rot-grüne Mehrheit gibt, ist unsicher. Die Prognosen verneinen das. Sie sind zwar Teil der Manipulationen, treffen aber doch häufig zu. Bartsch wies auf "zunehmend ernsthaft geführte Debatten um Mitte-Links-Bündnisse hin und meinte, daß die SPD keine Verbotsschilder mehr aufgestellt habe.

Als Beispiel führte er an, daß es drei Wochen vorher gelungen war, über 90 Politikerinnen und Politiker von Sozialdemokraten, Linken und Grünen zu einer größeren Verständigung zusammenzubringen. Diese Dynamik lasse sich nicht mehr ignorieren. Sie zwinge die Linkspartei, über Bündnisfähigkeiten ernsthaft und jenseits von Ritualen und Reflexen nachzudenken. Tatsache sei, daß die "neoliberale Modernisierung" nicht nur von Konservativen und FDP-Liberalen, sondern auch von SPD und Grünen vorangetrieben worden sei. Die negativen sozialen Folgen wären deutlich. Es gäbe über eine Million Leiharbeiter, jeder vierte Arbeitsplatz bei Jugendlichen sei prekär, und jedes siebente Kind wachse in einer Hartz-IV-Familie auf. Angesichts dieser Fakten würde auch bei SPD und Grünen über einen Politikwechsel diskutiert. Doch die SPD lehnte den Vorschlag ab.

Will Die Linke denn wirklich in eine Regierungskoalition unter einem Kanzler Gabriel eintreten, der für TTIP und CETA steht? Ist der Auftritt von Biermann im Bundestag schon vergessen, der die Fraktion der Linken in widerwärtiger Weise beschimpft hat? Danach gratulierte ihm nicht nur Merkel, sondern auch Gabriel.

Bartsch stellte fest, daß das Bündnisangebot der Linkspartei an Bedingungen geknüpft sei. Ein Politikwechsel wird gefordert. Das war aber auch 1998 so, und gleichzeitig wurde verlangt: Kohl muß weg! Kohl war weg, und es kam zu einem Politikwechsel. Unter einer Regierung von SPD und Grünen beteiligte sich Deutschland erstmals wieder an Aggressionskriegen, und es gab den bis dahin größten sozialen Kahlschlag. Bei der Außenpolitik nennt Bartsch die Destabilisierung im Nahen Osten und die Konfrontation mit Rußland. Das habe Auswirkungen, die an der Bundesrepublik Deutschland nicht vorbeigingen. Um die von ihm genannten Forderungen nach Stabilität und Frieden zu erreichen, müßte die Linkspartei aber ein Verbot aller deutschen Rüstungsexporte verlangen, und zwar nicht nur in sogenannte Krisengebiete, sondern auch zum Beispiel in die USA, die für die meisten Krisen weltweit verantwortlich sind.

Es müßte einen vollständigen Rückzug der Bundeswehr von allen Auslandseinsätzen geben und einen Austritt Deutschlands aus der NATO. Sonst könnte Deutschland immer wieder in "Bündnisverpflichtungen" hineingezogen werden, wie zum Beispiel bei der Aggression gegen Afghanistan, die mit einer der vielen Lügen der US-Propaganda begründet wurde. Wenn bei der Konfrontation mit Rußland gemeint ist, daß sich die Bundeswehr von den russischen Grenzen zurückziehen soll, ist das in Ordnung. Dann stünden deutsche Soldaten nicht mehr da, wo sie sich kurz vor dem 22. Juni 1941 befanden. Wahrscheinlich geht es aber um die Krim und die ostukrainischen Gebiete, wo eine Lösung nach den Wünschen der NATO und der ukrainischen Machthaber erfolgen soll.

Ob die SPD einer gerechten Steuerreform zustimmen würde, ist zweifelhaft. Neben der von Bartsch genannten Millionärs-, Vermögens-, Erbschafts- und Kapitalertragssteuer ginge es auch um den Spitzensteuersatz. Durch die Koalition von SPD und Grünen wurde doch die unter der Kohl-Regierung geltende Regelung zugunsten der Reichen verändert.

Wer Regierungsverantwortung ablehnt, erklärt Merkel zur ewigen Kanzlerin, meint Bartsch. Ist denn Gabriel so viel besser? SPD und Grüne könnten zum Koalitionspartner der Partei Die Linke nur werden, wenn sie ihre Politik in allen Bereichen grundsätzlich ändern.

Dr. Kurt Laser

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Transatlantische Sittenbilder

Den titelgebenden Satz seines Buches "Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet" entnahm Werner Rügemer einer Rede, die 1886 bei der Aufstellung der Freiheitsstatue im Hafen von New York gehalten wurde. Er zitiert sie in einem Beitrag zum hundertsten Jahrestag des Ereignisses, den der WDR im Sommer 1986 ausstrahlte, kurz nachdem der "nationalistische Rausch" des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan aus der Feier zum Unabhängigkeitstag der USA am 4. Juli eine Drei-Tage-Party für 5000 geladene Gäste gemacht hatte. Rügemer und sein Koautor Heinz Thoma schrieben damals: "Da feierten sich die Propagandisten und Profiteure der individuellen unternehmerischen Freiheit, die ohne Staatsknete und ohne die Beschränkung der Freiheit anderer aber gar nicht möglich wäre." Der Schluß dieses Textes erinnert jedoch an die Koalition gegen den Faschismus, an der auch die USA beteiligt waren, und fährt fort: "Eine solche Koalition ist heute ganz neu zu entwickeln, damit nicht ein Atomblitz die Welt im Namen der Freiheit - der einen, besonderen Freiheit - ein letztes Mal erleuchtet."

Es sind 40 Beiträge aus den vergangenen 30 Jahren, die in diesem Sammelband zusammengestellt wurden. Diejenigen von ihnen, die sich mit sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Zuständen befassen, besitzen eine unbehagliche Aktualität. Sie besagen: In entscheidenden Fragen hat sich wenig bis nichts geändert, obwohl die Welt eine andere wurde. Im Untertitel heißt das Buch "Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur". Ein Wimmelbild aber, in dem Betrachter die Orientierung verlieren könnten, ist es trotz der Themenfülle nicht. Es gibt einen Leitfaden, der im ersten Text des Bandes, 2005 geschrieben, unter dem programmatischen Titel "Arbeit im schalltoten Raum" von Rügemer so formuliert wird: "Der Kostenfaktor Arbeit soll nicht denken, nicht fühlen, kein Bild von sich selbst und von denen machen, die ihn so behandeln. Der Kostenfaktor hat im buchstäblichen Sinne nichts zu sagen: Er muß schweigen. Das tut er auch. Er lebt in einem echolosen, schalltoten Raum." Am Schluß heißt es: "Das Schweigen der Arbeit und auch der Demokratie wird erst dann aufgehoben, wenn aus Kostenfaktoren und Almosenempfängern, ob arbeitend oder arbeitslos, vollgültige Mitglieder der Gesellschaft werden, die selbst und selbstbewußt öffentlich sprechen können. Das Schweigen der Arbeit endet erst dann, wenn die Arbeit ein Menschenrecht ist, das wirksam und für alle eingefordert werden kann."

Wer nach Satirischem, Nachdenklichem, Groteskem, Empörendem in der jüngeren Geschichte stöbern will: Hier findet er Vergessenes, Unbekanntes, Neues. Vom Besuch im Silicon Valley 1985 bis zur Warnung vor dem "Euro-Delirium" 1997, von der "Ökonomie der Kollaboration" im vom deutschen Faschismus eroberten Frankreich bis zum Schmähgedicht Jan Böhmermanns. Vielfalt ohne Verzettelung, stilistisch großartig zu Papier gebracht, ohne Ermüdung, sondern mit dem Willen, denen, die nicht gehört werden, eine Stimme zu geben, eine Mahnung, sich die Welt nicht schöner zu machen, als sie ist. Eine Fundgrube, eine große Leistung.

Arnold Schölzel

Werner Rügemer: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur.
Papyrossa-Verlag, Köln 2016. 226 Seiten, 14,90 €

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Freiheit statt Kapitalismus !

Wie Helmut Kohl als Helmut der Verschwiegene in die Geschichte (oder, wie er selbst sagen würde, "in die Geßichte") eingehen wird, so wird Angela Merkel ihm als Angela die Alternativlose folgen; denn wann immer sie eine Entscheidung von großer Tragweite und mit womöglich verheerenden Folgen trifft, pflegt sie die warnenden Stimmen der Opposition zum Schweigen zu bringen mit der Behauptung, ihre Entscheidung sei alternativlos, womit sie sagen will, es gebe zu dem von ihr gewählten einen kein vernünftiges und praktikables Zweites.

Was mag der Grund für diese rhetorische Stereotypie sein? Entweder sieht sie tatsächlich keine zweite Möglichkeit, dann ist sie realitätsblind oder phantasielos, oder sie weiß sehr wohl, daß sie auch anders entscheiden könnte, ist aber nicht bereit, die Konsequenzen einer anderen Entscheidung in Kauf zu nehmen, da diese nicht in ihr christlich-kapitalistisch geprägtes Weltbild passen - dann verdrängt oder täuscht sie bewußt und regiert wie ihre gesamte Regierungsclique am Volk vorbei und über das Volk hinweg, um die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen.

Nehmen wir als Beispiel ihren Deal mit Erdogan. Daß sie mit ihrer Euromanie Schiffbruch erlitten hat, ist evident, auch wenn sie diese Tatsache erbittert bestreitet. Die als Solidargemeinschaft gedachte EU hat in der Flüchtlingsfrage kläglich versagt. Die nationalen Egoismen etlicher Mitgliedsstaaten haben sich trotz aller humanitären Appelle als stärker erwiesen, so daß die Kanzlerin mit ihrem "Wir schaffen das!" allein dasteht. Nun hätte sie ja, anstatt Erdogan 13 Milliarden Euro zuzusagen und sich zugleich von ihm abhängig zu machen, leicht 500 Milliarden Euro lockermachen können (wie vor Jahren bei der Rettung der Hypo-Real-Estate-Bank), wenn sie die Superreichen unter Nutzung des staatlichen Gewaltmonopols einfach enteignet hätte, um einen entsprechenden Betrag an das Hilfswerk der Vereinten Nationen zu überweisen. Auch die soziale Verelendung großer Massen im eigenen Land (eine halbe Million Obdachlose!) hätte auf diese Weise mit einem Schlag beseitigt werden können.

Ist das naiv? Etwa weil die Zahl der Arbeitslosen dann drastisch gestiegen wäre (so ja die permanente Drohung der Kapitaleigner)? Nicht unbedingt. Denn die verstaatlichten Betriebe hätten sich umrüsten lassen. Statt Kanonenrohre kann man auch Rohre für Bewässerungsanlagen, statt Panzer auch Mähdrescher und andere landwirtschaftliche Maschinen bauen und in jene Länder exportieren, in denen die größte Hungersnot herrscht. Damit hätte man zugleich eine Hauptursache der Flüchtlingsströme beseitigen können, zwar spät (denn das zuvor Versäumte läßt sich nicht über Nacht nachholen), aber immer noch rechtzeitig, um eine weitere Verelendung der Völker in aller Welt wenigstens nicht noch mehr anwachsen zu lassen. Aber gerade das ist von den christlichen Demokraten, die ihren Glauben "freudig bekennen" (O-Ton Angela Merkel) nicht gewollt. Tagtäglich begünstigen sie vielmehr via Gesetzgebung die Reichen! Bewußt von ihnen gewollt ist die Unterstützung der Reichen in deren Krieg gegen die Armen.

Nein, die Regierung Merkel will keine soziale Gerechtigkeit! Sie fördert vielmehr Ausbeutung und Unterdrückung und sieht angesichts der sozialen Not auch eines Großteils der eigenen Bevölkerung "keinen Handlungsbedarf" (siehe die Themen Vermögensabgabe, Erbschaftssteuer, Mietpreise, Leiharbeit, Altersarmut, Lobbyismus, Bankenrettung usw. usf.). Sie buhlt mit den Feinden des Proletariats und jammert gleichzeitig über die Politikverdrossenheit und das schwindende Vertrauen all derer, die längst nicht mehr zur Wahl gehen und die da sagen: "Sobald ich meine Stimme 'abgegeben' habe, ist sie einfach weg!"

Dies der vom Kapitalismus diktierte gesellschaftliche Status quo, den unsere Regenten unbedingt beibehalten wollen. Zwar gibt es in unserer Formaldemokratie auch Opposition, sogar zwei Formen der Opposition: eine Opposition von rechts und eine Opposition von links, wobei die faschistoide Opposition von rechts (AfD) zur Zeit zahlenmäßig die stärkere ist. Doch das (darauf setze ich meine Hoffnung) kann sich ändern, sobald die vorerst noch dahindösenden Massen einmal erwachen. Der nächste Banken-Crash, der sich in Italien abzeichnet, könnte ein Weckruf sein. Es kracht im Gebälk. Nach dem Brexit könnten weitere Exits folgen, und die NATO könnte (und sollte!) sich auflösen, sobald sich die Einsicht bei uns durchsetzt, daß Europa den USA in einem von diesen womöglich gewollten Krieg gegen Putin als Stoßdämpfer dienen soll.

Meine Alternative lautet: Freiheit statt Kapitalismus! Friede den Menschen unter den Brücken - Krieg den Villen im Tessin und am Wannsee in Berlin! Viva la vida! Es lebe das Leben!

Theodor Weißenborn

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Angela Merkel, eine loyale DDR-Bürgerin
von Matthias Krauß

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Egon Krenz: Zu den Gründen unserer Niederlage (Teil 1)

Über geschichtliche Ereignisse beklagt man sich nicht, man bemüht sich im Gegenteil, ihre Ursachen zu verstehen und damit auch ihre Folgen, die noch lange nicht erschöpft sind.
Friedrich Engels (MEW, Bd. 21, S. 201)


Meine Damen und Herren,
liebe Genossinnen und Genossen,

Rolf Berthold, langjähriger Botschafter der DDR in der Volksrepublik China, und ich sind als Zeitzeugen zu dieser bedeutenden Konferenz gekommen. Gern nehme ich auch seine Redezeit für mich in Anspruch. Seit 1984 habe ich an den Beratungen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und der Staaten des Warschauer Vertrages auf höchster politischer Ebene teilgenommen. Aus eigenem Erleben kann ich daher bezeugen, daß die Partei- und Staatsführungen der sozialistischen Staaten Europas auf die seit Anfang der achtziger Jahre entstandene tiefe Systemkrise nicht vorbereitet waren. Im Oktober 1981 hatte KPdSU-Generalsekretär Breschnew Erich Honecker mitteilen lassen, daß sich die Sowjetunion in einer ähnlich schwierigen Lage befände wie Sowjetrußland 1918 vor Abschluß des Brester Friedensvertrages. Das konnte ja nur bedeuten: Es ging um Sein oder Nichtsein der Sowjetmacht!

Die Tragik besteht darin, daß diese dramatische Mitteilung nie durch die Staaten des Warschauer Vertrages kollektiv erörtert wurde und folglich daraus auch keine Schlußfolgerungen gezogen wurden. Das Nachlassen der ökonomischen Leistungskraft der RGW-Länder hatte große wirtschaftliche, soziale und schließlich auch politische, ideologische und moralische Auswirkungen auf die Bevölkerung. Das Vertrauensverhältnis zwischen Volk und Staat wurde in allen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft erheblich gestört.

Versäumt wurde, die ökonomischen Potentiale mit dem Ziel zu vereinen, den Rückstand in der Arbeitsproduktivität gegenüber dem Kapitalismus aufzuholen. Die Staatengemeinschaft erwies sich als unfähig, den Sozialismus mit der wissenschaftlich-technischen Revolution zu verbinden. Ansätze dazu blieben in der Regel stecken aus nationalem Egoismus von Teilnehmerstaaten. Gleichzeitig gab es keine kollektive Zurückweisung der Provokation von US-Präsident George Bush sr., der die NATO-Länder aufgefordert hatte, die Sowjetunion - ich zitiere - "in die Wertegemeinschaft des Westens" zu holen, was gleichbedeutend mit der Liquidierung des Sozialismus war.

Die "Perestroika"- und "Glasnost-Politik" der sowjetischen Führung gab keine konstruktive Antwort auf die entstandene Systemkrise. Sie trug nicht zu einer "Erneuerung des Sozialismus", sondern zu seinem europäischen Niedergang bei. Aus der von Gorbatschow beabsichtigten "zweiten Oktoberrevolution" wurde letztlich eine Konterrevolution, die von verschiedenen Fraktionen in der KPdSU initiiert wurde und letztlich zur Zerschlagung der UdSSR führte.

Das Schicksal der DDR war in guten wie in schlechten Zeiten auf das engste mit dem der Sowjetunion verbunden. Auch wenn sich die DDR kalendarisch vor der Sowjetunion aus der Geschichte verabschiedet hatte, ist ihr Untergang ursächlich mit dem der Sowjetunion organisch verbunden. Die UdSSR stand 1949 an der Wiege der DDR und sie hat schließlich auch mit ihrer Unterschrift unter den "Zwei-plus-vier-Vertrag" ihren Untergang besiegelt.

Mit dem Verschwinden des europäischen Sozialismus von der politischen Landkarte wurde die deutsche Zweistaatlichkeit obsolet, verlor die DDR ihre Daseinsberechtigung als selbständiger Staat. Für zwei kapitalistische deutsche Staaten gab es weder objektiv noch subjektiv eine Notwendigkeit.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber, daß das Streben der von den USA geführten NATO um die Neuordnung der Welt eng verbunden ist mit einem erbitterten ideologischen Kampf um die Deutungshoheit der Geschichte des 20. Jahrhunderts und damit auch des real existierenden Sozialismus auf dem europäischen Kontinent.

Der Sozialismus des vergangenen Jahrhunderts war legitim. Der Begriff "real existierender Sozialismus" bedeutete ja nicht - wie das gewisse Ideologen unterstellen - daß wir den Sozialismus bereits in Vollkommenheit verwirklicht glaubten. Vielmehr wurde damit das dialektische Verhältnis von Ideal und Wirklichkeit betont.

Es galt, die Realität am Ideal auszurichten, was selbstverständlich als ein langwieriger historischer Prozeß verstanden wurde. Zudem bedeutete dieser Begriff eine Abgrenzung von allen möglichen pseudosozialistischen Theorien, die im Gegensatz zu Marx, Engels und Lenin standen, vor allem zu der Utopie, es könnte einen fehlerfreien Sozialismus ohne Widersprüche geben.

Die historisch korrekte, differenzierte und damit gerechte Bewertung des vergangenen Sozialismus ist ein Zukunftswert. Wer für einen neuen Sozialismus kämpfen will, muß sowohl die Vorzüge als auch die Unvollkommenheiten des vergangenen analysieren. Dies schließt ein, Antworten auf die Fragen zu finden: Was ist bewahrenswert am gewesenen Sozialismus, und was darf sich nicht wiederholen? Dabei ergeben sich zwei Grunderkenntnisse. Zum einen hat sich erwiesen, daß Sozialismus auch im Zentrum Europas möglich ist. Zum anderen wurde deutlich, daß der Sozialismus auch in der DDR im Wettbewerb der beiden Weltsysteme noch nicht bestehen konnte.

Gegenwärtig erleben wir eine absurde Erinnerungskultur. Die Schuld an der Spaltung des europäischen Kontinents wird einseitig der Sowjetunion angelastet. Mit einem nur auf Fehler, Mängel und Unzulänglichkeiten des realen Sozialismus sowie auf die Person Stalin verengten Blick wird die Geschichte Europas auf den Kopf gestellt. Zur Interpretation der Geschichte des 20. Jahrhunderts wird vor allem die Totalitarismusdoktrin benutzt. Sie hat eine antikommunistische und antisowjetische Ausrichtung. Sie enthält die Behauptung, rot sei gleich braun, d. h. Sozialismus sei gleich Faschismus. Das ist nicht nur eine Diskreditierung des gewesenen Sozialismus. Es ist vor allem auch eine Verharmlosung des deutschen Faschismus.

Der weltweit geschätzte deutsche Schriftsteller Thomas Mann wandte sich frühzeitig gegen die Gleichsetzung von Sozialismus und Faschismus, als er schrieb: "Den russischen Kommunismus mit dem Nazifaschismus auf die gleiche moralische Stufe zu stellen, weil beide totalitär seien, ist bestenfalls Oberflächlichkeit, im schlimmeren Falle ist es - Faschismus. Wer auf dieser Gleichstellung beharrt, mag sich als Demokrat vorkommen, in Wahrheit und im Herzensgrund ist er damit bereits Faschist und wird mit Sicherheit den Faschismus nur unaufrichtig und zum Schein, mit vollem Haß aber allein den Kommunismus bekämpfen."

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Gründung eines Staates in Ostdeutschland weder von der UdSSR noch von der SED gewünscht. Die UdSSR hatte an einer Spaltung Deutschlands aus eigenen Sicherheitsgründen kein Interesse. Wäre es nach dem Willen der UdSSR sowie der Kommunisten und Sozialdemokraten der sowjetisch besetzten Zone gegangen, wäre aus Deutschland - ich zitiere - "ein antifaschistisches, demokratisches Regime, eine parlamentarisch-demokratische Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk" geworden.

So steht es im Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 11. Juni 1945, der mit Stalin vereinbart worden war. Und weiter heißt es dort: "Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland."

Die DDR entstand also erst, nachdem die Westmächte im Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet hatten. Die DDR wurde nicht gegründet, um Deutschland zu spalten. Deutschland war bereits gespalten, als die DDR gegründet wurde.

Die Geschichte zwischen 1945 und 1990 in Deutschland war eine permanente Auseinandersetzung zwischen zwei konträren Weltsystemen, zwei feindlichen Militärblöcken, zwei gegnerischen Staaten, zwei grundverschiedenen Idealen und zwei andersartigen Entwürfen für die Zukunft. Wer die DDR einen "Unrechtsstaat" nennt, läßt solche grundlegenden geschichtlichen Zusammenhänge außer acht.

Wenige Tage nach ihrer Proklamierung - zunächst nur als provisorischer Staat - erhielten die Repräsentanten der DDR ein bemerkenswertes Telegramm aus Moskau. Es enthielt die konzentrierte sowjetische Strategie in der Deutschlandfrage. Der Absender war Stalin. Er schrieb: "Die Bildung der Deutschen Demokratischen friedliebenden Republik ist ein Wendepunkt in der Geschichte Europas." Um jedes Mißverständnis auszuschließen, die Gründung der DDR könne doch als Spaltung Deutschlands verstanden werden, endet das Telegramm mit dem Satz: "Es lebe und gedeihe das einheitliche, unabhängige, demokratische friedliebende Deutschland."

Der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, handelte jedoch nach dem Grundsatz "Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb." Gegenüber dem französischen Außenminister prahlte er sogar: "Vergessen Sie nie, daß ich der einzige Regierungschef bin, der die Einheit Europas der Einheit seines Vaterlandes vorzieht." Die deutsche Nachkriegsgeschichte vollzog sich nicht vordergründig im Nationalen, sondern im Spannungsfeld der Großmächte. Deshalb kann man die DDR auch nicht isoliert vom Verhalten der Großmächte und auch nicht von dem der Bundesrepublik Deutschland betrachten.

1952 hatte die Sowjetunion gesamtdeutsche Wahlen für ein gesamtdeutsches Parlament vorgeschlagen. Die Westmächte, einschließlich der Bundesrepublik, lehnten ab. Sie betrachteten die sogenannte Stalinnote als sowjetische Propaganda. Seitdem wurden die Bedingungen für die deutsche Einheit von Jahr zu Jahr aussichtsloser. Die deutsche Spaltung wurde durch die Westintegration der Bundesrepublik zementiert. Erst jetzt kam in der DDR 1952 der Aufbau des Sozialismus auf die Tagesordnung - und das unter Bedingungen eines gespaltenen Landes. Die daraus entstandenen Schwierigkeiten - wie die Spaltung einer früher einheitlichen Währung und Wirtschaft, die Zugehörigkeit zu einem der sich feindlich gegenüberstehenden militärischen Bündnisse, das Grenzregime zwischen ihnen und der Reiseverkehr der Bürger zwischen den Staaten - haben die DDR bis zu ihrem Ende belastet.

Den Westalliierten und den meisten Bundesregierungen war eine gleichberechtigte Vereinigung der BRD und der DDR stets suspekt. Sie setzten auf die "Befreiung des Ostens". Von Adenauer stammt das Bekenntnis: "Was östlich von Werra und Elbe liegt, sind Deutschlands unerlöste Provinzen. Daher heißt die Aufgabe nicht Wiedervereinigung, sondern Befreiung. Das Wort Wiedervereinigung soll endlich verschwinden. Es hat schon zuviel Unheil gebracht. Befreiung ist die Parole."

So ist es keineswegs verwunderlich, daß die deutsche Einheit 1990 nicht ein gleichberechtigter Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten war, sondern ein Anschluß der DDR an die Bundesrepublik Deutschland. Das Gesellschafts- und Rechtssystem der Bundesrepublik wurde der DDR administrativ diktiert, woran das Zusammenleben der Deutschen bis heute leidet.

Bestimmte bürgerliche Historiker verdrängen, daß beide deutsche Staaten von 1949 bis 1989 in einem erbitterten Bürgerkrieg standen. Kein heißer zwar, aber ein kalter, immer auch am Rande einer möglichen atomaren Katastrophe. Statt sich zu freuen, daß aus dem kalten kein heißer Krieg wurde, hat sich die politische Elite der alten Bundesrepublik 1990 dafür entschieden, alles Ungemach der Spaltung Deutschlands allein der DDR anzulasten. Deshalb wird bis in die Gegenwart hinein die wahre Geschichte der europäischen und deutschen Spaltung verzerrt dargestellt.

Trotz ihrer Defizite hat die DDR im Interesse der Menschen Beachtliches geleistet. Sie hatte ein menschenfreundliches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. Entscheidendes Motiv war nie das Profitinteresse, sondern die Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Sie hatte ein geschlossenes System der sozialen Sicherheit, das Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Kinder- und Altersarmut nicht kannte. Sie verfügte über ein einheitliches Bildungssystem, in dem es gleiche Chancen für alle Kinder des Volkes gab, ohne daß diese vom Geldbeutel der Eltern abhängig waren.

Unbestreitbar bleibt aber vor allem: Solange die Sowjetunion und mit ihr auch die DDR existierten, gab es in Europa keinen Krieg. Im Umkehrschluß bedeutet das allerdings auch: Das Verschwinden der DDR von der politischen Landkarte ist ebenfalls ein europäischer Wendepunkt. Zum ersten Mal nach 1945 wurde Krieg in Europa - sogar mit deutscher Beteiligung - wieder möglich. Die Vision eines friedliebenden Europa, die nach dem Zweiten Weltkrieg möglich schien, zerschellte, als die US-geführte NATO Jugoslawien bombardierte.

Das atlantische Bündnis machte auf diese Weise aus dem kalten einen heißen Krieg - mitten in Europa. Ich bin überzeugt, das wäre zur Zeit der Existenz der UdSSR undenkbar gewesen. Das Datum der Zerschlagung der Sowjetunion war für die NATO das Signal, ihr 1990 gegebenes Versprechen zu brechen, sich nicht nach Osten auszudehnen. Aus dieser Gewißheit heraus teile ich auch die Analyse des Präsidenten Rußlands, Wladimir Putin, daß die Zerschlagung der Sowjetunion eine globalpolitische Katastrophe war.

Die Auswirkungen dieses Dramas erleben wir bis heute auf Schritt und Tritt. Vieles, was seit Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Welt durcheinandergeraten ist - ob in der Ukraine, in Syrien, im Irak, in Libyen oder anderen Teilen der Welt -, ist eng verbunden mit den Folgen der Zerschlagung der UdSSR und den Absichten der USA, den Rest der Welt nach ihren Vorstellungen zu formen.


Der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR und letzte Vorsitzende der SED, Genosse Egon Krenz, hielt seinen Diskussionsbeitrag "Die Niederlage der DDR - Teil des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus in Europa" auf einer wissenschaftlichen Konferenz "Der Marxismus im 21. Jahrhundert" im Oktober vergangenen Jahres in Peking im Rahmen des Themas "Der Zusammenbruch des Sowjetblocks und die Wiederbelebung des Sozialismus". Den zweiten Teil seines Beitrags bringen wir im Februar-"RotFuchs".

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, daß das Thema seit Gründung des "RotFuchs" immer wieder von vielen verschiedenen Autoren ausführlich behandelt wurde. Die Erfahrungen der Vergangenheit sind auch künftig unersetzlich, wenn wir eine menschlichere Zukunft erringen wollen.

RF

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Gestern auf dem Bürgeramt ...
Bilderserie von Herluf Bidstrup

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Bilderserie wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die Mär von der "friedlichen Revolution"

Alljährlich am 3. Oktober versammeln sich hochrangige Politiker und feiern die "Einheit" Deutschlands und die "friedliche Revolution". Hat es denn eine Vereinigung zweier souveräner Staaten gegeben, oder war es nicht vielmehr eine bedingungslose Kapitulation der Mehrheit der manipulierten Volkskammermitglieder der DDR?

Worin bestand das strategische Ziel der BRD von Anfang an? Zuerst mußte die Gesellschaftsordnung in der DDR zerschlagen und deren Elite von allen Strukturen des Staates entfernt werden. Die ökonomische Konkurrenz in Form der volkseigenen Betriebe und Kombinate sollte liquidiert, die DDR entindustrialisiert und zur verlängerten Werkbank der BRD umgestaltet werden. Die staatliche und genossenschaftliche Handelsorganisation wurde zerschlagen und so ein großer Absatzmarkt für westdeutsche Konzerne geschaffen.

Worin sehe ich die Ursachen für unsere Niederlage? Um diese ergründen zu können, muß man zu den Quellen zurückkehren.

1945: bedingungslose Kapitulation des deutschen Faschismus. Nach dem Willen der Besatzungsmächte sollte der deutsche Staat erhalten, aber in vier Besatzungszonen bis zum Abschluß eines Friedensvertrags aufgeteilt werden. Deutschland lag in Schutt und Asche. Viele Menschen forderten, daß die Schuldigen an der Katastrophe entmachtet und die Kriegsgewinnler enteignet werden.

Auf westdeutscher Seite forderte dies selbst die CDU in ihrem Aalener Parteiprogramm. In Hessen wurde diese Forderung sogar in die Länderverfassung aufgenommen. SPD-Chef Schumacher faselte vom Sozialismus als Tagesaufgabe. Auch in der sowjetischen Besatzungszone gab es diese Forderung, dazu in Sachsen eine Volksabstimmung - deren Ergebnis wurde umgesetzt.

1948 tagte in den Westzonen ein selbsternannter, von den westlichen Besatzungsmächten bevollmächtigter Parlamentarischer Rat und schuf das Grundgesetz. Von vornherein war es als Provisorium angelegt, denn im § 146 stand, daß es nur bis zur Vereinigung Deutschlands bestehen und dann durch eine in einer Volksabstimmung legitimierte Verfassung abgelöst werden solle. Als Umgehungsmöglichkeit dessen wurde eine Beitrittsmöglichkeit festgelegt. Der nächste Schritt war die Installierung der parlamentarischen Demokratie. Konrad Adenauer wurde nur mit seiner eigenen Stimme zum Bundeskanzler gewählt.

Die BRD-Regierung erklärte sich zum Rechtsnachfolger des 3. Reiches. Sie erfand den Alleinvertretungsanspruch und sprach jetzt selbsternannt für alle Deutschen. Seit der Gründung der DDR führte die BRD einen Kampf zur Destabilisierung und Vereinnahmung der DDR. Der Antikommunismus wurde als Staatsdoktrin festgeschrieben. Mit der Rechtsnachfolge des 3. Reiches wurden die im Faschismus gezüchteten Antikommunisten in alle Bereiche des westdeutschen Staates integriert. Nazigeneräle, Geheimdienstchefs, Blutrichter, Staatsanwälte, Lehrer, Steuerbeamte u. a. fanden zurück in Amt und Würden.

Ein Mittel zur Destabilisierung der Lage in Ostdeutschland war die streng geheime Herstellung der Westmark in den USA und ihre nächtliche, unangekündigte Einführung mit der Absicht, daß die wertlose Mark jetzt zu Milliarden in die DDR fließen und dort einen Wirtschaftskollaps herbeiführen sollte.

Es folgte die Hallsteindoktrin, mit der allen souveränen Staaten, die die DDR diplomatisch anerkennen, Sanktionen angedroht wurden. Adenauer drängte die USA, Westdeutschland den Zugang zu Atomwaffen zu ermöglichen. Geeinigt hat man sich auf nukleare Teilhabe der BRD.

Die Vorschläge der UdSSR zum Abschluß eines Friedensvertrages und die Durchführung freier und geheimer Wahlen wurden genauso abgelehnt wie die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone. Gegen diese Politik formierte sich in der BRD eine starke Friedensbewegung, auf die mit Unterdrückung und Verfolgung reagiert wurde. Es kam zum KPD-Verbot, zum Verbot demokratischer Organisationen und unter Bundeskanzler Willi Brandt zum Radikalenerlaß mit Berufsverboten für Hunderttausende Bürger. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen ...

Etwas kompliziert wurde es für die westdeutsche Seite, als beide deutsche Staaten UN-Mitglieder wurden. Auch die BRD-Regierung hatte unterschrieben, sie werde die Unverletzlichkeit der Staatsgrenze, die staatliche Souveränität und das Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates respektieren.

Es mußte also ein Weg gefunden werden, diese internationalen Verpflichtungen zu umgehen.

Hier setzt die jahrelang durch die BRD geförderte innere Opposition der DDR an, auch unter direkter Unterstützung maßgeblicher Kreise der christlichen Kirchen in der DDR. 1989/90 habe ich in Halle an jeder Versammlung, Demonstration und Kundgebung teilgenommen. Die Demonstranten sagten, sie wollten eine bessere DDR und die Beseitigung der im Sozialismus bestehenden Mängel. Der Herbst 1989 begann mit erst kleineren, dann immer größer werdenden Demonstrationen, gegenseitigem Niederbrüllen am Runden Tisch und landesweiten Sabotageakten, was intensiv durch BRD-Medien "begleitet" wurde.

Seitens der BRD wurde suggeriert, daß sie die Forderungen der DDR-Bevölkerung respektieren würde und ihr helfen wolle. Noch bevor die Staatsgrenze geöffnet wurde, zog die BRD-Regierung die Spendierhosen an und köderte die DDR-Bevölkerung mit einem sogenannten Begrüßungsgeld. Dafür stand plötzlich über eine Milliarde DM zur Verfügung, denn man mußte ja damit rechnen, daß ca. zehn Millionen "Brüder und Schwestern" in die BRD einreisen würden. Vor der Weihnachtszeit legten die Bayern noch 50 DM dazu. Im Kaufrausch glaubten jetzt viele DDR-Bürger, es würde immer so weitergehen. Doch nun begann das Pingpong-Spiel. Die Westpresse wies den Weg. Deren "Hinweise" wurden dann von Dissidenten als Bitte an die BRD-Regierung gesandt, die dem natürlich nachkommen mußte. So verletze man doch keine internationalen Verträge, sondern zolle nur dem Willen des Volkes der DDR Respekt.

Die BRD und die DDR hatten in Helsinki und vor der UNO die Pflicht übernommen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates einzumischen. Hat sich die BRD daran gehalten?

Bekanntlich waren sofort nach der Öffnung der Staatsgrenze 176 hochrangige BRD-Politiker mit Bundeskanzler Helmut Kohl zur Stelle und präsentierten sich der DDR-Bevölkerung. Hinzu kamen über 3000 Meinungsmultiplikatoren. Sie mischten kräftig im Wahlkampf mit, versprachen den Wählern das Blaue vom Himmel, wohl wissend, daß sie nichts davon einhalten würden. Sie beschworen ihre freien und geheimen Wahlen als heiliges Gut der Demokratie. Jeder Bürger habe das Recht, alle vier Jahre seine Stimme einem Kandidaten oder einer Partei zu geben. Nach der Wahl gebe es dann eine parlamentarische, repräsentative Demokratie. Mit den von der BRD manipulierten "freien Wahlen" kamen genügend willige Abgeordnete in die Volkskammer, die den Untergang der DDR bedingungslos vollziehen wollten.

Sinnigerweise hat man den mit allen Wassern gewaschenen Politprofi Wolfgang Schäuble und den Polit-Amateur Krause mit der Ausarbeitung des "Einigungsvertrages", der eigentlich Anschlußvertrag heißen müßte, beauftragt. Wenige Stunden vor Beginn der Sitzung der Volkskammer erhielten die Abgeordneten den Vertragsentwurf, eine Diskussion mit dem Volk gab es nicht. All das ging als "friedliche Revolution" in die Geschichte ein, bewußt ignorierend, daß eine "Vereinigung" laut Grundgesetz § 146 auch eine neue Verfassung erfordert hätte. Es gibt sie bis heute nicht.

Das Ergebnis: Die alten Eigentums- und Machtverhältnisse wurden wieder hergestellt, und jede Erinnerung an die DDR soll ausgelöscht werden. Nichts, aber auch nichts darf nach Ansicht der Herrschenden an die Errungenschaften der DDR erinnern. Die Nachgeborenen sollen nur noch denken dürfen, was ihnen durch die Sieger und deren Medien serviert wird.

Helmut Baumgarten, Halle

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Dem Vermächtnis Ernst Thälmanns und seiner Genossen verpflichtet
Der Freundeskreis Ernst-Thälmann-Gedenkstätte

Leitmotiv des vor 25 Jahren, am 2. Mai 1991, gegründeten Freundeskreises ist, gegen das Vergessen des kommunistischen Widerstandes, für eine würdige Erinnerung an Ernst Thälmann und seine Kampfgefährten einzutreten. Die Gründung des eingetragenen Vereins erfolgte unter dem Vorsitz unseres Genossen Heinz Schmidt, der den Freundeskreis viele Jahre zunächst als Vorsitzender, dann als Sprecher leitete. Heinz Schmidt verstarb am 31. Januar 2014.

Seit 25 Jahren kämpft der Freundeskreis gemeinsam mit Freunden und Sympathisanten sowohl aus dem In- als auch dem Ausland um das ehrende Gedenken an die Arbeiter und Revolutionäre, an deren Spitze Ernst Thälmann stand, und für eine lebendige Erinnerung an die illegale ZK-Tagung der KPD in Ziegenhals.

Die Arbeit des Vereins war und ist ständigen Verleumdungen und öffentlichen Diskreditierung sowie "Neuschreibungen" der Historie der "Ziegenhalser Tagung" bis hin zu Verunglimpfung der teilnehmenden Genossen ausgesetzt. Im Zentrum unserer Aktivitäten steht die Tradition der drei jährlichen Kundgebungen in Ziegenhals/Niederlehme - anläßlich der Jahrestage der "illegalen Tagung des ZK der KPD" im Februar, des Geburtstages Thälmanns im April und des Jahrestages seiner heimtückischen Ermordung im August. Diese Tradition bildete sich in der DDR heraus und wurde nach den konterrevolutionären Ereignissen von 1989/1990 vom Freundeskreis "Ernst-Thälmann-Gedenkstätte" weitergeführt - auch nach der Schändung und Zerstörung der Gedenkstätte im Jahr 2010.

Auf den Kundgebungen in Ziegenhals traten prominente Vertreter des linken politischen Lebens auf wie Prof. Dr. Lothar Berthold, Prof. Dr. Michael Benjamin, Jupp Angenfort, Peter Florin, Dr. Heinz Marohn, Heinz Kessler, Irma Gabel-Thälmann, Fritz Teppich, Dr. Kurt Gossweiler, Sarah Wagenknecht, Dr. Friedrich Wolff, Prof. Dr. Heinrich Fink, Irma Martinowska (Tschechien), Prof. Dr. Moritz Mebel, René Lefort (Frankreich), Prof. Dr. Wolfgang Richter, Herbert Mies, Dr. Klaus Steiniger, Klaus Hartmann, Valentin S. Romanow (KPRF), Erika Baum, Ellen Brombacher, Vera Dehle-Thälmann, Dr. Arnold Schölzel, Patrik Köbele, Admiral a.D. Theodor Hoffmann, um nur einige der Rednerinnen und Redner zu nennen.

Ihre Reden sind in den drei vom Freundeskreis herausgegebenen Bänden "Ziegenhalser Reden" (Band I [1993-2002], Band II [2003-2008] und Band III [2009-2013]) bewahrt und nachlesbar.

Zur Geschichte der Ziegenhalser Tagung

In Ziegenhals, heute ein Teil der Stadt Königs Wusterhausen - südöstlich von Berlin gelegen - trafen am 7. Februar 1933 Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees der KPD sowie weitere führende Funktionäre unter der Führung Ernst Thälmanns zusammen, um die Ausrichtung der Partei auf die neuen, bedrohlichen Bedingungen festzulegen.

Das zentrale Referat an jenem Februar-Abend hielt der damals 46jährige Ernst Thälmann. Seine Rede, die als "Ziegenhalser Rede" in die Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung eingegangen ist, gab den rund 40 KPD-Genossen Klarheit und Richtung. Teddy (diesen Namen gaben ihm die Arbeiter während des Hamburger Aufstandes 1923) analysierte nüchtern den Klassencharakter des Faschismus und die neue politische Situation. Selbstkritisch sprach er über Versäumnisse und Fehler und benannte gleichzeitig den Verrat der SPD-Führer, die alles taten, um den Einheitswunsch ihrer Mitglieder, dem Streben so vieler SPD-Arbeiter nach antifaschistischer Gegenwehr und für einen Generalstreik, zu untergraben und zu torpedieren.

Dort, wo sich SPD- und KPD-Arbeiter die Hand gaben, um gegen die Faschisten zu kämpfen, geschah dies gegen den Willen der SPD-Führer. Anders bei der KPD. Ihr Vorsitzender Ernst Thälmann rief die anwesenden ZK-Mitglieder, Polit- und Bezirkssekretäre der KPD auf, die gesamte Partei darauf auszurichten, sich mit allen Antifaschisten auf allen Ebenen zusammenzuschließen. Seine Rede in Ziegenhals schloß er mit den Worten: "Zusammengefaßt, Genossen: Eiserner Kurs auf die Sicherung der Partei und ihre Fortführung trotz aller Anschläge des faschistischen Terrors! Konzentration aller Kräfte auf die Entfaltung jeder Form des Massenwiderstandes, der Massenaktionen und Massenkämpfe auf der Linie: Demonstrationen, Streiks, Massenstreiks, Generalstreik gegen die faschistische Diktatur! [...] Revolutionäres Selbstbewußtsein, Siegeszuversicht, Angriffsfreude bei bolschewistischer Nüchternheit! Das alles verwirklichen heißt: die faschistische Diktatur schlagen und zerschlagen! Vorwärts in diesem Kampf! Erfüllt eure revolutionäre Pflicht für den Sieg der deutschen Arbeiterklasse!"

Die illegale ZK-Tagung der KPD in Ziegenhals markiert den Beginn des organisierten Widerstands gegen das Naziregime. Zu den Teilnehmern der illegalen ZK-Tagung zählten u. a. auch Lisa Ullrich und Albert Buchmann. Ihre Worte über die KPD, die Ziegenhalser Tagung und den kommunistischen Widerstand sind in dem vom Freundeskreis erarbeitenden Büchlein "Thälmanns Ansporn" nachzulesen. Das Buch erschien 2014 anläßlich des 130. Jahrestages der Ermordung Ernst Thälmanns in Kooperation mit der Hamburger Gedenkstätte Ernst Thälmann und Vera Dehle-Thälmann (der Enkelin von Rosa und Ernst Thälmann). Es basierte auf Tonaufnahmen aus dem Freundeskreis-Archiv, die transkribiert und veröffentlicht wurden. Vera Dehle-Thälmann ergänzte das Büchlein mit einem bis dahin unveröffentlichten Interview Ernst Thälmanns aus seiner Haft.

Historie der Thälmann-Gedenkstätte

Am 7. Februar 1953 wurde im "Sporthaus Ziegenhals" durch den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, den Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, sowie den Generalsekretär der SED, Walter Ulbricht, und in Anwesenheit von Ehrengästen die Ernst-Thälmann-Gedenkstätte eröffnet. 1959 wurde das volkseigene Sporthaus Ziegenhals - eine HO-Gaststätte mit der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte -, anstelle des baufälligen und abgerissenen Sporthauses, der Öffentlichkeit übergeben.

In den 70er Jahren wurde die Gedenkstätte unter Denkmalschutz gestellt. Seitdem ist sie, zusammen mit dem Boot "Charlotte", in das Verzeichnis der Gedenkstätten der DDR eingetragen worden und stand danach auf der Landesdenkmalliste des Landes Brandenburg. Die am Krossinsee gelegene Ernst-Thälmann-Gedenkstätte mit Gaststätte und Terrasse, nah an einer Anlegestelle für Schiffe, war ein beliebtes Ausflugziel, ein Ort für Familientreffen und Hochzeitsfeiern. Es blieb aber stets ein politischer Ort: Dort, an historischer Stelle, wo "Teddy" und die Genossen tagten, fanden internationalistische Treffen statt, dort erhielten Thälmann-Pioniere ihre roten Halstücher.

1990 übernahm die Treuhand - später ihr Nachfolger, die Treuhand-Liegenschaftsanstalt (TLG) -, das Grundstück in Ziegenhals mit Gedenkstätte, Gaststätte und Anlegesteg. Die Gaststätte wurde von Pächtern weiter betrieben, und dem Freundeskreis wurde die "Ernst-Thälmann-Gedenkstätte" mitsamt allen Ausstellungsstücken und dem Boot "Charlotte" in freier Trägerschaft vom Landrat übergeben. Seitdem sorgte der Verein sich um deren Pflege und Instandhaltung, um zahlreiche Veranstaltungen und um Führungen durch die Ausstellung. 1997 kündigte die TLG plötzlich den Pächtern und beabsichtigte, die Gedenkstätte zu schließen. Eine breite Protestkampagne, mit ihrem Höhepunkt am 3. Januar 1998, konnte erreichen, daß die Gedenkstätte erhalten blieb.

Im Jahr 2002 ließ die TLG die Immobilie - trotz anderer ernsthafter Kaufinteressenten - über das Auktionshaus "Karhausen" versteigern, besser gesagt verscherbeln: ein Gebäude mit einer denkmalgeschützten Gedenkstätte auf einem 4600 qm großen Seegrundstück für 86.000 Euro. Wer machte dieses Schnäppchen? Es war ein Herr Gerd Gröger, damals ein aus Augsburg kommender und im Brandenburger Bauministerium einen Platz als Ministerialrat einnehmender Beamter, der sein Insiderwissen nutzte, um sich in den Besitz des Grundstücks zu bringen. Bis Juni 2016 (als er altersbedingt ausschied) war Herr Gröger, nach schrittweisem Aufstieg im Auktionshaus selbst Chef der Auktionshaus Karhausen AG - sicher kein Zufall!

Der Landrat des Kreises Dahme-Spreewald Martin Wille (SPD) jedenfalls, der kurz vorher noch den erneuten und erweiterten Denkmalschutz verfügt hatte, erteilte - für die Öffentlichkeit völlig unverständlich - im Februar 2005 eine Abrißgenehmigung mit für Herrn Gröger günstigen Auflagen. Mit einer Änderung des Landesdenkmalschutzes zugunsten von Denkmalseigentümern glaubte sich die rot-rote Landesregierung völlig aus der Verantwortung für diese bundesweit und international bedeutende antifaschistische Gedenkstätte stehlen zu können. Es gibt kein anderes Denkmal in Brandenburg, bei welchem dem Andenken an Widerstandskämpfer und der Gedenkstättenkultur mit Hilfe des Denkmalschutzgesetzes so entwürdigend geschadet wurde.

Es folgten zahlreiche Proteste gegen die Schließung der Gedenkstätte, Unterschriften- und Postkartenkampagnen, ein Protestzug und ein Autokorso von Ziegenhals nach Potsdam gegen den drohenden Abriß, eine Landesverfassungsklage, Demonstrationen in Berlin und Potsdam sowie Kundgebungen in Ziegenhals vor der Gedenkstätte. An einer internationalen Unterschriftenaktion beteiligten sich viele tausend Menschen aus 260 deutschen Städten sowie aus Österreich, Frankreich, der Russischen Föderation, Tschechien, Australien, Brasilien, Belarus, Belgien, Chile, Dänemark, Großbritannien, Italien, Nordirland, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Spanien, Schweiz, der Ukraine und den USA.

Trotz alledem: Der Abriß im Mai 2010 konnte nicht gestoppt werden. Von den Regierenden im Land Brandenburg, an ihrer Spitze Matthias Platzeck, wurden alle Proteste in den Wind geschlagen - man übte sich in "aktiver Passivität" - und der Abriß der historischen und international anerkannten Gedenkstätte durch Gerd Gröger angewiesen.

Nachdem die Gedenkstätte mit Hilfe des damaligen Bürgermeisters von Königs Wusterhausen, Stefan Ludwig (PDL, seit April 2016 Justizminister Brandenburgs), widerrechtlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ausgeräumt und "Charlotte" abtransportiert wurde, war die Gedenkstätte praktisch für den Abriß freigegeben. Der neue Justizminister hat sich für seine Beihilfe am Abriß nie öffentlich entschuldigt, er hat denselben gerade einmal bedauert. Eine gesetzliche Stärkung der verbliebenen antifaschistischen Denkmäler und Gedenkstätten durch das Justizministerium täte Brandenburg gut, nicht zuletzt wegen NPD, braunen Brandstiftern und dem NSU-Sumpf.

Einige Hunderte trugen ihren Protest auf einer Kundgebung und Demonstration in Königs Wusterhausen auf die Straße. Am 3. Mai 2010 begann die Firma Kiesewetter GmbH auftragsgemäß mit dem Abriß der Gedenkstätte. Der Freundeskreis und seine Freunde und Sympathisanten beschlossen, nicht aufzugeben: Die Fortsetzung der Kundgebungen in Ziegenhals sowie eine Wanderausstellung der reproduzierten Ausstellung der Gedenkstätte war die Antwort auf den Abriß. Die Wiedererrichtung einer "Ernst-Thälmann-Gedenkstätte" in Ziegenhals bleibt die zwar ferne und heute wenig realistische, u. E. allerdings einzig richtige und würdige Forderung für Ernst Thälmann - für die mutigen Frauen und Männer der "Ziegenhalser Tagung"!

Am 10. Februar 2013 konnte gegenüber der geschändeten und abgerissenen Ernst-Thälmann-Gedenkstätte ein durch Spenden finanzierter Gedenkstein errichtet werden, der an Ernst Thälmann, an die ZK-Tagung und ihre Bedeutung erinnert. In Anwesenheit von ca. 600 Teilnehmern wurde dieser mit einer Tafel versehene Gedenkstein gebührend eingeweiht. Das gesamte Inventar, das Motorboot "Charlotte" sowie die Thälmann-Büste und die Buchstaben der Inschrift des Ehrenhofes der Gedenkstätte kamen zurück in den Besitz des Freundeskreises. Am 15. April 2016 - anläßlich des 130. Geburtstages von Ernst Thälmann - konnten wir schließlich in Berlin-Neukölln, in der Jonasstraße 29, die Ausstellung der "Ernst-Thälmann-Gedenkstätte" neu eröffnen und der Öffentlichkeit wieder zugänglich machen. Seit August 2016 fand das historische Boot "Charlotte", mit dem sich Tagungsteilnehmer seinerzeit über den Krossinsee hatten in Sicherheit bringen können, in der antifaschistischen Erholungs- und Begegnungsstätte Heideruh bei Hamburg einen neuen "Hafen".

Aus der Arbeit des Freundeskreises

Der Freundeskreis mit seinen älteren und jungen Mitgliedern und Sympathisanten, viele von ihnen aus Berlin, aber auch aus anderen deutschen Städten sowie dem Ausland, ist weiter aktiv. Die Vereinsmitglieder betrachten die Erhaltung und inhaltliche Gestaltung des antifaschistischen Vermächtnisses Ernst Thälmanns und seiner Genossen als ehrende Pflicht, ebenso die antifaschistische Geschichtsvermittlung, das Sammeln von Dokumenten und Sachzeugnissen und deren Pflege, Präsentation und Publikation und die Durchführung von Veranstaltungen.

Unsere Arbeit beinhaltet ebenso die Pflege internationaler Kontakte, so z.B. zu den Orten Telman im Leningrader Gebiet, wo 2012 ein neues Denkmal für Ernst Thälmann errichtet wurde, sowie auch zu Genossen in der Donezker Volksrepublik. Für die Kinder im Ort Telmanowo (DVR) sammelten wir Geldspenden und übergaben diese im September 2016. In solidarischer Verbindung stehen wir mit den Thälmann-Freunden aus vielen Teilen der Bundesrepublik und der Tschechischen Republik und koordinieren nach Kräften unsere Aktionen. Dies sind einige Aspekte unserer Arbeit - alle Interessierten sind zur Unterstützung eingeladen.

Die Gedenkstätte ist geschändet und zertrümmert worden, jedoch ein Gedenkstein in Ziegenhals, eine ständige Ausstellung in Berlin-Neukölln und "Charlotte" in Heideruh tragen dazu bei, daß das Signal von Ziegenhals wachgehalten wird: Kein Vergeben, kein Vergessen!

Indem wir als Kriegsgegner, Antifaschisten und Internationalisten, als Kommunisten und Sozialisten den heutigen Kampf gegen die Faschisten mit dem Gedenken an Ernst Thälmann und seine Kampfgefährten verbinden, bewahren wir das beste Erbe der deutschen Arbeiterklasse, bewahren wir die Glut und nicht die Asche.

Ziegenhals, das steht für Mut, Entschlossenheit und Siegesgewißheit. Wir brauchen sie heute dringend - im Kampf gegen die braune Pest!

Max Renkl, Udo Helmbold, Cilly Keller

Kontakt: Freundeskreis Ernst-Thälmann-Gedenkstätte e. V., Ziegenhals Postfach 2015, 15706 Königs Wusterhausen
http://www.etg-ziegenhals.de
E-Mail: vorstand@etg-ziegenhals.de

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Die "Alternative für Deutschland" - eine Partei des Kapitals
Der Wolf im Schafspelz

Die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist 2013 nicht wie Phönix aus der Asche entstanden. Sie ist ein Ergebnis wachsender Widersprüche in Politik und Gesellschaft der BRD. Diese sind unter anderem dadurch charakterisiert, daß der Zusammenhang zwischen der imperialistischen Rolle und Politik Deutschlands nach außen und einer zunehmend autoritären politischen Entwicklung im Inneren immer deutlicher alle ökonomischen, politischen, sozialen und geistig-kulturellen Prozesse bestimmt.

Sichtbar wird das in der Konzentration des ökonomischen Potentials und des Einflusses der Macht des Kapitals in Gestalt der Großmonopole, in der Verschärfung der Klassenwidersprüche zwischen Kapital und Arbeit und der Widersprüche im Bereich der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bevölkerung. Sie finden ihren Ausdruck in der Zunahme der Militarisierung des politischen und gesellschaftlichen Lebens, im Ausbau eines umfassenden Arsenals zur Überwachung von Organisationen und einzelnen sowie im beschleunigten Abbau grundlegender Menschenrechte und bürgerlich-demokratischer Prinzipien - alles unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung.

Begleitet werden diese Prozesse von erheblichen Veränderungen im System der politischen Apparate und der Organisation des Staates, die auf tiefgreifende Verwerfungen in den staatlich-politischen Strukturen hindeuten und in zunehmend restriktiven Formen politischer Konflikt und Krisenbearbeitung kulminieren. Wir haben es heute mit einem hochgerüsteten Staat der Monopole zu tun, der von Konservativen und sozialdemokratischen Führern (unter Mithilfe bestimmter Kräfte in der Partei Die Linke) so regiert wird, daß die Interessen der Monopole gesichert werden.

Eine Charakteristik der politischen Restauration seit den 70er Jahren besteht darin, daß sie unter sozialdemokratischer Regierung bzw. Regierungsbeteiligung geschieht und von Gewerkschaften gedeckt wird. Der Prozeß, der 1968 mit der Inkraftsetzung der Notstandsgesetze durch die große Koalition praktisch in Gang gesetzt wurde, wird gegenwärtig fortgesetzt. Es werden Strukturen für den Spannungs-, Verteidigungs- und Katastrophenfall geschaffen bzw. ausgebaut. Die Anstrengungen sind ebenso auf Expansion des deutschen Imperialismus und auf die Stärkung seiner politischen Rolle in der Welt gerichtet. Zur Sicherung der Herrschaft und zu ihrer internationalen Ausweitung werden die Kräfte neu formiert. In diesem Prozeß und aus ihm heraus ist die AfD entstanden.

Sie verkörpert die reaktionär-konservative Linie in der Geschichte des deutschen Kapitalismus. Sie ist keine spontane und kurzfristige Antwort, die nur auf eine konkrete Situation antwortet. Es gibt eine Vergangenheit! Ihre historischen Wurzeln reichen in die Zeit des "Alldeutschen Verbandes" zurück. Er wurde 1891/1894 gegründet und vertrat imperialistische, völkische u. a. reaktionäre Positionen des deutschen Monopolkapitals. Er war der ideologische Wegbereiter der Weltherrschaftsansprüche des deutschen Imperialismus vor dem ersten Weltkrieg. Seine Anliegen wurden auch nach dem Weltkrieg, in der Weimarer Republik, weiter verfolgt. Während der Zeit des Faschismus gehörten sie zu den Leitlinien der Politik. In ihrem Geiste erfolgte danach auch die Restauration des Kapitalismus in der BRD.

Die Funktion der AfD heute besteht darin, die national-konservativen Grundpositionen, die von mächtigen und wirtschaftlich wie politisch bestimmenden Kreisen des deutschen Imperialismus seit Ende des 19. Jahrhunderts als Grundlage der Politik vertreten werden, in der Gesellschaft der BRD zu verbreiten und sie zur Grundlage der Politik zu machen.

Das Kapital sieht günstige Bedingungen, die ihm die aktive Wiederaufnahme der Ziele des deutschen Imperialismus ermöglichen. Dazu wird die innere Absicherung der Herrschaft und die Schaffung entsprechender internationaler Bedingungen zu deren Verwirklichung als erstrangige Aufgabe betrachtet. In diesem Prozeß kommt der AfD eine wichtige Rolle zu. Sie bedient sich einer rigorosen und national motivierten Freund-Feind-Rhetorik und einer Argumentation, die in der Bevölkerung eine Herabminderung politischer Haltungen sowie geistig-kultureller Werte bewirken soll, die nicht in das national-konservative Weltbild passen. Deutlich wird das besonders in Fragen der Migration und gegenüber Migranten, die mehr und mehr ins Kreuzfeuer nationalistisch-rassistischer Angriffe geraten.

In ihrer Propaganda meidet die AfD die Benennung sozial-ökonomischer Widersprüche und positioniert sich vor allem im Bereich gesellschaftlicher Werte. Sie beutet dabei in der Bevölkerung bestehende Sorgen, Ängste und Vorbehalte gegenüber anderen Parteien sowie politischen und gesellschaftlichen Zuständen aus, um sich als alternative nationale Kraft anzubieten.

Die Charakterisierung der AfD als "populistische" Partei ist daher unzureichend. Eine solche Einschätzung sagt wenig über die vertretenen Inhalte aus. Vielmehr soll damit der Eindruck erweckt werden, die AfD sei eine politische Kraft, die gegen das aktuelle System Front macht. In Wirklichkeit nutzt sie diese Darstellungsweise, um das kapitalistische System zu sichern und die Kräfte zu sammeln, die willens sind, dem deutschen Imperialismus mittel- und langfristig eine Perspektive zu geben.

Die Krise des Kapitalismus hat ein Stadium erreicht, in dem selbst die große Koalition keine Sicherheit mehr dafür bietet, daß die weitere Entwicklung mit ihren zunehmenden Widersprüchen beherrscht bzw. kontrolliert werden kann. Alles scheint geradezu nach einer Alternative zu drängen!

Das zu verfolgende Konzept wurde u. a. vom Bundespräsidenten vorgegeben. Im Gründungsjahr der AfD (2013) plädierte er dafür, Deutschland müsse sich in Zukunft stärker als bisher in die internationale Politik einmischen - auch militärisch. Im "Weißbuch" der Bundeswehr 2016 bekennt sich die BRD-Regierung zu einem globalen Führungsanspruch und zu dessen Durchsetzung mit militärischen Mitteln.

In dem ebenfalls 2013 veröffentlichten Strategiepapier der Stiftung Wissenschaft und Politik "Neue Macht - neue Verantwortung" heißt es, daß Deutschlands Macht ihm neue Einflußmöglichkeiten verleiht. Das sei "Anlaß für eine Vermessung seiner internationalen Beziehungen". Dabei werde es sich "der gesamten Palette der außenpolitischen Instrumente" bedienen müssen, "von der Diplomatie über die Entwicklungs- und Kulturpolitik bis zum Einsatz militärischer Gewalt". Militärische Gewalt wird gleichrangig mit Kulturpolitik als "außenpolitisches Instrument" eingestuft! Zugleich wird von den Regierenden davon gesprochen, Deutschland müsse wieder "Weltpolitik" betreiben.

Führende Politiker, Stiftungen und Leitmedien behaupten immer wieder, daß die AfD und das Anwachsen ihres Einflusses Ursache für den Rechtsruck sei. Das Gegenteil entspricht der Wahrheit. Die AfD ist Bestandteil des Konzepts zur Stabilisierung und Sicherung der kapitalistischen Gesellschaft in der BRD und der Umstellung von Gesellschaft und Politik auf die offene Durchsetzung einer deutschen "Weltpolitik". Die AfD wurde nicht als Alternative für Deutschland, sondern als "Absicherung für Deutschland" (AfD), für den deutschen Imperialismus gegründet.

Ein Blick in die Geschichte ist dabei angebracht. Auch die Gefahren, die von der NSDAP ausgingen, wurden über mehr als ein Jahrzehnt in den 20er Jahren unterschätzt bzw. kleingehalten. Doch als die Krise sich verschärfte, die sozialen Widersprüche sich zuspitzten und die internationalen Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten zunahmen, wurde sie gebraucht und vom nationalkonservativen Flügel der deutschen Wirtschaft in den Sattel gehoben, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, eine reaktionär-aggressive Politik nach innen und nach außen zu etablieren, die schließlich zum 2. Weltkrieg führte.

Ein Blick auf die Leitfiguren der AfD verdeutlicht ihre enge Verbindung zu den Herrschenden und Regierenden. Schon die Gründer der Partei sind sehr eng mit dem Kapital verbunden. Hans-Olaf Henkel zum Beispiel war seit 1962 in verschiedenen verantwortlichen Funktionen für IBM Deutschland tätig. Zuletzt, bis Dezember 1994, war er sogar Chef von IBM Europa, Mittlerer Osten und Afrika mit Sitz in Paris. Von 1995 bis 2000 war er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Zugleich war er Mitglied der Aufsichtsräte bei Bayer AG, Continental AG, Daimler Luft- und Raumfahrt AG, Ringier AG Schweiz u. a. sowie Bankberater. Der Ökonom und Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke hat schon Mitte September 2012 unter der Federführung von Alexander Gauland (CDU, Staatssekretär a.D., 1987 bis 1991 Leiter der Hessischen Staatskanzlei) und gemeinsam mit Konrad Adam, CDU, Journalist, sowie Gerd Robanus, Beisitzer im Bundesvorstand der CDU-Mittelstandsvereinigung, die "Wahlalternative 2013" gegründet, weil die Politik der Bundesregierung zur Rettung des Euro nicht ausreichend die Interessen des deutschen Wirtschaft vertreten habe. Die gegenwärtig führenden und bestimmenden Personen in der AfD waren davor - zumeist über Jahrzehnte - Mitglieder der CDU. Sie sind erst kurz vor oder infolge des Beitritts zur AfD aus der CDU ausgetreten. Das trifft u. a. auf Alexander Gauland zu, der nicht nur Mitglied der CDU war, sondern durch seine enge Verbindung zu Alfred Dregger und der von diesem angeführten "Stahlhelmfraktion" der CDU für die direkte Fortsetzung der Ziele und Anliegen der nationalkonservativen Linie der CDU in der AfD steht.

Eine zunehmende Zahl von führenden Mitgliedern der AfD bekleidet hohe Ämter im Militär, im Staatsapparat, an den Universitäten. Sie kommen aus elitären Kreisen der kapitalistischen Gesellschaft.

Es fällt auf, daß sowohl ehemalige als auch noch aktive Militärs maßgeblich an der Führung der Partei und daran beteiligt sind, den Masseneinfluß der AfD zu erhöhen. Kader, die mit der Bundeswehr verbunden sind, gibt es auch in allen Landesverbänden. In Berlin trat der ehemalige Oberst im Generalstabsdienst der Bundeswehr, Georg Pazderski, als Spitzenkandidat bei den Wahlen auf. Er ist Mitglied im Bundesvorstand und seit Januar 2016 Vorsitzender der Partei in Berlin. Darüber hinaus ist er Koordinator für Außen- und Verteidigungspolitik und Vorsitzender des Bundesfachausschusses "Internationale Verantwortung Deutschlands". Vorher war er Berater des deutschen Vertreters bei der EU und erfüllte Leitungsaufgaben im Rahmen von NATO-Strukturen. Oberstleutnant Uwe Junge steht in Rheinland-Pfalz an der Spitze des Landesverbandes. Lars-Patrick Berg aus Heidelberg ist Oberstleutnant der Reserve und Mitglied des Landtags. Diese Liste könnte fortgesetzt werden. Sie belegt das Streben der AfD, dem Militärischen wieder mehr Reputation zu verschaffen.

Dafür stehen auch Verehrer von Bismarck wie Björn Höcke, Vorsitzender der Landesorganisation Thüringen, und Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender im Brandenburger Landtag, die den Standpunkt vertreten: "Die Deutschen haben ein gestörtes Verhältnis zur militärischen Gewalt. Sie betrachten sie nicht als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln im Sinne von Clausewitz, sondern als das schlechthin Böse und Falsche, als ein Mittel, aus dem nie und unter keinen Umständen Brauchbares entstehen könne ... Statt immer wieder die pazifistische Melodie zu singen, wäre es klug, eine politische zu intonieren, weil eben militärische Gewalt ... nicht an sich schlecht ist. Das aber setzt voraus, daß die Deutschen wieder eine Tatsache der Weltgeschichte akzeptieren können, die Bismarck in seiner ersten Regierungserklärung als preußischer Ministerpräsident 1862 in die berühmten Worte faßte, 'Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden - das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen -, sondern durch Eisen und Blut.'" (Otto von Bismarck, Reden 1847-1869)

Die wesentlichen Impulse für die ideologische Begründung solcher Konzepte und daraus resultierender Politik bezieht die AfD aus der national-konservativen Linie der deutschen Geschichte. In diesem Sinne hat sich Gauland schon in der Zeit seiner Mitgliedschaft in der CDU geäußert und damit wesentliche Positionen der "Stahlhelmfraktion" der CDU interpretiert. Angeführt wurde diese von Alfred Dregger (1940 Mitglied der NSDAP, Landesvorsitzender der CDU in Hessen, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag 1982-1991). Von ihm stammt die CDU-Wahlkampflosung der 70er Jahre "Freiheit statt Sozialismus". Sein Sohn, Burkard Dregger charakterisierte ihn als "Patriot wider den Zeitgeist". ("Der Tagesspiegel", 19.7.2016)

Die Propagierung einer deutschen Leitkultur gehört ebenso dazu wie die Versuche zur Wiederbelebung eines national-ethnisch oder auch völkisch definierten Patriotismus. Das schließt die Relativierung der faschistischen Vergangenheit und das Schüren von Vorbehalten und Ablehnung des Ausländischen sowie der Migranten, des Fremden ein.

In dieser Tradition standen auch nach 1990 verschiedene Versuche in der CDU, diesen Inhalten einen organisierten Rahmen zu verleihen. Dazu gehört der "Andenpakt" (2003), dem u. a. Roland Koch, Christian Wulf, Friedbert Pflüger, Matthias Wissmann, Günther Oettinger u. a. angehörten. Es folgte der "Berliner Kreis" und dann (2007) der "Einstein-Kreis" mit Philipp Mißfelder, Stefan Mappus und Markus Söder (CSU). 2010 kritisierte die FAZ, daß die Positionen des "Einstein-Kreises" zuwenig durchgesetzt worden seien. Es sei nicht gelungen, die Politik der Bundesregierung gestaltend zu beeinflussen. Im späteren Konzept der AfD fließt das alles im Szenario einer umfassenden Bedrohung der Nation und des Verlustes bindender "Ordnungsprinzipien" zusammen.

Die AfD argumentiert, daß historisch gewachsene Strukturen und Normen gefährdet seien. Im Zuge "unkontrollierter Masseneinwanderung Kulturfremder" würde sie vollends aus den Fugen geraten. "Der Islam" wird dabei als wichtigste aktuelle Bedrohung herausgestellt. Damit begründet man eine restriktive Asyl- und Zuwanderungspolitik. So wird aber auch der Ruf nach einer Stärkung des deutschen nationalen Selbstbewußtseins gerechtfertigt, der in Nationalismus mündet. Indem sie in diesem Sinne Ängste und Vorbehalte schürt, stellt sie sich als nationalkonservative Schutzmacht des Bekannten und Bewährten dar.

Die AfD ist Ausdruck einer wachsenden eigenständigen organisatorischen Profilierung des deutschen Nationalkonservatismus. Sie hat die Aufgabe, das nationalkonservative Denken als politische Programmatik in die aktuelle kapitalistische Wirklichkeit in Deutschland einzupflanzen und wirksam zu machen. Sie speist sich zugleich aus der "Stahlhelmfraktion" in der CDU, die sich ihrerseits als Bewahrer des deutschen Nationalkonservatismus der Weimarer Republik verstand. Dieser war auch schon auf autoritäre Lösungen in Staat und Gesellschaft ausgerichtet und gipfelte 1933 in der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz.

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch


Buchtips

H. Kellershohn/W. Kastrup (Hg.): Kulturkampf von rechts. AfD, Pegida und Neue Rechte. Unrast-Verlag, Münster 2016, 242 S., 24

R. Feustel u.a. (Hg.): Wörterbuch des besorgten Bürgers, Ventil-Verlag, Mainz 2016, 152 S., 14 EUR

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WISSENSCHAFTLICHE WELTANSCHAUUNG

Die Lehre vom Klassenkampf (1)

Seit Mitte der 60er-Jahre hat der damalige "Deutschlandsender" (später umbenannt in "Stimme der DDR") eine auch in Westdeutschland gehörte und beachtete Sendereihe mit Vorträgen zu Fragen unserer wissenschaftlichen Weltanschauung ausgestrahlt, deren Manuskripte sich erhalten haben und die wir den Lesern des "RotFuchs" in einer Auswahl zur Verfügung stellen - inhaltlich wurde nichts verändert, von unumgänglichen Kürzungen abgesehen. Man kann diese Vorträge lesen als Kapitel eines Geschichtsbuchs (dazu auch immer die Angabe des seinerzeitigen Sendetermins) und zugleich als Einführung in die Grundlagen marxistisch-leninistischen Denkens. Viele auch in den Vorträgen zum Ausdruck kommende Hoffnungen haben sich mit und nach der Konterrevolution von 1989/90 zerschlagen, manche Prognosen haben den Praxistest nicht bestanden. Wesentliche Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und anderen unserer Theoretiker aber haben nach wie vor Bestand, an ihnen halten wir (gelegentlich deswegen als Ewiggestrige beschimpft) fest, sie wollen wir - auch mit dieser Serie - vermitteln. RF


Sendetermin: 16. Februar 1972

In der Gegenwart - wie auch in der Geschichte - finden wir eine Vielfalt von Ereignissen, Erscheinungen und Widersprüchen der gesellschaftlichen Entwicklung, die auf den ersten Blick verwirrend und undurchschaubar erscheint: Denken wir nur - was die Geschichte anbelangt - an das Entstehen und den Verfall ganzer Gesellschaften, an Kriege und Friedensschlüsse, Revolutionen und Konterrevolutionen. In unserer Gegenwart sehen wir sowohl gesellschaftlichen Fortschritt als auch finsterste Reaktion. Wo ist der Kompaß zu suchen, der hilft, uns in dieser Vielfalt und Widersprüchlichkeit zurechtzufinden?

In einer immer wieder lesenswerten knappen Arbeit von W.I. Lenin mit dem Titel "Karl Marx" wird die Antwort auf diese Frage in einem Satz zusammengefaßt. Er heißt: "Der Marxismus gab uns den Leitfaden, der in diesem scheinbaren Labyrinth und Chaos eine Gesetzmäßigkeit zu entdecken erlaubt: die Theorie des Klassenkampfes."(1)

Mit der Lehre vom Klassenkampf deckten Marx, Engels und Lenin jene entscheidende Gesetzmäßigkeit auf, die besagt, daß die gesellschaftliche Entwicklung in allen Gesellschaftsordnungen, die durch unversöhnbare Klassengegensätze gekennzeichnet sind, durch den Klassenkampf vorangetrieben wird. Das ist nun nicht etwa eine "Erfindung" der Klassiker des Marxismus-Leninismus, eine böswillige Verleumdung durch die Kommunisten, wie bürgerliche Ideologen immer wieder behaupten, sondern der Kampf der Klassen hat seine Ursachen in der gegensätzlichen Lage und den unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Klassen, die letztlich durch die jeweiligen ökonomischen Verhältnisse bedingt sind. Im "Manifest der Kommunistischen Partei" schrieben Marx und Engels: "Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen."(2)

Wenn heute bürgerliche Historiker, Soziologen und Philosophen versuchen, den scharfen Klassenkampf im staatsmonopolistischen Kapitalismus zu leugnen, wenn immer wieder neue, oft aber auch längst überholte alte Theorien zurechtgezimmert werden, die nachweisen sollen, daß der gegenwärtige Kapitalismus den Klassenkampf überwunden habe - dann dienen alle diese Anstrengungen nur einem Ziel: die tiefe Widersprüchlichkeit innerhalb des eigenen Gesellschaftsgefüges zu verschleiern und den revolutionären Teil der Arbeiterklasse vom Kampf um grundlegende Veränderungen abzuhalten.

Dabei vergessen diese bürgerlichen Theoretiker nur zu gerne, daß es nicht Marx und Engels waren, die die Existenz und den Kampf der Klassen entdeckten, sondern bürgerliche Historiker und Ökonomen aus der Zeit des sich entwickelnden Kapitalismus. In einem Brief an seinen Kampfgefährten Joseph Weydemeyer schrieb Marx: "Was mich nun betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, ... die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft und ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Bürgerliche Geschichtsschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung dieses Kampfes der Klassen, und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt. Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet."(3) In diesen wenigen Sätzen charakterisiert Marx mit innerer Logik seine historisch-materialistische Position zum Klassenkampf in der Geschichte und der sich daraus mit Notwendigkeit ergebenden welthistorischen Mission der Arbeiterklasse. Hierin ist einmal die Erkenntnis enthalten, daß der Klassenkampf eine objektive Gesetzmäßigkeit aller jener Gesellschaftsordnungen ist, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruhen. Zum anderen wird damit deutlich hervorgehoben, daß der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie im Kapitalismus - als der historisch letzten Ausbeuterordnung - eine neue Qualität erreicht. Die Arbeiterklasse hat in diesem Kampf nicht nur die Aufgabe, die Bourgeoisie zu stürzen und die Diktatur des Proletariats, die Herrschaft der Mehrheit im Interesse der Mehrheit, zu errichten.

Im Prozeß der Gestaltung der neuen Gesellschaft besteht das Ziel in der Aufhebung aller Klassen und der Schaffung der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Zugleich mit diesen Erkenntnissen ist die Einsicht in den internationalen Charakter des Klassenkampfes zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie verbunden. Auf der Grundlage der gemeinsamen Klasseninteressen vereinigt sich die Arbeiterklasse aller Länder in ihrem internationalen Kampf gegen den gemeinsamen Klassengegner, für das gemeinsame Ziel.

Gerade diese marxistisch-leninistische Auffassung vom Klassenkampf wird von der Monopolbourgeoisie und ihren Ideologen bekämpft, verfälscht und verleumdet, weil sie die historische Gesetzmäßigkeit des Sieges der Arbeiterklasse, des Sieges des Sozialismus und die Perspektivlosigkeit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung einschließt.

Eine gegenwärtig stark in Mode gekommene angebliche Widerlegung der historischen Gesetzmäßigkeit des Klassenkampfes besteht darin, die Quelle aller Widersprüche in der biologischen Seite des Menschen, in seinen Trieben und Instinkten, zu suchen. So sind z.B. in den letzten Jahren im Westen Tausende Arbeiten bürgerlicher Theoretiker erschienen, in denen der Aggressionstrieb als angeblich "urmenschliches" Phänomen zum Sündenbock für alle Widersprüche und Auseinandersetzungen in der kapitalistischen Gesellschaft erklärt wird. Daraus wird dann geschlußfolgert, daß die entscheidenden gesellschaftlichen Übel "wohl nur sekundär von der Gesellschaft herrühren, primär vom Menschen"(4) und daß Bezeichnungen wie "der Kapitalist", "der Proletarier", "der Kommunist" nichts anderes seien als "Übervereinfachungen", "vordergründige Vorgänge der Selbsttäuschung", bedingt durch "Triebspannungen"(5).

Ähnliche Argumente finden wir bei Neo-Freudianern, bei Verhaltensforschern und anderen sogenannten Aggressionstheoretikern. An die Stelle des objektiv vorhandenen und unversöhnbaren Widerspruchs von Kapitalist und Arbeiter wird ein angeblicher "Triebstau des modernen Menschen" gesetzt; der sich offensichtlich zuspitzende Klassenkampf erscheint als "Freisetzung menschlicher Aggression", und die Unterdrückungsfunktion des imperialistischen Staates wird als "Schutz des Menschen vor sich selbst", vor seinen "aggressiven Trieben" oder als "Verfeinerung der Triebe" dargestellt. Die gesellschaftliche Wirklichkeit beweist tagtäglich die Unsinnigkeit dieser und ähnlicher Behauptungen.

Die Klassenkämpfe unserer Tage in ihren verschiedenen Erscheinungsformen - ob in Gestalt der umfassenden Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus, ob als Streikkampf um soziale Ziele, ob als politischer Kampf gegen staatliche Unterdrückung oder faschistische Diktatur - diese Klassenkämpfe lassen sich so wenig auf biologisch bedingte Triebe zurückführen, wie man sie leugnen und von einer "Klassenharmonie" sprechen kann. Es bewahrheitet sich vielmehr auch in der Gegenwart die wissenschaftliche Erkenntnis von Marx, Engels und Lenin, daß in der antagonistischen Klassengesellschaft "die wirkliche Triebkraft der Geschichte der revolutionäre Kampf der Klassen" ist.(6)

Die marxistisch-leninistische Theorie des Klassenkampfes ist aber nicht nur ein Kompaß, um sich in den vielfältigen Formen und Erscheinungen der Klassenauseinandersetzung zurechtzufinden, sie gibt nicht schlechthin eine Erklärung der bestehenden Klassenbeziehungen. Vor allem bildet sie die Grundlage für die Strategie und Taktik des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse. Für die marxistisch-leninistischen Parteien besteht eine entscheidende Aufgabe darin, aus der wissenschaftlichen Analyse des Kräfteverhältnisses in der Welt, aus der konkreten Klassenstruktur und den Bedingungen des Klassenkampfes die Generallinie ihrer politischen Führung zu entwickeln. In diesem Sinne sprechen wir von der Strategie der Partei der Arbeiterklasse, die für eine bestimmte Etappe der gesellschaftlichen Entwicklung fest gelegt wird.

Sie enthält die genaue Zielbestimmung des Kampfes, die richtige Bestimmung des Hauptfeindes, der Monopolbourgeoisie, sowie die richtige Bestimmung der Verbündeten der Arbeiterklasse. Auf der Grundlage dieser strategischen Linie wird dann - in der Regel für kürzere Abschnitte innerhalb einer Entwicklungsetappe - die jeweilige Taktik des Kampfes der Arbeiterklasse entwickelt. Die Strategie und Taktik der marxistisch-leninistischen Parteien ist also untrennbar mit der wissenschaftlichen Theorie des Klassenkampfes verbunden. Dagegen versuchen Antikommunisten der verschiedensten Schattierungen den Eindruck zu erwecken, als bestehe die Politik der kommunistischen und Arbeiterparteien in einer prinzipienlosen Taktiererei, die angeblich nur dem Ziel diene, den - wie es in ihrem Sprachgebrauch heißt - "Machtbereich des Kommunismus" auszudehnen.

Die Vergangenheit und Gegenwart des bewußt geführten Kampfes der Arbeiterklasse beweisen jedoch die Unsinnigkeit solcher Behauptungen. Die Unterschiedlichkeit und Variabilität in der Taktik - notwendig durch die unterschiedlichen konkreten Bedingungen des Klassenkampfes - waren und sind niemals Selbstzweck, sondern dienten und dienen der Verwirklichung des strategischen Hauptziels der Arbeiterbewegung, nämlich die kapitalistische Ausbeuterordnung zu beseitigen, die sozialistische Gesellschaft zu gestalten, in der der Mensch zum ersten Mal wirklich zum Schöpfer seiner Verhältnisse wird und letztlich die klassenlose kommunistische Gesellschaft zu schaffen.

In der Gegenwart bestimmt der Kampf um die Erhaltung des Friedens die Strategie und Taktik aller kommunistischen und Arbeiterparteien. Dabei geht es eben nicht nur um den bloßen Wunsch, den Frieden zu bewahren, sondern um das Aufdecken der konkreten Möglichkeiten und Wege seiner Erhaltung und Festigung. Die im Januar 1972 vom Politischen Beratenden Ausschuß der Länder des Warschauer Vertrages in Prag angenommene "Deklaration über Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" zeigt das mit aller Deutlichkeit. Hier werden das reale Kräfteverhältnis, die positiven Entwicklungstendenzen im Ringen um die europäische Sicherheit eingeschätzt, die es ermöglichen, alle strittigen Fragen mit friedlichen politischen Mitteln zu lösen. Zugleich werden aber auch jene Kräfte charakterisiert, die daran interessiert sind, die Spannungen zu erhalten, die einen europäischen Staaten zu den anderen in Gegensatz zu bringen und Möglichkeiten zu behalten, die Entwicklung der Ereignisse auf dem europäischen Kontinent erneut in Richtung auf eine Verschärfung zu lenken. Und nicht zuletzt werden jene Grundprinzipien der europäischen Sicherheit und der staatlichen Beziehungen charakterisiert, auf deren Verwirklichung hingearbeitet werden muß.

Der Kampf um Frieden, Demokratie, sozialen Fortschritt und Sozialismus ist ohne exakte Analyse des Kräfteverhältnisses und der Bedingungen des Klassenkampfes, d. h. ohne ständige Anwendung der Theorie des Klassenkampfes, nicht möglich. Und gerade deshalb ist ihre Aneignung notwendig für das Verständnis der gesellschaftlichen Beziehungen wie für deren revolutionäre Veränderung.


Anmerkungen

(1) Lenin: Karl Marx. LW, Bd. 21, S. 46
(2) Marx/Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. MEW, Bd. 4, S. 462
(3) Marx: Brief an Weydemeyer vom 5.3.1852. MEW, Bd. 28, S. 507 f.
(4) Alexander Mitscherlich, Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität. Frankfurt/M. 1969, S. 125
(5) Ebenda, S. 14
(6) Lenin: Noch einmal über ein Dumakabinett. In: LW, Bd. 11, S. 57

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"Amerikanische Beschäftigungsverhältnisse"

Nach einer Studie der Techniker-Krankenkasse (TK) werden "Arbeitnehmer" im Osten deutlich häufiger krank als im Westen. Wurden 2015 Beschäftigte und Empfänger von Arbeitslosengeld I in Baden-Württemberg 11,6 Tage krankgeschrieben, traf es ihre Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern mit 17,5 Tagen. Man gibt sich erstaunt: Man habe keine befriedigende Erklärung, sagte eine TK-Sprecherin.

Der Frau kann geholfen werden: Schaut man sich die Arbeitswelt Ostdeutschlands genauer an, kommen einem schon einleuchtende Erklärungen für das scheinbar Unerklärliche in den Sinn. Waren im Jahre 2014 im Westen beispielsweise noch 63 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse tarifgebunden, kam man im Osten auf nicht einmal mehr die Hälfte. Ein gigantischer Billiglohnarbeitsmarkt wurde gezielt geschaffen, um das ohnehin fragile Arbeitsrecht der BRD weiter zu schleifen, Gewerkschaften zahnlos zu machen und die Beschäftigten in eine erbarmungslose Konkurrenz zueinander zu setzen. Die geringe Tarifbindung sorgt dafür, daß in Ostdeutschland Löhne und Gehälter dem Westniveau immer noch um 20 Prozent hinterherhinken, was auch so gewollt ist. Zahlreiche Industrieruinen zeugen noch heute von der wohl größten Orgie der Zerstörung in Friedenszeiten, welche die industrielle Infrastruktur eines Landes je über sich ergehen lassen mußte.

Arbeitsplätze sind in Mecklenburg-Vorpommern deutlich knapper als in Baden-Württemberg. Die wenigen Kleinbetriebe können häufig nur schlecht bezahlte Jobs anbieten - eine Folge eben jener Politik, deren Kernziel die Gewinnmaximierung um jeden Preis ist. Immer öfter trifft man auf Menschen, die in "amerikanischen Beschäftigungsverhältnissen" leben. Die Menschen sind gezwungen, mehrere gering bezahlte Jobs anzunehmen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Im Osten wird allenthalben sichtbar, was die Grundlage der kapitalistischen Wirtschaft bildet - die Degradierung des Menschen zur Ware, die Vermarktung seiner Gesundheit, seiner Gefühle und Hoffnungen. "Freiheit" und "Demokratie" enden im real existierenden Kapitalismus spätestens am Fabriktor - natürlich nur für diejenigen, welche eines durchschreiten dürfen. Die Arbeitswelt, die ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens ist, wird immer mehr brutalisiert. Latente Existenzangst macht Menschen krank und gleichzeitig fügsam. Immer mehr zerbrechen physisch und psychisch an ständiger Überforderung durch Zeithetze, Mobbing und Alltagssorgen. 75.000 Beschäftigte gehen jedes Jahr in Frührente, weil sie dem Druck nicht mehr gewachsen sind. Und es werden von Jahr zu Jahr mehr.

Ich selbst erlebe Tag für Tag die wachsende Entsolidarisierung der Menschen. Wird jemand krank, wird ihm häufig unterstellt, er simuliere nur. Die ohnehin viel zu wenigen Mitarbeiter müssen seine Arbeit miterledigen und machen als Schuldigen den Kranken aus und nicht jene, die für diese Verhältnisse verantwortlich sind. Überstunden werden zur Alltäglichkeit. Kommt jemand auf die kühne Idee, daß Arbeit auch Glück, Befriedigung und Erfüllung mit sich bringen sollte, wird das fast schon als Anmaßung betrachtet. Kaum jemand nimmt noch das Wort "Beruf" in den Mund. Man spricht vom "Job" und meint damit eine beliebige Tätigkeit in einer menschenfeindlichen Arbeitswelt, die als notwendiges Übel unseren Alltag begleitet. Das alles ist politisch gewollt, denn ein erschöpfter Mensch wehrt sich nicht. Er geht auf keine Demonstration, er liest kein Buch, das ihm Aufklärung verschafft, und er kann leichter manipuliert werden. Schuld am eigenen Elend ist dann der Ausländer oder der faule Arbeitslose. Die wahren Schuldigen verstehen sich gut zu tarnen.

Die von Marx beschriebene Entfremdung des Menschen durch die Arbeit kommt seit dem Ende der sozialistischen Staaten wieder sehr viel deutlicher zum Tragen als vor 1989. Bedenkt man, daß westliche Gewerkschaften noch in den 80er Jahren ernsthaft über die 35-Stunden-Woche diskutierten, während "Arbeitgeber"-Vertreter heute von der Rente mit 70, dem 10-Stunden-Arbeitstag und ständiger Verfügbarkeit des "Arbeitnehmers" reden, wird klar, wie sich dieses System mehr und mehr gegen die Menschen richtet. Viele erkennen, daß sie vom Produkt ihrer Arbeit entfremdet werden, weil es ihnen nicht gehört und sie sich auch nicht damit identifizieren können. Sie empfinden sich nicht als Kollegen, sondern als Konkurrenten. Gemeinschaftliches Handeln durch Arbeit als Schöpfungsprozeß wird durch die "Teile und herrsche!"-Politik der Kapitaleigner mehr und mehr unterbunden. Kreativität des Beschäftigten nützt in erster Linie dem Unternehmer, der diese auch wieder nur vermarktet. Diese Arbeitswelt macht krank.

Ich habe noch eine andere kennengelernt. Sie ist Vergangenheit. Aber sie zeigt mir bis heute, daß eine andere Welt möglich ist. Arbeit kann Berufung sein und glücklich machen. Dafür steht für mich das Wort Sozialismus.

Ulrich Guhl

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Kaufland als Mediendompteur

Eine besondere Überraschung hatte die in Essen ansässige Funke-Mediengruppe Ende des vergangenen Sommers parat, als sie das kostenlose "Berliner Morgenpost"-Wochenend-Extra einstellte. Man sprach von der "Neuaufstellung der Wochenblätter" und von Konzentration auf die "Berliner Woche", welche mittwochs erscheint und fortan auch die "beliebte Kundenzeitung von Kaufland" enthalten sollte. Diese lag bis zu diesem Zeitpunkt dem "Wochenend-Extra" bei.

Die "Berliner Woche" fand dann etwas deutlichere Worte. Kaufland wollte den Konsumenten seine Sonderangebote nicht mehr wie der Großteil seiner Konkurrenz am Wochenende, sondern schon zur Wochenmitte offerieren. Die Absicht dahinter ist deutlich: Wenn es um die letzten Pimperlinge der Verbraucher geht, hat derjenige die Nase vorn, der den potentiellen Kunden als erster seine aktuellen Sonderangebote für die kommenden Tage empfiehlt.

Allein für diese Geschäftsabsichten wurde die Wochenendzeitung aufgegeben, was jene, die sich aufgrund ihrer finanziellen Situation eine Tageszeitung nicht leisten können oder die aufgrund hoher Arbeitsbelastung ohnehin nicht zum Lesen einer Zeitung kommen, nicht kümmern dürfte. Aufhorchen läßt hingegen, daß eine Einzelhandelskette entschied, welche überregionalen Informationen die Berliner Bürger noch bekommen und welche nicht.

Natürlich ist auch die "Berliner Morgenpost" als Springer-Blatt und seriösere Variante der BZ Teil der bürgerlichen Medienlandschaft. Sichtbar wird bei solchen Vorgängen, wie sehr Medien als vierte Macht im Staate am Tropf der Wirtschaft hängen. Kaufland hat die Peitsche einmal kurz knallen lassen, und die Funke-Mediengruppe ist gesprungen. Lockt ein riesiger Werbeauftrag, ist das journalistische Renommee zweitrangig.

Und Kaufland agiert eben, wie alle Großkonzerne es zu tun pflegen. Es gehört wie der Discounter Lidl zur Schwarz-Gruppe, die inzwischen nach Walmart, Costco (beide USA) und Carrefour (Frankreich) zum weltweit viertgrößten Einzelhändler aufgestiegen ist. Im Jahr 2014 spülte die werte Kundschaft dem Konsortium 79,3 Milliarden Euro in die Kassen. Etwa 350.000 Mitarbeiter stehen in Diensten des Konzerns. Kaufland unterhält rund 1200 Märkte in der BRD, in Tschechien, Polen, Kroatien, Bulgarien, der Slowakei und in Rumänien. Lidl ist mit 9900 Filialen bereits in 20 europäischen Ländern aktiv, schielt derweil schon weiter in Richtung Litauen und Serbien und will im kommenden Jahr selbst vor den USA nicht Halt machen. Sicherlich ein ganz spezielles Ziel, das die unbegrenzte Gier eines unter kapitalistischen Vorzeichen agierenden Unternehmens vor Augen führt. Die genannten Zahlen sprechen für sich. Sie sind Ausdruck der Machtposition, über welche die Schwarz-Gruppe verfügt. Wer einen solchen einflußreichen Werbepartner verliert, hat im eigenen Metier verspielt.

Kaufland wurde übrigens in seinem Erfolgsjahr 2014 erstmals im "Schwarzbuch Markenfirmen" aufgeführt. Die Autoren kritisierten damals die miserablen Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben und in den heimischen SB-Märkten. Im Herbst dieses Jahres teilte der die Kaufland-Werbezeitung herausgebende TIP-Verlag mit, daß er die Zustellung durch eigene Mitarbeiter beendet und in vollem Umfang an Fremdanbieter vergibt. Damals verloren etwa 55.000 Frauen und Männer - darunter in den überwiegenden Fällen Mini-Jobber - ihre Anstellung und mußten sich bei den externen Dienstleistern neu bewerben.

Rico Jalowietzki

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Ein tragisches Versäumnis

In dem im Herbst 2016 erschienenen Buch "Das lange Sterben der Sowjetunion" von Reinhard Lauterbach unternimmt der Autor den Versuch, den Gründen für den Untergang der UdSSR näher zu kommen. Er untersucht unter politischen, ökonomischen und historischen Aspekten die Prozesse, die zum Sterben der Sowjetunion führten bzw. maßgeblich dazu beitrugen.

Von Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung in der UdSSR ist meines Erachtens die Analyse der politischen und ökonomischen Strategie der KPdSU nach Stalins Tod. Als Siegerstaat und als unumstrittene Weltmacht aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangen, als Atommacht und als eine der führenden Weltraumnationen, die auch bei dem aufgezwungenen Rüstungswettlauf mitzuhalten vermochte, fühlte man sich über viele Jahrzehnte dem Westen gegenüber ebenbürtig, in vieler Hinsicht überlegen, militärisch, waffentechnisch nahezu unangreifbar. Ideologisch fand das seinen Ausdruck in einem Denk- und Glaubensschema, wonach der Siegeszug des Sozialismus unaufhaltsam und die sozialistische Gesellschaftsordnung a priori die überlegene sei. Man war gefangen in einem selbstgesponnenen Netz politischer Wünsche, von Idealisierungen der in der Sowjetunion tatsächlich erreichten Stufe sozialistischer Entwicklung, der Prozesse in den imperialistischen Industriestaaten und in der 3. Welt. Dazu kam der nach 1945 immer stärker hervortretende Anspruch der KPdSU auf Deutungshoheit über den Marxismus-Leninismus.

Für das Brechen des Atombombenmonopols der USA, für die Pionierarbeit im Kosmos und für das erfolgreiche Bestehen im Rüstungswettlauf waren große strategische Entscheidungen getroffen worden, die sich seinerzeit hinsichtlich ihrer Substanz und Tragweite als richtig erwiesen haben. Zugleich sah sich die Partei vor das Problem gestellt, Triebkräfte, ökonomische und finanzielle Hebel und Impulsgeber zu finden, die kontinuierlich Qualitätsarbeit, eine hohe Arbeitsintensität und Verantwortungsbewußtsein stimulierten, die zum effektiven Wirtschaften in den Betrieben, Kolchosen und Sowchosen anregten und daher auch gegen Schlendrian und Gleichgültigkeit vorgingen. Für die KPdSU stand fest: Der Sozialismus muß Antriebe aktivieren und nutzen, die eigentlich zur kleinen Warenproduktion gehören und erst Schritt für Schritt mit sozialistischem Inhalt zu füllen sind. Schon Anfang der 60er Jahre haben Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftspraktiker auf die Dialektik von Wertgesetz und sozialistischer Planwirtschaft und deren Beherrschung in der Praxis aufmerksam gemacht. Im Zentrum stand die Frage, wie das vom Wertgesetz geforderte ökonomisch Rationelle in Kombination mit dem sozial Gewünschten und Notwendigen zu einer praktisch machbaren Einheit werden kann.

Ohne Zweifel enthalten alle Schritte zur Schaffung von Rahmenbedingungen für das Wertgesetz mit sozialistischem Vorzeichen viele Unwägbarkeiten und Risiken. Eine andere Art der Planung, andere Planungsgrößen und unumgängliche administrative Festlegungen, getragen von einer starken sozialistischen Staatsmacht, gehörten dazu. Die Herausforderung bestand unter anderem darin, auch mit dem Wertgesetz die ökonomischen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Handel zwischen der Industrie und der Landwirtschaft, das Produktivitätsgefälle zwischen den Sowjetrepubliken, die ökonomischen Privilegien durch die Monopolstellung vieler Produzenten, die außerordentlich hohen Transportkosten und die Optimierung der Standortwahl vieler Produktionen neu anzugehen.

Als hemmend erwies sich, daß eine breite politische und theoretische Diskussion über die widersprüchliche Einheit von Sozialismus und Wertgesetz nach Stalins Tod, in der Wege und Risiken für einen neuen Typ sozialistischen Wirtschaftens in Abwägung aller Vorteile, Probleme und Schwierigkeiten hätten benannt werden können, nicht stattfand.

Überlegungen zu Veränderungen in der zentralen staatlichen Planung und Dezentralisierungsversuche in Betrieben, um dem Wertgesetz mehr Freiraum zu schaffen, wurden - da offensichtlich inhaltlich noch unausgereift - alsbald wieder beendet.

Die zweite Hälfte der 80er Jahre unter der Ägide Gorbatschows kann nicht als Zeit sozialistischen Suchens nach ernsthaften reformerischen Lösungen eingeschätzt werden. Geblendet vom politischen Revisionismus, inspiriert vom Neoliberalismus westlicher Prägung und unter wachsendem Zeitdruck stehend wurde unter seiner Regie eine Flut von Reformprojekten initiiert, die in der Wirtschaft keine Resonanz fanden. In Hauruck-Aktionen sollte das nachgeholt werden, was vier Jahrzehnte lang versäumt worden war. Was übrig blieb, waren "Freiräume für private Initiativen".

Zu dieser Zeit konnte von einem ernsthaften Willen zu einer grundlegenden Wirtschaftsreform, von Autorität der Partei und gestaltender Kraft des Staates und seiner Organe keine Rede mehr sein. Spätestens hier erwies sich der Verzicht auf eine offene Diskussion mit der gesamten Bevölkerung über die Probleme als Beginn des bald folgenden Endes des sozialistischen Weges in Staat und Gesellschaft. Es wäre darauf angekommen, den wirtschaftlichen und politischen Kurs in wichtigen Punkten zu korrigieren. Die KPdSU war als mobilisierende und organisierende Kraft nicht mehr in der Lage, diese große Aufgabe anzugehen und schrittweise zu lösen. Die Massenverbundenheit der Partei war durch bürokratische Methoden in vielen Parteileitungen, durch nicht mehr zeitgerechte Formen der Parteiarbeit und durch Kompetenzstreitereien zwischen staatlichen Leitern und Parteifunktionären erheblich zurückgegangen. Die Diskrepanz zwischen den Beschlüssen höchster Parteigremien und den realen Sorgen und Bedürfnissen der Bevölkerung wurde immer größer. Wahrscheinlich haben einige Spitzenfunktionäre der KPdSU die Größe, Kompliziertheit und Komplexität einer Wirtschaftsreform für die Sowjetunion gesehen. Doch eine Orientierung der Partei auf eine solche Herausforderung hat es nicht gegeben. An der Spitze der Partei fehlte es offensichtlich an Identifikation mit dem Inhalt und den Zielen einer Wirtschaftsreform, an der Bereitschaft und dem Willen, mit persönlichem Einsatz dafür zu kämpfen. Die Sicherung der täglichen Wirtschaftsabläufe, die Überwindung von Schwierigkeiten und die Beseitigung von ständig auftretenden Engpässen in der Produktion und im Handel haben die KPdSU zweifellos sehr viel Kraft gekostet und dazu beigetragen, strategisches Denken und Arbeiten zu vernachlässigen.

Das Nichtvertrauen in die eigene Mobilisierungs- und Orientierungskraft sowie der ständig wachsende ökonomische, finanzielle und militärische Druck der USA und der NATO auf die Sowjetunion waren maßgebliche Faktoren, welche die Ausarbeitung einer vorausschauenden strategischen Konzeption verhinderten. So blieb es bei der Erarbeitung von Fünfjahrplänen für die Volkswirtschaft und Programmen für zweigliche und regionale Entwicklungen unter Beibehaltung aller Defizite im Wirtschaftsmechanismus. Die Erfahrungen und Erkenntnisse - gesammelt bei der Ausarbeitung strategisch angelegter technologischer Großprojekte (Kosmosprogramm, U-Boot-Bau, Raketenschirm) - waren nicht übertragbar auf die Konzipierung und Umsetzung einer neuen Wirtschaftsstrategie in der Sowjetunion. So bitter es klingt, in der existenzentscheidenden Situation für den Sozialismus hatte die KPdSU keine tragfähige und belastbare politische und ökonomische Strategie. Die Nichtinangriffnahme einer Wirtschaftsreform in der Sowjetunion und ihr vor allem ökonomisch bedingtes Sterben sind nach meiner Ansicht keine Bestätigung für die oft postulierte These von der Unvereinbarkeit von Sozialismus und Wertgesetz.

Prof. Dr. Achim Dippe, Berlin

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Glückwunsch für Kati Székely zum 75.

Liebe Kati,
75mal jährt sich heute der Tag Deiner Geburt. Ein großer und wichtiger Tag in Deinem Leben.

Glück und Frieden für Dich und Deine Familie! 1941: Vater, Mutter, Kind aus der Heimat Ungarn von den Nazis verjagt, mitten in den fürchterlichen Weltkriegsschlachten. Deine Kindheit begann mit der Flucht um den halben Erdball. Kanonendonner und Fliegerbomben waren die Begleitmusik. Emigration ist immer und überall unsicher und brüchig. Später - von dem Großinquisitor McCarthy aus den USA geworfen - war das Tor in die alte Heimat verschlossen. Dort herrschte in den 50er Jahren eine Art Bürgerkrieg.

Als letzte und einzige Station und Fluchtpunkt blieben: ehemalige Emigrantenfreunde in Ostberlin. Dort war Hans Székely, Dein Vater, durch sein Opus magnum "Verlockung" sehr bekannt.

Glück und Zufall ließen mich teilnehmen an dem illustren Empfangs- und Beraterteam, das Deiner Familie weiterhelfen sollte: Schriftsteller, Philosophen, Kunst- und Kulturgrößen. Da sah ich Dich zum ersten Mal. Du warst das schönste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Knapp 15 Jahre alt. Ein Kind. Aber schon mit allen Anzeichen der erwachenden Frau. Nicht die äußerlichen Attribute waren es, nicht die bezaubernde Figur. Nein! Die Augen, die schon erwachsen, fast reif, fast wissend das Gespräch der Erwachsenen zu verfolgen suchten. Alle plapperten. Du saßt auf dem Sofa und schwiegst. Nicht aus Wohlerzogenheit. Nein! Du hast nichts verstanden. Kein Wort, keine Silbe. Und doch ging es auch um Dich.

János Székely schien - kein Wunder, nach dem, was die Familie durchgemacht hatte - seltsam wortkarg und leidend. Wenn er sprach, half ihm Deine Mutter mit ihrem gepflegten Deutsch aus. In der Nacht fiel die Entscheidung für Eure Zukunft: die DEFA in Potsdam-Babelsberg. Es folgten János' "Geschwader Fledermaus"-Film, Katis Theater-Ausbildung und Mamas journalistische Tätigkeit. Du und Jürgen, Ihr wurdet das Traumpaar in der erfolgreichen Abenteuerserie "Das grüne Ungeheuer". Berühmt und beliebt von der Ostgrenze über alle unsere Länder bis China. In Moskau waren fünf Abende die Straßen leergefegt durch Deinen erotisch-exotischen Charme. Am Deutschen Theater spieltest Du unter anderem eine wunderbar innige Anne Frank. Deine tiefen Erlebnisse als Kind und junges Mädchen flossen in Deine künstlerischen Darstellungen ergreifend mit ein.

Nach einigen weiteren Rollen am Theater und beim Fernsehen entschlossest Du Dich, zum Erstaunen Deiner Tausenden Fans, die darstellende Kunst zu verlassen und zur Medizin zu wechseln. Man hörte in Berlin bis heute immer nur das Beste über Dich und von Dir. Und geblieben ist: das "ungeheuerliche" Liebespaar Jürgen und Kati - Morena und Chabelita. Dein heutiger Ehrentag aber führt in eine weitere wichtige Etappe. Der Weg mag ein wenig steil sein, vielleicht auch etwas stürmischer, aber bis zu den Hundert ist er zu meistern. Auf geht's!

Von Herzen Euch alles Gute!

Rudi Kurz, 2. Dezember 2016

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Sind Bücher noch zeitgemäß?

Bücher sind für mich echte Werte, die zu meinem Leben gehören, es bereichern und die ich nicht missen möchte!

Weißt Du, was ein Book Reader ist? Richtig, das ist Englisch und heißt Buch-Leser, so wie du und ich oder Tante Anna. Aber Steffi sagt, es wäre so ein neumodernes Ding mit Bildschirm, auf dem man die Bücher elektronisch lesen kann. Es soll welche geben mit 240 Leseproben. Nun kann ich Leseproben nicht ausstehen. Ich lese ein Buch ganz, fange vorn an und höre hinten auf, damit ich neugierig bleibe. Nur wenn es mir nicht gefällt, leg ich es beiseite. Manche Leute haben ganze Schrankwände voller Prachtbände mit Leseproben. So können sie überall ein bißchen mitreden und ihr Halbwissen gut tarnen. Sogar ihr Zimmer macht einen gebildeten Eindruck.

Steffi liest Bücher, weil die gut riechen, liest sogar ihrem Liebsten laut vor. Ist sie dann auch ein Book Reader, weil das Wort Reader auch Vorleser bedeutet? Aber nein, sie ist keine elektronische Erfindung mit Bildschirm. Sie strahlt Wärme aus, darin ähnelt sie einem echten Buch.

Ich habe meine Bücher seit Jahrzehnten. Meinen ersten Strittmatter bekam ich vor einem halben Jahrhundert. Seitdem habe ich alles gesammelt, was ich von ihm erwischen konnte. Ich wünsche mir nicht, daß er nun digitalisiert daherkommt. Ich will in seinen Werken herumblättern, nach seiner Weisheit Ausschau halten, schon vor Jahren Angestrichenes wiederfinden und mich freuen übers schon vergessen Geglaubte. Meine alten Bücherregale, selbstgefertigt aus Bambus, habe ich gegen stabilere getauscht, von den vertrauten Büchern aber mag ich mich nicht trennen.

Und wie sähe das dann aus, leere Regale und darin ein Book Reader, daneben ein Ladegerät, denn das brauchst du dazu, hat Steffi gesagt. Ich stell mir vor, ich fahre mit der U-Bahn, lese in dem Ding - sowas habe ich schon bei anderen gesehen und gedacht, das sei ein übergroßes Handy - und dann ist gerade an spannender Stelle der Akku leer. Das schöne Rascheln beim Umblättern ist nicht mehr zu hören. Da lasse ich mich lieber von der gewünschten Haltestelle unterbrechen und lege ein Lesezeichen ins Buch.

Es gibt Leute, die kennzeichnen ihre Lesestelle mit dem Fingernagel, ritzen den Absatz an und kniffen ein Eselsohr in die Seite. Das muß ich ablehnen, Bücher sind Freunde. Meine Freunde graviere ich nicht, verpasse ihnen keine Eselsohren, höchstens baue ich ihnen manchmal eine Eselsbrücke, aber das ist etwas anderes.

Was passiert eigentlich, wenn dieses Elektrogerät herunterfällt? Sind dann alle 240 Leseproben und die inzwischen selbstgespeicherten Bücher verschwunden? Das kann passieren, sagt Steffi, da mußt du vorsichtig sein. Ein richtiges Buch mit Seiten ist robuster. Man könnte es sogar trocknen, wenn es ins Wasser gefallen wäre, so wie meine Chornoten, über die ich meine Seltersflasche auslaufen ließ. Bei dem Book Reader mußt du aufpassen, kannst dir aber für ihn eine extrafeine Tasche besorgen.

Und das ist dann alles? Nee, Kopfhörer brauchst du auch noch!

So, so und das soll Fortschritt sein? Wo ist der Vorteil? Papier wird gespart, und Bäume bleiben verschont! Aha, ja, das ist wirklich gut! Das schont die Umwelt! Aber was ist mit der Energie ...

Nun ist für mich alles klar, ich bleibe Buch-Leser!

Edda Winkel


Denken Sie mal hundert Jahre weiter: Ihr Urenkel findet auf dem Dachboden ein Buch, daneben einen digitalen Datenträger. Vom Buch muß er nur den Staub wegpusten, um es zu lesen. Das Kästchen ist ramponiert, das Programm für die Daten weg. Festplatte gibt es nicht, wo ist die nächste Steckdose? Also: wegwerfen.

Klaus Wagenbach (Verleger)

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Als ich Wandzeitungsredakteur war ...

Die Funktion des "Wandzeitungsredakteurs" (in der 106. POS "Albert Hensel", Dresden, 1977-87) habe ich eher zufällig übernommen, als die Aufgaben in der Unterstufe verteilt wurden und ich mich dafür gemeldet habe, weil ich immer gern zeichnete. Ich wußte mit 10 Jahren nicht, was auf mich zukommen würde. Leider habe ich keine Fotos von meinen Plakaten gemacht, weil es damals für mich nichts Besonderes war.

Die ersten Bildzeugnisse waren sicher unbeholfen und hatten nicht viel Aussagekraft. Doch was zählte, war die Tat und das Tätigsein im Sinne der Arbeit, der Solidarität mit anderen, des Friedens und für die Schulklasse. Daß diese Themen sehr präsent waren, zeigten die Bilder, die in unserem Klassenraum hingen. "Die Wolgatreidler" von Ilja Repin, Werke von Käthe Kollwitz, einprägsame Drucke vom großen John Heartfield, humorvolle Zeichnungen von Werner Klemke. Die Bilder haben oft einen tiefen Eindruck bei den jungen Gemütern hinterlassen, ohne daß sie schon viel von echter Kunst verstanden. Auch wenn zu Hause keine Bilder hingen, weil das im Elternhaus vielleicht nicht üblich war - in der Schule wurde es uns angeboten, hat uns unbewußt geprägt und zur Kultur hingeführt. So habe ich etwas gestaltet für unsere Basare, über Exkursionen oder gegen den Krieg (Reagan). Man wurde in unserer Polytechnischen Oberschule (POS) mit den realen Problemen des Lebens konfrontiert und lebte nicht abgehoben im Wolkenkuckucksheim, wie es bei vielen heutigen Kindern der Fall ist, die zu ihrem eigenen Unglück nur in Minecraft- und Star-Wars-Welten leben.

Bei der Plakatmalerei und -kleberei hat mich mein Vater mit Tips und Vorschlägen sowie ab und an mal einer Zeichnung unterstützt, da er in Dresden Malerei studiert hatte und meinen Dilettantismus doch verbessern mußte. Ich war ihm dafür dankbar, da er gut zeichnen konnte - was meine Mitschüler auch bewundert haben.

Als wir 1986 eine Bildungsreise in die UdSSR unternahmen, beeindruckten mich neben der Ermitage besonders die großen Denkmäler der Mutter Heimat oder Lenins in Leningrad, die fliegenden Kraniche bei Mineralni Wodi oder der vorwärtsstürmende Soldat in Georgien. Noch eins habe ich nie vergessen: die überdimensionalen Losungen und Plakate auf Häuserwänden, die Frieden forderten: Мир миру! - Frieden der Welt!

1990 sind wir aus einer kulturvollen Zeit in eine kulturlose Zeit gekommen. Und ich sehe derzeit leider nur wenig Licht am Horizont.

Andrea Wohlfahrt, Hemmingen

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Erich Kästner und "Das letzte Kapitel"

Mit der Machtergreifung Hitlers 1930 begannen Kriegswolken das Land zu verdunkeln. Gerade in dieser, von den meisten Deutschen verdrängten gefährlichen Situation schrieb Erich Kästner "Das letzte Kapitel" - ein Gedicht über den Giftgastod (*). Er, der Verse, Glossen, Reportagen und Rezensionen in verschiedenen Periodika Berlins veröffentlichte, wurde mehrfach von der Gestapo vernommen und aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Seine Bücher vernichteten die Nazis bei der Bücherverbrennung 1933 ebenso wie die Werke von Karl Marx, Heinrich Heine, Thomas Mann, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky und vielen anderen.

Was bewog ihn, damals, als er noch nichts vom Zweiten Weltkrieg, der nur einige Jahre später begann und Millionen Menschen den Tod brachte, nichts vom Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki wissen konnte, solche Verse zu Papier zu bringen? Als er es 1930 verfaßte, lag das Jahr 2003 noch weit in der Zukunft. Unvorstellbar in der Zeit, in der es geschrieben wurde, später erschütternd ob der Realität und der tatsächlichen Gefahr. Was passiert in 70 Lebensjahren - einem Menschenalter? Steht man selbst noch mitten im Leben? Verknüpft man vielleicht Erlebtes mit Hoffnungen und Träumen für die Zukunft?

Es ergreift mich zutiefst zu lesen, mit welch einer Genauigkeit er 1930 chemische Waffen beschreibt, wie sehr er sich der Möglichkeit der Vernichtung jeglichen Lebens bewußt ist. Kästner sah keinen Ausweg aus Hitlers Kriegskurs und der unaufhaltsamen technischen Weiterentwicklung hochexplosiver Atomkraft für den nichtfriedlichen Gebrauch. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zog Kästner nach München, wo er bis 1948 das Feuilleton der "Neuen Zeitung" leitete.

Er erlebte, wie im westlichen Teil Deutschlands mit Währungsreform und dem sogenannten Wirtschaftswunder versucht wurde, zur Tagesordnung überzugehen. Hinzu kamen die bald erstarkenden Stimmen für eine Remilitarisierung Westdeutschlands. Dem Antimilitarismus blieb Kästner treu. Er trat bei Ostermärschen als Redner auf und wandte sich später entschieden gegen den Vietnamkrieg. Seinen Kampf gegen die atomare Aufrüstung gab er nie auf.

Siglinda Funke, Dresden

(*) http://rotfuchs.net/rotfuchs-lesen/das-letzte-kapitel.html

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Aus der Ansprache Erich Kästners beim Ostermarsch 1961 in München

Das Kuratorium für den diesjährigen Ostermarsch hat mich gebeten, die süddeutsche Marschgruppe und die übrige Versammlung hier in München zu begrüßen, und ich habe ohne Zögern zugesagt.

Ich möchte Ihnen vorlesen, was ein berufener Mann geschrieben hat. Ein Mann mit Phantasie und gesundem Menschenverstand, der außerdem, im Gegensatz zu mir, ein Fachmann ist. Ich meine Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007, d. Red.), den Atomphysiker und Philosophen. Er schreibt im Taschenbuch "Kernexplosionen und ihre Wirkungen": "Entweder wird das technische Zeitalter den Krieg abschaffen, oder der Krieg wird das technische Zeitalter abschaffen ... Die Entwicklung des technischen Zeitalters ist dem Bewußtsein des Menschen davongelaufen. Wir denken und handeln von Begriffen aus, die früheren Zuständen der Menschheit angemessen waren, den heutigen aber nicht. Wir könnten uns wahrscheinlich sehr viele überflüssige Anstrengungen ersparen, wenn wir etwas mehr Zeit und Kraft darauf verwendeten, uns die Lebensbedingungen unserer Welt in aller Ruhe klarzumachen ... Beim Versuch einer sorgfältigen Abschätzung bin ich zu der Vermutung gekommen, daß ein Atomkrieg (mit vollem Einsatz der existierenden Waffen) vielleicht 700 Millionen Menschen töten würde, darunter den größeren Teil der Bevölkerung der Großmächte, die heute als Träger dieses Kriegs allein in Betracht kommen. Er würde wahrscheinlich einige weitere hundert Millionen mit schweren Strahlen- und Erbschäden zurücklassen. Bedenkt man die wahrscheinliche Wirkung eines solchen Vorgangs auf die Überlebenden, so wird man wohl vermuten müssen, daß sie bereit wären, zu jedem Mittel zu greifen, das die Wiederholung einer solchen Katastrophe zu verhindern verspräche. ... Wer das durchdenkt, wird überzeugt sein, daß dieses Unglück vermieden werden muß, soweit das überhaupt in menschlichen Kräften steht ... Unser friedlicher Streit für den Frieden geht weiter. Im Namen des gesunden Menschenverstands und der menschlichen Phantasie. Resignation ist kein Gesichtspunkt!

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Vom schönen Haus am See und einem Verbotsschild
Junge Frau im Sozialismus

Aus dem schüchternen Mädchen aus Randberlin war eine junge freche Frau geworden. Ich war jetzt Ehefrau eines Musikers und Mutter eines kleinen Jungen, Adrian, mit großen Ohren und großen Augen, der im Dezember 1963 auf die Welt kam. Der Alltag mit kleinen Kindern war in den sechziger Jahren viel schwieriger als heute. Es gab noch keine Waschmaschine, keine Spülmaschine, keine Fertiggerichte u.v.a., was den Alltag leichter macht. Die Babywindeln aus Stoff wurden im großen Wäschetopf auf dem Herd gekocht. Wir jungen Mütter gingen jede Woche zur Säuglingsberatung im Wohnbezirk, da wurden unsere Süßlinge gewogen und gesundheitlich betreut. In eine Kinderkrippe wollte ich Adrian nicht geben. Ohnehin war es schwierig, einen Platz zu bekommen, da junge, alleinstehende Frauen bevorzugt wurden, was man akzeptierte. Ich beschloß, mindestens zwei Jahre zu Hause zu bleiben, mich um Kind und Familie zu kümmern und zu schreiben. Christian, mein Ehemann, verdiente als Musiklehrer etwa 800 Mark.

Ich besuchte weiter alle vierzehn Tage den Zirkel schreibender Arbeiter im RAW Potsdam (Reichsbahnausbesserungswerk), den der Potsdamer Schriftsteller Franz Fabian kompetent leitete. Unser Zirkel hieß "Leben, Liebe, Zukunft".

Franz machte uns vertraut mit internationaler Lyrik, mit Villon, Puschkin, Schiller, Goethe, den Expressionisten, mit Majakowski, Neruda, Kästner, Brecht und anderen Dichtern. Wir schwelgten im Rausch der Verse. Und für mich öffneten sich die Fenster zur Welt. Der Höhepunkt des Jahres war immer der einwöchige Lehrgang im Schriftstellerheim Petzow bei Werder, dem schönen weißen Haus am See. Das Haus gehörte dem Schriftstellerverband der DDR und ermöglichte jungen Nachwuchsschriftstellern eine Weiterbildung in Form von kostenlosen Lehrgängen. Alle, die fest angestellt arbeiteten, wurden von ihrem Betrieb dafür freigestellt und konnten dort Tag und Nacht dichten. Glückliche Zeit! Tagsüber schrieben wir, abends trafen wir uns im Kaminzimmer, um über unsere Texte zu sprechen.

Das Haus war uns freundlich. Martin Zeissberg war Heimleiter, Emmi die Küchenchefin. Sie behandelten alle gleich, ob Nationalpreisträger oder literarische Anfänger, wie wir es waren. Das Essen war köstlich, der Kuchenduft überwehte die blühenden Kirschplantagen. Der schwarze Riesenhund Arco wachte als gefürchteter Zerberus übers Haus, unter dessen Dach so viele berühmte Schriftsteller geschrieben hatten und schrieben wie Leonhard Frank, Arnold Zweig, Christa und Gerhard Wolf, Sahra und Rainer Kirsch, Herbert Otto, Maxie und Fred Wander, Georg Maurer, Gisela Steineckert, Jens Gerlach, Willi Meinck, Brigitte Reimann, Gisela Heller, Peter Brock und viele andere. Schöne Geschichten aus den Anfangszeiten wurden uns erzählt, z.B. daß die Frau von Leonhard Frank oft aus dem Fenster zur Seeterrasse runterrief: "Leo, dichten!" Oder daß der liebenswerte Leipziger Dichter Georg Maurer im April 1961 abends aufs Hausdach geklettert war, um das erste bemannte Raumschiff (Wostok 1) mit Juri Gagarin zu sehen. Er sah nix und soll gesagt haben: "Ja, ja, das Größte ist meistens unsichtbar." Das Haus war auch offen für internationale Gäste, für linke Schriftsteller der Bundesrepublik und für die Kollegen vom DEFA-Film und vom Fernsehen.

Später, als ich schon Kandidatin des Schriftstellerverbandes war, leitete der Kinderbuchautor Peter Brock unsere "Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren". Peter war unser aller Meister. Er hat uns ein wenig das Zaubern gelehrt, beim Schreiben. Dankbar denke ich an diese schöne, kreative Zeit. Damals lernte ich auch Maxie Wander kennen. Wir freundeten uns an. Maxie konnte mit ihrem Lächeln Eis brechen, und mit ihrem Wiener Charme bezauberte sie alle. Ihr früher Tod hat uns tieftraurig gemacht.

Für Maxie habe ich zum Gedenken 1977 dieses Gedicht geschrieben.

Für Maxie Wander

DAS also war es,
das einzige LEBEN.
Den Kopf auf dem letzten Kissen
schläfst du im Jenseits
der Schmerzen ...

Da reckt der Novemberbaum
sein Kreuz in den Himmel,
hat weiße Blätter mit
schwarzem Rand, Lesezeichen
den Freunden für deine
ungeschriebenen Bücher.
Gefangen
im letzten Traum
des Lebens, dem TOD,
ruhst du im Raume
unserer Gedanken,
im Raume der unsichtbaren
Bilder, ohne Atem ...
Gute Nacht, du Schöne!

Die kostenlosen Lehrgänge waren vor allem für uns Frauen eine Chance, dem Alltag mit Familie und Kindern für kurze Zeit zu entkommen und unbeschwert schreiben zu können. Manchmal setzten sich bekannte ältere Schriftsteller zu uns jungen Autoren, hörten unseren Lesungen zu und gaben gute Ratschläge. Solche kostbaren Stunden erlebte ich mit Jens Gerlach und Gerhard Wolf. Beiden Schriftstellern habe ich für meinen ersten Gedichtband "Tausendundzweite Nacht" viel zu verdanken. Auch einige Kapitel meines ersten Kinderbuches "Moritz in der Litfaßsäule" entstanden dort. Da ich die erste Fassung immer mit der Hand schrieb, konnte ich mit Pelzjacke in der Frühlingssonne am Birkentisch draußen im Garten arbeiten. Willi Meinck, mein lieber Schriftstellerkollege und Freund, beschrieb in den "Beiträgen zur Kinder- und Jugendliteratur", Heft 51 (1979), wie er mich damals dort bei der Arbeit erlebte: "Und man sah ihr - nennen wir sie respektvoll: die Kož - man sah ihr die Verzweiflung an, wenn sie, wenn wir spazierengingen, vor dem Blumenbeet in der spärlichen Sonne saß und an ihrem 'Moritz'-Manuskript schrieb, neben sich den trägen Arco."

Auch die Hauskatzen waren manchmal bei mir, und da ich über Moritz und eine biertrinkende Katze schrieb, hatte ich immer Anregungen.

Ja, so war das damals, im vorigen Jahrtausend im schönen Haus am See.

Das Haus ist heute privatisiert und trägt das Schild "Betreten verboten".

Christa Kožik

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Fruchtbare Zusammenarbeit und Freundschaft
von Prof. Dr. Helga Hörz

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Stimmen aus aller Welt über die DDR (Folge 7)

Solange der sozialistische deutsche Staat, die DDR, existierte, haben sich immer wieder Persönlichkeiten aus der ganzen Welt bei oder nach Besuchen über die DDR geäußert. Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR über hundert solcher Stellungnahmen in einem Buch vereint. Entstanden ist so ein Mosaik persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse, die jeweils ein Stück gesellschaftlicher Wirklichkeit widerspiegeln. Stellvertretend für die anderen werden wir in den nächsten Monaten einige dieser Äußerungen veröffentlichen - Älteren zur Erinnerung, Jüngeren zur Verdeutlichung dessen, was die DDR für die Welt - und für uns - war.


Paul Robeson (1898-1976)

Amerikanischer Volkssänger

Ich möchte Ihnen hier in der DDR sagen, welch ein großes Glück und mich tief bewegendes Erlebnis es ist, bei Ihnen zu sein. Ich komme mir hier nicht vor wie ein Gast; denn ich empfinde so wie Sie alle. Auf diesem Boden fühle ich mich wie zu Hause. 1945, nach Ende des Krieges, kam ich nach Dachau, um für die Soldaten zu singen, die gegen den Faschismus gekämpft hatten. Im ehemaligen Konzentrationslager sah ich noch die Gaskammern, die Asche der Opfer, und ich erinnerte mich der Opfer meines Volkes, nicht nur in Afrika, sondern in Mississippi, Alabama, Georgia, im ganzen Süden meines Landes. Deshalb sind diese Dinge aus meinem Bewußtsein nicht zu verbannen.

Ich habe viele sozialistische Länder besucht, nirgendwo sah ich eine Form von Rassendiskriminierung. Auch in der DDR sind Rassismus, Antisemitismus, Chauvinismus und Nationalismus überwunden. Was über Tausende von Jahren ein Wunschtraum der Menschheit war, konnte hier verwirklicht werden.

Was hat mich am meisten beeindruckt? Alles - die Stimmung der Menschen, ihre Begeisterung und Freundlichkeit, vor allem und in erster Linie die Kinder. Wo immer ich stand und ging, hatte ich eine Schar Kinder um mich. Ich denke an das Lied der Kinder, die Brechts Worte sangen:

Friede auf unserer Erde,
Friede auf unserem Feld,
daß es auch immer gehöre
dem, der es gut bestellt.

Friede in unserem Lande,
Friede in unserer Stadt,
daß sie den gut behause,
der sie gebauet hat.

Wenn ich wieder in den kapitalistischen Teil der Welt zurückkehre, werde ich nicht versäumen, den anderen Völkern zu sagen, daß ich hier in der DDR das wahre, das wirkliche Deutschland gesehen habe, warmherzige Menschen, humanistische Deutsche, die Erben von Beethovens "Alle Menschen werden Brüder".
(1960)


Jorge Amado (1912-2001)

Schriftsteller, Brasilien

Frieden und Arbeit - dies könnte das Leitwort der Deutschen Demokratischen Republik sein. Unermüdlicher Kampf für den Frieden und schwere, aber lohnende Arbeit in den ersten Jahren, die jetzt greifbare Ergebnisse für jeden gebracht hat - das ist die junge Republik, die innerhalb so kurzer Zeit, mit den größten Schwierigkeiten ringend, Erfolge erzielt hat, die die Bewunderung ihrer Freunde und die Achtung selbst der härtesten Gegner hervorrufen. Die DDR hat alle die ungeheuren Hindernisse überwunden, mit denen man ihre Existenz und Entwicklung verhindern wollte, und sich zu einem bedeutenden Staat in Europa entwickelt, einem Staat, in dem sich industrielles und wirtschaftliches Wachstum mit den progressiven Veränderungen im Bereich der Kultur und Bildung vereinen.

Ich verfolge seit Beginn den Weg des Volkes der Deutschen Demokratischen Republik und weiß von den Schwierigkeiten und dem zähen Kampf um Fortschritt und Frieden. Als ich das Land 1948 zum erstenmal besuchte, waren die Trümmer, die Hitler und die Militaristen des dritten Reiches hinterlassen hatten, die einzige und tragische Wirklichkeit. Die Republik war noch nicht gegründet; Deutschland war in Besatzungszonen auf geteilt, als jene Kräfte, die seit der ersten Stunde gegen Hitler und das Naziregime gekämpft hatten, den Weg vorgaben, der zur Gründung des demokratischen Staates führte. In den folgenden Jahren, Jahren eines harten Kampfes unter Bedingungen des kalten Krieges und der Bedrohungen, wurde unendlich vieles für den Aufbau einer neuen friedliebenden, dem Wohl des Menschen dienenden Gesellschaft geleistet. Natürlich war nicht immer alles richtig und von Erfolg gekrönt: Fehler kamen vor, Pläne hatten nicht immer den gewünschten Erfolg, aber all das verliert an Gewicht und Bedeutung, wenn wir es mit dem vergleichen, was dieser Staat bis heute erreicht hat - ob auf wirtschaftlichem, kulturellem, politischem oder diplomatischem Gebiet.

Vor einigen Jahren besuchte ich erneut die Deutsche Demokratische Republik, um den Feierlichkeiten des 25. Jahrestages eines großen Verlages beizuwohnen. Dies gab mir Gelegenheit, mich davon zu überzeugen, welche Leistungen für das Wohl nicht nur des deutschen Volkes, sondern der ganzen Menschheit erbracht wurden. Die junge Republik, zu deren Jahrestag ich heute meinen herzlichsten Glückwunsch entsende, ist vor allem ein wichtiger Faktor für Frieden und Fortschritt in der Völkergemeinschaft, sie ist eine Garantie für den Frieden aller Menschen.


Teresa Chikombo

Studentin, Sambia

Ich wußte bisher sehr wenig über die DDR, eigentlich nur, daß Bürger aus Sambia hier ausgebildet werden, weil meine Kollegen, die hier waren, mir das erzählt haben. Meine Eindrücke übertrafen bei weitem meine Vorstellungen. Die DDR ist ein industriell sehr gut entwickeltes Land, der Wohnungsbau ist gewaltig. Die Menschen sind sehr freundlich. Sie unterhalten sich gern und behandeln uns nicht wie jemanden, der aus einem unterentwickelten Land kommt. Ich meine, sie betrachten mich als einen Menschen, der hier etwas lernen will. Und wichtig ist auch: Sie wollen von mir selbst viel über mein Land erfahren.

In verschiedenen Geschäften habe ich beobachtet, daß es fast überall Gefäße gibt für Solidaritätsspenden und daß viele Leute Geld hineinwerfen. Für uns in Afrika ist es sehr wichtig zu wissen, daß hier die Solidarität so ernst genommen wird. Sogar die jüngsten Kinder beweisen das: In die Hochschule kam eine Gruppe Kinder aus einem Kindergarten. Sie erzählten, daß sie gemalt, gebastelt und Altstoffe verkauft haben und dadurch einen Betrag von 400 Mark erzielten, den sie für die Solidarität spendeten. So wurde mir klar, daß man in der DDR von klein auf zur Freundschaft mit anderen Völkern erzogen wird.

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Gisela Steineckert - Hand aufs Herz

Auch ich habe versucht, mir in einem langen Leben die wichtigsten Ereignisse in die richtige Schublade zu legen. Das ist ja manchmal gelungen.

Aber nun mischen sich die sorgfältig oder eben doch leichtsinnig untergebrachten Teile zu einem schlimmen Ganzen. Es ist kein überwältigendes Naturereignis, sondern entstanden, weil diese lebenslange Sucht, wenigstens hinterher recht gehabt zu haben, wirklich nie abgelegt wurde.

Ich erinnere mich, zum Beispiel, an das unglaubliche, freche und politisch warnende Verhalten der Tea-Party im Wahlkampf um den ersten dunkelhäutigen amerikanischen Präsidenten. Da gab es doch jene Lady, die munter erzählte, daß sie, vom Hubschrauber aus, gern Tiere jage und sie während des Fluges erlege.

Was haben wir uns bei dieser bloßlegenden Selbstanzeige eigentlich gedacht? Waren wir darüber empörter als über die nachfolgende Tatsache, daß sie sich zu unglaublichen Preisen mit passender Wahlkampfkleidung auf Kosten - ja, von wem? - eingedeckt hatte? Was ihr aber doch mehr Ablehnung einbrachte als ihr Einsatz für die Waffenindustrie, ihr Haß gegen Andersfarbige, gegen Arme, gegen Mächte, die ihrer Klasse oder Kaste etwa in den Arm fallen könnten. Sie war eine großartige Verkünderin von Moral: kein Sex vor der Ehe, keine gleichgeschlechtliche Liebe, kein Abweichen von alter Norm. Aber dann bekamen wir ja die liebenswürdige Nachricht, daß die Tochter der Lady, völlig außerhalb ehelicher Beziehung, bester Hoffnung war. Da war sie unterm Strich aus dem Rennen. Nicht durch ihre politische Meinung, nicht durch ihre Auffassungen über die USA in der Welt, gefährdet durch den bekämpften afroamerikanischen Kandidaten, den Feind.

Er hat einen Präzedenzfall geschaffen. Manchmal, in verständlichen Momenten, hätten wir ihm fast gewünscht, es wäre ihm und seinen Unterstützern nicht gelungen - noch nicht, denn diese Weltmacht schien sich auch durch ihn im Weißen Haus, als Nummer eins, an nie abnehmender Gefährlichkeit nicht zu verändern. Bei Lichte besehen hatten wir eine kleine Freude und zunehmendes Unbehagen, denn die Welt wurde nicht friedlicher dadurch, daß ein eher friedlicher und mit durchaus guten Absichten versehener Mann nun dort wohnte, wo vorher Charaktere herrschten, deren Taten und Untaten in die Weltgeschichte eingingen. Als Obama das erste Mal in Berlin zu Besuch war, haben wir - immer zu einem freundlichen Gefühl bereit und als "Börliner" schließlich inzwischen weltberühmt - ein bißchen gezuckt, als er eine halbe Stunde warten mußte, bis unsere maßgebende Spitzenpolitikerin ihn empfing. Sie durfte das, denn er war ja noch nicht zum Präsidenten gewählt, also niemand.

Es war nur ein kleiner Ausrutscher, oder sagen wir: ein Ausrutscher. Nur eine Ärgerlichkeit, denn wenn ihm auch noch nicht die Macht in den USA gehörte, das Herz der "Börliner" flog ihm zu. So schlank, so schlaksig, so lachend, so offen, so ungewohnt anders.

Bleibt zu denken: für Hiroshima und Nagasaki mußten sich die USA niemals vor einem Weltgericht verantworten. Diesen Vorschlag hat auch Obama nicht gemacht.

Was hat sich überhaupt geändert, seit sich damals alles zu ändern schien? Sogenannte Schwarze müssen nicht mehr auf dem hinteren Perron ihre Stadt durchqueren. Es gibt vielleicht mehr Liebespaare verschiedener Hautfarbe, aber was da ein Anfang für Normalität zu sein schien, hat durch die voraussehbaren Machtkämpfe zwischen Republikanern und Demokraten nicht weniger Bedrohliches neu erstarken lassen. Bei genauem Hinsehen sind die alten Mächte eher gestärkt durch die zu geringen Erfolge einer Politik, die sich nicht durchsetzen konnte.

Eines Morgens bin ich aufgewacht und konnte den Gedanken nicht unterdrücken, daß sich demokratisch gewählte Mächte in Europa gerade unheilvoll nach rechts begeben und sich dabei einander annähern, sogar verflechten. Das kann doch nicht sein. Doch nicht bei den liebenswürdigen Ungarn, die einst mit der schönen Elisabeth tanzen wollten und tanzten. Doch nicht in Polen, durch uns so besonders leiderfahren, ausgestattet mit allem Wissen, was es rechts zu holen gibt. Solche geschichtliche Niederlage und Erfahrung muß doch niemand wiederholen wollen. Aber nun können wir abends am Lager- oder Herdfeuer erzählen, daß die hoffnungsvolle Durchmischung von Herkünften und Ankünften mit einem Schlag zu Schlägen, wie in finsterer Barbarei, verwandelt werden kann. Und was geschieht? Es gibt jene zwei großen starken Welthände nicht, die da einem Despoten in den Arm fallen, ihn zwingen, die Strafe für den wahrscheinlich unsinnigen Aufstand zu beendigen und vernünftig an die Arbeit zu gehen, aus einer mißlungenen Absicht die Lehre aus deren Ursache abzuleiten. Da fließen Blut und Tränen zu einem Strom, in dem doch - sieh nur hin! - noch die Leichen der Armenier schwimmen.

Ich will nicht hinnehmen, daß sich mir die "richtige Seite" auch noch als Irrtum und Irrlicht erweist.

Aber es geschieht mir so. Für Aleppo kann ich nicht durch eine Gasse gehen, auf der links die Fortschrittlichen und rechts deren Aufhalter zu sehen sind. Meine beiden Hände finden sich zu keinem Beifall nach der einen oder der anderen Seite. Aleppo wird mir ein Wort wie jene anderen, die wir nie aussprechen, ohne uns das Ganze zu denken.

Die Bundeskanzlerin will sich erneut in die Arena begeben. Sie sieht müde aus. Aber das nimmt sie von sich selber nie hin. Und ihr Staatsgast Barack Obama hat ihr die Ehre zuteil werden lassen, sie nicht nur freundlich, sondern respektvoll zu rühmen als eine wichtige und vernunftbegabte Politikerin. Er sieht auch müde aus. Fast nichts ist ihm gelungen. Im Gegensatz zu einem anderen, an dessen Triumph ich, immer noch zu wenig erfahren, nicht geglaubt habe. Mir scheint, daß es niemand geglaubt hat. Ich dachte ... falsch, wie man sieht. Die Folgen werden sich ins Große Buch eintragen. Ich bin blöd, und die Weltgeschichte passiert. Ein gefährlicher Clown hat sich zum Ruder durchgeschlagen.


Mein Herr

Präsident, General, Kommandeur
ich schenke Ihnen kein Gehör
Feinde gibt's immer, sobald sie wer braucht
daß vom Leib der andern
der Schornstein raucht

da schämt sich keiner
wenn's um Wahlsieg oder Dividende geht
wie da Macho bei Macho
Emporkömmling bei Bürgerfürst steht
ungleiche Kappen ungleiche Brüder
aber gleiche Intressen

da geht's dann wieder
Präsident, Kommandant, General
Mann und Maus sind Ihnen scheißegal
uralte Rechnungen werden gezückt
mit den Köpfen der andern Pfähle bestückt
es geht um die ganze Welt
es geht um das ganze Geld
natürlich auch um die schönste Fracht
die ganze Macht

*

LESERBRIEFE

Zu Beginn eines jeden Monats hole ich mir den "RotFuchs" von Eurer Internet-Seite auf den Bildschirm, und ich investiere meist nicht nur einen langen Abend, um ihn interessiert und ausgiebig zu lesen. Es ist einfach eine Wohltat, sich unter dem "geistigen Schutz" von realer Vergangenheitsbetrachtung und Beurteilung des aktuellen Weltgeschehens, von Wahrhaftigkeit, Sachlichkeit und Objektivität den alltäglichen Informationsschrott der herrschenden Medien, ihre Lügen, Fälschungen und Rußland-Verleumdungen, den Müll, den sie fortwährend über die DDR auskippen, einmal kräftig abschütteln zu können. Und es wirkt aufmunternd, etwas über mutige und teils auch erfolgreiche soziale Kämpfe und Aktionen für den Frieden in der Welt und Neues von anderen, vom Kapital unterjochten Völkern und beherrschten Ländern zu erfahren.
Ich bin selbstverständlich dabei, Eure Kräfte zu stärken, damit Euer Licht auch weiterhin in die "Taub- und Dunkelzonen" der von den "Kurier"-gleichen Medien manipulierten Masse der bundesdeutschen Bevölkerung eindringen kann. Wie schon im Frühjahr des letzten Jahres habe ich erneut für Euren "klugen Geist", Eure "wachen Augen" und scharfen "Krallen" eine Spende aus dem Verkaufserlös meiner biographischen Streitschrift "Ich lasse mich frei" - herausgegeben vom RADE-Verlag Ribnitz-Damgarten - überwiesen.

Manfred Wild, Berlin


Obwohl alle Ausgaben der Zeitschrift von mir aufmerksam studiert werden, ist es speziell die Beilage im Novemberheft, die mich besonders berührt hat. Die darin enthaltenen Analysen und Standpunkte der beiden Autoren Ludwig Elm und Ekkehard Lieberam entsprechen voll und ganz meinen eigenen Ansichten - sowohl was die Zurückweisung der Verleumdung und Kriminalisierung der DDR betrifft als auch die Polemik gegen die bei uns immer mehr in Mode kommende Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus.
Auch das in der Beilage wiedergegebene Gespräch über den Zustand der Linkspartei ist für mich sehr aufschlußreich und eine hervorragende Einschätzung der gegenwärtigen Lage der Partei. Die dort aufgeworfenen Fragen und Antworten sollten von allen aufrechten Marxisten ausführlich und tiefgreifend diskutiert werden, da sie meiner Meinung nach von grundlegender Bedeutung für die Zukunft linker Politik weltweit sind.

Wilfried Bader, Annaberg


Hallo "RotFuchs"-Garde! Auf Euch aufmerksam gemacht wurde ich durch meinen am 9. November verstorbenen Vater und seine Lebensgefährtin. Inzwischen bin ich selbst Leser des "RotFuchs". Er ist informativ, und vor allem gibt er mir das Gefühl, nicht allein zu sein. Er spricht mir aus dem Herzen. Macht weiter so!
Den Lebensbericht meines Vaters "Über mich selbst und über Gott und die Welt - Bericht eines unruhevollen Zeitgenossen" haben wir der "Erinnerungsbibliothek DDR" von Rolf Funda übergeben.

Jens Breinlinger, Greifswald


Fast täglich kann man vom eklatanten Versagen der Geheimdienste hören und lesen. Noch schlimmer: Diese sind materiell sowie personell in den Aufbau bzw. die Duldung rechter Gruppierungen zumindest involviert. Sie schreddern, was das Zeug hält, und zeichnen sich durch Gedächtnislücken vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aus! Ihre Berichte sind das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt werden. Und jetzt werden in Brandenburg durch die Koalition aus SPD und Die Linke Gelder für bereits auf der "Abschußliste" stehende Stellen des Verfassungsschutzes freigegeben. Was sind angesichts dieser Tatsachen linke Forderungen nach Abschaffung der Geheimdienste wert, und wie wird ein solcher Tatbestand von den Wählerinnen und Wählern wohl reflektiert werden? Warum kämpfen linke Regierungsvertreter bzw. Abgeordnete nicht um die Realisierung von Parteiprogrammen und Wahlversprechen und ergeben sich kleinlaut der sogenannten Macht des Faktischen? Den Preis zahlt die Linkspartei am nächsten Wahltag!

Raimon Brete, Chemnitz


Arnold Schölzels angenehm würdigender Artikel zum Tode von Kurt Pätzold als Faschismus-Forscher und Publizist (RF, Nr. 225) konnte natürlich nur ein Auszug dessen sein, was er geleistet hat und was diesen Kommunisten und Marxisten im besten Sinne dieser Worte auszeichnete. Als viele Jahre treibendes und auch immer wieder quer nach links treibendes Mitglied des Zusammenschlusses bei der Linkspartei "Marxistisches Forum" war er nicht nur ein Sprecher, sondern auch ein maßgeblicher Inspirator und Ideengeber. Bedeutende Inhalte der Arbeit innerhalb des Forums und vor allem nach außen stammten von ihm. Ganz besonders hervorzuheben sind seine Aktivitäten unter der Jugend und den Studenten, die er aufsuchte, wo sie waren, die er um sich scharte, wohl wissend, daß sie dem Mainstream nicht überlassen werden dürfen. Er war nie auf Beifall aus und agierte ohne lange zu fragen konkret und ergebnisorientiert. Meist mit dem Fahrrad in Berlin unterwegs, war er permanent vor Ort, wo es seines Beitrages bedurfte oder wo er mittun wollte. Das alles und noch viel mehr gehört neben seiner Publizistik bis in die letzten Lebensjahre zu seinem Vermächtnis. Seine Aktivistenrolle mit Hauptrichtung auf die Jugend sollte Vorbild für linke Intellektuelle und Politiker sein und zur Nachahmung gereichen.

Renato Lorenz, Berlin


Glückwunsch Theodor Weißenborn! Endlich ein kritisches Wort zu Religion und Kirche. Was ich in linken Publikationen vermisse und auch im "RotFuchs" vermißt habe, ist Religions- und Kirchenkritik und zwar in der Schärfe, die sie verdienen.
Im 21. Jahrhundert wird den Kindern an staatlichen Schulen noch immer ein Götter- und Geisterglaube in die wißbegierigen und aufnahmebereiten Gehirne geträufelt, als hätte es die "Aufklärung" nie gegeben! Die biblische Schöpfungsgeschichte wird nicht etwa als eine von zahlreichen Schöpfungsmythen serviert, sondern als Faktum. Der Einfluß der Kirchen ist in den Medien praktisch unangetastet. Wo bleibt die Kritik am haarsträubenden Einfluß der Kirchen in öffentlichen Gremien, in Krankenhäusern, Schulen, Universitäten und sozialen Einrichtungen?

Helga Sommer, Berlin


Die zeitweiligen Sieger sind erfinderisch, wenn es um den Gebrauch der Sprache geht. Deren manipulativer und Verwirrung stiftender Absicht gehen noch viele auf den Leim. So suggeriert man einen Unterschied zwischen dem "amerikanischen Präsidenten" und dem "Kremlchef"; oder zwischen "Flüchtlingen" und "Asylanten"; zwischen der "Weimarer Republik" und der "ehemaligen DDR". Von Karl Valentin stammt die Äußerung: "Das weiß ich genau. Das hat mir mein ehemaliger Vater gesagt." Warum also bei der DDR immer noch diese Beigabe? Hermann Kant meint dazu: "Manchen kann es nicht vorbei genug sein, sie wollen immer noch einmal siegen." Deshalb auch die jährliche Bekräftigung mit dem "Tag der deutschen Einheit". Man feiert die "Wiedervereinigung". Was wurde da wiedervereinigt? Deutsch mit Deutsch? Blut mit Blut? Oder Kapitalismus mit Sozialismus? War es nicht eher eine Einverleibung, ein Jahrhundertraubzug für das Kapital? Geht es aber um die Krim und ihre Wiedervereinigung mit Rußland (Referendum mit 96,7 % Jastimmen), dann muß der Begriff "Annexion" her.
Oder nehmen wir das Begriffspaar "Demokratie" und "Diktatur". Beides heißt Herrschaft, eines auf Griechisch und das andere auf Lateinisch. Das Gegenteil von Herrschaft ist also Herrschaft. Wir haben gelernt, es gibt vier Arten von Demokratie: die "militärische Demokratie" (Engels) ausgangs der Urgesellschaft, die antike "Sklavenhalterdemokratie" im klassischen Athen, die "bürgerliche Demokratie" und die "sozialistische Demokratie". Ohne das Beiwort wird der Anschein erweckt, es gäbe nur eine, die ewig gute, eben die der BRD.
Auch in anderen Lebensbereichen herrscht absichtsvolles Durcheinander der Begriffe. In der Ökonomie z. B. gibt es die "Mehrwertsteuer". Das hat mit dem Marxschen Mehrwert nichts zu tun. Oder das "Bruttosozialprodukt". Der Unterschied zwischen Wertschöpfung und Verbrauch wird völlig verwischt. Der Schauspieler, der Lehrer, der Polizist - sie alle schaffen Bruttosozialprodukt. Wir kannten das "gesellschaftliche Gesamtprodukt", die Summe aller Waren und produktiven Leistungen eines Jahres. Nach Abzug allen Materialverbrauchs und aller Abschreibungen ergab sich das Nettoprodukt, "Nationaleinkommen" genannt.
Wenn es um Waffensysteme geht, strotzen deren Namen vor Sendungsbewußtsein - vom "Sternenkämpfer" bis zu den Raubtierpanzern unseligen Angedenkens. Sprache kann Klarheit schaffen, sie kann aber auch verschleiern, wie es heute in Großdeutschland an der Tagesordnung ist.

Wilhelm Barthels, Berlin


Im Herbst des letzten Jahres habe ich als (noch) Nicht-Genossin den Einführungskurs "Die Grundlagen unserer Politik" besucht. Was für ein Haus, Bücher über Bücher! Man spürt förmlich, welcher Geist hier weht. Diese vier Tage haben mir die Augen geöffnet. Sie haben mich gelehrt, daß die marxistische Weltanschauung eine Wissenschaft und Bildung auf diesem Gebiet unabdingbar ist. Das Haus am Stadtpark in Leverkusen, auch als Volkshaus bekannt, gehört der Kultvereinigung Leverkusen e.V. Mieter und Hauptnutzer ist die Karl-Liebknecht-Schule. Es wurde durch Arbeiter, größtenteils Arbeitslose, errichtet und am 21. März 1931 eingeweiht. 1933 durch die Nazis annektiert, gelangte es 1945 wieder in die Hände des proletarischen Kulturkartells. Am 18. März 1946 fand die Neugründung der Vereinigung statt, die seit dem 29. Juni 1952 den heutigen Namen trägt.
Daß das Haus renovierungsbedürftig ist, wußte ich. Daß es aber so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht. Als Immobilienfachwirtin fiel mir sofort auf, daß insbesondere Dach, Heizung und Fenster dringend erneuert werden müssen. Finanziert werden Instandsetzungs- und Erhaltungsarbeiten größtenteils durch Mietzahlungen der Schule und durch Spenden. Das reicht aber bei weitem nicht. Dieses Haus ist wirklich etwas ganz Besonderes. Es wäre schade, wenn ein Ort mit einer derartigen Ausstrahlung, Geschichte und Tradition verfällt und den Genossen und Genossinnen sowie deren Sympathisanten diese Bildungsstätte genommen wird.
Ich bin bereits dem Förderkreis "Erhaltet die Karl-Liebknecht-Schule!" beigetreten (www.karl-liebknecht-schule.org). Auch mit kleinen Spenden kann schon viel gemacht werden.

Sabine Marber, Frankfurt/Main

Redaktionelle Notiz
Die vollständige Fassung des geringfügig gekürzten Beitrags "Wissenschaftliche Weltanschauung erlebt" von Ulla Ermen (RF Nr. 227) ist auf der Website der KLS nachzulesen:
www.karl-liebknecht-schule.org


Immer noch steht ein Umzugskarton mit Büchern aus dem Nachlaß meiner Mutter in meiner Bibliothek, in dem ich ab und zu herumstöbere und dieses oder jenes heraushole. Jetzt stieß ich auf ein schmales Heft mit Liebesgedichten. Auf der Titelrückseite eine Widmung meines Vaters: "Der Weg zu mir, zu Dir ist weit, ach, wenn ich weinen könnt - Du gabst mir Deine Liebe, die nehm ich nun gen Osten mit ..."
Wieder stehen deutsche Soldaten im Osten, im Baltikum wie damals mein Vater, 73 Jahre später. Gegen jede Abmachung - leider seinerzeit nicht zum Gesetz erhoben - provoziert die NATO mit Truppenverlegungen dicht an die Grenze Rußlands. Angeblich fürchten sich die Letten, Esten und Litauer vor einer Okkupation Rußlands und verweisen auf die Krim. Ob die deutschen Soldaten heute daran denken, daß schon einmal ihre Großväter die Grenzen zu Rußland überschritten?

Beate Bölsche, Brielow


Immer waren es die Ausbeutergesellschaften, die durch ihren Charakter, das Streben nach Profit und Macht über Absatzmärkte zu Kriegen führten. Neben der Sklaverei hat der Kapitalismus den menschenverachtenden Kolonialismus und die schlimmsten Kriege der Geschichte zu verantworten, den 1. Weltkrieg, den 2. Weltkrieg und den Vietnamkrieg. Seine größten Verbrechen aber waren der Faschismus in Europa und der japanische Militarismus.
Als die Sieger 1945 über die Kriegsverbrecher urteilten, saßen da auch die Mächtigen der Deutschen Industrie und der Banken auf der Anklagebank. Da aber die Westmächte von gleichen Interessen gelenkt wurden und der Feind im Osten schon ausgemacht war, wurden sie mit Samthandschuhen angefaßt.

Horst Nörenburg, Potsdam


Vor kurzem wurde das Buch "Heinz Keßler: Briefe aus dem Gefängnis" herausgebracht. Es beinhaltet die Korrespondenz zwischen Heinz Keßler und dem ehemals 2. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle Dieter Itzerott von 1992 bis 1999. Auszüge aus den Reden des früheren Verteidigungsministers der DDR vor Gericht, der Geburtstagsgruß des renommierten Historikers Dr. Kurt Gossweiler an Heinz Keßler zum 90. Geburtstag und sein Interview vom Februar 2016 anläßlich des 70. Jahrestages der Gründung der FDJ komplettieren das Heft. Das Vorwort von Dieter Itzerott und ein ausführliches Personenregister im Anhang runden die Veröffentlichung ab.
Erhältlich ist das Buch für 14 € im "Kleinen Buchladen" im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin oder über Redaktion offen-siv, Frank Flegel, Tel.: 0 55 72-9 99 22 42 oder Mail: redaktion@offen-siv.com.

Frank Flegel, Bodenfelde


Vor einigen Wochen wurde dem neugierigen Volk mitgeteilt, wer Joachim Gauck als Bundespräsident ablösen darf. Der staunende Bürger fragt: Hatte sich nicht die Kanzlerin vorbehalten, einen Kandidaten zu finden, der nicht Steinmeier heißt? Hat sie keinen würdigen Kandidaten gefunden, oder haben alle Befragten abgewinkt? Beides wäre alarmierend. Der Vorschlag "Steinmeier for President" kam ursprünglich von Gabriel. Will die SPD in die Bresche springen wie 1919 mit Friedrich Ebert, um den Finanzhaien "in diesen stürmischen Zeiten" (Steinmeier) beizustehen? Steinmeier wird einiges zugetraut. Er soll die "Spaltung" überwinden helfen. Aber war er nicht, vor allem als Gehilfe Schröders, selbst an der Spaltung in oben und unten, Ost und West aktiv beteiligt? Angela Merkel lobte, daß Steinmeier "jenseits unserer Grenzen" Erfahrungen gesammelt habe. Das stimmt, z.B. auf dem Kiewer Maidan, wo er völkerrechtlich verbotene Einmischung öffentlich praktizierte. Und Moskau hat das nicht gemerkt? Was hat Steinmeier getan, um die verbrecherischen Bundeswehreinsätze zu stoppen?
Die BRD wurde einmal durch einen Gustav Heinemann würdig vertreten. Wird Steinmeier eine solche Rolle übernehmen wollen und können? Es soll ja schon Leute gegeben haben, die sich vom Saulus zum Paulus verwandelten. Ist ein solches Wunder auch mit Steinmeier zu erwarten?

Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden


Es besteht kein Zweifel daran, daß sich nach dem Ende des Sozialismus in Europa keineswegs die Sicherheit auf unserer Erde verbessert hat. Ganz im Gegenteil. Glasnost und Perestroika waren willkommene Anlässe für den US-Imperialismus und seine Spießgesellen in Europa, nun den ihnen zugänglichen Teil des Globus so "umzugestalten", wie es ihren Wünschen entspricht. Damit sind sie aber noch nicht am Ende. Sie haben den östlichen Teil Eurasiens im Blick. Dieses Sibirien, bei dessen Erwähnung den Managern des Militärisch-industriellen Komplexes "das Wasser im Munde zusammenläuft", ist noch nicht nach den "Erfordernissen westlich-freiheitlicher Kultur" für die eigenen Interessen "erschlossen". Dort herrscht ein national geprägter russischer Kapitalismus. Er wird deshalb von seinen artverwandten westlichen Brüdern in imperialistischen Geist militärisch umkreist und permanent bedroht. Bisher zeigt dieser Bär ihnen aber gekonnt seine sehr scharfen Zähne. Doch deshalb wird das Ziel nicht aufgegeben, sich diese fette Beute unter den Nagel zu reißen.
Ganz offensichtlich war die Meute beutegieriger Eliten in großer Hoffnung, durch einen passenden amerikanischen Präsidenten - männlich oder weiblich - diesem erstrebten Ziel wieder ein Stück näher zu kommen. Mit Hillary hatte man die passende Figur auf die Bühne des US-Wahltheaters etabliert. Die Sektkelche für die Siegesfeier waren sicher schon reichlich gefüllt. Und nun dieses Ergebnis! Diese Dame hat in ihrer bisherigen politischen Laufbahn bewiesen, daß sie den Wünschen des extremsten Flügels der amerikanischen Rüstungslobby sehr nahe kommt. Buntfarbige "Revolutionen" und andere geeignete Versuche anzuzetteln, den "American way of life" durchzusetzen, entspricht ganz ihren Vorstellungen von der Rolle der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Als Präsidentin hätte sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem verhaßten russischen Bären mehr als nur gedroht. Die Folgen wären unabsehbar!
Schon aus diesem Grunde sollte man die US-Wahl sachlich betrachten und bewerten. Selbstverständlich ist - bzw. wird - auch Herr Trump ein Diener der Rüstungsindustrie und der Dollarbarone in der Wallstreet. Letzten Endes wird die US-Politik in ihren bestimmenden Teilen nicht vom Präsidenten gemacht, wie auch die Bundesrepublik nicht von Frau Merkel regiert wird, sondern von den hinter dem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Vorhang Stehenden. Schließlich sind alle Regierungen im Kapitalismus die ausführenden Organe der herrschenden Klasse - und das sind die "Eigner" der Produktionsmittel.

Dr. Günther Freudenberg, Bernburg


Die USA haben gewählt: Der Schock ist perfekt. Nicht die vorab von vielen deutschen Politikern und Medien als Siegerin gefeierte Hillary Clinton, sondern Donald Trump, der Außenseiter, wird als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika als Nachfolger von Barack Obama ins Weiße Haus einziehen. Den Ausgang der Wahl als Protestwahl einzuordnen, geht an der Realität vorbei. Man kann nicht ungestraft den "Weltpolizisten" spielen und den weltweit höchsten Rüstungsetat zu Lasten der Bevölkerung weiter nach oben treiben. Das Votum zeigt die seit Jahrzehnten bestehenden, im System begründeten gesellschaftlichen Widersprüche. Von entscheidender Bedeutung wird sein, wie sich die Beziehungen zu Rußland und China entwickeln werden.
Wenn auch gegen die Wahl von Trump massiv Stimmung gemacht wurde, fand er doch auch finanzielle Unterstützung von deutschen Unternehmen. Wie "Die Welt" mitteilte, haben namhafte Großunternehmen aus Deutschland mehr als zwei Drittel ihrer US-Wahlkampfspenden den Republikanern zukommen lassen. Allen voran BASF, Bayer, Allianz, Siemens und die Deutsche Bank.

Karl-Heinz Mruck, Kassel


Julij A. Kwizinskij war ein hervorragender sowjetischer Diplomat. Darüber sollte es keinen Zweifel geben. Aber im Gegensatz zu seinen Moskauer Freunden (RF Dez. 2016, S.12) gibt es neben seinen Sprachkenntnissen, seiner Kompromißfähigkeit, seinen Orden, seiner "Trauer über den Zusammenbruch der Sowjetunion" und den "Sturz der DDR" noch eine Vielzahl von Problemen, die Kwizinskij in seinem Buch "Vor dem Sturm. Erinnerungen eines Diplomaten" (Siedler-Verlag, Berlin 1993, 476 Seiten) schildert. Dazu gehören u. a. der "Putsch" vom 17. Juni 1953 sowie die äußerst geheimen Vorbereitungen und die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen an den Grenzen, beginnend mit dem 13. August 1961. Als ehemaliger DDR-Bürger denke ich besonders an seine Sicht und seine Tätigkeit als Diplomat in der DDR: als Wegbegleiter der Botschafter Perwuchin und Abrassimow, als Gesprächspartner Walter Ulbrichts, "der damals unerhörte Dinge (sagte), allerdings vertraulich und nur gegenüber den sowjetischen Genossen, nicht aber im Beisein anderer Mitglieder des Politbüros des ZK der SED. Er war sich bewußt, daß er gleichsam ketzerische Positionen vertrat ..." Ulbricht "sah die kommende Krise der Machtstrukturen der Partei voraus und versuchte, sie abzuwenden. Auch in der nationalen Frage bewies (er) Weitblick. Er hielt es für nicht zulässig, die Frage der Wiedervereinigung aus der Politik der SED auszuklammern. Als unsere Theoretiker, angeführt von Wladimir Semjonow, in den sechziger Jahren beweisen wollten, daß in der DDR eine neue sozialistische deutsche Nation entstehe und die Frage der Wiedervereinigung jegliche aktuelle Bedeutung verloren habe, ja, mehr noch, sogar schädlich sei, weil sie die Bürger der DDR von der wahren Entwicklungsperspektive ablenke, beharrte Ulbricht auf seiner Linie. Natürlich wollte Ulbricht keine Wiedervereinigung, weil ihm durchaus klar war, daß die DDR dann von der Bundesrepublik überrollt würde." (a.a.O., Seite 177; der Begriff "Wiedervereinigung" hat sich m. E. überholt und wird von mir lediglich als "Anschluß der DDR an die BRD" verstanden, K. E.).
Meinen Forschungsgegenstand - die Grenze um Westberlin - betreffend, gibt es bei Kwizinskij eine Vielzahl von Erkenntnissen, die auch 26 Jahre nach dem "Sturz der DDR" beachtet werden sollten.

Dr. Klaus Emmerich, Edertal


Im November-RF entlarvt Prof. Dr. Horst Schneider die Bundeskanzlerin als Heuchlerin, die das Märchen von der russischen Bedrohung mitträgt und ohne Osterweiterung der NATO nicht auskommt. Sie beruft sich auf das christliche Abendland und billigt Manöver unter kriegsähnlichen Bedingungen, die gegen Rußland gerichtet sind. Deutschland auf den Weg des Friedens zu führen, gelingt unter diesen Bedingungen nicht. Auch Merkels Erklärung zu einer vierten Kanzlerkandidatur ändert nichts an der NATO-Politik, die einen Krieg gegen Rußland ins Auge faßt.
Ihr Vorgänger Helmut Kohl lobte sie, weil sie die Linie der CDU/CSU - die vorbehaltlose Unterstützung der Vereinigten Staaten - vertritt und rät ihr, "den Gegenwind zu ertragen".
Die Hinterlassenschaften der von den USA und der NATO geführten Weltordnungs- und Ressourcenkriege sprechen für sich: zerstörte Länder, gespaltene oder verschwundene Staaten, viele Millionen Tote und Verletzte und zig Millionen Kriegsflüchtlinge ...
Wer diese Kriege führt, begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es bedarf einer Abkehr von dieser Tod und Zerstörung bringenden, militarisierten Politik der USA und der NATO im Schulterschluß mit der Bundesrepublik Deutschland. Es bedarf eines Politikwechsels und keines "Weiter so wie bisher"!

Ernst Jager, Panketal


Seit dem Anschluß der DDR an die BRD 1990 geistert ein Begriff durch die Medien, der sogar den Namen eines Radio- und Fernsehsenders ziert: "Mitteldeutscher Rundfunk" und "Mitteldeutschland". Doch wo bitte liegt, wenn dieses Gebiet so heißt, dann Ostdeutschland? Das Funkhaus in Leipzig berief sich auf die Tradition - auf welche, teilten sie uns nicht mit. Ostdeutsche Gebiete gab es einst in Polen und noch weiter östlich ... Ist diese "Tradition" gemeint? Eine Rechnung diesbezüglich ist doch nicht etwa noch offen? Jedenfalls sprechen Moderatoren und Nachrichtenleute diesen Begriff stets voller Inbrunst aus - Wasser auf neofaschistische Mühlen.

Maria und Andreas Bauer, Holzminden


Ein "Sprint der Kanu-Asse" im Potsdamer Stadtkanal lockte Anfang September laut Angaben der "Märkischen Allgemeinen" rund 10.000 Zuschauer an. Woran liegt es, daß sich zu den Friedensveranstaltungen (Ostermarsch und Weltfriedenstag) hundertmal weniger Teilnehmer einfinden? In Potsdam (Geltow) plant und organisiert das Bundeswehr-Einsatzführungskommando die Kriegseinsätze - zum Beispiel den völkerrechtswidrigen Luftwaffeneinsatz über dem Territorium des souveränen Staates Syrien und die Stationierung in der Türkei (deren Diktator den Völkermord an Armeniern bestreitet, das Volk der Kurden unterdrückt, die Demokratie in "seinem" Land abschafft und syrische Städte zerbomben oder beschießen läßt). Haben die Potsdamer das Potsdamer Abkommen von 1945 vergessen, das festlegte, daß von Deutschland nie wieder Krieg ausgehen darf? Mit "Brot und Spiele" haben schon die alten Römer das Volk von den Kriegen abgelenkt. Im 21. Jahrhundert sollten wir doch endlich zur Vernunft kommen und uns um die Hauptthemen der Menschheit kümmern: Weltfrieden, Völkerfreundschaft und die Erhaltung der Lebensgrundlagen für alle Menschen.

Horst Jäkel, Potsdam


Im Zusammenhang mit der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten sah sich Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen veranlaßt, die "westlichen Werte" ins Spiel zu bringen. In scharfem Ton griff sie Trump an und verkündete, die NATO sei "kein Geschäft" und "kein Unternehmen". So regiere man kein Land. Das sei auch nicht der Grundsatz der NATO.
Doch Frau von der Leyen muß gar nicht so weit über den Atlantik, sondern sollte lieber vor die Tore Europas in Richtung Bosporus, zum NATO-Mitglied Türkei, blicken.
"Dort schafft Präsident Erdogan gerade die Grundrechte ab und errichtet eine Diktatur, läßt ohne rechtsstaatliches Verfahren massenhaft Menschen ins Gefängnis werfen und führt einen Krieg gegen die Kurden im eigenen Land und jenseits der Landesgrenzen. Wo sind da die 'Werte', von denen Ursula von der Leyen spricht? [...] Als Wertegemeinschaft ist die NATO nicht erst erledigt, sollte Donald Trump im Umgang mit Rußland die Zügel schießen lassen, sie ist es schon jetzt", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 12. November 2016.
Winston Churchill soll gesagt haben: "Die Deutschen hast du entweder unter dem Stiefel oder an der Gurgel." Zu vermuten ist, daß er damit nicht das deutsche Volk, sondern dessen herrschende Klasse gemeint hat. Nach dem Ende der DDR und der Restauration des Kapitalismus in ganz Deutschland will man jetzt den Makel, "unter dem Stiefel zu sein", schnellstmöglich loswerden. Die deutsche Elite tut so, als ob die Gefahr bestünde, daß die USA nicht mehr Weltpolizei spielen wollten, und somit die Europäer, darunter auch die Deutschen, ihrem Schicksal überlassen würden. Das sei nicht hinnehmbar, zumal die Russen und die Chinesen wieder bzw. gerade aufgewacht seien.
In der Tat freuen sich die europäischen Rüstungskonzerne, nun einen Anlaß zu haben, eine neue Runde der Aufrüstung einzuleiten. Doch maßgebliche, in Deutschland tonangebende Kräfte wollen noch mehr, nämlich endlich in den Besitz der schon von Franz-Josef Strauß angestrebten Atombombe gelangen. Das gehört nicht in den Dunstkreis einer Verschwörungstheorie, sondern ist im Leitartikel von Berthold Kohler in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 28. November 2016 zu lesen:
Ein Rückzug der USA aus Europa, wie von Trump angekündigt, könne "unangenehme Folgen haben": "höhere Ausgaben für die Verteidigung, die Wiederbelebung der Wehrpflicht, das Ziehen roter Linien - und das für deutsche Hirne ganz und gar Undenkbare, die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit ..."

Dr. Matin Baraki, Marburg

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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2017

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