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ROTFUCHS/168: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 214 - November 2015


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 214, November 2015



Inhalt

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Ist Kuba in Gefahr?

Die Stimme des Mittachtzigers aus Erfurt - eines ehemals hochrangigen Offiziers der DDR-Luftstreitkräfte - bebte vor Erregung und Zorn: "Im Fernsehen haben sie gerade das Aufziehen des Sternenbanners am USA-Botschaftsgebäude in Havanna durch Obamas Außenminister Kerry gezeigt. Ist das nicht der Anfang vom Ende?"

Ich antwortete mit einer Gegenfrage: "Kuba ist 1990 nicht in die Knie gegangen, warum sollte es jetzt kapitulieren?" Außenminister Bruno Rodríguez habe nur wenige Tage zuvor die Flagge seines Landes am Mast der kubanischen Botschaft in Washington gehißt, fügte ich hinzu. So etwas gehöre bei normalen zwischenstaatlichen Beziehungen zum diplomatischen Protokoll.

Eine eigene Kuba-Reise sehr besonderer Art kam mir unwillkürlich in den Sinn: Wir erlebten das karibische Freundesland in einer der riskantesten Phasen seiner bewegten Geschichte: Als "Sonderperiode" bezeichnete Fidel Castro jene extrem schwere Zeit nach dem sang- und klanglosen Untergang der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas. Damals stand Kuba buchstäblich über Nacht allein im Regen. Alle Unken der Welt prophezeiten seinen baldigen Untergang, zumindest aber die Unvermeidlichkeit einer politischen Kapitulation vor den triumphierenden Feinden in Washington. Doch aus den "Wochen oder Monaten", die gewisse Politologen dem roten Inselstaat noch gaben, wurden 25 schwere, an etlichen Abschnitten auch durchaus erfolgreiche Jahre.

Ohne Zweifel machen sich nicht wenige Freunde Kubas berechtigte Sorgen um das von manchen befürchtete Erlöschen des Leuchtfeuers einer siegreichen sozialistischen Revolution.

"Nach 55 Jahren des Embargos schmilzt das Eis in den Beziehungen zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten. Die Erwärmung müßte Havanna den erforderlichen Handlungsspielraum verschaffen, seine Wirtschaft zum eigenen Vorteil entwickeln zu können. Dabei geht es zugleich um die Frage, welche Auswirkungen das auf die Errungenschaften der kubanischen Revolution haben könnte", schrieb Katrien Demuynck - eine intime Kennerin der Region und langjährige Organisatorin zahlreicher Hilfsaktionen für Kuba - in der belgischen Monatszeitschrift "Solidaire". "Während der fast fünfeinhalb Jahrzehnte haben die USA versucht, Kuba auf diplomatischer Ebene zu isolieren und wirtschaftlich zu erdrosseln - ein Ziel, "das die Europäische Union 1996 sogar in den ersten Satz ihrer Gemeinsamen Position aufnahm."

US-Präsident Obama hat unterdessen die Erfolglosigkeit dieser Variante der amerikanischen Kuba-Politik eingestanden. Auch aus Kreisen der EU läßt sich ähnliches vernehmen.

Die Entscheidung Washingtons, die Taktik gegenüber Kuba zu ändern, sei in erster Linie durch eine Serie von Niederlagen der amerikanischen Embargo-Politik motiviert, urteilt "Solidaire". Drohungen, Sanktionen, Sabotage, Aggressionen und Invasionen, die 1961 in der Landung an Kubas Schweinebucht gipfelten, bescherten den USA keine Erfolge.

Auch immer neue Versuche der CIA, Fidel Castro zu ermorden, konnten von den kubanischen Sicherheitsorganen vereitelt werden.

Eine britische Dokumentation listete 638 (!) geplante Anschläge auf. Die Entscheidung Obamas, Washingtons Kurs gegenüber Kuba zu ändern, ist ohne Zweifel ein Sieg der 11 Millionen Bürger des Inselstaates. Alle Versuche der führenden imperialistischen Großmacht, Kuba als sozialistisches Land aus den Angeln zu heben, endeten mit einem Fiasko.

Doch man sollte davon ausgehen, daß die USA die Taktik geändert haben, ohne aber auch nur eines ihrer fundamentalen Ziele aufzugeben. Hinzu kommt, daß die vor der Revolution in ihre Zweitresidenzen nach Miami geflohenen superreichen Exilkubaner - sie machten etwa 1 Prozent der Bevölkerung Kubas aus - auf ihre Rachegelüste in keiner Weise verzichtet haben. Allerdings läßt die Mehrheit der jüngeren Florida-Exilanten inzwischen den Wunsch nach Normalisierung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der einstigen Heimat ihrer Eltern und Großeltern erkennen.

Übrigens sollte man die Tatsache nicht überschätzen, daß Präsident Obama am 14. April den USA-Kongreß von seiner Entscheidung unterrichtet hat, Kuba aus der Liste "den Terrorismus fördernder Staaten" zu streichen. Abgesehen von der Unverfrorenheit, daß ausgerechnet die weltweit Terror und Terroristen auf den Schild hebende imperialistische Hauptmacht den sozialistischen Karibikstaat auf eine solche Liste zu setzen wagte, ist das als "El Bloqueo" bekannte US-Embargo deshalb noch lange nicht aufgehoben worden, obwohl es international kaum mehr befolgt wird.

Ist Kuba außer Gefahr?

Ohne Zweifel steht nicht nur die Generation von Fidel und Raúl, sondern auch die nächste Reihe ihnen folgender jüngerer Führer um Diaz-Canel auf revolutionären und internationalistischen Positionen. In Havanna hat man nicht die Absicht, wertvolle Errungenschaften oder Erkenntnisse über Bord zu werfen. Die Kunst, der sich die Partei- und Staatsführung fortan bedienen muß, besteht darin, Bewährtes mit der veränderten innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Situation Kubas in Übereinstimmung zu bringen, um das Land unter Bedingungen einer bisher nicht gekannten Öffnung der Märkte und weiter anschwellender Touristenströme - nicht zuletzt aus den USA - auf Kurs zu halten. Zu beachten ist dabei die wesentlich leichtere Beeinflußbarkeit jüngerer und junger, also nicht mehr unmittelbar mit den früheren Etappen der kubanischen Revolution und deren Erfahrungen verbundener Menschen. So ist damit zu rechnen, daß die innere Reaktion weiteren Zulauf erhält.

Der Komplexität dieser Problematik ist sich die kubanische Spitze durchaus bewußt. Dabei stellt sie in Rechnung, daß sich Havannas Position in der Welt inzwischen stark verändert hat. Unterhielt Kuba Anfang der 90er Jahre nur zu wenigen Staaten vor allem des damaligen sozialistischen Lagers diplomatische Beziehungen, so gibt es heute wohl kaum eine Regierung, die auf solche Kontakte verzichten möchte. Das diplomatische Korps in Kubas Hauptstadt ist weit umfassender als in den meisten anderen Staaten. Und vor allem gehören zwei über Kernwaffen verfügende Großmächte - die ihrer Wirtschaftskraft nach weltweit führende Volksrepublik China und Putins Rußland - zu den Freunden und Partnern der sozialistischen Insel in der Karibik.

Doch nicht minder gravierend dürfte die Tatsache sein, daß sich Lateinamerika inzwischen aus einem "Hinterhof" der USA in ein Zentrum des Widerstandes gegen den Imperialismus verwandelt hat. Kuba genießt den Respekt und die Sympathie der meisten Staaten des Subkontinents. In gewisser Weise nimmt diese Region mit ihren einflußreichen kommunistischen, sozialistischen und nationaldemokratischen Parteien sowie den in einigen Ländern regierenden linken Einheitsbewegungen inzwischen den einstigen Rang Europas ein, wo die revolutionären Kräfte derzeit überwiegend eher stagnieren. Vor allem Venezuela und Bolivien, aber auch Nikaragua und Ekuador, Uruguay, Brasilien und Argentinien verteidigen die Solidarität mit der "Insel der Freiheit" als Teil ihrer eigenen Souveränität. Nicht zufällig gehört das Land Fidels und Raúls einer ganzen Reihe antiimperialistisch orientierter regionaler Bündnisse an.

Übrigens: Wer hätte sich in jenen düsteren 90er Jahren der Niederlage wohl vorstellen können, daß 2015 ein dem sozialen Wohl der Schwachen und dem Frieden der Menschheit zugewandter lateinamerikanischer Papst in Havanna, Holguín und Santiago de Cuba mit dem Wohlwollen der Castros glanzvolle Messen abhalten würde, ohne den "Dissidenten" die von ihnen erbetene Audienz zu gewähren! War es ein Zufall, daß Papst Franziskus, der in die USA weiterreiste, nur wenig später beim Weißen Haus im Kleinwagen vorfuhr?

Klaus Steiniger

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Wir haben keines unserer Prinzipien widerrufen

Raúl Castro Rúz reagierte am 17. Dezember 2014 auf die unmittelbar zuvor gehaltene Rede von US-Präsident Barack Obama, mit der dieser die Absicht der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba angekündigt hatte, mit einer von Rundfunk und Fernsehen übertragenen Rede. In dieser hieß es u. a.: "Seit meiner Wahl zum Vorsitzenden des Staats- und des Ministerrats habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten unseren Wunsch wiederholt, mit der Regierung der Vereinigten Staaten einen respektvollen Dialog auf der Basis souveräner Gleichheit zu führen, um dabei verschiedene Fragen in einer ausgeglichenen Weise zu erörtern, ohne die nationale Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung unseres Volkes antasten zu lassen.

Es handelt sich dabei um eine Position, welche der USA-Regierung gegenüber durch Fidel öffentlich und privat im Laufe unseres langen Kampfes zum Ausdruck gebracht wurde. Dabei ging es speziell um die Vorstellung, Differenzen zu diskutieren und beizulegen, ohne irgendeines unserer Prinzipien aufzugeben.

Das heldenhafte kubanische Volk hat bewiesen, daß es angesichts großer Gefahren, Aggressionen und Feindseligkeiten sowie um den Preis schwerer Opfer unseren Idealen der Unabhängigkeit und sozialen Gerechtigkeit im Verlauf der 56 Jahre der Revolution treu geblieben ist. Es wird diese Treue auch in Zukunft bewahren."

Quelle: "Granma", Havanna

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Kuba: Niedrigste Säuglingssterblichkeit aller Zeiten

Im vergangenen Jahr meldete Kuba eine Säuglingssterblichkeitsrate von 4,2 : 1000 Lebendgeburten.

Damit hielt die sozialistische Inselrepublik den bereits 2013 erreichten niedrigsten Stand ihrer Geschichte. Während die Provinz Cienfuegos mit nur 3,1 den Spitzenreiter bildete, erreichten Pinar del Rio und Vila Clara jeweils 3,2. In 24 Gemeinden Kubas starb überhaupt kein Säugling mehr.

Trotz der Auswirkungen jahrzehntelanger Blockade kämen gerade auch auf diesem sensiblen Gebiet medizinischer Betreuung das Mutter-Kind-Programm und das Familienarzt-Programm der Regierung voll zum Tragen, urteilte "Granma". Bemerkenswert dabei sei, daß es fast keine Unterschiede zwischen dem Land in seiner Gesamtheit und schwer zugänglichen oder entlegenen Regionen gebe.

Seit 2014 bemüht sich Havanna besonders um die Verringerung der Zahl von Frühgeburten und um die effektivere Nutzung der in speziellen Heimen für werdende Mütter verfügbaren Plätze. Ein besonderes Anliegen ist es derzeit, die Überlebensrate bei Neugeborenen mit einem Gewicht von weniger als 1500 Gramm anzuheben.

Die Säuglingssterblichkeit in Kuba ist die niedrigste auf dem gesamten amerikanischen Doppelkontinent. Die Lebenserwartung seiner Bürger entspricht jener der USA.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Zur selektiven Asylpolitik der BRD
Politisches Versagen, Spiegelfechterei und "humanitäres" Manövrieren

Am 25. Juli präsentierte "Der Spiegel" nüchterne Fakten: Die Zahl der Asylanträge erhöhte sich von 19.164 im Jahr 2007 auf 173.072 im Jahr 2014. Im ersten Halbjahr 2015 waren es etwa 160.000, doch inzwischen wird mit mindestens 450.000 gerechnet. Die enorme Steigerung bezeugt die Dramatik des Geschehens.

Wo liegen Ursachen für diese Entwicklung?

Eine Teilantwort erhält man, wenn man die Herkunftsländer und die von den Flüchtlingen angegebenen Motive in Betracht zieht. Laut "Spiegel" kamen im 1. Halbjahr 2015 mehr als 32.000 Asylbewerber aus Syrien (inzwischen dürfte die Zahl wesentlich höher liegen), fast die Hälfte aus Balkanländern. Den Spitzenrang nimmt dabei Kosovo ein, woher fast 29.000 Antragsteller kamen. Auch Afghanistan und Irak haben vordere Plätze.

Bei Syrern muß nicht gerätselt werden, was sie dazu veranlaßt hat, jedes Risiko auf sich zu nehmen. Sie fliehen wie Iraker und die meisten Afghanen vor dem Krieg. Wie aber kam dieser in ihr Land?

Tatsache ist auch, daß die Übergriffe auf Asylantenheime rasant zugenommen haben. "Der Spiegel" veröffentlichte eine Karte, aus der hervorging, daß seinerzeit in Sachsen und dem Ruhrgebiet eine besonders hohe Konzentration der Anschläge festzustellen war. Und was ist mit Bayern?

Zur Rechtslage des Grundgesetzes der BRD heißt es im Artikel 16: "Politisch Verfolgte genießen Asyl." Es wird indes nicht definiert, wer, unter welchen Umständen "politisch Verfolgter" ist, und auch nicht festgelegt, wie das Asylrecht praktiziert werden soll.

In der DDR waren die Dinge überschaubar: Die vom faschistischen Pinochet-Regime verfolgten Chilenen oder die Griechen, die unter der Militärdiktatur der Schwarzen Obristen litten, hatten gute Gründe, vorwiegend im sozialistischen deutschen Staat Schutz zu suchen. Doch auch unter den heutigen Bedingungen gilt es, das grundgesetzlich festgelegte Asylrecht gezielt anzuwenden.

Um das Verständnis für die Lage der Asylanten zu fördern, wird in der BRD oft auf jene Generationen verwiesen, die 1945 "ebenfalls vertrieben" worden seien. Dabei arbeitet man bewußt dem Revanchismus in die Hände und häuft neuen Konfliktstoff in den Beziehungen zu östlichen Nachbarn der BRD an. Deutsche aus Ostpreußen und Schlesien wurden durch die Nazis "vertrieben", die ihre "Volksgenossen" nicht der anrückenden Roten Armee überlassen wollten. Die Sudetendeutschen hatten sich 1938 fast hundertprozentig dafür entschieden, "heim ins Reich" zu wollen. Die Benes-Dekrete erfüllten ihnen diesen Wunsch. Die Aussiedlung der Deutschen beruhte auf einem Beschluß der Siegermächte. Sie wurden von ihren "Brüdern und Schwestern" im Westen keineswegs mit offenen Armen empfangen. Der von bestimmter Seite angestellte Vergleich mit der heutigen Situation ist pure Demagogie.

In den Medien wurde eine Kampagne gegen Schleuser geführt, die allein für die Toten von Lampedusa verantwortlich seien. Mindestens zweierlei wird dabei völlig vergessen: Als "Schleuser" der BRD keineswegs aus Not fliehende DDR-Bürger in den Westen brachten, waren sie Helden und ihr Lohn verdient.

Wenn jetzt Afrikaner bitterster Not entkommen wollen, beweist das nur den Bankrott der neokolonialistischen "Entwicklungspolitik" des Westens. Afrika ist für den Imperialismus lediglich als Rohstoffquelle interessant. Wer sich dem widersetzt, wird umgebracht - von Lumumba bis Gaddafi.

Manche Politiker und Journalisten verweisen darauf, daß qualifizierte Flüchtlinge dem BRD-"Arbeitsmarkt" Vorteile bringen könnten. Zu wessen Nutzen aber ist es, wenn sie als Billigst-Lohnarbeiter von ihren deutschen Kollegen lediglich als "Konkurrenten" wahrgenommen werden?

Ein Vertreter der TU Dresden verkündete Ende Juli, fast 10 % der Studenten seien Ausländer. Er äußerte die Hoffnung, daß viele von ihnen das BRD-Wissenschaftspotential stärken würden. Was wäre die Konsequenz? Deutschland stiehlt den Herkunftsländern der ausländischen Studenten ihre künftige Intelligenz. In den 80er Jahren hieß das "brain drain" (Abzug der Köpfe) und wurde von der UNO scharf verurteilt. In der "Sächsischen Zeitung" vom 4. August las man: "Der palästinensische Arzt Haitem Masri hatte schon vor seiner Einreise einen festen Job. Denn gerade Ärzte sind als Zuwanderer sehr gefragt." Herrscht bei den Palästinensern etwa ein Überfluß an Medizinern?

Die USA und deren NATO-Verbündete haben mit ihren Kriegen gegen Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien die Flüchtlingswelle unkontrollierbar hochgetrieben, schotten sich aber wie auch andere Staaten gegen Flüchtlinge weitgehend ab. Im Recht gilt: Wer Schaden verursacht, muß dafür aufkommen! Gehört die BRD etwa nicht zu den Hauptverursachern?

Europa rühmt sich seiner offenen Grenzen. Vor 1990 proklamierten bestimmte Leute ein "Menschenrecht auf uneingeschränkte Freizügigkeit". Das richtete sich in erster Linie gegen die DDR. Wo sind die "Freizügler" heute? In der EU wird um Aufnahmequoten gefeilscht, als ob es um Fischbestände gehe. Niemand aber packt das Problem an der Wurzel!

Ständig konsumiert der Bürger Bilder und Berichte, die Übergriffe und Brandstiftungen Rechtsextremer zeigen. Dabei ist - trotz zeitweiligen Vortäuschens von Humanität - zweierlei unschwer erkennbar: Die Staatsmacht reagiert insgesamt hilflos. So entsteht ein Klima, das von Haß und Intoleranz geprägt ist. In ihm gedeiht Faschismus, woran auch die Tatsache nichts ändert, daß unter dem Zwang der Ereignisse bisweilen gewisse Schleusentore geöffnet werden. Da man nur Symptome und Folgen der Flüchtlingswelle diskutiert, niemand von den Regierenden aber die im Imperialismus liegenden Ursachen ergründen will und kann, ist eine echte Lösung nicht zu erwarten.

Wer einen Ausweg sucht, muß die Koordinaten der Außenpolitik neu festlegen: weg vom Aggressions- und Ausplünderungskurs hin zu Frieden, Abrüstung, Völkerverständigung und wirklicher Zusammenarbeit. Billiger geht es nicht!

Prof. Dr. Horst Schneider

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Ein Weitblickender ohne Augenlicht
Mein Großvater Ernst Puchmüller zeigte den Braunen die Rote Karte

Als eines von drei Enkelkindern möchte ich hier das bewegte und außergewöhnliche Leben meines Großvaters Ernst Puchmüller beschreiben. 1897 wurde er in der Kleinstadt Dassow im Nordwesten Mecklenburgs geboren. Während des 1. Weltkrieges mußte auch er "für Kaiser, Volk und Vaterland" die Kastanien aus dem Feuer holen. Dabei wurde er schwer verwundet und verlor ein Auge, während das zweite ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wieder in der Heimat, schloß er sich zunächst der SPD, dann der USPD und 1920 der KPD an. An der Niederschlagung des Kapp-Putsches war er aktiv beteiligt. In Nordwest-Mecklenburg organisierte er gemeinsam mit einem jungen SPD-Genossen den Widerstand gegen die Soldateska der Weißen. Beide wurden von paramilitärischen Kommandos der Großgrundbesitzer festgenommen und in einen Keller gesperrt. Ihnen gelang zwar die Flucht, doch die Kapp-Leute schossen hinter ihnen her. Mein Großvater konnte entkommen, sein Mitstreiter aber nicht. Dort, wo den Sozialdemokraten Hermann Litzendorf die tödliche Kugel traf, errichtete man in frühen DDR-Zeiten eine Gedenkstätte. Die feierliche Einweihung übertrug man meinem Großvater.

1920 heirateten die Großeltern und übersiedelten in das nahegelegene Lübeck. Dort wuchsen ihre Söhne Heinz und Ernst auf.

In der Hansestadt gehörte Ernst Puchmüller zur Leitung der KPD und war Abgeordneter der Bürgerschaft. 1933, nach der Machtauslieferung an die Hitlerfaschisten, wurde er wie die gesamte KPD-Führung Lübecks verhaftet. Als Kriegsinvaliden ließ man ihn jedoch frei. Sofort übernahm er die Leitung der illegalen Lübecker KPD. 1935 wurde er erneut festgenommen. In einem Verfahren, das als "Lübecker Kommunistenprozeß" in die Stadtgeschichte einging, verurteilte ihn die Nazijustiz zu 13 Jahren Zuchthaus. Der Richter machte kein Hehl daraus, daß er eigentlich die Todesstrafe hätte verhängen wollen, aber mit Rücksicht auf die Kriegsinvalidität des Angeklagten davon abgesehen habe.

Die Zeit von 1935 bis zur Befreiung im Frühjahr 1945 verbrachte mein Großvater in Zuchthäusern - in Hamburg-Fuhlsbüttel, Bremen, Oslebshausen und vor allem Waldheim. Anfangs versuchten Ärzte, sein Augenlicht durch eine Operation zu retten. Sie verordneten "absolute Ruhe", die dem Gefangenen natürlich nicht gegönnt wurde. So verlor er seine Sehkraft vollends. Von einem Mithäftling erlernte er die Blindenschrift. In den Jahren der Haft verfaßte er viele eindringliche Gedichte.

Seine beiden Söhne wurden im Zweiten Weltkrieg zur Wehrmacht eingezogen. Sie mußten nicht mehr für den Kaiser, nun aber für einen anderen Verbrecher aufs Schlachtfeld.

Nach der Befreiung stellte sich mein Großvater sofort der KPD zur Verfügung. Die Familie übersiedelte nach Schönberg, wo Ernst Puchmüller 1. Kreissekretär der KPD war. In dieser Funktion nahm er aktiv an der Durchführung der Bodenreform teil. 1946 fuhr er als Delegierter zum Vereinigungsparteitag von KPD und SPD nach Berlin.

Später erwarteten ihn andere wichtige Aufgaben. Von 1950 bis 1967 war er Direktor der Blindenanstalt in Neukloster. Mit 70 setzte er sich zur Ruhe. Viele Jahre war er Vizepräsident und später Ehrenpräsident des Blinden- und Sehschwachen-Verbandes der DDR. 1976 verstarb er in Rostock, wo er im Ehrenhain der Sozialisten auf dem Neuen Friedhof beigesetzt wurde.

Ernst Puchmüller war Träger des Ordens Banner der Arbeit und des Vaterländischen Verdienstordens in Gold. Noch zu seinen Lebzeiten verlieh man der Schule seines Geburtsortes Dassow den Namen des bewährten Widerstandskämpfers. Anfang der 80er Jahre wurde auch das Rehabilitationszentrum für Blinde und Sehschwache in Neukloster nach ihm benannt. Beiden Einrichtungen entzogen die kapitalistischen Rückeroberer nach dem Anschluß der DDR an die BRD den Namen des Kommunisten.

1958 erschien eine erste Autobiografie Ernst Puchmüllers, danach eine Sammlung seiner Gedichte unter dem Titel "Genosse sein heißt Kämpfer sein". 1964 brachte der Rostocker Hinstorff Verlag "Mit beiden Augen" heraus. Der Bruder meines Vaters Heinz und der jüngere Bruder meiner Großmutter Karl sind aus dem faschistischen Krieg nicht zurückgekehrt. Sieben Jahre nach dem großen Blutvergießen kam ich zur Welt. Ich erhielt die Namen der beiden Toten.

Karl-Heinz Puchmüller, Waren (Müritz)



Mein Schwur

Und bin ich auch vom wilden Strome dieser Zeit
bis in die tiefsten Tiefen mit hinabgerissen,
und währten meine Leiden eine Ewigkeit,
gern will ich alles tragen, alle Freuden missen.

Doch nimmer beug' ich mich dem Willen der Faschisten,
der braunen Mob-Partei, der Hitlerdiktatur,
noch immer steh' ich in den Reih'n der Kommunisten
und kämpfe für die Proletarier-Diktatur.

Für Deutschlands Freiheit kämpfe ich mit Fug und Recht,
für mein Parteiprogramm setz' ich mein Leben ein,
und uns're großen Toten, die wir einst gerächt,
soll'n bis ans Ende mir ein Vorbild sein.

So schwör' ich Euch, Genossen, stets aufs neue,
man mag mich quälen, schikanieren noch und noch:
Der roten Fahne halte ich die Treue
bis in den Tod - denn eins steht fest: Wir siegen doch!


Dieses Bekenntnis schrieb Ernst Puchmüller am 7. März 1942 im Gefängnis-Lazarett Hamburg.

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Adenauers Jagd auf die unter Hitler Gejagten
Wie der Mythos von der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" zerstört wurde

Am 17. August 1956 wurde die KPD - die Partei der antifaschistischen Helden - durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verboten.

Nach zwölfjähriger Illegalität unter der Terrorherrschaft der Nazis hatte sich die Partei der deutschen Kommunisten 1945 als erste politische Formation in Deutschland neu konstituiert und war von den vier Besatzungsmächten zugelassen worden. Im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz der BRD beschloß, wurde die KPD durch Hugo Paul und Max Reimann vertreten. 1949 zog sie in den 1. Deutschen Bundestag ein.

Von den "demokratischen Parteien" seit Anbeginn isoliert, unterstellten ihr ausgerechnet jene eine Mitschuld am Scheitern der Weimarer Republik, in deren Reihen es von schwer belasteten Nazis nur so wimmelte. Aus deren Sicht war kein Platz für Abgeordnete, welche die Ideen von Marx und Engels vertraten. Der prominenteste Faschist an der Seite Konrad Adenauers war dessen "graue Eminenz", Staatssekretär Hans-Maria Globke, der als Kommentator der 1935 erlassenen Nürnberger Rassegesetze maßgeblich Mitschuld an den antisemitischen Genozidverbrechen Hitlerdeutschlands trug.

Seit 1953 war Globke Adenauers intimster Ratgeber. Dessen Regierung sorgte dafür, daß nahezu alle Nazi-Beamten - darunter auch Polizisten, die in Sonderkommandos an Massenerschießungen beteiligt gewesen waren -, in den Staatsdienst übernommen wurden. Dasselbe galt für schwerbelastete faschistische Juristen.

Der aktuelle Hauptgrund für eine Verteufelung der KPD war in deren entschiedenem Widerstand gegen die Aufrüstung der BRD und die Stationierung von US-Atomwaffen auf ihrem Territorium zu suchen. So wurden alle Register gezogen, um sich der Partei Max Reimanns zu entledigen.

Schon am 23. November 1951 schaltete Adenauer die Justiz ein, die nach fünf Jahren "intensiver Untersuchungstätigkeit" den Kommunisten das Recht auf legale Betätigung absprach. In der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts bezog sich dieses hauptsächlich auf das Programm der KPD zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands.

Dieses Dokument war bereits von anderen Gerichten im voraus als "Hochverrat" bezeichnet worden. Der aber bestand nach Auffassung der Verbotsbefürworter darin, daß die KPD zum Sturz des Adenauer-Regimes aufgerufen hatte. Das Gericht unterstellte: "Mit dem Angriff auf das Adenauer-Regime beabsichtigt die KPD zugleich einen Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung." Die angebliche Verfassungswidrigkeit der Partei wurde in Karlsruhe schließlich auch mit deren "politischem Stil" begründet. Dieser ziele auf die Herabsetzung und Verächtlichmachung der verfassungsmäßigen Ordnung der BRD. "Ihr Ansehen soll geschmälert, das Vertrauen des Volkes auf die von ihr aufgerichtete Werteordnung erschüttert werden."

(Man bedenke, daß es in der BRD bis heute gar keine vom Volk legitimierte Verfassung, sondern nur das Provisorium Grundgesetz gibt!)

Noch am Tag nach der Urteilsverkündung erfolgte in der BRD eine Orgie der Polizeigewalt. Sie gipfelte in Verhaftungen, Beschlagnahmen sowie der Schließung von Parteibüros.

33 Funktionäre wurden auf der Stelle verhaftet, das vor allem aus Immobilien, 17 Zeitungen und Druckereien bestehende Parteivermögen eingezogen und angeblich gemeinnützigen Zwecken zugeführt. Damit trat das Adenauer-Regime eine Welle des politischen Terrors gegen KPD-Mitglieder, deren Angehörige, Freunde und Bekannte los. Wer auch nur in den geringsten Verdacht angeblich strafbarer Handlungen geriet, konnte ohne weitere Begründung gekündigt werden. So verfuhr man auch mit Tausenden Antifaschisten, denen man lediglich periphere Kontakte zu KPD-Genossen unterstellte. Dadurch wurden auch antifaschistisch-demokratische Kreise erfaßt, die mit der KPD keinen direkten Kontakt unterhielten. Die "christliche" Adenauer-Regierung mit Schreibtischmörder Globke nahm bei ihrer Kommunistenjagd selbst auf jene keine Rücksicht, welche unter der Hitlerdiktatur bereits jahrelang in Zuchthäusern und KZs gelitten hatten. Sie entzog vielen von ihnen jegliche Vergütung nach dem Bundesentschädigungs- und Häftlingshilfe-Gesetz. Die Zahlung einer Wiedergutmachungsrente für kommunistische Verfolgte des Naziregimes wurde eingestellt.

1995 beschloß der Niedersächsische Landtag einstimmig die nachträgliche Zahlung dieser widerrechtlich verweigerten Gelder auch an Kommunisten. Doch die Landesregierung des Sozialdemokraten Gerhard Schröder erhob dagegen "rechtliche Bedenken", da dies "einer Teilrehabilitierung der Betroffenen" gleichkäme. Was folgte, war dann der soziale Kahlschlag in der Regie des SPD-Kanzlers und seines damals noch grünen Komplizen Josef Fischer.

Dem war jene Welle der Berufsverbote vorausgegangen, welche eine breite Spur des Gesinnungsterrors keineswegs nur gegen Kommunisten gezogen hatte. Sie wiederum hing mit dem Namen des sonst eher differenziert zu betrachtenden SPD-Kanzlers Willy Brandt zusammen.

Aufschlußreich ist wohl auch folgende Tatsache: 1996 erklärte die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Jutta Limbach, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sei ein Verbot der KPD nicht mehr denkbar. Für die damals verfolgten Genossinnen und Genossen ist das allerdings kein Trost. Ihnen gelten unsere Solidarität und unser Respekt!

Joachim Augustin, Bockhorn (Friesland)

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Das Völkergefängnis von Maastricht

Während die "Troika" und die Führungsgremien der EU völlig skrupellos mit der Erdrosselung Griechenlands befaßt waren und der Syriza-Regierung die Pistole auf die Brust setzten, hörte man aus den Reihen der Europäischen Linkspartei und der PDL herzzerreißende, wenn auch völlig anachronistische Appelle, man solle sich doch auf "den ursprünglichen Geist, die Ziele eines Europas der Freiheit, des Friedens und des Wohlstands" zurückbesinnen.

Solche Propagandaphrasen aus Brüssel waren von Beginn an Schall und Rauch. Der etappenweise Weg in die uneingeschränkte Diktatur des Kapitals, der mit den Verträgen von Maastricht (1992) und Lissabon (2007) allen Mitgliedsstaaten "gewiesen" wurde, er fuhr dadurch keine Beeinträchtigung. Neben der Verpflichtung zu Aufrüstung und zur Teilnahme an globalen imperialistischen Kriegseinsätzen, restloser Privatisierung und völliger Deregulierung des Arbeitsmarktes spielten die "vier Freiheiten" der EU eine Schlüsselrolle: freier Warenverkehr, freies Dienstleistungs- und Personenverkehrswesen, freier Kapitalverkehr. Tatsächlich ging es vor allem auch um den Abbau der sozialen Sicherungssysteme und die Einschränkung der demokratischen Grundrechte aller EU-Bürger. In der BRD wurden diese nicht grundgesetzkonformen "Freiheiten" den Bürgern übergestülpt. Bundestag und Bundesrat nahmen mit Zweidrittelmehrheit das "39. Änderungsgesetz" an, wofür 1992 die Kohl-Regierung sorgte. Die Artikel 23 und 24 des GG gestatten es dem Bund, Hoheitsrechte der BRD auf die EU und die NATO zu übertragen, wenn diese "einen im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz" gewährleisten. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete die "freie Marktwirtschaft" als "sozial" und "Garanten für Wohlfahrt, Freiheit und Frieden".

Da fragt man sich besorgt, ob dies etwa auch die Interpretation der Europäischen Linkspartei ist, wenn sie heute den "ursprünglichen Geist" von Maastricht beschwört. Die dort abgeschlossenen Verträge waren nämlich der Ausgangspunkt für den totalen Umbau der BRD-Gesellschaft durch etliche Gesetzesänderungen, welche allein die kapitalistischen Konzerne und Banken begünstigen, die Arbeitenden und wesentliche Bereiche der Daseinsvorsorge aber massiv benachteiligen. Auch der Niedergang kommunaler Haushalte mit Hilfe der "Schuldenbremse" bei gleichzeitigem Druck zu "öffentlich-privater Partnerschaft" und die Umstellung öffentlicher Dienste auf "marktwirtschaftliche Budget-Prinzipien" wurden juristisch zwingend durch "Reformen" festgelegt.

Bei Bundesländern galt das gleiche wie bei den EU-Mitgliedsstaaten: gnadenloser "Wettbewerb" zum Vorteil exportorientierter hochkapitalisierter Volkswirtschaften wie jener der BRD, bei dem auf die im Zuge der sogenannten Osterweiterung eingegliederten neuen EU-Mitglieder keinerlei Rücksicht genommen wird. So gehören Rumäniens Felder inzwischen internationalen Agrarkonzernen, Griechenlands Supermärkte vertreiben holländisches Gemüse, und aus Estland läuft der qualifizierte Nachwuchs ebenso weg wie aus Spanien und Portugal.

Mit seiner ethikfernen vorgeblichen "Naturgesetzlichkeit" wälzt der sich heute als Neoliberalismus ausgebende rabiate Imperialismus jede dem entgegenstehende Argumentation oder widerständische politische Kraft nieder. Schon bei der Einhaltung der EU-"Aufnahmekriterien" wurde mehr Wert auf die Durchsetzung der genannten "vier Freiheiten" als auf Rechtsstaatlichkeit, Korruptionskontrolle und Bürgerrechte gelegt. In der Folge zeichnet sich eine immer offenere Duldung faschistoider und rechtslastiger politischer Strömungen, ja selbst Regierungen in EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn ab. Das läßt befürchten, daß die klassische Option eines Griffs zur unmaskierten Diktatur in Zeiten gravierender Wirtschaftskrisen und angesichts drohender Volksunruhen jederzeit wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. Man vergesse nicht den Militärputsch der "schwarzen Obristen" des faschistischen Patakos-Papadopoulos-Regimes, der sich in den Jahren 1967 bis 1974 im EWG-Assoziations- und NATO-Staat Griechenland zutrug! Verbote sozialistischer und kommunistischer Parteien bei gleichzeitiger Zulassung neofaschistischer Organisationen in "Frontstaaten" Osteuropas sind Vorboten einer weitaus komplexeren Gefahr.

Besonders bedrohlich wirkt sich auch die "Entkollektivierung" und "Individualisierung" durch die von der EU kultivierte Alltagsideologie des egozentrischen Kampfes "Jeder gegen jeden" aus. "Verlierer" werden achselzuckend von zeitweiligen "Gewinnern" stigmatisiert. Das gilt sowohl innerstaatlich als auch gegenüber "Partnerländern". Wie schnell eine politische Haßkampagne aus solcher Grundhaltung entfacht werden kann, zeigt das Beispiel der Diffamierung Griechenlands.

"Europa - Raum der Freiheit, des Wohlstands und der Solidarität" heißt die selbstbeweihräuchernde Devise. Am Beispiel der parlamentarischen Wahldemokratie entlarvt sich vor aller Augen: Wenn eine "frei gewählte" Regierung plötzlich aus dem Rahmen fällt, wird die Axt angesetzt und die Würge-Schlinge zugezogen. Die Athener Vorgänge haben den Traum aller "Transformations-Theoretiker" der Europäischen Linkspartei und der PDL zum Platzen gebracht! Fehlt es ihnen an historischer Kenntnis, oder ist es nur Opportunismus, wenn sie die Entstehungsgeschichte der Maastrichter Union verschweigen?

1947 spaltete US-Präsident Harry Truman Europa durch den Marshallplan und seinen als Containment bezeichneten Beschluß zur "Zurückdrängung des Kommunismus". 1951 folgte die Zusammenfassung von sechs westeuropäischen Staaten zur "Montanunion". Sie bildete die Keimzelle für die "Vereinigung" kapitalistischer Blockstaaten des Kontinents mit den USA im Rahmen der NATO.

Was dann unter verschiedenen Vorwänden als "Europa" firmierte, war in Wahrheit eine wirtschaftlich-militärische Front gegen die Brüsseler Block in Konkurrenz wie in Kooperation mit den USA gegen alle linken und demokratischen Kräfte nicht nur des europäischen Kontinents, welche sich der globalen "Neuordnung der Welt" durch das Kapital widersetzen. Die Maastrichter Union und alles, was aus ihr hervorgegangen ist, stellen auch eine enorme Gefahr für die Souveränität der Völker Europas und den Weltfrieden dar. Das sollten die in der Europäischen Linkspartei versammelten "linken Sozialdemokraten" des Kontinents in Rechnung stellen.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Ein "Hörweg", der eher ein Holzweg ist
Die Geschichte des Berliner Frauengefängnisses Barnimstraße wird entstellt

Am 30. Mai 2015 wurde ein "Hörweg" auf dem Gelände des ehemaligen Frauengefängnisses in der Friedrichshainer Barnimstraße eröffnet. Es war 1864 errichtet und ab 1868 ausschließlich mit weiblichen Gefangenen belegt worden. Hier wurden Frauen wegen krimineller Delikte, vor allem aber wegen Prostitution eingeliefert. Von Beginn an inhaftierte man in der Barnimstraße aber auch "politische Täterinnen".

Der Gebäudekomplex wurde von der DDR zunächst weiter genutzt, 1974 dann aber vollständig abgerissen. Auf dem Gelände wurde ein Verkehrsgarten eingerichtet. Die Behauptung einer Zeitung, der historische Ort sei über die Jahre völlig in Vergessenheit geraten, trifft nicht zu. Zwar wurde die Gedenktafel erst nach 1990 angebracht, doch die Stele für Rosa Luxemburg stammt aus DDR-Tagen. Die 1971 unweit davon eingeweihte Schule erhielt ihren Namen. Alljährlich fanden Gedenkveranstaltungen statt. Als das Gefängnis abgerissen werden mußte, deponierte man die Tür von Rosas Zelle im Museum für Deutsche Geschichte. Die Mitbegründerin der KPD war von Februar 1915 bis Februar 1916 in der Barnimstraße inhaftiert gewesen. Hier verfaßte sie ihre bekannte Broschüre "Die Krise der Sozialdemokratie", die zu Jahresbeginn 1916 unter dem Pseudonym Junius illegal in Berlin verbreitet wurde.

An dieser Stelle sollte nun ein Denkmal vor allem für die hier "aus politischen Gründen inhaftiert gewesenen Frauen" entstehen. Der österreichische Künstler Christoph Mayer hatte im April 2008 einen vom Senat ausgeschriebenen Wettbewerb zur Gestaltung des Areals gewonnen. Eine aus sieben Personen bestehende Jury entschied zu seinen Gunsten, während der Entwurf bei einer Abstimmung unter Bewohnern des Barnim-Kiezes auf dem letzten Platz landete. Das hatte indes keinerlei Einfluß auf die Vergabe des Auftrags.

Die Verwirklichung des Vorhabens nahm sieben Jahre in Anspruch, zweieinhalb davon dauerte allein die Projektentwicklung. An ihr beteiligten sich außer Mayer auch Kulturwissenschaftler, Sozialpsychologen und Autoren. Der "Hörweg" entstand in Zusammenarbeit mit dem Friedrichshain-Kreuzberg-Museum und dem Paul-Singer-Verein.

Jana Borkamp, Bezirksstadträtin und Leiterin der Abteilung Finanzen, Facilitymanagement, Kultur und Weiterbildung, begrüßte die Teilnehmer der Eröffnungsveranstaltung. Auf ihr sprachen Martina Michels (Linkspartei), Mitglied des Europäischen Parlaments, Dr. Susanne Kitschun (Paul-Singer-Verein), stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Dr. Andreas Köhler (Vorsitzender des Paul-Singer-Vereins) sowie Claudia von Gélieu, Politikwissenschaftlerin und Autorin des sehr sachlichen Buches "Barnimstraße 10. Das Berliner Frauengefängnis 1868 bis 1974".

Als Christoph Mayer sein Projekt vorstellte, kamen weitere Personen zu Wort: Prof. Dr. Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, sprach über ihre Urgroßmutter Pauline Staegemann, eine verdiente Sozialdemokratin, die 1879 im Frauengefängnis einsaß, und Dr. Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN, der in der Barnimstraße geboren wurde. Seine Mutter war zunächst dort inhaftiert und wurde dann in Plötzensee hingerichtet. Auch eine einstige DDR-Bürgerin, die wegen versuchter Republikflucht einsaß, und eine andere, die sich mit der DDR verbunden fühlte, sprachen miteinander.

Da auch die Jahre von 1949 bis 1974 darzustellen waren, mußte befürchtet werden, daß mit dem "Hörweg" die DDR ein weiteres Mal diskreditiert werden sollte. Nach der Eröffnungsveranstaltung gewann man den Eindruck, daß eine halbwegs seriöse Sache entstanden sein könnte.

Was aber geschieht an Ort und Stelle? Die Besucher bekommen am Eingang Kopfhörer, die sie 90 Minuten lang an verschiedene Orte geleiten. Auf jegliche Informationstafeln oder Lagepläne wurde verzichtet.

Die Begehung des "Hörwegs" übertraf die schlimmsten Befürchtungen. Sieht man von wenigen historischen Kommentaren ab, dann wird die Geschichte jeweils einer Gefangenen aus deren Sicht erzählt. Die Beispiele sollen angeblich auf Originaläußerungen beruhen. Gesprochen werden sie von Schauspielern wie Margarita Broich, der neuen Kommissarin im Frankfurter "Tatort".

Eine Ausnahme bilden die DDR-Jahrzehnte. Man erfährt überhaupt nicht, um wen es geht und wovon die Rede ist. Nur zweimal fällt der Name Rosa Luxemburg - einmal durch die DDR-Bürgerin, die wegen versuchter Republikflucht in der Barnimstraße einsaß und sich an deren ausgestaltete einstige Zelle erinnerte. Dann gibt es noch ein fiktives Gespräch zwischen einer Prostituierten und Rosa Luxemburg. Sonst bleibt alles anonym. Eine Antifaschistin, die dreieinhalb Jahre in der Barnimstraße inhaftiert war, dann emigrierte und 1947 zurückkehrte, kommt ohne Namensnennung zu Wort. Daß in diesem Gefängnis mehr als 300 Widerstandskämpferinnen gefangengehalten wurden, wobei einige von ihnen auf ihre Hinrichtung warteten, erfährt der Hörer nicht. Auch über politische Gefangene aus der Zeit vor 1933 war nichts zu vernehmen.

Das Ganze begann mit den Erinnerungen der wegen versuchter Republikflucht inhaftierten DDR-Bürgerin, der rund 30 von insgesamt etwa 90 Minuten zugebilligt wurden.

Mit anderen Worten: Es handelt sich bei diesem "Hörweg" wohl eher um einen Holzweg. Man stellt sich beim Verunglimpfen der DDR aber so ungeschickt an, daß sich der Erfolg vermutlich in Grenzen halten dürfte.

Nicht unerhebliche finanzielle Mittel wurden so in den Sand gesetzt. Über die Geschichte des Frauengefängnisses erfährt man so gut wie nichts. Der einzige Vorteil besteht wohl darin, daß das seriöse Buch Claudia von Gélieus auch dort angeboten wird. Die Rosa-Luxemburg-Stele neben dem Eingang, vor allem aber die sie umgebende kleine Grünanlage werden nach wie vor bewußt vernachlässigt.

Dr. Kurt Laser

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Deutsche Medien in Springer-Stiefeln ...

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Auf der Suche nach einem Ausweg

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Der große VW-Betrug - Wer zahlt die Zeche?

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Bildserie von Herluf Bidstrup:
Chancengleichheit im Kapitalismus

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Engels, Bebel und Lenin - Vorkämpfer der Ökologie

August Bebels "Die Frau und der Sozialismus" - das Buch kam 1879 heraus -gehört ohne Zweifel zu den Klassikern der sozialistischen Literatur. Es erreichte bis 1910 fünfzig Auflagen. Kein anderes sozialistisches Werk wurde von Arbeitern und Arbeiterinnen häufiger ausgeliehen. Schon bald eine Art Handbuch des Sozialismus, beeinflußte es das Denken ganzer Generationen. Bebel entwickelt und beantwortet darin - von seinem Kernthema ausgehend - einen Komplex hochwichtiger Fragen der Arbeiterbewegung. Eine davon lautet: Wie wird in einer "sozialistischen Gemeinwirtschaft" und wie in einer "bürgerlichen Individualwirtschaft" mit der Umwelt verfahren?

Friedrich Engels verwies 1893 in seiner Schrift "Kann Europa abrüsten?" auf die verheerenden Folgen der Entwaldung Rußlands durch Holzexport und den Bau des Eisenbahnnetzes. Diese zog die Landwirtschaft arg in Mitleidenschaft. Immer mehr konnten die aus Zentralasien herüberwehenden staubhaltigen Trockenwinde den Schnee von agrarischen Nutzflächen wegfegen. Das Tauwasser und durch die Verstaubung auch das Regenwasser wurden zum Frühling hin nicht mehr aufgesogen, Bäche und Ströme schwollen dagegen zu Überschwemmungen an. Im Sommer aber sank die Bodenfeuchtigkeit, so daß sie für die Wurzeln der Getreidehalme unerreichbar wurde. Hungersnöte in weiten Gebieten waren die Folge. Erinnert sei nur an 1891, als der Viehbestand der Bauern rapide abnahm. Auch Bebel hob in "Die Frau und der Sozialismus" den Einfluß des Waldes auf die Feuchtigkeitsentwicklung der Region hervor. In "Das hungernde Rußland" stellten Parvus und Dr. Lehmann fest, daß die Mißernten ganz wesentlich mit den maßlosen Waldrodungen zusammenhingen. So verschwanden im Regierungsbezirk Stawropol mit der Zeit fünf kleine Flüsse und sechs Seen, im Regierungsbezirk Busuluk vier Flüßchen und vier Seen und im Regierungsbezirk Samara sechs kleine Flüsse. Dörfer verloren ihren Zugang zu fließendem Wasser, und in manchen Regionen hatte man erst nach 60 Metern Bohrung Erfolg. So wurde der Ackerboden hart und rissig. Mit dem Fällen ganzer Wälder versiegten allmählich die Quellen und verminderte sich die Zahl der Regentage.

Wie später Lenin sah auch Bebel in der Elektrizität die entscheidende Produktivkraft des Sozialismus. Für ihn ist sie die gewaltigste aller Naturkräfte, die eine revolutionierende Wirkung auch bei der Sprengung der bürgerlichen Gesellschaft ausüben wird. Durch sie würden die Schornsteine aus dem sozialistischen Stadtbild verschwinden, nachdem Sonne und Wasser die Kohle als Energieträger verdrängt hätten. Prof. Rehbock aus Karlsruhe hatte die Rohenergie des auf der ganzen Erdoberfläche abfließenden Wassers auf acht Milliarden Pferdestärken geschätzt. "Unsere Wasserläufe, Ebbe und Flut des Meeres, der Wind, das Sonnenlicht liefern ungezählte Pferdestärken, sobald wir erst ihre volle und zweckmäßige Ausnützung verstehen", sagte Bebel voraus. Das aber könne erst im Sozialismus der Fall sein.

Bebel, der am 13. August vor 102 Jahren starb, aktualisierte sein Buch bis 1913 ständig und bezog sich in seinen Forschungen zur Umwelt und deren Darstellung auch auf Werke der bürgerlichen Wissenschaft, wie das 1900 erschienene Buch des Berliner Professors Kohlrausch: "Die Energie der Arbeit und die Anwendung des elektrischen Stromes", in dem der Gelehrte auf die Bedeutung der Sonnenenergie für die Wirtschaft aufmerksam gemacht hatte. Er pflichtet Kohlrausch bei, daß einige Quadratmeilen mit Kollektoren in Nordafrika ausreichen würden, den Energiebedarf des Deutschen Reiches zu decken. Bebel zitiert überdies den englischen Physiker Thomson: "Nicht allzu fern ist der Tag, da die Ausnutzung der Sonnenstrahlen unser Leben revolutionieren wird. Von der Abhängigkeit von Kohle und Wasserkraft befreit sich der Mensch, und alle großen Städte werden umringt sein von gewaltigen Apparaten, regelrechten Sonnenstrahlenfallen, in denen die Wärme aufgefangen und die gewonnene Energie in mächtigen Reservoirs gespeichert wird ...".

Mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Bebel die Forschungsergebnisse des französischen Professors Berthelot, der außer dem Hinweis auf Sonnenwärme auch noch die Hitze des Erdinneren als Energieträger betonte. Man sei bereits technisch dazu in der Lage, einen Schacht bis auf 4000 Meter Tiefe zu bohren, so daß man gleichbleibende Energievorräte für Jahrhunderte hätte. So sei eine Zukunft in Aussicht gestellt, in der die Erde ein Garten sein wird, "in dem man nach Belieben Gras und Blumen, Busch und Wald wachsen lassen" könne ...

Ich muß bei der Wiedergabe der professoralen Gedanken, denen Bebel weitgehend beipflichtete, bemerken, daß sie zunächst nur in technischer Hinsicht zu verstehen waren. Um die Jahrhundertwende bildeten sich dann in Deutschland kleinbürgerliche Vereine heraus, die Konzepte von Gartenstädten entwickelten. Ohnehin gab es eine Flut utopischer Literatur, die sich um ein "naturgemäßes Leben" in der Zukunft drehte. Der Autor Gerd Spelsberg wies 1988 auf Bellamys Roman "Im Jahr 2000" (einen fiktiven Rückblick aus einem kommunistisch gewordenen Boston) hin, der sowohl in den USA als auch in Deutschland in hohen Auflagen, u. a. bei Reclam, herauskam. 1902 wurde die "Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft" auf genossenschaftlicher Grundlage ins Leben gerufen. Sie betonte "deutlich die völkische Entwicklungslinie". 1896 hatten der antisemitische Ingenieur Theodor Fritsch (Die Stadt der Zukunft) und 1897 der Engländer Ebenezer Howard (Garden Cities of Tomorrow) bereits entsprechende Konzepte entworfen. Allen Utopisten war die Verherrlichung der Elektrizität als eine Art Allheilmittel gemein. Durch Lenins Aussage, der Kommunismus sei Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes, entstand zwar eine griffige Parole, die aber im innersten Kern noch nicht den Kommunismus verbürgen kann. Um den entscheidenden Schritt zur Abgrenzung von kleinbürgerlichen und technizistischen Gartenstadtkonzepten zu vollziehen, müssen wir fragen, was denn für Lenin zu seinen Lebzeiten das sichtbarste Anzeichen des Kommunismus gewesen ist. Es waren die als kommunistische Subbotniks bezeichneten freiwilligen Arbeitseinsätze, die er in seiner Schrift "Die große Initiative" als den "faktischen Beginn des Kommunismus" bezeichnete. Kollektives Arbeiten mit Gattungsbewußtsein ohne Bezahlung. So etwas aber war in den kleinbürgerlichen Gartenstadtkonzepten nicht vorgesehen.

Heinz Ahlreip, Hannover

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Ohne Moskau und Peking läßt sich kein Weltproblem lösen!

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Das Vietnam Hô Chi Minhs lebt in uns fort
Zu einem eindrucksvollen Buch des Indochina-Experten Gerhard Feldbauer

Der namhafte Publizist und Gegenwartshistoriker Dr. Gerhard Feldbauer - er war zu DDR-Zeiten u. a. als Auslandskorrespondent des ADN und des ND in Hanoi und Rom tätig - gilt als intimer Kenner der politischen Szene beider Länder. Jetzt hat er ein bei Frank Flegel (Hannover) verlegtes neues Buch präsentiert. Sein Titel lautet: "Die Augustrevolution 1945 in Vietnam". Die Schrift beeindruckt ebenso durch die Fülle und Dichte der durch den Autor erschlossenen geschichtlichen Fakten wie durch deren seriöse marxistisch-leninistische Wertung. Feldbauer zeichnet den schweren und siegreichen Kampfesweg des vietnamesischen Volkes und seiner bewaffneten Kräfte bis zur Kapitulation der US-Aggressoren und ihrer Saigoner Marionetten am 30. April 1975 detailgetreu nach. Er füllt selbst bei mit der Materie etwas vertrauteren Lesern etliche Wissenslücken.

Als Nachfolger der im Frühjahr 1954 endgültig geschlagenen französischen Kolonialarmee hatte das Pentagon Vietnam seit 1955 mit einem barbarischen Vernichtungskrieg überzogen, der ungezählte Menschenleben forderte.

Besonders bewegend ist die Schilderung der überragenden Persönlichkeit Hô Chi Minhs. Er, der nach Feldbauers Worten "absolutes Vertrauen in Lenin und die 3. Internationale setzte", war 1920 als Teilnehmer des legendären Parteitags der französischen Sozialisten in Tours einer der Mitbegründer der jahrzehntelang ruhmreichen FKP. "Hô Chi Minh war vor allem Leninist, aber das von echtem Schrot und Korn. Er entwickelte schöpferisch eine nationale Strategie, war ein Mann der revolutionären Praxis, der die Theorie beherrscht, ein Führer und Kämpfer, der die Aufmerksamkeit der Massen nicht auf seine Person bezog, sondern auf die Partei lenkte", urteilt Gerhard Feldbauer.

Unter diesen Kriterien baute Onkel Hô, wie ihn sein Volk später nannte, zielstrebig die kommunistische Bewegung in Vietnam auf. Entscheidenden Anteil hatte daran seine 1926 erschienene Schrift "Der revolutionäre Weg", in der er den Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital unter den Bedingungen eines kolonial geknechteten Landes herausarbeitete, dessen Lösung nur auf revolutionärem Wege möglich sei.

Im Januar/Februar 1930 konstituierte sich die KP Vietnams. In den 30er Jahren kam es im Ergebnis von Aufständen und Massenkämpfen in den beiden Zentralprovinzen (Nghe Tinh) zur Bildung von Sowjets, deren Selbstverteidigungskräften mindestens 30.000 bewaffnete Kämpfer angehörten. Diese von der französischen Kolonialsoldateska mit blutigem Terror niedergeschlagene revolutionäre Massenbewegung - sie vermochte sich acht Monate lang zu verteidigen - war der Vorbote für die Augustrevolution.

Am 16. August 1945 trat ein von der 1941 gegründeten Befreiungsfront Viet Minh einberufener nationaler Kongreß zusammen. Am 2. September verkündete Hô Chi Minh in Hanoi vor einer halben Million Menschen die Gründung der Demokratischen Republik Vietnam. Bei den erstmals abgehaltenen Wahlen zu einer Nationalversammlung, die im Januar 1946 stattfanden, entfielen 230 der 300 Parlamentssitze auf die Viet Minh. Am 2. März wurde Hô Chi Minh zum Präsidenten der DRV gewählt. Doch die junge Freiheit währte nicht lange.

Im November/Dezember 1946 begann Frankreich seinen blutigen Kolonialkrieg gegen das vietnamesische Volk. Hanoi verteidigte sich bis zum 17. Februar 1947 - 61 Tage lang -, dann fiel es vorübergehend wieder in die Hände der alten Unterdrücker. Zwei Jahre später stellte Paris den von der Augustrevolution gestürzten Kaiser Bao Dai an die Spitze eines Marionettenregimes. Doch im Mai 1954 hißte das französische Kolonialkorps über seiner für uneinnehmbar erklärten Festung Diên Biên Phu die weiße Flagge der Kapitulation.

Offenbar auf Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten und damit verbundene Befürchtungen mancher eingehend, schrieb Feldbauer: Besorgte Freunde Vietnams wollten wissen, ob die KPV diesen Prozeß unter Kontrolle habe und die sozialistische Perspektive gewährleistet sei. Der Bemerkung, diese Partei halte in ihren Dokumenten unverändert am Ziel einer sozialistischen Gesellschaft fest, fügte der renommierte Vietnamkenner hinzu, die Frage gehe "an der Realität des Geschichtsprozesses vorbei. Es kann Rückschläge, Abweichungen, Unterbrechungen oder Verzögerungen geben", liest man bei ihm.

Eine dialektische Antwort, will mir scheinen.

Klaus Steiniger


Gerhard Feldbauer:
Die Augustrevolution 1945 in Vietnam.
Verlag "offen-siv", Hannover 2015,
184 S., 14 €, ISBN 978-3-00-050226-2

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Der Weltfriedensrat hat die Zeiten überdauert

Der Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts gegründete und gleich mit zwei bedeutenden Kongressen in Paris und Warschau hervorgetretene Weltfriedensrat spielte unter Führung so bedeutender Persönlichkeiten wie der Professoren Frederic Joliot-Curie (Frankreich) und John Bernal (Großbritannien) sowie des Inders Romesh Chandra jahrzehntelang eine führende Rolle in der internationalen Bewegung gegen Kriege und Kriegsgefahren. Sein Büro befand sich in der finnischen Hauptstadt Helsinki, als durch den sich abzeichnenden Untergang der Sowjetunion und den Sieg der Konterrevolution in mit ihr verbundenen sozialistischen Staaten Europas und Asiens ein wichtiger Unterstützungspfeiler wegbrach. Während das Büro des WFR nach Athen verlegt werden konnte, unternahmen zunächst vor allem die Friedensbewegungen Frankreichs, Portugals und Griechenlands große Anstrengungen, die traditionsreiche Institution am Leben zu erhalten. Später spielten dann gleichgesinnte Kräfte lateinamerikanischer Länder eine maßgebliche Rolle bei der weiteren Stabilisierung der Bewegung.

In einer Selbstdarstellung (www.wpc-in.org) bezeichnet sich der WFR als antiimperialistische, demokratische und unabhängige internationale Bewegung. Er ist im Lager der Weltfriedenskräfte fest verankert und handelt in Zusammenarbeit mit anderen nationalen und internationalen Organisationen. Der WFR ist die größte globale Friedensstruktur und stützt sich auf eine organisierte Anhängerschaft in mehr als 100 Ländern.

RF

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Unsere politische Heimat bewahren - den "RotFuchs" erhalten!

Liebe Leserinnen und Leser des RF! Es ist wieder soweit, daß wir - wie immer im Monat vor Weihnachten - an Eure Türen klopfen müssen, weil das Geld in unserer Kasse nicht mehr so klingelt, wie das dank Eurer solidarischen Unterstützung in den vorausgegangenen drei Quartalen der Fall war.

"Seit langem beziehe ich den 'RotFuchs' und bin ganz stolz darauf, daß es Euch gibt", schrieb Gerhard Kmoch aus Aachen an die Redaktion. Wir haben ihm, wie Tausenden und aber Tausenden zuvor in unseren Leserbriefspalten das Wort erteilt.

Zur Sache: Ihr wißt ja, daß wir keine Mäzene besitzen und - allen wirklich Linken offenstehend - auch bei keiner Partei angebunden sind. Doch wir müssen Monat für Monat etwa 15.000 Euro - ganz überwiegend für Druck und Versand - auf den Tisch legen. Einen solchen Betrag regelmäßig aufzubringen, ist ein wahres Husarenstück! Euer Husarenstück, liebe Leser!

Warum aber findet der "RotFuchs" - nun schon seit Jahren die auflagenstärkste marxistische Monatsschrift in deutscher Sprache - einen solchen Widerhall? Wie ist es zu erklären, daß sich dieses ebenso prinzipienfeste wie unsektiererische Blatt immer neue Leserschichten zu erschließen vermag? Bekanntlich kommt zu Zehntausenden Beziehern und Mitlesern der Printausgabe auch noch jene Riesenschar, die uns im Internet begegnet. Seit Oktober wird dieser Teil der Leser die komplette Neugestaltung der Homepage wahrgenommen haben.

Unter den am RF unmittelbar Beteiligten - von den Autoren, den Grafikern und der Redaktion über die in Gestaltung und Vertrieb Mitwirkenden bis zu den Kampfgefährten in über 30 RF-Regionalgruppen - befinden sich Ältere und Alte, Jüngere und Junge. Sie sind Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch, Arbeiter und Angestellte, Schüler und Studenten, christliche Weggefährten und Freunde aus früheren DDR-Blockparteien, aber auch linke Sozialdemokraten wie der unablässig um die Erweiterung seines gesellschaftspolitischen Wissens ringende niederbayerische Gewerkschafter Johann Weber. Unter unseren Lesern fehlt es auch nicht an fair gesonnenen Andersdenkenden, denen unser Respekt gehört.

Wir wissen, daß wohl die meisten unserer Stammleser, darunter ungezählte Genossinnen und Genossen aus der Partei Die Linke, dem RF in stürmischen und schweren Tagen deshalb treu geblieben sind, weil sie ihn als ihre anderswo inzwischen oft genug vermißte politische Heimat betrachten. Auch nicht wenige Leser im Westen wie im Ausland teilen diese Meinung.

Doch ohne Umschweife oder taktisches Hakenschlagen sei im Klartext gesagt: Unser RF muß mit Engagement und Klugheit, aber auch mit Klauen und Zähnen verteidigt werden. Dazu gehören die notwendigen finanziellen Voraussetzungen, wobei wir nicht zu Hilfsappellen nach dem Motto "Wir brauchen Geld!" neigen. Unsere Karten liegen offen auf dem Tisch. Wenn wir auch das 19. Jahr des Erscheinens unserer gemeinsamen Zeitschrift überstehen wollen - und das möchten wir -, dann bedarf der RF mehr denn je auch Eurer materiellen Solidarität.

Mit Kummer verzeichnen wir die Tatsache, daß sich die Reihen unserer kampferprobten Genossen in letzter Zeit weiter gelichtet haben. Viele von ihnen mußten sich aus Alters- und Krankheitsgründen zurückziehen, andere hat der Tod ereilt. Wir vermissen sie alle schmerzlich. Jene, welche das können, müssen jetzt für sie einspringen, nicht zuletzt auch die Leser der Internet-Ausgabe, für die eine freiwillige Spende oftmals bereits eine Sache der Ehre ist.

Liebe Freunde und Weggefährten! Damit unser aller "RotFuchs" auch weiter zum Verdruß der Gegner und zur Freude der auf unserer Seite Kämpfenden durch das Revier schnüren kann und Eure politische Heimat bewahrt bleibt, laßt uns auch fortan bitte nicht im Regen stehen.

Klaus Steiniger

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Ein britisches Brüderchen?

Die in London lebende schottische Journalistin Pat Turnbull verbindet eine seit vielen Jahren bestehende Freundschaft mit dem RF. Schon in seiner frühen Phase lud sie im Namen einer damals in Großbritannien erscheinenden linken Publikation einen Abgesandten von uns zur Teilnahme an einer ihrer Beratungen an der Themse ein. Dr. Hartwig Strohschein vertrat uns damals auf dieser Konferenz. Etliche Jahre später stattete Genossin Pat der RF-Redaktion in Berlin-Karlshorst einen Gegenbesuch ab. Bei dieser Gelegenheit wurde natürlich viel über den "RotFuchs" gesprochen, zu deren ersten Beziehern sie gehörte. Immerhin beherrscht Pat, die in der BRD lebte und dort der SDAJ angehörte, unsere Sprache hervorragend. So hat sie bereits etliche RF-Artikel für den "Socialist Correspondent" übersetzt, zuletzt einen Beitrag Dr. Klaus Schwuracks über das Dresdner Inferno im Februar 1945. Seit einigen Jahren erreicht uns - im Austausch mit dem RF - regelmäßig diese hervorragend gestaltete, auf Glanzpapier und im Farbdruck produzierte, eindrucksvoll redigierte und inhaltlich wertvolle politische Zeitschrift aus Großbritannien.

Bei seinen Wanderungen durch Europa war unser "RotFuchs" viele Jahre recht einsam gewesen. Doch betrachtet man den "Socialist Correspondent", dann bricht Freude aus. Das Gefühl des Alleinseins, das auch viele unserer Leser aus ehemals sozialistischen Ländern in Briefen an die Redaktion oder am Telefon mit Blick auf fehlende Publikationen dort beklagen, schwindet für uns dahin. Der "RotFuchs" besitzt in London und Glasgow einen Bruder im Geiste und in der Art des Vermittelns unserer gemeinsamen marxistischen Weltanschauung.

Danke, Pat, thank you comrades!

Hinzugefügt werden muß: Der RF hat aus "Solidaire" - zuvor ein aufschlußreiches Wochenblatt, das seit dem Erscheinen der gleichnamigen Monatszeitschrift der Partei der Arbeit Belgiens (PTB/PvdA) seine täglichen Informationen über das Internet verbreitet, bis heute großen Nutzen gezogen. Auch unsere Freunde in Brüssel und Antwerpen sind, was nicht verschwiegen werden soll, dem "RotFuchs" verbunden und artverwandt.

K. S.

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Die Wagners von Petrovice
Ein Bunkersystem der CSR sollte auch das Sudetengebiet vor Hitlers Einfall schützen

Aus dem Infanteriebunker beim Schmied von Petrovice (Petersdorf) hinter dem Hochwald im Lausitzer Gebirge ist nie ein Schuß gefallen. Dennoch verliefen die Schicksalsjahre 1938/39 für das kleine Land im Herzen Europas alles andere als friedlich. Zuerst erfolgte - sanktioniert durch das Münchner Abkommen - die Heraustrennung des Sudetengebietes, kurz darauf marschierte die faschistische Wehrmacht auch in alle anderen Landesteile ein. Hitlers Deutsches Reich machte daraus zwei Vasallen: Einen davon bezeichneten die Faschisten als Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, den anderen erklärten sie zum scheinselbständigen Staat Slowakei, der von ihren dortigen Gesinnungsgenossen verwaltet wurde. Fast idyllisch gelegen, von sieben stattlichen Birken umgeben, versteckt sich heute in unmittelbarer Nähe der einstigen Schmiede von Petrovice einer der vielen tschechischen Betonbunker, die das Land vor einem nazideutschen Überfall schützen oder dem Aggressor wenigstens so lange Verluste beibringen sollten, bis der Bündnispakt mit Frankreich und Großbritannien wirksam geworden wäre. Doch es kam bekanntlich ganz anders. So auch im damaligen Petersdorf.

Großvater Adolf Richard Wagner, ein Deutscher, hatte Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts einen Teil seines Grundstücks verkauft. Auf dem Rest der Fläche waren vom Bunkerbau erhebliche Schäden zurückgeblieben. So machte Wagner seinem Ärger in einer Eingabe an die Behörden Luft und verlangte eine Entschädigung von 5000 tschechischen Kronen, was etwa 1670 Reichsmark entsprach. Eine Kopie dieses Dokuments befindet sich noch heute im Besitz des Enkels Jan Wagner, allerdings kein Zahlungsbeleg. Der ersten Tschechoslowakischen Republik blieb ja auch gar keine Zeit mehr, um jemanden zu entschädigen, wurde sie doch schon Anfang 1939 gänzlich zerschlagen. Die Bunker aber sind fast alle erhalten geblieben und legen von dem enormen Kraft- und Geldaufwand Zeugnis ab, den das westslawische Land damals auch in seinen deutschsprachigen Gebieten zum eigenen Schutz betrieb.

Der Bunker in Hausnähe diente dem deutschen Schmiedemeister Alfred Feix als Vorratskeller. Bald machte sich aber ein beim Bau begangener Fehler bemerkbar. Regenwasser sickerte durch die Decke. Deshalb stieß seine friedliche Nachnutzung an Grenzen. Es bildeten sich Stalagtiten wie in einer Tropfsteinhöhle, am Bunkerboden sammelte sich Wasser, was das Bauwerk unbrauchbar machte.

In dem Gebirgsdorf und um dieses war von der CSR ein Verteidigungssystem errichtet worden, erwartete man doch entlang der schnurgeraden Gablerstraße von Zittau her einen Vorstoß der deutschen Faschisten. Deshalb befindet sich auf freiem Feld knapp 200 Meter vom Anwesen entfernt schon der nächste Bunker. Hier kam es zu einer Nutzung, jedoch erst später und unter sehr speziellen Bedingungen. In die von den Umsiedlungsmaßnahmen betroffenen Dörfer wurden nach Kriegsende tschechische Grenzer verlegt. Später trafen auch Familien aus dem Landesinnern ein.

Mit der seltenen, mehr oder weniger friedlichen Nutzung der Bunker sind erzählenswerte Schicksale verbunden. Noch heute schmerzen Wunden von damals und tun sich bisweilen Klüfte auf, die des Krieges Hader schuf. Der Großvater von Jan Wagner hatte es 1938 abgelehnt, Reichsdeutscher zu werden, obwohl seine Vorfahren seit dem 30jährigen Krieg hier gelebt hatten. Allein diese Tatsache wirkte polarisierend. Der Käufer des Teilgrundstücks Alfred Feix entwickelte sich nämlich zu einem strammen Parteigänger der fünften Kolonne Hitlers, der Henlein-Leute. So oder ähnlich verhielten sich die meisten Sudetendeutschen.

Als sich dann im September 1938 die Möglichkeit einer militärischen Konfrontation abzeichnete, zog es Feix vor, mit seiner Familie über die Grenze nach Zittau zu türmen. Nicht grundlos fürchtete er Vergeltung für sein antitschechisches Verhalten. Die Verteidigungsbunker in der Nähe mögen ihn zusätzlich dazu bewogen haben, hätten sie doch gewiß das Feuer der Hitlerwehrmacht auf sich gelenkt. Nachdem aber alles dort harmlos verlaufen war, kehrte seine Familie zurück und wohnte dort bis Kriegsende.

Die Wagner-Großeltern und der verheiratete Sohn Adolf wie dessen Frau waren statt dessen im Haus geblieben. Adolf wollte den ertragsarmen Kleinbauernhof aber nicht übernehmen und suchte sich anderswo Arbeit. Dort wurde er im Laufe der Zeit ein sudetendeutscher Sozialdemokrat und Hitlergegner.

Die Spannung in den beiden nahe beieinander liegenden Häusern war alsbald mit Händen zu greifen. Zwei Tage nach dem faschistischen Heim-ins-Reich-Holen des Sudetenlandes nahm man Adolf fest und steckte ihn in ein KZ mit dem Aktenvermerk "Rückkehr unerwünscht". Das kam einem Todesurteil nahezu gleich. So begann sein fünfjähriger Leidensweg. Er dauerte bis Ende 1943, als die Menschenverluste an der Ostfront unbeschreibliche Ausmaße annahmen. Jetzt bekam auch der "minderwertigere Teil des Volkskörpers" eine Chance, sich an der Front zu bewähren. Eine lebensgefährliche Erkrankung ersparte Adolf Wagner jedoch den Einsatz in vorderster Linie. Da man mit seinem baldigen Ableben rechnete, sprach man ihm in Dresden eine Invaliditätsrente von monatlich 10 Reichsmark zu. Schließlich überlebte er dank der Bemühungen eines Zittauer Arztes, kehrte 1945 nach Petrovice zurück und konnte endlich eine Familie gründen.

In den letzten Kriegstagen war es im Dorf zu einem Ereignis gekommen, das sich für die Bewohner des Bunker-Grundstückes günstig auswirkte. Es muß wohl am 7. oder 8. Mai gewesen sein, daß zwei junge Frauen in Sträflingskleidung an die Tür der Wagners klopften. Die Mutter ließ beide herein und versorgte sie mit Essen und Trinken. Helena war Polin, Ruth eine ungarische Jüdin. Kein anderer Dorfbewohner hatte ihnen auch nur die Tür geöffnet, geschweige denn geholfen. Ihre christliche Grundhaltung, die auch heute im Hause Wagner vorherrscht, hatte die Mutter ihre damals keineswegs leichte Entscheidung treffen lassen.

Nachdem die beiden jungen Frauen etwas gestärkt weitergezogen waren, tauchten erste Rotarmisten auf und erkundigten sich nach den Wagners. Ein Offizier, dem man das Anwesen gezeigt hatte, schrieb mit kyrillischen Lettern an die Haustür: "Hier leben hilfsbereite Menschen." Sämtliche später den Ort passierende oder dort kampierende sowjetische und polnische Soldaten respektierten diesen Satz. Niemand krümmte der großen Familie Wagner auch nur ein Haar.

Einige Monate nach dieser Episode begann die durch das Potsdamer Abkommen der vier Alliierten der Antihitlerkoalition sanktionierte Aussiedlung fast aller Deutschen, die damals in der CSR lebten. In Petrovice rückten auf Jahre Grenzer ein. 1970 konnte das gesamte Grundstück der Wagners vom sozialistischen tschechoslowakischen Staat günstig erworben werden. Das war in bezug auf dort lebende Deutsche sicher eine Ausnahme, welche wohl die geschilderten Gründe hatte.

Dipl.-Ing. Arndt Bretschneider, Zittau

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RF-Extra
Niemandsland Schwarzenberg - die unbesetzte Zone
Wie deutsche Antifaschisten am 11. Mai 1945 die örtliche Macht übernahmen

Über den Rundfunk wurde die bedingungslose Kapitulation der deutschen Faschisten bekanntgegeben. Doch es zeigten sich bei uns keine Soldaten der Siegermächte. Allein auf dem Territorium der Amtshauptmannschaft Schwarzenberg fehlte es an Besatzungstruppen. Die noch immer illegalen Zusammenkünfte antifaschistischer Kräfte, die sich zu Zeiten des auf ein Jahrtausend ausgelegten, aber nur 12 Jahre währenden 3. Reiches regelmäßig in den Wäldern um das Bauerndorf Bermsgrün getroffen hatten, beschäftigten sich nun mit Vorbereitungen zur raschen Auflösung und Amtsenthebung der örtlichen braunen Machtriegen. Die Männer und Frauen des Widerstandes waren sich darin einig, selbst Hand anzulegen, sollte von außen keine Befreiung erfolgen. Ihre Treffen waren allerdings nach wie vor nicht ungefährlich: In der Umgebung von Bermsgrün und Schwarzenberg hatten sich nun führungslose Angehörige der Hitlerwehrmacht, versprengte SS-Einheiten und Gruppen des zu Terrorzwecken formierten "Werwolfs" festgesetzt. Raubzüge und Plünderungen in Ortschaften der Umgebung waren an der Tagesordnung. Hinzu kam, daß die 9. Armee unter Generalfeldmarschall Schörner ihren Hauptgefechtsstand ausgerechnet in die Erzgebirgswälder zwischen Schwarzenberg und Sosa verlegt hatte. Schwarzenbergs Ratskeller wurde eilends in eine Wehrmachtskommandantur der Heeresgruppe Mitte umgewandelt. Der Nazi-Bürgermeister Rietzsch und Hitlers "Feldherr" Schörner richteten sie ein. Das geschah allerdings nicht aus rein militärischen Erwägungen. Beide wollten vom Erzgebirge über die Tschechoslowakei in den Bereich der westalliierten Truppen gelangen. Den gut getarnten Treff der Antifaschisten am Davidfelsen kannte indes außer den Eingeweihten niemand. So waren sie während ihrer Zusammenkünfte verhältnismäßig sicher.

In den Abendstunden des 11. Mai 1945 betraten die Nazigegner gemeinsam das Schwarzenberger Rathaus, setzten sich dort fest und übernahmen so die lokale Macht. Treue Mitkämpfer aus der einheimischen Arbeiterschaft, welche die Genossen zu deren Schutz und Unterstützung begleiteten, wurden an Ort und Stelle bewaffnet. Der Nazibonze Rietzsch hatte nämlich im Rathaus Waffen gehortet, um den Volkssturm der letzten Stunde damit auszurüsten. Doch dieser Coup der Faschisten zum weiteren Machterhalt wurde durchkreuzt. Am 12. Mai jagte man Rietzsch aus dem Amt. Er wurde nicht verhaftet, sondern in Hausarrest entlassen.

Es war bereits tiefe Nacht, als sich der Antifaschistische Aktionsausschuß konstituierte. Willy Irmisch (KPD) wurde als kommissarischer 1. Bürgermeister der Stadt eingesetzt. Willy Krause (KPD) übertrug man die Funktion seines Stellvertreters, während Hermann Schlemmer (SPD) die Aufgabe erhielt, eine von faschistischen Elementen freie Schutzpolizei aufzubauen. Helene Papst, später verehelichte Scheffler (KPD) war für Ernährungsfragen zuständig, Paul Korb (KPD) wurde zum Leiter der städtischen Polizei berufen, und Georg Schieck (SPD) gehörte dem Aktionsausschuß als Mitglied für besondere Aufgaben an. Überdies gab es trotz der widrigen Umstände eine Reihe von Bürgern, die sich spontan zur Mitarbeit bereiterklärten. Kurt Löffler übernahm die Verantwortung dafür, den Betrieb des Hauptpostamtes aufrechtzuerhalten, Emil May kümmerte sich um das Elektrizitätswerk, Fritz Blechschmidt um die Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs, und Herr Dr. Freudewald widmete sich Fragen der Krankenversorgung und Medikamentenbeschaffung.

Der Aktionsausschuß beriet zunächst über den tatsächlichen Zustand der Stadt und die katastrophale Lage auf allen Gebieten der Daseinsvorsorge für die Bürger. Erschreckendes bot sich den Aktivisten der ersten Stunde, die ganz überwiegend aus dem einfachen Volk kamen, aber willens waren, ihre Kräfte nahezu überfordernde Aufgaben in Angriff zu nehmen. Was stand da nicht alles im Raum? Zunächst befaßten sich die Mitglieder des Aktionsausschusses damit, einen Katalog der wichtigsten und vordringlichsten Schritte zu erarbeiten. Und das alles ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt!

Vor allem ging es der tapferen Schar um die Entfernung aller Nazis aus leitenden Positionen und die Besetzung dieser Stellen mit Antifaschisten.

Nicht minder wichtig war die Organisierung der Lebensmittelversorgung im Rahmen des Möglichen und die Wiederaufnahme der Produktion. Die Beschaffung von Nahrungsgütern, deren Vorräte rapide zur Neige gingen, mußte in landwirtschaftlichen Gebieten der Umgebung versucht werden. Dazu waren Tauschobjekte vonnöten, die nur produzierende Betriebe zur Verfügung stellten konnten. Das Aufspüren illegaler Lebensmittellager und gehorteter Versorgungsartikel, die zu beschlagnahmen waren, sowie die Stabilisierung der Versorgung mit Elektroenergie und Gas, wofür notwendige Grundstoffe beschafft werden mußten, besaßen Vorrang. Hinzu kamen nicht minder wichtige Aufgaben wie die Brennstoffbelieferung der Bevölkerung, die Aufrechterhaltung des Eisenbahn- und Postverkehrs, elementarste Krankenversorgung und Medikamentenbeschaffung.

Überdies galt es, die Bevölkerung des Schwarzenberger Raumes vor den Umtrieben versprengter Wehrmachtssoldaten und SS-Angehöriger zu schützen sowie Plünderungen zu verhindern. Dazu bedurfte es des schrittweisen Aufbaus einer Arbeitermiliz.

Um die Gefahrensituation zu verringern, galt es allenthalben, verstreute Waffen aufzufinden und einzusammeln. Dabei ging es nicht nur um die Sicherheit der Schwarzenberger Bürger. Auf dem Bahnhof der Stadt kamen ständig versprengte, desertierte und wegen Auflösung ihrer Einheiten ziellos umherirrende Soldaten, aber auch viele schutzsuchende Flüchtlinge an. Alle waren verwahrlost und total ausgehungert, Schwarzenberg aber eine abgeschnittene Amtshauptmannschaft - linksseits ihres Territoriums stand die U.S. Army, rechtsseits die Rote Armee. Dazwischen gab es keinerlei Versorgung. Die Regale waren leer, die Lager ebenfalls. Den Apotheken gingen die letzten Medikamente aus, das Krankenhaus meldete Versorgungsnotstand.

Als eine schwierige, ja schier unlösbare Aufgabe gestaltete sich der Rücktransport in zahlreichen Lagern gefangengehaltener Zwangsarbeiter aus zuvor okkupierten westeuropäischen Ländern. Als besonders problematisch erwies sich auch die Heimkehr polnischer, tschechischer und vor allem sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsdeportierter, da sie ausnahmslos hungernd und körperlich heruntergekommen aus den Lagern der Betriebe strömten. Für diese hatten sie ohne jegliche Bezahlung und nur mit einem billigen Fraß abgespeist, tagein, tagaus zur Sicherung des faschistischen Nachschubs mit kriegswichtigem Material schuften müssen.

Jede helfende Hand war vonnöten, und so wurden auch Mitläufer der Nazis, die sich persönlich nichts hatten zuschulden kommen lassen, in die Arbeit einbezogen. Entsprechend ihren Kenntnissen betraute man sie mit neuen Aufgaben. Hierzu berief der 1. Bürgermeister, der Kommunist Willy Irmisch, einen ihn beratenden Ausschuß, dem 12 Schwarzenberger Bürger angehörten. Das Gremium sollte über den weiteren Einsatz nomineller NSDAP-Mitglieder entscheiden.

Der Aktionsausschuß gelangte zu dem Ergebnis, notwendigenfalls im unbesetzten Gebiet ein Schwarzenberger Notgeld einzuführen. Auch die Emission von Briefmarken wurde ins Auge gefaßt. Überdies war man sich völlig darin einig, ohne Zeitverlust mit der nächstgelegenen sowjetischen Militärkommandantur in Annaberg-Buchholz Verbindung aufzunehmen. Doch noch sechs Wochen zähester Arbeit sollten vergehen, bis Ende Juni die Rote Armee in Schwarzenberg einrückte, eine Kommandantur errichtete und so den 42 Tagen ohne jegliche Besatzung ein Ende bereitete. Zu dieser Zeit hatte der Antifaschistische Aktionsausschuß die Säuberung des Staatsapparats einschließlich des Bildungssektors bereits abgeschlossen. Doch noch immer war die Versorgungslage katastrophal. Für einen ganzen Monat hatte man die Ausgabe von 100 g Fleisch (!) aufrufen können. Kaffee-Ersatz und Marmelade kamen nur soweit vorhanden zur Verteilung, statt Kartoffeln erhielten die Familien Trockenrübenschnitzel.

Als der Aktionsausschuß die Geschäfte an die sowjetische Militärkommandantur übergab, hatte er gewaltige, ja oftmals nicht zu bewältigende und täglich neu auf ihn zukommende Aufgaben zum Wohle der Bürger der Stadt und des Umlands besonnen zu lösen vermocht. Leben und Gesundheit hintenanstellend, vollbrachte eine Handvoll Genossen wahrlich Übermenschliches. Diese Leistung von Kommunisten und Sozialdemokraten verdient höchste Anerkennung.

Am 8. Mai 2012, der 67. Wiederkehr des Tages der Befreiung, war ich bei der Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal damit beauftragt, Worte des Gedenkens zu sprechen. Das nahm ich zum Anlaß für den Vorschlag, in der Nähe einen Ehrenhain anzulegen. Dort sollte ein Gedenkstein mit den Namen der Mitglieder des Aktionsausschusses an die Taten dieser beherzten Antifaschisten erinnern. Meine Idee war von der Basisgruppe der Partei Die Linke einstimmig befürwortet worden. Ein Konzept dazu wurde mit Preiskalkulation der Oberbürgermeisterin übergeben. Die unterbreitete den Vorschlag, falls der Stadtrat einen entsprechenden Beschluß fassen sollte, die Ehrung am 70. Jahrestag der Befreiung vorzunehmen. Dem stimmten wir zu.

Anfang 2015 verkündete dann dieselbe Lokalpolitikerin plötzlich den Gedanken, auf einen Stein zu verzichten und statt dessen eine Broschüre herauszubringen. Aus dieser wurde am Ende ein Flyer. Übrigens schäme ich mich für dieses Papier, das einer Würdigung der Leistungen des Antifaschistischen Ausschusses und aller damaligen Akteure keinesfalls gerecht wird.

P. S.: Noch eine unerläßliche Schlußbemerkung: Die verbreitete Vorstellung, 1945 habe es sich um eine Freie Republik Schwarzenberg gehandelt, beruht auf schriftstellerischer Eingebung. Stefan Heym erfand sie mit dem Recht auf dichterische Freiheit für seinen unsere Stadt in den Mittelpunkt stellenden Roman. Er machte sie damit zwar in aller Welt bekannt und lieferte der Werbeindustrie eine wirksame Vorlage, trug damit aber den Tatsachen nicht Rechnung.

Klaus Glaser, Schwarzenberg

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Zur Nationalen Sicherheitsstrategie der USA
Ein weltmachtbessenes Imperium deckt seine Karten auf

Im Februar 2015 wurde die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA fast unbemerkt von den Mainstream-Medien verkündet. Dabei handelt es sich um eine Aufzählung von Wunschvorstellungen und Absichten des Präsidenten, des Außenministeriums, des Pentagons und anderer Machtzentren der Vereinigten Staaten, von denen die vermeintlichen Bedrohungen der Sicherheit der USA und die Prinzipien des Schutzes der nationalen Interessen im In- und Ausland behandelt werden. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Behauptung der Weltführerschaft Washingtons. Diese US-Strategie wird zur Aufbesserung des durch die verheerenden Kriege und blutigen "Revolutionen" untergrabenen Images des Landes, aber auch zur Abrichtung der Medien genutzt. Neben der angeführten gibt es eine neue Nationale Militärstrategie der USA (vom Juli 2015) und eine US-Nuklearstrategie in Überarbeitung, die als Umsetzung und Untersetzung der generellen Strategie zu verstehen sind. Alle diese Strategien der USA stellen Antworten auf die Doktrinen bzw. Strategien Rußlands und Chinas dar, die ihrerseits auf den von den USA proklamierten unilateralen Weltherrschaftsanspruch reagierten. Die Formulierungen in den US-Strategien sind oftmals oberflächlich, irreführend und sogar falsch, selbstüberschätzend und bisweilen ideologisch überfrachtet. Nicht selten werden Phantasieziele formuliert, wie z. B. "die Demokratisierung des Nahen Ostens", "die Vernichtung des Terrorismus" u. a. Bei der Bewertung sämtlicher US-Strategien sind Freund wie Feind gut beraten, alle Formulierungen unbedingt zu hinterfragen. Die von den USA bisher präsentierten Kriegslügen und andere Erfindungen sowie mediales Aufbauschen und Täuschungsmanöver sollten Mahnung genug sein.

Folgende aktuelle Schlüsseltendenzen globaler Art wurden der Ausarbeitung der Strategie zugrunde gelegt:

- Die gravierende Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen den Großmächten, was zu einer intensiven Beobachtung der G 20 durch die USA führt;

- die Zunahme der Schwäche und Instabilität in Europa, Asien und im Nahen Osten, deren Ursachen uneffektive Regierungen und wachsende Ansprüche der Menschen sein sollen;

- das Anwachsen der wechselseitigen ökonomischen, technologischen und politischen Abhängigkeiten in der heutigen Welt, die einerseits das ökonomische Wachstum befördern, andererseits aber die Staaten den verschiedensten Bedrohungen aussetzen;

- die Zunahme der Instabilität im Nahen Osten, hervorgerufen durch den Überfall auf Irak und die Varianten des "Arabischen Frühlings" in maßgeblicher Regie der USA, die langfristig als die Quelle für Bedrohungen wie islamistischer Radikalismus, Konflikte und Kriege, einschließlich Bürgerkriege, angesehen werden;

- die dynamische Veränderung auf dem Welt-Energie-Markt, bei der die USA die Führung der Erdöl- und Erdgaserzeugung durch ihre zeitweisen Fracking-Erfolge übernahmen, ohne den Einfluß auf die Preisbildung verlieren zu wollen, um die Energiefrage zur politischen Einflußnahme zu nutzen; dafür wird Rußland durch den Westen gemaßregelt.

Als Begründung der Sicherheitsstrategie Washingtons und zur Aufzählung der akuten Bedrohungen dient die folgende Formulierung des US-Präsidenten: "Ein hartnäckiger Extremismus und die stärker werdenden terroristischen Bedrohungen schaffen handfeste Risiken für Überfälle auf die USA und unsere Verbündeten; als Bedrohungen der globalen Sicherheit betrachten wir Cyberattacken, die Aggressionen Rußlands (Dieser Begriff taucht in dem Dokument dreizehnmal auf.) und des IS, die sich beschleunigenden Klimaveränderungen und plötzlich auftretende Infektionskrankheiten."

Hier sollte die Frage berechtigt sein, ob denn die Kriege, die verschiedenfarbigen "Revolutionen", die Sanktionen und die Osterweiterung der NATO nicht Ausdruck gerade der Aggressivität der USA, ihrer Verbündeten, Partner und Willigen sind.

"Wir haben unsere Allianzen", so Präsident Obama weiter, "vor allem in Europa und in Asien erneuert. Als Gespann mit unseren europäischen Partnern handelnd, realisieren wir, bei Bedrohung unserer Kerninteressen, verlustbringende Sanktionen gegen Rußland, ... um das Land von weiteren Aggressionen abzuhalten."

Wer hat den USA dazu das Recht erteilt? Etwa die UNO?

Barack Obama unterstrich, daß die Ressourcen der USA trotz begrenzter finanzieller Mittel fortan auf Asien und den Pazifikraum, auf den Nahen Osten und auf die Entwicklung von konventionellen Präzisionswaffen sowie Kernwaffen einer neuen Generation konzentriert werden sollen. "Mit Indien wollen wir das vorhandene Potential gemeinsam heben. Der Maßstab unserer Zusammenarbeit mit China ist unvergleichbar, jedoch gibt es Vorbehalte Amerikas gegenüber der Modernisierung der chinesischen Armee."

Ich könnte mir vorstellen, daß es den USA in Wirklichkeit darum geht, China und Indien von einer selbstbestimmten Entwicklung (z. B. innerhalb der BRICS-Staaten) abzubringen und an ihre Kette zu legen.

Obama ging auch auf Kuba ein. Originaltext: "Wir fühlen uns der Weiterverbreitung der Demokratie, der Durchsetzung der Menschenrechte, der Schaffung neuer Koalitionen gegen die Korruption und der Unterstützung offener Regierungen und Gesellschaften verpflichtet." Wird da nicht gerade die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und der Sturz nicht genehmer Regimes proklamiert?

Diese und weitere Aussagen des US-Präsidenten finden ihre Untersetzung in seinen Äußerungen zur strategischen Zielsetzung. Obama erklärte: "Diese Strategie der USA gibt eine Vorstellung über die Stärkung und den Ausbau der amerikanischen Führung in der Welt in diesem Jahrhundert; sie ist ausgerichtet auf das Vorantreiben der Interessen und Werte der USA aus der Position der Stärke; die USA verfügen über das Potential, jeden Gegner abzuschrecken oder zu vernichten, wenn dieser unsere Nationale Sicherheit und die der Verbündeten, Partner und Willigen bedrohen sollte. Die USA wollen alles unternehmen, damit das nach dem 2. Weltkrieg unter ihrer Führung geschaffene internationale System weiterhin "Amerika und der ganzen Welt dient".

Dazu passen die Begriffe Realitätsschwund und Selbstüberschätzung.

Der Führungsanspruch der USA wird in der gesamten Strategie ständig untersetzt. Die Vereinigten Staaten sind der Ansicht, sie hätten es verdient, die Führungskraft der Welt zu sein, da sie "die internationalen Anstrengungen zur Bestrafung und Zurückdrängung Rußlands, zur Schwächung und Vernichtung des IS, zur Überwindung des Ebola-Virus und zur Unterbindung der Verbreitung von Kernwaffen mobilisiert und angeführt" hätten. Das ist reine Hochstapelei. Die immer mehr Führungsprozesse in der Welt an sich reißenden USA geben sich als globale Kraft des Guten aus und orientieren sich dabei allein auf ihre Interessen. Ihnen geht es um "eine geregelte internationale Ordnung, die sich auf die amerikanische Ordnung stützt".

Die Aussagen zur äußeren und inneren Sicherheit bilden offensichtlich das Kernstück der Strategie. Führende Militärs der USA trafen die von ihr übernommene Feststellung, daß die U.S. Army nach dem Scheitern der traditionellen Kriegführung des Pentagons in den bewaffneten Konflikten und Aggressionen kosteneffektiver und zeitgemäßer werden müsse. Sie solle sich hauptsächlich auf die Raketenabwehrsysteme (in Europa und global), die Entwicklung und den Einsatz von konventionellen Präzisionswaffen ("intelligenten Waffen"), den Einsatz von Mitteln für die Führung von Cyber- und Hybridkriegen sowie auf Spionage und den Einsatz von Spezialtruppen stützen. In der im Juli dieses Jahres vorgestellten US-Militärstrategie wurden die bisher angeführten Drohungen noch verschärft und Rußland, Iran, die KDVR und der IS zur Achse des Bösen hochstilisiert, der die Vereinigten Staaten mit allen Mitteln entgegenwirken müßten. In diesem Sinne wird als Hauptmaßnahme gegen die Weiterverbreitung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen die Erreichung von Sicherheit ohne Kernwaffen propagiert. Das hindert die USA indes keineswegs daran, selbst enorme Mittel für die Unterhaltung und Modernisierung der eigenen Nuklearwaffen einzusetzen, um so die militärstrategische Überlegenheit in bezug auf potentielle Gegner gewährleisten und gegenüber Rußland die Abkehr von der "Politik der ausbalancierten Abschreckung" vollziehen zu können.

Auf der Sicherheitskonferenz, die im April dieses Jahres in Moskau stattfand, wurde dazu vom russischen Generalstab festgestellt, daß das nukleare Gleichgewicht durch die nichtnuklearen Hochpräzisionswaffen der USA und die angedrohte Stationierung von kernwaffenfähigen Raketensystemen in Europa außer Kraft gesetzt wird. Um diesen Effekt noch zu verstärken, sind die USA und die NATO dabei, das "Prompt Global Strike Concept" (PGS) und die "Taktik der farbigen Revolutionen" gegen Rußland umzusetzen. Auf Grund der begrenzten finanziellen Mittel und der gewachsenen Möglichkeiten potentieller Gegner ist in der neuen Pentagon-Strategie einschränkend fixiert, daß die USA künftig dazu imstande sein müssen, einen Krieg siegreich zu führen und einen zweiten Gegner vom Erreichen seiner Ziele abzuhalten. Realität oder Wunschdenken?

Zur Stärkung der inneren Sicherheit seien die US-Bürger vor extremistischen Ideologien zu schützen, was nur die diesbezügliche Abschottung sowie den Gesinnungsterror gegen Andersdenkende, besonders Linke, bedeuten kann. Ein weiterer Hauptaspekt der Strategie trägt die irreführende Bezeichnung "Wohlstand", bedeutet aber "die Konturen einer neuen ökonomischen Weltordnung zu schaffen, in welcher auch künftig unsere Interessen und Werte reflektiert werden".

Von den Supergewinnen der Finanzoligarchen und internationalen Konzerne ist hier natürlich nicht die Rede. Im Originaltext heißt es weiter: "Der Zugriff auf neue Energiequellen ist einer der stärksten Anreize zur Schaffung neuer Märkte für amerikanische Technologien und Investitionen. Wir treten für allumfassendes ökonomisches Wachstum ein, welches die Nachfrage nach amerikanischem Export schafft. Wir treten gegen solche sich entwickelnden Kräfte auf - vom Staatskapitalismus bis zum Versuch des Lebens auf fremde Kosten -, die den Markt sprengen wollen."

Das Strategiepapier befaßt sich "mit den amerikanischen Werten, welche die allgemeinen Werte reflektieren und die wir in der ganzen Welt verteidigen".

Ein weiterer Abschnitt gilt der internationalen Ordnung, welche die Vereinigten Staaten nach ihrem Gusto ausbauen und führen wollen, wobei sie sich als einzig möglichen Weltenlenker und -verbesserer darstellen. Ihre Herrschaft soll durch ein globales Ordnungs- und Finanzsystem sowie durch ein weltweites militärisches Stützpunktsystem und durch die NATO, aber auch durch Garanten wie gleiche Medieninhalte in den Staaten ihres Einflußbereichs gesichert werden.

Die NATO wird von den USA als stärkste und sich ständig erweiternde politisch-militärische Allianz der Welt beschrieben, deren Verpflichtungen entsprechend Artikel V für alle Mitgliedsstaaten bindend seien. Abgeschwächt trifft das inzwischen de facto auch auf die Ukraine zu. Aus den strategischen Darlegungen zu Europa geht eindeutig hervor, daß die NATO ihren Drang nach Osten und Süden fortzusetzen gedenkt. Die aus Neokonservativen und Vertretern des Pentagons bestehende Kriegsfraktion der USA vertritt bei Anhörungen im Kongreß offen die Meinung, daß ein möglicher großer Krieg nicht auf dem Boden der USA, sondern in Europa stattfinden werde. George Friedman von Stratfor, einem US-Unternehmen für strategische Studien, äußerte, daß eine Vereinigung der Kräfte Deutschlands und Rußlands nicht zugelassen werden dürfe, da beide Staaten zusammen eine ernsthafte Bedrohung für die USA darstellen würden. Diese käme aus Rußland, weshalb von den NATO-Mächten eine Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben und militärischen Anstrengungen sowie der Ausbau von sechs osteuropäischen Staaten zu einer Front an Rußlands Grenzen erfolgen müsse. Der BRD ist dabei die Rolle eines global agierenden regionalen Hegemons zugedacht, was man in dem aktuellen Dokument "Neue Macht, neue Verantwortung" nachlesen kann. Europa müsse der wichtigste geostrategische Brückenkopf der USA bleiben, der besonders im Osten des Kontinents weiter ausgebaut werden solle.

Diese Aussagen dürften auch dem letzten vor Augen führen, daß die USA kein friedliebender Staat, sondern ein auf militärische Überlegenheit setzendes machtbesessenes und aggressives Imperium sind. Daran ändert der formell eher lockere Stil, in dem die neue Nationale Sicherheitsstrategie Washingtons gehalten ist, keinen Deut.

Oberst a.D. Dr.hc. Gerhard Giese, Strausberg

Ende RF-Extra

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Internationalisten in weißen Kitteln

Belgiens PTB-Ärztehäuser erweisen gleichgesinnten Partnern in Hellas ihre Solidarität

Seit Jahrzehnten besteht in Belgien eine von der marxistischen Partei der Arbeit (PTB) geschaffene Kette von inzwischen zwölf Ärztehäusern in verschiedenen Landesteilen, die in materieller Bedrängnis lebende hilfsbedürftige Menschen unentgeltlich behandeln. Flamen und Wallonen sowie Immigranten, von denen nicht wenige der Kategorie "sans papiers" (ohne offizielle Einbürgerungsdokumente) zugerechnet werden, erhalten hier Qualitätsbehandlung gratis.

Inzwischen hilft die belgische Organisation "Medizin für das Volk" (MPLP) seit kurzem auch ähnlichen Einrichtungen in Griechenland. Die junge MPLP-Ärztin Freja Haak aus Hoboken, die einer nach Athen entsandten fünfköpfigen Delegation angehörte, schilderte in der PTB-Monatszeitschrift "Solidaire" die Motive für diese Initiative. Sie sei von dem Gedanken ergriffen worden, den Hellenen helfen zu wollen, nachdem sich eine deutliche Mehrheit des Elf-Millionen-Volkes beim Urnengang gegen die Erdrosselung durch die Brüsseler EU-Zentrale und die Berliner Obererpresser ausgesprochen habe. Der dem südeuropäischen Staat aufgezwungene "Sparkurs" habe gerade auch auf dem Gebiet der medizinischen Versorgung eine fast unbeschreibliche humanitäre Krise ausgelöst, die sich weiter verschärft, stellte Freja Haak fest. Diese Situation bestehe übrigens in abgemilderter Form auch in Belgien. Die Einrichtung von Ärztehäusern durch konsequente Linke sei dort als Antwort auf die entstandene Lage bereits weithin anerkannt worden.

Im durch die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds drangsalierten Griechenland müsse die Lage indes als weitaus dramatischer betrachtet werden. Es gäbe dort 1,5 Millionen Erwerbslose und 3 Millionen unterhalb der Armutsschwelle Vegetierende, was sich gerade im Bereich des Gesundheitswesens auf erschreckende Weise zeige. Die Zahl der an Depressionen Leidenden und den Freitod Wählenden sei sprunghaft angestiegen. Einer von drei Griechen besitze inzwischen keinen Krankenversicherungsschutz mehr, weil alle länger als ein Jahr aus dem Erwerbsleben Verdrängten automatisch ihren diesbezüglichen Status verlören. Die Krise führe Tag für Tag zur Zerstörung weiterer Arbeitsplätze.

Freja Haak nannte als Anliegen der belgischen PTB-Delegation, Ärztehäuser in Hellas aktiv unterstützen zu wollen. Dabei gehe es vor allem um die drei bereits bestehenden Zentren, die angesichts des Massenelends für mittellose Patienten geschaffen worden seien. Diese könnten allerdings nur durch Spenden von sie unterstützenden Mäzenen über Wasser gehalten werden. In den drei hellenischen Zentren hätten die sonst bei Krankenhäusern angestellten und freiwillig Mehrarbeit leistenden Ärzte ihre eigenen Praxisräume. Sie hielten vor oder nach der Arbeit unbezahlte Sprechstunden ab und würden von Anwälten ebenso gebührenfrei beraten. Die Verpflegung für die Patienten werde von Sozialküchen angeliefert.

Freja Haak stellte in dem Interview fest: "Das, was heute in Griechenland passiert, kann schon morgen in Spanien, Italien oder auch bei uns geschehen."

Von den drei erwähnten medizinisch-sozialen Zentren befindet sich eines (Kifa) in Athen. Ihm ist eine Apotheke angeschlossen, die für unentgeltliche Medikamentenversorgung zuständig ist. Dieser Komplex wurde im Januar 2013 eingeweiht und steht Griechen wie Immigranten ohne Versicherungsschutz unterschiedslos zur Verfügung.

Dort sind Fachärzte mehrerer Disziplinen tätig. Ellinikou ist eine kommunal betriebene und ähnlich wie Kifa strukturierte Poliklinik, die für Leistungen ihrer freiwilligen Akteure ebenfalls keinen Cent Bezahlung fordert. Tag für Tag werden hier etwa 100 Patienten behandelt.

Es erfolgen auch kleinere Operationen. Da sich das Gebäude in unmittelbarer Nähe des inzwischen vor der Privatisierung und dem Verkauf an ein bundesdeutsches Unternehmen stehenden alten Athener Flughafens befindet, haben sich die Verantwortlichen unterdessen auf die Suche nach einem anderen geeigneten Objekt begeben.

Schließlich besteht auch in Piräus eine Einrichtung der solidarischen Medizin. Einwohner der Hafenstadt sowie Ärzte und Pflegepersonal sind dabei, die Bereiche über eine unentgeltlich gewährte Untersuchung und Betreuung der Kranken hinaus auf eine Zahnstation, Ergotherapie und Logopädie sowie psychologische Behandlungskapazitäten zu erweitern.

Die Genossen der PTB, die über jahrzehntelange Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen, wollen die griechischen Ärztehäuser auch durch eine Spendenaktion stärken.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Polizisten auf Menschenjagd
USA-Realität: Ein schwarzer Präsident und Schwarze als Freiwild

Die jüngsten rassistischen Polizeiattacken im Süden der Vereinigten Staaten haben die Aufmerksamkeit auf eine neue Konjunktur im Gebrauch rassistischer Symbole und Traditionen gelenkt, die aufs engste mit Amerikas Sklavenhalter-Vergangenheit verbunden waren, schrieb der australische Publizist Rob Gowland in seiner wöchentlichen "Guardian"-Kolumne. "Das Hissen der blutgetränkten Flagge der Südstaatler-Konföderierten über dem Capitol des Bundesstaates Alabama war das jüngste Beispiel rassistischer Exzesse dieser Art."

Die Losung "Es gibt keinen anderen Weg als den amerikanischen" hat auch in der Gegenwart ihren Hintersinn nicht verloren. Das halbe Jahrhundert des Zurückweichens der nach wie vor machtvollen und einflußreichen Schwarzenhasser vor Martin Luther Kings damals sogar vom Weißen Haus zähneknirschend in Rechnung gestellter Bürgerrechtsbewegung ist Geschichte. Inzwischen greifen die eigentlichen Machthaber des Landes, besonders aber deren extrem rassistische Polizei, wieder auf ihre alten Methoden zurück. Der von bis an die Zähne bewaffneten Bütteln ausgehende pauschale Terror gegen Schwarze potenzierte sich jüngst in zwei grausigen Verbrechen uniformierter "Ordnungshüter". Entsetzen erfaßte Millionen redlicher US-Bürger, als die offizielle Reaktion auf den polizeilichen Mord an dem zwölfjährigen Afroamerikaner Tamir Rice aus Cleveland bekannt wurde.

Eine Park-Überwachungskamera hatte das Geschehen im November 2014 minutiös aufgezeichnet. Die Bilder zeigten Tamir zunächst beim Herumspazieren auf dem Gelände eines Erholungszentrums. Im Picknick-Pavillon sitzend, zeigte er dann einen Gegenstand, der später als Spielzeugpistole identifiziert wurde. Plötzlich fuhr eine aus zwei Mann bestehende motorisierte Polizeistreife vorbei. Timothy Loehmann, ein als besonders übler Schwarzenhasser bekannter Beamter, sprang mit entsicherter Waffe aus dem Jeep und schoß das Kind nur Sekunden später in den Leib.

Keiner der beiden Polizisten leistete dem Schwerverletzten Erste Hilfe. Als Tamirs 14jährige Schwester Tajai das Recreation Center verließ, um ihrem Bruder zu helfen, legten ihr die Beamten Handschellen an. Auch seine Mutter Samaria wurde hart bedrängt. Als schließlich ein herbeigerufener Ambulanzwagen den schwerverletzten Schüler ins Krankenhaus der County brachte, war es bereits zu spät. Neun Stunden danach starb Tamir. Bis zum Frühherbst 2015 war das Verbrechen noch immer nicht geahndet. Mr. McGinty, Staatsanwalt der Cuyahoga County, wurde eine von 60.000 Bürgern unterzeichnete Petition mit der Forderung nach Aburteilung des Täters übergeben. Der reichte die Eingabe postwendend an den zuständige Richter in Cleveland weiter. Dieser leitete weder ein Verfahren ein, noch ließ er den uniformierten Mörder arretieren, sondern gab die Akte einfach an McGinty zurück. Es werde seine Zeit dauern, bis sich eine Grand Jury des Falles annehmen werde, ließ ein Sprecher der Staatsanwaltschaft verlauten.

Nicht minder gespenstisch waren auch die Umstände der Festnahme, Arretierung und des angeblichen Selbstmordes der 28jährigen Afroamerikanerin Sandra Bland. Die von ihren Freunden als lebenslustig und optimistisch beschriebene junge Frau hatte am 10. Juli bei einem renommierten College in Texas, dessen Studentin sie gewesen war, mit Aussicht auf Erfolg um eine Anstellung nachsuchen wollen. Dazu war sie mit dem Auto in Chicago aufgebrochen und wollte nach dem texanischen Prairie View, als sie plötzlich durch einen weißen Polizisten herausgewunken wurde. Der Beamte zerrte Sandra gewaltsam aus dem Wagen und beschuldigte sie, einen Fahrbahnwechsel nicht angezeigt zu haben. Der Polizist bedrohte die junge Frau mit gezogener Waffe und brachte sie dann gefesselt zum Gefängnis von Hempstead, dessen Leiter Sheriff R. Glenn Smith eine lange Latte an Schwarzen begangener Willkürakte auf dem Gewissen hat.

In dessen "Obhut" blieb sie drei Tage, bis Freunde die geforderte Kaution von 5000 Dollar gestellt hatten. In Kenntnis ihrer unmittelbar bevorstehenden Freilassung soll sich Sandra Bland - Polizeiangaben zufolge - in ihrer Zelle erhängt haben. Landesweit wurden in den USA mehr als 300.000 Unterschriften für eine Petition mit der Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung des dubiosen Geschehens gesammelt.

RF, gestützt auf "People's World", New York

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Deutlicher Linksruck bei Labour
"Morning Star": Corbyns Triumph ist ein Sieg für uns alle

In Großbritanniens führender Oppositionspartei sind die Karten zur Freude sehr vieler, zur Überraschung mancher und zum Entsetzen nicht weniger neu gemischt worden. Bei der Führungswahl der Labour Party wurde der bis vor kurzem noch recht unbekannte Unterhaus-Hinterbänkler Jeremy Corbyn vom linken Flügel an die Spitze gestellt. Der 66jährige errang für seine dem rabiaten Austeritätskurs der regierenden Tories David Camerons wie der liberal-sozialdemokratischen Orientierung von Tony Blair bis Ed Milliband den Kampf ansagende Politik einen spektakulären Erfolg. Bei der Befragung von etwa 600.000 eingetragenen Mitgliedern, Unterstützern und Labour angeschlossenen Gewerkschaftern entschieden sich 59,5 % für Corbyn. Der neue Labour Leader hatte seine drei Gegenkandidaten Ivette Cooper und Andy Burnham, die als "Erben" des gescheiterten Milliband ins Rennen gegangen waren, und die prononcierte Blair-Anhängerin Liz Kendall weit hinter sich gelassen.

Der auf den zweiten Rang gelangte Burnham erhielt weniger als ein Drittel der für Corbyn abgegebenen Stimmen. Dieser versprach, im Falle der Rückkehr seiner Partei ans Regierungsruder ursprünglich einmal in Staatshand befindlich gewesene und unter der Tory-Herrschaft Margaret Thatchers privatisierte Sektoren der britischen Wirtschaft wieder zu nationalisieren. Corbyn ließ wissen, daß er sich für "eine bessere und allen gerechter werdende Gesellschaft" einsetzen wolle. Wie in Großbritannien üblich, mußte der siegreiche neue Labourchef auch seine unterlegenen Rivalen in das Schattenkabinett der Partei aufnehmen. Diesem gehören aber erstmals auch wieder mehrere Vertreter des linken Labourflügels an.

Der in London erscheinende Morning Star bezeichnete Corbyn als "inzwischen populärsten britischen Politiker" und nannte dessen Wahl "einen Sieg für uns alle". Die Welle der Sympathiebekundungen seitens breiter Schichten der britischen Bevölkerung habe die Labour-Rechten - von Lord Soley bis zum gescheiterten Londoner Bürgermeister-Kandidaten David Lammy - indes nicht daran gehindert, dem bei sämtlichen Umfragen schon bald favorisierten Bewerber bis zur Bekanntgabe des Corbyn-Sieges jegliche Erfolgschancen abzusprechen. Jetzt beschäme und frustriere sie das Ergebnis.

Der neue Labour Leader habe zweifellos die Absicht, dem Rechtstrend seiner Partei ein Ende zu setzen, bemerkte Kanadas "Global Research". Auch die Pariser "Humanité" würdigte den überwältigenden Sieg eines linken Labourabgeordneten. Die politischen Erben des früheren Premierministers Tony Blair habe das Abstimmungsergebnis entsetzt. Dessen bürgerlich-liberaler Kurs sei im Ergebnis der Mitglieder- und Anhänger-Entscheidung noch einmal nachträglich beerdigt worden.

Jeremy Corbyn, der Islington-Nord an der Londoner Peripherie im britischen Unterhaus vertritt, habe die Absicht, dem seit etwa 15 Jahren bei Labour geltenden Grundsatz, die Partei müsse einen "zeitgemäßen Kurs" verfolgen, energisch zu begegnen. Er wolle Blairs Liberalismus, aber auch der schwankenden Linie seines Vorgängers Milliband ein Ende bereiten, urteilte "Humanité".

Corbyn, dessen Popularitätsgrad bei jungen Leuten am höchsten ist, beruft sich nicht selten auf das "Britische Manifest von 1983", das seinerzeit eine Spaltung der Labour Party auslöste. Der Hauptgedanke des Dokuments bestand in der Idee, alle von den Tories privatisierten Unternehmen wieder zu nationalisieren. Der rechte Labourflügel bezeichnete diese Position als "längsten Selbstmordbrief, der jemals geschrieben wurde". Auf der Woge solcher Stimmungsmache gelangte Tony Blair 1997 an die Spitze der Partei und zog auch in Downing Street 10 ein. Seine einstigen Kassandrarufe sind offensichtlich inzwischen verhallt, stimmte doch die große Mehrheit der so oder so organisierten Labour-Anhängerschaft diesmal für einen Kandidaten, auf dessen Agenda gerade das von Blair geschmähte Ziel Priorität besitzt.

Übrigens - einer der ersten, die sich an der Themse unter Corbyns zahlreiche Gratulanten aus aller Welt einreihten, war der frühere griechische Finanzminister Yannis Varoufakis. Nach dem EU-Gewaltstreich gegen Athen hatte der Unterhausabgeordnete Corbyn die Feststellung getroffen, das derzeitige Europa gestatte keinerlei soziale Reformen. Er sprach sich im Unterschied zur rechtsgerichteten UKIP und zahlreichen Tory-Politikern zwar für den Verbleib Großbritanniens in der EU aus, fügte dem aber hinzu: "Im Rahmen eines besseren Europa gilt es, soziale Gerechtigkeit, nicht aber das Recht der Finanzgewaltigen durchzusetzen."

Wie es aussieht, hat der buchstäblich über Nacht - einem Shootingstar gleichend - an die Spitze seiner Partei Gelangte durchaus Chancen, Labour bei den nächsten Unterhauswahlen zum Sieg und damit wieder ans Regierungsruder zu führen. Doch man sollte bei derlei optimistischen Prognosen die enormen Widerstände und das Potential der äußeren Gegner wie der innerparteilichen Widersacher Corbyns keineswegs unterschätzen. Von den Medien im Dienste des Kapitals, den Konservativen David Camerons und der noch weiter rechts stehenden faschistoiden UKIP schlägt ihm offener Haß entgegen. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß ihn die Tories zu einer "Gefahr für die nationale Sicherheit" erklären werden. Camerons Verteidigungsminister Michael Fallon äußerte unmittelbar nach Corbyns Wahl: "Das ist ein sehr ernster Augenblick für unser Land." Corbyns Führerschaft sei "die größte Herausforderung, der sich die Labour Party jemals gegenübergesehen" habe, bemerkte der konservative "London Observer".

Das mag durchaus zutreffen - allerdings eher im positiven Sinne. "Es ist die beste Chance für einen wirklichen Wechsel seit Generationen", antwortete "l'Humanité". Das nach wie vor linksorientierte französische Blatt fügte hinzu: "Glückwunsch, Jeremy! Wir wußten, daß Du es schaffen würdest!"

RF, gestützt auf "Morning Star", London, "l'Humanité", Paris, und "Global Research", Kanada

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Ein Papst zum Anfassen
Franziskus fuhr beim Weißem Haus im Kleinwagen vor

Eine nie zuvor gekannte Situation ist eingetreten: Selbst Atheisten, die sich ohne Schwankungen von einer wissenschaftlichen Weltanschauung leiten lassen, sprechen über Jorge Bergoglio, der als katholischer Oberhirte in Rom jetzt Franziskus heißt, voller Wärme und mit großem Respekt. Endlich hat im Vatikan - nach so manchen konträr zu bewertenden Vorgängern - ein lateinamerikanischer Papst die Zügel übernommen, den außer Klugheit und persönlichem Mut auch eine echt empfundene Liebe zu den einfachen Menschen in aller Welt beseelt.

Bei seinen wohl nicht zufällig aufeinander folgenden Staatsbesuchen in Kuba und den USA - er war der entscheidende Impulsgeber für die Normalisierung der Beziehungen zwischen Washington und Havanna - bewies der Papst sowohl politische Souveränität als auch ein außergewöhnliches geistliches Format. In Kuba, wo der volksnahe Gottesmann auf zwei heiligen Plätzen der Revolution und in einer Kathedrale Messen abhielt, erlebte er die Realität der Gewissensfreiheit in einem sozialistischen Land. Die wiederholten Begegnungen mit Staatspräsident Raúl Castro wie seinem Bruder und Amtsvorgänger Fidel verliefen im Geiste der Aufrichtigkeit und des gegenseitigen Vertrauens.

Die Vertreter der meisten Medien dürften indes enttäuscht darüber gewesen sein, daß Fanziskus für die von "Dissidenten" eingeforderte Audienz nicht zur Verfügung stand. Nur wenige Tage nach dem Papstbesuch traf sich Kubas Erster Vizepräsident Miguel Díaz-Canel mit etwa einhundert Vertretern aller im Lande bestehenden Glaubensgemeinschaften, religiösen Vereinigungen und Institutionen. Die Begegnung fand im Gebäude des ZK der KP Kubas statt. Mit ihr wurde der seit etwa 30 Jahren zwischen der Partei und den Vertretern religiös gebundener Teile der Gesellschaft regelmäßig geführte Gedankenaustausch fortgesetzt. Wie Prensa Latina berichtete, war die Begegnung auch diesmal durch Redlichkeit und Offenheit geprägt. Díaz-Canel unterstrich dort noch einmal den Willen der Führung Kubas, allen religiösen Vereinigungen im Lande ohne jegliche Diskriminierung gegenüberzutreten.

Er informierte die Teilnehmer über Kubas Bewertung des Besuchs von Papst Franziskus, dem das ganze Volk des Karibikstaates mit jener Hochachtung begegnet sei, "welche der Papst verdient". An der Begegnung nahm auch Caridad Diego, Leiterin des Büros für religiöse Angelegenheiten beim ZK der KP Kubas, teil.

Im Verlauf seiner offiziellen Visite in den Vereinigten Staaten änderte der Papst kein Jota an seiner im Prinzip antikapitalistischen Haltung. Nach der offiziellen Begrüßung durch Präsident Obama - Franziskus fuhr beim Weißen Haus im Kleinwagen vor - hielt der Papst im USA-Kongreß eine Rede, bei der vor allem Mandatsträgern der Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus unbehaglich gewesen sein muß. Scharf wandte er sich auch bei dieser Gelegenheit gegen die gesellschaftlich verursachte Armut breiter Bevölkerungsschichten und verschiedene Formen der Diskriminierung. Eine Ansprache, die der Chef des Vatikanstaates vor dem Plenum der Vereinten Nationen am New Yorker East River hielt, hatte denselben Tenor.

Noch präziser als das hier Geschilderte waren die Auskünfte, die Franziskus einem Interviewer von Radio Renascença, dem Sender der portugiesischen Katholiken, gab. Hier ging es vor allem um die Teile Europas überflutende Flüchtlingswelle. Während die meisten Politiker der angesteuerten Länder nach wie vor einer klaren Benennung der Ursachen des Konflikts ausweichen, nannte Franziskus die Dinge beim Namen. Er betrachte die derzeitige Krise nur als "Spitze des Eisbergs". Man sehe allein diese armen Menschen, die vor dem Krieg und dem Hunger geflohen seien, unterlasse es aber, deutlicher den Gründen des Verlassens ihrer Heimat nachzugehen. In beiden Fällen lägen die Ursachen in einem "schlechten und ungerechten sozial-ökonomischen System".

Jorge Bergoglio erinnerte daran, daß er selbst ein Kind italienischer Eltern sei, die einst nach Argentinien hätten auswandern müssen.

Ohne Zweifel entstünden durch die derzeitige Zuwanderung Hunderttausender auch Sicherheitsprobleme sowie die Gefahr einer Infiltration. Der Papst, der schon vor längerem die den Süden Italiens terrorisierenden Mafia-Banden furchtlos attackiert hatte, fügte hinzu: "Es gibt inzwischen eine extrem grausame terroristische Vereinigung, die nur 400 Kilometer von Sizilien entfernt operiert." Franziskus bezog sich damit auf den IS, der inzwischen weite Gebiete des durch den Imperialismus zerstückelten Libyens kontrollieren.

Der Papst appellierte an alle katholischen Gemeinden Europas, jeweils zumindest eine Flüchtlingsfamilie aufzunehmen, wobei der jetzt durch ihn repräsentierte Vatikan mit gutem Beispiel vorangehen wolle.

RF, gestützt auf "Granma", Havanna, und die französische Nachrichtenagentur AFP

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Die KP der Ukraine beugt sich den Hexenjägern nicht

Das Foto in diesem Beitrag zeigt den Generalsekretär der KP der Ukraine Petro Simonenko in höchster Bedrängnis. Am 23. Juli 2014 wurde der Vorsitzende der damals noch nicht aus der Werchowna Rada hinausgedrängten Gruppe kommunistischer Parlamentsabgeordneter durch Mandatsträger der Faschistenpartei Swoboda schwer mißhandelt.

Am 24. Juli 2015 verkündete der Justizminister der Kiewer Putschregierung die gerade durch ihn erfolgte Unterzeichnung eines Dekrets, das der KPU die Teilnahme an Wahlen untersagt. Ausgerechnet am 9. Mai, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands vor der Roten Armee und deren Verbündeten aus der Antihitlerkoalition, nahm das Kiewer Pseudo-Parlament mit 254 von 452 Stimmen zwei Gesetze an, die jegliches Zeigen kommunistischer Symbole in der Öffentlichkeit bei Strafe untersagen. Es setzte Nazismus mit Kommunismus gleich. De facto bedeutet das die Rehabilitierung des Hitlerfaschismus und die Kriminalisierung seines kriegsentscheidenden Gegners.

"Wir haben beschlossen, daß wir den Gesetzen, die uns dazu zwingen, den Namen Kommunistische Partei abzulegen sowie unser Programm und Statut zu ändern, nicht Folge leisten werden", erklärte Simonenko. Die beiden explizit antikommunistischen Gesetze seien verfassungswidrig.

Die KP der Ukraine, der unsere uneingeschränkte antifaschistische und revolutionäre Solidarität gehört, hat inzwischen ihre Taktik aktualisiert und setzt sich ohne Aufgabe ihrer Endziele für eine "humanistische, demokratische und kollektivistische Front" ein. Deren Kernlosungen lauten: Für Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten! Für das Recht auf Arbeit, ein würdiges Einkommen und soziale Sicherheit! Für Meinungsfreiheit!

Diese Losungen entsprechen im Machtbereich des von NATO und EU gestützten, in erster Linie durch die USA-Imperialisten installierten Jazenjuk-Poroschenko-Klitschko-Klüngels den derzeitigen Kampfbedingungen.

RF, gestützt auf "Initiative Communiste", Paris

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Ungarns Gyula Thürmer zum Orbán-Regime

Seit Jahren liegen Ungarns Kommunisten im massiven Trommelfeuer sie mit Haß überziehender Gegner, wobei machtausübende Rechte und faschistoide Gruppierungen die Rolle der Kanoniere übernommen haben. Genosse Gyula Thürmer, Generalsekretär der angesichts bestehender Zwänge in Ungarische Partei der Werktätigen umbenannten Ungarischen Kommunistischen Arbeiterpartei, stand unlängst der französischen Monatsschrift "Initiative Communiste" Rede und Antwort. Nach dem Charakter der derzeitigen Orbán-Regierung befragt, bezeichnete er diese als ein Kabinett der Rechten und des Zentrums mit eindeutig nationalistischer und antikommunistischer Tendenz. Ihr Ideal sei ein Ungarn wie vor dem Zweiten Weltkrieg.

Seit 1990 habe man in dem einstmals sozialistischen Land den Kapitalismus wiedererrichtet, wobei die ihn tragende Klasse aus zwei Hauptkomponenten bestehe: Eine Formation habe sich in der Endphase des Sozialismus herausgebildet und ihre Reichtümer in den ersten Jahren der Kapitalherrschaft ergattert. Ein anderer Teil der Bourgeoisie sei eng mit USA-Kapital verbunden und betrachte das imperialistische Hauptland als seine Schutzmacht. Dessen ideologische Konzeption stelle eine Vermischung von Neoliberalismus und Sozialdemokratismus dar. Diese Gruppierung habe von 1994 bis 1998 und von 2002 bis 2010 in Budapest am Regierungsruder gestanden.

Zu Orbáns vermeintlicher Annäherung an das Rußland Putins erklärte Gyula Thürmer: "Ungarn ist Mitglied der EU und der NATO. Die 'Eliten' setzen voll auf diese Kooperation als Hauptgarantie für den Bestand der kapitalistischen Ordnung. 76 % der Exporte Ungarns gehen in EU-Länder, 70 % der Einfuhr werden von dort bezogen. Doch Ungarns Energieprobleme lassen sich derzeit nicht ohne Rußland lösen: 80 % der Gaslieferungen und 78 % der Erdölimporte kommen von dort." Orbáns scheinbare Partnerschaft mit Rußland sei demnach lediglich ein Versuch, Dinge zu regeln, die sich nicht regeln ließen.

Zur antikommunistischen Verteufelungskampagne sagte Genosse Thürmer: "Die Kapitalisten wollen die kommunistische Bewegung bei uns endgültig zerschlagen - auf politischer und finanzieller wie physischer Ebene. Sie wissen genau, daß wir derzeit schwach sind. Und dennoch fürchten sie uns. Immerhin waren wir ja zusammen mit anderen kommunistischen Parteien in einem Teil Europas auch schon mal die Sieger. ..." Im November 2012 habe das Budapester Parlament eine "Gleichstellung von faschistischen und kommunistischen Diktaturen" beschlossen. Während es die kurzzeitige Gewaltherrschaft von Ferenc Szalasi (Oktober 1944 bis April 1945) als faschistisch bezeichnete, sei das schier endlose Schreckensregiment Horthys (1919 bis 1944) bezeichnenderweise davon ausgenommen worden.

Seiner Partei habe man durch Parlamentsbeschluß das Recht aberkannt, sich als kommunistisch zu bezeichnen, erklärte Gyula Thürmer. Das liege wohl vor allem auch daran, daß viele Ungarn die Zeit des Sozialismus nicht ganz vergessen hätten. Immer mehr Menschen erinnerten sich an die mit der heutigen Realität unvergleichbaren sozialen und politischen Errungenschaften in der Zeit der Volksmacht. Der vorerst bescheidene Einfluß seiner Partei nehme allmählich zu. Seien bei den Parlamentswahlen 2006 und 2011 nur 0,3 bzw. 0,11 % der Stimmen auf sie entfallen, so hätten im Vorjahr 0,58 % der Wähler für sie votiert. Dabei müsse man bedenken, daß ihr keinerlei Zugang zu den tonangebenden Medien gewährt werde.

Abschließend stellte Gyula Thürmer fest: "Unsere Partei hat schon vor Jahren die Europäische Linkspartei wegen deren Kurs verlassen und setzt lieber auf den proletarischen Internationalismus." Deshalb unterstütze sie Initiativen für eine neue Form der europäischen und weltweiten Zusammenarbeit Gleichgesinnter.

RF, gestützt auf "Initiative Communiste", Paris

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Ein gefährlicher Kurswechsel
Tokios Rechtsregierung Abe bricht mit dem Prinzip der Nachkriegsneutralität

In Tokio und der im April 1945 durch die zweite US-Atombombe eingeäscherten japanischen Stadt Nagasaki sowie in weiteren Zentren des ostasiatischen Inselstaates sind im Spätsommer und Herbst Hunderttausende aus Protest auf die Straße gegangen. Unter den Demonstranten befanden sich Berichten zufolge auch zahlreiche Mitglieder und Anhänger der KP Japans, auf die bei den jüngsten Unterhauswahlen sechs Millionen Stimmen entfallen waren.

Das Tokioter Kabinett unter dem rechtsliberalen Premier Shinzo Abe hat das in Nippons Nachkriegsverfassung verankerte "Prinzip ewigwährender Neutralität" schon vor Monaten aufgekündigt. In einer Ansprache zum 70. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Japans suchte Abe einen vorgetäuschten Hauch von Pazifismus mit der unmißverständlichen Rückkehr zu einst vom fernöstlichen Kaiserstaat bezogenen Positionen - freilich unter neuen Vorzeichen und in anderen Bündnissen - zu verbinden.

Die Gründe für eine gewisse Friedensheuchelei liegen auf der Hand: Nippons 1945 beschlossene Verfassung verbietet jede direkte oder indirekte Teilnahme an wo auch immer stattfindenden Kriegen und untersagt zugleich eigene Aggressionspläne.

Abes "Gedenkrede" wurde monatelang durch ein vom Kabinett handverlesenes Komitee aus regierungsnahen Wissenschaftlern, hohen Beamten und politischen Beratern Satz für Satz abgewogen und danach vom Premierminister bestätigt, bevor man den Text in Japanisch, Englisch und Chinesisch freigab. Aus taktischen Gründen bediente sich Abe dabei einiger Zitate seiner Amtsvorgänger Tomiichi Murayama und Junichiro Koizumi. Die beiden früheren Regierungschefs hatten ihrerseits Wert darauf gelegt, Nippons Neutralität zu unterstreichen und seine Kriegsschuld teilweise einzugestehen. So sprach Murayama am 50. Jahrestag der Kapitulation Tokios von "Gefühlen tiefen Bedauerns" über die japanischen Kriegsverbrechen und brachte zugleich eine "von Herzen kommende Entschuldigung" für Nippons Kolonialherrschaft zum Ausdruck.

Seit Abes 2012 erfolgtem Amtsantritt ist Tokios Militäretat deutlich aufgestockt worden. Japans Haltung gegenüber der VR China verschärfte sich besonders im Zusammenhang mit dem Konflikt durch Ansprüche beider Staaten auf einige Inseln im Ostchinesischen Meer. Der sogenannte Inselstreit stellt ein Kernstück der mit Washington abgestimmten neuen asiatisch-pazifischen Strategie der Vereinigten Staaten dar.

Doch zurück zu Abes "Gedenkrede". Diese war mit Doppelzüngigkeiten aller Art und direkten Lügen gespickt. In der Absicht, Japans gültige Verfassung zu unterlaufen, forderte der Premier z. B. einen Freifahrtschein für "kollektive Selbstverteidigung". Wohin Abe in Wirklichkeit zurück will, verdeutlichte er durch wiederholtes Aufsuchen des notorischen Yasukuni-Schreins - der Beisetzungsstätte einiger besonders berüchtigter Kriegsverbrecher aus kaiserlich-faschistischen Zeiten.

Abes Rechtfertigung zusätzlicher "Verteidigungsanstrengungen" widerspricht eindeutig Artikel 9 der gültigen Nachkriegsverfassung, der Japan die Unterhaltung eigener Land-, Luft- und Seestreitkräfte für immer untersagt. Doch nicht nur bei der Bewertung des verbrecherischen japanischen Überfalls auf China stellte Abe die historische Wahrheit auf den Kopf. Er behauptete, in den 30er und 40er Jahren habe die Armee Kaiser Hirohitos "einen Krieg zur Befreiung Asiens von den westlichen Mächten geführt". Auch andere Kapitel der Historie wurden ähnlich verfälscht. So habe z. B. der japanisch-russische Krieg am Beginn des 20. Jahrhunderts "viele unter der Kolonialherrschaft leidende Völker - von Asien bis Afrika - ermutigt".

Die 1931 mit der Besetzung der Mandschurei eröffnete Aggression Japans gegen China und die 1937 auf ganz China zielende Invasion werden von Abe lediglich als "Fehler und Produkt von außer Kontrolle geratenen Kräften" vermerkt. In seiner Rede spielte auch die Tatsache keine Rolle, daß Japan damals mit Hitlerdeutschland und Mussolinis Italien in der faschistischen Achse Berlin-Rom-Tokio einen äußerst aktiven Part gespielt hat.

Wenn auch auf eine Wiederbelebung des kaiserlich-militaristischen Tarnbegriffs einer "Ostasiatischen großen gemeinsamen Prosperität", mit der Japan einst seine Überfälle auf eine Vielzahl von Staaten zu bemänteln suchte, diesmal verzichtet wurde, durchtränkte Abe seine gesamte Rede mit der Behauptung, Japan habe eine "kontinentale Befreierrolle" gespielt.

Aufschlußreich ist im Zusammenhang mit dem hier Dargestellten zweifellos die Tatsache, daß sich den Teilnehmern des eindrucksvollen Meetings aus Anlaß des 70. Jahrestages der Auslöschung Nagasakis auch der Präsident des Stadtparlaments Tumihisa Tane anschloß. Nur eine Woche nach dem Aufmarsch Hunderttausender Menschen in Tokio, die gegen Abes geschichtsklitternde "Gedenkrede" vor dem Gebäude des japanischen Unterhauses protestiert hatten, forderte man in der leidgeprüften Stadt Nagasaki ebenfalls Nippons immerwährende Neutralität ein.

Kurz nach Abes ebenso raffinierter wie aggressiver Rede, auf die schon bald die gesetzgeberische Bestätigung seiner Forderungen durch das Unterhaus folgte, teilte das Washingtoner Amt für Zusammenarbeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen kommentarlos mit, es habe gerade die Freigabe für Tokio bestimmten Kriegsmaterials im Wert von 1,5 Mrd. Dollar bewilligt. Japans "Selbstverteidigungsbehörde" wolle dafür zwei Schiffe vom Typ AEGIS DDG erwerben. Die Lieferung der mit ballistischen Raketen ausgerüsteten Einheiten vervollständige nur das Nippon angeblich zugestandene Potential von acht Kriegsschiffen dieses Typs. Dadurch erhöhe sich - so Washington - Japans "Operationalität im Zusammenwirken mit der U.S. Navy" erheblich.

RF, gestützt auf "Global Research", Kanada, und "Avante!", Lissabon

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Zur Restauration des Kapitalismus in Tschechien

Der Prager Philosoph, Soziologe und Politologe Miloslav Formánek war Vorsitzender des theoretisch-analytischen Bereichs beim ZK der KP Böhmen und Mährens und gehört derzeit dem Zentrum für strategische und theoretische Studien beim ZK seiner Partei an. Als bewußter Mitgestalter sozialistischer Verhältnisse in der CSSR bis 1990 und aktiver Teilnehmer der Kämpfe für die Bewahrung und Durchsetzung marxistischer Ideen bis in die Gegenwart legt er eine wissenschaftlich fundierte Analyse der konterrevolutionären Vorgänge in seinem Lande und der damit verbundenen Politik der "neuen Eliten" sowie ihrer Folgen vor. Sie wurde von dem DDR-Diplomaten Klaus Kukuk, einem profunden Kenner der tschechischen Verhältnisse und der Entwicklungen nach 1989, ins Deutsche übertragen und herausgegeben.

Formánek analysiert und bilanziert, was sich wirklich ereignete und welche Auswirkungen diese Abläufe für das Land und dessen Bewohner hatten und bis heute haben. Er trifft die Feststellung: "Der Sinn der kapitalistischen Restauration bestand nicht darin, Wohlstand für alle zu sichern, sondern in der Wiederherstellung privatwirtschaftlichen Eigentums. Dafür waren die rechtskonservativen Politiker alles zu opfern bereit: die sozialen Errungenschaften der Gesellschaft, den gemeinsamen Staat von Tschechen und Slowaken, sogar die staatliche und nationale Souveränität des Landes. ... Selbstkritisch muß in diesem Zusammenhang auch gesagt werden, daß die linken Kräfte die demagogische Gleichsetzung von Demokratie und Kapitalismus unwidersprochen hinnahmen. Mehr noch: Ein großer Teil wurde selbst zu Apologeten und redete der Restauration des Kapitalismus das Wort. ... Eine gewöhnliche Konterrevolution nahm ihren Lauf und restaurierte in Böhmen und Mähren ein Gesellschaftssystem von gestern."

Eingehend untersucht der Autor den Verlauf des Privatisierungsprozesses, dessen politischer Charakter daran sichtbar geworden sei, daß nicht etwa von "nationalisiertem", "verstaatlichtem" oder "genossenschaftlichem Eigentum" gesprochen wurde, sondern ausnahmslos von einem "durch die Kommunisten gestohlenen Eigentum".

Formánek konstatiert: Die Mehrzahl bedeutender tschechischer Firmen wurde letzten Endes von supranationalen Gesellschaften geschluckt. "Offensichtlich war die konkrete Tendenz einflußreicher politischer Kreise in Deutschland, sich wirtschaftlich und sprachlich an deutsche Unternehmen gebundene Bereiche im Sinne der Subregionalisierung Mitteleuropas unterzuordnen."

In Tschechien seien 3500 bis 4000 bundesdeutsche Unternehmen tätig. "Die tschechische Ökonomik ist mit der deutschen nicht nur verknüpft, sondern von ihr geradezu existentiell abhängig und kopiert nahezu restlos ihre Bewegungen."

Zur Entwicklung des politischen Systems konstatiert Miroslav Formánek, die Staatsmacht habe sich "in die Abhängigkeit von Grüppchen, Cliquen und Familien einflußreicher Politiker begeben, die sich in Verbindung mit Kapitalgruppen (Paten) durchsetzten".

Die Prager Außenpolitik nach 1989 sei "die konsequente Fortsetzung der dominierenden Richtung der Innenpolitik" gewesen.

Der Sinn des Beitritts Tschechiens zur EU habe darin bestanden, "die kapitalistischen Strukturen in der tschechischen Gesellschaft zu festigen, zu versuchen, bessere Bedingungen in der internationalen Konkurrenz zu schaffen". Die Entwicklung sei aber ungleichmäßig geblieben. Immer häufiger war es notwendig, auch "nüchtern die dunklen Seiten wahrzunehmen und zu bewerten, wie das reale Maß der sozialen Differenzierung, den Grad der Beschäftigungslosigkeit und das Ausmaß der Armut".

Miloslav Formánek zieht den Schluß: "Unsere kleine tschechische Erfahrung bestätigt eine große Erfahrung: Wie unendlich riskant es ist, scheinheilig die Emanzipation durch Rückkehr zum früheren Regime, zu einem System, das sich nie aus inneren zerstörerischen Widersprüchen herauswinden konnte, zu erklären."

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch


Miloslav Formánek. Rollback. Die Restauration des Kapitalismus in Tschechien. Verlag am Park, Berlin 2015, 310 Seiten, 16,99 €, ISBN 978-3-945187-29-6

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Was die Wiener KPÖ für Klassenkampf hält

Am 11. Oktober fanden in Wien Landtags- und Gemeinderatswahlen statt. Der Wahlkampf wurde zu einer Auseinandersetzung zwischen der sozialdemokratischen SPÖ und der Wiener Freiheitlichen Partei hochstilisiert. Kleinparteien wie die Wiener KPÖ hätten im Wahlkampf ihr Programm verdeutlichen können. Diese tat es auch und ging dabei eine Koalition mit anderen Randgruppen wie der Piratenpartei, der Plattform der Unabhängigen und Echt Grün ein. Diese Wahlallianz nannte sich "Wien Anders" (ANDAS).

Die Wiener KPÖ brachte in dem einst von ihr organisierten Widerstand gegen den deutschen Faschismus bekanntermaßen große Opfer. Die meisten dieser Genossen, die jene schwere Zeit kämpfend überlebt hatten und in den ersten Nachkriegsjahren oftmals eine bedeutende Rolle spielten, sind leider inzwischen verstorben.

Längere Zeit versuchte die Wiener KPÖ mit einem viel zu großen hauptamtlichen Apparat ihre revolutionäre Tradition auch unter den neuen Bedingungen Österreichs fortzusetzen. Die Mehrheit der Funktionäre verinnerlichte dabei mehr und mehr einen pseudolinken Opportunismus, der ihnen ein durchaus angenehmes Leben in einem immer enger werdenden Milieu ermöglichte. Ihre Solidarität mit den sozialistischen Ländern war, wie sich später herausstellen sollte, wohl eher durch Unterwürfigkeit gekennzeichnet.

Bei all dem ist für den Kampf der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten nicht viel Raum geblieben. Das vermitteln auch diese Parolen der Wiener KPÖ:

  • Her mit dem schönen Leben!
  • Volle Legalisierung von Cannabis!
  • Wir essen nicht, was auf den Tisch kommt - wir sorgen dafür, daß was anderes auf den Tisch kommt. Wir kochen uns unsere Suppe selber und sorgen für Verteilungsgerechtigkeit!
  • Keine Diskriminierung von Hunderassen! Lebensqualität auch für die zahlreichen Tiere der Stadt!
  • Das bedingungslose Grundeinkommen sichert die ökonomischen Grundbedürfnisse, ohne Menschen zu entwürdigen.
  • Die Parkbänke wieder liegenswert machen! Mehr öffentliche Gratis-Toiletten!
  • Im übrigen sind wir der Meinung, daß das derzeitige Wirtschaftssystem der Grund für unsere Probleme ist. Unsere Politik wird sich deshalb immer daran orientieren, Schritte in eine andere Welt zu ermöglichen.

Auf einer liegenswerten Bank im Wiener Stadtpark, eingehüllt in eine Wolke Cannabisrauch, in der Nähe von öffentlichen Toiletten und liebevoll auf die geschützten Kampfhunde schauend sowie dank des bedingungslosen Grundeinkommens ohne finanzielle Sorgen über den Kampf zur Veränderung der Welt nachdenken - dabei wird nicht einmal der Anflug eines Aufrufs zum Klassenkampf herauskommen.

Der kommunistische Wiener Lyriker Arthur West hat zu solchen Haltungen ein Gedicht mit dem Titel "Die Unter-Ordnung" geschrieben. Es schließt mit den Worten:

Der Halt schrumpft zum Unterhalt;
statt Haltung gedeiht Unterhaltung.
Die Tat wird untertan.

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler, Innsbruck

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Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin unter schwarzen Freunden
Als mich die DDR nach Guinea entsandte (7)

Ein großer Tag für unsere École de la Santé! Guineas Staatspräsident Sekou Touré hat sich angesagt. In jedem Klassenzimmer wird Unterricht erteilt. Der hohe Gast wollte den Schulbetrieb in voller Aktion erleben. Für mich war keine Klasse mehr übrig, also setzte ich mich bei Condé auf die letzte Bank und wartete wie alle auf den Präsidenten. Condé begann mit dem Unterricht wie an jedem Tag.

Tatü-tata, Bewegung draußen. Condé unterrichtete unerschütterlich weiter, bis der Staatschef mit seiner Begleitung den Raum betrat und erfüllte. Die Schüler sprangen auf und schmetterten ihr Sprüchlein feuriger als sonst: Vive Sekou Touré! Vive la Victoire! Prêt pour la Révolution!

Der Präsident ging durch die Reihen, schüttelte Hände und sprach mit den Schülern. Die Direktorin, schön und unnahbar wie immer mit Blumen im Arm, die zu ihrem Kleid paßten, hielt die Fäden in der Hand und dirigierte ihren Schwager durch sämtliche Räume, die sie ihm mit Stolz präsentierte.

Nach dem Rundgang fanden wir uns alle im Hof unter dem alten schönen Affenbrotbaum zusammen. Wir Lehrer saßen vorne auf Bänken, und für Touré war ein Stuhl bereitgestellt. In lockerer Haltung, die Hände zwischen den Knien, die Augen auf das Schülerrund vor sich gerichtet, begann er mit seiner deutlichen Aussprache von der Freiheit und Unabhängigkeit zu reden, die sie nun nach jahrhundertelangem Leiden erlangt hätten. Diese müßten in bedingungslosem Kampf gegen diejenigen verteidigt werden, welche die Vergangenheit wieder heraufbeschwören wollten. Er sprach mitreißend vom Wert, von der Kraft und Schönheit der afrikanischen Menschen, appellierte an Ausdauer und Zuverlässigkeit, an den Lerneifer jedes einzelnen. Er vergaß auch nicht - mit einem Blick auf uns - die Hilfe der sozialistischen Länder zu erwähnen. Sekou Touré dankte den Jugendlichen für ihren Einsatz an der "grünen Front" und verkündete mit gehobener Stimme, daß ihre Schule den Namen der Volksheldin Bangura erhalten solle. Das löste bei den Schülern Jubel aus. Das afrikanische Temperament war nicht mehr zu zügeln, als der Präsident die Namen jener Ausbilder nannte, welche wegen besonderer Verdienste in den Lehrerrang erhoben werden sollten. Touré unterhielt sich noch mit dem einen und anderen, verabschiedete sich dann, setzte sich an das Lenkrad seines Wagens und fuhr langsam, ein weißes Tüchlein schwenkend, zum Tor hinaus, umringt von den Jugendlichen, die ihn bis zur Hauptstraße geleiteten: Presi, vivat Preesi!!

Im kleinen Büro von Honoré kamen wir Lehrer noch einmal zusammen, um unsere Meinungen über das gerade Erlebte auszutauschen. "Nun hat die schöne Aicha ihren großen Tag gehabt und sich als Schwägerin des Präsidenten vorzeigen können", spaßte Honoré bissig, während die anderen einverständlich schmunzelten. Die Direktorin war nämlich ihrer hochmütigen und so unafrikanisch zugeknöpften Art wegen unbeliebt.

Das Gespräch wurde sofort ernsthaft, als es um den Präsidenten ging. Seine Autorität ist unangefochten. Aggressionen und Sabotage wie westliche Lügen über ihn vermochten sie nicht zu erschüttern. Die Jugend glaubte an ihn, er ist für sie die Symbolfigur der Revolution. Er trägt die Republik.

Wer aber kommt danach? Und: Was kommt danach?

Hier ist so oft von der Revolution die Rede, durch die sich die Guineer mit Sekou Touré an der Spitze von allen kolonialen Mißständen befreit und einen eigenständigen selbstbestimmten Staat erkämpft haben. Das stimmt! Und ist auch ein Grund, stolz zu sein. Aber von einem sozialistischen Staat kann natürlich noch lange nicht gesprochen werden. Zunächst gilt es, Wirtschaft und Produktionsstätten zu entwickeln, dem Land eine normale Existenzgrundlage zu verschaffen. Damit wäre es dann zunächst einmal in die kapitalistische Staats- und Wirtschaftsform eingetaucht, die in Europa seit der Französischen Revolution besteht. Dann erst, wenn alle Länder der Erde diese kapitalistische Gesellschaftsformation durchlaufen haben - vielleicht in 100 oder 200 Jahren, vielleicht auch schon deutlich früher - könnten neuerliche Revolutionen zu einer friedlicheren Ordnung, einem sozialistischen Staatswesen führen, in dem nicht mehr das Geld die Hauptrolle spielt.

Doch zurück zu Guinea in Westafrika, dem nach eindrucksvollen Jahren des Kennenlernens meine Sympathie und ganze Zuneigung gehören. Bald werde ich wieder daheim sein in meiner Welt, bei meiner Dorothee und ihrer geliebten Großmama, meiner Mutter. Ich freue mich sehr darauf. Aber ich werde sie nie vergessen - die Afrikaner mit ihrer außerordentlichen Menschlichkeit, aber auch die Tropen, das Meer und die wunderbaren Sonnenuntergänge!

Die Prüfungen sind an unserer École de la Santé vorbei. Auch unser Sorgenkind Sow hat bestanden. Cece schnitt am besten ab, an zweiter Stelle lag Karifala, an dritter Roger. Cece bekommt ein Stipendium für ein Medizinstudium in Kuba, Karifala und Roger werden in Conakry Pharmazie studieren. Wie ich mich für sie freue! Abends kommen alle drei zu mir. Alles, was ich noch im Kühlschrank habe, wird aufgetischt: Broiler, Kuchen, Obstsalat. Die drei Glücklichen putzen alles weg. Sie lehnen sich im Sessel zurück und breiten die Arme aus: Die Welt liegt vor ihnen!

Renate Teller, Worpswede


Die Redaktion dankt ihrer inzwischen 94jährigen Autorin für deren mit Herzblut geschriebene glanzvolle Reportage, die mit diesem Beitrag abgeschlossen ist.

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Wovon Weimar Zeugnis ablegt
Politische Kulminationspunkte und kulturfeindliche Exzesse im 20. Jahrhundert

Weimarer Erinnerungen" - so heißt eine Sonette-Sammlung Walther Victors (1895-1971), ausgestattet mit hervorragenden Fotos von Stätten der klassischen deutschen Literatur in und um Weimar. Das Buch erschien erstmals 1964 im Volksverlag Weimar und erlebte, was bei Lyrikbänden wohl eher selten ist: sieben Auflagen.

Eines der Fotos präsentiert das Deutsche Nationaltheater mit dem Goethe-Schiller-Denkmal, dieses umkränzt zu Füßen von frischen Gebinden mit breiten Schleifen. Im Buch steht dazu Victors Sonett II, aus dem hier zitiert sei: "... Bunt war der Platz von jungbewegten Mengen / Im Jahre 20, als wir hier verbrannten / Ein Hakenkreuz, das Böse zu versengen, / Das wir nur ahnten, aber noch nicht kannten ­..."

Es war das zweite Jahr der Weimarer Republik. Ende August 1920 fanden in der Stadt Goethes und Schillers ein Treff der Sozialistischen Arbeiterjugend Deutschlands, ein Kongreß und viele öffentliche Bekundungen statt. Auf den Tiefurter Parkwiesen tanzten Mädchen und Jungen im heiratsfähigen Alter - manche von ihnen waren gerade noch dem "Heldentod" im 1. Weltkrieg entronnen - fröhlich, verliebt und ausgelassen; zudem hellwach und durchaus kritisch gegenüber ihren Parteioberen. Sie scherten sich wenig um die erhabenen Theaterreden der Politiker über Demokratie. Frühzeitig erkannten sie die Gefahren, die von der bereits 1919 gegründeten Hitler-Bewegung ausgingen, welche sich ab 1920 als NSDAP bezeichnete. Im Frühjahr war deren Parteiprogramm veröffentlicht worden, eindeutig chauvinistisch und rassistisch.

Darauf und auf den schnöden Diebstahl ihres tags zuvor niedergelegten Kranzes antworteten junge Sozialisten mit der öffentlichen Verbrennung eines in Tiefurt gezimmerten und auf dem Theaterplatz angezündeten hölzernen Hakenkreuzes. Es war ein Tag nach Goethes Geburtstag. Anschaulich schilderte Walther Victor, damals einer aus der linken Hamburger Jugend, die Vorgänge dreißig Jahre später in seinem Tagebuch einer Sommerreise von 1951. Der Titel des in Schwerin verlegten Buches lautete: "Dir allein verleih ich die Stimme".

Es scheint mir nötig, auf dieses Geschehen besonders hinzuweisen, zumal damit zu rechnen ist, daß 2019 - aus Anlaß des hundertsten Gründungstages der Weimarer Republik - unablässig von der "Geburtsstunde der deutschen Demokratie" geredet und geschrieben werden dürfte. Doch diese trug den Todeskeim schon in sich. Daß Jahre später die Hitler-Partei Weimar und deren klassische Stätten sowie ganz Thüringen als "Schutz- und Trutzgau" für sich erobern konnte - nördlich der Stadt der deutschen Klassiker errichteten die Faschisten das KZ Buchenwald - ist eine der fürchterlichen Folgen der Unterschätzung der vom Chauvinismus und Völkerhaß drohenden Gefahr. Die vielgepriesene Weimarer Republik war nichts anderes als eine nationalistische Diktatur des Großkapitals!

Walther Victor mußte nach dem Einsetzen des deutschlandweiten Terrors, der 1933 mit dem Reichstagsbrand begann, untertauchen und publizierte fortan unter Pseudonymen. Eines davon hieß C. Redo ("Ich glaube"). Auf der Bodensee-Insel Reichenau entstand die vom Eichenverlag Arbon 1936 herausgebrachte Streitschrift "Zwei Deutsche". Das Titelblatt zeigt als Fotomontage Goethe und Hitler. In mehreren Kapiteln werden Grundaussagen beider über Nation, Volk, Freimaurertum, Literatur sowie Krieg und Frieden einander gegenübergestellt. Damals machten sich manche im Ausland noch Illusionen über das faschistische Deutschland und seinen Führer, auch die "neutrale" Schweiz, wo sich der Verlagsort befindet. Im Klappentext heißt es u. a.: "Diese Schrift ist eine deutsche Kulturtat!" Und: "So urteilte ein bekannter deutscher Nobelpreisträger." Es dürfte sich dabei um Thomas Mann gehandelt haben, dem 1929 der Literaturnobelpreis zuerkannt wurde.

Vor den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin suchte sich Nazi-Deutschland den Anschein eines weltoffenen und "ganz normalen" Landes zu geben. Übrigens knickte die Schweiz bald ein. Ab 1937/38 erteilte sie vielen vor den Faschisten geflohenen Exilautoren keine Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnisse mehr. Gewährte Visa wurden nicht verlängert. So sahen sich viele Emigranten zur Flucht in andere Länder gezwungen. Im Sommer 1938 verschaffte der Bürgermeister der luxemburgischen Stadt Esch sur Alzette Walther Victor noch eine Einreisegenehmigung.

Das 20. Jahrhundert birgt viel Schreckliches, war aber auch eine Zeit bewegender Solidarität. Die später geborenen Generationen wissen darüber leider kaum noch etwas. Die meisten Schulen enthalten es ihnen vor. Die Geschichtskenntnisse der Schüler schrumpfen auf Halb-, Viertel- und Unwissen, die Zahl öffentlicher Bibliotheken, besonders im Osten Deutschlands, wurde in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten drastisch reduziert. Die Werke sozialistischer Autoren wie Walther Victor wurden entweder aussortiert oder auf ein Minimum reduziert.

Unter dem Namen Victor fand ich in einem elektronischen Bestandsspeicher der zentralen Stadtbücherei nur noch drei oder vier Anekdotensammlungen. "Kehre wieder über die Berge", seine hochinteressante Autobiographie (1945 in New York; 1982 in Berlin und Weimar als DDR-Ausgabe erschienen), ist "nicht ausleihbar", erfährt man.

All das belegt, daß die 1985 formulierten Worte Richard von Weizsäckers "Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung vom Faschismus" aus der Erinnerung der Deutschen verdrängt werden sollen. Der diesjährige 8. Mai war für viele Medienmacher der BRD lediglich der "Tag des Kriegsendes".

Es bleibt zu hoffen, daß sich die Stadt Weimar der ganzen deutschen Geschichte verpflichtet fühlt und bei künftigen Jubiläumsfeiern Einseitigkeiten zu vermeiden weiß.

Werner Voigt, Kromsdorf

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Ein Leben in vorderster Front
Der Arbeiterdichter Erich Weinert riß Millionen deutscher Proletarier mit

Das Werk Erich Weinerts widerspiegelt einen dramatischen Abschnitt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: den vom Beginn der 20er Jahre über die Wirren der Weimarer Republik und die faschistische Barbarei bis zu den Anfangsjahren der DDR. Viele von Weinerts Texten, zum Beispiel das "Lied vom kleinen Trompeter" oder das der Internationalen Brigaden wurden vertont. Sie bereichern bis heute das Repertoire von Chören, die sich der Pflege des revolutionären Liedguts widmen. Erich Weinert, geboren 1890 in Magdeburg, wählte bewußt den Weg eines Propagandisten der KPD. Sein schriftstellerisches Schaffen bestimmte die Kämpfe der Genossen. Ihnen gab Weinert durch seine mitreißenden Verse nicht allein Kraft, sondern teilte mit ihnen auch Verfolgung und Exil, Siege und Niederlagen.

Was sollte er werden? Techniker wie der Vater oder bildender Künstler, Lehrer und Kunsterzieher, Schauspieler oder Schriftsteller?

Nach seinem Schulabschluß folgte der vor der Berufswahl Stehende zunächst der väterlichen Empfehlung, wie sie wohl noch heute viele Eltern ihren künstlerisch ambitionierten Kindern geben: Erst mal was Solides! Der jugendliche Erich lernte also in der Buckauer Maschinenfabrik zunächst den Beruf des Lokomobilbauers. Nach dem Absolvieren handwerklicher und künstlerischer Ausbildungsgänge und erster Berufspraxis als Maler, Grafiker und Zeichenlehrer mußte Erich Weinert von 1913 bis 1919 Militär- und Kriegsdienst leisten. Das Erleben der Greuel an der Front, des Massenelends und der verratenen revolutionären Novemberkämpfe mögen sein Moralempfinden verletzt und ihn zu geistiger Rebellion herausgefordert haben. Als Mitwirkender bei den Auftritten fortschrittlicher Kabarettgruppen in Leipzig und Berlin zeigte sich deutlich seine Berufung zum Satiriker. Ab 1921 stehen Weinerts Strophen in intellektuell beachteten, heute berühmten Blättern wie dem "Simplicissimus" oder der "Weltbühne". Zum Beispiel das aktuell anmutende Gedicht über reaktionär-konservative Journalisten: "Er macht in Objektivität / und nimmt den lieben Gott zum Muster; / jenseits von Gut und Böse steht / der Meinungsschuster." Vor proletarischem Publikum weckte Weinert Begeisterung mit seinen Versen und als mitreißender Redner. Ein solcher Auftritt um 1930 ist zum Beispiel im "roten Mörfelden" (bei Frankfurt am Main) auf der Bühne des damaligen Volkshauses dokumentiert. "Von nun an wußte ich, wohin ich jetzt und für alle Zeit gehörte", schrieb Weinert in seinen Erinnerungen über die Veranstaltungen mit Arbeitern. Er zählte 1928 zu den Mitbegründern des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und war seit 1929 Mitglied der KPD.

Wenig später besuchte er zum ersten Mal die Sowjetunion. Wegen "Gotteslästerung und Aufreizung zum Klassenhaß" wurde der Dichter und Agitator, nunmehr Mitarbeiter der "Roten Fahne", mit öffentlichem Redeverbot belegt. Doch gerade unter solchen widrigen Umständen begann seine überaus fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hanns Eisler und dem Sänger Ernst Busch. Diese beiden Künstler und Weinerts Frau, die Schauspielerin Li Weinert, waren es, welche die Texte des mit Auftrittsverbot Bestraften vertonten, sangen und rezitierten. Darunter das Lied "Der heimliche Aufmarsch". Es ruft zur Verteidigung der Sowjetunion auf. Eine Sternstunde künstlerischer Inspiration ließ dieses Werk zu einer einzigartigen Wort- und Tonschöpfung gedeihen. "Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre! Nehmt die Gewehre zur Hand. / Verjagt die faschistischen Räuberheere, setzt eure Herzen in Brand! / Pflanzt eure roten Banner der Arbeit auf jede Rampe, auf jede Fabrik. / Dann steigt aus den Trümmern der alten Gesellschaft die sozialistische Weltrepublik!"

Weinert und Eisler waren sich bewußt, daß sie die gewachsene Tradition des Arbeiterliedes mit seinen Ursprüngen in den volksliedhaften Gesängen wandernder Handwerksburschen und marschierender Soldaten durchbrechen mußten. Denn die in historischer Mission kämpfende Klasse brauchte neuen Klang und Rhythmus. Unvergeßlich bleiben die Vorträge Ernst Buschs wie auch spätere Interpretationen des Liedes mit dem Erich-Weinert-Ensemble der NVA. Ich habe es als Höhepunkt der Konzerte des Rundfunk-Jugendchors Wernigerode, zum Beispiel im Magdeburger Kulturhaus Erich Weinert, noch immer im Ohr.

Nach der Machtergreifung der Hitlerfaschisten im Januar 1933 beginnt für Li, Erich und Marianne Weinert die Flucht über mehrere europäische Länder in die Sowjetunion. Unermüdlich klärte der Propagandist weiter über das mörderische Wesen des Hitlerstaates auf. Seine Gedichte "An einen deutschen Arbeiterjungen" oder "John Scheer und Genossen" zeugen davon.

Weinert kämpft vor Madrid mit den Internationalen Brigaden, findet nach deren Niederlage 1939 erneut Asyl in Moskau, wird dort Rundfunkmitarbeiter. Ab 1942 setzt er sich an der Front für die Rettung der auf verlorenem Posten sinnlos leidenden deutschen Soldaten ein. Hunderttausende Flugblätter mit Weinerts Antikriegsgedichten weht der Ostwind in die deutschen Stellungen vor Stalingrad. "Um sie aber zu überzeugen, daß wir wirklich da sind, gingen wir alle Nächte in die vorderste Linie und brüllten durch den Lautsprecher zu ihnen hinüber", schrieb der mutige Agitator in einem Brief an seine Tochter. 1943 gründet Erich Weinert zusammen mit Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Johannes R. Becher und anderen das Nationalkomitee Freies Deutschland, dessen Präsident er wurde. So erstritt und erlebte er den Sieg über die faschistischen Räuberheere. Zurückgekehrt in die Heimat arbeitete er, obwohl bereits schwer lungenkrank, in verantwortlichen Funktionen für den Aufbau des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates.

Der hoch geehrte Dichter starb 1953 in Berlin. Eine seiner letzten literarischen Arbeiten war das Erinnerungsbuch für seinen im sowjetischen Exil umgekommenen Freund und Genossen, den Maler Heinrich Vogeler (Verlag Rütten und Loening, 1952).

Marianne Walz

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Laß mich schlafen, Bruder Nacht! Das wird nix, der Schlaf will sich nicht einstellen. Die Bilder brennen in den Augen, bestimmen die Gedanken, wecken Erinnerung und Befürchtung. Aber ich werde den Teufel tun und versuchen, mich gleichzustellen mit denen, die uns gerade mit ihrer Verzweiflung, ihrem Mut und der Größe der Aufgabe, die sie uns aufbürden? abverlangen? zu gemeinsamem Tun anbieten? über- und herausfordern.

Was da vor uns liegt, zwingt zur Zusammenarbeit, zu einem Reichtum an Ideen, und mehr Anstrengung, als wir eben gerade übrig hatten. Ob es gedeiht, wissen wir noch nicht. Es wird eine neue Erfahrung, und vielleicht erzwingt sie ja ein Ende der unerträglichen Mittelmäßigkeit, die uns "unsere" Politiker vorführen.

Wir werden uns fühlen wie die letzten Deppen, oder über unsere Beschränktheit siegen. Die gibt es, o ja! Aber erst das Ergreifende: Es ist schön und treibt Tränen in die Augen, zu sehn, wie das Kind nach dem Kuscheltier greift, wie Wasser und Obst gereicht werden, wie ganz normale Bürger ihrem Herzen folgen. Sie gehen mitten am Tag dorthin, wo sie gerade gebraucht werden. Vielleicht oder wohl wissend, daß die spontane Herzlichkeit nicht reichen wird.

Menschen haben Angst vor dem Fremden, oder dem, was sie als fremd empfinden. Eine gescheite Person massiert mich, hört sich meine Gedanken an, äußert dann die ihren. "Sie werden uns Krankheiten bringen." Welche?

Na, zum Beispiel Ebola. Ich sage: "Das klingt, als ob Sie auf dem Alex schon das ewige Eis sehen." Wir reden, und ich habe es geahnt: Sie weiß weder, in welchen Staaten die Epidemie aufgetreten ist, noch, ob zum Beispiel Syrien dazugehört.

Aber dennoch: Da liegt etwas in der Luft, da ist etwas, das hoffen läßt. Vielleicht nur ein Funke, oder ein richtiger Gedanke, den es zu stärken gilt. Meiner Enkelin habe ich erzählt, wie es war, als Kind, auf der Flucht vor Bombardements, in eine fremde Sprache und andere Sitten zu geraten. Aber wir haben damals, anders als der junge Mann aus Aleppo, dadurch den totalen Krieg nicht ertragen müssen.

Sind wir gut? - auch! Nach all dem, was auf dieser Erde der Mensch dem Menschen schon angetan hat, wissen wir, zu welchen Untaten Bürger ermächtigt werden können. Halten wir fest an der Überzeugung, daß gute Beispiele und überzeugende Vorbilder bei der Verbreitung besserer Sitten helfen. Es dauert nur lange und braucht mehr Wissen, denn zu wenig davon beflügelt auf der Lauer liegende Vorurteile.

Manchmal kann dir mitten am Tag alles Licht der Hoffnung verlöschen. Du stehst da, hältst dein Herz fest und weißt nicht, ob du aufgeben oder in den Kampf gehen sollst. Jemand meint, daß es ja wenigstens nicht hier war, sondern in Frankreich. Soll das ein Trost sein? Es wäre also bei uns nicht möglich? Die Täter waren ein Vater und eine Mutter, waren Menschen, die miteinander lebten und ein Kind zeugten, das nur drei Jahre alt werden durfte. Dann hat der Vater es in die Waschmaschine gesteckt und die in Betrieb genommen. Das Kind sollte zwanzig Minuten in der Maschine bleiben, aber es war nach zehn Minuten tot. Der Vater wurde für den Mord zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt, die Mutter als Mittäterin zu zwölf Jahren, was ich milde finde, für eine Person, die während der Untat des Mannes im Nebenzimmer mit dem größeren Kind ein lustiges Spiel erlebte. Sie hatte Angst vor dem Mann. Solche Aussage lag auf der Hand.

Dieses Land ist in vielen Teilen sehr vorläufig, oder dringend änderungsbedürftig, das trennt es von einer verläßlichen, einer zu liebenden Heimat. Aber die gesetzlichen Regeln sind eindeutig. Das Recht auf Unversehrtheit allein würde genügen, um zu wissen, daß niemand einen anderen verletzen, unterdrücken und unfrei machen darf.

Mann und Frau sind bei uns vor dem Gesetz gleichberechtigt. Das ist eine täglich verletzte Wahrheit. Man möchte oft nicht glauben, was sich da in einer Familie abspielt, aber in den Frauenhäusern und vor unseren Gerichten kann man es erfahren. Die Emanzipation darf nicht auf dem Papier stehen bleiben.

Ich will nicht glauben, daß Mißstände nicht beseitigt werden können. Hilfe wird nur oft aus Angst nicht in Anspruch genommen. So habe ich Frauen reden hören, wenn es unerträglich geworden war, wenn sie endlich den Mund aufmachten, endlich ihr Kind oder sich selber in Schutz nahmen.

Wir leben aber nicht dort, wo Frauen noch gesteinigt werden, wo bis eben Vergewaltigung nicht als Verbrechen galt. Es geschieht weit weg, daß Mädchen mit untauglichem Werkzeug beschnitten werden, weil Lust für sie durch willkürliche Auslegung einer Religion verboten ist; es geschieht aber unserer gemeinsamen Erde, daß Frauen sich freiwillig Bimssteine in den Unterleib schieben, weil das nach altem Brauch für den Mann den Boden seiner Lust besser vorbereitet.

Wir leben nicht dort, von wo Millionen Menschen aufbrechen, junge Menschen, schöne Frauen und Männer, die aus zerbombten Städten und nach angstvoll gelebten Jahren, immer wieder hoffend und immer wieder enttäuscht, unsere Hilfe in Anspruch nehmen, um eine friedliche Nacht zu erleben, und einen Platz für Pläne, sinnvolle Arbeit und Leben in einer Familie zu finden. Das ist eine unverdiente Transfusion für das scheinbar großzügige aufnehmende Land. Und ein entsetzlicher Verlust für die alte Heimat, die sich mit der Rechtlosigkeit des eigenen Volkes eingerichtet hat.

Die große Weltgemeinschaft hat ihren Anteil daran. Jeder, der sich militärisch beteiligt, ohne den Krieg beenden zu können.

Ich wünschte mir, ich könnte die abendlichen Bilder ruhig, Anteil nehmend sehen. Aber er ist kaum zu ertragen, der Anblick so vieler Menschen, eine Völkerwanderung über Tausende von Kilometern, immer angewiesen auf jegliche Hilfe, ausgesetzt jeder Willkür unterwegs.

Der Vorläufigkeit solidarischer Gesten sind wir uns bewußt. Sollen sie deshalb unterbleiben? Gewiß nicht. Es ändert nur nichts daran, daß auf die Ansässigen und die Ankommenden die Mühen des Alltags warten.

Und da bin ich bei einem Trost, der mein Herz erwärmt: Ob in meiner Apotheke, abends auf dem Bildschirm, bei Lidl oder in der Klinik: Da sind sie, die Kinder der zweiten oder dritten Generation, die Kinder und Enkel der "damals" Angekommenen. Sie arbeiten ganz normal, sind meist sehr hübsch, und das Kopftuch tragen nur noch wenige. Sie reden so gut deutsch wie du und ich.

Wir lächeln uns an, grüßen uns, oder nörgeln auch mal, also ganz normal. Sind wir dumm, schwerfällig, vielleicht manchmal blöd? Wahrscheinlich, ja. So haben uns die Dichter, die Philosophen und Politiker genannt. Von letzteren nehme ich das am wenigstens hin und hoffe nur, daß sie nicht wieder einmal alles verpatzen.

Ich höre, daß die Lagerstätten vor Spenden beinahe platzen. Dennoch gehe ich durch die Wohnung und fange an, einzupacken. Viele Menschen müssen von vorn anfangen. Man kann sich eine Familie suchen und helfen, über das Alltägliche und über das sogenannte Große und Ganze zu reden. Einer sagt: "Es wird sich hier alles ändern." Bei uns? Dagegen ist nichts zu sagen. Ohne Leidenschaft bringt man im Leben nicht einmal eine wohlschmeckende Kartoffelsuppe auf den Tisch. Die koche ich jetzt.

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Leserbriefe an RotFuchs

Liebe Genossen und Freunde! Mit großem Interesse lese ich immer den "RotFuchs" und bleibe auf diese Weise einigermaßen im Bilde, welche Probleme in Deutschland wirklich aktuell sind.
Ende des Jahres werde ich 88 und beginne langsam, mein Alter zu spüren.
Ich wünsche dem "RotFuchs" und seinen Gestaltern alles erdenklich Gute. Mit herzlichsten Grüßen

Oberst a. D. Witali Korotkow, Moskau


Während der nächsten Monate studiere ich in Havanna Geschichte und Marxismus-Leninismus.
In Kuba erlebe ich sehr spannende Tage, doch die bei uns verbreitete Hysterie nach dem Motto "Jetzt kommen die Amis!" geht an der hiesigen Realität total vorbei.
In der Bezirksstadt Santa Clara wurde eine neue Tamara-Bunke-Ausstellung eröffnet. Sie befindet sich im Che-Guevara-Mausoleum. Prof. Dr. Oliver Rump hat das Projekt mit seinem Seminarkurs für Museologie an der Berliner Hochschule für Technik und Wissenschaft (HTW) innerhalb von drei Jahren vorbereitet. Begleitet wurde die Exposition durch Fernando Gónzalez von den Cuban Five. Noch vorhandene Habseligkeiten der Guerilla-Kämpferin wurden von Rumps Team gesammelt, archiviert, dokumentiert und digitalisiert. Tamaras noch lebende Freundin Elisabeth willigte ein, deren Nachlaß Kuba zu übergeben. Dort wurde diese Initiative, welche auch von Cuba Sí getragen wird, sehr begrüßt, gilt "Tania" hier doch als Nationalheldin. 1937 in Argentinien geboren, übersiedelte sie mit ihrer Familie 1952 in die DDR, wo sie sich rasch für die junge kubanische Revolution begeisterte. 1960 traf Tamara erstmals auf Che Guevara. Sie zog nach Kuba und begann dort ein Journalistikstudium, ging jedoch bald darauf mit Che nach Bolivien, wo sie am 31. August 1967 ermordet wurde. In der DDR trugen über 200 Kollektive und Einrichtungen ihren Namen.

Marcel Kunzmann, z. Zt. Havanna


In Form des beigelegten Schecks über 100 Euro danke ich dem "RotFuchs" für seine verdienstvolle Arbeit. Sagt mir doch bitte einmal, liebe Genossen, warum ich eigentlich immer das Gefühl habe, Euch mein Herz ausschütten zu wollen! Schon lange in Kuba, bin ich zugleich auch noch Leser der UZ. 1948 trat ich der KPD und nach ihrer Gründung der DKP bei. Ich sende Euch herzliche Grüße in fester Verbundenheit.

Hans Kuprat, Matanzas (Kuba)


Allen antikommunistischen Verleumdern und Hetzern gegen die DDR zum Trotz übermitteln wir Euch herzliche Glückwünsche zum Gründungstag der Deutschen Demokratischen Republik - der größten Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung.
Die Annexion der DDR und der Sieg der Konterrevolution werden sicherlich nicht die letzte Schlacht des Klassenkampfes auf deutschem Boden gewesen sein. In diesem Sinne voller Optimismus und "der Zukunft zugewandt", bekunden wir unsere Solidarität mit den Siegern von morgen.

Ilona und Ghassem Niknafs, Hamburg


Für mich war der 3. Oktober wie in jedem der letzten 25 Jahre ein Tag der Trauer.
Ein Leben in Ruhe und Frieden? Soziale Absicherung für alle? Ein umsorgtes Alter? Keine Ängste um die Zukunft der Nachkommen? Nie mehr von deutschem Boden ausgehende Kriege?
Nichts von dem hat die uns aufgezwungene BRD zu bieten!
Demgegenüber sah ich meine Kinder in einem Staat aufwachsen, in dem es weder Drogen noch Wohnungslose, weder Mafiabanden noch Ausländerfeindlichkeit oder Aufmärsche neuer Nazis gab.
Meine Tochter freute sich Jahr für Jahr auf den Sommer, weil sie dann wieder in eines der vielen Kinderferienlager fahren konnte. In Gedanken bin ich oft an der Ostsee, auf den Inseln Rügen und Usedom, wo wir herrliche Sommerurlaube verlebten. Heute erstrahlen die alten Villen in neuem Glanz. Wie auch die luxuriösen Hotels sind sie für die "Reichen und Schönen" bestimmt.
Meine beiden Kinder hatten einen guten Schulabschluß. Der Sohn bekam eine Lehrstelle im Getränkekombinat, die Tochter studierte an der Medizinischen Fachschule. Studiengebühren kannten wir nicht. Jeder bekam ein Grundstipendium, das bei guter Leistung erhöht wurde.
Nach dem Krieg wohnte ich im Westberliner Bezirk Reinickendorf. Während einer schweren Erkrankung hatte ich das Glück, im demokratischen Sektor Berlins, also im Osten, stationär behandelt zu werden. Der dreimonatige Klinikaufenthalt kostete mich keinen Pfennig. Als meine Entlassung bevorstand, bot man mir dort eine Beschäftigung als Hilfsschwester an. So wurde ich Bürgerin der DDR. Diesen Schritt habe ich nie bereut. Übrigens wurde damals gerade in der BRD ein Film mit dem Titel "Weil du arm bist, mußt du früher sterben" produziert.
Muß ich begründen, warum der 3. Oktober für mich niemals ein Feiertag sein kann?!

Brigitte Wackernagel, Berlin


Das heute wieder zwischen Oder und Rhein tonangebende Deutschland gierte schon immer nach einem Nationalfeiertag. Da gab es 1871 den westfälischen Pastor Friedrich von Bodelschwingh. Der fanatische Monarchist schlug dem Rheinisch-Westfälischen Provinzialausschuß für Innere Mission den Sedantag vor. Am 2. September 1870 habe "die Hand des lebendigen Gottes so sichtbar und kräftig in die Geschichte eingegriffen, daß es dem Volke gerade bei diesem Gedenktage in Erinnerung zu bringen sein wird, wie Großes der Herr an uns getan hat". Gemeint war die französische Niederlage in der Schlacht bei Sedan. Danach kreierte Preußen den "Tag von Sedan". Als 1918 Heinrich Manns Buch "Der Untertan" herauskam, fühlte sich das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen sollte, angegriffen und diffamiert. Doch nicht überall in deutschen Grenzen blieb es so: 1949 galten mit Gründung der DDR dort andere Maßstäbe. 1951 drehte Wolfgang Staudte seinen Erfolgsfilm "Der Untertan" nach Heinrich Manns Roman. In der BRD durfte er nur bei geschlossenen Veranstaltungen oder ab 1957 verkürzt gezeigt werden. Erst in den 70er Jahren brachte das BRD-Fernsehen erstmals die Ganzfassung.
Die dem "Untertan" wohl am meisten entsprechenden Veranstaltungen fanden am 3. Oktober 1990 und dann alljährlich unter dem Label "Tag der Deutschen Einheit" statt.

Klaus Horn, Großdobritz


Der September-RF enthielt den Artikel Erik Höhnes "'Transformation' oder Systemwechsel?" Der Beitrag verdient besondere Aufmerksamkeit. Sein Autor analysiert das Programm der Europäischen Linkspartei (ELP) aus dem Jahre 2004. Es kennzeichnet die politische, wirtschaftliche und soziale Situation in der EU oftmals zutreffend, benennt aber als eigenes politisches Ziel die "Transformation des Kapitalismus". Erik Höhne beleuchtet diese Position der ELP kritisch und stellt zugleich die Frage nach dem Verhältnis der DKP zur ELP. Bis jetzt hat die DKP dort einen Beobachterstatus, den einige in der Partei gerne zur Vollmitgliedschaft ausgeweitet sehen möchten. Besonders wichtig erscheint mir aber, daß die in der BRD entwickelte Transformationstheorie und die mit ihr verbundene politische Strategie nun auch in internationalem Rahmen wirksam werden.
In der BRD haben marxistische Autoren diesen Komplex in ihrem vom OKV angeregten Buch "Gefährliche Illusionen - Die 'Transformationspolitik' in der Kritik" gründlich durchleuchtet. Auch die Marxisten in den der ELP angehörenden europäischen Linksparteien werden an diesem Thema nicht vorbeikommen. Es ist das Verdienst Erik Höhnes, des Vorsitzenden der Geschichtskommission der DKP, und des RF, die Dinge beim Namen genannt zu haben.

Prof. Dr. Herbert Meißner, Oranienburg


Als einer vom Jahrgang 1945, der sich für den DDR-Sport stets interessierte, melde ich mich zu Wort. Wir wurden einmal mehr mit Erinnerungen und Lobpreisungen auf die "Wiedervereinigung" vor 25 Jahren zugepflastert. Vermeintliche Schandtaten der DDR werden uns Tag für Tag um die Ohren gehauen, Loblieder auf die BRD gesungen. Rein zufällig vergaß man, was unserem Sport in all den Jahren davor und danach von BRD-Seite alles angetan wurde. Man denke nur an jene Serie von Intrigen, um die DDR nicht auf das internationale Parkett zu lassen. 1955 wurde das NOK der DDR vom IOC anerkannt - gegen die Stimmen der Westdeutschen, deren aus Nazitagen belastete IOC-Mitglieder dort seit 1951 Sitz und Stimme hatten. Welches Gerangel wurde veranstaltet, um die Eigenständigkeit unserer Mannschaften bei internationalen Vergleichen zu verhindern! Und dann ab 1949 das Theater um unsere Flagge.
Zu den Olympischen Winterspielen 1960 in Squaw Valley (USA) wurden Teilen der Mannschaft die Visa verweigert. Journalisten, Trainer und Betreuer durften nicht einreisen und mußten ihre Schützlinge per Telefon anleiten.
Ich erinnere mich auch an den Skandal 1961, als die BRD-Auswahl bei der Eishockey-WM in Genf erst gar nicht auf dem Eis erschien, um bei einer möglichen Niederlage nicht das Ertönen unserer Nationalhymne "ertragen" zu müssen. Als der Schiedsrichter das Spiel anpfeifen wollte, standen unsere Aktiven ohne die BRD-Mannschaft auf dem Eis! Die Zuschauer tobten, der Schiedsrichter pfiff das Spiel an. Ein DDR-Sportler schoß symbolisch ein Tor. Nach dem Reglement stand es damit 5:0 für uns. Danach erklang zu meiner großen Freude die DDR-Hymne.

Hans-Ulrich Tittler, Berlin


Ein Wort zur parallelen "Aufarbeitung" der 12jährigen faschistischen Vergangenheit Deutschlands und der 40jährigen Existenz der DDR durch BRD-"Historiker". Ich finde es unerträglich, daß Dinge vermischt werden, die gar nichts miteinander zu tun haben. Im Nürnberger Prozeß 1945/46 und danach legten die Alliierten der Antihitlerkoalition den Finger auf die Schwerstverbrechen des Naziregimes. Bekanntlich tat sich die BRD-Kanzler Konrad Adenauer und einige seiner Nachfolger sehr schwer mit der Ahndung faschistischer Untaten. Sie benötigten 18 Jahre, um im Auschwitz-Prozeß überhaupt gegen Täter juristisch vorzugehen. Mehr als 70 Jahre dauerte es, um einem kleinen SS-Unterführer in dessen 94. Lebensjahr den Prozeß zu machen.

Siegmar Knobloch, Blankenstein


Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen des rechten Mobs gegen Flüchtlinge verwandte Herr Gauck das Wort "Dunkeldeutschland". Mir fiel sofort ein, wo ich es bereits gehört hatte.
Nach der Annexion der DDR lebte ich einige Jahre in der Schweiz. Dort kam ich in einem Lokal mit einem westdeutschen Ehepaar ins Gespräch. Es benutzte ständig das Wort "Dunkeldeutschland" mit Bezug auf die DDR. Als ich 1996 dann wieder nach Wolfsburg zog, vernahm ich diese Bezeichnung des öfteren. Warum wohl bedient sich Herr Gauck dieses bereits vorgeprägten Wortes gerade im Zusammenhang mit dem fremdenfeindlichen Wüten? Als ausgewiesener Antikommunist verzichtet der Bundespräsident natürlich nicht auf diese Tastatur.

Walter Drexler, Berlin


Beim Studium habe ich bereits 1954 gelernt, daß bei jeder Untersuchung eines Falles das Objekt und die objektive Seite, das Subjekt und die subjektive Seite sowie der Kausalzusammenhang zu beachten sind.
1945 war Hitlers Deutsches Reich untergegangen. Die westlichen Alliierten wollten Deutschland anfangs klein halten, auch durch Aufteilung in möglichst viele Länder. Der deutsche Imperialismus und Militarismus sollten ja nach dem Potsdamer Abkommen für immer beseitigt werden. Doch die größte Sorge der vom Antikommunismus und Antisowjetismus angetriebenen Westmächte bestand wohl darin, daß das Einflußgebiet der Sowjetunion nun bis an die Elbe reichte.
Der deutsche Imperialismus ist dann aber mit Hilfe der Marshallplan-Milliarden wiedererstanden. Das sogenannte BRD-Wirtschaftswunder raubte der Mehrheit der Deutschen den klaren Blick. Die Formierung des Separatstaates BRD und die vorausgegangene separate Währungsreform taten das Ihre. Die DDR sah sich von der ersten Stunde ihrer Existenz an mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert.
Doch nicht nur Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht haben sie aufgebaut. Wir Millionen DDR-Bürger, die damals in die Hände gespuckt haben, taten es mit ihnen. Durch das permanente Gerede vom "Unrechtsstaat" werden unsere Biographien und Leistungen mit Füßen getreten.
Aber die Stimmung im Osten beginnt umzuschlagen. Die Regierenden haben nicht das Ohr an der Masse und verschärfen mit ihrer Politik nur die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten. Als langjähriger Stadtrat der PDS (1990-2007) in Wolfen weiß ich, was und wie die Leute denken.

Günther Lidke, Bitterfeld-Wolfen


Unter allen Provokationen, mit denen "der Westen" Rußland immer wieder in Konflikte zu verstricken sucht, bildete der "Maidan" den bisherigen Gipfel. Von Kiew nach Moskau sind es nur noch einige hundert Kilometer. Deshalb stellte Putin am 18. Dezember 2014 fest: "Der Westen will den russischen Bären an die Kette legen. Sollte ihm das gelingen, werden dem Bären die Zähne und die Krallen ausgerissen. Sobald dies geschehen wäre ..., würde er ausgestopft. Gleich darauf würde man beginnen, sich die Taiga anzueignen."
Dieser Coup der USA und ihrer Paladine wurde 2014 vom russischen Bären gekonnt durchkreuzt. Die Krim und ihr Tiefseehafen Sewastopol wurden wieder in die Russische Föderation eingegliedert. Das Geheul der davon Getroffenen war und ist groß. Selbst die deutsche Kanzlerin kennt sich ja in bezug auf "Verbrechen gegen das Völkerrecht" bestens aus. Die russische Führung ist auf solche und andere Dreistigkeiten nicht hereingefallen. Sie hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihre Schlüsse gezogen.

Dr. agr. Günther Freudenberg, Bernburg


Am diesjährigen Holocaust-Gedenktag führte ich eine Delegation ehemaliger russischer KZ-Häftlinge durch die Gedenkstätte Sachsenhausen. Unser mehrstündiger Rundgang verlief emotionsgeladen. Wir sprachen über unsere jeweiligen Tätigkeiten im letzten halben Jahrhundert. Jeder berichtete von seiner "Front". Bedauern und Wut kamen auf, als von Verrätern und Wendehälsen hier wie dort die Rede war. Am Ende des Tages gelobten wir einander, unsere verbliebenen Kräfte trotz hohen Alters für den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus einzusetzen.
Die russischen Freunde brachten in der Bilder- und Fotoausstellung, die in der Gedenkstätte gezeigt wird, übrigens ihren Unmut über verfälschende Begleittexte im Zusammenhang mit der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Rote Armee zum Ausdruck.

Oberst a. D. Hein Friedriszik, Berlin


Daß den Flüchtlingen so viele Menschen überall helfen wollen, finde ich toll. Diese oft spontane Solidarität vermittelt mir den Eindruck, daß ein großer Teil der Bürger sehr viel weiter ist als die Regierung der BRD. Was würden die Behörden denn wohl tun, gäbe es nicht diese Flut an Hilfsbereitschaft!
Auch wenn man ab und an das Gefühl haben kann, das Wort Solidarität sei im Sprachgebrauch der Kanzlerin beinahe ernst gemeint, wirkt es zugleich aus dem Munde einer marktradikalen Regierung als Verhöhnung. Hätte man nicht die Operation Mare Nostrum der italienischen Regierung unterstützen können, als diese andere europäische Staaten um Hilfe ersuchte?
Aus bundesdeutscher Sicht funktionierte das Dublin-Abkommen, nach dem sich das von Flüchtlingen zuerst angesteuerte Land um deren Aufnahme und Betreuung zu kümmern hat, für Staaten wie die BRD zunächst doch hervorragend. Kaum aber näherten sich die vor Krieg und Hunger fliehenden Menschen in großer Zahl auch deutschem Territorium, wurde ein EU-Gipfel nach dem anderen veranstaltet.
Dabei ist die Flüchtlingswelle ja nicht aus heiterem Himmel gefallen. Gerade Italien, aber auch Griechenland haben seit Jahren auf die Flüchtlingsströme hingewiesen. Solange sich die unangenehmen Vorgänge an den EU-Außengrenzen abspielten, sahen die Kanzlerin, der Vizekanzler und der Innenminister keinerlei Grund, einen Sondergipfel einzuberufen.
Hätte man nicht bereits zu diesem Zeitpunkt vorsorglich Unterbringungs- und Versorgungskapazitäten für die Flüchtlinge schaffen können, die möglicherweise bald auch in weitaus größerer Zahl Deutschland ansteuern würden?
Auch wenn es bei der patentierten Betroffenheitsmimik der Bundeskanzlerin bisweilen vergessen wird: Warum waren die bewilligten deutschen Waffenexporte im ersten Halbjahr 2015 schon so hoch wie im ganzen Jahr 2014?
Wir Kommunisten müssen ein Höchstmaß an Solidarität mit den Betroffenen üben und um argumentative Klarheit bei der Benennung der Hintergründe bemüht sein.

Benjamin Lapp, M. A., Bischoffen (Hessen)


Die "Flüchtlinge" werden wie ein Ferment wirken, das soziale Prozesse und Problematiken anschiebt - schneller, als offiziell gewünscht. Werden die Linkskräfte zu ihrer aktiven Mitgestaltung in der Lage sein, oder reißt sie der "Strom der Ereignisse" mit?
Jetzt gilt es, vor allem Frieden aktiv einzufordern - im eigenen Land wie weltweit. Starke Stimmen brauchen wir - von allen humanistischen Kräften.

Sonja Navarro, Volkach


Seit einigen Jahren bin ich ständiger Leser des RF. Er ist jene Zeitschrift, welche in hohem Maße meiner eigenen politischen Auffassung entspricht. Prinzipienfestigkeit bei politischer Vielfalt der Meinungsäußerungen halte ich für außerordentlich wichtig - auch zur eigenen Orientierung.
Wie die meisten anderen Bürger beschäftigt mich die Flüchtlingspolitik der EU und insbesondere der BRD sehr. Es ist bedauerlich, daß bei der Schilderung des schrecklichen Dramas von Millionen Menschen die Medien kaum ein Wort zu den aktuellen wie zu den länger zurückliegenden Ursachen finden. Das betrifft auch einige exponierte Vertreter der Linken. Bekanntlich hat die "Einwanderungspolitik" der BRD mit dem billigen "Ankauf" qualifizierter Arbeitskräfte vor allem aus der DDR und anderen Staaten begonnen. Zu den Hauptursachen der letzten Jahrzehnte gehören von Washington angezettelte Kriege in Afrika und dem Nahen Osten. Heute müßten die Flüchtlingsscharen eigentlich vor der Tür des US-Expräsidenten George W. Bush stehen!

Hans Wolf, Cottbus


Als ich in der Juli-Ausgabe den Artikel über Auschwitz las, machte mich meine Frau zufällig auf einen Beitrag in der Gratiszeitung "Berliner Woche" zu Knabes Irreführungszentrale in Hohenschönhausen aufmerksam. Da ich in der Plauener Straße, also unweit dieser "Gedenkstätte", wohne, muß ich mit ansehen, wie täglich etliche Busse immer neue Massen von Jugendlichen zur "Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit" herankarren. In dem erwähnten Artikel der "Berliner Woche" heißt es, die Besucherzahl habe sich in 15 Jahren verzehnfacht. 2014 habe man 436.000 "Interessenten" gezählt. Seit ihrer Gründung seien 3,8 Millionen Menschen durch Knabes antikommunistisches Gruselkabinett geschleust worden. 1,6 Millionen davon seien Schüler gewesen.

Oberst a. D. Eberhard Walther, Berlin


Legt man die Meßlatte des Cui bono? (Wem nützt es?) an, dann ist VW-Chef Winterkorn, der Ex-Chef von VW, absolut unschuldig. Denn kein Wirtschafts- und Politik-Lenker der BRD ist so bescheuert, sich das selbst einzuhandeln, was VW und Winterkorn jetzt passiert ist. Und daß ein Subalterner im Konzern, wie hoch er dort auch angebunden sein mag, diesen Betrug insgeheim und in Eigeninitiative installiert hat, scheidet ebenfalls aus, denn er hat ja persönlich nichts davon. Bleibt nach den Gesetzen der Logik: Im weltweiten gnadenlosen Konkurrenzkampf wurde entweder ein hoher VW-Mitarbeiter durch General Motors mit oder ohne Wissen der US-Regierung bestochen, den Skandal vorzubereiten - oder es genügte allein das Hacken der VW-Software durch NSA oder CIA. Dafür spricht das Timing der Enthüllung. Am 1. Oktober begann - dem Ökonomen Armstrong zufolge - die weltweite Vier-Jahres-Rezessionsphase der 23. zyklischen Krise ab 1825. Und so könnte der VW-Skandal organisiert worden sein, um den konkurrierenden Konzern vor dieser "ins Haus stehenden" Krise auf seinem wichtigsten technischen Gebiet unheilbar ausbluten zu lassen.

Manfred Lowey, Kamen


70 Jahre sind verstrichen, und nach Meinung einiger "Experten" ist nun auch genügend "Weisheit" angehäuft, um eine kommentierte Neuausgabe von Hitlers "Mein Kampf" erscheinen zu lassen. Nicht nur Historiker sind da aktiv, sogar auf der Bühne soll das Machwerk den Deutschen präsentiert werden. Das sind keine Hirngespinste, sondern ist bereits weit gediehene Realität. Nur eigenartig erscheint die Tatsache, daß Hitler gerade jetzt wieder verstärkt ins "Spiel" gebracht wird. Millionen und aber Millionen aus unterschiedlichen Gründen Fliehende erlebt die Welt.
Ich erinnere mich an die Zeit von 1945/46: Damals schwemmte der von den Faschisten verlorene Krieg viele Millionen Deutsche, vornehmlich aus östlichen Gebieten, in ein zerstörtes Land. Sie kamen aus der Not in die Not. Doch es wurde ihnen geholfen.
Ein anderes Deutschland, aufgebaut aus Ruinen, entwickelte sich bei uns, was manche nicht ahnten und auch nicht wollten. Die Welt stellte sich nun in einem sozialistischen und einem nichtsozialistischen Wirtschaftsraum mit den jeweils entsprechenden politischen Machtstrukturen dar. Wo die Ziele der Produktion, der Wirtschaft und der Anlage des Kapitals nur am Profit orientiert sind, kann der Mensch seine Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht zum Nutzen und Wohl seiner selbst und der anderen entfalten. Ein Volk muß daran interessiert sein, auf welchem Weg Sicherheit, Zukunft und damit reale Demokratie garantiert werden. Wie aber soll da ausgerechnet eine kommentierte Großausgabe von Hitlers "Mein Kampf" von Nutzen sein?

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Was die "Befriedung" Iraks betrifft - ich beziehe mich dabei auf den September-RF -, stimme ich dem Beitrag von Dr. Vera Butler voll zu. Allerdings mit einem Vorbehalt: Ich habe in den frühen 60er Jahren als DDR-Korrespondent in Bagdad die negative Rolle Kassems selbst erlebt. Er hat das internationale Erdölkonsortium IPC niemals nationalisiert, sondern nur mit geringem Widerstand dessen Option für "Vorbehaltsflächen" außerhalb der Ölfelder aufgehoben und diese in eine unvollendete "Bodenreform" eingebracht. Niemals hörte man in Bagdad etwas von einer Palästinensischen Befreiungsarmee, wohl aber von dem Krieg, den K. im Norden gegen die Kurden Mullah Mustafa Barsanis führte. Als London 1961 Kuwait aus seinem Mandat entließ, meldete Irak Ansprüche auf das im Osmanischen Reich zur Provinz Mesopotamien gehörende Gebiet an. Statt dem Rat von Außenminister Jawad zu folgen und den Anspruch nur prinzipiell zu erheben, drohte Kassem in meiner Gegenwart voller Zorn: "Wenn die Emire von Kuwait nicht gehorchen, werde ich sie zerschmettern!" Damit löste er die historisch erste Golfkrise aus.
Wie in Kairo, so waren auch in Bagdad die revolutionären Militärs unbekannte Stabsoffiziere, die für ihren Erfolg einer Leitfigur bedurften. Nasser sicherte sich dafür den bekannten General Naguib. Um dem Beispiel Ägyptens in Irak den Weg zu verlegen, soll der britische Geheimdienst übrigens in letzter Minute Generalmajor Kassem an die Spitze der "linken" Militärs lanciert haben. Doch K. blieb beim Volk unpopulär, und der Baath-Partei, die schon im Jahr zuvor von Beirut und Damaskus aus nach Bagdad übergegriffen hatte, wo sie sich mit Kassems Gegner Aref liierte, gelang nach dem Fehlschlag eines ersten Attentats am 7.10.1959 schließlich Kassems Beseitigung.

Jürgen Käding, Berlin


Jan Bischoffs Meinungsäußerung im September-RF, daß mehr Erinnerungsarbeit geleistet werden müsse, stimme ich zu. Anhand eigener Bemühungen auf diesem Gebiet muß ich jedoch einige kritische Bemerkungen dazu machen. Vor mehr als zwei Jahrzehnten habe ich mein Leben unter dem Titel "40 Jahre umsonst?" geschildert und versucht, als überzeugter Sozialist Schlußfolgerungen für die Zukunft zu ziehen.
In aller Kürze: 1931 in der CSR geboren, Volksschule, Oberschule, 1946 Aussiedlung nach Thüringen, Lehre als Maschinenschlosser, 1948 Eintritt in die FDJ und 1952 Aufnahme als Kandidat in die SED. In beiden bekleidete ich Funktionen. Von 1955 bis 1990 Angehöriger der VP, letzter Dienstgrad Kriminalhauptkommissar. In Ehren entlassen. 1993 aus familiären Gründen nach Niedersachsen übersiedelt, bin ich jetzt Rentner.
Reaktionen auf mein Manuskriptangebot besagten, ich sei "keine Person der Geschichte".
So habe ich es an die verdienstvolle Erinnerungsbibliothek von Dr. Rolf Funda in Staßfurt geschickt.

Siegfried Mikut, Georgsmarienhütte


Der Beitrag Bernhard Majorows zur "Republikflucht in den Westen" (September-RF) ist sehr aufschlußreich. Ich möchte dem eine bundesdeutsche Bewertung dieses Geschehens hinzufügen. Um die Jahresmitte 2002 sendeten N24 oder die Tagesschau24 ein Interview mit Egon Bahr - dem Hauptakteur der sogenannten Neuen Ostpolitik der SPD. Zum Thema befragt, urteilte er, über 90 % der republikflüchtig gewordenen oder legal übersiedelten Personen hätten nicht aus politischen, sondern aus familiären und wirtschaftlichen Gründen oder in persönlichen Konfliktsituationen die DDR verlassen.
Übrigens gab es nicht nur eine Bewegung von Ost nach West, sondern auch in umgekehrter Richtung. Etwa jeder zehnte Republikflüchtige kehrte - meist vom Westen enttäuscht - in die DDR zurück. Hinzu kamen um Aufnahme ersuchende Bürger der BRD.
Während Rückkehrer einen Rechtsanspruch auf Fortsetzung ihrer DDR-Staatsangehörigkeit geltend machen konnten, waren die Entscheidungskriterien bei Zuziehenden den damaligen Anforderungen unterworfen. Es wurde von Fall zu Fall entschieden. Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Bundeswehr wurden generell nicht zurückgeschickt.

Karl Bachmann, Schwerin


Nicht von ungefähr hatten sich die ukrainischen Faschisten für ihre dreitägige Propaganda-Show im September Madrid als Tagungsort ausgewählt. Die Nachfolgepartei der Franco-Faschisten stellt Madrids derzeitige, Brüssel und Berlin gegenüber hörige Regierung, die erst unlängst das Demonstrationsrecht faktisch aufhob, um die Mobilisierung gegen ihren volksfeindlichen Kurs zu behindern. Vor allem geht es darum, Land-, Fabrik- und Wohnungsbesetzungen sowie die "Volks-Verhaftung" von Gerichtsvollziehern zu verhindern und den Wahlkampf der linken Kräfte zu schwächen. Madrid will Streiks und gewerkschaftliche Demonstrationen niederhalten sowie die Jagd auf Immigranten im Zusammenwirken mit Faschisten ungehindert fortsetzen. Die Gesetzesvorlage sollte auch den ukrainischen "Weltkongreß" faschistischer Kräfte absichern, denn der spanischen Regierung unter Premier Rajoy und seiner in Francos Schuhen stehenden Volkspartei war es sehr bewußt, daß dieses Spektakel eine kaum zu steigernde Provokation für das spanische Volk darstellte.

Hartmut Barth-Engelbart, Gründau


Im allgemeinen bestehen kaum Zweifel daran, daß Putin als Protegé russischer Oligarchen, die den politischen und ökonomischen Ausverkauf der Sowjetunion betrieben, in das Amt des Präsidenten der Russischen Föderation gehievt worden ist. Doch als gewählter Staatschef hat er sehr bald begonnen, jene, welche ihn ans Ruder gebracht hatten, politisch auszuschalten oder ins Ausland zu treiben. Er hat Rußlands Souveränität als Staat wiederhergestellt und wesentliche Teile der ökonomischen Basis erneut unter russische Kontrolle gebracht. War dies von Anbeginn sein Ziel, oder hat es sich aus wachsenden Einsichten entwickelt? Nur Putin weiß es.
Nicht unerwähnt sollten die Friedensbestrebungen Rußlands bleiben, die zweifellos wesentlichen Einfluß auf das Denken und Handeln seiner Bürger und deren Haltung zu ihrem Präsidenten haben.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 stellte Putin klar: "Rußlands Prioritäten sind Stabilität der Weltwirtschaft, Armutsbekämpfung, ökonomische Sicherheit und Förderung des interkulturellen Dialogs. Meiner Meinung nach ist das unipolare Modell der USA als Weltherrschaft heute nicht nur unakzeptabel, sondern überhaupt nicht mehr möglich."
2012 fragte er: "Warum müssen wir etwas unterstützen, was wir für falsch halten? Warum fordern die USA von uns die Einführung ihrer Standards? Vielleicht sollten wir sie auch auffordern, bei ihnen unsere Standards zu installieren. Lassen Sie doch jegliche Forderungen beiseite und uns einander mit Respekt begegnen."
Am beunruhigendsten dürfte für die USA wohl die Entwicklung der BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) sein. In diesen fünf Ländern leben etwa 40 % der Weltbevölkerung, was ihre politische und ökonomische Bedeutung unterstreicht.
Das Ganze hat auch einen militärischen Aspekt. Beim Fernöstlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok, wo Rußland Verträge und Abkommen im Volumen von 17 Mrd. Euro abschließen konnte, war zu erfahren, daß russische Flugzeuge schneller, weiter und höher fliegen sowie kampfstärker sind als die ihrer Gegner. Man nahm dort auch zur Kenntnis, daß China und Rußland zur Zeit die einzigen Mächte sind, die über Raketen verfügen, welche mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit fliegen, im Flug lenkbar sind und durch keinen Raketenabwehrschirm vernichtet werden können.

Herbert Kierstein, Bestensee


Klaus Steinigers Empfehlung im August-RF, die Linie der KP Griechenlands (KKE) im Licht von Lenins Arbeit über den "Linksradikalismus" zu prüfen, finde ich unangemessen. "Mit der griechischen Volksabstimmung ist eben kein in Europa ungewöhnlicher neuer Weg beschritten worden, wie Varoufakis behauptet. Das hätte nur sein können, wenn an der Spitze dieser Bewegung Kräfte gestanden hätten, die entschlossen gewesen wären, den Kampf um die nationale Souveränität tatsächlich zu führen. Die KKE hat Syriza und deren Regierung von Beginn an als den bekannten sozialdemokratischen "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus" eingeschätzt. Diese Wertung hat Tsipras wenige Tage später auf dreiste Art bestätigt. Als die "Institutionen" nach den 61 % NEIN und den 6 % zweimal NEIN nicht einlenkten, hat er ein noch schärferes Diktat akzeptiert und damit "die Würde der Griechen" mit Füßen getreten.

Fritz Dittmar, Hamburg


In seinem Beitrag "'Transformation' oder Systemwechsel" (RF 212) plädiert Erik Höhne in Abgrenzung von den unter der Bezeichnung "Transformation" laufenden Auffassungen der Europäischen Linkspartei und der Partei Die Linke für einen "revolutionären Bruch mit dem kapitalistischen System". Die Frage, wie das gehen soll, läßt sich heute nicht mehr ohne Berücksichtigung der Erfahrungen beantworten, die mit der russischen Revolution und ihren Folgen gesammelt wurden. Sie bestätigen einerseits die von Lenin immer wieder betonte Machtfrage als Kernfrage der Revolution, andererseits aber auch die Einsicht, daß man den Sozialismus nicht "einführen" kann, da die sozialökonomische Umgestaltung der Gesellschaft ein komplexer und langwieriger Prozeß ist.
Mit der Errichtung des Sowjetstaates war die erste Aufgabe gelöst. Doch der Ausbruch der Konterrevolution nötigte dann die sowjetischen Machtorgane, die vom alten Regime übernommene Wirtschaft durch den "Kriegskommunismus" abzulösen. Nach dem Sieg über sie mußte man dennoch zu einem ökonomischen Modus zurückkehren, der nach den Regeln kapitalistischer Warenwirtschaft ablief, diesmal allerdings in Form eines "außergewöhnlichen", von der Sowjetmacht kontrollierten Staatskapitalismus. Denn darum handelte es sich bei dem Wirtschaftssystem, das seit dem Frühjahr 1921 unter der Bezeichnung "Neue Ökonomische Politik" (NÖP) eingeführt worden war.
Diese Wendung der Dinge bestätigte noch einmal die Notwendigkeit, strikt zwischen den Aufgaben, welche die Machtfrage betreffen (Diktatur des Proletariats, Ausgestaltung und Sicherung eines Staates vom Sowjettyp) und der Umgestaltung der Gesellschaft in ihren sozialökonomischen Grundlagen zu unterscheiden. Und sie bestätigte weiterhin, daß der ökonomische Aufbau nicht ohne Ausnutzung der kapitalistischen Wirtschaftsform und nicht ohne Anschluß an den Weltmarkt zu bewerkstelligen ist. Vielleicht gehört es zu den wichtigsten Lehren, die aus dem Scheitern des "Realsozialismus" zu ziehen sind, daß der "Bruch mit dem kapitalistischen System" nicht ohne die vollständige Meisterung der Dialektik von Weg und Ziel zu bewältigen ist. Bis zum heutigen Tage liefert die Volksrepublik China das überzeugendste Beispiel für diese Lehre.

Manfred Höfer, Leipzig


Bei der Lektüre von Dr. Klaus Blessings vieldiskutierter Schrift "Die sozialistische Zukunft" stößt man auf eine Reihe sehr wesentlicher Angaben zu Entwicklungen in der VR China. Man erfährt z. B., daß zwei Drittel aller chinesischen Industriearbeiter derzeit in privaten Unternehmen tätig seien, die etwa 70 % der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes erbrächten.
Blessing zufolge gehörten schon 2003 - also vor jener gravierenden Statutenänderung, welche Angehörigen der Bourgeoisie pauschal den Eintritt in die Partei gestattet -, 33,9 % aller kapitalistischen Unternehmer der KP Chinas an.

Horst W. Henrich, Berlin


Er sei ein "Lust'ger Wandersmann, so völlig unbeschwert" sang einst Herbert Roth. Sein "Lied erklingt durch Busch und Tann, das jeder gerne hört". Das mag ja damals im DDR-"Unrechtsregime" so gewesen sein. Doch später, nachdem der politische Sonnenaufgang in den Westen verlegt worden war, hörte das die Staatss ..., die es eigentlich auch gar nicht gibt. Das Lied sang ein junger Mann aus Rheinhessen, den es von dort in den Thüringer Wald verlangt hatte.
Und es begab sich - dem musikalischen Vorbild entsprechend -, daß er "vielen Freunden" begegnete. Das erwähnte Amt fand daran keinen Gefallen und füllte so manche Akte über den Sänger des Roth-Liedes - nennen wir ihn einfach mal Bodo.
Bodo fand nun auch mehr und mehr Gefallen an seinen Freunden und deren Freunden und die an ihm, bis sie ihn eines Tages wissen ließen: "Du könntest eigentlich an der Spitze laufen, wenn wir durch Thüringen wandern. Das zu diesem gehörende Grün neigte sich ihm gnädiglich zu, und selbst die Sonne fand Gefallen an dem, der bleiben will, "solang es mir gefällt".
Nun stehen Bodos Freunde und jene, welche sich dafür ausgaben, auf den Höhen - einem Weg, den sie im Unterschied zum Lied nie zuvor gegangen sind. Im rheinhessischen Blätterwald befürchtete man schon, dort oben werde der Sozialismus ausgekocht.
Doch wer ist in Erfurt der Koch und wer der Kellner? Da wird noch viel Raunen und Rauschen zwischen den Grünen und dem rosa Sonnenuntergang zu hören sein.

Wolfgang Kroschel, Cottbus


Weiterhin viel Erfolg bei der Herstellung und dem Vertrieb des RF - dieser für mich so wichtigen "Heimat"-Zeitung. Ich denke bei jeder Ausgabe, die mich erreicht: Jetzt halte ich wieder die neueste Nummer der "Iskra" in Händen.

Dr. Wolfgang Reuter, Schönebeck-Salzelmen

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Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Dr. Vera Butler (Melbourne)
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Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
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Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
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Siegfried R. Krebs
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Bruno Mahlow
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2015

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