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ROTFUCHS/165: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 211 - August 2015


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 211, August 2015



Inhalt
  • "Große Bäume" werfen weltweit ihre Schatten
  • Die Würde der Griechen
  • Dem nationalistischen Größenwahn Paroli bieten!
  • Korrespondenz aus Minsk: Ein Monatslohn für ein Martyrium
  • BRD: Exportverdoppelung bei reinen Kriegswaffen
  • USA: Kein Mangel an Umsturzexperten
  • Mikrofon frei für Ernst Thälmann!
  • Helden des Roten Oktober: Jakow Swerdlow und Anatoli Lunatscharski
  • Wortmeldung eines Kommunisten
  • Die älteste Doktorandin der Welt
  • Gerald Götting zum Gedenken
  • Wo Selbstbezichtigungen fehl am Platze sind
  • Wider die Legende von der Solidargesellschaft
  • "Rote Spindel": Regierungsposten lohnen sich
  • Bielefeld: Gysi über "Gutes im Kapitalismus"
  • Jünkes "Abrechnung" mit italienischen Marxisten
  • Der Kölner SS-Prozeß gegen Lischka u. a.
  • Olympia als Big Business
  • RF-Extra - Differenzierte Erfahrungen eines SED-Mitglieds
  • RF-Extra - Die sowjetische Hilfe für das republikanische Spanien
  • Podemos heißt "Wir können!"
  • Türkei: Erdogan scheiterte an Linkspartei HDP
  • Kuba steht nicht allein
  • Portugal: Wo die CDU noch etwas wert ist
  • Als mich die DDR nach Guinea entsandte (4)
  • Lichtsignale aus dem Vatikan
  • Bilderberger: "Call-Boys" im Tiroler Telfs
  • Belgien: Ein frühes Opfer des Kalten Krieges
  • Wer treibt Myanmars muslimische Rohingya in den Indischen Ozean?
  • Willkommen im "Pegida"-Land!
  • Marianne Walz: Christian Geisslers "Anfrage"
  • Christa Kozik: Rosen für Angela
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

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Über kleine und große Bäume

Der kaiserlich-preußische Staatshistoriker Heinrich von Treitschke schrieb so manches längst in Vergessenheit Geratene. Doch an einem Satz aus seiner Feder reiben sich noch heute nicht grundlos all jene, welche den historischen und dialektischen Materialismus verinnerlicht haben. Er lautet: "Männer machen Geschichte." Nun mag man nicht grundlos den Einwand erheben, ich sei bei diesem Thema nicht gerade als Polemiker prädestiniert, erschien doch mein 1983 erstmals in Massenauflagen im Verlag Neues Leben herausgekommener Augenzeugenbericht vom Prozeß gegen Angela Davis Jahrzehnte später im selben Verlag unter dem eher irreführenden Titel "Eine Frau schreibt Geschichte". Wohl unbeabsichtigt, hatte mich die renommierte Eulenspiegel-Verlagsgruppe dadurch mit Treitschke de facto auf eine Stufe gestellt. Mein Vorschlag, den die Protagonistin des seinerzeitigen Geschehens im kalifornischen San Jose kannte und billigte, hatte gelautet "Wie Angela Davis gerettet wurde". Als wir uns 2010 dann in Berlin trafen, fragte mich Angela erstaunt, wie es denn zu dieser Änderung gekommen sei.

Natürlich geht es hier nicht um Wortklauberei, sondern um eine inhaltliche Frage von hoher theoretischer und praktischer Relevanz: die Rolle der Persönlichkeit im historischen Prozeß. "Machen" oder "schreiben" einzelne die Geschichte, oder sind die unter konkreten Bedingungen Einfluß erlangenden sozialen Kräfte - Marxisten sprechen von Klassen und Schichten - vielmehr der bestimmende Faktor?

Bei der Beantwortung dieser Frage sollte man jede Einseitigkeit oder undialektische Überhöhung der Rolle der Massen ebenso vermeiden wie die Verabsolutierung des bisweilen außergewöhnlichen Einflusses einzelner Personen oder Personengruppen. Ohne Zweifel besitzen herausragende Persönlichkeiten, die sich den Zeichen der Zeit nicht verschließen und den objektiven Erfordernissen wie dem subjektiven Willen maßgeblicher Kräfte der Gesellschaft Rechnung tragen, ein spezifisches Gewicht. Das gilt übrigens nicht nur in positiver, sondern natürlich auch in die Entwicklung zeitweilig hemmender negativer Hinsicht.

Was unsere "Seite der Barrikade" - den Kampf gegen geistige Enge und politische Reaktion, für menschheitsbefreiende revolutionäre Ziele - betrifft, so fehlt es wohl nicht an inspirierenden Vorbildern.

Fragen wir direkt: Welche Rolle haben Marx und Engels mit dem Kommunistischen Manifest bei der Durchbrechung der geistigen Finsternis im kapitalistisch-imperialistischen Zeitalter gespielt? Wie wäre die russische Oktoberrevolution ohne Lenin verlaufen, und wie wurde - im konträren Sinne - sein Vermächtnis durch Gorbatschow und Jelzin in den Schmutz getreten? Oder auch: Was wäre das heutige Rußland ohne das sein Profil prägende politische Format eines Wladimir Putin?

Gerade in Momenten und Phasen äußerster Belastung und höchster Gefahr bedarf es politisch gebildeter, ideologisch gefestigter, in Strategie und Taktik erfahrener, kaltblütiger und zugleich warmherziger, vor allem aber volksnaher Führer.

Denken wir nur an Kuba. Als die UdSSR und die sozialistischen Staaten Europas buchstäblich "den Bach hinuntergingen", gaben bürgerliche Politologen und andere Kaffeesatzleser der fast über Nacht allein gelassenen sozialistischen Karibikinsel keine zwei Monate mehr. Doch eine tief im Volk verwurzelte revolutionäre Partei wurde in dieser Situation durch einen Fidel Castro geführt. Mit ihm an der Spitze zerfielen die Prognosen der Gegner Kubas zu Staub. Kann man sich die grandiosen Siege Vietnams ohne Hô Chi Minh und seine Genossen vorstellen? Oder denken wir an Nelson Mandela, den Freiheitshelden vom Kap der Guten Hoffnung, der seinen unterdrückten schwarzen Landsleuten die Tore aufstieß?

Viele andere Persönlichkeiten müßten hier Erwähnung finden: Martin Luther King und Kongos Patrice Lumumba oder auch Che Guevara und Angela Davis. Sie gingen schon zu ihren Lebzeiten als Vorbilder von Millionen Menschen in die Geschichte ein.

Fünf heiße und kampferfüllte Jahre habe ich zwischen 1974 und 1979 als Chronist und Mitstreiter im Portugal der Nelkenrevolution den Generalsekretär des Partido Comunista Português Álvaro Cunhal viele Male hautnah erleben dürfen. Der am höchsten benotete Jura-Absolvent einer Universität seines Landes, Verfasser bedeutender theoretischer Werke und fesselnder Romane (Pseudonym: Manuel Tiago), zugleich aber auch ein hochtalentierter Grafiker verstand sich gleichermaßen auf die Kunst des entschlossenen Vormarsches wie des besonnenen Rückzugs. Seiner außergewöhnlichen strategischen Begabung und seinem taktischen Können verdankt die nach wie vor als marxistisch-leninistische Massenpartei intakte PCP, daß sie in der Stunde des Sieges der Konterrevolution ihr Pulver trocken zu halten und ihre Kader zu schützen vermochte. Manches Mal habe ich in den finsteren Zeiten des Kohlschen Triumphgebrülls und der tiefsten Not unserer dem Ansturm des Gegners recht widerstandslos preisgegebenen Heimat DDR im tiefsten Inneren gedacht: Hätten wir doch nur einen Castro, einen Hô Chi Minh oder einen Cunhal! Doch kommunistische Führer solchen Formats sind leider rar.

Am Beginn dieser Zeilen habe ich mich gegen die irreführende These, Männer oder Frauen machten oder schrieben Geschichte, gewandt. Und ich bleibe bei unserer Position von der Dialektik der Rolle der Massen und des spezifischen Gewichts von Persönlichkeiten hohen Kalibers. Ja, auf das Kaliber kommt es eben an.

Klaus Steiniger

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Vom hellenischen Mut können sich andere eine Scheibe abschneiden

Die Würde der Griechen

Am 5. Juli ist in Hellas eine historische Schlacht von kontinentaler Tragweite geschlagen worden. Es handelt sich dabei um keine Revolution, die ehrenhafte Voluntaristen ohne Rücksicht auf fehlende objektive und subjektive Voraussetzungen als "ersten Schritt zur unverzüglich darauf folgenden Beseitigung des Kapitalismus" empfehlen, wohl aber um die Willensbekundung der Bevölkerungsmehrheit eines Mitgliedsstaates der EU und der NATO gegen Brüssel. Dort haben beide Würgezentralen ihre Hauptquartiere aufgeschlagen. Die Griechen sagten zu ihrer seit Jahren betriebenen Entwürdigung einfach nein. Hellas werde "mit Würde in Europa bleiben", hatte Ministerpräsident Tsipras in nüchterner Bewertung der realen Situation und des gegenwärtigen Kräfteverhältnisses auf dem Kontinent nach Bekanntwerden des Abstimmungsresultats gesagt.

Fünf Jahre lang wurden die Griechen von der imperialistischen Troika aus Weltbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds durch alle Syriza vorausgegangenen Regierungen - von der rechtsbürgerlichen Neuen Demokratie bis zur inzwischen fast zerriebenen sozialdemokratischen PASOK - in Armut gestürzt. Im gleichen Zeitraum sank das Bruttosozialprodukt um 25 %.

Sowohl Europas Spitzen-Kapitalverwalter Junckers als auch der eher einer Karikatur gleichende Rechtssozialdemokrat Martin Schulz als Maitre des Europaparlaments empfahlen Athens linker Syriza-Regierung, ihren Wahlversprechen zu entsagen und sich in "pragmatische Lösungen" zu flüchten, um einen Rauswurf aus der Eurozone zu vermeiden. Diese Drohung war Erpressung pur.

Nach Bekanntwerden des Abstimmungsresultats erklärte Finanzminister Yanis Varoufakis, den nicht wenige politische Beobachter als fähigsten und standfestesten griechischen Staatsmann bezeichneten, seinen Rücktritt. Die Gründe dafür mögen außer taktischen Erwägungen vielfältiger Natur gewesen sein. Nach seinen Charakter, Geist und Stehvermögen beweisenden Auftritten in der Höhle des Löwen zog er sich - offenbar auch Wünschen von Premier Tsipras entsprechend - aus der ersten Reihe zurück. Sicher verspürte er persönlich kein Verlangen nach einer Wiederbegegnung mit den Ächtern der griechischen Ehre, die in ihrem "letzten Angebot" noch drastischere Forderungen als zuvor erhoben hatten.

"Die Troika hat nie vorgehabt, Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine zu stellen. Ihr einziges Ziel bestand von Beginn an darin, den Zusammenbruch des globalen Finanzsystems zu verhindern", schrieb der freiberufliche Journalist Ernst Wolf. Man möchte hinzufügen: Vor allem ging es Brüssel um den Sturz der ersten linken Regierung in einem südeuropäischen Staat seit Jahrzehnten.

Das Ausblenden der sozialen Katastrophe in Griechenland habe dazugehört, um von der Verwerflichkeit der Politik der Troika (sämtliche "Hilfen" waren an härteste Bedingungen geknüpft) abzulenken, schrieb Wolf. Die Darstellung der griechischen Schieflage als "selbstverschuldet" sei von der Absicht diktiert gewesen, die eigene kriminelle Rolle zu verschleiern. Mit der ständigen Erwähnung von Korruption und Vetternwirtschaft habe man die Mehrheit der ums nackte Überleben ringenden Griechen in den Augen der BRD-Öffentlichkeit als undankbare Verschwender und gierige Empfänger von Hilfsmaßnahmen darstellen wollen.

Zu jenen marxistischen Parteien Europas, die mit der neuen Athener Regierung (bei allen hier und dort nicht grundlos geltend gemachten Einschränkungen) von der ersten Stunde an fair umgingen, gehörte die Belgische Partei der Arbeit (PTB). In ihrer Monatszeitschrift "Solidaire" brachte sie ein beeindruckendes Interview mit Varoufakis. "Wir haben die großen Philosophen David Hume und Karl Marx angenommen", erklärte dieser. "Die EU funktioniert gegenüber Griechenland wie ein äußerst harter Despot, der anderen seine Regeln gnadenlos aufzwingt", stellte Varoufakis fest. Die Troika bestehe aus einer Gruppe von Technokraten, die durch Griechenlands Gläubiger nach Athen geschickt würden, um dem hellenischen Staat ein völlig unakzeptables Programm zu oktroyieren, das die Krise nur verschärfen könne. "Troika ist in Griechenland ein anderes Wort für Kolonialregime", betonte Varoufakis.

Mit der griechischen Volksabstimmung sei ein in Europa ungewöhnlicher neuer Weg beschritten worden, statt sich - wie bisher - den Erpressern zu beugen. "Reformen" seien stets ein Synonym für Angriffe auf die Schwächsten zugunsten des Kartells der Oligarchen gewesen. "Wir aber verstehen unter Reformen, die Oligarchie anzugreifen - von der Rentenfrage bis zu Änderungen in der praktischen Politik."


In einer Botschaft Fidel Castros an den Athener Regierungschef Alexis Tsipras heißt es:

"Ich beglückwünsche Sie zu ihrem strahlenden politischen Sieg, dessen Details ich über den Kanal TeleSur verfolgt habe. ... Ihr Land, insbesondere sein Mut in der gegenwärtigen Lage, weckt unter den Völkern Lateinamerikas und der Karibik Bewunderung, wenn sie sehen, wie Griechenland gegen äußere Aggressionen seine Identität und Kultur verteidigt. ...

Wir wünschen Ihnen, lieber Compañero Alexis Tsipras, den größtmöglichen Erfolg."


Während die Massen feierten, gab KKE-Generalsekretär Dimitris Koutsoumbas eine Erklärung ab, in der er "Tausenden" dankte, die von seiner Partei gedruckte ungültige Stimmzettel mit einem doppelten Nein - gegen Brüssel wie gegen Tsipras - in die Urnen geworfen hatten. Nach der Devise "Alles oder nichts" hatte die in der internationalen Arbeiterbewegung hohes Prestige genießende traditionsreiche Partei der griechischen Kommunisten den zur Neinstimme Aufrufenden ihre Unterstützung versagt, was in 5,8% ungültigen Stimmen resultierte.

Druck von links ist ohne Zweifel immer wichtig und richtig. Ob es indes taktisch klug war, sich am 5. Juli in der dargestellten Weise zu verhalten, wollen nicht wir beurteilen. Wer zu dieser Thematik mehr erfahren will, sollte Lenins wegweisende Arbeit "Der 'linke Radikalismus' - die Kinderkrankheit im Kommunismus" noch einmal zu Rate ziehen.

Unser Glückwunsch gebührt den 61,3 % der Hellenen, die sich mit Würde für das Nein entschieden haben.

Klaus Steiniger

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Warum das "Deutschlandlied" die Gefühle vieler Menschen im In- und Ausland verletzt

Dem nationalistischen Größenwahn Paroli bieten!

Die Forderung "Das Deutschlandlied gehört ins Museum" erhob der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Dieter Wunder, der sich auch große Verdienste um die Friedensbewegung erworben hatte, vor 24 Jahren. Ist sie noch aktuell? Ist nicht hierzulande jetzt Schwarz-Rot-Gold die Modefarbe, als Hut, T-Shirt, Blumengirlande, "Winkelement" oder Autoschmuck? In der "Super-Illu" 6/2015 ließ sich Chefredakteur Robert Schneider in Erinnerung an die Fußball-Weltmeisterschaft im Vorjahr zu dem Satz hinreißen: "Wir alle sind Deutschland." Und: "Wir wurden zum beliebtesten Land der Welt." Vor kurzem hieß es noch: "Wir sind Papst." Das dürfte vorbei sein!

Von Heinrich Heine stammt der Satz: "Fatal ist mir das Lumpenpack, das, um die Herzen zu rühren, den Patriotismus trägt zur Schau, mit allen seinen Geschwüren."

In diesen Tagen treibt der deutsche "Patriotismus" - ob offiziell geplant und gewollt oder nicht - gerade bei der Verketzerung Rußlands und Putins tolle Blüten. Und daran sind nicht Haydn und Hoffmann von Fallersleben schuld.

Dem "Spiegel" hatte Margot Scholz aus Bayern geschrieben: "Es ist, als hätte die gesamte Nation eine Gehirnwäsche erfahren, denn wie sonst ist dieses Affentheater mit Riesenaufwand zu erklären. Ja, es paßt zu dieser Scheinwelt, in der wir leben, und es ist diese rücksichtslose Übertreibung, die sauer aufstößt."

Neben dem Fahnenmeer ist das "Deutschlandlied" Teil der "patriotischen" Euphorie. Ist es in einer solchen Situation angebracht, über diese Hymne zu streiten?

Mindestens folgende Fragen müßten gestellt werden: Welche Traditionslinie setzt das "Deutschlandlied" fort? Wie wurde es Staatshymne der Bundesrepublik? Welche Chancen ergaben sich 1989/90 für eine "gesamtdeutsche" Hymne?

Das "Lied der Deutschen" - den Text Hoffmann von Fallerslebens vertonte Joseph Haydn - wurde erst in der Weimarer Republik zur Nationalhymne. In der Zeit des "3. Reiches" verknüpfte man das "Deutschlandlied" mit dem Horst-Wessel-Lied der SA. Hitler erklärte 1937 in Breslau: "So ist es denn auch gerade das Lied, das uns Deutschen am heiligsten erscheint ... Denn welche schönere Hymne kann es geben als jene, die ein Bekenntnis ist, sein Heil und sein Glück in seinem Volk zu suchen und sein Volk über alles zu stellen, was es auf dieser Erde gibt."

Was hätte näher gelegen, als dieser Traditionslinie ein Ende zu setzen! Für die DDR war das ebenso selbstverständlich wie für deutsche Antifaschisten, die das "Deutschlandlied" auch vor 1945 niemals akzeptiert hatten. Wie aber wurde es Staatshymne der Bundesrepublik?

Nach deren Gründung fiel zunächst noch keine Entscheidung in dieser Frage. Bundespräsident Theodor Heuss favorisierte einen neuen Text, doch Konrad Adenauer setzte sich mit seiner Forderung durch, das "Deutschlandlied" zu küren. Das ist in einem Briefwechsel zwischen beiden Politikern im Jahr 1952 dokumentiert. Der Bundestag und die Bürger der BRD waren von all dem ausgeschlossen.

Adenauers Entscheidung erwies sich für die politisch am Ruder Befindlichen als vorteilhaft. Das zeigte sich erstmals beim "Wunder von Bern" - dem Sieg der BRD-Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954.

Die "Bunte Illustrierte" (15/1954) jubelte damals: "Den Deutschen aber bricht das Lied aus der Brust, unwiderstehlich, soweit ihnen die Tränen der Freude nicht die Stimme im Hals ersticken, singen sie alle, alle ohne Ausnahme, das Deutschlandlied. Niemand, auch nicht ein einziger, ist dabei, der von 'Einigkeit und Recht und Freiheit' singt. Spontan, wie aus einem einzigen Munde kommend, erklingt es 'Deutschland, Deutschland über alles in der Welt'."

Zweifellos hat auch das "Deutschlandlied" den "Eliten" der BRD geholfen, den kostspieligen und gefährlichen Kampf gegen die DDR psychologisch zu begründen und schließlich zu ihren Gunsten zu entscheiden. 1989 war die von den Nazis glorifizierte Hymne der BRD ein wichtiges psychologisches Element in Kohls Strategie der "Wiedervereinigung."

Welche Chancen aber ergaben sich 1989/90 für eine "gesamtdeutsche" Hymne?

Die einzige Erfahrung der zwei deutschen Staaten mit einer Hymne für beide war die Teilnahme einer gemeinsamen Olympiamannschaft in Tokio (1960) und Rom (1964). Damals erklang bei deutschen Siegen Schillers und Beethovens "Freude, schöner Götterfunken ..."

Bis 1990 war "Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt" von Johannes R. Becher und Hanns Eisler die Hymne der DDR, wenngleich auch ein anderer Text inzwischen erwogen wurde. Gerade aber der alte, noch gültige Text wäre 1990 von hoher Aktualität gewesen.

Überdies gab es eher zaghafte Stimmen, die damals dafür plädierten, Brechts inspirierende "Kinderhymne" (Anmut sparet nicht noch Mühe ...) mit der Melodie Haydns als Nationalhymne zu wählen. Aber nach dem 11. Gebot - "Alles soll so werden, wie es die BRD verlangt!" - wurde auch das "Deutschlandlied" den DDR-Bürgern aufgezwungen.

Doch die Krupps und die Krauses waren nie "Brüder". Das "Deutschlandlied" sollte nur etwas vorgaukeln, was bis heute nicht existiert: Zu keinem Zeitpunkt handelte es sich um die Hymne aller Deutschen.

Von Ossietzky über Thomas und Heinrich Mann bis zu Ernst Thälmann reichte die Front derer, die dem deutschen Nationalismus die Idee der Völkerverständigung und des Internationalismus entgegenstellten. Es ist undenkbar, daß Antifaschisten in Konzentrationslagern und Zuchthäusern ihr Heil gerade in diesem Lied gesehen haben könnten. Später standen Millionen DDR-Bürger von Beginn an hinter den Worten ihrer Hymne: "... daß nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint".

Und wie ging es den Menschen anderer Völker? Warum wird nicht einmal untersucht, welche Gefühle "Holocaust"-Opfer oder Franzosen, Briten, Polen, Russen und Griechen bei diesen Takten haben? Ist es etwa unwichtig, wie sie denken und fühlen? Oder gilt immer noch die Devise: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen"?

In dem nationalistischen Rausch, von dem jetzt große Teile der deutschen Bevölkerung erfaßt sind, dürfte ein sachlicher Streit, wie ihn Bundespräsident Horst Köhler gefordert hatte, noch schwieriger sein. Doch er ist heute nötiger denn je.

Übrigens hat sich die Schweiz in diesem Jahr per Volksabstimmung für eine neue Nationalhymne entschieden, die sich nach langer öffentlicher Diskussion als jene erwies, welche von den meisten Landesbürgern gebilligt wurde.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Was Berlin unter "Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener" versteht

Ein Monatslohn für ein Martyrium

Siebzig Jahre nach Kriegsende hat die Regierung der BRD beschlossen, den einstigen sowjetischen Kriegsgefangenen für deren Sklavenarbeit, die Mißachtung ihrer Menschenwürde, Hunger und Tod von Millionen meiner Mitgefangenen eine Entschädigung zu zahlen. Die christlichen Abgeordneten des Bundestages brauchten Jahrzehnte, um die Verantwortung Deutschlands für das Genozidverbrechen an den gefangenen Rotarmisten wahrzunehmen. Mehrere Male wurde dort über eine Kompensationszahlung beraten. Die verschiedensten Argumente zur Ablehnung unterbreiteter Vorschläge führte man dabei ins Feld. Am 12. Juni 2013 wurde bei einer neuerlichen Behandlung des Antrags von SPD und Grünen endlich eingestanden, daß die sowjetischen Kriegsgefangenen zu Opfern der faschistischen Rassenpolitik geworden sind.

In einer Sitzung des Petitionsausschusses traten Vertreter aller damaligen fünf Fraktionen auf. Manfred Kolbe (CDU/CSU) lehnte den Antrag mit der "Begründung" ab, die deutschen Kriegsgefangenen hätten "ja schließlich auch gelitten". Wörtlich gab er von sich: "Die unmenschliche Behandlung der sowjetischen Gefangenen ist eine der Verletzungen der Menschenrechte während des Krieges durch die gegeneinander kämpfenden Seiten."

Ich möchte nur an einige Tatsachen erinnern, wie sie auch im Artikel des ehemaligen Buchenwaldhäftlings Emil Carlebach im Mai-"RotFuchs" ("Als Kriegsgefangene ins Lager kamen") dargestellt worden sind. Von den 20.000 Kriegsgefangenen, die den monatelangen Todesmarsch 1941 von Minsk nach Buchenwald hatten antreten müssen, kamen nur 2000 dort an. 18.000 starben "unterwegs" durch Hunger und physische Erschöpfung oder unter den Kugeln des SS-Begleitkommandos.

In einem Dokumentarfilm, den "Arte" über die Geschichte eines weiteren Todesmarsches ausstrahlte, wurde folgendes berichtet: Anfang April 1945 hätten die Faschisten etwa 30.000 Menschen auf eine 200-km-Strecke vom KZ Sachsenhausen und anderen Lagern bis zur Ostsee geschickt. Dort sollten sie auf Lastkähne verschifft und anschließend ertränkt werden. Täglich mußten 40 Kilometer zurückgelegt werden. Jeder, der das Tempo bei Wind und Wetter nicht durchhalten konnte, wurde an Ort und Stelle von der SS erschossen. Den halben Weg bis Buchenwald überlebten 14.000 Gefangene. Die anderen 16.000 kamen während des Marsches um, wobei viele von ihnen in einem Massengrab in Neuruppin beerdigt wurden.

Und noch über eine weitere "Kolonne" von Kriegsgefangenen, zu der auch ich gehörte, will ich Zeugnis ablegen. Im Juli 1941 wurden aus dem Sammelpunkt Drosdy 100.000 sowjetische Kriegsgefangene in das Lager Nr. 352 (Minsk) verlegt. Am Kriegsende waren von ihnen nicht mehr als 20 übriggeblieben. Im Juli 1941 textete die Nazi-Wochenschau einen Bildbericht folgendermaßen: "Diese Horden, unter ihnen ungezählte Juden, sollten in Marsch gesetzt werden, um deutsche Städte und Dörfer in Schutt und Asche zu legen. Sie sollten ein Blutbad unter unserer Bevölkerung anrichten. Nur dem schnellen Zupacken des Führers und seiner tapferen Soldaten ist es zu verdanken, daß Deutschland von dieser Gefahr verschont geblieben ist. ..."

Die Abgeordneten des Bundestages können keinen ähnlichen Akt des barbarischen Umgangs mit deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR ins Feld führen. Seitens der Wehrmacht aber wurde kein "bloßes Verletzen von Menschenrechten", sondern ein echtes Völkermordverbrechen begangen. Mehr als vier Millionen Rotarmisten sind in deutscher Kriegsgefangenenschaft umgekommen, fast 60 % ihrer Gesamtzahl.

Von einer "zivilisierten Schande", wie der russische Botschafter in Deutschland sagte, zeugt auch die Ausstellung "Lager und Zwangsarbeit", die in Berlin, Moskau und einigen russischen Städten von dem Verein "Kontakte-Kontakty" gezeigt wurde.

Was die deutschen Kriegsgefangenen betrifft, so mußten sie genauso hungern wie die Zivilbevölkerung jenseits des Stacheldrahts. Man betrachtete sie angesichts all ihrer Taten in den besetzten Gebieten natürlich als Feinde, ließ sie aber nicht verhungern oder wahllos erschießen.

Am 6. Mai d. J. hatte ich als Augenzeuge des grausigen Geschehens eine Begegnung mit Berliner Schülern. In dem anschließenden Gespräch berichtete der Direktor von Erlebnissen seines inzwischen 92 Jahre alten Vaters in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Er beschrieb das Verhalten der ihn umgebenden Russen als sehr positiv. Der Schulleiter hatte unsere Begegnung mit großer Sorgfalt vorbereitet, so daß ich den Eindruck gewann, daß zwischen den Berichten des Vaters über seinen Zwangsaufenthalt in Rußland und dem Verhalten des Pädagogen ein Zusammenhang bestand.

In Anbetracht dessen versetzten mich die Worte von Günter Satthof vom Bundesfonds "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" in Erstaunen. Er meinte lediglich, daß "diese Gruppe" (gemeint waren die sowjetischen Kriegsgefangenen - B. B.) aus dem Kreis jener, welche eine Kompensation erhalten, nicht ausgeschlossen worden wäre, hätten die Gesetzgeber schon damals über heutige Informationen verfügt. Das sagte er im Gespräch mit Bundestagsabgeordneten am 6. Mai 2015!

Bedurfte es wirklich des Zeitraums von sieben Jahrzehnten, um die geschichtlich belegte Tatsache des Massenmordes bis dorthin durchdringen zu lassen?! Das ist schwer zu glauben.

Am 18. Mai beschloß der Haushaltsausschuß des Bundestages, den noch etwa 4000 Überlebenden eine einmalige Hilfe von jeweils 2500 Euro zu zahlen. Diese Summe entspricht dem Monatslohn eines durchschnittlich qualifizierten Arbeiters in der BRD. Dabei muß man in Betracht ziehen, daß eine "Kompensation" für jene Millionen Menschen, die in der Gefangenschaft umgekommen sind, ohnehin nicht erfolgen kann. Die meisten Opfer wurden in unbekannten Massengräbern als Namenlose verscharrt.

Die Geste des Bundestages zeugt indes von einer langsamen Änderung der Ansichten mancher BRD-Politiker - über die Linken hinaus. Solange sie allerdings die Tatsache des an sowjetischen Kriegsgefangenen nach dem Überfall auf die UdSSR begangenen Genozids leugnen, kann man wohl kaum davon reden, daß Russen und Deutsche nach schmerzhafter historischer Erfahrung bereits auf dem Weg der Verständigung sind.

Boris Popow, Minsk

Übersetzung aus dem Russischen: Dr.-Ing. Peter Tichauer

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Zur Legende von der Einschränkung bundesdeutscher Rüstungsexporte

Verdoppelung bei reinen Kriegswaffen

Die BRD ist - trotz lautstark propagierter vorjähriger Rückläufigkeit der Geschäfte - nach wie vor einer der Hauptwaffenexporteure der Welt. 2014 genehmigte die Merkel-Regierung bei Zuständigkeit ihres Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) abermals Rüstungslieferungen im Wert von 6,5 Milliarden Euro. Der Export reiner Kriegswaffen - dabei handelt es sich um Panzer, U-Boote und Artilleriegeschütze - verdoppelte sich sogar auf 1,8 Mrd. Euro. 60,5 % des Kriegsgeräts gingen in sogenannte Drittländer, die weder der EU noch der NATO angehören. An der Spitze der Bezieher von Mordgeräten aus der BRD lag Israel, auf Platz 6 mit Saudi-Arabien ein weiterer Menschenrechtsvorkämpfer und "Friedensstifter".

Unterdessen kündigte die für das Kriegsressort zuständige Ministerin von der Leyen eine größere militärische Eigenständigkeit der BRD gegenüber der EU und den USA an. Wie sie wissen ließ, wird die Bundeswehr als Ersatz für ihre "Patriot"-Luftabwehrbatterien fortan das System "Meads" kaufen. Es wird von einem Konsortium unter starker bundesdeutscher Beteiligung hergestellt, während die "Patriot"-Systeme vollständig aus den USA bezogen werden mußten. Die Kosten sollen sich auf rund vier Milliarden Euro belaufen. Weitere vier Milliarden Euro sind bereits in das Projekt investiert worden.

Überdies wird die bundesdeutsche Kriegsmarine vier Mehrzweckkampfschiffe MKS 180 erhalten. Dafür müssen ebenfalls vier Mrd. Euro bereitgestellt werden.

Weitere Rüstungsvorhaben wie ein deutsch-französisches Kampfpanzerprojekt dienen der Verschmelzung der diesbezüglichen EU-Industrien oder zielen wie die "Euro-Drohne" darauf ab, von US-Waffenschmieden unabhängiger zu werden.

Eine ganz maßgebliche Rolle in den Rüstungsexport-Plänen der BRD spielen sogenannte Kleinwaffen wie Maschinenpistolen und Sturmgewehre, die wegen ihrer vergleichsweisen "Harmlosigkeit" kaum Erwähnung finden. Dabei kommt ihnen eine zentrale Rolle in fast 50 Bürgerkriegen und Kriegen, die weltweit stattfinden, zu. Nach Angaben von UNICEF sterben durch diese Waffen jedes Jahr etwa 500.000 Menschen. Das sind rund 90 % der Opfer gewaltsamer Konflikte.

Es gibt heute wohl kaum eine Krisenregion in der Welt, wo nicht Kleinwaffen "Made in Germany" zum Einsatz gelangen. Vor allem das hochmoderne Sturmgewehr G 36 des süddeutschen Rüstungskonzerns Heckler & Koch (H & K) ist ein Exportschlager ersten Ranges. "Mit Waffen von H & K wurden meine Brüder getötet. Wir wollen sie lebend zurück", schrieben Angehörige der in Mexiko verschleppten 43 Studenten auf ihre Transparente, als sie Ende Dezember 2014 vor der BRD-Botschaft demonstrierten. Nach dem blutigen Massaker in Iguala beschlagnahmten die Ermittler bei der örtlichen Polizei u. a. 36 Gewehre von H & K, obwohl deutsche Waffenexporte in den mexikanischen Bundesstaat Guerrero verboten sind.

Im Jahr 2012 erteilte die Bundesregierung Ausfuhrgenehmigungen für Gewehre und andere Kleinwaffen im Wert von 76,15 Millionen Euro. 2006 hatte H & K beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle den Export von G-36-Gewehren nach Mexiko beantragt. Im Jahr darauf war der Verkauf von rund 9500 Gewehren durch die Bundesregierung genehmigt worden, wobei vier mexikanische Bundesstaaten - darunter Guerrero - wegen der dort "zugespitzten Menschenrechtslage" ausgeklammert wurden. Dennoch gelangte etwa die Hälfte der Waffen in die gesperrten Provinzen.

Als Sigmar Gabriel am 8. Oktober 2014 vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik verkündete, "die Sicherung der wehrtechnischen Industrie in Deutschland" könne nicht "durch die Lockerung des deutschen Exportregimes erfolgen", fügte er im gleichen Atemzug hinzu: "Die Erhaltung der Bündnisfähigkeit und der dazu notwendigen rüstungstechnologischen Kernkompetenzen sind ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland."

Circa 100.000 Deutsche arbeiten für den Export von Kriegsgütern. Wir verdienen daran ..., und wir wundern uns dann, wenn einige Opfer von Gewalt an unsere Tür klopfen", sagte der katholische Kardinal Rainer Woelki in seiner jüngsten Silvesterpredigt im Kölner Dom.

RF, gestützt auf "German Foreign Policy" (Newsletter vom 10.6.2015), "Die rote Spindel", Nordhorn, und "Sozialismus", Hamburg

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Wie Washington unbotmäßigen Regierungen die Beine wegzuziehen sucht

Kein Mangel an Umsturzexperten

Wir sind meilenweit von den Verhältnissen in der Welt entfernt, die wir bis 1989 als Frieden bezeichneten. Die USA versuchen mit allen erdenklichen Mitteln, ihre bereits wankende Vormachtstellung in der Welt aufrechtzuerhalten. Das beweisen nicht nur die von ihnen angezettelten Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und letztlich auch der Ukraine. In Vorbereitung von Aggressionen greift man in Washington mit Vorliebe auf bewährte und erfahrene "Umsturzexperten" zurück. Einer von ihnen ist der US-Diplomat Jeffrey D. Feltman. Nach einer entsprechenden Ausbildung sammelte er von 1986 bis 1988 erste Erfahrungen als US-Vizekonsul in Haiti. Dort wirkte er bis zum Sturz der Regierung des Inselstaates.

Anschließend erwarb sich Mr. Feltman bis 1991 an der US-Botschaft in Ungarn weitere Sporen. In den folgenden Jahren war er als Diplomat in arabischen Ländern aktiv, um die dort stattfindenden "Revolutionen" den Vorstellungen der USA anzupassen.

Dringt man ein wenig gründlicher in die außenpolitischen Aktivitäten der Vereinigten Staaten und ihrer Geheimdienste ein, dann gewinnt man eine gewisse Vorstellung von der Fülle echter oder als solcher getarnter Diplomaten, die Washington je nach Lage sofort in dem einen oder anderen Land einsetzen kann.

Unter dem Vorwand, "Demokratiebewegungen" unterstützen zu wollen, werden alle Register der politischen und wirtschaftlichen Erpressung gezogen. Eine besondere Rolle bei der Untergrabung unliebsamer Regierungen spielen vielfältige "Nichtregierungsorganisationen" und "Beraterfirmen" mit Geheimdiensthintergrund. Die Skala reicht von verdeckten Operationen bis zu offenen Angriffskriegen. Auch die UNO, die eigentlich das friedliche Zusammenleben der Völker sichern sollte, bietet ein weites Betätigungsfeld. Hier gelang es den USA, Jeffrey D. Feltman zu plazieren. 2012 übernahm er den Posten des stellvertretenden Generalsekretärs für politische Angelegenheiten. In der Funktion der Nr. 2 des Apparats der Weltorganisation "berät" er den Generalsekretär - den früheren südkoreanischen Außenminister Ban Ki Moon - in Fragen des Friedens und der Sicherheit sowie zu friedensstiftenden Maßnahmen.

Seit dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges, vor allem aber seit Putins zweiter Präsidentschaft, ist Rußland für die USA der Feind Nr. 1. Und jeder, der mit Moskau zu kooperieren gedenkt, setzt sich sofort entsprechenden Angriffen aus. Das gilt sogar für stockreaktionäre Politiker wie den rechtskonservativen ungarischen Premier Orban, der den Versuch unternommen hat, mit Rußland für Budapest lukrative wirtschaftliche Kontakte aufzubauen. Dem wollen die USA einen Riegel vorschieben. Daher mischten sie sich auch sehr wirkungsvoll in Ungarns Innenpolitik ein.

Kurz nach einer Putin-Visite verlor Orbans Partei bei Nachwahlen zum Parlament die Zweidrittelmehrheit. Medien machten in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß die USA mit ihrer gezielten Unterstützung für gewisse Nichtregierungsorganisationen und der Teilnahme eigener "Diplomaten" an regimekritischen Demonstrationen sowie durch Einreiseverbote für bestimmte Politiker aus Budapest maßgeblich zum Erfolg des Orban-Widersachers Zoltan Kesz und dessen Einzug in das ungarische Parlament beigetragen hätten. Kesz studierte in den 90er Jahren an einer Hochschule in den USA, wo er auch von dortigen "Think tanks" abgerichtet wurde, die - nachgewiesenermaßen - unter Geheimdiensteinfluß stehen. Ende 2014 fungierte er als Sprecher bei ungarnweiten Protesten und war Direktor der vom U.S. State Department finanzierten "American Corner" in Veszprem. Dort wird nicht nur über die Politik der Vereinigten Staaten "informiert", sondern es finden auch - wie in anderen derartigen Einrichtungen Ungarns - Schulungen für Vertreter von Nichtregierungsorganisationen statt. Mit dem Ziel der Ausweitung und Festigung ihres Einflusses haben die USA seit 2000 in etwa 60 weiteren Staaten rund 400 solcher nach der "Speaker's Corner" im Londoner Hyde Park so genannten "Ecken für freie Meinungsäußerung" eingerichtet. Betrieben und finanziert werden sie überwiegend von den jeweiligen US-Botschaften, womit sie letztlich der Kontrolle durch Washingtons Geheimdienste unterliegen.

Einen weiteren "Spezialisten" aus dieser Kiste brachte Washington kürzlich in der früheren Sowjetrepublik Kirgistan als Geschäftsträger der Botschaft in Stellung: Richard Miles arbeitete zuvor in den Sektionen für sowjetische, osteuropäische und jugoslawische Angelegenheiten sowie im Büro für politisch-militärische Fragen des State Department. Während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien und des darauffolgenden Sturzes von Präsident Slobodan Milosevic war er US-Botschafter in Belgrad. In Tiflis sorgte er während der "Rosenrevolution" für die Entmachtung Eduard Schewardnadses und betätigte sich überdies in einem Schulungszentrum für junge Georgier, die "an Vorstellungen der USA herangeführt" werden sollten.

Überall handeln die Vereinigten Staaten nach dem Motto: "Entweder für uns in den Krieg oder Krieg mit uns!" Dagegen ist weltweiter Widerstand geboten, der von Erdteil zu Erdteil allerdings unterschiedliche Stärke besitzt. Die Moskauer Parade vom 9. Mai und die sich offenbar anbahnende strategische Kooperation zwischen Rußland und China sowie weiteren Staaten zeigten, daß dem gefährlichen Treiben Grenzen gesetzt werden können.

Dietmar Hänel, Flöha

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Mikrofon frei für Ernst Thälmann!

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Helden des Roten Oktober

Jakow Michailowitsch Swerdlow

Die Sowjetunion gedachte ihrer Vorkämpfer nicht nur im stillen, sondern setzte ihnen durch die Benennung großer Städte auch ein würdiges Denkmal. Zu den auf solche Weise Geehrten gehörte neben Lenin, Kalinin, Kuibyschew, Frunse und Woroschilow auch Jakow Michailowitsch Swerdlow.

1885 als Sohn eines Graveurmeisters in Nishni Nowgorod geboren und unter ärmlichen Bedingungen aufgewachsen, schloß er sich - knapp 16jährig - der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands an. Bei dieser Entscheidung gab sicher nicht wissenschaftliche Einsicht, sondern die verschwommene Vorstellung vom Kampf um Gerechtigkeit und damit verbundenes Abenteurertum den Ausschlag. Seine Lieblingslektüre zu jener Zeit waren Bücher über Spartacus und Garibaldi, ehe er zu den gesellschaftskritischen Aussagen von Belinski, Herzen und Tschernyschewski griff. Schließlich festigte die 1902 erschienene wegweisende Schrift Lenins "Was tun?" sein Weltbild und bestimmte sein künftiges Handeln.

Sehr früh mit dem Kampf unter Bedingungen der Illegalität vertraut, durchlief er alle Stationen, welche die bolschewistischen Kader jener Zeit schmiedeten und ihnen die notwendigen Führungseigenschaften anerzogen: Gefängnis, Kerker, Verbannung. Insgesamt zwölf Jahre wurde er durch die zaristischen Haftanstalten geschleift - mehr als ein Drittel der Jahre, die ihm zu leben vergönnt waren.

Wesentlichen Anteil an seiner nie zu brechenden Moral hatte seine Frau Klawdija, die ihm eine aufopferungsvolle Gefährtin war und oftmals Kerker wie Verbannung mit ihm teilte.

Die Zeit der Gefangenschaft wußte J. M. Swerdlow maximal zu nutzen: Er sammelte und studierte alles, was ihn - oft auf kompliziertesten Wegen - an marxistischer Literatur erreichte. So hatte er sich in der Verbannung eine Bibliothek geschaffen, zu der die wichtigsten Arbeiten von Marx, Engels, Lenin und Rosa Luxemburg, aber auch von Kautsky und Hilferding gehörten, mit denen er sich kritisch auseinandersetzte. Diese Art der geistigen Vorbereitung auf die Revolution zahlte sich aus: Als im Februar 1917 die zaristische Selbstherrschaft gestürzt wurde, formierte J. M. Swerdlow in Krasnojarsk den Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten. In den Oktobertagen stand er in vorderster Reihe des bolschewistischen Parteizentrums zur Führung des bewaffneten Aufstands in Petrograd und organisierte dort die kampfbereiten Soldaten der Garnison, die Roten Arbeitergarden der Putilow-Werke und der Petrograder Waffenfabriken sowie die revolutionären baltischen Matrosen.

Nach dem Sieg der Oktoberrevolution wurde J. M. Swerdlow auf Vorschlag Lenins zum Vorsitzenden des Gesamtrussischen Zentralexekutivkomitees gewählt. In dieser Funktion leistete er eine aufopferungsvolle Arbeit zum Aufbau und zur Festigung des Sowjetstaates. Doch die Jahre in der Verbannung und ein Übermaß an Belastungen hatten seine Gesundheit so angegriffen, daß er schon 1919 einer Virusgrippe erlag. Die UdSSR ehrte sein Andenken durch die Umbenennung der Stadt Jekaterinburg in Swerdlowsk. (Bis zum Untergang des Sowjetstaates trug sie diesen Namen - d. R.)

Steffen Kastner

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Helden des Roten Oktober
Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski

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Wie man in einer nichtrevolutionären Situation die Kräfte bündeln sollte

Wortmeldung eines Kommunisten

Mit ihrem Artikel "Warum ich in der Linkspartei bleibe" (RF, April 2015) wollte Dr. sc. Rosemarie Griese eine fruchtbare Diskussion zur Parteifrage anstoßen. Ihr Angebot nehme ich gerne an. Zunächst möchte ich meinen eigenen politischen Lebenslauf kurz schildern. 2008 kam ich aus der Türkei nach Berlin, um an der Potsdamer Universität ein Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaften sowie der Philosophie aufzunehmen. Einige Monate nach meiner Ankunft trat ich der PDL bei. Obwohl mir schon damals die wichtigsten Aussagen von Marx, Engels und Lenin zur Parteifrage bekannt waren, dachte ich, daß ich als Marxist-Leninist einen Beitrag in deren Rahmen leisten könnte. Ich wußte zwar auch einiges von der DKP, jedoch konnte man damals nicht absehen, wie der innerparteiliche Konflikt ausgehen würde. Es bestand ja die Möglichkeit, daß die DKP unter ihrer seinerzeitigen Führung zu einem bloßen Anhängsel der PDL mutieren könnte. Damals dachte ich: Lieber gleich beim Original mitmachen, als bei einer Kopie!

Während meiner vierjährigen PDL-Mitgliedschaft war ich in parteiinternen Strömungen und einem Bezirksvorstand aktiv. Ich habe auch zwei Praktika im Parteiapparat absolviert. Dabei nahm ich wahr, daß die Macht der "Reformer"-Fraktion vor allem auf ihrer Stärke innerhalb der Parteibürokratie beruht. Die vielen aufrichtigen Genossen, die zu ihr in Opposition stehen, werden sie indes wohl niemals wirklich bezwingen können. Ich mußte mit ansehen, wie eine kleine Clique an der Spitze der Partei einen immer rechteren Kurs einschlug, ungeachtet vieler Proteste aus den Reihen der Basis-Genossen.

Inzwischen hatten sich innerhalb der DKP neue Entwicklungen vollzogen. Die "Reformer"-Fraktion um Leo Mayer und andere wurde auf dem 20. Parteitag mehrheitlich abgewählt. 2012 faßte ich daraufhin den Entschluß, von der PDL zur DKP zu wechseln. Rückblickend stelle ich fest, daß die weitere Entwicklung der PDL zu einer Partei, die - im klassischen Sinne - kaum noch als sozialdemokratisch bezeichnet werden kann, immer mehr vom Sozialismus wegführt, während sich auf der anderen Seite eine allmähliche Stärkung der DKP vollzieht. Ich schließe daraus auf die Richtigkeit meiner seinerzeitigen Entscheidung.

Dr. sc. Griese vertritt die Auffassung, ein Systemwechsel sei derzeit aus objektiven und subjektiven Gründen nicht möglich, ja, es werde überhaupt keine klassischen Revolutionen mehr geben. Dem folgt die Feststellung, daß in den 70er Jahren die Frage friedlicher, parlamentarischer Übergänge im Kreis der kommunistischen Parteien erörtert worden sei. Als Grundlage dafür habe man die chilenischen Erfahrungen betrachtet.

Einerseits trifft es zu, daß wir in Deutschland weder eine revolutionäre noch eine vorrevolutionäre Situation haben. Andererseits aber sehen wir, daß der Kapitalismus seit nunmehr fast zehn Jahren von einer Krise zur nächsten taumelt und immer neue militärische Konflikte vom Zaun bricht. Ein kurzer Blick in eine beliebige Tageszeitung genügt, um zu der Feststellung zu gelangen, daß sich die nationalen und internationalen Widersprüche des Kapitalismus enorm verschärfen. In einer Reihe südeuropäischer Länder könnten in nicht allzu ferner Zukunft revolutionäre Kräfte einen solchen Aufschwung erfahren, daß der Kapitalismus seine Konflikte nicht mehr auf die alte Art zu lösen vermag.

Der Widerstand verstärkt sich auch qualitativ. Streiks, die den Lebensnerv der Kapitalisten und ihres Staates treffen, finden immer häufiger statt. Gewerkschaften wie ver.di zeigen wieder erhöhte Kampfbereitschaft. Die Herrschenden greifen deshalb zu noch drastischeren Mitteln, um berechtigtem Protest zu begegnen und aufmüpfige Gewerkschaften an die Kette zu legen.

Früher oder später dürfte das Faß - man denke nur an Griechenland, Spanien und Portugal - überlaufen. Das ist keine Hellseherei, sondern beruht auf einer marxistischen Analyse der realen Situation. Angesichts der Verzahnung der Länder untereinander dürfte sich - aus meiner Sicht - eine künftige revolutionäre Situation vermutlich kaum auf ein Land beschränken. Wenn wir jetzt der Losung folgen würden, "Es wird sowieso keine Revolution mehr geben, unterstützt lieber eine Politik der kleinen Schritte!", dann wären wir auf mögliche scharfe Wendungen ungenügend vorbereitet.

Dr. sc. Griese verweist auf im Revolutionsfalle sofort wirksam werdende Bündnismechanismen der NATO. Derartige Situationen gab es in anderer Form und unter kaum vergleichbaren historischen Bedingungen allerdings auch früher. Man denke nur an die Intervention von 14 kapitalistischen Staaten nach der russischen Oktoberrevolution. Hätte Lenin damals gesagt: Verzichten wir doch lieber auf das Risiko der Revolution, weil dann die Bündnismechanismen der imperialistischen Mächte in Kraft treten, wäre es schon damals mit dem Sozialismus in Rußland vorbei gewesen.

Sollen - um ein Beispiel anzuführen - die Fortschrittskräfte Venezuelas etwa den revolutionären Prozeß in ihrem Land deshalb abbrechen, weil Washington mit einer militärischen Intervention droht? Diese Gefahr besteht doch immer und sollte kein Grund zur Kapitulation sein. Dr. sc. Griese erwähnt das chilenische Beispiel, welches - genauer betrachtet - doch wohl eher gegen die Möglichkeit friedlicher Übergänge zum Sozialismus im Zeitalter des Imperialismus spricht. Salvador Allende, der solchen Illusionen anhing, ist von den wahren Machthabern im eigenen Land unter Regie der USA zu Fall gebracht worden. Das chilenische Beispiel bestätigt daher die Lehren der Pariser Kommune und der Oktoberrevolution: Die Arbeiterklasse muß den bürgerlichen Staat zerschlagen und ihre eigenen revolutionären Machtorgane schaffen! Um die Arbeiter und andere Werktätige in den Kampf zu führen, bedarf es nach wie vor einer klassenkämpferischen Partei. Wenn die PDL sich perspektivisch in die Reihen der Parteien des bürgerlichen Blocks einordnen möchte, dann ist das ihre Sache. Doch Marxisten innerhalb der PDL sollten aus der sich entwickelnden Situation die richtigen Schlüsse ziehen. Ich betrachte die DKP als jene Kraft, welche bei weiterer Konsolidierung und fortschreitender Überwindung innerparteilicher Schwierigkeiten, eine wichtige Rolle im Kampf für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen in der BRD spielen könnte.

Dennis Simon, Berlin

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Die älteste Doktorandin der Welt

Die "Bremer Nachrichten" berichteten am 6. Juni über das medizinische Lebenswerk der herausragenden DDR-Kinderärztin Prof. Dr. Ingeborg Rapoport. Sie bekam an jenem Tag als fast 103jährige einen weiteren Doktorhut, den ihr die Faschisten verweigert hatten.

In dem Artikel wird nicht verschwiegen, daß Inge Rapoport aus Nazideutschland vertrieben wurde, seit vielen Jahrzehnten der kommunistischen Bewegung angehört und sich gemeinsam mit ihrem Ehemann Prof. Mitja Rapoport in der KP der USA engagierte.

Beide Rapoports übersiedelten 1952 in die DDR, wo sie jahrzehntelang an der Berliner Charité tätig waren. Ingeborg habilitierte sich 1958 und wurde Dozentin an der Kinderklinik des bekannten Krankenhauses.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord

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Ein christlicher Staatsmann der DDR, der sozialistischen Ideen bis zuletzt treu blieb

Gerald Götting zum Gedenken

Am 27. Mai wurde im engsten Familien- und Freundeskreis ein bedeutender Mitgestalter der Deutschen Demokratischen Republik, ihrer sozialistischen Entwicklung und Geschichte, zur letzten Ruhe geleitet. Im 92. Jahr hat sich sein Leben vollendet. Ausgangspunkt seines Denkens und Handelns war die Erkenntnis, daß es nach dem totalen Zusammenbruch Deutschlands im Jahr 1945 nur diesen einen Weg geben könne: Entwicklung und Ausformung einer sozialistischen Demokratie!

Dies Werk zu beginnen, zu gestalten, aufzubauen, allen Widerständen zum Trotz durchzuhalten, wurde zum Inhalt seiner Mitarbeit! Diesen Weg ist Gerald Götting aus einer christlich-humanistischen Überzeugung gegangen. Dabei leitete ihn die Erkenntnis seines großen politischen Vorbilds Otto Nuschke - des ersten Parteivorsitzenden der christlich-demokratischen Partei in der DDR: "Je fester ein Christ in seiner weltanschaulichen Überzeugung lebt, und je fester ein Marxist seine Überzeugung vertritt, um so ehrlicher wird das politische Handeln zum Wohle aller gelingen."

Die hohe Begabung und der überzeugende Wille, die Fähigkeit zu argumentieren, auszugleichen, Erkanntes weiterzuvermitteln, aber auch Probleme zur Sprache zu bringen, geduldig zuzuhören - dies zeichnete ihn besonders aus.

Mit 28 Jahren wurde er Generalsekretär der CDU, seit 1966 war er deren Parteivorsitzender. Im gleichen Jahr wurde er zum Volkskammerpräsidenten gewählt. Er war Präsident der Liga für Völkerfreundschaft der DDR, gehörte dem Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front an und übte andere Funktionen aus. Ein arbeitsreiches Leben hat sich nun vollendet. Gerald Götting blieb bis zum Untergang der DDR seiner Überzeugung treu. Für ihn bildeten Christentum und Sozialismus eine Lebensaufgabe. Die theologischen Erkenntnisse von Karl Barth, Emil Fuchs, Josef Hromadka sowie der kirchenpolitische Widerstandskampf der Bekennenden Kirche von 1934 bis 1945 wie die persönliche Freundschaft zu Martin Niemöller - dies alles gehörte zu den Grundlagen seiner persönlichen Erfahrungen, die er Zeit seines Lebens weitergab. Gerald Göttings vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Staatssekretären für Kirchenfragen der DDR, Hans Seigewasser und Klaus Gysi, sowie die engen Kontakte zu den Theologischen Fakultäten und den Kirchenleitungen müßten in einem anderen Rahmen gründlicher aufgearbeitet werden.

Seit über 60 Jahren bestand zwischen uns eine enge persönliche Freundschaft. Wer Gerald Götting näher kannte, wußte auch, wie sehr ihn Probleme in den letzten Jahren seines Lebens im Rückblick beschäftigten, aber auch immer wieder zum Nachdenken veranlaßten.

Er fand innere Ruhe in seinem fest verankerten christlichen Bewußtsein und seiner persönlichen Glaubenshaltung. Sein bleibendes Verdienst ist die Erkenntnis, daß dem Sozialismus als Gesellschaftsformation die Zukunft gehört, wenn die Menschheit überleben will. Welche Formen dieser haben wird, muß die Zukunft erweisen.

Durch welche Krisen wirtschaftlicher, finanzieller und soziologischer Art wie länderübergreifende Konflikte die Menschheit hindurchgeht, wird derzeit in besonders gravierender Weise sichtbar. Es bedarf einer Kulturphilosophie, die in globalem Maßstab alle Bereiche des Lebens erfaßt, um nicht in Tiefen hinabzusinken, die zu chaotischen Zuständen führen.

Es geht um eine neue weltumspannende Ethik für alle Sphären menschlicher Existenz, um eine sozialistische Lebensordnung auf der ganzen Erde. Darin besteht die Aufgabe der Zukunft. Dies waren Gedanken des Verstorbenen in der letzten Phase seines irdischen Lebens.

Gerald Göttings Verhältnis zu Albert Schweitzer - die persönliche Freundschaft, die Jahrzehnte zurückreicht - waren innerster Besitz seines Daseins. Mehrmals besuchte Gerald Götting das afrikanische Lambarene und studierte Schweitzers Arbeit vor Ort. Der Briefwechsel mit dem "Grand Docteur", wie man ihn dort nannte, über dessen theologische Arbeit und Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, hielt bis zuletzt an.

Gerald Götting hat mit Kraft und Erfolg dafür geworben, daß die Erkenntnisse des bedeutenden Theologen und Humanisten in der Deutschen Demokratischen Republik weithin Verbreitung fanden. Etliche Schulen, Produktionsgemeinschaften und gesellschaftliche Einrichtungen trugen im sozialistischen deutschen Staat den Namen Albert Schweitzers.

An dieser Stelle sei gewürdigt, wie überzeugend und nachdrücklich Gerald Göttings Einsatz für ein gutes Verhältnis der Kirchen in der DDR zum Ausland war. Besonders zu den Glaubensgemeinschaften in der UdSSR pflegte er enge Beziehungen. Die vielen Begegnungen mit Würdenträgern der Russisch-Orthodoxen Kirche führten zu gegenseitiger Hilfe und enger Partnerschaft. Die Auszeichnung mit dem "Wladimir-Orden" brachte dies besonders deutlich zum Ausdruck.

Wir haben still Abschied von ihm genommen. Es war sein Wunsch. Das Licht der Gedanken wurde ihm bis zum Schluß geschenkt. Er konnte weit zurückblicken, hatte viel erlebt im Wirken einer ganzen Nation, an dem er in wesentlichem Maße mitgestaltend und in hohen Positionen beteiligt war, wobei er Fehlentwicklungen mit durchlitt und Enttäuschungen ertrug.

Die liebevolle Hingebung und treue Pflege seiner Gattin hat diese letzte Wegstrecke erleichtert.

Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof hat Gerald Götting seine letzte Ruhestätte gefunden - nahe der Gräber von Johannes Dieckmann, Otto Nuschke und August Bach. Eines ist gewiß: Sein Wirken geht in die Geschichte Nachkriegsdeutschlands ein und gehört zu den ganz positiven Seiten unseres 1990 untergegangenen friedliebenden deutschen Staates DDR.

Pastor em. Hans-Joachim Brühe, Falkensee

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War es den Arbeitern der DDR wirklich egal, was aus dem Volkseigentum wurde?

Wo Selbstbezichtigungen fehl am Platze sind

Wolfgang Giensch bezog sich auf Christa Lufts These, daß "das Eigentümerbewußtsein" bei den Werktätigen der DDR ungenügend entwickelt gewesen sei, da die Arbeiterkollektive sonst mehr Widerstand gegen die Zerschlagung ihrer VEBs geleistet hätten.

Diese Argumentation bedeutet doch mit anderen Worten: Den Betriebskollektiven sei es relativ egal gewesen, ob man ihnen die Fabrik wegnimmt oder nicht, da sie ihnen ja ohnehin nicht gehört habe. Diese Vorstellung scheint mir absurd. Man hat ihnen doch nicht irgendeinen Gegenstand weggenommen, sondern die Arbeit, die soziale Sicherheit, die persönliche und berufliche Entwicklungsperspektive - kurzum ihre Lebensleistung, auf die sie stolz waren und auf die sie mit Befriedigung zurückblicken konnten. Das sollte plötzlich alles nichts mehr wert sein!?

In Wirklichkeit hat dieser Verlust doch in ihnen Wut und Verzweiflung hervorgerufen.

Ich erinnere mich noch an die Bilder aus Fernsehberichten: Arbeiter, die in ihren vormaligen VEBs mit Tränen in den Augen die eigenen Werkhallen abreißen mußten. Das war zweifellos nur eine "stille" Empörung, verbunden mit einer gehörigen Portion Rat- und Hilflosigkeit. Arbeiter, die 40 Jahre Volkseigentum und Planwirtschaft erlebt hatten, vermochten sich überhaupt nicht vorzustellen, daß eine so brutale Enteignung möglich sein könnte! Sie waren weder gedanklich noch organisatorisch auf derartige Situationen vorbereitet.

Und genau das nutzten die Kohl, Weigel, Sarrazin & Co. Deren Strategie bestand darin, so schnell wie möglich die volkseigenen Betriebe zu privatisieren, bevor es den überrumpelten Werktätigen überhaupt bewußt würde, daß sie damit kollektiv enteignet worden seien. Es sollten schlagartig Tatsachen geschaffen werden, noch ehe die davon Betroffenen auch nur begriffen hatten, was hier geschah und sich - wie in Bischofferode - Widerstand aufbauen konnte.

Hinterher zu behaupten, die Arbeiter hätten kein "Eigentümerbewußtsein" gehabt und trügen selbst mit schuld an dem Raub, halte ich für eine unzulässige Unterstellung. Auch die seinerzeitige PDS hat sich in dieser Frage nicht gerade glanzvoll geschlagen. Statt den Widerstand gegen die Enteignungsstrategen zu organisieren und sich für eine berechtigte Verteidigung all dessen, was den Menschen in der DDR "lieb und teuer" geworden war, stark zu machen, löste sie als erstes die SED-Betriebsgruppen auf. Das trennte die Partei von der Klasse. Die PDS-Führung lieferte dem Gegner überdies auch noch Argumente, indem sie erklärte, das Volkseigentum sei ja "kein wirkliches Volkseigentum" gewesen, sondern habe sich in der Verfügungsgewalt von "Politbürokraten" befunden.

Ein Vergleich dazu: Als bekannt wurde, daß in Bochum ein Werk des Opel-Konzerns geschlossen werden sollte, nahmen die Arbeiter dieses kapitalistischen Unternehmens sofort den Kampf dagegen auf. Bewiesen diese "Arbeitnehmer" damit etwa "Eigentümerbewußtsein"? Natürlich besaßen sie weder "Anteilscheine" am Konzern, noch konnten sie besondere Ansprüche stellen. Ihnen ging es um ihre Arbeitsplätze. Sie hatten nur eine völlig andere Ausgangssituation als die betroffenen Arbeiter der DDR: Den Bochumern waren solche Situationen in ihrem kapitalistischen Umfeld keineswegs fremd. Überdies besaßen sie in ihren Gewerkschaften erfahrene Organisatoren von Druck und Widerstand. Und vor allem hatten sie mehr Zeit, denn ihre Werkschließung stand ja nicht unmittelbar bevor, während in der DDR die Betriebe oftmals schon privatisiert waren, bevor die davon Betroffenen das erfuhren.

Man sollte sich wirklich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie eine (juristische) Eigentumsbindung erreicht werden kann. Die Frage muß aus meiner Sicht anders gestellt werden. In der DDR wäre es vielmehr notwendig gewesen, die ökonomischen Interessen der Werktätigen wesentlich stärker an das tatsächlich erwirtschaftete ökonomische Ergebnis ihres Betriebes zu koppeln. Und dieses hätte der Gewinn sein müssen. Das ganze System der Leitung, Planung und ökonomischen Interessiertheit hätte so beschaffen sein müssen, daß für jeden Werktätigen die Erwirtschaftung eines hohen ökonomischen Ergebnisses ihres Betriebes in Löhnen, Prämien oder ähnlicher Form spürbar geworden wäre. Dann hätten sie - wie Wolfgang Giensch richtig feststellt - "mit weitaus mehr Schöpfertum an der Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums mitgewirkt".

Die immer wieder mal aufgeworfene Frage nach dem angeblich "unterentwickelten Eigentümerbewußtsein" steht für mich in einem direkten Zusammenhang mit wirtschaftstheoretischen Grundpositionen der PDL. In deren Parteiprogramm vom Oktober 2011 heißt es: "Allumfassendes Staatseigentum ist auf Grund bitterer historischer Erfahrungen nicht unser Ziel."

Hier wird das, was wir nicht grundlos als Volkseigentum bezeichnen, einfach in "Staatseigentum" umgetauft, was der Feststellung anderer entspricht, es habe sich nicht um "wirkliches Volkseigentum" gehandelt. Der Begriff Staatseigentum aber wird offensichtlich aus der in der DDR praktizierten "zentralen staatlichen Planung" abgeleitet, die bei Ablehnung des "Staatseigentums" gleich mit vom Tisch wäre.

Tatsächlich findet man im Wirtschaftsteil des PDL-Parteiprogramms keinen Hinweis darauf, wie denn die sogar recht gut formulierten Zielstellungen sozialistischer Wirtschaftstätigkeit realisiert werden sollten. Die in der DDR geschaffenen Institutionen (Plankommission, Ministerien usw.) waren doch nur die Verwalter des Volkseigentums, nicht aber die Eigentümer der Vermögenswerte selbst, wie das beim Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft der Fall ist.

Was aber die Formulierung des PDL-Parteiprogramms "... aus bitterer historischer Erfahrung ..." betrifft, so handelt es sich dabei um eine glatte Verdrehung von Tatsachen. Das Volkseigentum hat allen Menschen - wenn auch bisweilen mit Ecken und Kanten - Arbeit, Sicherheit und eine persönliche Perspektive geboten. Dieses aber wurde ihnen im Zuge des Anschlusses der DDR an die BRD auf kriminelle Weise entzogen.

Für mich gibt es nur eine Schlußfolgerung: Künftige sozialistische Wirtschaftspolitik muß unabdingbar auf dem Volkseigentum und der Planwirtschaft beruhen. Allerdings gilt es, dann vieles entschieden besser zu machen, als wir es beim "ersten Anlauf" vermochten.

Peter Elz, Königs Wusterhausen

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Wider die Legende von der Solidargesellschaft

Ein Begriff geistert durch die Berliner Sektion der Partei Die Linke: Solidargesellschaft. Klingt gut, ist aber eher unklug. Erfunden haben ihn weder die Schweizer noch Karl Marx, sondern ein Neudenker der Gruppe Internationale Marxisten (GIM), wie sich die deutsche Sektion der trotzkistischen Vierten Internationale bezeichnet, nämlich Winfried Wolf. Zu dessen Genossen an der Berliner Freien Universität gehörte in den späten 70er Jahren auch der Diplom-Politologe Harald Wolf.

Da "Politologie" nicht dasselbe wie "Gesellschaftswissenschaft" ist, und Absolventen dieses Studienganges - so auch die vorgenannten - oft ihr erstes Brot als Journalisten linker Blätter verdienen, tun sie sich nicht schwer mit Wortschöpfungen, die sie als Begriffe behandeln, ohne sie je zu definieren oder gar ihre praktische Existenz zu prüfen.

Der emeritierte Professor der Wirtschaftswissenschaften der Berliner Humboldt-Universität und Mitarbeiter des Instituts Solidarische Moderne (ISM) Dieter Klein bemühte sich in seiner Schrift "Das Morgen tanzt im Heute" (Hamburg 2013) um eine "moderne Erzählung" vom oben erwähnten Solidar-Dingsbums. Kernaussage: "Weder die vielgestaltige Linke in Deutschland noch gar die europäische Linke verfügen über eine gemeinsame Vorstellung von den Konturen der von ihr erstrebten Gesellschaft." Er selbst leider auch nicht. Statt dessen verweist er auf das äußerst knappe "Gesellschaftsbild" des Professors für Politikwissenschaft Rolf Reißig, dargestellt in einer Tabelle zu dessen Schrift "Gesellschaftstransformation im 21. Jahrhundert".

Dort heißt es: "Demokratie, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit (werden) die regulierende, integrierende und orientierende Grundidee für alle Bereiche der Gesellschaft. Ein Gesellschaftsmodell, das vom Menschen als Sozialwesen und dessen Bedürfnisse[n] und Wünsche[n] nach einem humanen, gerechten und solidarischen Gemeinwesen ausgeht." Präziser: "Die Solidargesellschaft ist das Modell des solidarischen Gemeinwesens." Prof. Rolf Reißig, einstmals Institutsdirektor an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und seit vielen Jahren "Revidierer" von Marx und Lenin, analysiert nicht das Sein der Menschen, sondern gibt seiner Wunschidee einen freundlichen Namen. Ansonsten gilt die "freiheitlich-demokratische Gesellschaft". In einer Besprechung der Studie bringt es Raj Kollmorgen auf den Punkt: Es handle sich um ein "flimmerndes Untersuchungsobjekt und analytische Leerstellen".

Nun hat der vom Senator für Wirtschaft zum "Verkehrsexperten" der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus abgestiegene Harald Wolf der PDL bei deren jüngsten Landesparteitag einen ersten Schritt in Richtung auf die Wunschgesellschaft, das Modell eines solidarisch finanzierten Jahrestickets im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) "für alle Berlinerinnen und Berliner" unter dem Kosenamen "Öffi-Flatrate" vorgestellt. Er brachte die Delegierten dazu, mehrheitlich zu beschließen, dieses Konstrukt zum Bestandteil des PDL-Wahlprogramms 2016 zu machen. Ökonomisch betrachtet handelt es sich aber nicht um einen freiwilligen Solidaritätsbeitrag, sondern um eine Pflichtabgabe aller Einwohner Berlins (mit gewissen sozialen Abstufungen) an den Landeshaushalt. Rund 900 Mio. € sollen so jährlich in die Kasse des Senats gespült werden.

Die Abenteuerlichkeit dieser Wunschidee wird deutlich, wenn man in Betracht zieht, daß derzeit weniger als ein Viertel der Berliner im "zahlungsfähigen Alter" eine Jahres- oder Monatskarte erwirbt und 1,3 Millionen PKW-Benutzer ihre Fahrzeuge wohl nicht deshalb stillegen dürften, um das Modell des "Verkehrsexperten" zu realisieren. Mit großer Geste verweist Wolf auf weltweit drei bis vier Beispiele für fahrscheinfreien ÖPNV. In Templin (16.000 Einwohner), der Startrampe für den kometenhaften Aufstieg Angela Merkels, dauerte es genau fünf Jahre, bis die Stadtverwaltung wieder zum "Fahrschein auf Verlangen" zurückkehrte. Sie wollte den ÖPNV mit Landeszuschüssen und Einnahmen aus der Kurtaxe finanzieren.

Die belgische Stadt Hasselt (76.000 Einwohner) hielt das Experiment immerhin 16 Jahre durch, in deren Verlauf die Kosten des ÖPNV um 60 % stiegen, während die "Gegenfinanzierung" durch Parkgebühren zusammenbrach. Das französische Ballungsgebiet Aubagne (100.000 Einwohner) im "Speckgürtel" von Marseille läßt seit 2009 seine Bürger fahrscheinfrei fahren, besitzt aber ein ganz anderes Finanzierungskonzept. Man bittet nicht die Bevölkerung für die Kosten des ÖPNV aufzukommen, sondern ersucht die lokalen Unternehmen mit mehr als neun Beschäftigten durch eine Umlage auf die Lohnkosten den Betrag aufzubringen. Dafür steuern die städtischen Busse immerhin sämtliche Fabriken an.

Dr. Hermann Wollner

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Regierungsposten lohnen sich

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Bielefeld: Gysi über "Gutes im Kapitalismus"

In einer Erklärung "Wir geben es unumwunden zu!" nahm der Bundessprecherrat der Kommunistischen Plattform in der Partei Die Linke zum Bielefelder Parteitag Stellung. Die Zeit für die Generaldebatte sei viel zu knapp bemessen gewesen, heißt es darin. In dieser hätten nur 40 Minuten für nicht gesetzte, sondern ausgeloste Redebeiträge von jeweils vier Minuten zur Verfügung gestanden. Widersprüche seien "nur sehr bedingt" zum Tragen gekommen. Das habe nicht zuletzt damit im Zusammenhang gestanden, daß der Parteitag faktisch mit Gysis Rede abgeschlossen worden sei. Dessen dort zur Regierungsbeteiligung und zu den roten Haltelinien geäußerte Positionen stellten wesentliche Programmpunkte infrage, ebenso seine Äußerungen zum Kapitalismus.

Weiter heißt es im Text der KPF, Gregor Gysi habe formuliert: "Wenn wir sozialistisch bleiben wollen, müssen wir erklären, was uns und warum am Kapitalismus stört, auch was uns nicht stört, sondern im Gegenteil gut ist, und wie man das Störende überwinden und das andere erhalten kann." Auch die folgende Passage aus Gysis Rede habe bei dieser Parteitagsregie völlig unwidersprochen bleiben müssen: "Es gibt bei uns viele, die eine Regierungsverantwortung anstreben, und es gibt solche, die sie nicht wollen. Letztere können das aber nicht zugeben und werden nur für sehr viele rote Haltelinien streiten, die man auf gar keinen Fall unterschreiten dürfe, in der Hoffnung, daß SPD und Grüne schon an der zweiten Haltelinie scheitern. Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren wollen, und zwar selbstbewußt, mit Kompromissen, aber ohne falsche Zugeständnisse."

Die KPF stellt weiter fest: "Daß es um die Veränderung unserer Außenpolitik geht, wird von jenen, die sich die Regierungsbefürworter in unserer Partei als Koalitionspartner wünschen, immer wieder in aller Deutlichkeit gesagt. So äußerte die Grünen-Vorsitzende Peter nach dem Bielefelder Parteitag, im Notfall sollten 'auch Militäreinsätze erlaubt werden'." Darüber müsse sich auch die Linkspartei "in der Perspektive klar werden - dann kann man auch miteinander regieren".

Auf dem Bielefelder Parteitag habe es natürlich auch für deutlich antikapitalistische und antimilitaristische Reden viel Zustimmung gegeben, konstatiert die KPF. "Aber die gab es eben auch für Redner, deren Positionen zu den friedenspolitischen Prinzipien der Partei nicht mehr mehrheitsfähig sind." Bodo Ramelow habe z. B. kein einziges Wort zu seiner Medien-Positionierung kurz vor Bielefeld, die Partei müsse ihr Verhältnis zur Bundeswehr klären, gesagt.

"Gute Rhetorik hat fast immer auch eine Eigenwirkung. Bei Abstimmungen ist das etwas anderes. Da werden Differenzen meßbar. Das war offensichtlich in der Rußland-Ukraine-Frage nicht gewollt." Der von Wolfgang Gehrke initiierte Antrag "Gute Nachbarschaft mit Rußland" sei nicht behandelt worden.

Der Bundessprecherrat zog das Fazit: "Der Bielefelder Parteitag wurde stark geprägt durch das, wie im "ND" formuliert, politische Vermächtnis Gregor Gysis: Keine Angst vorm Regieren. Die notwendige kontroverse Debatte zu dieser Frage mußte auf dem Parteitag weitgehend ausbleiben. Doch spätestens jetzt muß sie geführt werden."

RF

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Jünkes "Abrechnung" mit italienischen Marxisten

Am 18. Mai veröffentlichte die Zeitung "neues deutschland" unter der Schlagzeile "Vergangenheit, die nicht vergeht. Die deutsche Linke und der lange Schatten des Stalinismus" einen Beitrag von Christoph Jünke. Es ist die Kurzfassung eines Vortrags, den er auf der Begleitveranstaltung zur Ausstellung "Ich kam als Gast in euer Land gereist ... Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933-1956" im März 2015 bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg in Stuttgart gehalten hat. Er beschäftige sich hauptsächlich mit dem Buch von Luciano Canfora "Eine kurze Geschichte der Demokratie", das vor fast zehn Jahren erschien und seitdem mehrere Auflagen erlebte, und mit Domenico Losurdos Schrift über Stalin, ließ Jünke wissen.

Der Publikation Losurdos bescheinigt er, sie sei "wissenschaftlich ein Witz, intellektuell erschütternd schmalbrüstig, politisch ein Skandal und moralisch eine Zumutung".

Jünke scheint die deutschen Linken für ausgesprochene Kleingeister zu halten, seien doch die beiden Italiener Losurdo und Canfora die "Vordenker" mancher von ihnen. Abgesehen davon, daß Linke lieber selbst denken, als sich von anderen etwas vorschreiben zu lassen, ist es fraglich, wie viele von ihnen die Bücher überhaupt gelesen haben, auch wenn sie in Deutschland in hoher Auflage erschienen sind und in einigen Presseorganen "publizistischen Lorbeer" geerntet haben sollen.

Der von Trotzki erfundene Kampfbegriff "Stalinismus" hat mit Wissenschaftlichkeit nicht das geringste zu tun. Wenn er auf die Zeit des Terrors unter Stalin, einschließlich seiner Auswirkungen auf andere sozialistische Länder (Prozesse gegen Rajk, Kostoff und Slansky), angewandt wird, ist das noch zu akzeptieren. Aber schon der Beschluß des Außerordentlichen Parteitags der SED im Dezember 1989 "Wir brechen endgültig mit dem Stalinismus als System" suggeriert die Vorstellung, daß der "Stalinismus" in der DDR immer stärker geworden sei, je länger der Tod Stalins zurückliege. Darüber bestand unter den Mitgliedern der PDS nie Konsens, da das lediglich ein neues Dogma darstellte.

Nach Auffassung Jünkes bedeutet "Stalinismus" allerdings keine historisch-spezifische Situation, sondern meint das "von Stalin mit Gewalt und Tücke begründete Gesellschaftssystem". Es habe seinen Schöpfer nicht nur um Jahrzehnte überlebt, sondern sei auch in anderen politischen und geografischen Zusammenhängen (in Asien, Europa, Afrika und Lateinamerika) angewandt worden. Laut Jünke "zwar nicht in seinen Gewaltexzessen, wohl aber in seinen gesellschaftlichen Grundlagen, Strukturen, Formen und Ideologien".

Jünke bietet nun einen neuen Begriff an: den "Philo"- und "Neostalinismus", ohne genauer zu sagen, was er darunter versteht. Möglicherweise erfand er die erstgenannte Bezeichnung, weil der kommunistische Historiker Canfora von Haus aus Altphilologe ist.

Welches Demokratieverständnis Jünke hat, wird deutlich, wenn er meint, Canfora verabsolutiere in "schlechter linker Tradition" die Idee einer Ausdehnung der Prinzipien politischer Demokratie auf die Ökonomie und das Soziale. Tatsächlich ist das eine sehr gute Tradition. Wie Jünke dazu kommt, das als prinzipielle Absage an demokratische Formen zu attackieren und glaubt, es führe zur "erziehungsdiktatorischen Herrschaft einer Minderheit", bleibt sein Geheimnis. Es ist doch klar, daß es keine wirkliche Demokratie geben kann, solange kapitalistische Großbanken und Konzerne freie Hand haben.

Es ist nicht nachvollziehbar, wie das "ND" für einen solchen Beitrag eine ganze Seite zur Verfügung stellen konnte.

Dr. Kurt Laser

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Vor 35 Jahren verkündete das Landgericht Köln sein Urteil gegen drei SS-Mörder

Der Fall Lischka und andere

Das systematische Verschleppen der Verfolgung von Nazigewaltverbrechen durch die jeweils zuständigen Justizbehörden der alten Bundesrepublik in den ersten Jahrzehnten deren Bestehens ist heute unbestritten. Es bedurfte eines langen Weges, um sich diese schreckliche Wahrheit selbst einzugestehen, obgleich sie bereits seit den 50er Jahren immer wieder durch die DDR benannt wurde. Besonders der Ausschuß für Deutsche Einheit hat sich bleibende Verdienste erworben, wenn es darum ging, auf solche Mißstände aufmerksam zu machen und in der BRD untergetauchte oder wieder zu Amt und Würden gelangte Naziverbrecher zu identifizieren. Mitunter bedurfte es aber auch der persönlichen Initiative einzelner, die sich in der Verantwortung sahen, die Untätigkeit der Justiz anzuprangern.

Zu ihnen gehört ohne Zweifel das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld, das in Paris lebt und sich seit Jahrzehnten nicht nur für die Verfolgung nazistischer Gewaltverbrechen einsetzt, sondern auch persönlich viel unternommen hat, um den einen oder anderen Hitlerfaschisten aufzuspüren. Erinnert sei dabei an Klaus Barbie, der als Schlächter von Lyon in die Geschichte einging, oder an Kurt Lischka, einst Gestapochef von Paris. Der lebte unbehelligt bis in die 70er Jahre in Köln. Lischka trug die entscheidende Verantwortung für die Deportation französischer Juden nach Auschwitz und deren Ermordung in der Gaskammer. Bereits 1950 war er in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Um auf den Mißstand aufmerksam zu machen, daß Lischka in der BRD kein Haar gekrümmt wurde, entschlossen sich die Klarsfelds im Jahre 1971, ihn aus Köln zu entführen. Ihr Ziel war es, den Naziverbrecher der französischen Justiz zu übergeben. Wenn dieser Versuch am Ende auch scheiterte, rief er doch die gewünschte Aufmerksamkeit hervor, wobei Beate Klarsfeld dafür zwei Wochen Haft auf sich nehmen mußte. Als deutlich wurde, daß es um die Schonung von Lischka ging, reagierte die Öffentlichkeit mit Empörung. Es stellte sich heraus, daß ein Verfahren gegen ihn in der BRD nicht möglich war, weil bereits ein alliiertes Gericht ein Urteil gegen ihn gefällt hatte. Eine Auslieferung blieb ebenso ausgeschlossen.

Erst Anfang 1975 kam es dann zu einem Zusatzabkommen, das die Verfolgung Lischkas auch in der Bundesrepublik zuließ. Doch ein halbes Jahr zuvor - im Juli 1974 - war die Antifaschistin Beate Klarsfeld, die den Alt-Nazi und Bundeskanzler Kiesinger öffentlich geohrfeigt hatte, wegen gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Nötigung durch das Landgericht Köln verurteilt worden. Es sollten weitere vier Jahre vergehen, bis Lischka endlich vor Gericht erscheinen mußte.

Zwei seiner Kumpane wurden wie er der Beihilfe zum Mord angeklagt. Es handelte sich um Herbert-Martin Hagen und Ernst Heinrichsohn. Auch dieser war als SS-Angehöriger in Frankreich für die Deportation verfolgter Juden zuständig, da er zum sogenannten Judenreferat gehörte. Die Anklage gegen die drei SS-Mörder wurde mit Einschränkungen zugelassen, soweit "sie in ihren Dienststellungen in Paris von 1940 bis 1943 maßgeblich an den Transporten des Reichssicherheitshauptamtes beteiligt waren, mit denen insgesamt 73.176 jüdische Männer, Frauen und Kinder in das KZ Auschwitz-Birkenau gebracht und, zumindest nach Errechnung der Anklage, 49.884 vorsätzlich und rechtswidrig, grausam, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet wurden".

Seit Oktober 1979 wurde in Köln gegen die drei Mörder im Solde Himmlers verhandelt, wobei das Gericht Zeugen hörte und zahlreiche Urkunden verlas. Die Dokumente wurden zu einem großen Teil durch Serge Klarsfeld in das Verfahren eingeführt, der neben dem namhaften DDR-Juristen Prof. Friedrich Karl Kaul nahe Angehörige von Ermordeten im Rahmen der Nebenklage anwaltschaftlich vertrat.

Trotz Verschleppungsmanövern der Verteidigung sprach das Gericht nach für Verfahren dieser Art ungewöhnlich kurzer Prozeßdauer sein Urteil. Am 11. Februar 1980 verhängte es gegen Lischka 10, Hagen 12 und Heinrichsohn 6 Jahre Freiheitsentzug wegen Beihilfe zum Mord. Alle drei mußten bald darauf ihre Haftstrafen antreten.

Professor Kaul, der zeitweilig auch Beate Klarsfeld in deren Verfahren verteidigt hatte, war angesichts der bis dahin üblichen generellen Verschleppungspraxis überrascht. Doch ohne den Mut von Beate und Serge Klarsfeld und das von ihnen eingegangene hohe Risiko wäre es wohl niemals zu diesem Prozeß gekommen. Beide sind ihrer antifaschistischen Grundüberzeugung treu geblieben, wovon ich mich nicht nur am 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald bei einem gemeinsamen Rundgang überzeugen konnte.

Rechtsanwalt Ralph Dobrawa

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Wie der Leistungssport Zug um Zug dem Kommerz geopfert wurde

Olympia als Big Business

Der Leistungssport - ein von der Gesellschaft hoch bewerteter Teil des kulturellen Lebens - erfährt einen Umbruch, der seinen Charakter grundlegend verändert. Die sportliche Repräsentation eines Landes durch Förderung seiner Talente, die sich im Einklang von Amateursport und beruflicher Ausbildung entwickeln, wird dem Zugriff der kapitalistischen Marktwirtschaft geopfert. Sie erschließt sich Schritt für Schritt den Leistungssport als Profitquelle. Eine solche Entwicklung sah schon Karl Marx voraus, als er darauf verwies, daß das Kapital - einmal auf den Plan getreten - einen gesellschaftlichen Bereich nach dem anderen seinen Verwertungsbedingungen unterwerfen wird.

Die Olympischen Spiele der Neuzeit waren von Beginn an ausdrücklich als Wettkämpfe der Amateursportler gedacht. Sie schlossen jede Art von Geschäftemacherei mit dem Sport oder den Spielen aus, was Baron de Coubertin bereits vor einem Jahrhundert als größte Gefahr erkannte. Das olympische Amateurprinzip war, von Ausnahmen abgesehen, internationale Praxis im Wettkampfsport.

Wie es gewirkt hat, zeigte das Beispiel der DDR: Ein kleines Land, das bis auf den zweiten Rang bei Olympischen Spielen vordringen und sogar die USA hinter sich lassen konnte. Von den 940 bei den Spielen sowie Welt- und Europameisterschaften erfolgreichsten Sportlern der DDR-Geschichte (ohne GST, Motorsport und Angeln) hatten 496 (52,8 %) einen Hoch- oder Fachschulabschluß, 204 waren Diplomsportlehrer, 52 promovierten, und 444 schlossen eine Berufsausbildung ab. Sport hatte in der DDR Verfassungsrang und erfuhr hohe gesellschaftliche Wertschätzung, was zum wesentlichen Motiv für das persönliche Leistungsstreben der Sportler wurde.

Der Leitlinie Coubertins folgte auch das IOC unter seinen Präsidenten Edström, Brundage und Killanin bis 1980. Eine neue Situation entstand in den 70er Jahren durch die weltweite Verbreitung des Fernsehens mit der Direktübertragung von Sportwettkämpfen in die Wohnzimmer der Zuschauer. Dorthin konnte man jetzt auch, in spannende Wettkampfberichte eingeblendet, Werbung transportieren und so für die das Fernsehen beherrschenden Medienkonzerne ein höchst profitables Geschäftsfeld erschließen. Werbung ist eine vorrangige Waffe im Konkurrenzkampf, die man sich etwas kosten läßt. Nicht zu unterschätzen ist der finanzielle Anreiz für Veranstalter, Sportverbände und Sportler, den die bezahlte Werbung in Stadien, an Laufstrecken, Sportgeräten und Sportbekleidung bringt. Sie gelangt so auf die Bildschirme.

In der kapitalistischen Gesellschaft ist der Sport ein rechtsfreier Raum für den Zugriff des Kommerzes. Alle auf Leistung orientierten Teile werden - wo immer möglich - mit finanziellem Gewinn vermarktet. Was sich dafür nicht eignet, bleibt Privatangelegenheit Sport treibender Bürger und wird von den Medien zur Randnotiz degradiert.

Das Vermarktungsmodell Leistungssport sieht vor, daß Fernsehübertragungsrechte für hohe Summen beim Veranstalter - dazu gehört auch das IOC - eingekauft werden müssen. Diese Aufwendung wird durch teure Werbeeinblendungen mit hohem Gewinn refinanziert - ein Milliardengeschäft für Fernsehsender, Veranstalter und zunehmend auch für das Internet. Es gibt dabei nur ein Problem: Dieses Modell muß das ganze Jahr über ohne wesentliche Unterbrechungen funktionieren, wenn die angestrebte Profitrate ausgeschöpft werden soll. Die früheren Trainings- und Wettkampfsysteme, die sich überwiegend auf einen Jahreshöhepunkt ausrichteten, waren dafür nicht geeignet. Mit internationalen Serien-Weltcups, die im Wintersport jetzt schon im Sommer beginnen, wird diese Lücke Zug um Zug geschlossen. Über Monate hinweg sind jede Woche spannende Wettkämpfe gefordert. Olympische Spiele, Welt- und Europameisterschaften müssen mitten aus den Serien-Cups heraus bestritten werden. Ein solches System ist von Amateuren nicht zu bewältigen. Es bedarf der Berufssportler, die von Wettkampf zu Wettkampf geschickt werden und sich praktisch mit Haut und Haaren den Vermarktern verkaufen. Das war in einer ertragssichernden Größenordnung nicht zu erreichen, solange das olympische Amateurprinzip galt und die Sportler einen Ausschluß von den Spielen nicht riskieren wollten.

In Person von IOC-Präsident Samaranch war 1981 ein Vorkämpfer für die Vermarktungsstrategen an die Spitze des IOC gebracht worden. 1988 starteten im Tennis die ersten Profis bei Olympischen Spielen. Freie Bahn für den Berufssport! Das olympische Amateurprinzip war aufgehoben und der Startschuß gegeben, auch Olympia selbst zu vermarkten. Die Gewinnspanne des IOC für die Spiele 2004 und 2008 erreichte bereits über 4 Milliarden Euro. Als IOC-Präsident Rogge dem Kommerz keinen weiteren Vorschub leisten wollte, wurde mit Dr. Thomas Bach ein früherer Siemens-Konzernanwalt zum IOC-Präsidenten aufgebaut. Wer wohl brachte ihn mit welchem Ziel in Stellung?

Die Zeit, da Leistungssport eine Form der Repräsentation des kulturellen Lebens eines Landes war, ist beendet. Leistungssport wird als Beruf in das globale Marktgeschehen eingegliedert. Schrittmacher dabei ist Fußball. Eine Presseinformation besagt, daß 2014 die Proficlubs weltweit 3,62 Milliarden Euro für neue Spieler aus dem Ausland ausgegeben haben. Nicht zu übersehen sind die finanziellen Vorteile, die sich aus der Kommerzialisierung ergeben. Für die Ausrichter der Wettkämpfe, für die Medien, die durch den Kauf der Rechte ein Monopol erlangen, für Bau- und Ausrüstungsunternehmen, weil mehr und modernere Wettkampfstätten gebraucht werden, für Produzenten der Sportgeräte und für Dienstleister aller Art.

Die technische Ausrüstung der Sommerspiele in Peking kostete bereits 1,1 Milliarden Euro. Das Geschäft machte Siemens. Internationale Sportföderationen sind an all dem beteiligt oder spekulieren darauf. Neue Disziplinen werden erfunden, die einen möglichst spektakulären Schaueffekt haben. Solche Zirkusnummern wie Ski-Cross, Freistil-Buckelpiste und Sprung- oder Snowboard-Halfpipe sind bereits im Programm der Winterspiele. Auch das Prinzip, wonach eine Sportart eine weltweite Verbreitung haben muß, um ins olympische Programm aufgenommen zu werden, gilt nicht mehr.

Einen Wandel erfahren auch leitende Gremien. Hier sind nicht mehr Fachleute des Sports gefragt, sondern Manager, Finanzstrategen, Rechtsanwälte und auch bekannte, aber überzählige Politiker mit guten Beziehungen zu Wirtschaft und Medien. Fachleute rücken in die zweite Reihe.

Sportler und Trainer werden unter Vertrag genommen, und ein Wechsel von Land zu Land wird zur Normalität. Dafür, und für einen Wechsel innerhalb des Landes, werden Ablösesummen ohne jede Begrenzung gezahlt. Im Vorteil sind die Proficlubs mit den reichsten Geldgebern.

Der Berufssportler steht vor der Alternative, unbegrenzt viel Geld zu verdienen oder ohne lebenssicherndes Konto und ohne festen Beruf seine Laufbahn zu beenden. Sein Einkommen ist nach oben nicht begrenzt, aber auch nach unten offen, sein arbeitsrechtlicher Status unsicher. Geld wird damit objektiv zu seiner dominierenden Motivation, die ihn durch die Wettkampfserien treibt.

Wir sehen, daß der Berufssport einem profitorientierten komplexen Geschäftsfeld dient und sich grundlegend vom Amateursport unterscheidet - eine Folge der Diktatur des Kapitals über die Gesellschaft und nur mit ihr zu überwinden.

Helmut Horatschke, Berlin

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RF-Extra

Differenzierte Erfahrungen eines langjährigen SED-Mitglieds
Beim nächsten Anlauf machen wir es besser

Oftmals frage ich mich, wie sich andere meinesgleichen im Nachdenken über unser heute als "Unrecht" diffamiertes Tun fühlen. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Niederlage des Sozialismus in Europa sollte man mit Abstand und Anstand über Redlichkeit und Offenheit, aber auch über Unvermögen, Karrierismus, geistige Öde, Feigheit und Verrat reden können.

Gewisse "heutige Kreise" außerhalb unseres eigenen politischen Umfelds wollen den Anschein erwecken, als würden sie dies alles - mit welcher Berechtigung auch immer - "ganz locker" sehen. Andere haben uns aus ihrer Sicht nicht grundlos schon immer als "Inkarnation des Bösen" betrachtet.

Als ich 1967 in diese heute nicht nur von alten Gegnern als Hort allen Ungemachs auf deutschem Boden verteufelte SED eintrat, hatte ich nicht nur ein gutes, sondern ein sehr gutes Gefühl. Mehr als das: Diese Partei entsprach meinem Denken, Handeln und Empfinden. Und: Mich umgaben nicht wenige Gleichgesinnte - Genossen, Kollegen und andere DDR-Bürger, die das Engagement für einen zum Kapitalismus konträren gesellschaftspolitischen Versuch einte. In einem Drittel Deutschlands hatten wir der Monopolbourgeoisie, dem Finanzkapital und dem Junkertum als den Verursachern zweier schrecklicher Weltkriege die Grundlage ihres teuflischen Tuns entzogen. Das war die Basis für 40 Jahre Frieden auf unserem Kontinent. Selbst wenn die SED, die DDR und deren Bürger nur dazu beigetragen hätten, daß vier Jahrzehnte die Waffen schwiegen - allein das wäre Grund genug, sie dafür zu rühmen.

Natürlich verlaufen gesellschaftliche Entwicklungen niemals geradlinig, nur von Jubel, Glanz und Gloria begleitet. Das betraf auch die Geschichte unserer kleinen und doch so großartigen Deutschen Demokratischen Republik. Etliche Funktionäre in oberen Etagen der Partei sahen dabei Unsinnigkeiten, Hindernisse und Widersprüche in unserer Entwicklung nur allzugerne ausgeblendet. Auch wenn es diese ohne Zweifel gab, ändert das am Wesen der Sache wenig.

Verdammt uns denn der Klassenfeind etwa ob unseres selbstgemachten Widersinns?

Heute schmunzelt mancher darüber, daß die Partei damals der FDJ tatsächlich den Auftrag erteilte, das Einfallstor zur ideologischen Diversion - die auf den Westen gerichteten TV-Antennen - einfach umzudrehen oder gar abzusägen. Ja, es gab so etwas, und manche anderen Ereignisse, die dem Prestige der DDR wenig förderlich waren. Doch beim Aufbau einer völlig neuen Gesellschaft, in der nicht mehr der Profit, sondern Frieden, Wohlergehen aller und Humanismus den Maßstab bildeten, blieben auch gewisse Ungereimtheiten nicht ausgespart.

Worin aber lag der Sinn all dessen, was wir taten? Worin bestand er, als anstelle des den Egoismus fördernden Konkurrenzkampfes jeder gegen jeden nun zum sozialistischen Wettbewerb aufgerufen wurde? Was war der Sinn beim Bau neuer Kulturstätten anstelle gigantischer Einkaufstempel westlichen Stils? Worin lag er, als zahlreiche Bildungseinrichtungen aus dem Boden gestampft wurden, deren Nutzung nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig war? Und was machte ihn aus, als es darum ging, Solidarität nicht nur zu predigen, sondern Tag für Tag aktiv zu leben ... mit Staaten auf einem nichtkapitalistischen Weg, mit Völkern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, die gerade erst dem Kolonialjoch entronnen waren oder mit den schon sehr früh vom Imperialismus überfallenen Völkern Koreas und Vietnams? Und vor allem mit dem sozialistischen Kuba!

Wem diente unsere Nationale Volksarmee - Streitkräfte des Friedens, die von bewährten Antifaschisten formiert und geführt worden waren?

Ist damit etwa schon alles aufgezählt, was uns so fundamental vom anderen deutschen Staat unterschied?

Bei der Entwicklung der DDR - von ihrer Gründung am 7. Oktober 1949 bis zu ihrer Zerschlagung durch die Konterrevolution - gab es ganz unterschiedliche Phasen mit ebenso unterschiedlichem Widerhall und Rückhalt in der Bevölkerung.

Die Gründungsetappe war vom Wiederaufbau und dem Konsens geprägt: Nie wieder Krieg - nie wieder Faschismus! Doch für die Verwüstung der Sowjetunion durch die Mordbrenner Hitlerdeutschlands waren jahrelang harte Reparationsleistungen zu erbringen.

Seit dem ersten Tag ihrer Existenz sah sich die DDR der erbitterten Feindschaft, dem Boykott seitens der BRD ausgesetzt. Das entschuldigt keine eigenen Fehlleistungen, erklärt aber, welchen harten und entbehrungsreichen Weg ihre Bürger beschritten. Wir erinnern uns an die Worte der damals bahnbrechenden Aktivistin Frieda Hockauf: "Wie wir heute arbeiten, so werden wir morgen leben!"

Ohne Zweifel gab es - nicht zuletzt durch massivste mediale Einwirkung aus dem Westen - unter Mitbürgern und damaligen Kollegen etliche Stimmen, die nicht gerade jubelnde Zustimmung zu allem bekundeten, was bei uns geschah. Nur ein Dummkopf kann sich darüber wundern!

Besonders in den ersten Jahren der DDR aber trug die von den Erfahrungen der Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Widerstandes geprägte ideologische Tätigkeit der SED zur allmählichen Herausbildung eines sich festigenden Klassenstandpunktes und eines neuen Weltbildes vieler Menschen Entscheidendes bei. Das betraf keineswegs nur Genossen.

Der 13. August 1961 stellte eine Zäsur dar. Mit der schon bald danach einsetzenden spürbaren Verbesserung der Versorgungslage wuchs auch die Zustimmung der Bevölkerung zum Kurs der Partei. Die erfolgreiche Friedens- und Außenpolitik der DDR, die seit dem Ende der 60er Jahre zur weltweiten diplomatischen Anerkennung unseres Staates geführt hatte, trug auch innenpolitisch Früchte.

Nach dem VIII. Parteitag der SED, mit dem die Politik auf mehr Wohlstand und Lebensqualität ausgerichtet wurde, nahm ich zu meinem Erstaunen ein Anwachsen kritischer Stimmen und zunehmende Unzufriedenheit wahr. Ironisiert wurde jetzt Frieda Hockaufs erwähnter Ausspruch. "Wie wir heute leben, werden wir morgen - noch lange nicht - arbeiten", hieß es nun.

Alle DDR-Bürger, einschließlich der Parteimitglieder, sammelten nun neue eigene Erfahrungen und sahen sich zuvor unbekannten Konfliktsituationen gegenüber.

Nochmals stelle ich die Frage: Verteufelte der Klassenfeind unseren Staat etwa wegen seiner Friedenspolitik und seines umfangreichen sozialpolitischen Programms? Das dürfte wohl auszuschließen sein! Und dennoch verfingen viele seiner "Argumente".

Mir wurde all das besonders bewußt, als ich zeitweilig für politisches Wirken ein Gehalt bezog. Doch für mich gab es auch in dieser Phase kein Einknicken, selbst dann nicht, wenn ich bestimmte Funktionäre wissen ließ, einige ihrer Entscheidungen nicht mitzutragen. Anfänglich eher intuitiv, empfand ich nun eine wachsende innere Distanz, ja Entfremdung gegenüber der Politik und dem Verhalten von Funktionsträgern der Partei. Diese entstand nicht nur bei mir, sondern auch bei nicht wenigen Menschen, mit denen ich in Kontakt stand, was darauf hindeutete, daß eine allgemeine Unzufriedenheit nicht nur außer-, sondern auch innerhalb der Partei herrschte. Leider war es uns nicht gegeben, diese vom Grunde her zu erfassen und darauf zu reagieren.

Natürlich konnten die Entwicklungen in Europa und der Welt nicht spurlos an uns vorübergehen. Ob es den durch Churchill in seiner Fulton-Rede begrifflich erfundenen Eisernen Vorgang als wirkliche Abschottung gegeben hat, mag bezweifelt werden. Das unablässige Eindringen der maßgeblich zum Sieg der Konterrevolution bei uns und in den anderen sozialistischen Staaten Europas beitragenden ideologischen Diversion zeugt wohl eher vom Gegenteil. Wenn man es wissen wollte, konnte man sich - ob SED-Mitglied oder nicht - übrigens die meisten Fragen selbst beantworten, vorausgesetzt, die häufig zitierten Ideen von Marx, Engels und Lenin waren kein bloßes Lippenbekenntnis.

Bereits kurz nach dem Sieg der Konterrevolution zeigte sich mir in erschreckendem Maße, wie viele unserer vormaligen "Mitstreiter" sich allzulange lediglich hinter mehr oder weniger klugen Parolen und blumigen Phrasen versteckt oder diese gar als Sprungbrett für die eigene Karriere benutzt hatten. Das wirft kein gutes Licht auf die Qualität unserer ideologischen Arbeit und - nicht weniger beschämend - auf die Ergebnisse unserer Kaderauswahl.

Schon Ende der 70er Jahre hatte ich erlebt, wie Vorteilssuche oder persönliche Machtambitionen sich als Kommunisten ausgebender Konjunkturritter unserem Anspruch und Selbstverständnis geschadet haben. Solche Karrieristen wenden ihr Fähnlein bekanntlich bei jedem Wetter. Sie waren folglich auch später dazu imstande, sich sehr schnell unter den siegreichen Konterrevolutionären wieder bequem einzurichten. Doch kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Die im Widerstand gegen den Faschismus mit einem hohen Blutzoll bezahlte Erfahrung von Sozialdemokraten und Kommunisten führte im April 1946 zum Zusammenschluß von KPD und SPD zur SED: Nie wieder getrennt marschieren! lautete damals das Gelöbnis der sich im Osten auf marxistischer Grundlage vereinigenden Parteien der deutschen Arbeiterklasse.

Und so fand etwas zusammen, was eigentlich schon immer zusammengehört hatte. Denken wir nur, was der Menschheit erspart geblieben wäre, hätte die deutsche Sozialdemokratie zu Beginn der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts nicht Thälmanns Angebot zur Aktionseinheit gegen den heraufziehenden Faschismus ausgeschlagen.

Immerhin: Die Deutsche Demokratische Republik bestand 40 Jahre. Wäre es nach den "Oberen" der BRD gegangen, hätte sie nicht einmal einen Tag existiert!

Als Marxisten wissen wir seit den Zeiten des Kommunistischen Manifests, daß der Staat das Machtinstrument der jeweils herrschenden Klasse ist. In einem Drittel Deutschlands verwehrte die Arbeiterklasse mit ihrer Partei an der Spitze und im Bündnis mit den Bauern den in der BRD weiterhin am Ruder befindlichen politischen Interessenvertretern des Kapitals den Zugriff auf das gesellschaftlich organisierte Eigentum. Darin besteht der entscheidende Grund dafür, daß sie uns bis in alle Ewigkeit verteufeln, hassen und verdammen.

Also haben wir das zumindest gut gemacht. Beim nächsten Anlauf machen wir und die unseren Spuren Folgenden es besser!

Wolfgang Kulas, Hildburghausen

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Vom Heldenmut der Blockadebrecher

Wie die Sowjetunion dem republikanischen Spanien zu Hilfe kam

Im 70. Jahr nach dem Sieg über den Faschismus ist es an der Zeit, einmal ausführlicher über die Hilfe der Sowjetunion für die von Franco, Hitler und Mussolini angegriffene Spanische Republik zu berichten. Die Unterstützung der UdSSR war sehr umfangreich und betraf sowohl humanitäre als auch militärische Bereiche.

Bereits am 2. August 1936 fanden in der Sowjetunion in vielen Betrieben Solidaritätskundgebungen für das spanische Volk statt. Am 3. August eröffnete der Sekretär des Zentralrats der Sowjetgewerkschaften, Nikolai Schwernik, eine Kundgebung von Tausenden Moskauern. In Leningrad versammelten sich Hunderttausende, ebenso in Rostow am Don, in Dnepropetrowsk, in Kiew, in Nowosibirsk, Omsk, Odessa und vielen anderen Städten. Überall beschlossen die Werktätigen einmütig, Geld, Kleidung und Nahrungsmittel für einen Hilfsfonds zugunsten der Spanischen Republik zu sammeln. Viele spendeten die Hälfte ihres Monatslohnes.

Am 6. August 1936 befand sich im Spanien-Hilfsfonds des Zentralrats der Allunionsgewerkschaften bereits eine Summe von 12.145.000 Rubel. Sie wurden in französische Valuta umgetauscht, was ca. 36.435.000 Franc ergab. Weitere Sammlungen folgten.

Am 11. September 1936 wurde auf einer Sitzung des ZK der KPdSU beschlossen, das erste Schiff mit Lebensmitteln nach Spanien zu schicken. Das Volkskomitee für Außenhandel wurde beauftragt, für die Kinder der Arbeiter Spaniens 1500 t Zucker, 500 t Öl, 300 t Margarine, 250 t Gebäck, 300 t Konserven, 100 t Kondensmilch und 50 t Bonbons nicht später als am 18. September im Hafen von Odessa zur Verladung bereitzustellen.

An diesem Tag stieß die "Newa" unter Kapitän Korenewski von Odessa aus in See. Sie kam am 26. September in Alicante an. Als das Schiff dort anlegte und auf dem Fockmast die spanisch-republikanische Fahne aufgezogen wurde, hallten Begrüßungsrufe über die ganze Uferstraße. Die "Newa" besuchten Delegationen spanischer Arbeiter, Frauen und Kinder. Zügig wurde das Schiff von den spanischen Hafenarbeitern entladen, damit die Produkte bald jene Gebiete erreichten, wo sie dringend gebraucht wurden.

Sowjetische Militärberater waren bereits im August 1936 und die ersten Schiffe mit Waffen- und Munitionsladungen einen Monat später auf dem Weg nach Spanien. Schon kurze Zeit nach der Tagung des die Faschisten begünstigenden westlichen Nichteinmischungskomitees, das am 9. September 1936 in London zusammengetreten war, begann die UdSSR mit der logistischen Planung ihrer militärischen Hilfe für Madrid. Am 29. September wurde in einer Beratung des Politbüros der KPdSU mit der Leitung des Volkskommissariats für Militär- und Marineangelegenheiten der UdSSR die Geheimoperation "X" eingeleitet. Dabei ging es um aktive Militärhilfe für das republikanische Spanien.

Am 4. Oktober 1936 legte die "Komsomol" mit einer Waffenladung im Hafen Feodossija ab und erreichte am 12. Oktober Cartagena.

Mitte 1938 waren Spaniens Goldreserven durch von Madrid getätigte Waffenkäufe aufgezehrt. Auf Bitten der Spanischen Republik gewährte ihr die UdSSR noch im Dezember 1938 einen Kredit in Höhe von 100 Millionen Dollar.

Im ersten Novemberdrittel jenes Jahres wandte sich Finanzminister Negrin an Stalin und bat ihn, für weitere Waffenlieferungen großen Umfangs zu sorgen. Es ging vor allem um Panzerabwehrkanonen, leichte und schwere Maschinengewehre, Jagdflugzeuge, Bomber, Panzer, Küstenschutzschiffe und Torpedoboote. Stalin und der sowjetische Verteidigungsminister Woroschilow akzeptierten die Wunschliste ohne Einschränkungen und vereinbarten, daß Madrid eine Anleihe für die gesamte Summe des Wertes der Waffen zu gewähren sei.

Vom 15. Dezember 1938 bis zum 15. Februar 1939 verschickte die Sowjetunion Waffen und Militärtechnik von Murmansk aus nach Frankreich. Am 6. Dezember 1938 hatten das faschistische Deutschland und die französische Regierung eine Freundschaftserklärung unterschrieben, so daß nur noch ein kleiner Posten Waffen über Frankreichs Grenze befördert werden konnte. Ein großer Teil mußte zurückgeschickt werden, andere Lieferungen wurden vernichtet. Anfang Februar 1939 erfuhr die Sowjetunion, daß viele ihrer Waffen in die Hände der Faschisten gefallen seien. Daraufhin erging folgende Weisung Stalins an Woroschilow: "Die Waffenlieferungen müssen eingestellt werden."

Es gäbe noch andere Hintergründe der Entscheidung Moskaus aufzuzählen, so z. B. die Tatsache, daß sich die Rote Armee im Juli und August 1938 selbst in schwere Kämpfe mit kaiserlich-japanischen Truppen am Chassan Gol in der Mongolei verwickelt sah. Übrigens konnte die UdSSR erst ab 1932 Panzer und Flugzeuge in Serie produzieren. Es fehlte noch an einer ausgereiften Rüstungsindustrie und entsprechenden Fachkräften.

Unter diesem Aspekt ist die Unterstützung der Sowjetunion für das republikanische Spanien gar nicht hoch genug zu bewerten.

Wenden wir uns unmittelbar den sowjetischen Blockadebrechern und ihren Taten zu.

An der Ausarbeitung der Pläne für die Militärhilfe waren nicht zuletzt auch Mitarbeiter der sowjetischen militärischen und politischen Aufklärung beteiligt. Man schuf, wie bereits erwähnt, eine Abteilung "X" und bezeichnete die gesamte Operation der militärischen Hilfe in gleicher Weise, während für die Schiffsfahrten die Benennung "Y" galt. In Moskau zweifelte man nicht daran, daß der deutsche und italienische Geheimdienst auf der Pyrenäenhalbinsel äußerst aktiv sein würden und daß auch der britische Geheimdienst in die spanischen Ereignisse eingreifen könnte. Insgesamt erfolgten in sechs Intervallen 71 Schiffsfahrten. Was das eingesetzte sowjetische Personal betraf, so wurden die besten und erfahrensten Kader der Militäraufklärung entsandt. Ihr Leiter war Jan Bersin, der in Spanien die Aufgabe des Hauptmilitärberaters der Republik innehatte. Er trug dort den Codenamen "General Grischin".

Eine weitere Aufgabe war die Auswahl des Verladehafens. Einerseits sollte er nicht zu groß sein, um die Geheimhaltung zu garantieren und die Verladung abschirmen zu können. Andererseits mußte er über eine ausreichende Tiefe, Lagerkapazitäten und Verladeeinrichtungen verfügen. Überdies ging es um die Auswahl geeigneter Schiffe für Transporte schwerer Militärtechnik. Viele einstmals russische Einheiten der Flotte waren in den Jahren des Bürgerkrieges versenkt worden, so daß man anfangs auf jene Transporter zurückgreifen mußte, welche noch zur Verfügung standen. Unter ihnen befand sich der Holzfrachter "Stary Bolschewik".

Von den 1936 gelieferten 650.000 Infanterie-Gewehren waren etwa 60.000 bereits vor 1917 hergestellt worden.

An Panzern fand man keine Herstellerkennzeichen sowjetischer Werke, in Flugzeugen gab es nur wenige Geräte mit Markierung. Die Waffenkisten erhielten Versandanschriften von fiktiven Empfängern in Frankreich, Italien, Deutschland und Belgien. Sie waren tief in den Laderäumen der Schiffe verstaut. Darüber legte man Persenninge und Abdeckungen aus Holz. Darauf schüttete man eine Tarnladung von Erzen, Getreide oder Kohle. Dies sollte eine schnelle Entdeckung bei Inspektionen durch Vertreter des Nichteinmischungskomitees oder bei Kontrollen durch faschistische Kriegsschiffe verhindern. Die Ladungen wurden ordnungsgemäß versichert, und die Schiffe begaben sich auf "offizielle Fahrt".

Die Transporte aus den Schwarzmeerhäfen Odessa und Sewastopol führten zu den spanischen Mittelmeerhäfen Cartagena, Alicante, Valencia und Barcelona. Von der Ostsee aus gingen sie in die Biscaya-Häfen Santander und Bilbao. Das Anlaufen erfolgte in vorgegebener Reihenfolge und Entfernung. Man fuhr nicht im Konvoi und hielt in Höhe der spanischen Küste tagsüber einen Abstand von 80 bis 100 Kilometern ein. Im Schutz der Dunkelheit suchte man den Bestimmungshafen zu erreichen. Gefährliche Seegebiete, in denen die Faschisten patrouillierten, wurden nur nachts und mit gelöschten Lichtern durchfahren. Bug, Heck, Ausguck, Backbord und Steuerbord waren ständig mit Wachen besetzt, um den Horizont nach feindlichen Schiffen abzusuchen. Bestand keine Gefahr, drehte man in Richtung spanische Küste ab und fuhr einen der republikanischen Häfen an. Während die Waffenladungen von der Besatzung selbst vorgenommen wurden und ohne Zwischenlagerung ins Landesinnere abgingen, erfolgte die Löschung von Lebensmittelfrachten und anderen Solidaritätsgütern tagsüber durch spanische Hafenarbeiter.

Zusätzlich wurde ein getarntes Netz von Handelsagenturen außerhalb der Sowjetunion aufgebaut. Seine Mitarbeiter tätigten Waffenkäufe z. B. in den tschechischen Skoda-Werken, wobei die Fracht mit ausländischen Charterschiffen nach Spanien gebracht wurde.

Zusammenfassend ist zu sagen, daß insgesamt 686 Jagdflugzeuge, 335 Panzer, 30 Torpedoboote, 723 Kanonen, 508 Geschütze sowie 4 162 200 MGs und einfache Gewehre nach Spanien geliefert wurden. Dort kämpften über 2000 sowjetische Freiwillige, von denen 157 ihr Leben ließen.

Noch ein Wort zu einem legendären sowjetischen Schiff, das eine besondere Rolle spielte: Die "Komsomol" war 1932 im ersten sowjetischen Fünfjahrplan in Leningrad gebaut worden und entsprach allen Anforderungen jener Zeit. 1936 wurde Georgij A. Mesenzew zu ihrem Kapitän ernannt. Das Schiff fuhr auf der Route Odessa-Leningrad. Im Herbst 1936 war man gerade dabei, in Odessa eine Weizenladung an Bord zu nehmen. Eine neue Fahrt stand bevor, als unerwartet der Flottenchef an Bord erschien und den Kapitän aufforderte, den Weizen wieder zu löschen und in Feodossija eine Fracht des Volkskommissariats für Militärangelegenheiten an Bord zu nehmen. Dort angekommen, stellte sich heraus, daß es um Waffen und Munition für Spanien ging. Die Instruktionen für Kapitän Mesenzew lauteten: höchste Geheimhaltung; kein militärischer Begleitschutz; offiziell Kurs auf Mexiko, jedoch Abschwenken vor Gibraltar zur spanischen Küste; keine Begleitpapiere für die Ladung; Zielhafen ist Cartagena. Ein Vertreter des Volkskommissariats stellte allen Seeleuten frei, ohne jede Begründung an Land bleiben zu dürfen. Doch keiner blieb. Am 2. Oktober 1936 legte das Schiff im Rahmen der Operation "X" ab. Vor Spaniens Küste bemerkten Besatzungsangehörige getarnte Kriegsschiffe der faschistischen deutschen Marine - die "Admiral Graf Spee" und die "Lützow".

Als die "Komsomol" in Cartagena anlegte, kam der sowjetische Marineattaché Kusnezow an Bord und leitete die Entladung persönlich ein. Obwohl die Panzer hinter einer hohen Ziegelmauer aufgestellt wurden, sprach die ganze Stadt nur von ihnen. Die Bevölkerung jubelte, als sie durch die Straßen Cartagenas rollten. Viele Tausende waren zur Begrüßung des Schiffes erschienen, das der Republik jene Panzer brachte, welche die Faschisten dann vor Madrid zurückschlagen würden.

Die Nachricht vom Eintreffen der "Komsomol" und ihrer besonderen Ladung drang natürlich auch zu den Faschisten. Sie setzten auf "Abrechnung". Doch die Heimreise des Schiffes nach Odessa verlief unerwarteterweise ohne Zwischenfälle. Im Hafen wurde sofort eine neue Ladung übernommen: Autos, Benzin, Medikamente, Lebensmittel und Geschenke des sowjetischen Volkes. Jetzt hieß der Zielhafen Valencia. Der Empfang in Spanien war diesmal noch überwältigender. Zehntausende standen am Kai und jubelten der Besatzung zu. Viele Spanier hielten Rosensträuße für die Matrosen in Händen. Aus weit entfernten Dörfern kamen Bauern ans Schiff und brachten Kisten voller Mandarinen und Apfelsinen. Später wurden die sowjetischen Seeleute zu einem Fußballspiel gegen ein Team aus Valencia aufgefordert. 80.000 Menschen füllten die Ränge. Nach dem symbolischen Anstoß durch Kapitän Mesenzew skandierte das ganze Stadion: "Viva Rusia!"

Eine weitere Fahrt der "Komsomol" erfolgte Anfang Dezember 1936. Bestimmungshafen war Gent in Belgien. Die Ladung bestand aus Manganerz. Es handelte sich um eine normale Fracht in ein neutrales Land. Doch es sollte die letzte Reise der "Komsomol" werden. Am Abend des 13. Dezember näherte sich ihr auf freiem Meer ein Kriegsschiff. Es gab keine Erkennungszeichen. Als sich der sowjetische Frachter am nächsten Tag auf der Höhe von Algier befand, tauchte der faschistische Kreuzer "Canaris" auf. "Stoppen Sie die Maschinen!" wurde gefordert. Die Faschisten enterten das Schiff, beschlagnahmten dessen Papiere und die Pässe der Seeleute. Die Besatzung der "Komsomol" wurde festgenommen und an Bord der "Canaris" gebracht. Ihr Schicksal war ein einziges Martyrium. Nach Tagen in den Stahlkasematten des Kreuzers wurden sie in ein mittelalterliches Gefängnis an der Südwestküste Spaniens eingeliefert. Die Zellen waren finster, voller Ratten und Ungeziefer. Die darauffolgende Zeit kennzeichneten unvorstellbare Entbehrungen, brutale Verhöre und Demütigungen aller Art. Doch man konnte die sowjetischen Seeleute nicht brechen. Sie lernten, sich untereinander durch Morsezeichen über die Zellenwände zu verständigen.

Die Faschisten verurteilten die Matrosen zum Tode und steckten sie einzeln in Todeszellen. Mehrmals wurden sie in den Gefängnishof geführt, wo man Erschießungen simulierte. Später verlasen die Peiniger eine Erklärung, daß die Strafe durch "Francos Gnade" in 30 Jahre Gefängnis umgewandelt worden sei. Nach zähen Verhandlungen der Sowjetregierung und des Internationalen Roten Kreuzes gelang es zunächst, 11 Seeleute zu befreien. Einen Monat später gelangten weitere 18 Besatzungsmitglieder auf freien Fuß. Drei von ihnen baten, als sie mit einem erneuten Hilfstransport in Valencia einliefen, als Freiwillige in Spanien bleiben zu können. Sie kämpften in der XII. Internationalen Brigade. Die letzten 7 Seeleute der "Komsomol" mußten zwei Jahre und acht Monate in den faschistischen Folterkammern ausharren. Schließlich bekam sie Moskau im Austausch mit in der UdSSR inhaftierten Italienern frei.

Cilly Keller/Reinhardt Silbermann, Hamburg

Ende RF-Extra

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Eine neue politische Kraft der Linken veränderte Spaniens Parteienlandschaft

Podemos heißt "Wir können!"

Nach dem überwältigenden Wahlerfolg der zwar heterogenen, aber insgesamt linksgerichteten Syriza-Koalition in Griechenland scheint auch für Spanien eine neue Situation entstanden zu sein. Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied: Während der Sieg in Hellas bei Parlamentswahlen auf nationaler Ebene errungen wurde, waren 35 Millionen wahlberechtigte Spanier am 24. Mai "nur" zum Votum bei Munizipal- und Regionalwahlen aufgerufen. Diese gelten allerdings als Stimmungsbarometer für die später anstehenden Cortes-Wahlen. Die Bürger des größeren iberischen Landes entschieden über die Zusammensetzung von 8122 Volksvertretungen - von kleinen Orten bis zu den Metropolen Madrid und Barcelona. Auch für 13 der 17 Regionalparlamente - so in Andalusien, im Baskenland, Galizien und Katalonien - fielen die Würfel.

Hatte es sich bisher stets um einen Schlagabtausch zwischen der in Francos Fußstapfen getretenen rechtskonservativen Volkspartei (PP) und der anfangs von Felipe Gonzalez geführten sozialdemokratischen PSOE gehandelt, so hatten diesmal auch zwei neue politische Kräfte ihren Hut in den Ring geworfen: Während die rechtsgerichtete Gruppierung "Ciudadanos" (Bürger) einen Teil der Stimmen enttäuschter bisheriger PP-Anhänger aufzufangen vermochte, betrat mit Podemos eine nach links tendierende Formation der Protestbewegung breitester Volksmassen erstmals die spanische Wahlkampfarena.

Das Ergebnis entsprach den Prognosen: Die beiden bisherigen Hauptparteien PP und PSOE wurden hart abgestraft, die verzweifelte ökonomische Lage des überwiegenden Teils der spanischen Bevölkerung, aber auch ganze Serien von Korruptionsskandalen schlugen hier zu Buche.

Es erfolgte eine Umverteilung der Wählerstimmen zwischen nunmehr vier politisch relevanten Parteien und Bewegungen, wobei keine von ihnen die absolute Mehrheit zu erringen vermochte. Die im Landesmaßstab noch regierende PP Rajoys verlor ihre Majorität in 11 bisher von ihr angeführten Regionen, darunter in Madrid und Barcelona. Obwohl sie mit 26,7 % landesweit noch den höchsten Stimmenanteil zu erringen vermochte, büßte die Hauptpartei der spanischen Reaktion innerhalb von vier Jahren 11 % ihrer Wählerschaft ein. Die PSOE kam auf 25 %, und die "Ciudadanos" brachten es auf 6,55 %.

Die beiden "traditionellen" Parteien konnten sich nicht einmal in einigen ihrer Hochburgen durchsetzen: In Madrid kam die dort bisher allein regierende PP gerade noch auf 33,97 %, während die Podemos einschließende Koalition "Ahora Madrid" fast soviel, nämlich 32,14 % des Votums, zu erringen vermochte. Die PSOE, deren Votum in der Hauptstadt auf 15,63 % schrumpfte, mußte sich in ihrer Koalitionspolitik neu orientieren. In Spaniens zweitgrößter Stadt kam die Podemos einschließende Koalition "Barcelona en Comú" auf 25,20 %, was den ersten Rang bedeutete. Die populäre Ada Golau - Anführerin des jahrelangen Kampfes gegen die Zwangsexmittierung von Mietschuldnern - stellt dort die Bürgermeisterin. Sie reduzierte ihr Gehalt sofort auf ein Viertel.

Podemos ging aus den landesweiten Protestmärschen vom 15. Mai 2011 zunächst als 15M-Bewegung hervor. Ihr historisches Manifest "Mover!" (Sich bewegen!) faßte die Empörung der Volksmassen über die rabiate Kürzung der Sozialetats zusammen und sagte den angeblichen "Lösungsvorschlägen" der EU den Kampf an.

Während die meisten Beobachter der spanischen Szene Podemos als linke Strömung mit Ähnlichkeiten zu Syriza verorten, lehnt deren charismatischer junger Führer Pablo Iglesias eine solche Einordnung ab. Für ihn handelt es sich um einen Konflikt zwischen Demokratie und Diktatur. Podemos fordere gleiche Chancen für alle, einen Wechsel in der Ausübung der politischen Macht und die Umverteilung des nationalen Reichtums.

Angesichts des Endes der traditionellen Zweiparteienherrschaft suchen Spaniens politische Kräfte nach neuen Partnern. Pablo Iglesias, mit dem die ins Wanken geratenen Sozialdemokraten der PSOE offenbar gerne koalieren würden, erklärte eindeutig, Podemos könne sich Abmachungen mit den Sozialisten zwar vorstellen, werde aber niemals in eine von ihnen angeführte Regierung eintreten. Gegenüber der Madrider Zeitung "El País" stellte er fest, es gehe darum, die PP in all jenen Kommunen vom Regieren auszuschalten, in denen sie keine absolute Mehrheit zu erringen vermocht habe. Um Verhandlungen mit der PSOE fruchtbar verlaufen zu lassen, müsse diese Partei allerdings "einen Schwenk um 180 Grad vollziehen".

PSOE-Generalsekretär Pedro Sanchez, dessen Partei das schlechteste Wahlresultat ihrer Geschichte eingefahren und 700.000 Stimmen verloren hat, sprach gegenüber "El País" taktierend von einem "neuen Zeitalter für Spanien", in dem der "Dialog im Vordergrund stehen" müsse. Die PP scheide für die PSOE fortan als Partner aus. "Wir sind eine sozialdemokratische Partei und unterbreiten entsprechende Vorschläge", erklärte er.

Spanien, Portugal und Griechenland teilten ähnliche Schicksale an der südeuropäischen Peripherie, stellte die Hamburger Monatsschrift "Sozialismus" fest. Wenn auch Spanien mit 47 Millionen Landesbürgern und fast einem Zehntel des Bruttoinlandsprodukts der EU ins Wanken käme, entstünde für Brüssel eine alarmierende Situation.

Zu registrieren ist wie in Hellas die Tatsache, daß sich der Aufstieg der neuen Oppositionskraft nicht aus dem Lager der klassischen Linken vollzogen hat. Dabei hatten sich die Wahlaussichten der Isquierda Unida (IU) seit 2010 deutlich verbessert, ohne allerdings die Schwelle von 15 % jemals zu überschreiten. Unter diesen Umständen war von der seinerzeitigen IU-Führung beschlossen worden, in Andalusien eine Koalition mit der PSOE einzugehen. Der von ihr als positiv bewertete seinerzeitige Wechsel an der Spitze der Sozialdemokraten hatte auch unter Kommunisten gefährliche Illusionen genährt. Inzwischen unterstützen offensichtlich nicht wenige Anhänger und Kader der IU den Kurs von Podemos.

RF, gestützt auf "Granma", Havanna, "El País", Madrid, und "Sozialismus", Hamburg

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Diktator scheiterte an Linkspartei HDP

Millionen türkische Wähler wiesen Erdogan in die Schranken

Tayyip Erdogan - von 2002 bis 2014 Ministerpräsident und seit August vergangenen Jahres Staatschef der Türkei - hatte sich den Ausgang der Parlamentswahlen vom 7. Juni bereits paradiesisch ausgemalt. Eine absolute Abgeordnetenmehrheit seiner rabiat-islamistischen und mit äußerster Brutalität gegen alle Fortschrittskräfte des Landes vorgehenden Gerechtigkeitspartei (AKP) sollte ihm den Weg für ein noch drakonischeres Regime mit unbeschränkter Machtfülle freimachen. Eine Präsidialherrschaft nach französischem Muster und mit türkischem Dekor war von dem als "Sultan" karikierten Staatschef angedacht worden. Übrigens hatte Erdogan, der seine politischen Gegner gnadenlos verfolgt, im Wahlkampf unter Verletzung der einem Präsidenten auferlegten parteipolitischen Neutralitätspflicht, unablässig auf Massenkundgebungen zur Wahl der AKP aufgerufen. Um die "neue Türkei", wie der Präsident sein Projekt irreführenderweise nannte, auch würdig repräsentieren zu können, hatte er bereits eine entsprechende Kommandozentrale ins Auge gefaßt: Für 278 Millionen Euro sollte ein Sultanspalast von der Größe des Versailler Schlosses mit nicht weniger als 1000 Räumen hingestellt werden. Am 29. Mai - dem 562. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels - und mitten im Wahlkampf gab Erdogan selbst den Startschuß für diesen Bau eines Megalomanen.

"Die Wahlen am 7. Juni werden eine neue Errungenschaft sein, so Allah will!" verkündete er vor einer im Istanbuler Stadtteil Yenikapi zusammengetrommelten Menge fanatisierter AKP-Anhänger.

Doch Allah wollte nicht: Um die Verfassung in dem durch Erdogan angestrebten Sinne ändern, also außer Kraft setzen zu können, hätte seine Partei eine Zweidrittelmehrheit der Parlamentssitze erringen müssen. Aber es reichte nicht einmal für die einfache Majorität. Selbst hierzu fehlten der AKP, die nur auf 40,7 % der Stimmen kam, 18 Sitze.

Die beiden Hauptkonkurrenten der Partei des Präsidenten - die rechtssozialdemokratische Republikanische Volkspartei (25,1 %) und die im Vergleich mit der AKP kaum weniger reaktionäre Nationalistische Aktion (16,4 %) konnten nur zum Teil aus der herben Niederlage des Möchtegern-Alleinherrschers Honig saugen. Während die erstgenannte Gruppierung sogar zwei Sitze verlor, konnte die zweite - im Grunde eine Kopie der AKP - die Anzahl ihrer Mandate von 53 auf 82 erhöhen.

Für eine echte Überraschung und Erdogans Debakel aber sorgte die linksgerichtete und sich in die Tradition der mutigen Widerstandshelden vom Istanbuler Taksim-Platz stellende Demokratische Volkspartei (HDP). Die ursprünglich als progressive Kurdenpartei in den Kampf gezogene Formation, die inzwischen von einem breiten Spektrum fortschrittlicher Kräfte einschließlich türkischer Kommunisten unterstützt wird, übersprang die enorm hohe Schranke von 10 Prozent, die das Eindringen widerständischer Gruppierungen der Arbeiter- und Volksbewegung in das Parlament verhindern soll. Mit einem Stimmenanteil von 12,98 % errang sie 79 der 550 zu vergebenden Sitze.

Vor den Parlamentswahlen im Juni 2011 hatte Erdogan, der nach dem Staatsbankrott der Türkei (2002) ans Ruder gekommen war, noch durch beeindruckende wirtschaftliche Erfolge punkten können. Das Land am Bosporus - eine Brücke zwischen zwei Kontinenten - drang auf den 15. Platz unter den ökonomisch stärksten Staaten der Welt vor. Seine wirtschaftliche Wachstumsrate betrug damals spektakuläre 8,9 %, während sich das Bruttoinlandsprodukt der Türkei erstmals auf 10.500 Dollar pro Kopf der Bevölkerung belief. Das war eine Verdreifachung innerhalb von etwa zehn Jahren. Zugleich sanken die Inflationsrate auf 4 % und die Arbeitslosigkeit auf 9 %.

Drei Jahre nach diesem außer gewöhnlichen Erfolgserlebnis war dem "türkischen Wunder" viel Luft entwichen. Zwischen 2013 und 2014 sank die Wachstumsrate der Türkei von vier auf zwei Prozent, während die Durchschnittseinkommen auf 580 Euro im Monat zurückgingen. Nach offiziellen Angaben vegetieren derzeit etwa 15 % der Türken unterhalb der Armutsschwelle.

So konnte Erdogan diesmal auf ökonomischem Gebiet kaum noch Pluspunkte sammeln. Seine großspurige Ankündigung, er werde das Land bis 2023 - zum 100. Jahrestag der Gründung des modernen türkischen Staates durch Mustafa Kemal (Atatürk) - in den "Klub der zehn reichsten Länder der Welt" führen, verhallte wie ein Ruf in der Wüste.

Doch noch einmal zurück zur HDP. Erst im Juli vergangenen Jahres in der Nachfolge der kurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP), die im Parlament über eine weitaus geringere Zahl mit ihr sympathisierender oder verbundener Mandatsträger verfügte, entstanden, hat sich die HDP durch eine Reihe kühner Aktionen für die Rechte von Frauen, Jugendlichen und diskriminierten religiösen Minderheiten weit über die Kurdengebiete Ostanatoliens hinaus Sympathie erworben. Der in Medienberichten bisweilen bereits mit Griechenlands Syriza und Spaniens Podemos verglichenen Partei gebührt das Hauptverdienst daran, daß die der Türkei drohende Alleinherrschaft Erdogans abgewendet werden konnte.

Der "RotFuchs" gratuliert den mutigen Kämpfern für die Rechte der Kurden und aller anderen Unterdrückten in der Türkei.

RF, gestützt auf "Avante!", Lissabon, "Solidaire", Brüssel, und "l'Humanité!"

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Kuba steht nicht allein

In Washington und Havanna wurden die diplomatischen Vertretungen Kubas und der USA wieder eröffnet. Über dem zwischenzeitlich von einer Interessenvertretung der Vereinigten Staaten für Zwecke der Diversion genutzten Botschaftsgebäude in der kubanischen Hauptstadt ließ US-Außenminister John Kerry das Sternenbanner aufziehen.

In den zwischenstaatlichen Beziehungen der imperialistischen Hauptmacht und der sozialistischen Inselrepublik ist eine neue Situation entstanden, die für Kuba Vorteile und Gefahren birgt. Dennoch sollten sich dessen politische, ideologische und soziale Gegner keinen Illusionen hingeben: Das am Beginn der 90er Jahre plötzlich alleingelassene Land Fidels und Raúls unterhält inzwischen nicht nur diplomatische Beziehungen zu fast allen Staaten der Welt und ist in Lateinamerika fest integriert. Es besitzt auch mächtige Freunde und Verbündete - allen voran Rußland und die VR China. Wie man sieht, verstehen sich Wladimir Putin und Raúl Castro nicht schlechter als in alten Zeiten.

RF

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Portugal: Wo die CDU noch etwas wert ist

Hierzulande stehen die drei Buchstaben CDU im allgemeinen für eine sich christlich gebende Massenpartei der machtausübenden Kräfte des bundesdeutschen Kapitals. Obwohl sie Gegenwart sind, verkörpern sie im historischen Sinne bereits die Vergangenheit, die uns aber noch lange anhaften und belasten dürfte.

Merkels CDU ist eine der tragenden Säulen der EU, die von Südeuropas Völkern mit der Garotte - dem noch in Franco-Spanien bei Hinrichtungen gebrauchten mittelalterlichen Würgeeisen - verglichen wird. Anderswo bedeutet CDU indes den Aufbruch zu Kampf und Widerstand. In Portugal gilt es als ein Signal, das in die Zukunft weist. Die Coligaç|o Democrática Unitária (CDU) entstand etliche Jahre nach einer bis heute unvollendeten Konterrevolution, die auf den bisher weitreichendsten antikapitalistischen Befreiungsversuch der arbeitenden Massen eines NATO-Mitbegründerstaates in Westeuropa - die Nelkenrevolution von 1974 bis 1976 - gefolgt war. Noch von den Blessuren der Niederlage gezeichnet, ging die zwar unterlegene, aber nach wie vor über Masseneinfluß verfügende Portugiesische Kommunistische Partei (PCP) schon bald zum Gegenangriff über. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die führende Gewerkschaftszentrale CGTP-Intersindical, in der die PCP von Beginn an fest verankert ist.

Auf die zunächst das Terrain von Bündnismöglichkeiten solide erkundenden linken Wahlkoalitionen FEPU und APU folgte ein qualitativ höher zu bewertender Zusammenschluß. Dessen Partner gaben ihm den Namen CDU (Demokratische Einheitskoalition). Ihr gehören neben der PCP als richtungweisender Kraft mit marxistisch-leninistischer Orientierung und zahlreichen Massenorganisationen auch die in Portugal eindeutig linksgerichtete Ökologistische Partei der Grünen (PEV) sowie die fortschrittliche Teile der Intelligenz und des Bürgertums repräsentierende Intervenção Democrática (ID) an. Es handelt sich in gewisser Weise um einen Demokratischen Block außerhalb der zentralen politischen Macht, der den räuberischen Plänen Brüssels und besonders der BRD als Haupthindernis im Wege steht.

Die etliche administrative Kreise verwaltende und über eine Fraktion in Portugals Nationalversammlung sowie Mandatsträger im Europaparlament verfügende lusitanische CDU besitzt inzwischen eine außergewöhnliche Mobilisierungskapazität. Als sie für den 6. Juni zu einem nationalen Marsch "Die Kraft des Volkes" gegen Brüssel aufrief, wurden selbst ihre kühnsten Erwartungen noch übertroffen. Mehr als 100.000 Landesbürger - vor allem Arbeiter - folgten dem auch von den CGTP unterstützten Appell zu Kampf und Widerstand. Die schier endlosen Kolonnen zogen auf sämtlichen Fahrbahnen der hauptstädtischen Magistrale "Avenida da Liberdade" zur Abschlußkundgebung an der Tejo-Bucht.

Mit Portugal steht - nach Griechenland und Spanien - ein weiterer südeuropäischer Staat vor Parlamentswahlen. Und so schloß der dynamische PCP-Generalsekretär Jerónimo de Sousa, der nach den Bündnispartnern aus der CDU als letzter ans Rednerpult trat, mit den Worten: "Niemand ist Herr über die Stimmen der Portugiesen. Es liegt in den Händen der Werktätigen und unseres Volkes, auch in den Händen der endlosen Schar hier Versammelter, die ein Land des Fortschritts und der sozialen Gerechtigkeit wollen, wie der Zusammenhalt aller Demokraten zu einer Regierung der Linken führt, die das Kabinett von Brüssels Gnaden ablöst." In den letzten 38 Jahren hätten die Portugiesen eine rechtsgerichtete Politik und fast drei Jahrzehnte Integration in das kapitalistische Europa der EU erlebt. Mit Regierungen, die gegen das Vermächtnis des 25. April 1974 zu Felde zögen, müsse endlich Schluß gemacht werden.

RF, gestützt auf "Avante!", Lissabon

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Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin unter schwarzen Freunden

Als mich die DDR nach Guinea entsandte (4)

Eine für die guineische Mentalität bezeichnende Episode trug sich am 19.12.1973 zu: Mein Unterricht ist ausgefallen und so spaziere ich den Strand entlang und genieße die unverhoffte Freizeit. Ein Guineer grüßt mich freundlich mit dem üblichen "Wie geht's?" Ich vermute einen Kollegen und trete auf ihn zu. Er schüttelt mir die Hand. Es ist so einfach, mit diesen Menschen Kontakt zu bekommen. Ich frage ein wenig unsicher "Monsieur Condes"? Er stellt sich vor, doch den Namen verstehe ich nicht recht. Ob er auch Lehrer an der Ecole de la Santé sei, erkundige ich mich. "Nein, ich bin der Minister für Justiz." Er genießt meine Verblüffung. Wir setzen uns auf einen umgestürzten Palmenstamm und plaudern über Kriminalität und andere einschlägige Dinge. Die Polizei hätte hier nicht allzuviel zu tun, sagt er. Gewaltverbrechen seien nahezu unbekannt, Diebereien, oft geradezu raffiniert in Szene gesetzt, kämen allerdings oft vor. Es gebe kaum Delikte wegen Trunkenheit, auch keinen Drogenmißbrauch. Ich sage, daß ich diesen Zustand fast paradiesisch fände. "Das Paradiesische erhalten ohne in paradiesischer Rückständigkeit zu verharren - das ist ein schwerer Weg", zieht der Minister das Fazit.

20.2.1974
Große Junggesellenfete mit drei Russen in unserer Wohnung: Wanja, ein baumlanger und baumstarker Sibirier mit rotem Rübezahlbart, Kolja, ähnlichen Kalibers, nur eine Nummer kleiner, und Viktor, mein Söhnchen und Liebling auf den ersten Blick, mit braunen Haaren und blitzeblauen Augen in einem freundlichen Kindergesicht. Sie brachten, schon etwas angeschlagen, Sekt, Wodka, Schokolade und Stockfisch mit. Außer unserem Kurt, der ein bißchen dolmetschen konnte, sprach keiner von uns russisch und die drei weder deutsch noch französisch. Trotzdem wurde es ein herrliches Fest, obwohl Wanja nach wenigen Sto Gramm Wodka hinter mir auf der Couch bald selig entschlummerte. Wir machten in fröhlicher Drushba weiter, bis Kolja in dem friedlich sägenden landsmännischen Holzfäller seinen Bruder und Herzensfreund erkannte. Wir betteten beide in den hinteren Teil des Zimmers auf Matratzen. Schließlich schnarchten alle Russen, und unsere deutschen Freunde machten sich weit nach Mitternacht auf den Heimweg.

20.4.1974
Zur Einweihung des orthopädischen Zentrums war aus dem Landesinneren unser Doktorehepaar angereist. Wir wollten uns abends bei Helli auf der Terrasse treffen. Ich beschließe bei dieser Gelegenheit die erste Nachtfahrt zu wagen. So einfach ist das hierzulande nämlich nicht. Da kann es passieren, daß einem ein vermeintliches Motorrad entgegenkommt und man höchst erstaunt ist, wenn an seinem Scheinwerfer auch noch ein LKW dran hängt. Ich schiebe also mein Moped auf die Straße, mache Licht, tuckere los und erwische den richtigen Weg über die Brücke. Ich bin stolz auf meine Courage und gebe Gas, denn jetzt brauche ich nicht mehr abzubiegen. Ganz konzentriert, achte ich auf die Straße, auf den lichtlosen Gegenverkehr und schließlich auf die Häuser der rechten Seite. In dieser stockdunklen Finsternis sehen alle gleich aus. Doch ich glaube am Ziel zu sein, steige ab und trete gewissermaßen ins Leere, liege etwa einen halben Meter weiter unten neben der Straße auf der Nase. Das Moped auf mir drauf. Allgemeiner Auflauf. Die hilfsbereiten Guineer stellen uns beide wieder auf Beine und Räder.

500 m weiter trafen wir uns dann alle vor Hellis "richtigem" Haus. Ich sonnte mich in der allgemeinen Anteilnahme. Es wurde noch ein sehr vergnügter Abend. Ich kam in Form und wagte von einem Erlebnis zu erzählen, von dem ich wohlweislich noch nie etwas hatte verlauten lassen. Am Tag nach der Sicherheitsbelehrung, die neben anderem zum Inhalt hatte, daß aus naheliegenden Gründen mit westlichen Botschaften keine Kontakte geknüpft werden dürften, wollte ich das Ehepaar aus der Interflugabteilung besuchen. Ich kannte nur die Vornamen. Links, dann rechts, die nächste Straße links rein und dort rechts stünde ihr Haus. Ich ging und ging und fand endlich ein Schild mit dem guten deutschen Namen Wagner.

Das Gebäude sah sehr feudal aus. Na ja, dachte ich, Interflug, die haben's ja. Während ich mich suchend umsah, stürzte ein lebhafter Mann auf mich zu: "Hallo, Hallo, how are you? Come in, come in!" Ich befand mich plötzlich in einem Haus, wo eine Familie um mich herumwimmelte, kleine Kinder, eine Frau, die auf mich einredete, und eine reizende alte Dame mit Lockenwicklern. Sie drückte mich in einen Sessel, die junge Frau goß mir einen Whisky ein, das kleine Mädchen hielt mir sein Püppchen hin - ich war eingehüllt in Familienatmosphäre. O Gott, dachte ich, wo bist du bloß hingeraten, und wie kommst du auf ordentliche Weise hier wieder raus? Sicherheitsbestimmungen! Der Mann sprach französisch mit amerikanischem Akzent. Ich verstand ihn schlecht. "Excusez moi, I wish to go to Interflug." Oh, ich sei Deutsche? "What do you do here?" Oh, Allah, hilf! Ich trinke den fabelhaften Whisky in kleinsten Schlucken und beschäftige mich mit der Puppe des Mädchens, um die Gedanken zu sammeln. Ich hätte die Wohnung verwechselt, deute ich an ... Ach, das wäre doch nicht so schlimm, er brächte mich gleich mit dem Auto dorthin. Bei der Hitze könne man doch kaum einen Schritt laufen. Wo ich denn wohnte? Ehe ich mich's versah, saß ich in einem amerikanischen Diplomaten-Straßenkreuzer, die Kinder hinten drin, und Mr. American fuhr mich geradewegs ins Diplomatenviertel. Ich machte mich so klein wie möglich und flehte Allah und alle Götter um Hilfe an, mir ja die Leute von unserer Botschaft vom Leibe zu halten. Wie hätte ich je meine Anwesenheit in einem solchen Luxusgefährt rechtfertigen können? Ich ließ mich aufs Geradewohl irgendwo absetzen und verabschiedete mich liebenswürdig, wie es, so nehme ich an, in diplomatischen Kreisen üblich ist. Dann bin ich auf Umwegen heimgegangen, habe mich auf die Couch fallen lassen und gelacht, nur gelacht!

Reni guckte mich verständnislos an, ich aber habe lieber nicht alles erzählt. Statt bei der Interflug war ich beim Ersten Sekretär der USA-Botschaft gelandet. Ich hatte zufällig einen im Handschuhfach liegenden Brief mit seiner Anschrift gesehen. Und ausgerechnet der fuhr mich geradewegs vor die Tür unseres Kulturattachés!

Mein Lehrlabor floriert. Ich habe heute mit meinen Schülern in einem Blutausstrich den Erreger der Sichelzellenanämie entdeckt - einer seltenen Blutkrankheit, die nur bei Schwarzafrikanern vorkommt. Dr. Faranah, ein bekannter Internist, bestätigte die Diagnose.

Noch eine Begebenheit am Rande, die mich dennoch nicht wenig beeindruckte. Während des Nachmittagsunterrichts tauchte plötzlich die Gestalt eines Mannes im weißen Boubou auf. Er grüßte die Schüler, die sich mit allen Zeichen höchsten Respekts von ihren Plätzen erhoben. Er fragte, wie es mir ginge und ob ich mit den Bedingungen in Guinea zufrieden sei. Ja - ich sei sehr zufrieden, ließ ich ihn wissen. Erst jetzt erkannte ich ihn. Es war der Gesundheitsminister, der im Boubou älter und würdiger aussah. Wir sprachen noch ein Weilchen über dieses und jenes, dann schüttelten wir uns die Hände zum Abschied. Er würde des öfteren solche unangemeldeten Inspektionsgänge durch Einrichtungen seines Bereichs unternehmen, erfuhr ich.

Renate Teller, Worpswede

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Franziskus: Anerkennung des Staates Palästina und Ehrung von Erzbischof Romero

Lichtsignale aus dem Vatikan

Anfang Juni hat der Vatikan den Staat Palästina vertraglich anerkannt. Der Heilige Stuhl erweiterte damit seine bisher mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unterhaltenen Kontakte auf volle diplomatische Beziehungen mit dem durch Tel Aviv und seine engsten Partner nach wie vor geschmähten Staat Palästina.

Die "New York Times" wertete diesen Schritt als bedeutungsvoll und schrieb, es handele sich um ein Signal, das die moralische Autorität und die Bemühungen des Palästinenserstaates stärke und die Aktivitäten des Chefs der Autonomiebehörde honoriere, den palästinensisch-israelischen Friedensprozeß weiter voranzubringen. Schon früher hatte der Vatikan die 2012 von der UNO-Vollversammlung getroffene Entscheidung begrüßt, den Palästinenserstaat zumindest verbal anzuerkennen.

Doch der neue Vertrag sei weit mehr als das. Mit ihm hätten die Palästinenser und der Vatikanstaat offizielle diplomatische Beziehungen aufgenommen. Als symbolisch bezeichneten politische Beobachter in Rom die Tatsache, daß dieses Verhandlungsergebnis unmittelbar vor einer Vatikan-Visite von Palästinenserpräsident Abbas erfolgt sei.

Die Leiterin der Kommission des palästinensischen Präsidenten für Kirchenangelegenheiten ließ die Londoner "Times" wissen, der Vertrag stelle die Interessen des Vatikans an der Westbank, Ostjerusalem und Gaza einschließlich der Heiligen Stätten voll in Rechnung.

2012 war Palästina als UN-Nichtmitglied mit Beobachterstatus zur Teilnahme an UN-Vollversammlungen berechtigt worden. Dabei wurden ausdrücklich auch jene Gebiete, die Israel im Sechstagekrieg von 1967 geraubt hatte, als Territorien des Staates Palästina ausgewiesen. Anschließend hatten die meisten afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Staaten volle diplomatische Beziehungen zu der die Palästinenser repräsentierenden Autonomiebehörde aufgenommen. Tel Aviv reagierte auf die souveräne Entscheidung des Vatikans mit Entrüstung.

Das Außenministerium Netanjahus legte sofort scharfen Protest ein: Der von Rom unternommene Schritt bringe den Friedensprozeß nicht voran und verhindere die Rückkehr der palästinensischen Führung an den Tisch zweiseitiger Verhandlungen mit Israel, hieß es anmaßend.

Doch hier soll auch von einer zweiten Entscheidung des den Nerv der Zeit immer öfter treffenden und bemerkenswerten Realitätssinn wie persönlichen Mut beweisenden Papstes die Rede sein. Am 23. Mai nahm Franziskus die Seligsprechung des 1980 im Auftrag der salvadorianischen Reaktion ermordeten Erzbischofs Oscar Romero vor. Obwohl dieser als Advokat der Armen und Entrechteten seines Landes längst in die Geschichte eingegangen ist, wurde die Unerläßlichkeit dieses für katholische Gläubige so bedeutungsvollen vatikanischen Aktes viele Jahre von anders motivierten Päpsten bewußt blockiert.

Romero war im Februar 1977 die Leitung der Erzdiözese von San Salvador übertragen worden. Zu diesem Zeitpunkt galt er in den Augen der meisten seiner Landesbürger noch als ein konservativer Geistlicher. Die Anhänger der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, darunter nicht wenige Priester, hielten deshalb seine Wahl anfangs für einen unglücklichen Schritt. Doch einer der volksnahen, in der Bauernbewegung El Salvadors verwurzelten Geistlichen - Rutílio Grande - wurde am 12. März 1977, nur knapp einen Monat vor Romeros Amtsantritt, unweit der Hauptstadt durch MG-Salven niedergemäht. Vater Grande war seit Studientagen ein Freund Romeros. Diesen hatte das Ringen des anderen schon vor seiner Weihe sehr bewegt. Nun sollte der grausame Mord das weitere Leben des Erzbischofs fundamental verändern. Bei Nachforschungen zu den Attentätern stieß Romero auf enorme Schwierigkeiten. Drei Jahre darauf, am 24. März 1980, wurde der lautere Christ im Erzbischofs-Ornat selbst zum Märtyrer. Bei der Messe zur Einweihung der Kapelle eines Krebshospitals trafen ihn die tödlichen Schüsse. Tags zuvor hatte Romero allen den Kämpfern der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) gegenüberstehenden Angehörigen der Soldateska des salvadorianischen Regimes den Rat erteilt, als Christen den Willen Gottes in Ehren zu halten und sich fortan Befehlen zur Unterdrückung der Menschenrechte zu widersetzen.

Als der Erzbischof die Messe beenden wollte und sich mit der Hostie in beiden erhobenen Händen zur Mitte des Altars begab, wurde er durch die Kugel eines Scharfschützen in die Brust getroffen. Der Ermordung der beiden volksnahen Priester waren barbarische Gewaltakte der in Bedrängnis geratenen Reaktion, aber auch Friedensverhandlungen beider Seiten gefolgt. Inzwischen kommt El Salvadors Staatspräsident selbst aus der FMLN.

Romeros am 23. Mai erfolgte Seligsprechung - eine der katholischen Kirche vorbehaltene religiöse Kulthandlung hohen Ranges - war zugleich eine weitere Mutprobe des ersten lateinamerikanischen Papstes. Der Argentinier in Rom trug damit einem seit vielen Jahren gehegten Wunsch von Millionen Gläubigen wie Atheisten seines Herkunftskontinents Rechnung.

"Wir können die Entscheidung von Papst Franziskus nur feiern. Es lebe Romero! Es lebe Rutilio! Ein Hoch auf alle, die sich dem Kampf für soziale Gerechtigkeit gewidmet haben!" schrieb die KP der USA auf ihren Internetseiten.

RF, gestützt auf "People's World", New York, und "El País", Madrid

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"Call-Boys" im Tiroler Telfs

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Ein frühes Opfer des Kalten Krieges

Vor 65 Jahren wurde Belgiens legendärer KP-Führer Julien Lahaut ermordet

Am 18. August 1950 ereignete sich ein abscheuliches Verbrechen. Julien Lahaut - der populäre und prestigereiche Führer der belgischen Kommunisten - wurde vor seiner Haustür erschossen. Inzwischen ist geklärt, wer den Mord an dem mutigen Kämpfer der Résistance, der von den Faschisten zum Tode verurteilt wurde und nur durch die Befreiung des KZ Mauthausen fast in letzter Minute vor der Exekution bewahrt werden konnte, in Auftrag gegeben hat. Hinter der Bluttat stand kein Geringerer als der stellvertretende Chef der belgischen Spionageabwehr (SDAR) André Moyen, der wiederum durch die Holding Societé Genérale (SG) gesteuert wurde. Diese verkörperte eine enorme Kapitalmacht und kontrollierte zu jener Zeit ein Drittel der Wirtschaft Belgiens.

Im Mai haben seriöse Historiker nach fünfjährigen Recherchen mit ihrem Buch "Wer erschoß Julien Lahaut?" die künstlichen Nebel, derer man sich zur Verschleierung der Bluttat bediente, endgültig vertrieben. Damit steht eindeutig fest, daß die drei seinerzeitigen Attentäter keineswegs, wie man jahrzehntelang glauben machen wollte, auf eigene Faust gehandelt haben.

Der Mord an Lahaut ereignete sich auf einem frühen Höhepunkt des Kalten Krieges und in einem besonders aufgeputschten antikommunistischen Klima. Im Juni 1950 hatte Washington durch den Korea-Krieg die bestehenden Spannungen zwischen beiden Weltlagern auf den Siedepunkt getrieben. Kurz zuvor - im Februar jenes Jahres - war durch den fanatischen Rotenhasser US-Senator Joseph McCarthy die schmachvolle Ära der Hexenjagden auf Hunderttausende US-Bürger entfesselt worden, die man "unamerikanischer Umtriebe" bezichtigte.

In Belgien verfolgte der mächtige Apparat des André Moyen ähnliche Ziele. Neben seiner offiziellen Funktion betrieb er ein terroristisches Netz - den Belgischen Antikommunistischen Block (BACB). Dabei handelte es sich um eine straff organisierte paramilitärische Gruppierung, zu deren Mitgliedern auch etliche Offiziere der Kriminalpolizei aus Liège, Antwerpen und Brüssel gehörten. Der BACB war keineswegs eine spezielle Erfindung aus der Reihe tanzender belgischer Antikommunisten, sondern gehörte zu einem damals in Westeuropa gerade installierten Netz von Organisationen, die unter Bezeichnungen wie "Stay behind" (Zurückbleiben) und "Gladio" im Falle eines unterstellten militärischen Vorstoßes sowjetischer Truppen auf besetztem Territorium operieren sollten.

Die Mörder Julien Lahauts verfolgten offenkundig das Ziel, die damals sehr einflußreichen belgischen Kommunisten zu Gewaltausbrüchen zu provozieren, um staatliche Repressionsmaßnahmen gegen sie auslösen zu können. Ins Visier wurden übrigens auch einige "zu weit links angesiedelte" Gewerkschaften genommen.

Die später auf den einstigen Metallarbeiter, Streikführer und prestigereichen Ehrenpräsidenten der KPB angesetzten Staatsterroristen hatten ihre Attentatspläne bereits im Mai 1948 erwogen. Damals waren Italiens KP-Vorsitzender Palmiro Togliatti und Frankreichs legendärer KP-Führer Jacques Duclos ins Fadenkreuz antikommunistischer Gewalttäter geraten. Auch in Argentinien und Japan wurden Anschläge auf namhafte Kommunisten geplant oder unternommen.

Die bereits erwähnte Societé Generale (SG), die nicht nur die Stahl- und Schwerindustrie im eigenen Land, sondern auch einen großen Teil der Bodenschätze in der einstigen belgischen Kolonie Kongo unter Kontrolle hatte, und die Bank von Brüssel (ING) ließen ihre Gewährsleute im Geheimdienst für die Auswahl in Betracht kommender Attentäter sorgen.

Während all dieser Zeit stand Moyen ununterbrochen im Kontakt mit seinen bundesdeutschen, holländischen, italienischen, französischen, spanischen und britischen Partnern, vor allem aber mit der CIA.

Dem Mord an Lahaut folgte in Belgien eine Periode hemmungslosen antikommunistischen Terrors. Im Verlauf des Jahres 1951 wurden Volksfeste und Beratungen der KP wiederholt überfallen. Am Sitz des ZK der Partei konnte eine dort installierte Sprengladung gerade noch rechtzeitig entdeckt werden, während eine andere in Räumlichkeiten explodierte, in denen kurz danach eine Frauenkundgebung für den Frieden beginnen sollte.

Lange Zeit verbreiteten reaktionäre Medien die Vorstellung, Lahaut sei wegen eines bei der Rückkehr des aus den Tagen der Naziokkupation schwer belasteten Königs Leopold III. von Kommunisten ausgebrachten Hochs auf die Republik durch Royalisten umgebracht worden. Der legendäre Arbeiterführer inspiriert noch immer ganze Generationen von Antiimperialisten Belgiens. Jahr für Jahr finden am Tag seiner Ermordung auf dem Friedhof von Seraing vor der zu seinen Ehren errichteten Skulptur würdige Gedenkfeiern statt, die von der traditionellen KP Belgiens und der zu einer modernen marxistischen Massenpartei aufgestiegenen PTB inzwischen gemeinsam ausgerichtet werden. Die beiden PTB-Parlamentsabgeordneten brachten am 13. Mai in der Abgeordnetenkammer den Antrag ein, eine Untersuchungskommission damit zu beauftragen, "alle Untaten, die damals von Belgiens Regierenden vertuscht wurden, endlich ans Licht zu bringen".

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

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Wer treibt Myanmars muslimische Rohingya in den Indischen Ozean?

Nicht nur im Mittelmeer ertrinken Hunger- und Kriegsflüchtlinge

Das keineswegs gottgewollte Schicksal der muslimischen Rohingya - einer zum Teil bereits seit Jahrhunderten im Südwesten Myanmars (Burma) lebenden minoritären Volksgruppe, läßt die meisten der längst an die "Mittelmeer-Tragödien" gewöhnten Europäer noch kälter. Die Berichterstattung der bürgerlichen Medien, die das Thema bewußt kleinhalten, sorgt dafür, daß nicht allzuviel Staub aufgewirbelt wird. Und doch handelt es sich bei dem, was da im fernen Südostasien geschieht, zweifellos um Ansätze eines Völkermordverbrechens. Da aber die kaum noch identifizierbaren Opfer meist in weit verstreuten Massengräbern verscharrt worden sind und weil "kein öffentliches Interesse" an wirklicher Aufklärung besteht, deckt der Mantel des Schweigens die Untaten zu.

Zum Sachverhalt: Myanmar verweigert den zumindest seit Errichtung der britischen Kolonialherrschaft über Burma im 18. Jahrhundert dort ansässigen Rohingya jegliche bürgerlichen Rechte, darunter auch die Staatsangehörigkeit. Inzwischen hat sich die Diskriminierung dieser "Randgruppe" so zugespitzt, daß sie zu einem Kernthema der Innenpolitik Myanmars geworden ist. Das liegt übrigens nicht so sehr, wie behauptet wird, am Kurs der durch die westlichen Mächte seit Jahrzehnten attackierten, inzwischen aber auch mit Verlockungen umworbenen Regierung in Rangun. Sie dürfte in dieser Frage zu Kompromissen bereit gewesen sein.

Die auf imperialistische Empfehlung mit dem Friedensnobelpreis dekorierte und von Großbritannien wie den USA zielstrebig als "Bannerträgerin für Menschenrechte" aufgebaute Aung San Sun Kyi hat sich de facto an die Spitze jener gestellt, von denen die Rohingya aus ihren angestammten Siedlungsgebieten ins Meer getrieben werden. Dabei muß man wissen, daß die lange Zeit in Hausarrest gehaltene Tochter eines burmesischen Nationalhelden aus den Tagen des antijapanischen Widerstandes in ihrem gesamten politischen Handeln durch de facto als "fünfte Kolonne" des Imperialismus agierende Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstützt wird. Ihre "mutige Widerstandsbewegung gegen den Terror der regierenden Generale" ist von Washington und London systematisch aufgebaut worden. Dazu gehören auch Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Sender, die ohne Unterlaß Falschmeldungen gezielt in Umlauf bringen. Sie stellen nicht einmal in Abrede, daß die von den Briten gelenkte "Burma Campaign" und die CIA-nahe "Stiftung" U.S. National Endowment for Democracy (NED), die auch bei den antichinesischen Unruhen in Hongkong Regie geführt hat, in Myanmar die Drähte ziehen. Wie Dutzende andere Organisationen macht die NED kein Geheimnis daraus, an der Finanzierung von Sun Kyis "Nationaler Liga für Demokratie" direkt beteiligt zu sein.

Bereits 2007 war mit der sogenannten Safran-Revolution ein auf halbem Wege steckengebliebener Versuch der Machteroberung durch entsprechend gekleidete Mönche aus dem politischen Dunstkreis Sun Kyis unternommen worden. Jetzt haben politische Anhänger der "Führerin im Kampf für ein humanes Burma" die Kampagne zur Vertreibung der Rohingyas angezettelt. Ganze Serien von Brandstiftungen und die gezielte Ermordung von Aktivisten der sozial-religiösen Minderheit lösten bei dieser eine solche Massenpanik aus, daß nur die Flucht aufs offene Meer als Ausweg blieb. Doch viele Wochen lang nahm sich kein Staat Südostasiens oder Ozeaniens ihrer an. Erst massive Proteste engagierter Menschenrechtsverfechter veranlaßten schließlich einige Regierungen, überlebende Flüchtlinge unter oftmals diskriminierenden Bedingungen überhaupt an Land zu lassen.

Wie stets in solchen Fällen bedienten sich die westlichen Medien neben dem Herunterspielen einer humanitären Katastrophe vor allem auch der Methode "Haltet den Dieb!" Zunächst suchten sie Myanmars nicht nach ihrer Pfeife tanzende Regierung als Prügelknaben vorzuführen. Rangun habe die Krise durch "bei der Bevölkerung auf Widerstand gestoßene Pläne" ausgelöst, der muslimischen Minderheit volle staatsbürgerliche Rechte zu gewähren, die sie auch zur Teilnahme an künftigen Wahlen autorisieren würde, hieß es.

Sun Kyi blieb angesichts des gnadenlosen Vorgehens ihrer politischen Anhängerschaft "ruhig und besonnen" und spielte die ihr zugedachte Rolle einer "mutigen und überzeugten Frau". Dafür erteilten ihr westliche Gazetten die Prädikate "pragmatisch" und "nüchtern kalkulierend".

Aufschlußreich war in diesem Zusammenhang ein Kommentar der "International Business Times" unter der Schlagzeile "Steckt der buddhistische Mönch Wirathu hinter der Gewalt in Myanmar?" Man erfuhr, daß er der Koordinator des politisch motivierten Terrors gegen die Rohingyas ist. Zufällig gehört Wirathu auch zu den einflußreichsten Anhängern von Sun Kyi. Gerüchten zufolge war er der Inspirator heftiger Unruhen in Rangun, nachdem "Vermutungen" über die von der Moslem-Minderheit angestrebte Umwandlung einer Schule in eine Moschee gezielt "unter die Leute gebracht" worden waren.

In einem Beitrag der Zeitschrift "UK Independent" unter dem Titel "Burmas Mönche rufen zur Zerschlagung der Moslem-Gemeinschaft auf " wurde gefordert, zu Rohingya keinerlei soziale Kontakte zu unterhalten und Organisationen jede Unterstützung zu verweigern, die den nach der Vertreibung aus ihren Häusern in eilends errichteten Notquartieren Untergekommenen Hilfe erweisen möchten.

Inzwischen ist auch Myanmars Nachbarstaat Thailand ins Fadenkreuz geraten. USA-gelenkte Kreise suchen Bangkok die Mitschuld an den Geschehnissen zu unterstellen. Solche Attacken könnten möglicherweise damit im Zusammenhang stehen, daß Thailand 2014 einen durch Washington begrüßten Militärputsch in dem südostasiatischen Land nicht gerade freundlich aufgenommen hatte.

Fazit: Die Rohingya sind nicht, wie ihre Verfolger behaupten, Staatenlose. Sie sind auch keine "Boat People", wie sie westliche Blätter unter Anspielung auf die seinerzeitige Fluchtwelle aus Südvietnam bezeichnen. Jene, welche sie als Obdachlose abstempeln, spielen nicht minder die falsche Karte. Ihre Heimat heißt nach wie vor Myanmar.

RF, gestützt auf einen Forschungsbericht von Tony Cartalucci, Bangkok, im Magazin "New Eastern Outlook"

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Willkommen im "Pegida"-Land!

Über die offizielle Ausländerpolitik und humanitäre Initiativen in der BRD

Wer Zeit, Arbeit, Engagement und Mitgefühl einbringen und dabei Verständnis für andere Kulturen oder Einzelschicksale notleidender Menschen beweisen will, der kann sich inzwischen an einer der Willkommensinitiativen vor Ort beteiligen. Nicht die seit Jahrzehnten zunehmende Zahl von Morden, Pogromen und Nazi-Ausschreitungen gegen "unerwünschte Ausländer" oder die sich heute noch fortsetzenden Tragödien solcher Menschen im Dschungel deutscher Behördenwillkür waren der Auslöser für inzwischen wie Pilze aus dem Boden schießende Initiativen dieser Art. Die Schiffstragödie vor Lampedusa am 13. Oktober 2013, auf die ständig neue Schreckensmeldungen gefolgt sind, gab den Anstoß. Sie zwang die Herrschenden dazu, das aufs schwerste beschädigte Propaganda-Image eines "Europas der Freiheit, der Menschenwürde und des Rechts" durch verstärkte Rettungsaktionen wie "Mare nostrum" und eine plötzlich geförderte "Willkommenskultur" wenigstens notdürftig zu kaschieren.

Das Ganze ist Teil einer Doppelstrategie: Während die gewaltsame Abschottung und gegen die Genfer Flüchtlingskonvention wie die Charta der Menschenrechte verstoßende Maßnahmen sogar noch verschärft wurden, gab man sich "mitfühlend". Das "Welcome Refugees!" gilt allerdings nur für jene, welche es geschafft haben, lebend in die "Festung Europa" zu gelangen, um sich dort unter dem Damoklesschwert drohender Abschiebung gerade noch geduldet zu fühlen.

Auch hat sich an den menschenunwürdigen Rahmenbedingungen bei der Ernährung, dem Zugang zu Bildungsmaßnahmen, der gesundheitlichen Elementarversorgung und der Unterbringung in oftmals unwürdigen Quartieren nichts geändert. Nachdem die unter Hartz-IV-Niveau liegenden Versorgungsbeträge für grundgesetzwidrig erklärt worden waren, hob man sie zwar nominell etwas an, reduzierte sie aber sofort wieder durch allerlei Abzüge für "Lagerleistungen" und dergleichen. Das Land Niedersachsen schob nach dem Amtsantritt der rot-grünen Koalition in Hannover mehr Menschen ab als zuvor die CDU-Regierung. 1993 stimmte die SPD der "Asylrechtsreform" zu. die das Recht auf Asyl als im Grundgesetz verankertes Elementarrecht aushebelte. Durch die "Dubliner Verträge" wurde die Einreise von Asylantragstellern auf dem Landweg blockiert, da nunmehr die "Ersteinreisestaaten" der EU für Internierung und Antragsannahme allein zuständig wurden. Flug- und Seehäfen der BRD wurden gegen Flüchtlinge hermetisch abgeriegelt. Die Kommunen und Bundesländer verpflichtete man zur strengsten "Haushaltsdisziplin", was deren Mittel und Möglichkeiten für soziale Aufgaben drastisch reduzierte.

Die Kosten und Unterbringungsprobleme vor Ort lieferten den Zündstoff für das rasche Zustandekommen fremdenfeindlich-chauvinistischer Massenbewegungen vom Schlage der "Pegida". Hinzu kam eine akzentuiert-rassistische Komponente. In diesem Jahr lehnten 62 % der befragten BRD-Bürger die Aufnahme "außereuropäischer Zuwanderer" ab, die als reine "Wirtschaftsflüchtlinge" abgestempelt wurden. Diese von den Medien erzeugte Stimmung liefert die Grundlage einer verschärften Abschottung gegen Flüchtlinge und nützt der Regierung bei deren Vorhaben. Das Ganze wird mit dem ständigen Schüren von Angst vor "Terroristen" und "Kriminellen" verbunden.

Die wahre Ursache dafür, daß arme und kriegsgeplagte Menschen Tag für Tag in großer Zahl ihr Leben riskieren und ein Minimum an Sicherheit suchen, liegt in der systematischen und dauerhaften Zerstörung bislang intakter Staaten wie Libyen, Irak, Syrien, Afghanistan und Somalia. Menschen, die als Opfer der weltweiten "neoliberalen" Expansion panisch auf der Flucht sind, werden als "Sozialtouristen mit Anspruch auf All-inclusive-Versorgung" diffamiert. Das ist die zynischste und menschenverachtendste Strategie der Ausländerfeinde aus CSU und CDU sowie dem Lager als "Rechtspopulisten" posierender Faschisten. Aus den im Zuge der "Ost-Erweiterung" ins Elend gestürzten vormals sozialistischen Ländern, dem Cordon sanitaire gegen Rußland, dem zerstörten Jugoslawien und den durch entsprechende EU-Maßregeln prekarisierten südeuropäischen Ländern kommen ebenfalls immer neue Flüchtlingsströme in die BRD. Die Merkel-Regierung erklärte einige dieser Staaten zu "sicheren Herkunftsländern", womit jeder Anspruch ihrer Bürger auf Asyl oder Bleibemöglichkeiten ausgeschlossen wird. Auch strebt man ein selektives Einwanderungsrecht für Dumpinglohnbezieher bei Fachkräften an, welche sich die "Wirtschaft" der BRD wünscht. Neben den "Kontingentflüchtlingen" und aus politischen Gründen umworbenen "Ostblockvertriebenen" beschafften sich viele EU-Länder dringend benötigte Arbeitskräfte im Ausland. Die BRD heuerte jahrzehntelang vor allem Italiener und Türken an, während Schweden vietnamesische Landarbeiter und Großbritannien Kräfte aus dem "Commonwealth" bevorzugte.

Gegen die andauernde Volksverhetzung bilden die anfangs erwähnten Willkommensinitiativen ein gewisses Gegengewicht. Sie sollten allerdings nicht mit politischen Allianzen von Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und einigen Parteien verwechselt werden, die mit Großveranstaltungen und kämpferischen Aktionen wie in Berlin, Hamburg und anderen Städten der BRD Gesicht zeigten. Viele dieser Initiativen klammern die wirklichen Ursachen der Massenflucht bewußt aus. Sie ersetzen dringend notwendige, vom Staat nicht geleistete oder verweigerte Eingliederungshilfe durch Spenden und die Beschaffung von Hausrat, Kleidung, Fahrrädern, Hilfe bei Behördengängen und Lotsendienste zu Ärzten. Andere erteilen Anfängerunterricht in deutsch und machen die Flüchtlinge mit dem alltäglichen Leben hierzulande bekannt. Gemeinsames Kochen internationaler Gerichte, Tanz- und Musikdarbietungen, Werben für "bunte Vielfalt" und menschliches Zusammenleben stehen auf dem Programm. Kirchen, Jugendgruppen, Studenten, karitative Organisationen und viele humanistisch motivierte Einzelpersonen engagieren sich vorbildlich. Dabei stößt mancher Helfer auf die schockierenden Realitäten der offiziellen BRD-Migrationspolitik und die menschenfeindlichen Aspekte der alltäglichen Behördenpraxis.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Geschichte einer exemplarischen Aktion

Beherzte "Anfrage" des Hamburger Schriftstellers Christian Geissler

Der 1961 erschienene Roman-Erstling des Hamburger Autors Christian Geissler (1928-2008) heißt "Anfrage". Er fordert darin Auskunft über Täterschaft und Mitschuld der Väter an faschistischen Verbrechen. Held der Handlung ist der junge westdeutsche Physiker Klaus Köhler. Hartnäckig fragend deckt er das Geheimnis um seine Arbeitsstätte auf. Das villenartige Institutsgebäude war bis 1938 Wohnstätte einer jüdischen Familie, deren Mitglieder entrechtet, vertrieben und ermordet wurden. Als der junge Schriftsteller Christian Geissler künstlerisch-außerparlamentarisch seine "Anfrage" stellte, hoffte er erklärtermaßen noch auf die bürgerliche Demokratie. Doch in seinem 1976 erschienenen Roman "Wird Zeit, daß wir leben" zeigt sich, daß Geissler den begonnenen Lern- und Entwicklungsweg kompromißlos weiter beschritten hat. Er geht der Vorgeschichte jener beispiellosen Verbrechen nach, welche die Faschisten bereits vor und besonders nach der Machtauslieferung an Hitler - zuerst an Kommunisten und Sozialdemokraten - begingen.

Klaus Köhler trägt die Last einer beschädigten Kindheit: Sein Mitläufer-Vater leugnet jede Verantwortung, und mit ihm die Mehrheit der Hausbewohner, Verwandten oder Institutskollegen. Besessen vom Willen nach Gerechtigkeit für die vertriebenen und ermordeten Mitglieder der Familie Valentin geht Köhler auf Wahrheitssuche. Doch bei den im Zuge seiner Nachforschungen Befragten stößt er zumeist auf Unwillen oder verstocktes Leugnen, schamhaftes Schweigen oder offene Feindseligkeit. Nur Köhlers Kollege Steinhoff, der alte Gärtner Mollwitz, später auch ein amerikanischer Gast des physikalischen Instituts sowie eine junge Ärztin bestärken Köhler bei der zunehmend nachdrücklicher gestellten "Anfrage".

Schließlich gelingt es, einen der SS-Männer zu überführen, welche die Valentins aus ihrem Zuhause und in den Tod getrieben hatten: Einen Herrn namens Lützel - den bieder-unauffälligen Nachbarn und hingebungsvollen Vater eines 10jährigen Kindes.

Die Justizbehörden, zum Handeln genötigt, folgen bereitwilligst dem Antrag der Verteidigung auf Schuldunfähigkeit. Doch Lützel protestiert: "Ich habe einen Sohn. Es ist besser für einen Sohn, er hat einen schuldigen Vater, der seine Schuld kennt, als einen nicht zurechnungsfähigen Vater." So benennt Geissler die seelischen Nöte der nachdenklichen Nachkommen jener Täter-Generation, das Verzweifeln an den Verhältnissen in der Altnazi-Republik Globkes, Lübkes und Filbingers. Wenige Jahre später sollte die jugendliche Empörung in die 68er Rebellion münden und einen "Deutschen Herbst" heraufbeschwören: "... daß der Gestank ... endlich verzieht! Es sammeln sich Gase. Die Explosion wird bunt sein wie ein Feuerwerk. ... Wir, die Söhne und Enkel, wir werden zuschauen und sagen: sieh mal, die roten Stichflammen, wie hübsch!"

Einflußreiche bundesdeutsche Publizisten, namentlich biographisch Betroffene wie Marcel Reich-Ranicki und Ralph Giordano, spendeten dem Verfasser der "Anfrage" überschwenglichen Beifall. Geissler hätte durchstarten können in eine Karriere wie die der hochgelobten Literaten Günter Grass oder Siegfried Lenz. Doch Geissler fuhr fort mit dem Forschen nach den tieferen Ursachen von faschistischem Terror. Und folgerichtig ergriff er Partei für jene, die den Mördern von Anfang an und am entschiedensten widerstanden: die Genossinnen und Genossen der KPD. Der zu dichterischer Meisterschaft gereifte Chronist erzählt aus dem Inneren der Parteibasis. Aufwendige Recherchen bei Zeitzeugen haben es Christian Geissler ermöglicht, diese Perspektive einzunehmen.

Im Mittelpunkt des Netzwerkes aus ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfern des Hamburger Aufstandes stehen der Arbeitersohn Leo Kantfisch und Karo, die rebellische, kluge Tochter einer ledigen Landarbeiterin. Leo ist Polizist geworden, weil er dem daran geknüpften, trügerischen Versprechen getraut hatte, später Afrikanistik studieren zu können.

Die Parteimitglieder um den KPD-Funktionär Schlosser bewegt die Frage, ob die strukturelle Gewalt der Ausbeutung zur gewaltsamen Gegenwehr berechtigt. Schlosser agitiert beharrlich dafür, sich niemals provozieren zu lassen. "... wenn das Volk in Betrieben und Straßen und Höfen seine Lage erkennt, dann steht eine Kraft in der Welt, die deine paar Flinten gar nicht mehr braucht. Dann sollen es Arbeiterfäuste und rote Fahnen sein."

Doch das Volk erkennt nicht, sondern die Feinde triumphieren, und Hunderttausende Verführte jubeln. Leo und Karo müssen erleben, wie die Genossinnen und Genossen nacheinander hinterrücks ermordet werden. Karo wird zusammen mit ihrer Freundin Pudel, einem Straßenmädchen, wegen "Sitte" statt als Politische gefaßt und inhaftiert. Als die Wachleute bei der Entlassungskandidatin Pudel einen Kassiber finden, der Karos Botschaften an die Genossen enthält, entzieht sich Pudel dem Folterverhör durch einen Todessprung, und Karo kommt unerkannt frei. Umgeben von Verrätern und Mordbrennern, inmitten aller scheinbaren Ausweglosigkeit und voller Sehnsucht nach Leben, verlieben sich Leo und Karo ineinander. Sie fassen gemeinsam einen todesmutigen Entschluß. Umsichtig bereiten sie die Befreiung von Schlosser und anderen eingekerkerten Genossen vor.

Christian Geissler hat die Geschichte nach einer wahren Begebenheit gestaltet: Der Polizeibewacher, der die Befreiung plante, hieß Bruno Meyer, Karo ist Meyers Geliebte Christa Rom, und die zu rettenden führenden Genossen waren Etkar André und Fiete Schulze. In Geisslers Dichtung gelingt der Plan, in Wahrheit nicht: Etkar André und Fiete Schulze fielen wie Tausende Kommunisten den faschistischen Mördern zum Opfer.

Der Berliner Verbrecher-Verlag hat Geisslers Buch mit dem Untertitel "Geschichte einer exemplarischen Aktion" 2013 neu herausgebracht. Es ist reich mit informativen Dokumenten ausgestattet.

Marianne Walz

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Compañera Christa: Für junge und jung gebliebene Rotfüchse

Rosen für Angela

Angela Davis - dieser Name ging in den frühen 70er Jahren um die Welt.

Eine junge, kluge, schöne schwarze Frau, Universitätsdozentin für Philosophie in Los Angeles, sollte auf Betreiben des kalifornischen Gouverneurs und späteren US-Präsidenten Ronald Reagan aus dem Hochschuldienst entlassen werden, weil sie Kommunistin war.

Das Berufsverbot stieß nicht nur in den Vereinigten Staaten auf heftigen Widerstand. In jenen Jahren war die internationale Solidarität intakt. Um Angela Davis zu vernichten, unterschob ihr das FBI die Beteiligung an Kapitalverbrechen: Mord, Menschenraub und Verschwörung. Darauf stand damals in Kalifornien die Todesstrafe in der Gaskammer.

Es grenzt an ein Wunder, daß Angela, die 488 Tage in Haft war, am Ende des mehrere Monate dauernden Prozesses Anfang Juni 1972 freigesprochen wurde.

Die Welle der Solidarität zu ihrer Befreiung hatte - sieht man von den USA selbst ab - in der DDR ihren Auftakt erfahren.

Klaus Steiniger, ein bekannter Auslandskorrespondent der DDR, war zwei Monate im Gerichtssaal von San Jose dabei. Er berichtete ständig über den Prozeßverlauf und schrieb später ein mitreißendes Buch über die junge schwarze Bürgerrechtlerin.

Für Angela, damals Ende 20, war das eine schlimme Zeit. Erst der Kampf gegen das demütigende Berufsverbot, dann 16 Monate Einzelhaft, in der sie den infamen Anschuldigungen Widerstand entgegensetzen mußte. Doch sie besaß gute Verteidiger, darunter auch Kommunisten. Zu ihrer Rettung trug vor allem die weltweite Solidarität bei. Diese ging in besonderem Maße von der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern Europas und Asiens, aber auch von Kuba und dem Chile der Unidad Popular aus. In der DDR prägten vor allem Kinder und Jugendliche mit ihrer verblüffenden Aktion "Eine Million Rosen für Angela Davis" das Ringen um die ferne schwarze Schwester.

"Eines Tages, als ich meine Post durchging, fand ich viele Botschaften der Solidarität aus der DDR. 'Freiheit für Angela!' stand da, und es schien mir, als seien sie von Kindern geschrieben. Die Postkarten waren mit roten Rosen geschmückt, jede anders gemalt. Ich weiß noch, wie reizend ich es fand, daß mir die Kinder aus der DDR diese Rosen auf Papier sandten, Rosen, die niemals verwelken würden ... und jeden Tag kamen mehr, hundert, dann fünfhundert ..., schließlich erreichten mich die Karten der Kinder so zahlreich, daß sie mir in großen Säcken des U.S. Post Office zugestellt wurden ... Hunderte, Tausende, Zehntausende, ja, eine Million herrlicher Rosen. Schließlich waren so viele Postsäcke angekommen, daß sie an einen anderen Ort gebracht werden mußten. Jetzt sind sie in den Archiven der Stanford University in Palo Alto aufbewahrt.

Wenn ich heute an die internationale Kampagne für meine Freiheit zurückdenke, kommt mir die Million Rosen der Schulkinder aus der DDR zuerst in den Sinn ..."

Das schrieb Angela Davis im Vorwort des erstmals 1973 in Massenauflage unter dem Titel "Schauprozeß in San Jose" erschienenen und 2010 wieder aufgelegten Buches von Klaus Steiniger, dem Angela Davis von Herzen dafür dankt, daß er sich als mutiger Journalist und Anwalt für weltweite Gerechtigkeit auch für sie engagiert habe.

Als Angela nach dem Zusammenbruch der Anklage freigesprochen wurde, war das eine Freudenbotschaft für alle, die um sie gebangt und für ihre Befreiung gekämpft hatten. Schon bald danach brach sie zu einer Weltreise auf. Im Juli 1972 kam sie zum ersten Mal in die DDR, wo sie jubelnd empfangen wurde.

Damals war ich Assistentin der Dramaturgie im DEFA-Kurzfilm-Studio Babelsberg. Mein Arbeitsgebiet war der Dokumentarfilm für Kinder. Kurzfristig bekam ich von der Studioleitung den Auftrag, an einem Beitrag für kleine Zuschauer über den Angela-Besuch in der DDR mitzuarbeiten. Nachdem ich ein Konzept geschrieben hatte, traf ich mich mit Werner Kohlert, der schon in jener Zeit zu den profiliertesten Kameraleuten des DEFA-Dokumentarfilmstudios zählte.

Wir verstanden einander auf Anhieb. Werner zeigte mir sein Filmmaterial von Angelas Ankunft in Berlin-Schönefeld, von Freundschaftstreffen und Begegnungen sowie von einer Autofahrt durch Berlin. Dieses versuchten wir mit einer durch uns arrangierten Zusammenkunft Angelas mit Mädchen und Jungen einer 3. Klasse der Berliner Ernst-Schneller-Schule zu verknüpfen. Wir kannten den Ablaufplan. Gegen 12 Uhr sollte Angela mit ihren Begleitern das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Treptow aufsuchen. So bestellten wir die Schüler an das Eingangstor. Sie kamen mit Blumen und waren in glücklicher Vorfreude. Wir gingen das Risiko ein, Angela mit den Kindern zu überraschen, weil wir eine spontane Begegnung filmen wollten.

Als sie eintraf, stürmten die Kinder auf Angela zu, umarmten sie, überreichten ihr Blumen, Geschenke und Zeichnungen. Diese so herzlich erfrischende Begegnung wußte Werner Kohlert mit der Kamera subtil einzufangen. Auch Angela Davis war beglückt. Die Worte der Kinder bezaubern mich noch heute. "Als ich hörte, daß Sie eine so große Reise machen, habe ich Erfrischungswaffeln für Sie gekauft", sagte ein Mädchen. Und ein Junge meinte: "Ich begrüße Sie hier bei uns und wünsche Ihnen viel Glück beim ... beim Kämpfen." Unser Film sollte für all die Kinder sein, die Angela Rosen ins Gefängnis geschickt hatten, ihr selbst aber nicht begegnen konnten. Er sollte ihnen die tapfere junge Frau nahebringen und zugleich allen danken.

Angela wurde für viele Kinder zum Symbol des Guten, Wahren und Gerechten, das für die Kraft der Schwachen und jene Solidarität steht, die über Ländergrenzen hinweg den Sieg zu erringen vermochte.

Unser Film "Für Angela" erhielt beim Kinderfilmfestival "Goldener Spatz" in Gera 1973 einen Preis. Dieser befindet sich jetzt in einer Vitrine des Potsdamer Filmmuseums.

Ein Jahr später kam Angela Davis zu den X. Weltfestspielen wieder in die DDR. Später nahm sie an einer Rosa-Luxemburg-Konferenz der "jungen Welt" teil. 2010 signierte sie beim ND-Sommerfest in der Berliner Kulturbrauerei am "RotFuchs"-Stand Klaus Steinigers Buch "Eine Frau schreibt Geschichte". Dort machte Dieter Großmann das faszinierende Foto der zwar älter gewordenen, zugleich aber jung gebliebenen Heldin von San Jose. Im Mai dieses Jahres kam Angela abermals nach Berlin, um in der Gerhart-Hauptmann-Schule notdürftig untergebrachten Flüchtlingen ihre Solidarität zu bekunden.

Aus DDR-Tagen kenne ich den Satz Che Guevaras: "Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker." Er bleibt mein Motto.

Christa Kozik

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Der Barde Hartmut Engler von der populären Gruppe "Pur" hat ein neues Lied gemacht, eins über den zunehmenden Mangel an "Achtung und Respekt" - so heißt der Song. Engler füllt mit seinem Programm riesige Stadien. Er könnte wieder erleben, daß seine Fans den Text mitsingen. Einverstanden mit ihm werden sie gemeinsam beklagen, daß Achtung und Respekt im Alltag zunehmend fehlen. Auch bei ihnen selber, aber es ist trotzdem richtig.

Ich lese, ein vorbestrafter Bengel wurde von einer jungen Frau, Tugçe, in ungutem Tun unterbrochen, dadurch kam es zu einem heftigen Wortwechsel. Nach einer "Ohrfeige" von ihm stürzte sie und starb. Es gab einen Prozeß und ein Urteil. Wahrscheinlich ist es gerecht, aber so werden seine Eltern das nicht sehen. Auf dem Weg in den Gerichtssaal soll die Mutter das Foto von Tugçe angespuckt haben. Da muß man sich nicht länger fragen, warum es dem Sohn an Achtung und Respekt vor anderen Menschen fehlt. Läßt sich dieser unglaublich rohe Vorgang auch mit "anderer Kultur" erklären? Andererseits: Sollte die Nachricht in der Zeitung, groß aufgemacht, genau diese Frage auslösen? - mitten in einem unfairen Alltag mit unfairen Arbeitsbedingungen und der gewaltigen Unfairneß, mit der erneut an der gefährlichsten Schraube, der Hochrüstung, gedreht wird? Was hat der Friedens-Nobelpreisträger Obama erwartet, wie die andere Seite reagieren wird, wenn er rings um empfindliche Grenzen, in deren Erde noch die Blutspuren vom letzten erduldeten Völkermord ruhen, ein Netz aus Bedrohung pflanzt? Ich fasse mir an den Kopf, wenn ich in unseren Zeitungen lese, wie die eine Seite ermahnt wird, während die andere mit ihren unehrlichen Begründungen zitiert wird. Doch es sind ja nicht unsere Zeitungen, sie sind nur in unserer Sprache verfaßt.

Aber vielleicht - das hofft man immer - ist die Menschenwelt nicht wirklich zynischer, nicht zutiefst gröber geworden, vielleicht erfahren wir einfach zu viel, und besonders jedes Unglück - schrecklich bebildert! - zu schnell. Aber doch immer, auch auf die Schnelle, plump und raffiniert zugleich ausgesucht. Damit wir denken, daß es uns, im Vergleich zum Gezeigten, noch immer ganz prima geht.

Die grenzenlose Information hat ihre Schattenseiten. Den Überblick behalten zu wollen, legt sich auf die Lebenslust und den dringend nötigen Schlaf, jedenfalls verringert sich jede Unbefangenheit. Waren wir es je? In unserer Geschichte kommen sorglose Zeiten eigentlich nicht vor. Mehr als die eigene Nähe zum nächsten Schrecken bedrückt aber die Erkennbarkeit von Plänen, deren Durchführung globale Auswirkungen haben wird: auf das Wetter, auf die Tierwelt, auf die Kirschen am Baum, auf alte und neue Krankheiten und auf die Lebensbedingungen der Erde. Kommt es auf die an? Auf wen überhaupt?

Dreiundvierzig Studenten wurden in Mexiko - von der Polizei? dem Bürgermeister? - an eine kriminelle Bande zur Ermordung übergeben. Das Verbrechen und die Verzweiflung der Eltern, das sind nicht verblassende Bilder. Ich vermisse die kleinen Freuden, die es in unserem Leben gab. Ja, in unserem Leben.

"Geh aus, mein Herz und suche Freud'..." Worte von Paul Gerhard, dem unnachahmlichen Lehrer.

Das will ich ja, ich will ausgehen, unsere Wohnung verlassen, um Freude nach Hause zu holen. Früher konnte ich das mit einer seltenen Melone unter dem Arm. Da sammelte sich die Familie, das Messer wurde geschwungen, und es sah lustig aus, wie alle in die saftige Frucht bissen. Warum haben wir dabei gelacht?

Einmal gab es am Heiligabend im Geflügelladen, neben unserer Haustür in der Schönhauser Allee, kubanische Langusten. Wie bereitet man die zu? Jeder redete dazwischen, und wir haben die Langusten statt der traditionellen Mahlzeit vor der Bescherung mit Vergnügen gegessen. So einfach, so simpel? Scheinbar ja, aber es gehörte in der Seele und im Kopf die Zufriedenheit mit dem vergangenen Jahr dazu. Die vorläufige, mehr ist es ja nie.

Warum haben wir das in den letzten fünfundzwanzig Jahren nicht wiederholt?

Weil es Langusten, wenn auch nicht aus Kuba, bei Lidl, tiefgefroren, ständig gibt?

Es war Vorfreude, als wir uns für die Premiere des "Drachen" schön machten. Die hat sich gelohnt, und wir gehörten zu denen, die vierzig Minuten lang geklatscht haben, als sich der Vorhang nach der Uraufführung des "Friedens" gesenkt hat. Und jener Abend, als die wunderbaren Schauspieler im Deutschen Theater alte Volkslieder sangen. Freude, Freude, in die Buchhandlung zu gehen und zu hoffen, von der ersten Auflage eines ersehnten Buches ein Exemplar zu kriegen. Oder auch ein anderes, es war immer ein Stapel, der am Familientisch an die Erstleser ausgeteilt wurde.

Ich kenne das Argument: Du redest vom Charme des Mangels. Den will ich nicht preisen, ich denke nur manchmal: Ich bin erfahrener geworden, aber nicht viel klüger. Ich weiß zuwenig. Vor allem wichtige Zusammenhänge begreife ich oft nicht, oder zu spät.

Ich wohne in bedrohter Platte und liebe sie, als wärs ein altes Bauernhaus in der Nähe von Elmau. Will dieses Haus also nur mit den Füßen voran verlassen, aber ich kenne den Mietspiegel nicht, weiß auch nicht, was mir als Patientin in welchem Fall zusteht, und wer jetzt alles, für sehr kurze Zeit, in dieses Haus einzieht, läßt mich auch nicht glauben, daß alles zum Besten steht.

Aber meine Seele ist noch immer bereit, Hoffnung zu schöpfen, die Nachrichten auf ihre gute Seite hin abzuklopfen, einen bis dahin fremden Menschen als Freund zu erkennen, im Lied das Leben zu rühmen. Ja, aber ...! Meine Enkelin erzählt mir, daß in der Straßenbahn niemand für einen alten oder behinderten Menschen oder für die Mama mit Kind auf dem Arm aufsteht. Das aushäusige Leben ist sehr laut geworden, und Diskretion scheint zunehmend überflüssig.

Verkehrsmittel ersetzen offenkundig für die Fahrzeit das Büro, denn ohne die geringste Scheu werden nicht nur Verabredungen oder Gesprächsinhalte ausgerufen, sondern auch Informationen über Absichten, die eigentlich niemanden etwas angehen.

Von meinem Balkon aus sehe ich nun, einer Filmkulisse ähnlich, ein Forum genanntes Schloß und frage mich, ob das grandios taktlos ist, oder ob es eben auch seine Zeit braucht, um ehrwürdig zu werden. Es ist die Erinnerung an gute Arbeit, die mich und sicher auch einige Kollegen um das andere Bauwerk an selber Stelle trauern läßt.

Meine Freude finde ich, wo ich Menschen treffe, die miteinander reden wollen.

Ich will mich nicht zerstreuen lassen, sondern für die nächste Arbeit neu sammeln.

Im Alltag müssen wir uns gegenseitig Freude machen, und da könnte ich jetzt lange und bewegt über Briefe und E-Mails berichten. Von daher kommt die Bestärkung, die Aufforderung, zu bleiben: "Du wirst noch gebraucht." Nein, es "kommt kein Wunder, kommt kein guter Hirt".

Doch hoch soll er leben, überleben, denn wahrlich: Er wird gebraucht, Jorge Bergoglio, gewählter Vertreter einer Religion, die ihre schönen Kirchen erbaut und ihre Aufgabe den Menschen gegenüber oft genug gröblich verletzt hat. Dieser Papst mischt Reden und Handeln glaubwürdig und erstaunlich. Exkommuniziert die Mafia und fordert Einsicht. Er rüttelt in biblisch schöner Sprache an den Grenzstäben der Macht. Vielleicht sollten wir die Überzeugung abtun, daß uns diese reiche mächtige Kirche nichts mehr angeht. Wieder mal hingehen? Darauf weiß ich im Moment keine Antwort.

Ach ja! Die Mutter des jungen Mannes hat das Bild von Tugçe nicht bespuckt! Das hat die Zeitung mit den großen Buchstaben erfunden, und es ist rausgekommen.

Freude? Ich werde im Fahrstuhl, beim Einkaufen und in Veranstaltungen auf den "RotFuchs" angesprochen. Mach das weiter, höre ich. Das werde ich mir überlegen.

*

Leserbriefe an RotFuchs

Vor 80 Jahren fielen in der Schneise 31 bei Altenberg deutsche Antifaschisten während des Transports von Aufklärungsmaterialien über die Untaten der Nazis unter faschistischen Mörderkugeln. Im Rahmen der Jugendweihestunden besuchten zu DDR-Zeiten viele Schüler den dort errichteten Gedenkstein. Schulen, Brigaden und weitere Einrichtungen gaben sich die Namen der Gefallenen.
Nach der Konterrevolution wurde alles "entsorgt". Die Folgen dieser "Geschichtsaufarbeitung" sind bekannt: "Rechte" krochen aus ihren Schlupflöchern, sitzen heute in Parlamenten und versuchen wie einst die Nazis, die Demokratie unter Nutzung der Demokratie zu beseitigen. Es würde den Landesregierungen gut zu Gesicht stehen, wenn sie nicht nur das Verbot der NPD fordern, sondern zugleich auch die Diffamierung des Antifaschismus einstellen würden. Sie sollten sich der Worte Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 erinnern: "Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes ... in der Arbeiterschaft und bei den Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten."
Ob der Sächsische Landtag den Mut findet, den Gedenkstein an der Schneise 31 wiedererrichten zu lassen? Es wäre ein wichtiges Signal im Widerstand gegen die Nazis der Neuzeit.

Hellmut Michel, Dohna


Ein Wort zum Thema "Unrechtsstaat": Da die DDR Teil des ersten Versuchs der Menschheit war, gesellschaftliche Kontrolle darüber auszuüben, was wie produziert und verteilt wird, Produktion und Distribution also nach staatlich durch- bzw. umzusetzenden Regeln ablaufen zu lassen, hat sie viel größere Bereiche des menschlichen Zusammenlebens dem Recht unterworfen als die kapitalistischen Länder. Sie war also der "rechtsstaatlichere" Staat und nicht umgekehrt!

Ivan, Hamburg


Mit ist es - und das ist keine Phrase - eine Ehre, von Euch in der Juninummer abgedruckt worden zu sein. Mit herzlichen und roten Grüßen

Prof. Dr. Gerhard Oberkofler, Innsbruck


Von der US-Luftwaffenbasis Ramstein aus wird der Drohnenkrieg, der bereits 6000 Todesopfer forderte, geführt. So wird das Morden per Joystick in Pakistan, Afghanistan oder Somalia erst möglich. Die Mordzentrale Ramstein auf deutschem Boden muß unverzüglich aufgelöst werden, Morde per Drohnen sind völkerrechtlich zu ächten!
Wir begrüßen und unterstützen ausdrücklich die Aktivitäten der Friedensaktivisten und der Bundestagsabgeordneten der "Linken", unter ihnen Sahra Wagenknecht, vom 15. Juni am Westgate der Luftwaffenbasis.

Claudia und Matthias Schwander, Chemnitz


Ist der 8. Mai 1945, der Tag des Sieges über den Faschismus, bereits ein Sieg für alle Generationen? Der Tag der Befreiung ist im historischen Denken noch nicht erkämpft. In Anwesenheit des russischen Präsidenten wagte es Bundeskanzlerin Merkel, Rußland einer "verbrecherischen Annexion der Krim" zu bezichtigen.
Abermals sieht sich das russische Volk an seinen Grenzen der Bedrohung durch von der NATO und den USA organisierte militärische "Eingreiftruppen" gegenüber.
Ein Bürger bezeichnete mir gegenüber Merkels Auftreten in Moskau als Hochverrat.

Manfred Wozniak, Erfurt


Der Krieg ist kein Gesetz der Natur, und der Frieden ist kein Geschenk! Das kann man nicht oft genug wiederholen. Kriege werden systematisch vorbereitet, auch ideologisch. Dazu braucht man Kanonenfutter, das rechtzeitig gefügig gemacht werden muß. Es ist nicht zu übersehen, in welche Richtung es gehen soll: Rußland mit Putin an der Spitze ist wiederum der Feind Nr. 1. Es vergeht kein Tag, ohne daß die russische Politik diffamiert wird. Im Mittelpunkt steht dabei die Ukraine-Frage. Man stellt die Dinge auf den Kopf: denn Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, kann man als Geburtsstadt Rußlands betrachten. Die Kiewer Rus hat sich vom 9. bis zum 12. Jahrhundert als ein ausgedehntes russisches Reich entwickelt. Und was die Krim betrifft, so kam sie bereits 1783 zu Rußland. In sowjetischer Zeit gehörte sie bis zu ihrer Ablieferung durch Chruschtschow an die Ukraine mit autonomem Status der RSFSR - also Rußland - an.
Von Interesse dürfte auch dieses Detail sein. Während die USA etwa 1000 militärische Stützpunkte - über die ganze Erde verstreut - unterhalten, verfügt Rußlands Armee lediglich über 26 Basen in ehemaligen Teilrepubliken der UdSSR. Doch die Medien der Bourgeoisie werden nicht müde, vor einer neuen Kriegsgefahr zu warnen, die ausgerechnet von Rußland drohen soll.

Gerda Huberty, Neundorf


Der Gipfel der selbsternannten und selbstherrlichen "glorreichen 7" - also der westlichen Führungsmächte - in Elmau ist Geschichte. Was hat er der "Weltgemeinschaft" gebracht, und an was werden wir uns vor allem erinnern? Zuallererst an die geradezu unvorstellbaren Kosten von mehr als 130 Millionen Euro und den Einsatz von über 20.000 Polizeibeamten zur Abschottung der Staats- und Regierungschefs vom Volk!
In der knapp bemessenen Zeit wurden in Elmau einige - zum Teil nebulöse, unverbindliche und durch niemand einklagbare - Beschlüsse gefaßt, an die sich bald keiner mehr erinnern dürfte. Nur gegenüber Rußland gab es unmißverständlich aggressive Aussagen!
Das alles wurde mit der Phrase von der Wertegemeinschaft der "glorreichen 7" garniert, die auch für die Aussperrung Präsident Putins herhalten mußte. Was aber macht diese "Wertegemeinschaft" eigentlich aus? Es handelt sich um eine elitäre Gruppe mehr oder weniger potenter westlicher Industriestaaten, die festlegt, wer ihnen ständig oder zeitweilig zugehören darf. All diese Staaten sind auf die eine oder andere Art politisch, ökonomisch und militärisch eng mit den USA verbunden und erkennen deren Hegemonie an.
Mein Resümee: ein durch nichts gerechtfertigter hoher Aufwand, ein immenser Medienrummel, massive Drohungen gegen Rußland und wenig politische Substanz.

Oberstleutnant a. D. Roland Potstawa, Königs Wusterhausen


Unlängst habe ich das Buch von Gabriele Krone-Schmalz "Rußland verstehen" in einem Zug gelesen. Diese Frau würde ich anstelle von Gauck, der aus meiner Sicht von Gott weniger hält als ich, zur Bundespräsidentin wählen.

Horst Kraft, Bad Freienwalde


Mehr denn je bangen fortschrittliche Menschen in aller Welt mit und um Kuba. Harri Grünberg vom Netzwerk Cuba sprach in der Chemnitzer "RotFuchs"-Gruppe über dieses Thema und vermittelte den Zuhörern einen realistischen, aber zugleich optimistischen Überblick zur Situation auf der sozialistischen Karibikinsel. Er hob Havannas Beziehungen zu lateinamerikanischen Staaten, zu Rußland und China hervor. Kubas Führung scheint sich der enormen Probleme bewußt zu sein und sucht nach konstruktiven Lösungen. Bei alledem entsteht keineswegs der Eindruck, daß sie vom sozialistischen Weg abzugehen und dem Antiimperialismus abzuschwören bereit sein könnte. Die Genossen dort haben offenbar aus dem Niedergang des Sozialismus in der UdSSR und Osteuropa nicht wenig gelernt. Der Gefahr des Wandels durch Annäherung angesichts der veränderten Taktik Washingtons sind sie sich durchaus bewußt.
In unserer Solidarität dürfen wir nicht nachlassen! Was unsere kubanischen Freunde aber am wenigsten gebrauchen können, sind schulmeisterhafte Belehrungen durch andere.

Roland Winkler, Aue


In Marcel Kunstmanns Beitrag "Zur veränderten Situation im Verhältnis zwischen Kuba und den USA - Fortschritte und Hemmnisse" (Juni-RF) ist gleich dreimal von "Embargo" die Rede. Diese Bezeichnung ist unzutreffend. Tatsächlich handelt es sich um eine völkerrechtswidrige und umfassende Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade. Am 17.12.2014 erklärte Obama: "Stolz unterstützten die USA Demokratie und Menschenrechte in Kuba in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Das taten wir vornehmlich durch die Politik der Isolierung der Insel, indem wir Reisen und den Handel unterbanden. ... Keine andere Nation schloß sich unseren Sanktionen an, die nicht wirklich etwas bewirkten. ... Schließlich stellen wir nach 50 Jahren fest, daß die Isolierung Kubas nicht funktioniert hat. Jetzt ist der Moment für eine neue Politik. Wir werden die Zivilgesellschaft dort weiter unterstützen."
Gisela Steineckert schreibt in ihrem beeindruckenden Beitrag im Juni-RF zu Recht: "Wie sollten wir den USA guten Willen unterstellen, den sie nicht einmal behaupten? ... Sie werden weiterhin versuchen, den Gendarm für alle anderen zu geben." Und auf sich bezogen, bekennt sie "Aber ich habe nicht aufgegeben und mache mich, zunächst mürrisch oder unsicher, an die Arbeit."
Dies läßt sich auch auf Kuba anwenden: Die Revolutionäre dort haben selbst in finstersten Zeiten nicht aufgegeben und stellen sich nun in einer neuen Etappe der Entwicklung den aktuellen Herausforderungen. Hierbei können sie unserer Solidarität gewiß sein.

Heinz-W. Hammer, Essen


Bereits zum zehnten Mal trafen sich Anfang Juni Absolventen der Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" am Bogensee. Nicht nur aus Deutschland waren sie angereist, sondern auch aus anderen Ländern, darunter dem fernen Kolumbien. Keiner von ihnen wird je die Zeit an der Schule vergessen, die vom Studium des Marxismus-Leninismus, von internationaler Solidarität und dem Wunsch geprägt war, eine bessere Welt aufzubauen.
Mich beeindruckten besonders auch Ausschnitte aus der künstlerischen Filmarbeit der finnischen Absolventin Kirsi Marie Liimatainen, die einstige Jugendhochschüler in verschiedenen Teilen der Welt besuchte und deren Werdegang dokumentarisch festhielt.
Leider verfällt das Gelände der Jugendhochschule immer mehr. Offenbar will man sie ins Vergessen abdrängen. Doch das wird nicht gelingen!

Jürgen Leichsenring, Berlin


Mit seinem Juni-Leitartikel greift Klaus Steiniger die Bündnisfrage als ein Kernproblem aller für die Verteidigung des Friedens Kämpfenden auf. Erfolg ist nur möglich, wenn alle, die aus verschiedenen Motiven gegen die Weltzerstörung kämpfen, ihre Zersplitterung und das oft vorhandene gegenseitige Mißtrauen überwinden. Ein verläßliches Bündnis setzt gegenseitige Achtung, Anerkennung unterschiedlicher Meinungen und vernünftige Kompromißbereitschaft voraus.
In unserer "RotFuchs"-Lesergruppe und in der "Initiativgruppe Aktionseinheit" wirken wir - Kommunisten, Sozialisten, parteilose Freunde und ein Pfarrer - vertrauensvoll zusammen. Es gilt das Prinzip: Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagen, niemand aber kann verlangen, daß alle sofort dieser Ansicht sind.
Mit seinem strategisch bedeutsamen Leitartikel hat Klaus Steiniger überzeugend klargestellt: Wer aus Angst, die Herrschenden zu verschrecken, ständig zurückweicht und sich beim politischen Gegner anbiedert, vor dem muß sich "nun wirklich niemand fürchten". So gewinnt man möglicherweise zeitweilig einige Ministerposten, aber keine verläßlichen Verbündeten.
Der "RotFuchs" erweist sich mit dieser Klarstellung auf der Höhe der Zeit.

Ulrich Schlaak, Brieselang


Klaus Steiniger gebührt Dank für seinen Leitartikel in der Juni-Ausgabe, der meiner Lebensauffassung und -erfahrung aus so manchen Auseinandersetzungen im Klassenkampf völlig entspricht. Ich bin übrigens 1945 Mitglied der KPD geworden.

Prof. Dr. Georg Grasnick, Berlin


Auf der ganzen Welt empören sich immer mehr Menschen gegen die verbrecherischen Aktionen der USA in der Ukraine und im Nahen Osten. Wie verhält sich aber ein Teil der deutschen Linken? Man sortiert in "falsche" und "richtige" Friedensfreunde. Wieder einmal suchen Dogmatiker und Sektierer einen Keil in die sich neu formierende Friedensbewegung zu treiben und gegen die eine oder andere Strömung zu kämpfen. So etwas nützt nur den Gegnern der Linken!
1929 und in den Folgejahren wurden die Sozialdemokraten pauschal als "Sozialfaschisten" etikettiert, statt von Beginn an gemeinsam mit ihnen gegen die faschistische Gefahr anzutreten. 1952 schrieb Wilhelm Pieck: "Die Partei hätte in dieser Zeit alles tun müssen, die werktätigen Massen, besonders aber die sozialdemokratischen Arbeiter, gegen diese Gefahr zu mobilisieren, um die einheitliche Kampffront der Kommunisten und Sozialdemokraten zu schaffen."
Früher war die Sowjetunion unser großer Freund. Das heutige Rußland - obwohl auch kapitalistisch geprägt - ist im Friedenskampf unser Verbündeter, nicht weil es die Nachfolge der UdSSR angetreten hätte, sondern weil es sich die russische Staatsführung unter Putin in unerwarteter Weise anmaßt, den Weltherrschaftsbestrebungen der USA entgegenzutreten. Das unverantwortliche Gerede einiger Linker von "gleichem Abstand" (Äquidistanz) gegenüber Rußland und der von faschistoiden Kräften beherrschten Ukraine ist ein Kniefall vor dem derzeitigen Einparteiensystem CDU/CSU/SPD. Unter Preisgabe aller sozialistischen Grundsätze wird so eine künftige Regierungsbeteiligung erheischt.

Hans-Peter Hoffmann, Velten


Lieber Klaus Steiniger, herzlichen Dank für Deine so gute und so notwendige Stellungnahme zur Friedensbewegung.

Doris und George Pumphrey, Berlin


Vor mir liegt der Juni-"RotFuchs". Selbstverständlich habe ich zuerst den Leitartikel gelesen. Er trifft den Nagel auf den Kopf. Darin geht es um die Überwindung des auf kapitalistischer Ausbeutung beruhenden Wertesystems der Bourgeoisie ... und um unsere Bundesgenossen, die fähig und bereit sind, den nicht einfachen Weg ganz oder ein Stück mit uns zu gehen. Wichtig scheint mir die Aussage, daß neben Klarheit in der Zielstellung auch eine realistische Einschätzung der jeweiligen Möglichkeiten und Kräfte notwendig ist.
Der "RotFuchs" bietet uns "Alten" die Gelegenheit, Lebenserfahrungen auszutauschen und - was noch wichtiger ist - Kommunisten, Sozialisten und noch Ungebundene auf die gemeinsamen Ziele zu orientieren. Dafür sind die vielen wissenschaftlich fundierten Beiträge und die historischen Erfahrungen der RF-Autoren enorm wichtig. Sie erinnern uns nicht nur an die Schwächen und Mängel unseres Kampfes, sondern verweisen auch auf die vor uns liegenden Aufgaben. Meine Weltanschauung und meine politischen Überzeugungen wurden mir im 40jährigen Kampf der DDR gegen Kapitalismus und Krieg "eingebrannt". Ich habe mit Euch immer an der gleichen Front gekämpft. So wird es wohl auch für den Rest des Lebens bleiben.

Dipl.-Päd. Gerhard Konrad, Potsdam


Klaus Steinigers Leitartikel "Der gemeinsame Nenner" über Prinzipienfestigkeit, gegen sektiererische Enge und für die Notwendigkeit eines weitgespannten politischen Spektrums unter Einbeziehung auch redlicher Andersdenkender ist eine sehr gute Einschätzung der gegenwärtigen Situation. Der Artikel orientiert auf die Breite jener Kräfte, mit welchen wir gemeinsam gehen können. Die Lektüre vermittelt neue Erkenntnisse, ich habe mir viele Textstellen unterstrichen.
Übrigens besitze ich noch ein Dankschreiben dafür, daß ich damals bereit war, als Freiwilliger nach Vietnam zu gehen. Es kam allerdings nicht dazu, weil die USA schneller von den vietnamesischen Truppen geschlagen wurden. Das Dokument halte ich jedoch in Ehren.

Klaus Pinkau, Leipzig


Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat eine neue Version zum "Tag der Befreiung" präsentiert. In seinem Grußwort zu einer Gedenkveranstaltung im einstigen Kriegsgefangenenlager Ehrenhain-Ziegenhain, das de facto ein KZ war, erklärte er: "Nach zwei totalitären Regierungsformen zwischen der Oktoberrevolution und dem Tag der deutschen Einheit" müsse dieser als "Tag der Befreiung" betrachtet werden. In der Zeit der Hitlerdiktatur habe das deutsche Volk nur zeitweilig auf der falschen Seite gestanden, diesen Fehler aber 1989 wieder gutgemacht. Die gleiche Position vertritt übrigens auch die berüchtigte Revanchistin Erika Steinbach.
Der Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio bewertet diesen "erinnerungspolitischen Paradigmenwechsel" so: "Die Seele der Deutschen muß endlich wieder den Kern und nicht die Verirrungen ihrer Nationalgeschichte in den Mittelpunkt einer optimistischen Selbstgewißheit rücken." Was soll man zu dieser beispiellosen Geschichtsfälschung sagen?!

Peter Pöschmann, Döbeln


"Doch der unverantwortliche Vollzug der Kapitulation hat bis heute keinen Namen." Mit diesem Satz spricht Dr. Ing. Klaus Neumann mir aus der Seele. Die bewaffneten Organe hatten den Klassenauftrag, die DDR und deren Errungenschaften vor feindlichen Angriffen zu schützen. In der Stunde der größten Not kapitulierten sie und lieferten ihre Waffen unzerstört ab.
Seither stelle ich mir immer wieder die Frage: War das zwingend notwendig? Wollten sich einige gar dem Klassenfeind und Gegner andienen? Ebensowenig verstehe ich die zivile Kapitulation, an der sich ein Teil des Volkes eifrig beteiligte. Wer fuhr palettenweise DDR-Literatur auf die Müllkippe, zertrat Schallplatten, demontierte in Lagerhallen nagelneues Mobiliar, reinigte nachts Kaufhallen und Kaufhäuser von DDR-Waren und bestückte sie mit Westartikeln? Es waren DDR-Bürger!
Warum nahmen sie so emsig und willfährig an der Demontage des eigenen Seins teil? Wie konnten sie sich aufgeben und die Errungenschaften, für die jeder täglich gearbeitet hatte, einfach wegwerfen? Diese Fragen treiben mich um. Einfache Antworten gibt es sicher nicht. Wir sollten gemeinsam danach suchen.
Seit einiger Zeit erhalte ich den "RotFuchs" regelmäßig und fühle mich nicht mehr so allein und verlassen.

MR Dr. Marlene Reiteritsch, Innernzell


Könnte nicht mal bei Generaloberst a. D. Fritz Streletz angefragt werden, wie es eigentlich dazu kam, daß die modernen und voll einsatzfähigen Waffensysteme der NVA dem Gegner intakt überlassen worden sind?!

Reinhard Melzer, Moritzburg/OT Boxdorf


Ich habe jahrzehntelang Karl-Eduard von Schnitzlers "Schwarzen Kanal" gesehen, immer mit einem Aha-Effekt. So war ich darauf vorbereitet, was uns ab 1990 blühte. Damals verschrie man mich als "Spaßverderber". Jetzt komme doch die Demokratie mit den dicken Geldscheinen, und jeder könne nach seiner Fasson selig werden, sagten mir Wendebegeisterte.
Heute ist das Recht auf Meinungsbildung längst einem durch die Banken finanzierten "freien Journalismus" gewichen. Man will uns einreden, was von Rußland komme, stamme aus einem totalitären Land, wie es die DDR gewesen sein soll.

Gerd Schulz, Waldau


Den Kampf Walter Ulbrichts und seiner Mitstreiter um das Gedeihen der DDR achte ich sehr. Einschränkungen und Bedenken anderer zu seiner Persönlichkeit veranlassen mich nicht dazu, von dieser grundlegenden Bewertung abzugehen. Das unter Ulbricht entwickelte Neue Ökonomische System der Leitung und Planung der Volkswirtschaft (NÖSPL) ist für mich nach wie vor von großem Interesse. (Ein kluger Kopf aus unseren Reihen bringt es übrigens auch mit der Zukunft Kubas in Verbindung.) Ich habe mich mit dem NÖSPL schon früher beschäftigt und die Anfangsschwierigkeiten verfolgt, war jedoch immer vom Riesenpotential dieser Wirtschaftskonzeption überzeugt, wenn wir sie streitbar mit unseren praktischen Erfahrungen verbunden und weiterverfolgt hätten.
Eine konstruktive Diskussion über Ulbrichts ökonomische Strategie schiene mir von Nutzen.

Rolf Santruschek, Berlin


"Ja, da legst di nieder ...", ging es mir durch den Kopf, als ich ein Interview mit der Bundesministerin für Bildung und Kultur Frau Wanka (CDU) in der hiesigen "Freien Presse" las. Die Politikerin der Merkel-Regierung begründet das Bestehen eines föderalen Schulsystems in der BRD so: "Schule in einer Stadt wie Chemnitz muß anders sein als im Bayerischen Wald." Das läßt natürlich viel Raum für Spekulationen darüber, warum es in Deutschland bisher nicht möglich gewesen sein soll, einen für alle Bundesländer gleichermaßen verbindlichen einheitlichen Lehrplan zustandezubringen. In der DDR galt derselbe Plan von Rostock bis Suhl. Er ließ aber genügend Spielraum für regionalbezogene Unterrichtsschwerpunkte, örtliche Kultur und Geschichte. Das wäre heute genauso möglich. Doch für das "gemeine Volk" reicht das, was jetzt ist. Wer es sich leisten kann, der schickt seine Kinder ohnehin auf eine Privatschule.

Uwe Löffler, Chemnitz


Im Juni-RF erinnert Genosse Wesenick an Kinderlieder, die wir in der DDR gesungen haben und die von unseren besten Dichtern und Komponisten stammen. Nicht nur die Kinder kannten und sangen sie. Sie waren zu Volksliedern geworden. Mir war das nicht immer so bewußt, bis ich die Probe aufs Exempel machte: Seit einiger Zeit singe ich einmal jährlich im Kultur- und Bildungsverein "Nord-Licht" e. V. in Berlin-Pankow mit dessen Angehörigen neben alten deutschen Volksliedern auch diese Melodien. Sie werden noch immer bis auf den letzten Ton beherrscht, obwohl man sie kaum noch zu hören bekommt. Übrigens auch von heute über 90jährigen!
Sehr überrascht und erfreut war ich, als ich unlängst in einem Konzert mit der Musikschule "Bela Bartok" im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, vom kleinen Kinderchor gesungen, "Mein Nachbar" von B. Potemkina, "Wer möchte nicht im Leben bleiben" von Wera Küchenmeister und Kurt Schwaen und "Frühlingswind" von Helmut Stöhr und Manfred Roost vernahm - alles Lieder, die ich selbst mit meinen Kinderchören gesungen habe. Mir ging das Herz auf, verkörpert doch jedes Lied auf seine Weise die Ideale, die als unsere Erziehungsziele im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit in der DDR standen.

Horst Birkholz, Berlin


Im November/Dezember 1971 befand ich mich in einer Kureinrichtung der DDR-Sozialversicherung in Bad Schmiedeberg. Eines Tages traf ich dort auf einen sehr schlanken jungen Mann, der sich mit mir intensiv über die Frage der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland unterhielt. Dieser energiegeladene Typ gewann mit seiner starken Überzeugungskraft sofort meine Sympathie. Es stellte sich heraus, daß er mit seiner Frau ebenfalls in Schmiedeberg zur Kur weilte und sich dort als Prof. Dr. Herbert Meißner eingeschrieben hatte. Zur Vertiefung meiner Kenntnisse erhielt ich in der Folge von ihm einige Bücher zur Thematik Staat und Recht sowie Abhandlungen über die damals von bestimmter Seite bereits propagierte Konvergenztheorie.
Sollte es der gleiche Prof. Dr. Herbert Meißner sein, dem ich in den Beiträgen des RF begegnet bin, so wäre es nach 44 Jahren für mich eine besondere Freude - schon allein deshalb, weil er wie ich unserer Überzeugung die Treue bewahrt hat. Ich würde sehr froh sein, wenn sich meine Vermutung bestätigen sollte.
P. S.: Übrigens war ich jahrelang an der Grenzsicherung beteiligt und absolvierte später eine Fachschule im Vogtland.

Gerhard Perlitz, Bützow


Mit großem Interesse las ich den "Standpunkt zur Transformationstheorie der Linken" von Prof. Herbert Meißner. Der Beitrag ist dringend notwendig und kann für die Genossen der Basis Anleitung zu einer inhaltlichen Kritik an ihrer Führung sein. Der Artikel ist prinzipiell, auf marxistischer Grundlage und daher vollinhaltlich zu unterstützen. Wenn man die Klassenfrage stellt, also das Geschehen als eine Entscheidung zwischen "Barbarei und Sozialismus" betrachtet, bleibt allerdings die Frage offen, ob es Absicht oder mangelnde theoretische Bildung ist, wenn gefährliche Illusionen über den Imperialismus verbreitet werden, die Genosse Meißner sehr überzeugend zu widerlegen versteht.

Dieter Knoderer, Berlin


Mich beeindruckt die steigende Zahl inhaltsreicher Leserzuschriften. Berührend sind die Berichte über persönlich Erlebtes in der DDR, dienen sie doch der Verteidigung der historischen Wahrheit. Aber genauso wichtig ist aus meiner Sicht, ein breites Diskussionspodium zu aktuellen politischen Fragen, das von unseren Lesern gestaltet wird. Als weitere zentrale Themen könnte ich mir den barbarischen Umgang mit Flüchtlingen, die Kriegshetze gegen Rußland oder Perspektiven der heutigen Jugend vorstellen.

Dr. Manfred Bewersdorf, Neubrandenburg


Der Beitrag von Major a. D. Harry Pursche aus Leipzig war sehr aufschlußreich. Ich wußte bisher nicht von solchen Überlegungen und halte es auch nicht für denkbar, daß es in der NVA-Geschichte etwas Traditionsbildendes für die Bundeswehr geben könnte.
Neben dem im Pursche-Artikel offensichtlich zu Recht kritisierten Inhalt des dort behandelten Buches beschäftigt mich vor allem die Frage, wie vermutlich in Dialektik und Historie erfahrene Autoren - ein Kapitän zur See der Volksmarine der DDR und ein Absolvent der Sektion Geschichte der Leipziger Karl-Marx-Universität - zu den besagten Schlußfolgerungen oder Positionen gelangt sein können.

Manfred Jantsch, Pirna


Meine Meinung zum Pursche-Artikel: Die NVA der DDR war eine nur der Landesverteidigung dienende Armee des Volkes und blieb die einzige deutsche Armee, die weder einen Krieg führte noch an einem Krieg beteiligt war. Staatliche Zielstellungen für Einsätze außerhalb der Landesgrenzen gab es nicht. Anders die Bundeswehr: Sie steht in der Tradition der Wehrmacht, deren Soldat ich sein mußte. Wofür die Wehrmacht kämpfte, sagte Goebbels so: "Es geht um Erz, Öl, Weizen ..." Die Bundeswehr war in Jugoslawien und Afghanistan an Kriegen im Interesse fremder und eigener Finanz- und Wirtschaftsgruppen beteiligt. An ihren Fahnen klebt wieder Blut.

Arndt Näser, Riesa


Wenn von "maroder DDR" die Rede ist, erhebe ich stets Widerspruch. Ein aktuelles Beispiel. In NRW häufen sich Berichte über das dortige marode Straßennetz. In jeder Darstellung dieser Mißstände darf der Hinweis "wie in der DDR" keinesfalls fehlen. Sicher gab es auch dort dringend reparaturbedürftige Straßen.
Doch sei mir ein Gedankensprung gestattet: Die Pro-Kopf-Verschuldung der DDR-Bürger betrug nur etwa 3000 Euro, während sie sich in NRW auf ca. 27.000 Euro beläuft.
Da die Bevölkerungszahl (etwa 17 Millionen) in beiden Fällen nahezu gleich ist, mache ich folgende Rechnung auf: NRW hat pro Kopf 24.000 Euro mehr Schulden als die DDR!
Bei Öffnung der Mauer hätte es dort - wenn die DDR genauso hoch verschuldet gewesen wäre wie NRW - zwar glatte Straßen und Autobahn-Raststätten mit goldenen Wasserhähnen gegeben, doch die Bevölkerung wäre Opfer der gleichen Pro-Kopf-Verschuldung gewesen wie im Westen. Man kann sich das Geschrei vorstellen, das in einem solchen Falle angestimmt worden wäre.
Ich wende mich - auch anhand dieses Beispiels - gegen die auf Diffamierung zielende Anti-DDR-Stimmung. Mein Beispiel beruht nur auf Zahlen.

Johann Weber, Ruhstorf/Niederbayern


Der Debatten auslösende Beitrag von Wolfgang Giensch im Mai-RF gipfelt in dem Vorwurf, die Arbeiterklasse der DDR habe das Volkseigentum nicht verteidigt. Als eine Ursache dafür sieht er das Fehlen direkter Beteiligung des einzelnen Arbeiters am ökonomisch-finanziellen Ergebnis des konkreten Volkseigenen Betriebes (VEB) an.
Als Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft habe ich jedoch einen völlig anderen Eindruck vom Verhalten der meisten Menschen gewonnen. Jedes Mitglied ist hier durch eine bestimmte Kapitaleinlage am Unternehmen als Miteigentümer beteiligt. Seine Rechte kann es in der Mitglieder- oder Vertreterversammlung wahrnehmen.
Nach dem in der BRD geltenden Genossenschaftsgesetz arbeitet der Vorstand autark, hat also weder vom Aufsichtsrat noch von der Vertreterversammlung Weisungen entgegenzunehmen. Er muß bei seiner Tätigkeit lediglich die von den Mitgliedern beschlossene Satzung beachten. Im Extremfall kann der Vorstand sogar vom Aufsichtsrat entlassen werden.
Folgt man Wolfgang Giensch, dann müßte man annehmen, daß die WG-Mitglieder als Miteigentümer am genossenschaftlichen Geschehen hochgradig interessiert sind. Doch dies ist in der Regel absolut nicht der Fall. Eine Motivation zum Mittun aufgrund eigener finanzieller Beteiligung habe ich also nicht feststellen können. Nur wenn Entscheidungen des Vorstandes wie Mieterhöhungen oder Luxussanierungen, die einzelne Mitglieder direkt betreffen, zur Debatte stehen, artikuliert sich kaum wirksamer Protest. Echte genossenschaftliche Demokratie wäre für die meisten zu zeitaufwendig und kompliziert. Sie erforderte überdies hohen persönlichen Einsatz. Dazu ist die Mehrheit trotz finanzieller Teilhabe am Unternehmen aber nicht bereit.

Dr. Manfred Graichen, Berlin


Mit einer Reisegruppe verfolgte ich im Mai eine Plenarsitzung des Bundestages. Zum Programm gehörte ferner auch die Besichtigung der Dauerausstellung "Alltag in der DDR" in der früheren Schultheiß-Brauerei. Was dort zu sehen ist, betrachte ich als Provokation und Beleidigung: Zusammengefegter Krempel, der 1990 und danach überall herumlag! Den Touristen aus der alten BRD und dem Ausland soll diese Darstellung das "Armenhaus DDR" zeigen. Positives über das Land, in dem wir gelebt haben, findet man dort nicht.
In einer Diskussionsrunde mit einem MdB mußten wir uns dann auch noch sagen lassen, solches gehöre ebenso zur freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik wie der vor einigen Monaten erfolgte Auftritt des bekannten Neurotikers aus Hamburg vor dem Plenum des "Hohen Hauses". Dort hatte dieser das Recht, uns, die wir Jahrzehnte in der DDR gelebt haben, auf übelste Art zu beschimpfen. Man sagte uns, solcherlei sei organisiert gewesen und gehöre zu den Gepflogenheiten des Bundestages. Das sei "praktische Demokratie".

Gerhard Bochnig, Giersleben


Das Kleingartenwesen in Deutschland war stets auch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. Zu allen Zeiten unterlagen Gestaltung und Nutzung der kleinen Flächen bestimmten Rahmenbedingungen. Ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend, nahm die Kleingartenbewegung in der DDR eine quantitativ und qualitativ stürmische Entwicklung. 1990 setzte auf einstigem DDR-Gebiet Rückläufigkeit ein. Heute leben dort nur noch 15 % der Gesamtbevölkerung der BRD, während sich im Osten 50 % der deutschen Kleingärten befinden.
Derzeit werden im Zuge fortschreitend aggressiverer Vertragsgestaltung immer mehr Lasten auf die Kleingärtner abgewälzt. So kann eine vollständige Beräumung oder ein sogenannter Rückbau des Gartens bei Beendigung von Pachtverträgen sogar zur Insolvenz der Bürger führen. Aufgrund der beengenden Regularien im Kleingartenwesen - Entfernen von Nadelgehölzen, vorgeschriebene Anbaupflicht, Wohnen in der Laube u.a.m. - überlegen es sich potentielle Bewerber um einen Kleingarten doppelt und dreifach, ob sie eine solche Bürde auf sich nehmen sollen.
Es kann als sicher angesehen werden, daß der Leerstand aufgrund der Altersstruktur der Kleingärtner und zunehmender Altersarmut weiter anwachsen wird.

Dipl.-Ing. Hermann Ziegenbalg, Riesa-Weida


In einem Leserbrief (Juni-RF) hatte ich von faschistischen Ausfällen im Stadion berichtet. Der Fußball-Verein von Aue wurde inzwischen mit dem Abstieg bestraft. Alle hatten der Naziprovokation zwei Stunden lang reaktionslos zugeschaut: die Vereinschefs, Vertreter der Medien, Mannschaften und Schiedsrichter, aber auch die Leute auf den Rängen. Ein solcher Vorfall wäre in der DDR innerhalb von fünf Minuten geklärt gewesen. Immerhin dürfen die Auer jetzt wieder von unten anfangen, was ich in Ordnung finde.

Joachim Spitzner, Leipzig


Heute habe ich erkannt, wie hoch ich mein Leben in der BRD zu bewerten habe. Ich war beim Friseur zu einem einfachen Männerhaarschnitt ohne Wäsche. Dieses Vergnügen kostete mich im Friseurgeschäft bei Kaufland nicht weniger als 22 Euro.
Später habe ich dann mal nachgerechnet: 22 Euro entsprachen beim Geldumtausch, den alle Bundesbürger vornehmen mußten, 44 DM. Für 44 DM aber hatte man bei jenem Umtausch, zu dem die DDR-Bürger 1990 gezwungen waren, 88 Mark der Deutschen Notenbank auf den Tisch legen müssen. Vom einstigen Kurs der Wechselstuben soll hier erst gar nicht die Rede sein.
Ein simpler Haarschnitt, der den Friseur 10 bis 15 Minuten in Anspruch nimmt, kostet jetzt also umgerechnet 88 Mark der DDR. Wie oft hätte ich mir dafür einst in Leipzig die Haare schneiden lassen können!

Gerhard Masuch, Leipzig


Zum Thema "RotFuchs-Kessel": Der Fuchs baut einen Bau. Hier bringt die Fähe (Füchsin) die Welpen zur Welt. Der Fuchsbau wird über viele Jahre genutzt. Beim Schwarzwild legt die Bache kurz vor der Geburt ihrer Frischlinge einen Kessel an. Nach 8 bis 10 Tagen folgen die Frischlinge dem Muttertier und verlassen mit ihm den Kessel! Also: Jeder Fuchs hat einen Bau, d. h., jeder kluge "RotFuchs" hat ein Zuhause!
Unser Zuhause war die DDR.

Hans-Jürgen Harzer, Gera

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RF-Bezugsbedingungen

Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
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Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.


IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
E-Mail: rotfuchskessel@t-online.de
(Redaktionsadresse)

SEKRÄTERIN: Karin Großmann

LAYOUT: Rüdiger Serinek

HERSTELLUNG: Druckerei Bunter Hund

INTERNET: www.rotfuchs.net

INTERNET-PRÄSENTATION: Sylvia Feldbinder

Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

AUTORENKREIS:
Joachim Augustin
Dr. Matin Baraki
Konstantin Brandt
Dr. Vera Butler (Melbourne)
Prof. Dr. Götz Dieckmann
Ralph Dobrawa
Bernd Fischer
Peter Franz
Günter Freyer
Prof. Dr. Georg Grasnick
Ulrich Guhl
Bernd Gutte
Helmuth Hellge
Eberhard Herr
Erik Höhne
Rico Jalowietzki
Ralf Jungmann
Christa Kozik
Siegfried R. Krebs
Marcel Kunzmann
Rudi Kurz
Dr. Dieter Laser
Wolfgang Mäder
Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
Prof. Dr. Herbert Meißner
Wolfgang Metzger
Jobst-Heinrich Müller
Horst Neumann
Cornelia Noack
Erhard Richter
Prof. Dr. Horst Schneider
Prof. Dr. Rolf Sieber
Joachim Spitzner
Gisela Steineckert
Bruni Steiniger
Dr.-Ing. Peter Tichauer
Marianne Walz
Johann Weber
Prof. Dr. Zbigniew Wiktor (Wroclaw)
Edda Winkel

KÜNSTLERISCHE MITARBEIT:
Dieter Eckhardt, Günter Endlich,
Heinz Herresbach, Klaus Parche,
Heinrich Ruynat, Renatus Schulz,
Gertrud Zucker

VERSAND UND VERTRIEB:
Konstantin Brandt
Glanzstraße 6, 12437 Berlin
Telefon 030/53 02 76 64
vertrieb@rotfuchs.net
oder Sonja Brendel, Tel. 030/512 93 18
Heiner Brendel, Gerald Umlauf,
Hans Ludwig u.v.a.m.

MITGLIEDERFRAGEN:
Karin Dockhorn, Postfach 02 12 19,
10123 Berlin, Tel. 030/241 26 73
WDockhorn@t-online.de

FINANZEN:
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UNSER KONTO:
"RotFuchs"-Förderverein
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Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht immer mit denen der Redaktion übereinstimmen.

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Quelle:
RotFuchs Nr. 211, 17. Jahrgang, August 2015
Redaktion: Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin
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Internet: www.rotfuchs.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2015

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