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ROTFUCHS/156: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 202 - November 2014


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 202, November 2014




Inhalt

  • Helden in weißen Kitteln
  • Ostdeutsche Jugendzeitschrift "Start" am 7.10.1949:
    Haben wir nichts Besseres als Bonn?
  • 16 Jahre DDR, 24 Jahre BRD: Ich bin 40
  • Emigrantin im eigenen Land
  • 9. November 1989: Als Verantwortlicher am Brandenburger Tor
  • Die Bluttat vor dem Springer-Hochhaus
  • Deutsches Kaiserreich war viertgrößte Kolonialmacht
  • Wenn einer des anderen Wolf ist ...
  • Nichts ist praktischer als eine gute Theorie
  • Treuhandnachfolgerin verscherbelt Reformland
  • Als ich Angela Merkel zum Sieg bei der Russisch-Olympiade gratulierte
  • In eigener Sache: Es geht "um die Wurscht"
  • DDR-Wohnungsbauprogramm: Es brannte auf den Nägeln
  • Martin Schwantes - Leben und Tod eines Magdeburger Kommunisten
  • Warum aus Chemnitz Karl-Marx-Stadt wurde
  • BRD-Rechtskenner demontierten Rechtsstaat
  • RF-Extra - Sozialdemokrat Marxscher Schule: Wilhelm Liebknecht
  • RF-Extra - Von Blau- und Gelbkreuz zu Zyklon B
  • Die Schreckensbilanz von Agent Orange
  • Ukraine: Das Damoklesschwert heißt NATO-Anschluß
  • Wie Jelzin den Volkswillen mit Füßen trat
  • Was hätte den Schotten die Abschottung gebracht?
  • Nicaragua baut den Großen Interozeanischen Kanal
  • USA retteten Franco-Faschismus
  • Erich Kuby (1984): Stell dir vor, die Mauer ist weg
  • Gegen Plattheiten über den Plattenbau
  • Willi Bredel und der Schweriner Kulturbund
  • Eberhard Panitz: Büchervernichtung in Grünau
  • BZ diffamierte Dagmar Frederic
  • Abschied von Benno Pludra
  • Nicht alle können zu den Stärksten gehören
  • Der kleine Fuchs und die Ehrenregel
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

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Vom Mauerfall zum Kriegsfall

Vor einigen Monaten bat mich ein Journalist der "New York Times" - des renommierten bürgerlich-liberalen Blattes der Vereinigten Staaten - um ein Interview. Er arbeitete an einem Buch über die "Wende 1989/90" und wollte - außer den ihm hinlänglich bekannten Standpunkten anderer Art - auch die Meinung von Zeitzeugen aus der DDR einholen. Da mir der Berufskollege aus Übersee - ganz im Geiste des stets an Fakten orientiert gewesenen Peter Scholl-Latour - ein sachlicher Mann zu sein schien, stand ich ihm Rede und Antwort. Im Dialog mit US-Journalisten hatte ich ja bereits 1972 in Kalifornien beim Prozeß gegen Angela Davis hinlänglich Erfahrungen sammeln können. Dort war ich monatelang fast der einzige "rote Hecht" im Karpfenteich Hunderter bei Gericht akkreditierter Berichterstatter der inländischen Medien.

Was aber wollte der Besucher aus New York in Erfahrung bringen?

"Warum habt Ihr die Mauer gebaut?", begann er unser Gespräch mit einer Routinefrage.

Bevor ich zur Darlegung meines Standpunktes kam, schlug ich einen Pflock ein: "Die Mauer war das häßlichste und zugleich wichtigste Bauwerk, das die DDR jemals errichtet hat. Sie trug entscheidend dazu bei, daß zwischen 1961 und 1989 in Europa Frieden herrschte." Ich befand mich durchaus in Übereinstimmung mit USA-Präsident John F. Kennedy, der durch die Ereignisse des 13. August nicht in Panik geraten war und nüchtern bemerkt hatte: "Die Mauer ist nicht schön, aber besser als ein Krieg."

Tatsächlich stand unser Kontinent damals am Abgrund eines bewaffneten Konflikts der Staaten beider Weltsysteme, der unweigerlich unter Einsatz von Kernwaffen ausgetragen worden wäre. Bonns seinerzeitiger Kriegsminister Franz-Josef Strauß hat ja in seinen Memoiren festgehalten, er sei vom Pentagon ersucht worden, "für einen nuklearen Erstschlag geeignete sowjetische Objekte auf dem Territorium Ostdeutschlands" auszuwählen.

Der Bau der Berliner Mauer - soviel Unglück sie auch den von Trennung Betroffenen gebracht hat -, war ein Millionen Leben rettender Glücksfall, ihr plötzlicher Abriß bei allen Erleichterungen für die Menschen aber eine historische Katastrophe.

Denn der "antifaschistische Schutzwall", wie das Bauwerk offiziell bezeichnet wurde, hielt nicht nur 16 Millionen DDR-Bürgern für nahezu drei Jahrzehnte die im Westen ansteigende braune Flut vom Leibe, sondern bewahrte - als vorderste Verteidigungslinie der Staaten des Warschauer Vertrages gegen den NATO-Kriegspakt - auch ganz Europa vor den Schrecknissen eines gigantischen Zusammenpralls.

Als die Mauer stand, waren wir nicht nur vor dem heute wieder in ganz Deutschland kassierenden Kapitalistenpack verschont, sondern auch vom Horror des Krieges, mit dem die imperialistische Hauptmacht zuerst Korea und Vietnam, dann aber auch andere Staaten außerhalb Europas überzogen hatte. Nach dem Mauerfall - so die heutige Sprachregelung - gab es auf unserem Kontinent grünes Licht für den Kriegsfall. Hillary Clinton befahl ihrem Mann Bill - dem ihren Weisungen gehorchenden USA-Präsidenten - mit den Worten "Bomb Belgrade!" den Angriff auf Jugoslawien. Auch Maschinen der Bundesluftwaffe attackierten Ziele in dem überfallenen Balkanstaat. Die Brücke von Varvarin wurde zum Symbol des Schreckens.

Doch der Überfall auf Jugoslawien war nur der Auftakt zum großen Morden in Afghanistan und Irak. Inzwischen brennt es an vielen Ecken der Welt lichterloh. Die von Saudi-Arabien und Katar - zwei engen Verbündeten der USA - im Auftrag Washingtons geschaffenen, radikal-islamistischen Mordbanden des IS haben der Obama-Administration und deren NATO-Partnern den Vorwand für ihren als "humanitäre Aktion" getarnten Einfall in das ölreiche Kurdistan geliefert. Mehr als das: Die Rückkehr der US-Streitkräfte nach Irak setzt sich längst in einer weiteren "Anti-IS-Intervention" fort, die in der "Befreiung Syriens vom Assad-Regime" gipfeln soll.

Eine enorme Gefahr, die zu Zeiten des Bestehens der nicht zuletzt von Berlins Mauer beschirmten sozialistischen Staatengemeinschaft undenkbar gewesen wäre, stellt die massive Bedrohung Rußlands durch die Ostexpansion der NATO dar. Die von Washington, Brüssel und Berlin aus gelenkte "Machtergreifung" des mit unmaskierten Faschisten durchsetzten Kiewer Klüngels schockiert die demokratische Weltöffentlichkeit. Besonders apart ist dabei die Tatsache, daß Frau Merkel die Errichtung einer ukrainischen Mauer zu Rußland ebensowenig beanstandet wie Israels Apartheid-Mauer im Westjordanland oder die Mauer der USA zu Mexiko, mit der dem Zustrom Hungernder aus Lateinamerika Einhalt geboten werden soll.

Wenn sich die Menschheit heute wieder - wie vor dem 13. August 1961 - mit einer globalen Kriegsdrohung konfrontiert sieht, dann gibt es dafür nur einen Grund: Das Wegbrechen der sozialistischen Staatengemeinschaft Europas als des Garanten friedlicher Koexistenz. Wir haben immer gesagt: Sozialismus bedeutet Frieden, während Imperialismus ständig neue Aggressionskriege hervorbringt. Die Geschichte hat uns recht gegeben.

Für Frieden und Sozialismus stand die Mauer 28 Jahre lang auf dem Boden Berlins. Sie teilte eine historisch gewachsene Stadt und war durchaus kein Schmuckstück. Es wäre gewiß besser gewesen, hätte es ihrer nicht bedurft. Doch sie nachträglich als Anachronismus zu bezeichnen zeugt von Unkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge. Ihre Errichtung entsprach den Erfordernissen der Zeit. Der Mauerfall hat zum Kriegsfall geführt. Übrigens: Der eingangs erwähnte Interviewer der "New York Times" hat meine Darstellung des Geschehens fair und korrekt in seinen Text aufgenommen.

Klaus Steiniger

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Kubanische Mediziner nahmen in Sierra Leone den Kampf gegen Ebola auf
Helden in weißen Kitteln
von Leticia Martínez Hernández
in "Granma Internacional", Havanna

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Leitartikel der Jugendzeitschrift "Start" vom 7. Oktober 1949
Haben wir nichts Besseres als Bonn? von Rosemarie Knop

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Widersprüchliche Erfahrungen aus 16 Jahren DDR und 24 Jahren BRD

Ich bin 40 geworden

Als ich im Sommer 40 wurde, war ich überrascht, wie schnell gerade die letzte Dekade an mir vorübergeflogen ist. Vier Jahrzehnte sind nicht mehr als ein Wimpernschlag der Geschichte. Und doch kann sich in ihnen Großes ereignen. 40 Jahre - das war die Zeitspanne, welche der DDR als erstem Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden zugestanden wurde. Der Aufbau einer solidarisch geprägten sozialistischen Gesellschaftsordnung wurde im Herbst 1989 jäh beendet. Kein geringer Teil der DDR-Bürger zog diesem Land eine Handvoll Bananen und scheinbar grenzenlose Reisefreiheit vor. Eine solche Massenreaktion hatte ich von gut ausgebildeten Menschen nicht erwartet.

Die kapitalistische BRD nutzte die Chance. Sie konnte ihren Macht- und Einflußbereich ohne Einsatz militärischer Mittel erweitern und sich im Osten einen verlängerten Warentisch für Gebrauchtwagen, angehäufte Klamotten und Technikprodukte schaffen. Wie von der Tarantel gestochen erstanden manche dort alles, was ihnen gerade unter die Finger kam. Dabei merkten sie gar nicht, daß sie sich an so manchen Schaufenstern auch nur die Nasen plattdrücken konnten, weil ihnen das notwendige Kleingeld fehlte.

Ich möchte meine ersten 16 Lebensjahre in der DDR nicht missen - eine Zeit, die nicht wie jetzt vom Geldbesitz geprägt war. Ich danke dem untergegangenen Land für sein Top-Bildungssystem, dessen Vorzüge ich voll und ganz genießen durfte. Im Sommer 1993 gehörte ich zum letzten Jahrgang, der nach DDR-Vorgaben das Abitur ablegte. Ich danke meinem Geburtsland, daß es uns Arbeits- und Obdachlosigkeit vorenthielt und statt dessen soziale Sicherheit garantierte. Niemand mußte Hunger leiden oder frieren, das Leben fühlte sich für mich unbeschwert an. Und ich denke an den hohen Grad des Mitspracherechts in Schulen und Betrieben. Dieser Staat war wie seine Bruderländer ein Garant für den Frieden in Europa und darüber hinaus. Die kapitalistische Welt konnte 40 Jahre lang durch das Kräftegleichgewicht im Zaum gehalten werden.

Bis 1989 waren beide deutsche Staaten durch die Mauer getrennt, die ich damals - und ich stehe heute noch dazu - keinen Augenblick in Frage gestellt habe. Ob die Durchlässigkeit dieses Bauwerks, insbesondere von Ost nach West, nicht im Laufe der Zeit hätte erhöht werden sollen, steht auf einem anderen Blatt.

Mit meiner Ansicht befand ich mich in illustrer Gesellschaft. Noch im Juli 1989 erklärte der damalige Berliner DBD-Bezirksvorsitzende Ulrich Junghanns: "Was die Mauer betrifft, so lassen wir uns nicht deren Schutzfunktion ausreden - ganz einfach, weil wir den Schutz spüren vor all dem, was hinter der Mauer an brauner Pest wuchert." Es dauerte gar nicht lange, und dieser wendige Mann war CDU-Wirtschaftsminister in Brandenburg.

Nachdem wir im August 1989 vom Ostseeurlaub zurückgekehrt waren, begann für mich bald das neue Schuljahr. Die Ausreise- und Fluchtwelle von DDR-Bürgern hatte zu diesem Zeitpunkt dramatische Ausmaße angenommen, die Westmedien heizten sie an. Von Partei oder Jugendverband war an der Basis fast nichts mehr zu spüren. Alle starrten nur noch wie das Kaninchen auf die Schlange.

Damals war an den Mauerfall noch nicht zu denken. Doch irgendwann trat ich als stellvertretender FDJ-Sekretär der Schule zurück, weil ich mich von den selbsternannten "Revolutionären" nicht stürzen lassen wollte. Wie gern wüßte ich, was aus ihnen geworden ist. Doch sie erscheinen nicht mehr zu unseren Klassentreffen. Ein rundes Jahr später sollte mir das neugeschaffene Amt des Klassensprechers anvertraut werden. Doch als verkündet wurde, ich hätte die Mehrheit der Stimmen erhalten, nahm ich die Wahl nicht an. Ich konnte mir eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der inzwischen installierten neuen Schulleitung nicht vorstellen. Die BRD war eben nicht mein Land. Und auch heute noch fühle ich mich in ihr als Bürger zweiter Klasse.

Wenn ich nun mit 40 auf mein bisheriges Leben zurückblicke, stelle ich fest, daß ich noch nie in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden habe, sofern ich überhaupt einer Beschäftigung nachgehen durfte. Die traurige Bekanntschaft mit Arbeitslosigkeit und Hartz IV ist auch mir nicht erspart geblieben. In den Ämtern aber saß ich oft genug Leuten mit DDR-Biographie gegenüber, die so redeten, als würden sie mir die größten Wohltaten der "sozialen Marktwirtschaft" anbieten. Fragwürdige Berufsfindungscoachings, sinnlose Bewerbungstrainings, wenig geistreiche Fortbildungen - all das mußte ich über mich ergehen lassen.

Inzwischen hat der Kapitalismus das Tempo weiter angezogen. Wen man auch fragt: Hektik, Streß und daraus resultierende Burnouts sind an der Tagesordnung. Andererseits gibt es auch Leute, die tief entspannt verlauten lassen: Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Es ist doch alles in bester Ordnung.

Unlängst kam ein Bekannter auf mich zu, der eine neue Anstellung sucht, weil er die Zustände in seiner Firma unerträglich findet. Auf seine Bewerbungen hagelte es Absagen, sofern überhaupt eine Reaktion erfolgte. All das gehört zum Freiheitsgeschwätz, das uns ein nicht unbekannter Herr Tag für Tag um die Ohren haut. Der Ex-Pastor würde meinem Bekannten vermutlich raten, es doch mal mit Selbständigkeit zu versuchen. Dabei handelt es sich in der Regel um Luftschlösser: Schließlich können wir uns nicht alle gegenseitig Websites entwickeln, Brötchen backen oder die Haare schneiden. Denn der erfolgreiche Sprung in die vielgepriesene Selbständigkeit gelingt nur wenigen, die meisten geraten dabei endgültig in die Schuldenfalle.

Noch ein Wort zu den freien und geheimen Wahlen, für die sich unsere Protestierer im Herbst 1989 so stark machten. Die jüngsten Landtagswahlen brachten tolle Ergebnisse: Die Wahlbeteiligung betrug 49,2 % in Sachsen, 52,7 % in Thüringen und 47,9 % in Brandenburg. In den gleichgeschalteten Medien der BRD philosophierte man darüber, ob es am Wetter oder am Ende der Schulferien gelegen habe.

Mittlerweile hat auch bei uns die krasseste Dummheit Einzug gehalten: "Also von Politik habe ich gar keine Ahnung. Und was ich wählen soll, das sagt mir mein Mann", erfuhr ich unlängst von einer noch in der DDR geborenen jungen Frau aus meinem Umfeld. Ein Herr aus dem Westen lehnte ein Gespräch mit den Worten ab: "Die ist aus dem Osten. Mit Ossis rede ich nicht." Wer hat nur so viel Dummheit und Haß gezüchtet?

Seit einem knappen Jahr lebe ich in Berlin. Da gibt es viel Glanz und Glamour, aber auch grassierendes Elend von erschreckendem Ausmaß. Das Heer der Bettler und Flaschensammler scheint von Monat zu Monat anzuwachsen. Und auch die Schlangen in den Jobcentern werden trotz optimistischer Prognosen keineswegs kürzer. Dennoch ist Berlin eine pulsierende Metropole, auch wenn im Osten - der einstigen DDR-Hauptstadt - viele bis 1990 produzierende Großbetriebe verschwunden sind.

Alles in allem: Ich fühle mich nicht frei, weil die Existenzangst nach all dem in der BRD Erlebten mein ständiger Begleiter geworden ist. Denn von dem dünnen Seil, auf dem ich heute noch stehe, kann ich jederzeit herunterfallen.

Rico Jalowietzki

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Wie der Verlust der Heimat DDR meine Biographie geprägt hat

Emigrantin im eigenen Land

Die DDR empfand ich immer als meine Heimat. Da war schon in meiner Jugend ein starkes Gefühl von Geborgenheit. Wie ich heute weiß, entstand es aus der Gewißheit: Ich werde meinen Platz im Leben finden.

Im Mai 1953 wurde ich geboren. Ich liebte dieses Land, vor allem Thüringen, weil meine Großeltern dort lebten und sich viele schöne Kindheits- und Jugenderlebnisse einprägten. Dazu gehörten die Wälder, meine Ferienarbeit im LPG-Kuhstall, die Tiere der Großeltern, das Malen-Lernen und die Freiheit, sich ohne Angst auf endlosen Wanderungen in einsamen Wäldern herumzutreiben und in Waldteichen zu schwimmen. Ebenso gern kehrte ich nach Berlin zurück, wo ich aufwuchs und bis 2002 lebte. Das war das Kontrastprogramm - die netten Geschäftsstraßen bei angeblicher Mangelwirtschaft mit Stoffläden und Buchhandlungen, die Kinos um die Ecke, gute Filme, Veranstaltungen im Palast der Republik, Ausstellungen und Theater, die ich mit Schulfreundinnen oder den Eltern besuchte. Meine Familie wohnte in Köpenick, dicht an Seen, Feldern und Wäldern, von denen ich das Gefühl hatte, sie gehörten auch mir. So war es ja auch - Volkseigentum oder Genossenschaften.

Hinzu kam, daß ich gern zur Schule ging, mich mein Studium der Volkswirtschaft brennend interessierte. Zuvor saß ich als Lehrling eines Konfektionsbetriebes in drei Schichten am Band, arbeitete dann als Ökonomin, später als Wirtschaftsjournalistin beim Rundfunk. Es gab bisweilen auch Arbeitsstellen, auf denen ich mich unterfordert fühlte oder langweilte. Das lag nicht an der "SED-Diktatur", sondern eher an persönlichen Eigenschaften von Leitern. Die Praxis war nicht immer so, wie sie theoretisch hätte sein sollen. Da mein Vater stellvertretender Minister war, bekam ich einiges von strategischen Fehlentscheidungen in der Wirtschaft mit.

Doch das Studium des "Kapitals" und anderer Werke der Klassiker hatte großen Einfluß auf mich und meine Weltanschauung.

Die Berufstätigkeit sicherte mein eigenes Einkommen und damit Unabhängigkeit vom Partner. Zumeist war ich alleinerziehend mit meiner Tochter, die geboren wurde, als ich 25 Jahre alt war. Es gab Jahre, in denen ich mit dem Gedanken spielte, nur halbtags zu arbeiten. Aber meine Tätigkeit wäre dann weniger interessant gewesen. Und es gab ja die Großeltern, die einsprangen.

Der Alltag war manchmal hart, ich kam abgespannt nach Hause. Aber ich wusch und bügelte niemals meine große Wäsche, das Dienstleistungskombinat war um die Ecke, ebenso Kindergarten und Schule, Poliklinik, Post, Kaufhalle, das Studio "Bildende Kunst" mit meinem Zeichenzirkel, Kinos. Ich schaffte es immer, an den Wochenenden mit meiner Tochter etwas Kindgemäßes zu unternehmen, schwimmen oder wandern oder in die Pilze zu gehen, zu malen und was Gutes zu kochen. Ich hatte viel innere Ruhe für meine Interessen. Welche Alleinerziehende kann heute zweimal im Jahr mit ihrem Kind in Urlaub fahren? Es gab für mich keine Sorgen, die gesellschaftlich bedingt gewesen wären.

Nach der "Wende" wurde ich bald arbeitslos. So geriet ich in den für Millionen frühere DDR-Bürger üblichen Teufelskreis zwischen unzähligen berufsfremden Bewerbungen, miesen Umschulungen und sinnfreien ABM-Stellen, die mit Hilfe der Arbeitsämter nur dem "Träger" Profit brachten.

Lange war mir nicht klar, daß ich mit 38 bereits das "Verfallsdatum" einer Frau im Kapitalismus erreicht hatte. Ich erfuhr den schlimmsten Verlust eines sinnerfüllten Lebens schon in jungen Jahren. Die extreme psychische Belastung der Langzeitarbeitslosen wird gesellschaftlich kaum zur Kenntnis genommen. Statt nützlicher Arbeit und Solidarität lernte ich soziale Isolierung kennen.

Die transparenten, von Humanismus geprägten Gesetze der DDR wichen einer "Sozial"gesetzgebung, die der Willkür der Beamten in den "Job"-Centern und sonstigen "sozialen" Ämtern Tür und Tor öffnet. Arbeitslose dürfen keine anerkannten Abschlüsse an staatlichen Hoch- oder Fachschulen anstreben, sonst entfällt die Unterstützung. Arbeitsämter erlauben "Ortsabwesenheit" oder auch nicht, sie bestimmen Wohnungsgrößen, legen möglichst viele Steine in den Weg. Nur eins haben sie in über 20 Jahren nie getan: mir eine Arbeit anzubieten.

Erstaunlich, wie anpassungsfähig viele gewendete DDR-Bürger in den Ämtern waren. "Wir setzen nur um!" beschied mir unsere neue "Sozial"amtschefin im Landratsamt Seelow, als ich mich 2013 über die drei Jahre zuvor erfolgte Kürzung der Unterkunftszuschüsse für Hartz-IV- und Wohngeldempfänger beschwerte.

Hinzu kam der Verlust der Heimat DDR. Besonders in den ersten Jahren nach dem Anschluß kam ich mir wie eine Emigrantin im eigenen Land vor. Auch jetzt fühle ich mich nur noch in meiner Wohnung, die mir zugleich als Atelier dient, und meinem kleinen Garten zu Hause.

Der Adel hat "seine" Felder, Wälder, Seen und Herrensitze "zurückbekommen", die LPGs sind aufgelöst, statt florierender Landwirtschaft Monokultur, Umweltzerstörung, Artensterben, Armut, wenige Reiche, kaum Kinder, keine Jugend, nur eine Handvoll Ärzte, kein Kino, keine Dorfläden.

Meine Tochter, heute 35, hatte mehr Glück. Sie arbeitet als Soziologin und Erzieherin in einem Berliner Kinderheim.

Die "Demokratie" der BRD spülte eine sich selbst bereichernde, über dem Volk stehende inkompetente Politikerkaste nach oben - überdies auch noch mit Kriegstreibern an der Spitze. Im Vergleich mit ihr war unser doch recht bemoostes Politbüro geradezu eine Ausgeburt an Kompetenz. Vor allem aber ging es in der DDR - bei all ihren Defiziten - um ein besseres Leben und den Frieden. Sie vermittelte humanistische Werte und eine wissenschaftliche Weltanschauung. Wir haben sie leider nicht lebendig und überzeugend genug verbreitet. Für die nach uns Gekommenen ist und wird es schwerer, sich marxistische Kenntnisse anzueignen.

Ich gehöre in der Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde - der GBM - zu einem Arbeitskreis, der sich auf die Bewahrung von DDR-Kunst konzentriert. Das ist ein Betätigungsfeld, an dem ich Freude habe. Der Zusammenbruch der sozialistischen Länder Europas hat uns auf dem Weg zu einer menschenwürdigen Gesellschaft mindestens um Jahrzehnte zurückgeworfen. Doch wir haben wenigstens erfahren, daß es sie geben kann.

Martina Dost, Görlsdorf

Die Langfassung dieses Artikels erschien in der Zeitschrift "Theorie und Praxis", Sept. 2014
http://theoriepraxis.wordpress.com/2014/10/11/ddr-meine-heimat/

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Die DDR-Grenzsoldaten behielten am 9. November 1989 einen kühlen Kopf

Als Verantwortlicher am Brandenburger Tor

Auch 25 Jahre nach dem verheerenden und folgenreichen Abend des 9. November 1989 haften im Gedächtnis direkt Beteiligter ungute Gefühle im Verhältnis zur militärischen und politischen Führung der DDR in dieser konkreten Situation, doch auch zur eigenen Verantwortung gegenüber der Truppe und zur Sicherung der Staatsgrenze.

Am Abend des 9. November erlebten ich und meine Genossen einen ernsten Vertrauensbruch. Sonst hatte es in komplizierten Situationen stets Vorbefehle gegeben, die es uns ermöglichten, für die nächsten Stunden oder den nachfolgenden Tag Entscheidungen zu treffen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. All das war nun nicht möglich. Aus diesem Grunde fühlten wir uns im Stich gelassen, was auch beim Kommandeur des Grenzkommandos Mitte (GKM) eine gewisse Resignation aufkommen ließ. Es gab Zweifel, sowohl an den militärischen Vorgesetzten als auch am Politbüro der SED.

Erst in den frühen Morgenstunden des 10. November erteilte Generalmajor Wöllner einen Befehl zur Stabilisierung der Truppenführung. Unsere Gefühle im Angesicht der Hunderte, bald aber schon Tausende und aber Tausende, die - oftmals mit der Sektflasche in der Hand - ihre Inbesitznahme der Mauer sowie des Innenraums am Brandenburger Tor bejubelten, sind auch heute noch schwer zu beschreiben. Wenn man 20 Jahre in Berlin Grenzer war und seine Aufgaben treu erfüllt hatte, konnte man das Geschehen einfach nicht begreifen. Man brauchte Stunden, um die Fassung wiederzuerlangen. Voller Zorn und Machtlosigkeit, aber bei voller Selbstbeherrschung, spürte man, wie ein Lebensabschnitt zu Ende ging. Auf den ersten Schrecken folgte jedoch die Überlegung, daß man froh darüber sein konnte, wie verantwortungsbewußt sich die Angehörigen der DDR-Grenztruppen - von den ranghöchsten Kommandeuren bis zu den Soldaten, den Paßkontrolleuren der Volkspolizei und den an unserer Seite tätigen Angehörigen des Zolls wie der Kampfgruppen, aber auch die meisten jener, welche die Grenzöffnung nutzten - in dieser zugespitzten Situation verhielten. Es kam bei uns zu keinen unbedachten Handlungen, keiner Gewaltanwendung und vor allem keinem Schußwaffeneinsatz. Es gab weder Verletzte noch Tote. Der ganze Prozeß verlief in friedlichen Bahnen.

Dennoch bleiben für mich als ehemaligen Stellvertreter des Kommandeurs des GKM für Grenzsicherung bis heute noch einige Fragen offen: Warum gab es keine Vorbefehle? Weshalb fehlten klare Weisungen nach Eintritt der Lage am 9. November gegen Mitternacht? Warum unterblieb ein öffentliches Auftreten verantwortlicher Führungskräfte des Ministeriums oder des Kommandos der GT an den Brennpunkten der Grenzabschnitte? Warum fehlte es an Hilfe vor Ort?

Als Führungsverantwortlicher am Brandenburger Tor in den kritischsten 24 Stunden empfand ich das als besonders frustrierend. Alle Entschlüsse und Entscheidungen mußte man selbst treffen und verantworten. Die Frage, die mir auf den Direktleitungen immer wieder gestellt wurde, lautete lediglich: "Was machst Du jetzt, welche Auswirkungen haben erteilte Befehle und Anordnungen?"

Nach wechselvoller Entwicklung der Lage standen mir in den Abendstunden des 10. November und während der darauf folgenden Nacht bis zu 10 Reserveeinheiten mit etwa 800 bis 1200 Mann zur Verfügung. Das war - gemessen an bisherigen Möglichkeiten - eine gewaltige Zahl. Ich unterstreiche noch einmal: Es handelte sich um eine Truppe mit gefestigter Moral, vorbildlicher Disziplin und hohem Verantwortungsbewußtsein.

Während lange Waffen (MPi Kalaschnikow) im Führungspunkt oder auf LKWs gesichert abgelegt worden waren, erwies sich die Unterstellung der Diensthundestaffel des Kommandos der Grenztruppen als wichtige moralische Hilfe.

Was war zu entscheiden?

Noch setzte sich die Inbesitznahme der Mauer und von Teilen des Innenraumes am Brandenburger Tor fort. Ein bevorstehender Durchbruch Tausender aus Richtung Unter den Linden zeichnete sich bereits ab. Doch die von den Demonstranten geforderte Öffnung einer Grenzübergangsstelle an diesem historischen Ort erfolgte nicht. Gewaltlos wurden der Innenraum und die Panzermauer vor dem Tor in der Nacht zum 11. November durch drei Sperrketten - eine auf der Mauer, eine im Innenraum und eine an der hinteren Begrenzung (Unter den Linden) - geräumt. Im Innenraum gab es Unterstützung durch die Diensthundestaffel.

Erstaunlicherweise reagierten die Zehntausende stundenlang mit einem gewissen Verständnis, hatte sich doch der Wunsch vieler, einmal am historischen Brandenburger Tor gewesen zu sein, erfüllt. Selbst die Vertreter der DDR-feindlichen Medien hielten sich vorerst noch zurück. Am Vormittag des 11. November trat dann eine dramatische Verschlechterung der Lage ein. Zu diesem Zeitpunkt gelang es Provokateuren unter Einsatz von Technik aus Westberlin, links vom Tor einen Teil der Mauer herauszubrechen. Es bestand die Gefahr weitergehender Provokationen und erheblicher Gewaltanwendung. Durch den sofortigen Einsatz von Pioniertruppen, welche die Mauerlücke schlossen, konnte jedoch eine Eskalation verhindert werden. Aber auch politische Schritte von Westberliner Seite und diplomatische Aktivitäten trugen zu einer gewissen Entspannung der Situation bei. Hinzu kam die direkte Kontaktaufnahme mit Verantwortlichen der Westberliner Polizeieinheiten, die Schaulustige, Besetzer der Mauer und Provokateure bis zu einer Absperrung auf ihrem Gebiet zurückdrängten. Parallel zu unseren Maßnahmen fand ein Gespräch des Stabschefs des GKM, Oberst Günther Leo, am "Checkpoint Charlie" mit dem Polizeipräsidenten Westberlins, Herrn Schertz, statt.

Angesichts der Tatsache, daß die Medien der BRD ohne Unterlaß, in diesem Monat aber in noch gesteigertem Maße, den niemals erteilten Schießbefehl der "stalinistischen Diktatur" strapazieren, sollte man sich daran erinnern, daß Altbundespräsident Richard von Weizsäcker den DDR-Grenzern für deren Besonnenheit ausdrücklich danken ließ. Trotz der erlittenen schweren Niederlage sind wir stolz auf unser damaliges Handeln, das uns als einen würdigen Teil des Volkes der DDR ausgewiesen hat.

Oberst a. D. Heinz Geschke, Berlin

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Ein Jahr Haft auf Bewährung für den Mord an Unteroffizier Reinhold Huhn

Die Bluttat vor dem Springer-Hochhaus

In der Nähe jenes Ortes, an welchem Unteroffizier Egon Schultz am 5. Oktober 1964 starb, haben professionelle Geschichtsfälscher eine Tafel der "Stiftung Berliner Mauer" mit folgendem Text angebracht: "Im Hof dieses Hauses endete ein von Westberlin aus gegrabener 154 Meter langer Tunnel, durch den 57 Männern, Frauen und Kindern in den Nächten des 3. und 4. Oktober 1964 die Flucht in den Westen gelang. Nach Verrat der Flucht an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR kam es auf dem Hof zu einem Schußwechsel zwischen Grenzsoldaten und Fluchthelfern. Dabei kam der Unteroffizier der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee Egon Schultz ... am 5. Oktober 1964 ums Leben. Egon Schultz wurde in der DDR als Held idealisiert. Die Fluchthelfer galten als Agenten und Mörder. Erst nach dem Fall der Mauer stellte sich heraus, daß die tödlichen Schüsse aus der Waffe eines Kameraden abgegeben wurden. Dieser Sachverhalt war den DDR-Verantwortlichen von Anfang an bekannt", liest man dort.

Wie hat es sich tatsächlich verhalten?

Der Tunnel wurde mit Wissen der französischen Besatzungsmacht, der Westberliner Geheimdienste, der Polizei und weiterer Behörden gebaut. Sie überprüften die "Fluchthelfer", stellten Ausrüstungen wie Schutzmasken zur Verfügung, wußten, daß Waffen benutzt wurden, forderten bestimmte Schleusungen und gaben Geld. Es handelte sich um eine organisierte Provokation. Zuerst drangen Bewaffnete in die DDR ein, die - wie sich zeigte - bereit waren, ohne Zögern zu schießen.

Der Schußwechsel fand zwischen Westberliner "Fluchthelfern" und Grenzsoldaten statt. Die "Fluchthelfer" schossen erwiesenermaßen zuerst. Sie trafen Egon Schultz. Danach wurde das Feuer erwidert, wobei er von einem Schuß seiner Kameraden versehentlich tödlich getroffen wurde.

Ursächlich waren es die Schüsse der "Fluchthelfer", die das Feuergefecht auslösten. Der "Fluchthelfer", der ihn zuerst getroffen hatte, ließ sich auf der Titelseite der Illustrierten "Quick" mit den Worten ablichten: "Ich habe den Vopo erschossen."

Es gab keinen vernünftigen Grund für die "DDR-Verantwortlichen", Tatsachen zu verschleiern.

Eine Bemerkung zum Mord an dem Grenzsoldaten Reinhold Huhn am 18. Juni 1962.

In der Nähe jenes Ortes, an dem Reinhold Huhn ermordet wurde, findet man einen Aufsteller "Geschichtsmeile Berliner Mauer". Dort heißt es in vier Sprachen: "In der Zimmerstraße 1, 2, 4 wurde im Sommer 1962 von einem unbebauten Grundstück unter der Mauer hindurch ein Tunnel zum Ostberliner Haus Nr. 56 gegraben. Ein aus der DDR geflüchteter Mann wollte seine Familie in den Westen holen." Auf dem Weg zum Tunneleingang hielt der 20jährige Unteroffizier Reinhold Huhn die Flüchtlinge an. Von Schüssen tödlich getroffen, brach er unmittelbar darauf zusammen. Die Flüchtlinge gelangten durch den Tunnel nach Westberlin.

Im folgenden Ermittlungsverfahren, das 1962 in Westberlin eingeleitet wurde, behauptete der Fluchthelfer, die Grenzposten hätten das Feuer eröffnet und ihren Kameraden getroffen. In einem zweiten Verfahren gab der Täter 1998 zu, geschossen zu haben, um sich und seine Familie zu schützen. Der Bundesgerichtshof verurteilte den "Fluchthelfer" im Sommer 2000 in letzter Instanz wegen Mordes zu einem Jahr auf Bewährung. (!)

Zum Sachverhalt: Es handelte sich nicht um ein unbebautes Grundstück, sondern um eine Baustelle auf dem Gelände des Springer-Konzerns. Dessen Chef wußte von dem Tunnelbau. Der aus der DDR "geflüchtete Mann" kroch mit zwei gleichfalls Bewaffneten durch die Röhre in die DDR.

"Der Spiegel" (Nr. 27/1962) hielt sich nicht an die festgelegte Sprachregelung und berichtete: "Der Westberliner Senat, gedeckt durch die für diesen Teil der Sektorengrenze zuständigen amerikanischen Behörden in Berlin, verbreitete amtlich die These vom Vopo-Mord am Vopo: Müller, von dem Grenzpolizei-Gefreiten gestellt und um seinen Ausweis gebeten, habe Reinhold Huhn 'einen solchen Uppercut versetzt, daß der Grenzpolizist zu Boden ging'. (Senatspressechef Egon Bahr). Huhn habe aufstehen wollen, um den flüchtenden Müller zu verfolgen, sei aber von den eigenen Kameraden niedergestreckt worden, die Müller durch Schüsse an der Flucht zu hindern suchten.

Nachdem Müller mit seiner Familie der Röhre entwichen, im sicheren Port des Springerhauses und von "Bild"-Burnitz mit einigen Gläsern Whisky willkommen geheißen worden war, antwortete er auf die Fangfrage einiger Westberliner Journalisten, wie oft er habe abdrücken müssen, bis Huhn am Boden lag: 'Einmal, der Mann fiel sofort um.' In der ... Feuilleton-Redaktion wurde Müller später polizeilich vernommen. Dennoch meldete 'Bild' anderentags ... auf der ersten Seite: 'Vopo von Vopo erschossen'". Soweit der "Spiegel".

A.C. Springer war über den Tunnelbau genauso informiert wie die US-Besatzungstruppen, die Polizei und der Verfassungsschutz. Sie alle wußten, daß die Tunnelbauer bewaffnet waren und so in die DDR eindringen würden Es war also keine Privatangelegenheit. Neben Müller befanden sich zwei weitere bewaffnete Eindringlinge auf DDR-Territorium. Sie standen im Hauseingang Nr. 56 bereit.

Zwischen M. und dem Grenzposten befand sich Stacheldraht. Er konnte den Posten also gar nicht niederschlagen, sondern schoß zweimal. Etwa ein Dutzend Polizisten und Zöllner in Westberlin waren ebenso Augenzeugen des Mordes wie Journalisten, Fotoreporter und Fernsehteams. Auch der Innensenator und Egon Bahr befanden sich unmittelbar nach der Tat vor Ort. Der Regierende Bürgermeister war durch sie eingeweiht.

Am 28. Dezember 1962 ordnete der Westberliner Generalstaatsanwalt an: "Kein Verfahren gegen Fluchthelfer. Huhn wurde von Kameraden erschossen."

Das offizielle Westberlin ermöglichte, ja, es forderte sogar die Falschaussage des Mörders!

Übrigens ist dieser Träger des Bundesverdienstkreuzes der BRD!

Am 19. Juni 1961 war in der "Bildzeitung" zu lesen: "Westberliner Polizisten griffen in die Schießerei nicht ein, da keine Möglichkeit bestand, weiteren Personen zur Flucht zu verhelfen."

In den Richtlinien und taktischen Hinweisen des Leiters der Schutzpolizei (Westberlin) für den Dienst an der Sektoren- und Zonengrenze vom 12. Oktober 1961 heißt es u. a.: "Der Gebrauch der Schußwaffe bleibt letztes Mittel. Er ist nur da gerechtfertigt, aber auch erforderlich, wo unmittelbar an der Grenze östliche Sicherheitskräfte unter den Augen der Westberliner Polizei Verbrechen - meist gegen Flüchtlinge - mit der Waffe begehen." (Gemeint ist die Festnahme von Grenzverletzern.) Der Befehl wurde durch die Besatzungstruppen in Westberlin Ende 1962 außer Kraft gesetzt, blieb aber in der Praxis bis 1966 gültig. Es gab also in Westberlin - im Gegensatz zur vielgeschmähten DDR - tatsächlich einen Befehl, auch über die Grenze zu schießen.

Westberliner Medien berichteten: Der Regierende Bürgermeister erklärte am 17. Juni 1962 auf der Kundgebung zum Volksaufstand: "Jeder unserer Polizeibeamten und jeder Berliner soll wissen, daß er den Regierenden Bürgermeister hinter sich hat, wenn er seine Pflicht tut, indem er von seinem Recht auf Notwehr Gebrauch macht und verfolgten Landsleuten den ihnen möglichen Schutz gewährt." Auf diese Äußerung berief sich Müller, um seine Schüsse zu rechtfertigen.

Meine Schilderung ist insofern ein Augenzeugenbericht, als ich mich unmittelbar nach dem Mord am Tatort befand.

Oberstleutnant a. D. Günter Ganßauge, Berlin

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Deutschland war die viertgrößte Kolonialmacht

Am 15. November 1884, dreißig Jahre vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, begann unter dem Vorsitz Otto von Bismarcks die "Kongokonferenz", die bis zum 16. Februar 1885 andauerte. Sie endete mit der Unterzeichnung der "Kongo-Akte" durch Vertreter von 16 Staaten - darunter die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Spanien und das Osmanische Reich.

Anlaß der Konferenz war der Streit um ein riesiges Gebiet im Kongobecken, das Belgiens König Leopold II. an sich gerissen hatte. Es wurde auch von Frankreich und England begehrt. Otto von Bismarck, der lange Zeit einer deutschen Kolonialpolitik skeptisch gegenübergestanden hatte, sollte als "ehrlicher Makler" vermitteln. Die Beratung auf hoher Ebene, die am 15. November 1884 im Reichskanzlerpalais stattfand, war ein bis dahin einmaliger Vorgang: Niemals zuvor hatten sich die Vertreter der meisten europäischen Staaten, der USA und des Osmanischen Reiches versammelt, um einen fremden Kontinent aufzuteilen. Die schnurgeraden Grenzlinien vieler afrikanischer Staaten waren Ergebnisse dieser Konferenz. Sie wurden ihrerseits bis heute zur Ursache von Konflikten und Kriegen.

Unmittelbar vor der Berliner Konferenz begann sich Bismarck in der Kolonialfrage zu korrigieren. Am 19. Mai 1884 erklärte er Territorien in Südwestafrika, die der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz in seinen Besitz gebracht hatte, zum "Schutzgebiet" des Deutschen Reiches. Ein Kriegsschiff sollte diesen Status garantieren. Bismarck wollte mit seiner Formel das Wort Kolonie vermeiden. Allerdings änderte sich das noch zu seiner Amtszeit. Im Auswärtigen Amt richtete man nämlich eine Kolonialabteilung ein.

Der auf Expansion zielende Kurs wurde zu einem wichtigen Impuls für die deutsche Flottenrüstung. Berlins Aktivitäten führten zur Rivalität mit den "alten" Kolonialmächten.

Forscher wie Gustav Nachtigall und Hermann von Wissmann bereiteten die deutsche Afrika-Politik vor, "Kolonialvereine" begleiteten sie. Missionare aus dem Reich gehörten zum Troß der Kolonialkrieger. Man erklärte den Besitz von Kolonien zu einer existentiellen Frage. Heinrich von Treitschke, ein dem Reichstag angehörender reaktionäre Historiker, verkündete 1884: "Für ein Volk, das an einer ständigen Überproduktion leidet und Jahr für Jahr 200.000 seiner Kinder in die Fremde sendet, wird die Kolonisation zur Daseinsfrage."

Die damals proklamierte Losung "Volk ohne Raum" starb indes nicht mit ihrem Urheber.

Mitte der 80er Jahre gelangte auch Bismarck zu der Ansicht, Deutschlands Macht und Größe hingen nicht zuletzt von kolonialen Erwerbungen ab und die diesbezügliche Politik habe großen Einfluß auf den Ausgang von Wahlen.

Als Bismarck 1890 das Staatsruder aus den Händen gab, wehte die schwarz-weiß-rote Flagge über einem Territorium, das weit größer war als das "Mutterland". Das Deutsche Reich nahm den vierten Rang unter den Kolonialmächten ein. Es verfügte über mehr als 14 Millionen "Eingeborene" in seinen Besitzungen.

Nicht zuletzt um diese, um deren Verlust oder Vergrößerung, ging es im Ersten Weltkrieg.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Die Vereinzelung der Arbeiter ist die stärkste Waffe der Unternehmer

Wenn einer des anderen Wolf ist ...

Über die Veröffentlichung der "Taxi-Geschichten" aus meinem Blog habe ich mich sehr gefreut. Ein lustiger Nebeneffekt: Kollegen berichteten mir von Fahrgästen, die mit dem August-"RotFuchs" zum Taxistand kamen und nach dem Verfasser des Artikels fragten. Ergebnis: Die anderen Fahrer wollten daraufhin Kopien des Beitrags haben, die ich ihnen natürlich gerne in die Hand drückte.

Unlängst hatte ich einen E-Mail-Austausch mit einer Freundin. Die dabei erhobenen Einwände widerspiegeln eine Haltung, auf die man bei vielen eigentlich Gutmeinenden stößt. Betroffenheit über die Ausbeuterei im Kapitalismus und echte Solidarität vermischen sich mit einer falschen Sicht auf Defizite, die sich angeblich aus einer unterstellten "DDR-Mentalität" ergeben sollen. Daraus folgt dann die Behauptung, der bewußte Disziplin einfordernde Arbeiter-und-Bauern-Staat sei schuld an einer höheren Bereitschaft der Menschen im Osten, auf Widerstand zu verzichten und sich anzupassen.

Die Freundin schrieb an mich: "Mir scheint, daß die Leute - speziell in den hiesigen Taxiunternehmen - so ausgenutzt werden können, hat auch etwas mit der DDR-Mentalität des unbedingten Gehorsams zu tun. ­... Ich kann diese Resignation verstehen und auch wieder nicht, wenn man sich so sehr ausgenutzt fühlt. Wieso gibt es bei Euch kein Aufbegehren?

Ich antwortete ihr: Die Ausnutzung der Lohnsklaven, speziell im Niedriglohnsektor, hat etwas mit kapitalistischer "Wirtschaftlichkeit" zu tun, nichts aber mit einer imaginären "DDR-Mentalität". Im Westen, aus dem ich ja komme, geht es genauso zu, gerade auch im Taxigewerbe. Die "DDR-Mentalität" ist sogar eher hilfreich, weil man hier immerhin mal erlebt hat, wie es ist, wenn Arbeiter im Rahmen des "Staatssozialismus", der sicher nicht fehlerfrei war, das Sagen haben und jene gesellschaftliche Klasse sind, um die sich alles dreht, nicht aber das menschliche Reichtumsvermehrungsmaterial für die Kapitalistenklasse, das nach Bedarf verwendet oder aussortiert wird.

Im Westen flößte man uns von Beginn an die vergiftete Milch der Marktwirtschaft ein, verbunden mit der stets offen oder unterschwellig vermittelten Botschaft, das sei die natürliche Ordnung der Dinge. So wurde das Bewußtsein der Menschen, speziell das der Lohnabhängigen, vollständig korrumpiert. Man machte sie zu Anhängseln des Ausbeutungssystems, die sich - solange es für sie persönlich einigermaßen läuft - mit Konsumgütern, Urlaubsreisen, Untertanenbespaßung per "Bild" und entsprechendem Fernsehen bestechen lassen und das Maul halten. Oder, wenn sie die Härten des Systems am eigenen Leib zu spüren bekommen, höchstens noch beim kapitalistischen Staat um Milderung ihres Lohnarbeiterdaseins nachsuchen, da sie der Propaganda ihrer Herrschaft glauben, wonach diese Gesellschaft alternativlos sei. Jedenfalls werden sie niemals die Eigentumsfrage stellen, von der alles andere abhängt und die im Sinne der reichen "Eliten", eben der herrschenden Klasse, gelöst ist. Diese verteidigt deren Unveränderbarkeit mit der ganzen Gewalt des bürgerlichen Staates.

Im Taxigewerbe versammeln sich auf der Betreiberseite eher schmalspurig gepolte Menschen im Spektrum zwischen bauernschlauen Kleinunternehmern und fragwürdigen Halbgaunern. Diese Leute stehen untereinander in Konkurrenz, was ja im Kapitalismus für alle Marktteilnehmer gilt. Sie schließen sich notgedrungen zusammen, wenn es ihnen einen Vorteil verschafft, z. B. in einer gemeinsamen Taxifunkzentrale oder, wenn es ihnen an den Geldbeutel geht, auch gegen den Mindestlohn.

Auf Arbeiterseite sieht es leider noch trostloser aus. Und zwar hier wie im Westen! Die Ausnutzung ist nahezu grenzenlos. Das hängt nicht mit irgendeiner Mentalität - sieht man von der Resignation jener ab, welche den Kapitalismus als Naturgesetz hinnehmen - zusammen, sondern mit den Arbeitsmarkt-"Reformen" unter der Schröder-Regierung. Damals wurden alle Schleusen geöffnet und jegliche Mauern geschleift, die noch ein Minimum an Arbeiterrechten beschützt hatten.

Die Kapitalistenklasse erhielt völlig freie Hand zur nahezu schrankenlosen Ausnutzung ihres "Menschenmaterials". Die Formel hierfür war "Fördern und fordern" und die staatliche Ansage, daß die Sozialkassen leer seien - ein anderer Ausdruck dafür, daß den Herrschenden ihre nutz-, weil arbeitslosen Untertanen zu teuer geworden waren. Auch die Taxifahrer sind untereinander Konkurrenten, vielleicht sogar in noch schlimmerem Grade als die Unternehmer. Sogar in ein und derselben Firma treten sie gegeneinander um Umsatz, Schichten und bestimmte Fahrzeuge an. Der Umsatz jedes anderen Fahrers übersetzt sich im beschränkten Gemüt eines marktwirtschaftlich funktionierenden Lohnsklaven als direkte Schmälerung des eigenen Einkommens. Das ist im Kapitalismus ein Glaubenssatz, der hierzulande wie eine Religion eingetrichtert wird. Und im Kontext dieses Wirtschaftssystems ist das ja dann auch, wenn man so will, ein "Sachzwang".

Und es ist gewollt! Das macht die Lohnarbeiter für die Unternehmer zu bequemen menschlichen Hebeln ihrer Einkommensvermehrung, die sich fast rund um die Uhr und für minimalen Lohn einsetzen lassen. In einer Branche wie dem Taxigewerbe, wo man außer einem Führerschein und der Ortskenntnisprüfung keine Qualifikation benötigt, steht tatsächlich ein üppiger Nachschub an armen Schweinen bereit, die sich "für einen Appel und ein Ei" ausnehmen lassen: Langzeitarbeitslose, "Normal-Arbeitslose", alle, die keiner profitablen Verwendung durch einen Kapitalisten zugeführt werden können.

Eine gewerkschaftliche Organisierung der Taxifahrer ist angesichts dieser Entsolidarisierung und Konkurrenz schwer vorstellbar. Es gibt meines Wissens einen Versuch in Berlin, mit einigen wenigen Fahrern ­... Die Vereinzelung ist eine der stärksten Waffen der Unternehmer - wie im sonstigen Arbeitsleben auch.

Kay Strathus, Weimar

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Warum es sich lohnt, die marxistischen Klassiker zu Rate zu ziehen

Nichts ist praktischer als eine gute Theorie

Im Augustheft des RF erschien ein Beitrag unter der Überschrift "Schwarzbrot für Rindermägen". Auch ich möchte dazu meine Meinung sagen.

Der "RotFuchs" stellt sich ja nicht zuletzt die Aufgabe, die theoretische Debatte für einen neuen Anlauf zum Sozialismus zu unterstützen. Sie muß zur Aufarbeitung unserer Geschichte und zur konkreten Analyse der Klassenkampfsituation beitragen und auf Erkenntnissen des von Marx und Engels begründeten, durch Lenin weiterentwickelten wissenschaftlichen Sozialismus beruhen. Diesem Anspruch wird der Beitrag "Schwarzbrot für den Rindermägen" im Augustheft aus meiner Sicht nicht gerecht. Der Autor hat eine Reihe von Einzelaspekten und Einzeltatsachen dargestellt und kritisiert.

Schließlich kommt er zu dem Schluß: Die von ihm für notwendig gehaltenen Änderungen der ökonomischen Politik der DDR seien unterblieben, weil die Führung befürchtete, "daß dabei Probleme auftreten würden, die zeitweilig zu Spannungen führen könnten", zumal die westlichen Medien daraus einen Propagandaschlager ersten Ranges gemacht hätten.

Ich kenne aus meiner praktischen Arbeit in der LPG die vom Autor angeführten Fakten, komme aber zu anderen Ergebnissen.

Die Preispolitik der DDR war ein Teil ihrer Planwirtschaft. Ihr lag ein strategisches, theoretisches Konzept zugrunde. Friedrich Engels schreibt dazu: "Die ökonomischen Verhältnisse einer gegebenen Gesellschaft stellen sich zunächst dar als Interessen." (MEW, Bd. 18, S. 274).

Preise sollten im Sozialismus drei Funktionen erfüllen:

• Eine Bewertungsfunktion: Die Betriebe sollten mit den Einkaufspreisen und den Kostenrechnungsprinzipien den Aufwand für ihre wirtschaftliche Tätigkeit bestimmen und auf dessen Senkung Einfluß nehmen.

• Eine Stimulierungsfunktion: Durch die Gegenüberstellung von Erlösen aus den Erzeugerpreisen und den Produktionskosten ergab sich der betriebliche Gewinn. Da vielfältige Regelungen für die Werktätigen mit dem Gewinn verbunden waren - nicht zuletzt die Jahresprämien - wurden sie motiviert, einen möglichst großen Beitrag für einen hohen Betriebsgewinn zu erbringen.

• Eine Umverteilungsfunktion: Die Differenz zwischen den Erzeugerpreisen und den Verbraucherpreisen wurde über den Staatshaushalt verrechnet. Diese Umverteilungsfunktion war eines der Instrumente, um die sozialistischen gesellschaftlichen Interessen mit den persönlichen Interessen (außerhalb der Produktionssphäre) in Übereinstimmung zu bringen. Dabei hatte die "zweite Lohntüte" des DDR-Bürgers eine wichtige Funktion bei der Herausbildung einer sozialistischen Bedürfnisstruktur. Es war z. B. zu entscheiden, was ein Auto, eine Theaterkarte oder das Studium kosten sollten. Es galt den Grundsatz zu verwirklichen: Die Übereinstimmung von persönlichen und gesellschaftlichen Interessen sind die Haupttriebkraft beim Aufbau des Sozialismus.

Ich selbst könnte tausend Beispiele aufzählen, wie die Einheit der Preise in der Praxis auf Schwierigkeiten stieß. Dabei war noch gar nicht von Delikat-, Exquisit- und Intershopläden die Rede. Jeder kennt auch Geschichten von Korruption, Unterschlagung und "blauen Fliesen".

Doch was ergibt sich daraus?

• Die sogenannte 'sozialistische Gesellschaft' ist nach meiner Ansicht nicht ein ein für allemal fertiges Ding, sondern, wie alle andern Gesellschaftszustände, als in fortwährender Verändrung und Umbildung begriffen zu fassen." (Friedrich Engels in MEW, Bd. 37, S. 447) Die "Übergangsetappen zur kommunistischen Gesellschaft ... das ist der schwierigste Stoff, den es gibt, weil die Bedingungen sich in einem fort ändern." (MEW, Bd. 38, S. 128)

• Konkrete Fakten können deshalb nur dann richtig interpretiert werden, wenn sie in den historischen Prozeß mit all seinen konkreten Bedingungen, Windungen, Zufälligkeiten, dem Entwicklungsstand des Bewußtseins der Massen und ihrer politischen Führer eingeordnet werden. Denn es gilt: "Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird). Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt." (MEW, Bd. 3, S. 35)

In der Landwirtschaft läßt sich das an der Entwicklung der staatlichen Aufkaufpreise für die "Pflichtablieferung", die "freien Spitzen" bis hin zu den Preisen zwischen den landwirtschaftlichen Kooperationspartnern und der Verarbeitungsindustrie anschaulich zeigen. Beim theoretischen Herangehen an das Preisproblem ist außerdem zu beachten: "Der Wert (der seinen Ausdruck im Preis findet - d. Autor) ist ein Verhältnis zwischen Personen, ... ein unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis. Nur vom Standpunkt des Systems der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation, ... kann man begreifen, was der Wert ist", stellte Lenin fest. (LW, Bd. 21, S. 49)

Unbestritten: Das Preissystem der DDR war unvollkommen, und die beabsichtigten Wirkungen wurden nicht immer erreicht. Es entsprach einem konkreten Entwicklungsstand der "historischen Gesellschaftsformation". Notwendig ist, diesen Entwicklungsstand genau im Blick zu haben und zu überlegen, in welcher Richtung sich die sozialistischen Produktionsverhältnisse entwickeln und wie deshalb das Preissystem vervollkommnet werden muß.

Häufig gibt es Streit über das Tempo gesellschaftlicher Veränderungen. Dem einen geht es zu langsam, dem anderen zu schnell. Von Zu-früh- und Zu-spät-Kommen ist die Rede. Doch "auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist ...; kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern." (MEW, Bd. 23, S. 15/16)

Eine Debatte über das Preissystem sollte auch Überlegungen einschließen, wie die im Kapitalismus deformierten Konsumentenbedürfnisse zu verändern sind, damit alle Menschen sich verwirklichen können, die Erde aber noch bewohnbar bleibt.

Bei Debatten über ökonomische Probleme besteht die Gefahr, "ökonomistisch" vorzugehen - gesellschaftliche Probleme mit betriebswirtschaftlichen Augen zu betrachten. "Die politische Ökonomie befaßt sich keineswegs mit der 'Produktion', sondern mit den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in der Produktion, mit der gesellschaftlichen Struktur der Produktion." (LW, Bd. 3, S. 51). Die Quintessenz dieser Überlegungen lautet: "Die historische Theorie von Marx ist nach meiner Meinung die Grundbedingung jeder zusammenhängenden und konsequenten revolutionären Taktik; um diese Taktik zu finden, braucht man nur die Theorie auf die ökonomischen und politischen Verhältnisse des betreffenden Landes anzuwenden."(MEW, Bd. 36, S. 304) Oder wie Lenin es formuliert: "Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben." (LW, Bd. 5, S. 379)

Außerdem gilt: "Die Theorie wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist ... Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen." (MEW, Bd. 1, S. 386) Ausgerüstet mit einer fundierten marxistisch-leninistischen Theorie muß eine massenverbundene Arbeiterpartei die Hand am Puls der Gesellschaft haben, um jenes Hauptkettenglied zu bestimmen, das es zu ergreifen gilt, um das alte System aus den Angeln zu heben und im Sozialismus/Kommunismus die nächste Entwicklungsetappe einzuleiten.

Prof. Dr. Wolfram Triller, Dresden

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Treuhandnachfolgerin will 250.000 Hektar Bodenreformflächen verscherbeln

Ein fetter Brocken

Im Osten Deutschlands gibt es noch eine lukrative Möglichkeit, sehr viel Geld zu machen und etliche Millionen Euro in die Kassen des Herrn Schäuble zu spülen. Um was geht es? Der fette Brocken besteht aus 250.000 Hektar Ackerland, Wiesen und Forsten. Dabei handelt es sich um aus der demokratischen Bodenreform stammendes einstiges Feudaleigentum sowie um Forsten, die schon vor 1945 dem Staat gehörten.

Diese Flächen befinden sich derzeit "in der Obhut" der bundeseigenen Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) - einer Nachfolgeeinrichtung der berüchtigten Treuhand.

Die seinerzeitigen Verfasser des Gesetzes über die Tätigkeit der Treuhand - einer das DDR-Volksvermögen verschleudernden und verscherbelnden Institution - haben diese raffinierterweise damit beauftragt, jetzt auch noch den mächtigen Eigentumskoloß zu veräußern.

Was aber würde es bedeuten, wenn man tatsächlich zum Verkauf schritte? Nur zahlungskräftige Privatleute, vor allem aber Kapitalgesellschaften wie die KTG-Gruppe mit ihren rund 32.000 zusammengerafften Hektar könnten überhaupt Land erwerben. Denn buchstäblich über Nacht ist der Boden in den annektierten "neuen Bundesländern" enorm teuer geworden. Mancherorts werden bereits 15.400 Euro je Hektar und sogar noch mehr gezahlt.

Hohe Bodenpreise regen überdies zum Verkauf bäuerlicher Eigentumsländereien an. Unterstellen wir folgenden Fall: Ein ehemaliges LPG-Mitglied hat nach der gesellschaftlichen Rückwärtswende seine sechs Hektar einstigen Bodenreformlandes einer neuen Genossenschaft - oftmals der LPG-Nachfolgerin - verpachtet. Nun bietet man ihm, sagen wir mal, 12.000 Euro je Hektar an. Da kann derjenige, den es betrifft, schon mal weich werden und die stattliche Summe einsacken. Wenn so ein Beispiel aber Schule macht, besonders in Gebieten mit guten Böden, dürfte das einer heute florierenden Agrargenossenschaft im Sinne des bürgerlichen Rechts echte Probleme bereiten.

Andererseits haben manche von ihnen selbst Land von der "treuhandlichen" BVVG gepachtet. Die Laufzeit der Verträge beträgt in der Regel 10 bis 12 Jahre. Werden diese Flächen gleichfalls verkauft, dann könnten sich die Probleme potenzieren. Auch wenn der Betrieb genügend Kapital für einen Landzukauf besitzt, steht keineswegs fest, ob ihn die BVVG als Käufer auswählt. Sind nämlich noch höhere Angebote da, dann gehen die Flächen an deren Bieter. So ist das nun einmal im Kapitalismus.

Auf jeden Fall dürfte eine nicht geringe Zahl von Betrieben - effektiv wirtschaftende große Genossenschaften - in arge Schwierigkeiten geraten. Es müßten Bodenareale verändert und Einschnitte in die Fruchtfolgen vorgenommen werden. Vor allem aber steht die bange Frage: Reicht das Eigenkapital, um das Land zu kaufen. Ob privat wirtschaftende Bauern die geforderten Summen aufbringen, 50 oder mehr Hektar Land zusätzlich zu erwerben, steht in den Sternen. Das Streben geht dahin, effektive Betriebsgrößen zu erreichen, was heutzutage wenigstens 150 bis 250 Hektar bedeutet. Besser wären allerdings 450 ha. Das sind Größenordnungen, die früher nur Gutsbesitzer ihr eigen nannten. Doch darunter lohnt es sich nicht, im Kapitalismus erfolgreich zu wirtschaften.

Ich meine hier natürlich nicht die "Nischenproduzenten" - die Erzeuger von Ziegen- oder Schafskäse - oder jene, die wie früher auf zwei Hektar Land mit Pferd und Einscharpflug werkeln. Doch so kann man natürlich kein Volk ernähren. Überdies haben die bäuerlichen Familienbetriebe oftmals das Problem des männlichen Erben, der im Todesfalle des Hofbesitzers den Betrieb übernimmt und weiter bewirtschaftet.

In Anbetracht der Gefahren für Teile der Landwirtschaft, die - wie erwähnt - daraus erwachsen, daß die BVVG die Flächen verkauft, setzt sich die Partei Die Linke für eine langfristige Verpachtung ein. Dieser Gedanke dürfte im Bundestag keine Mehrheit finden. Die tonangebenden Parteien stehen auf Verkauf, wobei sie natürlich niemand anderen als Kapitalkräfte unter den Käufern sehen möchten. So wechseln Territorien aus der ungeliebten staatlichen Verwaltung in Privathand. Der Staat beschränkt sich auf das Kassieren von Steuern und Pachten.

Daß es auch ganz anders gehen kann, hat sich ja in der DDR gezeigt. Der genossenschaftliche Weg unter sozialistischen Bedingungen war und ist für die Bauern der beste. Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR schufen in den Dörfern eine breite Palette von Einrichtungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Nur einige seien hier erwähnt: Betriebskantinen mit Küchen; Krippen und Kindergärten; Sportanlagen; Kulturhäuser oder andere Einrichtungen dieser Art; neue Straßen; Waldstreifen; garantierte Ferienplätze im eigenen Land und im sozialistischen Ausland; genossenschaftliche Wohnungen. Auch der sozialistische Wettbewerb verhieß den Beteiligten materielle Vorteile.

Doch nun ist das Jammern allenthalben groß, weil die Dörfer immer mehr veröden. Die jungen Leute sind überwiegend weggezogen, und mit ein paar bäuerlichen Familienbetrieben ist das Problem nicht zu lösen. Harte körperliche Arbeit, wenig Freizeit, kaum Urlaub - das findet die Jugend keineswegs attraktiv. Ihr hatten es die großen spezialisierten Pflanzenbau- und Tierproduktionsbetriebe der DDR mit ihrer modernen Technik angetan. Damals fehlte es in den Dörfern nicht an Einwohnern. Viele junge Familien bezogen genossenschaftseigene Häuser. Die eigentlichen Verlierer des vor 25 Jahren eingeleiteten Prozesses zur Zerstörung der DDR waren daher vor allem Jüngere, die in den verbleibenden Betrieben kaum noch Arbeit fanden und deshalb nach dem Westen abwanderten.

Wenn ostdeutsche Landwirte und vor allem die als Wiedereinrichter bezeichneten neuen Privatbauern damals geglaubt hatten, sie könnten nun mit der Produktion nach Leibeskräften loslegen, dann hatten sie sich in den Finger geschnitten. Für Hauptprodukte wie Milch, Fleisch und Zuckerrüben gab es sofort eine "Quotenregelung". Demgegenüber konnte die Landwirtschaft in der DDR produzieren, soviel sie wollte. Nun aber bestimmen Brüssel, "der Markt" und sich ständig ändernde Preise das Geschäft.

Eberhard Herr

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Trauer um Hans Lebrecht

Der in Deutschland geborene kommunistische Journalist - er gehörte zeitweilig dem ZK der KP Israels an und war einige Jahre Sekretär ihrer Knesseth-Fraktion - ist im hohen Alter von 99 Jahren verstorben. Als Korrespondent linker Zeitungen des Auslands, darunter der "Humanité", des alten ND, der "jungen Welt" und der UZ hat sich der liebenswerte Mensch und gebildete Marxist große Verdienste erworben.

Der "RotFuchs" trauert mit seinen Angehörigen, Genossen und Freunden - darunter besonders auch seiner Schwägerin Esther Bejarano.

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Als ich Angela Merkel zum Sieg bei der Russisch-Olympiade gratulierte

Herbst 2014. Noch immer ist die DDR in allen Köpfen, auch wenn die Meinungen über sie scharf kontrastieren: Die einen halten sie unbeirrt in Ehren, die anderen verteufeln sie nach allen Regeln der "Kunst". Die vor 25 Jahren durch Untergrabung, Preisgabe und Zerschlagung der DDR größer gewordene BRD - inzwischen wieder der stärkste imperialistische Staat in Europa - feiert einmal mehr den Mauerfall. Negierung und Verleumdung treiben neue Blüten. Die Medien schildern ihren Lesern, Hörern und Zuschauern genüßlich, was sich damals abgespielt haben soll.

In Leipzig und dann auch anderswo demonstrierte man für "Deutschland, einig Vaterland" und ließ keinen guten Faden an der DDR. Man zerrte sie gewissermaßen auf den Seziertisch. Als Mitgestalter und Zeitzeugen wissen wir genau, worin die eigenen Schwächen bestanden. Doch zugleich halten wir dem sozialistischen deutschen Friedensstaat lebenslang die Treue. Als Deutsche fühlen wir uns dazu verpflichtet, den Krieg zu verdammen und den Frieden zu verteidigen, wie es die DDR zeit ihres Bestehens getan hat. Die heutige Rolle der BRD auf dem eigenen Kontinent und in der Welt ist schockierend. Ihre Beteiligung an neuen imperialistischen Untaten entlarvt ihre Friedens- und Freiheitsheuchelei.

In letzter Zeit offenbart sich die abgrundtiefe Feindschaft von Merkel & Co. zu Rußland. Dabei ignoriert Berlin bewußt die Tatsache, daß die Rote Armee, der mehrheitlich Russen angehörten, die Hauptkraft beim Sieg über den Hitlerfaschismus darstellte. Sie war und bleibt unsere Befreierin. Deshalb bildete die deutsch-sowjetische Freundschaft auch das solide Fundament für die gesamte Entwicklung der DDR.

Beherzte Kommunisten und Sozialdemokraten, die sich im Osten Deutschlands zur SED vereint hatten, aber auch Angehörige der CDU und der LDP und viele andere gründeten am 7. Oktober 1949 die DDR. Das war ein Wendepunkt in der Geschichte Europas, denn ihr Leitgedanke lautete: "Nie wieder Krieg!"

Die junge Republik konnte sich ihre Bürger nicht aussuchen. Sie alle mußten gemeinsam dafür sorgen, daß sich das Unheil der Vergangenheit nicht wiederholen konnte.

In der Fachschulklasse, die ich damals besuchte, befanden sich 20- bis 25jährige, die staatlich geprüfte Landwirte werden wollten. Sie unterschieden sich - wie überall - deutlich in Herkunft und politischer Haltung. Es gab leidenschaftliche Optimisten, aber auch solche, welche die Niederlage des faschistischen Deutschland nicht verwinden konnten. Sie haßten "die Russen" und schielten nach dem Westen.

Der Aufbau der DDR begann auf einer schwachen materiellen Basis. Hinzu kam die Nachbarschaft imperialistischer Staaten, vor allem der mit den USA verbundenen BRD. Die UdSSR vermochte die enormen Kriegsschäden nicht aus eigener Kraft zu bewältigen und forderte berechtigterweise Reparationen in erheblichem Umfang. SBZ und DDR erbrachten sie für ganz Deutschland.

In diesem fragilen Nachkriegsklima konnte unter Führung der Partei der Arbeiterklasse Schritt für Schritt ein qualitativ völlig neuer Staat aufgebaut werden. War sie anfangs nur dazu imstande, ihren Bürgern eine bescheidene materielle Sicherheit zu garantieren, so gehörte die DDR Jahrzehnte später zu den zehn stärksten Industrienationen der Welt. Seit den 70er Jahren unterhielten fast sämtliche Staaten der Erde diplomatische und Handelsbeziehungen mit ihr.

Das sozialistische Schul- und Bildungssystem des Arbeiter-und-Bauern-Staates war dem der BRD haushoch überlegen. Das dürfte auch die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel als damalige Schülerin im zu Neubrandenburg gehörenden Kreis Templin nicht vergessen haben. Die republikweite Russisch-Olympiade meisterte sie als DDR-Beste. Damals sandte ich ihr im Namen der SED-Bezirksleitung, deren 1. Sekretär ich war, aus Freude über diesen Sieg herzliche Glückwünsche.

Die DDR hat zum ersten Mal in der deutschen Geschichte jeglichen Herrenmenschen-Hochmut abgelegt und konsequent internationalistische Positionen bezogen. Mit Moral und Ethik, mit Respekt und Freundschaft, Anstand und Ehrlichkeit begegnete sie allen Völkern der Welt. Es war ein Glück, die DDR in den 40 Jahren ihres Bestehens aktiv begleitet, in ihr gelebt und gearbeitet zu haben. Als Kind behütet heranwachsen und in Geborgenheit altern zu können - das gehörte zu ihren großen Errungenschaften.

Johannes Chemnitzer, Neuenhagen

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Es geht "um die Wurscht"

Am unverkennbaren Erfolg des RF - der auflagenstärksten marxistischen Monatsschrift in deutscher Sprache - sind viele Genossinnen und Genossen aus Redaktion, Vertrieb und Regionalgruppen beteiligt. In unserer Nr. 200 wurde bereits reichlich Lorbeer verteilt. Die Tatsache, daß der RF das eigene Land fest im Blick hat und zugleich das Geschehen in aller Welt aufmerksam verfolgt, hat uns zu einem gewissen Prestige verholfen.

Doch die wohl wichtigste Tat sollte mit Nachdruck benannt werden: Wenn der als Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland entstandene und sich inzwischen einem breiten Spektrum sehr unterschiedlicher Weggefährten öffnende RF fast 17 Jahre schuldenfrei geblieben ist, verdankt er das seinen Lesern. Ihr entscheidender Beitrag besteht darin, daß sie den keiner politischen Partei zuzuordnenden, aber zutiefst parteilichen RF durch ihre freiwilligen Spenden die ganze Zeit am Leben gehalten haben. Wir wären froh, wenn neben den Beziehern auch immer mehr Internetleser, die dazu in der Lage sind, etwas stärker mit in die Speichen greifen würden.

In der Vergangenheit haben wir unsere Genossen und Freunde stets im November darum gebeten, beim Erwerb des nicht für alle erschwinglichen "Weihnachtsbratens" eine symbolische Gänsekeule für den roten Fuchs mit in den Einkaufswagen zu legen. Um das zu erleichtern, fügen wir auch dieser Ausgabe einen Überweisungsschein bei.

Die Situation hat sich durch den Tod nicht weniger spendabler "Mäzene" stark verändert. Wir pfeifen zwar nicht auf dem letzten Loch, wie sich das einige wünschen würden, müssen jedoch im 4. Quartal den Gürtel deutlich enger schnüren und unsere Reserven angreifen. Diese sind nur deshalb verfügbar, weil sämtliche Autoren honorarfrei arbeiten und auch keinerlei Gehälter zu bezahlen sind.

Wir bitten Euch daher nicht um die traditionelle "Gänsekeule". Diesmal geht es "um die Wurscht", wie die Berliner sagen.

Der "RotFuchs" möchte, daß seine Mitstreiter stets den aktuellen Stand der Dinge erfahren, wobei er sich dessen gewiß ist, daß sie ihn auch diesmal - Hand aufs Herz! - nicht im Stich lassen werden.

Es versteht sich, daß jene unter den Beziehern, welche selbst in Bedrängnis sind und deshalb nicht mithalten können, auch in Zukunft mit dem RF bedacht werden.

Herzliche Grüße aus dem "RotFuchs"-Kessel!
Im Namen eines großen Kollektivs:
Euer Klaus Steiniger

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Warum die DDR dem Wohnungsbauprogramm Vorrang einräumen mußte

Es brannte auf den Nägeln

In seinem Beitrag "Wohnvergnügen im Szeneviertel" (RF 199) schildert der Autor Rico Jalowietzki den Zustand von Wohnung und Haus im Prenzlauer Berg, in die er gezogen ist, um sich dann zu Versäumnissen der DDR bei der Altbausanierung zu äußern. Dabei stellt er folgende Thesen auf:

"Unter sozialistischen Bedingungen waren Miethäuser meist Volkseigentum oder gehörten Genossenschaften."

"Bei der Sanierung unserer Altbausubstanz gab es enorme Defizite. ... Sein Drängen auf Modernisierung unansehnlicher alter Gebäude (gemeint ist Bauminister Junker) stieß beim SED-Politbüro auf taube Ohren. Das konzentrierte sich auf die drei Millionen Einheiten ... des Wohnungsbauprogramms."

"Für die Renovierung der Altbaugebiete hätten die DDR-Bürger zweifellos in die Tasche greifen müssen. ... Bekanntlich sind heutige BRD-Bürger ja auch dazu bereit, mehr als ein Drittel ihres Nettoeinkommens für die Miete hinzulegen."

Wie verhält es sich damit?

Jalowietzki irrt, wenn er meint, auch Altbauten wären "meist Volkseigentum" gewesen. Das Eigentumsrecht an privaten Miethäusern wurde in der DDR nicht aufgehoben - weder für deren Bürger noch für Eigentümer, die ihren Wohnsitz außerhalb der DDR hatten. Die Verwaltung von Häusern, wo die Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren, oblag ganz überwiegend kommunalen Wohnungsverwaltungen. Kein Verwalter aber konnte ohne Zustimmung des Eigentümers Baumaßnahmen an einem Haus veranlassen. Daher hatte die DDR weder das Recht noch die Pflicht, Miethäuser, an denen sie keine Eigentumsrechte besaß, zu sanieren.

Wie taub aber waren die Ohren des SED-Politbüros in dieser Frage wirklich?

Ab Anfang der 70er Jahre konnten DDR-Hauseigentümer für Sanierungsmaßnahmen an Altbauten zinslose Kredite in Anspruch nehmen. Die Bereitstellung finanzieller Mittel war indes nur die eine, Material und Arbeitskräfte aber waren die andere Seite.

Als DDR und BRD 1972 über den Grundlagenvertrag verhandelten, wurden Vermögens- und Eigentumsfragen, also auch der Status von Mietshäusern mit BRD-Eigentümern, ausgeklammert. Bonn war an das Grundgesetz gebunden. Ab 1990, als die Hausbesitzer - gemäß der Regelung "Rückgabe vor Entschädigung" - wieder über ihr Eigentum verfügten, erhielt die BRD einen großen Teil der Gelder zurück, die sie einst als Entschädigung für die Grundstücke, Gebäude und andere Vermögenswerte an jene geleistet hatte, die nach 1945 von Ost nach West gezogen waren. Die DDR hätte, um den Altbau selbst sanieren zu können, die Eigentümer mit Wohnsitz in der BRD enteignen müssen. Über die Folgen einer solchen Maßnahme muß hier nicht spekuliert werden.

Eine Begebenheit: 1980 erkundigte ich mich auf dem Katasteramt in Berlin nach einem Grundstück, auf dem ein fast abbruchreifes Haus stand. Der Mitarbeiter winkte ab. "Lassen Sie die Finger davon. Das Grundstück gehört einer Erbengemeinschaft. Ein Erbe lebt in Westberlin, ein anderer in Westdeutschland, ein dritter ist in Kanada. Wenn das Erbrecht zurück in die DDR kommt, sind Sie alles los - das Grundstück und das, was Sie in das Haus investiert haben." Damals habe ich dem Mitarbeiter des Katasteramtes nicht so recht geglaubt. 1990, als die Haus- und Grundstücksbesitzer ins Land kamen, wurde mir klar, vor welchem Schaden er uns bewahrt hat.

1987 feierte Berlin sein 750jähriges Bestehen. Um den Kollwitzplatz herum wurden aus diesem Anlaß - im Sinne der "Werterhaltung" - Altbauten saniert. Haben es die West-Eigentümer, die nach 1990 erschienen, der DDR gedankt? Nein. Im Gegenteil. Viele Mieter, die zu DDR-Zeiten in solchen Häusern wohnten, wurden vertrieben, weil sie die West-Mieten nicht mehr bezahlen konnten.

Rico Jalowietzki betont, das Politbüro habe sich "auf die drei Millionen Einheiten des ... favorisierten Wohnungsbauprogramms konzentriert". War das falsch? Wer in den 80er Jahren auf einem DDR-Wohnungsamt zu tun hatte, wird ein Lied über die Stimmung unter den Wartenden singen können. Junge Leute, denen der Geduldsfaden riß, darunter auch die FDJ-Sekretärin Angela Merkel, besetzten kurzerhand leerstehende Wohnungen. Das noch von Walter Ulbricht unterzeichnete Gesetz zur Selbsthilfe legalisierte solche Aktionen.

Meine erste eigene Wohnung bekam ich mit 37. Bis dahin hatte ich in einem Zimmer mit Küchenbenutzung als Untermieter leben müssen. Vielen erging es ähnlich. Die Wohnzustände waren, gelinde gesagt, unhaltbar. Die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem war daher eine zwingend notwendige gesellschaftliche Aufgabe. Sie konnte nicht zugunsten der Sanierung der Altbausubstanz vernachlässigt werden.

Ist also die DDR schuld, daß Rico Jalowietzki heute in einem mit Mängeln behafteten Haus "im Szeneviertel" wohnt, weil die DDR den Altbau nicht saniert hat? Hätten die Mieten erhöht werden müssen, wie er meint, damit der Altbau saniert werden konnte? Wenn ja, was hätte eine solche Mieterhöhung gebracht? Ein Heer von Arbeitslosen gab es nicht. Die Baukapazität war begrenzt. Und Ersatzquartiere für die Mieter, die für den Zeitraum der Sanierung nicht in ihren Wohnungen hätten bleiben können, wären erst zu schaffen gewesen. Mit flotten Sprüchen war die Wohnungsfrage nicht zu lösen.

"Eigentum verpflichtet", heißt es im Artikel 14 des Grundgesetzes. Dieser Pflicht sind die Hauseigentümer West an ihrem Eigentum in der DDR nicht nachgekommen. So taub, wie der RF-Autor meint, waren die Ohren des SED-Politbüros nicht.

H. J., Berlin

Bitte der Redaktion

Durch einen nicht von uns verschuldeten technischen Defekt war der Nachname des Autors leider unleserlich. Wir bitten um dessen baldige Übermittlung, damit in der nächsten Ausgabe eine korrekte Angabe nachgeholt werden kann.

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Martin Schwantes rang um ein breites antifaschistisches Bündnis

Leben und Tod eines Magdeburger Kommunisten

Obwohl Martin Schwantes die 1. Lehrerprüfung am Seminar in Quedlinburg mit Auszeichnung bestanden hatte, fand er zu Zeiten der Weimarer Republik in Deutschland keine Anstellung. So entschloß sich der am 20. August 1904 als Sohn eines Uhrmachermeisters geborene und in Gommern nahe Magdeburg aufgewachsene junge Mann, sein "Glück" jenseits des Atlantiks zu suchen. Ostern 1924 heuerte er als Hilfsmatrose auf einem Schiff mit Kurs USA an. Doch glücklich wurde er dort nicht.

In keiner seiner vierzehn Arbeitsstellen - als Tellerwäscher, Konditor, im Straßenbau und als Arbeiter bei General Motors - verdiente er mehr als ein paar Dollar. Dafür lernte er die gnadenlose Ausbeutung der amerikanischen Proletarier am eigenen Leibe kennen.

Dennoch nutzte der vielseitig Interessierte und Wißbegierige seine kurze Freizeit, um Vorträge, Konzerte und Theateraufführungen zu besuchen. An einer Kunstgewerbeschule entwickelte er sein zeichnerisches Talent. Nach nur zwei Jahren kehrte er als Kohlentrimmer auf einem Dampfer über Italien in die Heimat zurück.

Endlich konnte Martin Schwantes in seinem pädagogischen Beruf arbeiten, zuerst als Hilfslehrer in Gommern, ab 1927 in Magdeburg. Allerdings bekam er hier zunächst keine feste Anstellung, sondern unterrichtete als "Springer" zugleich an vier Schulen. Erst nach einigen Jahren konnte er an einer Volksschule im Stadtteil Sudenburg festen Fuß fassen. Wo immer er als Lehrer und Erzieher tätig war, bemühte er sich um ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen Schülern und deren Eltern. Er versuchte, fortschrittliche Unterrichtsmethoden anzuwenden. Anregungen holte er sich bei den reformpädagogischen kommunistischen Lehrern in Berlin, zu denen er eine ständige Verbindung unterhielt. In dieser Zeit bestand Martin Schwantes die 2. Lehrerprüfung.

Hatte er sich schon in den USA für Politik interessiert, so waren die Entwicklungen in der Weimarer Republik für den intelligenten jungen Mann eine Herausforderung, selbst aktiv zu werden. 1928 trat er in die KPD ein. Hermann Matern, der in Magdeburg die Partei leitete, nahm sich des 24jährigen an. Bald schon trat Martin als Redner nicht nur in der Elbestadt, sondern auch in anderen Orten auf. Er schrieb Beiträge für die Parteizeitung "Tribüne". 1930 wurde er in die KPD-Bezirksleitung Magdeburg-Anhalt gewählt, wo er zwei Jahre später die Funktion des Sekretärs für Agitation und Propaganda übernahm. Trotz aller Belastung in Beruf und Politik fand er Zeit, sich auf Reisen durch Deutschland sowie nach Schweden, England, Holland und in die Sowjetunion weiterzubilden.

Von den Faschisten 1933 aus dem Schuldienst geworfen, sah er seine vordringliche Aufgabe darin, den Zusammenhalt der Partei und deren politische Aktionsfähigkeit zu sichern. Dazu begab er sich nach Halle, Dessau, Köthen, Halberstadt, Bernburg und Aschersleben, bis man ihn nach Berlin rief, wo er als Instrukteur des illegalen ZK arbeitete. Bei einem Treffen in Erfurt verhafteten ihn die Faschisten im Januar 1934 und folterten ihn so schwer, daß er vier Monate stationär behandelt werden mußte. 1934 verurteilte ihn das Berliner Kammergericht zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus, die er in Kassel, Herfort und Berlin verbüßte, um anschließend in das KZ Sachsenhausen verschleppt zu werden. Dort fand er schnell Anschluß an die Parteiorganisation und half als Vorarbeiter in der Kleiderkammer, später als Blockältester, Solidaritätsaktionen in die Wege zu leiten.

Anfang 1941 wurde Martin Schwantes entlassen. Wieder in Gommern, erhielt er Arbeit als Verkaufs- und Versandleiter einer Schuhfabrik. In dieser Zeit nahm er Verbindung zu Magdeburger Genossen, vor allem zu Hermann Danz, Johann Schellheimer, Fritz Rödel und Hubert Materlink auf, welche die illegale Parteileitung in der Elbestadt bildeten. Ein Jahr später lud ihn Franz Jacob, den er aus dem KZ kannte, nach Berlin ein, wo er Anton Saefkow begegnete, der mit Jacob an der Spitze der untergetauchten Berliner Kommunisten stand. Von diesen ging 1943 die Initiative aus, die regionalen Parteiorganisationen in Sachsen, Thüringen, Anhalt und der Hauptstadt zu vereinigen. Die Berliner Saefkow und Jacob, Georg Schumann (Sachsen), Dr. Theodor Neubauer (Thüringen) und Martin Schwantes bildeten die operative Leitung der KPD in Deutschland. Anfang 1944 erarbeiteten sie das Dokument "Wir Kommunisten und das Nationalkomitee Freies Deutschland". Darin erklärten sie ihre Übereinstimmung mit den Zielen des NKFD und formulierten Aufgaben für ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland nach der Niederlage des Hitlerfaschismus. Diese Schrift war eine konkrete Anleitung zum Handeln. Martin Schwantes übernahm die Aufgabe, Kontakt zu bürgerlichen Kreisen aufzunehmen, um sie für die Einheitsfront aller Nazigegner zu gewinnen.

Es gelang ihm, Künstler, Ärzte, Lehrer, aber auch einzelne Offiziere der Wehrmacht und Sozialdemokraten für die Linie des NKFD zu gewinnen. Mit Pädagogen brachte er Gedanken über die Umgestaltung des Bildungswesens, mit einem Arzt Vorstellungen zu notwendigen Schritten im Gesundheitsbereich nach Überwindung der Nazidiktatur zu Papier.

Am 9. Juli 1944 verhaftete die Gestapo die führenden Magdeburger Kommunisten. Sie wurden am 5. Februar 1945 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Als ein Leidensgefährte Martin Schwantes ihn in der Haft fragte, warum er sich nach seiner Entlassung aus dem KZ wieder in derart gefährlichen Dinge eingelassen habe, antwortete dieser: "Weil ich kein Mann von doppelter Buchführung bin ..."

Günter Freyer

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Die sächsische Metropole schrieb ein Ruhmesblatt in der proletarischen Chronik

Warum aus Chemnitz Karl-Marx-Stadt wurde

Das alte Ruß-Chemnitz, dessen Entwicklung seit Mit te des 19. Jahrhunderts aufs engste mit dem Aufstieg des Kapitalismus zum Imperialismus in Deutschland verbunden war, legten amerikanische und britische Bomber während des 2. Weltkrieges in Schutt und Asche. Nach dem schwersten Bombardement am 5. März 1945 kommentierte die US-Nachrichtenagentur Associated Press dessen verheerende Folgen mit den Worten: "Nach Prüfung der Aufklärungsfotos hat das Luftfahrtministerium Essen und Chemnitz als zwei weitere tote Städte abgeschrieben ..."

Beim Anblick der endlosen Ruinenfelder glaubte an diesem Frühlingstag wohl kaum noch jemand daran, daß nach dem grausigen Ende ein Neubeginn überhaupt denkbar sei.

Doch die unter Anspielung auf seine Text ilindustrie auch als "sächsisches Manchester" bezeichnete Stadt, die man als Konkurrenz für immer auszuschalten gedacht hatte, kehrte nur ein Jahrzehnt später unter neuen Vorzeichen zum Leben zurück. Nach einer harten Zeit des Übergangs begann man mit dem Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft. Dazu paßte am besten der Name des Begründers der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse. So wurde von der Berliner Partei- und Staatsführung der Beschluß gefaßt, Chemnitz in Karl-Marx-Stadt umzubenennen. Damit erfuhr die alte Industriestadt mit langjähriger revolutionärer Klassenkampftradition eine verdiente Würdigung.

Machtvolle Aktionen der alten deutschen Sozialdemokratie unter August Bebel und Wilhelm Liebknecht, das Wirken Fritz Heckerts in der Novemberrevolution 1918, der Kampf der KPD Ernst Thälmanns, der selbst wiederholt die Stadt und deren industrielles Umfeld besuchte, der Blutzoll antifaschistischer Gruppen aus Chemnitzer Betrieben im Widerstand gegen die faschistische Hitler-Diktatur - all das inspirierte viele Bürger der Stadt zu besonderen Leistungen beim Aufbau der neuen Gesellschaft. Als der erste DDR-Ministerpräsident, der frühere Sozialdemokrat Otto Grotewohl, nun ein Spitzenpolitiker der SED, am 10. Mai 1953 auf einer Großkundgebung die Umbenennung vollzog, war das für die Chemnitzer zweifellos der Höhepunkt einer bewegten Geschichte ihrer Stadt. Diese war damals bereits im Begriff, sich zu einem Zentrum des Maschinen- und Schwermaschinenbaus zu entwickeln.

Weltruf erringende volkseigene Betriebe und Kombinate prägten das industrielle Profil von Karl-Marx-Stadt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Hochentwickelte kapitalistische Industrieländer wie die USA und Großbritannien erwarben von der Vereinigung Volkseigener Betriebe Textima die Lizenz zum Nachbau der profilierten Malimo-Maschinen. Auch das von Mitarbeitern des Karl-Marx-Städter Forschungsinstituts für Textiltechnologie entwickelte Greiferschützen-Webautomaten-Modell 4405 errang hohe Anerkennung.

Die programmgesteuerten Werkzeugmaschinen und sich selbst regelnden Maschinensysteme aus dem Werkzeugmaschinenkombinat "Fritz Heckert", dem Großdrehmaschinenbau "8. Mai", den volkseigenen Großbetrieben Union und Modul sowie dem Schleifmaschinenwerk waren in allen entwickelten Ländern der Welt bekannt und begehrt. Sie kündeten davon, daß der Weg ohne Kapitalisten, den die DDR beschritten hatte, von Erfolg gekrönt war.

Projektanten und Spezialisten aus der UdSSR entwarfen und bauten gemeinsam mit Konstrukteuren des VEB Germania die hochleistungsfähige Chemieanlage "Polymir 50". Eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte sich auch zwischen den Moskauer Autowerken SIL und dem VEB Modul. Neue Industriezweige wie der Starkstromanlagenbau sowie eine Reihe wissenschaftlicher Forschungsinstitute wurden in Karl-Marx-Stadt heimisch. Die vormalige Staatliche Akademie für Technik erhielt den Status einer Technischen Hochschule.

Alles in allem: Das industrielle Profil der sächsischen DDR-Bezirkshauptstadt wurde überwiegend durch den Schwermaschinenund den Fahrzeugbau sowie durch Elektrotechnik und Elektronik, Gerätebau und Gießereien, den Strickmaschinenbau, die Produktion von Spinn-, Zwirnerei- und Nähwirkmaschinen bestimmt. Chemieanlagen, Plasteverarbeitungsmaschinen, Fahrzeuge und Motoren, Metallwaren, Normteile, Erzeugnisse der Bekleidungsindustrie, Holz, Nahrungsgüter und Baustoffe vervollständigten das Bild.

In seiner Rede anläßlich der Einweihung des Karl-Marx-Monuments sagte Erich Honecker zur Entwicklung der aufblühenden Stadt: "Wer wissen will, wie der Marxismus auf deutschem Boden lebendige Wirklichkeit geworden ist, der mag in diese Stadt kommen, in dieses Land, in unsere DDR."

Es ist kein Zufall, daß die antikommunistischen Fanatiker nach der Konterrevolution gerade das Marx-Denkmal mit dem gewaltigen Kopf des großen proletarischen Gelehrten wiederholt zu schänden versucht haben. Es war die Rache dafür, daß die DDR als erster Staat in der deutschen Geschichte die Ausbeuterklassen im Sinne von Marx vier Jahrzehnte von der Macht und ihrem zusammengeraubten Eigentum getrennt hatte.

Günter Schmidt, Chemnitz


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Das imposante Marx-Monument des sowjetischen Bildhauers Lew Kerbel von 1971

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148 Juristen unter 637 Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU, FDP und SPD

Rechtskenner demontierten Rechtsstaat

Im Oktober brachten Fernseh- und Rundfunkstationen sowie die Tagespresse ohne Unterlaß Beiträge zum 24. Jahrestag der "deutschen Wiedervereinigung". Verstärkt wurden Schüler dazu veranlaßt, Eltern und Großeltern über ihr Leben in der DDR, ihre Einstellung zum Staat, zu befragen.

Bundestagsabgeordnete nahmen sich seit 1991 die Freiheit heraus, Teile des BRD-Sozialrechts in Strafrecht umzuwandeln und gegen ihnen unliebsame DDR-Bürger anzuwenden. Erinnert sei nur an das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991.

Wenige Tage später - am 1. August - trat das Anspruchs- und Anwartschafts-Überführungs-Gesetz (AAÜG) in Kraft.

Damit wurde die Eingliederung der DDR-Renten und -Rentenanwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung der BRD geregelt. Wie es hieß, sollten alle Personen, die in der DDR versichert gewesen waren, grundsätzlich gleich behandelt und die Rentenhöhe unter Beachtung der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze errechnet werden.

Die Bundespolitiker fanden unter Gleichen aber sofort und gewollt auch Ungleiche heraus. Ihr politischer Auftrag lautete, die DDR zu delegitimieren. Sie erfüllten ihn gegen geltendes Recht. Die Order hierzu erteilte ihnen der seinerzeitige Justizminister Klaus Kinkel mit den Worten: "Sie, meine Damen und Herren, haben als Richter und Staatsanwälte bei dem, was noch auf uns zukommt, eine ganz besondere Aufgabe, und Sie müssen einen sehr wesentlichen Teil davon leisten. Das, ohne jede andere Alternative. Es muß gelingen, das SED-System zu delegitimieren!"

Das war ein ungesetzlicher Eingriff in die Freiheit richterlicher Entscheidungen. Zur Schande vieler Juristen wurde dann ihr Tätigwerden in dieser Sache: Sie erfüllten Kinkels Weisung mit Eifer, insbesondere die Richter der Sozialgerichte, und verurteilten frühere DDR-Bürger, die nichts anderes getan hatten, als ihre Arbeits- oder Eidespflicht in Treue zu ihrem Staat zu erfüllen.

Für Angehörige von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Rentenrecht der DDR wurden spezielle Regelungen getroffen. Danach erfolgten bei Generaldirektoren, LPG-Vorsitzenden, Mitarbeitern des Staatsapparates, der GST, des FDGB, der SED und der anderen Blockparteien sowie bei Angehörigen der NVA, der Volkspolizei, des MfS/ANS, der Feuerwehr, des Strafvollzugs und der Zollorgane erhebliche gesetzeswidrige Verminderungen ihrer Renten bzw. Rentenansprüche.

In den neuen Bundesländern formierte sich gegen dieses Rentenstrafrecht organisierter Widerstand. Den Parlamentariern, die diese diskriminierenden Normen beschlossen hatten, wurde im weiteren Verlauf der juristischen Auseinandersetzungen am 28. April 1999 vom Bundesverfassungsgericht nachgewiesen, daß sie grundgesetzwidrig gehandelt hatten. Ihre Gesetzesbasteleien wurden als Verstöße gegen das Grundgesetz und das Sozialgesetz sowie als nichtige Rechtsentscheidungen bezeichnet.

Bei der Lesung und Abstimmung über RÜG und AAÜG bestand der Bundestag aus 662 Abgeordneten. Davon hatten 22,36 % eine juristische Ausbildung. 148 Abgeordnete - Professoren, Doktoren, Notare, Rechtsanwälte sowie Rechts- und Sozialrechtswissenschaftler - waren keineswegs als Unkundige zu betrachten. Sie machten indes bei der Beugung des Rentenrechts mit, verstießen bewußt und gewollt gegen das GG und das Sozialgesetz der BRD.

Von 319 CDU/CSU-Abgeordneten waren 89 (27 %), von 79 FDP-Abgeordneten 21 (26,6 %) und von 239 Mandatsträgern der SPD 38 (15,9 %) Mitmacher, die an der gewollten Abstrafung ausgewählter DDR-Bürger trotz besseren Rechtswissens teilnahmen.

Erst der Widerstand der Betroffenen aus der DDR zwang die aufeinanderfolgenden Bundesregierungen zur Entschärfung des Rentenunrechts. Doch auch die Reparaturversuche durch das Rentenüberleitungs-Änderungsgesetz von 1991 und Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz von 1993 sowie das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz von 1996 waren Fehlleistungen.

Das Bundesverfassungsgericht stellte am 28. April 1999 fest, "daß das Rentenüberleitungsgesetz und spätere Änderungen dazu in vielen Punkten verfassungswidrig oder nichtig waren". Die Renten der mit Abzug Bestraften mußten in fast allen Fällen neu berechnet werden, was zu Rentennachzahlungen führte.

Es gibt indes noch immer DDR-Personengruppen, für die der Kampf gegen das Rentenunrecht nicht beendet ist.

Ich betreute und beriet in den Jahren des Rechtskampfes unentgeltlich Hunderte Strafrentner. All jene, welche meinen Hinweisen, Ratschlägen, Mustern von Widersprüchen und Klagen gegen ihren Rentenbescheid oder die Entgeltbescheide folgten und ihren Widerspruch oder ihre Klage aufrechterhielten, bekamen Rentennachzahlungen und damit verbundene Zinsen.

Übrigens hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. Juni 2013 in Berlin allen, die für Rentengerechtigkeit kämpfen, einen wertvollen Rat erteilt, als sie verkündete: "Wir sollen und müssen unsere Stimme immer und überall erheben und aktiv einschreiten, wenn Menschen ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt werden!"

Ing.-ök. Carl-Franz Lembke, Rostock

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Grafik von Renatus Schulz:
BRD-Rechts-Irrgarten - Für 135 Milliardäre und 1 Million Millionäre

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RF-Extra

Auf Wilhelm Liebknecht kann die deutsche Arbeiterbewegung stolz sein

Ein Sozialdemokrat Marxscher Schule

Wilhelm Liebknecht wurde am 29. März 1826 in Gießen geboren. Nach dem Abitur studierte er dort sowie in Berlin und Marburg Philologie, Theologie und Philosophie. Die Lage breiter Volksschichten, aber auch das leidvolle Schicksal seines Großonkels, des Pfarrers Friedrich Ludwig Weidig, der gemeinsam mit Georg Büchner die revolutionäre Flugschrift "Hessischer Landbote" herausbrachte, beeinflußten ihn frühzeitig.

Seine kritische Haltung zur bestehenden Ordnung fand im Enthusiasmus für die Ideen der Großen Französischen Revolution beredten Ausdruck. Werke utopischer Sozialisten regten ihn zu eigenen Lebensentwürfen an. So nahm er sich vor, keinesfalls Beamter in einer Monarchie zu werden, sondern nach Amerika auszuwandern.

Den bereits vor der 48er Revolution beginnenden staatlichen Repressionen entzog er sich durch die Reise in die "Neue Welt". Doch unterwegs änderte er seine Entscheidung und nahm im Juli 1847 eine Lehrtätigkeit an der Züricher Musterschule Friedrich Fröbels auf. Im deutschen Arbeiterverein konnte er schnell Kontakt zu anderen Mitstreitern herstellen.

Im Februar 1848 erreichte ihn die Nachricht vom Beginn der Revolution in Frankreich. Er eilte sofort nach Paris, um den Barrikadenkämpfern beizustehen. Bei seinem Eintreffen war der König bereits gestürzt, worauf er in die Schweiz zurückkehrte.

Während des republikanischen Aufstandes in Baden überschritt Wilhelm Liebknecht im September 1848 mit Gleichgesinnten die Rheingrenze. In Lörrach hatte Gustav von Struve die Deutsche Republik ausgerufen.

Diese Bewegung fand die Unterstützung badischer Soldaten. Reichstruppen unterdrückten deren Aufstand. Wilhelm Liebknecht wurde eingekerkert. Während der fast achtmonatigen Haft lernte er Ernestine Landolt - seine spätere Frau - kennen.

Im Verlauf der Reichsverfassungskampagne befreiten Soldaten im Mai 1849 die Gefangenen in der Festung Rastatt. Wilhelm Liebknecht schrieb in seinen Memoiren: "Aus dem Gefängnis in die Freiheit - das ist schon ein Genuß ... Aber aus dem Gefängnis in die Revolution! Das ist tausendfacher Genuß!" Alsbald trat er in die badische Volkswehr ein und wurde Leutnant im Mannheimer Arbeiterbataillon.

Preußisches Militär zerschlug die bewaffneten Formationen. Als einem der Freiwilligen auf seiten der Revolution drohte Wilhelm Liebknecht die standrechtliche Erschießung. Die Flucht in die Schweiz war für ihn der rettende Ausweg. In Genf trat Wilhelm Liebknecht einem deutschen Arbeiterverein bei.

Hier studierte und propagierte er das "Manifest der Kommunistischen Partei". Ein Gedankenaustausch mit Friedrich Engels half ihm, die Aufgaben der Arbeiterklasse in der bürgerlichen Revolution tiefer zu erfassen. Als Präsident seines Vereins berief er einen Kongreß aller deutschen Arbeitervereine in der Schweiz ein, um deren Kooperation zu vereinbaren.

Der Schweizer Staat reagierte auf das Vorhaben mit der Beschuldigung, in Deutschland fänden Putschvorbereitungen statt. Verhaftungen und Ausweisungen folgten. Wilhelm Liebknecht wurde inhaftiert und im April 1850 zur Ausreise nach England gezwungen.

In London lernte er Karl Marx und dessen Familie kennen, zu der sich ein herzliches Verhältnis entwickelte. In der zwölfjährigen Emigration wurde Wilhelm Liebknecht Schüler, Freund und Kampfgefährte von Marx und schließlich selbst Marxist. Sein besonderes Interesse galt der Tätigkeit des Bundes der Kommunisten, dem er beitrat. Seine Mitglieder debattierten über ihre in der bürgerlichen Revolution gewonnenen Erfahrungen.

Nach der Amnestie in Preußen übersiedelte die Familie im August 1862 nach Berlin, wo Wilhelm Liebknecht ein Jahr später dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein beitrat. Er wollte dem ADAV helfen, sich zu einer revolutionären Arbeiterpartei zu entwickeln. Am 28. September 1864 wurde die Internationale Arbeiterassoziation - die I. Internationale - gegründet. Wilhelm Liebknecht warb in Berliner Arbeiterkreisen für die von Karl Marx erarbeitete Inauguraladresse der IAA. In der Zeitung "Der Social-Demokrat" wies er auf Fehlorientierungen des ADAV hin. Wegen der Kollaboration des Vereinspräsidenten mit Bismarck schied er im Februar 1865 aus der Redaktion des Blattes wieder aus. Anhänger Lassalles veranlaßten daraufhin seinen Ausschluß aus dem ADAV sowie seine Ausweisung aus Berlin.

Bei der Suche nach einem neuen Wirkungskreis lernte Wilhelm Liebknecht im August 1865 in Leipzig August Bebel kennen. In ihren Gesprächen über den Weg zur Schaffung der demokratischen Einheit Deutschlands und die Möglichkeiten der Arbeiterbewegung entschlossen sie sich, mit Unterstützung dortiger Arbeitervereine die Sächsische Volkspartei zu gründen. Deren Anliegen bestand darin, eine Volksbewegung gegen das Bismarck-Regime zu schaffen, um dessen "Revolution von oben" mit der "Revolution von unten" begegnen zu können. Sie erkannten im preußischen Militarismus das Haupthindernis für die Entstehung einer einheitlichen deutschen demokratischen Republik.

Mit der am 19. August 1866 gegründeten Sächsischen Volkspartei erreichten sie den Einzug von Arbeitervertretern in den Norddeutschen Reichstag. Das gelang August Bebel im Februar und Wilhelm Liebknecht im August 1867. Nun konnten sie die Parlamentstribüne zur Aufklärung über die Ziele der Partei nutzen. In diese Zeit fällt der Tod Ernestines, der Frau Wilhelm Liebknechts. Die Verantwortung für die Erziehung der beiden Töchter oblag ihm nun ganz allein. Ein Jahr später heiratete er erneut. Aus der Ehe mit Natalie Reh gingen fünf Söhne hervor.

Wilhelm Liebknecht propagierte ohne Unterlaß den Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus sowie von Frieden und Sozialismus. Er machte klar, daß es keinen Frieden mit dem monarchistisch-bourgeoisen Staat geben könne. Dieser müsse vielmehr gestürzt werden.

Der Nürnberger Vereinstag des Verbandes Deutscher Arbeitervereine nahm im August 1866 die von Wilhelm Liebknecht vorgetragenen antimilitaristischen Forderungen in sein Programm auf. Die Teilnehmer legten fest, bei Wahlen solchen Kandidaten den Vorzug zu geben, die keinen Groschen für den Militäretat bewilligen würden. Damit erhob man den sozialdemokratischen Leitspruch "Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!" zum Prinzip. Die Beschlüsse des Nürnberger Vereinstages trugen zur Befreiung des VDAV von der Vormundschaft der Bourgeoisie bei.

Im September 1868 bestimmte der Generalrat der I. Internationale Wilhelm Liebknecht zu seinem Korrespondenten und Bevollmächtigten in Deutschland.

Die im August 1869 auf dem Eisenacher Parteitag gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei war die erste sich im nationalen Maßstab formierende revolutionäre Arbeiterpartei. Ihr Zentralorgan wurde der "Volksstaat", dessen Redaktion Wilhelm Liebknecht übernahm.

Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 übten er und August Bebel Stimmenthaltung beim ersten Votum über die Kriegskredite im Juli 1870. Nach Ausrufung der Republik in Frankreich und dem Übergang des Deutschen Reiches zur Strategie eines Eroberungskrieges lehnten beide Politiker die Gewährung weiterer Kriegskredite ab. Ihr Nein bei der zweiten Abstimmung im November 1871 verbanden sie mit der Forderung nach einem gerechten Frieden für Frankreich - ohne Annexion von Elsaß-Lothringen.

Im Dezember 1870 wurden Wilhelm Liebknecht und August Bebel verhaftet. Beide erhielten wegen "Hochverrats" jeweils zwei Jahre Festungshaft. Im Ergebnis des Verfahrens wuchs die Popularität der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und ihrer angeklagten Mitglieder, zu denen auch Adolf Hepner gehört hatte. Ihre mutige Solidarität mit der Pariser Commune zahlte sich in Prestigegewinn aus.

Immer klarer wurde, daß die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung überwunden werden mußte. Auf dem Coburger Parteitag (1874) setzte sich Wilhelm Liebknecht für die Aktionseinheit von ADAV und SAPD ein, um die Vereinigung vorzubereiten. Er betrachtete den Zusammenschluß der Parteien als ein vorrangiges Erfordernis des Klassenkampfes und hielt die Herbeiführung programmatischer Übereinstimmung für eine später gemeinsam zu lösende Aufgabe. Trotz theoretischer Defizite entstand im Urteil Lenins eine Partei, in der die Hegemonie des Marxismus gesichert war.

Der Staat Bismarcks reagierte auf die Vereinigung mit dem Parteiverbot. Im Oktober 1878 nahm der Reichstag das "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" an. Daraufhin beschlossen das Zentralwahlkomitee (Parteivorstand) und die Reichstagsfraktion der Partei die Selbstauflösung. Sie taten es gegen die Meinung August Bebels, Wilhelm Liebknechts, Wilhelm Brackes und anderer Genossen. Bebel regte die Bildung eines Unterstützungskomitees an, das den legalen und den illegalen Kampf der Partei zu leiten und die gegenseitige Solidarität der Mitglieder zu organisieren begann.

Erhebliche Erschwernisse brachte die schikanöse Verhängung des kleinen Belagerungszustandes über Städte mit sich. Im Juni 1881 wurden Wilhelm Liebknecht, August Bebel, Wilhelm Hasenclever und weitere 28 Sozialdemokraten aus Leipzig ausgewiesen. Von Borsdorf aus bemühten sich Liebknecht und Bebel, die Verbindung zur Partei und zu ihren Familien aufrechtzuerhalten.

In Zürich erschien in dieser Zeit die illegale Zeitung "Der Sozialdemokrat". Die Solidarität schweizerischer, dänischer, englischer und französischer Sozialisten, aber auch die im Juli 1889 erfolgte Gründung der II. Internationale, an deren Entstehung Wilhelm Liebknecht führend beteiligt war, ermöglichten das Zusammenwirken der internationalen Sozialdemokratie. Diese forderte von der Arbeiterklasse, "den Frieden als die erste und unerläßliche Bedingung jeder Arbeiteremanzipation" zu erhalten.

Als einer der bekanntesten Internationalisten der deutschen Sozialdemokratie unternahm Wilhelm Liebknecht gemeinsam mit Eleonore Marx und Edward Aveling im Herbst 1886 eine Vortragsreise in die USA, um vom Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz zu berichten. Der Widerstand gegen dieses trug in erheblichem Maße zum Sturz Bismarcks bei.

Die neu gewonnene Legalität ermöglichte es der Partei, Fehler im Programm zu korrigieren. Unentbehrlich waren dabei die Kritik von Marx und Engels, mehrere Entwürfe Wilhelm Liebknechts oder des Parteivorstandes und ein Vorschlag der Zeitschrift "Die Neue Zeit". Die Annahme des Erfurter Programms der SPD bildete einen Höhepunkt im Klassenkampf. Auf dem Internationalen Arbeiterkongreß in Brüssel, der kurz zuvor stattfand, warnte Wilhelm Liebknecht vor einem drohenden Weltkrieg und betonte, daß allein die Schaffung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung dem Militarismus ein Ende setzen und den Frieden unter den Völkern sichern könne.

Im September 1895 war Wladimir Iljitsch Lenin bei Wilhelm Liebknecht zu Gast. Ihn interessierte die Agitations- und Propagandaarbeit der Partei. Danach empfahl Lenin den Arbeitern Rußlands, von dem bewährten "Volkstribunen" der deutschen Sozialdemokratie, Wilhelm Liebknecht, zu lernen, allen die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klar zu machen. Er besorgte die Übersetzung einiger Schriften Wilhelm Liebknechts ins Russische. Dazu gehörten u. a.: "Was die Sozialdemokraten sind und was sie wollen" (1877); "Das Programm der Partei" (1890) sowie "Staatssozialismus und revolutionäre Sozialdemokratie" (1892).

Um die Jahrhundertwende trat der Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium ein. Für die Arbeiterbewegung begann eine neue Etappe des Klassenkampfes. Das Wettrüsten der kapitalistischen Staaten und die Kriegsvorbereitungen nahmen immer bedrohlichere Ausmaße an. Friedrich Engels zog 1887 den Schluß: "Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg ... von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit ­... nur ein Resultat ist absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse." Mit seiner Schrift "Kann Europa abrüsten?" unterstützte er die Friedenspolitik der SPD. Sie war der erste konstruktive Abrüstungsvorschlag im Weltmaßstab.

Mit der Epoche des Imperialismus kam auch der Revisionismus auf. Ab 1896 war Eduard Bernstein sein Protagonist. Er verneinte die historische Mission der Arbeiterklasse und wollte die SPD zu einer "demokratisch-sozialistischen Reformpartei" umbilden. Bernstein begrüßte auch, daß Millerand 1899 als Minister in eine bürgerliche Regierung Frankreichs eintrat. Wilhelm Liebknecht reagierte darauf mit den Worten: "Ein Sozialist, der in eine Bourgeoisregierung eintritt, geht entweder zum Feind über oder er gibt sich in die Gewalt des Feindes." Mit gleicher Konsequenz antwortete er am 15. März 1891 in einem Schreiben an die Französische Arbeiterpartei auf Vorwürfe, die SPD habe seit dem Sieg über das Sozialistengesetz aufgehört, revolutionär und international zu sein. Er entgegnete: "Wir sind, was wir waren und was wir stets sein werden: Sozialdemokraten! Und die Sozialdemokratie ist entweder revolutionär und international - oder sie ist nichts!"

In seiner letzten öffentlichen Rede verurteilte Wilhelm Liebknecht am 28. Juli 1900 in Dresden die Aggressionspolitik des Deutschen Reiches, darunter seine Chinafeldzüge und insbesondere die Hunnenrede Wilhelms II.

Das von Sorgen um den Unterhalt für seine Familie, Anfeindungen, Einkerkerungen und Ausweisungen belastete Leben Wilhelm Liebknechts endete am 7. August 1900. Über 120.000 Menschen erwiesen dem "Soldaten der Revolution" mit einem Spalier von Charlottenburg bis Friedrichsfelde die letzte Ehre. Anteilnahme bekundeten zahlreiche Organisationen der internationalen Arbeiterbewegung. Lenin, Redakteur der ersten illegalen russischen Arbeiterzeitung "Iskra", widmete Wilhelm Liebknecht den Leitartikel.

Der heutigen SPD-Führung galten weder Wilhelm noch sein Sohn Karl Liebknecht als des Gedenkens würdige politische Vorbilder. Sie gehört längst zu den Stützen des kapitalistischen Staates und befürwortet Militarismus, Rüstungsexporte und Aggressionskriege.

Angesichts dessen besitzt das revolutionäre und klassenkämpferische Vermächtnis Wilhelm Liebknechts nicht zuletzt auch für politisch redlich gebliebene Sozialdemokraten unserer Tage einen spezifischen Wert.

Dr. Ehrenfried Pößneck, Dresden

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Bitterfelder Konzerne belieferten Wilhelm II. und Hitler mit Giftgas

Von Blau- und Gelbkreuz zu Zyklon B

Am ersten weltweiten Krieg waren sämtliche entwickelten Industriestaaten beteiligt. Zum ersten Mal in der Geschichte wurden die gewaltigsten Errungenschaften der Technik in solchen Ausmaßen, so zerstörerisch und mit solcher Energie zur Massenvernichtung von Millionen Menschen verwendet. Drastisch zeigte sich der wachsende Stellenwert der Industrie für Zwecke des Militärs und der Kriegsführung.

Als der deutsche Imperialismus in seinem abenteuerlichen Drang nach einer Neuaufteilung der Welt das Völkermorden auslöste, hatte er nur eine kurze Auseinandersetzung ins Auge gefaßt. Nach dem Scheitern seiner Überrumpelungsstrategie mußte er der ökonomischen Sicherung eines länger währenden, überaus materialaufwendigen Krieges seine volle Aufmerksamkeit widmen. Bereits nach wenigen Wochen hing nicht nur bei den Mittelmächten, sondern auch auf seiten der Entente der Munitionsverbrauch an den Fronten und damit die Kampffähigkeit der Streitkräfte von der laufenden Produktion ab. Der Krieg zwang alle Beteiligten zu komplexen Veränderungen in der Wirtschaft.

Außer dem riesigen Bedarf an Rüstungsmaterial verschärfte kurz nach Kriegsbeginn ein weiterer, zu wenig ins Kalkül gezogener Faktor die Lage Deutschlands. Die Entente verband seit November 1914 in ungleich wirksamerer Weise als die Mittelmächte den militärischen Kampf mit einem ökonomischen.

Durch die Sperrung des Zugangs zu den Weltmeeren und die Behinderung des Handels mit und über neutrale Länder konnte sie eine weitgehende Isolierung Deutschlands von der hochentwickelten internationalen Arbeitsteilung und dem Warenaustausch erreichen.

Noch stärker als der Wegfall des Exports - bei Fertigwaren immerhin etwa ein Drittel des Erzeugten - wirkte sich der Mangel an importierten Rohstoffen aus.

Die Erfordernisse des Krieges zwangen das kaiserliche Deutschland zu einer umfassenden wirtschaftlichen Mobilmachung mit dem Ziel, die industrielle Produktion maximal für militärische Zwecke zu nutzen.

1914 stand die deutsche Wirtschaft den ökonomischen Anforderungen dieses bis dahin größten und verheerendsten aller Kriege zwar relativ gut, aber nahezu unvorbereitet gegenüber. Mit Kriegsbeginn schieden 13 % aller Beschäftigten aus dem Produktionsprozeß aus.

Das Ernährungsniveau, gemessen in Kalorien, wurde halbiert. Die Reallöhne der in den Fabriken beschäftigten Arbeiter sanken auf den Stand von 1850/1854. Sie lagen damit um 30 % unter denen von 1913. Die Produktion der deutschen Volkswirtschaft fiel auf das Niveau der Jahrhundertwende zurück.

Im folgenden soll über die Kriegsrüstung im Kreis Bitterfeld berichtet werden.

Nach Angaben des Gewerbeaufsichtsamtes wurden Schießbaumwolle (Treibladungen und Schießpulver), Nitrolit, Chlorate (Explosiv- und Sprengmittel), Perchlorate (brandfördernde Mittel in Sprengstoffen), Salpeter (in Form von Säuren und Salzen als Grundmaterie für Sprengstoffe), Phosgen (chemischer Kampfstoff) sowie Aluminium, Magnesium, ein Leichtmetall für die Luftfahrt- und Automobilindustrie, das Nachrichten- und Fernmeldewesen produziert.

Man konzentrierte sich auf einen neuen Sprengstoff. Am 16.11.1914 teilte die Farbenfabrik Wolfen der Regierung in Merseburg mit: "Wir haben von der Heeresverwaltung einen Auftrag zur Herstellung eines neuen Sprengstoffes erhalten."

Dieser hieß Nitrolit und gehörte zu den Dynamiten. Ab April 1915 konnte die Produktion beginnen. Sie lag zwischen 4000 und 4800 Tonnen im Jahr. Der Werkleiter der Farbenfabrik Wolfen teilte am 18.9.1915 der AGFA-Zentrale in Berlin mit, daß "Nitrolit der einzige in großem Maßstab von uns fabrizierte Sprengstoff ist".

In seiner Aufstellung verschwieg das Gewerbeaufsichtsamt bewußt die Produktion anderer Kampfstoffe, welche in der Chemiefabrik Griesheim-Elektron Bitterfeld (CFGE) und in der zum AGFA-Konzern gehörenden Farbenfabrik Wolfen hergestellt wurden. Das Kaiserreich führte seit dem 22. April 1915 mit ihnen verschiedene Arten von Gaskrieg.

Dabei fanden auch solche Stoffe Verwendung, die in Bitterfeld und Wolfen hergestellt wurden. 1919 forderten Politiker, Mediziner und andere prominente Wissenschaftler vieler Staaten, Deutschland wegen des Ersteinsatzes chemischer Kampfmittel vor ein internationales Gericht zu stellen. Der Ruf verhallte, zumal auch die Armeen der Entente nach dem deutschen Gasangriff solche Stoffe einsetzten.

Inzwischen gewinnt man aus Akten der Chemiefabrik Griesheim-Elektron Bitterfeld und der Farbenfabrik Wolfen, eines AGFA-Betriebes, sowie aus dem Buch von Dieter Martinetz "Der Gas-Krieg 1914-1918" neue Einsichten über die spezifische Rolle von Werken des Kreises Bitterfeld.

Der erste Gasangriff, den das deutsche Heer mit Chlor unternahm, erfolgte am 22.4.1915 im Raum des belgischen Ypern. Hier wurde aus 6000 Stahlflaschen 5 Minuten lang Chlorgas gegen französische und kanadische Infanterie abgeblasen. Ein englischer Feldgeistlicher notierte als Augenzeuge: "Wir wollten unseren Augen kaum trauen. Eine graugrüne Wolke schwebte heran, die sich allmählich gelb färbte und alles, was sie berührte, zerstörte, auch den Pflanzenwuchs vernichtete. Kein Mensch hatte mit einer solchen Gefahr gerechnet. Die französischen Soldaten taumelten uns entgegen. Sie waren blind, husteten, keuchten, ihre Gesichter waren blau angelaufen. Vor Todesangst waren sie sprachlos. An diesem Tag starben 4500 Männer qualvoll, und 15.000 weitere gingen der Truppe wegen Gasvergiftungen verloren."

Nach Beginn der chemischen Massenangriffe im Westen und Osten wurde Chlor zu einem wichtigen Bestandteil der deutschen Kriegstechnik. Von den Armeen Frankreichs, Rußlands, Großbritanniens und der USA wurden danach ebenfalls Massenangriffe unter Einsatz auch anderer chemischer Substanzen gegen die deutschen und österreichischen Armeen unternommen.

Hauptlieferanten von Flüssigchlor waren auf seiten Deutschlands die Chemische Fabrik Griesheim-Elektron in Bitterfeld mit 34.500 t, die Badischen Anilin- und Sodafabriken Ludwigshafen (BASF) mit 23.600 t und die Firma Bayer Leverkusen mit 14.047 t.

Als drittgrößter Chlorerzeuger im 1. Weltkrieg galt auch der Bitterfelder Betrieb des Salzbergwerks Neu-Staßfurt, obwohl er in der umfangreichen Literatur zum Krieg mit chemischen Kampfmitteln kaum Erwähnung findet.

Bereits Ende 1914/Anfang 1915 übernahm die Chemische Fabrik Griesheim-Elektron (CFGE) die Vorbereitungen zur Herstellung von Phosgen, genannt "Grünkreuz" - einem Kampfstoff, der sowohl allein als auch durch Beifügung zu Chlor einsetzbar war.

Das Gewerbeamt bei der Regierung in Merseburg erklärte am 6.9.1915 schriftlich, daß gegen die Genehmigung zum Betrieb der Phosgen-Fabrik in Bitterfeld nichts einzuwenden sei. Doch bereits sieben Tage zuvor hatte die CFGE von der Pionierabteilung beim Kriegsminister den Auftrag zur Produktion von Phosgen mit dem Zusatz von flüssigem Chlor erhalten. Das fertige Gemisch war zunächst in Kesselwagen der Eisenbahn an verschiedene Stellen weiterzuleiten, wo es dann für den militärischen Einsatz in Trägermittel (Flaschen, Granaten, Minen u. a.) gefüllt wurde. Der Arzt des 35. Gaspionierregiments, Alfred Schroth, beschrieb die Wirkungen eines Phosgen-Angriffs so: "All jene Fälle aber, die wir zwei oder drei Stunden nach dem Angriff in Stellung durch den Tod verlieren, bieten einen Anblick größten Entsetzens. Atemnot und Hustenreiz steigern sich bis zum Erstickungsanfall. Der anfangs zähe und spärliche Auswurf macht einem dünnflüssigen und schaumigen Auswurf Platz, der allmählich blutig gefärbt ist und schließlich aus der Nase herausquillt. Das Aussehen der Vergifteten wirkt verfallen, und es tritt infolge Lungenödems der Tod bei fast vollem Bewußtsein ein."

Phosgen wurde durch die deutschen Truppen erstmals am 31. Mai 1915 im Mischungsverhältnis 20:80 mit Chlor an der Bzura bei Bolimow in der Nähe Warschaus - der sogenannten Ostfront - aus 12.000 Flaschen abgeblasen. Dadurch fanden 1101 russische Soldaten einen qualvollen Tod, während 8934 weitere vergiftet wurden.

Ein Gasangriff des deutschen Heeres mit Phosgen und Chlor fand am 19./20. Oktober 1915 bei Reims in Frankreich statt. Es wurden 500.000 kg Kampfstoff aus 25.000 Gasflaschen abgeblasen. Der mörderischste Angriff erfolgte am 29. Juni 1916 bei Doberdo, wo 5000 italienische Soldaten umkamen.

Neben dem Aufbau der Phosgenfabrik wurde im September 1915 bei der CFGE auch die bereits vorhandene Chloratfabrik zur Herstellung von Sprengstoffen, Explosiv- und Zündmitteln erweitert.

Die Unternehmen, welche an der Herstellung von chemischen Kampfstoffen beteiligt waren, arbeiteten auf diesem Gebiet - wenn auch nicht ohne Konkurrenzkampf - zusammen. Die zentrale Koordinierung der vom Kriegsministerium geforderten Mengen erfolgte durch Carl Duisberg, Mitbegründer der "Interessengemeinschaft der deutschen Teerfabriken", aus denen 1915 die IG Farbenindustrie AG entstand.

Mitte des Jahres 1917 gelangte ein völlig neues Giftgas zum Einsatz: das deutsche "Blaukreuz", das auch unter dem Namen Clark I bekannt wurde. In Form feinster Schwebestoffteilchen war es dazu in der Lage, die Atemschutzfilter der Gasmasken zu durchdringen und die Betroffenen zu deren Herunterreißen zu zwingen.

Die Symptome begannen mit einem Niesreiz und einer starken Sekretabsonderung. Hustenreiz und Atemnot schlossen sich an. Die einsetzenden Kopfschmerzen steigerten sich ins Unerträgliche. Diese Erscheinungen wurden von Brustschmerzen sowie Übelkeit begleitet, die bald zum Erbrechen führte. Schwindel, Schwäche und ein ausgeprägtes Muskelzittern kamen hinzu.

Clark I und der nachfolgende Giftstoff Clark II wurden in Deutschland von den Chemiefirmen Höchst, AGFA Wolfen und Cassella zwischen März 1917 und November 1918 produziert. Die Gesamtproduktion von Clark I betrug 8037 t, die von Clark II insgesamt 3263 t.

Die Herstellung von Clark II begann spätestens im Februar 1918 in Wolfen, denn bis zum 6. März d. J. wurden bereits 18.404,5 kg davon an die Blausäure-Füllstelle der kaiserlichen Gas-Truppen ausgeliefert.

Die Farbenfabrik Wolfen war an der deutschen Gesamtproduktion mit 1725 t Clark I (21,5 %) und 1045 t Clark II (32,0 %) beteiligt. Sie erfolgte bis Kriegsende.

Nur wenige Tage nach dem ersten Einsatz von "Blaukreuz" setzte Deutschland den Kampfstoff "Gelbkreuz" oder Lost ein. Aufgrund des schwach meerrettichartigen Geruches nannten ihn die Engländer "mustard gas" (Senfgas), aufgrund seiner drastischen Wirkungen auch "hun stuff" (Hunnenstoff), während die Franzosen ihn nach dem Einsatzort "Yperite" bezeichneten. Das Vergiftungsbild von "Gelbkreuz" wurde folgendermaßen beschrieben: "Erst nach sechs Stunden traten die ersten Vergiftungserscheinungen zutage. Heftige Bindehautentzündungen mit Lichtscheuheit verwandelten die Vergifteten vorübergehend in Blinde. Eine brennende Blasenbildung beschränkte sich nicht nur auf die unbedeckten Körperteile, sondern setzte sich unter den Kleidern fort und ließ nur jene Teile unberührt, welche von dem Gürtel und den Hosenträgern bedeckt waren. Die Beschädigung der Lungen verbunden mit Dysphonie (Störungen der normalen Stimmbildung) vervollständigten das klinische Bild."

Bei der Obduktion von Lost-Opfern fand man starke Schwellungen an Kehlkopf und Stimmbändern. Die Luftröhre war mit einer dünnen, schaumigen Flüssigkeit angefüllt, die Lunge selbst wog das Doppelte des Normalgewichts und fühlte sich fest und kompakt an. Teile der Lungenflügel versanken in Wasser, das Herz hatte ebenfalls das Doppelte des Normalgewichts, und die Venen über der Gehirnoberfläche enthielten unzählige Gasbläschen." Wenngleich der Anteil der durch Lost zu Tode Gekommenen sowie von Dienstoder Arbeitsuntauglichkeit Betroffenen "nur" etwa 1,8 bis 2,5 % ausmachte, waren monatelange Krankheit und erst Jahre nach dem Krieg auftretende Folgeerkrankungen und Spätwirkungen (Krebs) feststellbar.

Am 15. Februar 1918 übernahm Dr. Geldermann von der Farbenfabrik Wolfen spezielle Aufgaben zur weiteren Entwicklung des Kampfstoffes Delost, wie der Tarnname des Kampfstoffes Lost lautete, der aus Ethylen und Schwefeldichlorid erzeugt wurde.

Noch Ende Oktober 1918 erhielt die AGFA-Fabrik Wolfen/Greppin den Auftrag für eine monatliche Produktion von 500 t.

Abschließend sei vermerkt, daß in der Farbenfabrik Wolfen während des Krieges mindestens 15 Testverbindungen für Reiz- und Wirkstoffe entwickelt wurden, die mögliche Grundlagen für weitere chemische Kampfstoffe bildeten.

In der Literatur zu deren Einsatz wird davon ausgegangen, daß mindestens 150.000 t produziert wurden, von denen etwa 125.000 t zur Anwendung gelangten. Deutschland dürfte an den erzeugten und versprühten Mengen mit mehr als der Hälfte beteiligt gewesen sein.

Nach Angaben aus den 30er Jahren betrug die Anzahl der Gasvergifteten zwischen 1.008.838 und 1.296.853 Personen, die Zahl der Gastoten 79.190 bis 91.198. Für Deutschland werden 78.663 bis 107.000 Gasgeschädigte angegeben, von denen 2280 bis 4000 starben.

Übrigens setzten die Bosse des Bitterfelder Chemiereviers ihr profitables Geschäft mit dem Tod auch in der Zeit des 2. Weltkrieges fort. In den 40er Jahren entwickelte und produzierte die Farbenfabrik Wolfen das Blausäuregas Zyklon B, durch das in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern der deutschen Faschisten Millionen Menschen - vor allem Juden, Sinti und Roma, aber auch Angehörige vieler Völker Europas - grausam ermordet worden sind.

Kurt Menzel, Bitterfeld-Wolfen

Ende RF-Extra

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Wer Mordchemikalien entwickelt und einsetzt, gehörte nach Nürnberg

Die Schreckensbilanz von Agent Orange

Seit 2009 gedenkt man am 10. August jeden Jahres in Vietnam der Opfer einer mörderischen "Entlaubungschemikalie", die als Agent Orange weltweit Schrecken hervorrief. Mit diesem Erzeugnis verbindet sich die Erinnerung an eines der grausamsten Kriegsverbrechen in der Geschichte der Menschheit: Am Beginn der US-Intervention gegen die Kämpfer der Nationalen Befreiungsfront (FNL) Südvietnams ordnete Präsident John F. Kennedy bereits 1961 als Bestandteil der Operation "Ranch Hand" den Pentagon-Einsatz der Chemikalie 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) an. Sie sollte die Ernte vernichten, den Gegnern der USA so die Grundnahrung Reis entziehen und zugleich die Nachschubwege der FNL-Kämpfer - den Ho-Chi-Minh-Pfad - für Luftschläge "freilegen". Zu diesem Zweck wurden zwischen 1962 und 1971 fast 50 Millionen Liter des sogenannten Seveso-Giftes über Südvietnam versprüht.

Führende Unternehmen der Branche erkannten die Möglichkeit, durch die massenhafte Herstellung von als Kampfstoff verwendbaren Chemikalien enorme Profite erzielen zu können. Zu diesem Zweck gründeten die US-Konzerne Dow Chemical und Mobay ein Gemeinschaftsunternehmen. Hinzu kamen Monsanto und Bayer-Leverkusen. Wenn es um Massenmord geht, greift man ja gerne auf deutsche Erfahrungen zurück! Schließlich war Zyklon B ursprünglich auch nur als Insektengift deklariert. So wollte Boehringer aus Ingelheim in diesem "Ensemble" nicht fehlen und lieferte 1967 an Dow Chemical 720 t hochgiftige Trichlorphenobat-Lauge.

Das Ergebnis der ununterbrochenen Versprühung des Kampfstoffes Agent Orange ist die Verseuchung von Ackerböden und Gewässern auf Jahrhunderte, wobei das Leid der Betroffenen alle Dimensionen menschlicher Vorstellungskraft übersteigt.

Fast 1,1 Millionen Vietnamesen leiden bis heute an den Spätfolgen des "Todesnebels", und auch noch in der dritten Nachkriegsgeneration werden schwerstbehinderte Kinder geboren. Sie kommen ohne Augen, mit offenen Gehirnen, Krebsgeschwüren und Immunschwäche oder ohne Arme und Beine zur Welt.

Anfang August lief bei der ARD die Dokumentation "Regen der Vernichtung", die vom Schicksal dieser Kinder berichtete. Man wurde zugleich der Liebe und Hilfsbereitschaft jener Menschen gewahr, welche sich um die unschuldigen Opfer des gigantischen US-Kriegsverbrechens kümmern. Die Bilder waren in ihrer nackten Grausamkeit nicht zu ertragen. Sie zeigten, wie winzig und oft belanglos - verglichen damit - eigene Sorgen sind. Indem der eine dem Blinden die Augen zu ersetzen versucht, bemüht sich der andere darum, ihm Arme und Beine zu kompensieren. Tränen der Wut und des Entsetzens liefen über mein Gesicht, weil wir in einer Welt leben, in der so etwas möglich ist. Und dabei überschütten uns die verantwortlichen Politiker Tag für Tag mit Phrasen und leeren Worten, die begründen sollen, warum der Krieg, den sie gerade führen "müssen", unumgänglich sei und weshalb die anderen Schuld daran trügen.

Da Dioxin in die Nahrungskette eingetreten ist, sind etwa viereinhalb Millionen Menschen davon betroffen - ohne jede Aussicht, das ändern zu können. Wie immer fehlt es am Geld. Die Verantwortlichen von damals sind inzwischen fast alle gestorben. Sie waren bis zuletzt mit einer guten Pension ausgestattet und hoch geehrt, ohne daß die Weltgemeinschaft sie - wie einst hitlerfaschistische Anführer in Nürnberg - als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt hätte.

Doch einer aus dieser Riege lebt noch: Henry Kissinger, Ex-Außenminister und Chefsicherheitsberater unter US-Präsident Richard Nixon. Er war für den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung Nordvietnams mitverantwortlich. Dafür erhielt er den Friedensnobelpreis (!). Gibt es einem nicht zu denken, daß Leute wie er und Obama dadurch in eine Reihe mit Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky, Albert Schweitzer, Martin Luther King und Mutter Theresa gestellt worden sind? Was für eine Verhöhnung der Opfer!

Da das hier Geschilderte mit Moral und Menschenwürde zu tun hat, will ich noch folgendes hinzufügen: Die ebenfalls betroffenen Soldaten der U.S. Army haben per Gutachten vor Gericht bewiesen, daß die bei ihnen festgestellten Schäden auf Kontakt mit Agent Orange zurückzuführen sind. Aufgrund von Sammelklagen ist es ihnen 1984 vor Gericht gelungen, fast 200 Millionen Dollar von der US-Regierung und den Herstellerfirmen zu erstreiten.

Eine Sammelklage vietnamesischer Opfer der "Entlaubungschemikalie" aber wurde von demselben Gericht abgewiesen. Man sehe keinen Zusammenhang zwischen den körperlichen Schäden der Kläger und deren Kontakt mit Agent Orange. Somit - hieß es - liege eine chemische Kriegführung nicht vor und damit auch kein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Zieht man solche Unrechtsurteile in Betracht, dann versteht man auch, warum Obamas USA noch immer Folterlager wie Guantánamo unterhalten und die psychische wie physische Vernichtung von Menschen "im Interesse der nationalen Sicherheit" liegt.

Joachim Augustin, Bockhorn (Friesland)

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Ukraine: Ringen um einen nichtpaktgebundenen und föderalen Staat

Das Damoklesschwert heißt NATO-Anschluß

Die Ost-Erweiterung von EU und NATO bildet den eigentlichen Hintergrund des aktuellen Geschehens in der und um die Ukraine.

Treibende Kräfte waren von Beginn an die USA und der bisherige NATO-Generalsekretär Rasmussen, wobei ihnen die Regierung der BRD assistierte. Sie stehen auf der einen Seite, auf der anderen befindet sich Rußland mit Putin, die das nicht hinnehmen. In der Ukraine ist die Bevölkerung gespalten. Starke Kräfte im Südosten des Landes befinden sich in einem scharfen Konflikt mit dem von Faschisten durchsetzten Kiewer Regime. Sie besitzen logischerweise materielle, personelle und moralische Unterstützung von seiten Rußlands, das indes jede direkte staatliche Einmischung vermeidet.

Auf die schleichende EU-Inbesitznahme der Ukraine in finanziell-wirtschaftlicher Hinsicht und die politische "Machtergreifung" durch die Maidan-Putschisten soll nun die gegen Rußland gerichtete militärische Eingliederung folgen. Eine NATO-Anbindung wurde übrigens schon 2008 und früher versucht, konnte damals aber noch verhindert werden.

Es erfolgt der offene und verdeckte Raub der Kornkammer Europas durch private Kapitaleigner. Etliche Millionen Hektar sollen sich bereits im Besitz ausländischer Agrarmonopole befinden. Auf industriellem Gebiet und im Hinblick auf die Kontrolle der reichen Bodenschätze des Landes verhält es sich nicht anders. Ein einziger westlicher Kapitalgigant besitzt einen Exklusivvertrag zur Erschließung von Billionen Kubikmetern Gas. Allerdings befinden sich die meisten Lagerstätten im umkämpften Osten der Ukraine. Ein Sohn des US-Vizepräsidenten Biden gehört bekanntlich dem Aufsichtsrat des führenden ukrainischen Energieunternehmens an.

Mit ihren über 40 Millionen Einwohnern stellt die Ukraine einen phantastischen Markt für die USA und eine Reihe von EU-Staaten dar. Die dort Lebenden müssen für westliche "Stützungen" und "Sanierungsmaßnahmen" aufkommen, gilt es doch, den Steinkohlebergbau mit ausländischer "Hilfe" zu modernisieren und die Erwartungen auf den Gaszustrom mittelfristig zu erfüllen, zumal der bisher florierende Export des Maschinenbaus der Ukraine und ihrer Rüstungsindustrie nach Rußland ganz oder teilweise zum Erliegen kommen dürfte. Eine weitere Ausplünderung der Arbeitenden, die potenzierte Stärkung der Oligarchie, die sich noch mehr als bisher am Staatseigentum bereichern wird, sowie die Herausbildung einer korrumpierten Mittelschicht, der es gutgeht, werden die Folgen sein.

Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, warum Staatspräsident Janukowitsch, der das bereits ausgehandelte und jetzt unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis legte, unbedingt verschwinden mußte, obwohl er als Oligarch selbst nicht weniger korrupt war wie seine Vorgänger und Nachfolger.

Beim "Maidan-Krawall" handelte es sich zweifelsfrei um einen Putsch gewalttätiger, zum Teil aber als Kulisse mißbrauchter Aufbegehrender, der durch die Kiewer Botschaft der Vereinigten Staaten bei Assistenz des langjährigen USA-Agenten Jazenjuk koordiniert worden ist. Man denke an jenen peinlichen Telefonmitschnitt: Eine Diplomatin des State Department bezeichnete den heutigen "Premier" der Ukraine dabei als "unseren Mann". Und was wollte der CIA-Direktor zu dieser Zeit in Kiew? Oder der deutsche Außenamts-Chef?

Bei der Einkreisung Rußlands kommt der politischen Ausrichtung der Ukraine eine Schlüsselrolle zu. Vorerst werden Finanzspritzen nur in relativ milder Dosierung verabreicht, um den Kollaps des Regimes am Dnepr zu verhindern. Man schießt bei TV-Sendern zu, hofiert die "politische Klasse" einschließlich der Enkel Stefan Banderas, der mit Hitler kooperierte, und entsendet "Berater" entsprechender US-Stellen in die ukrainischen Sicherheitskräfte. Die Rede ist inzwischen von 1500. Ein ganzes Bataillon Irak-Erfahrung besitzender "Mitarbeiter" privater amerikanischer Sicherheitsfirmen berät solche faschistischen Sondereinheiten wie "Asow", "Dnipro" und "Donbass", die das Hakenkreuz und die SS-Rune als Symbole gewählt haben.

Der Haß gegen Putin kennt keine Grenzen. Dabei ist dieser besonnene und kaltblütige Politiker ja der oberste Repräsentant des seit mehr als zwei Jahrzehnten kapitalistischen Rußlands. Doch man sollte bedenken: Er hat den von Gorbatschow und Jelzin in Szene gesetzten brutalen Ausverkauf seines Riesenlandes aufgehalten. Zielstrebig, mit harter Hand, aber erfolgreich. Nunmehr wagt er, der Ausdehnung des NATO-Kriegspaktes bis an die südwestlichen Grenzen seines Landes Paroli zu bieten. Zumindest hat er durch sein entschlossenes Handeln verhindert, daß die U.S. Navy in Sewastopol ankert. Die Versorgung der Krim kostet Moskau ebenso Kraft wie der Ersatz für ausgefallene Lieferungen aus dem Donbass.

Die USA und deren europäische Partner in NATO und EU haben sich indes nicht nur beim raschen und konsequenten Votum der Krim-Bevölkerung für einen sofortigen Anschluß an Rußland - ein völkerrechtsgemäßer Vorgang - Blessuren geholt, sondern auch in anderer Hinsicht den kürzeren gezogen. Ihre gegen Moskau gerichteten Sanktionen werden ihnen mittel- und langfristig auf die Füße fallen.

In Beantwortung der "Strafmaßnahmen" des Westens arbeitet man im Kreml wie im Außenministerium und in den wirtschaftsleitenden Instanzen Rußlands an Alternativen, wobei die BRICS-Staaten - allen voran China - dabei eine bedeutende Rolle spielen dürften.

Fazit: Es muß verhindert werden, daß die Ukraine zum NATO-Aufmarsch-Gebiet mit unabsehbaren Folgen für Europa und die Welt wird. Die Lösung liegt in einem nichtpaktgebundenen Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger der Ukraine, wobei eine föderale Lösung die günstigste wäre.

Reinhardt Balzk, Dresden

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Im März 1991 stimmten 115,3 Millionen Sowjetbürger für den Erhalt der UdSSR

Wie Jelzin den Volkswillen mit Füßen trat

Gegen Ende des Jahres 1990 bemühte sich Gorbatschow um ein neues Abkommen der zur UdSSR gehörenden Sowjetrepubliken, während Jelzin derartige Versuche nach Kräften hintertrieb. Er zählte die Bedingungen auf, unter denen sich Rußland vielleicht an dem Projekt beteiligen würde. Sie waren so formuliert, daß dabei die territoriale, finanzielle und ökonomische Basis, derer es für eine starke und erneuerte Sowjetunion bedurft hätte, vernichtet worden wäre. "Wir sind gegen eine Union auf Rußlands Kosten!" spielte Jelzin die Karte des Nationalismus. Zugleich war das ein Signal an die Adresse verschiedener ethnischer Gruppen des Unionsstaates, fortan eigene Wege zu gehen.

Jelzins Bemühungen, die Russische Föderation von der UdSSR zu trennen, lösten zunehmende Besorgnis unter jenen aus, welche sich noch in der Illusion wiegten, Perestroika sei der Begriff für einen Prozeß tatsächlicher Demokratisierung, nicht aber für die Vernichtung des Staates. Am 25. Dezember 1990 forderte die Vierte Tagung der Volksdeputierten der UdSSR ausdrücklich "die Beibehaltung der Ganzheit der Union Sozialistischer Sowjetrepubliken bei der Umgestaltung des multinationalen Staates in eine freiwillige Union souveräner Republiken mit gleichen Rechten, einen demokratischen und föderalen Staat".

Durch das Gremium wurde der Beschluß gefaßt, dem Volk in Gestalt eines Referendums die Frage zu unterbreiten, ob die Union beibehalten werden solle oder nicht. Als Termin wurde der 17. März 1991 bestimmt.

Bereits zu Beginn dieses Prozesses hatte es klare Anzeichen dafür gegeben, daß die Politiker des rechten Flügels der "neosowjetischen" Kräfte das Ergebnis eines solchen Referendums ignorieren würden - es sei denn, es paßte in ihr Konzept zur Vernichtung der UdSSR.

Nikolai Leonow, einst Generalleutnant der sowjetischen Aufklärung, beschrieb 1994 die frenetischen Bemühungen der sich als "Demokratisches Rußland" ausgebenden antikommunistischen Opposition, eine Abstimmung zugunsten des Weiterbestehens der Sowjetunion um jeden Preis zu hintertreiben: "Am Sonntag, dem 10. März 1991, überflutete eine Welle von Protestmeetings gegen das Referendum das Land. Der Widerstand gegen die Volksabstimmung war indes nur ein Vorwand: In Wirklichkeit ging es um die Macht. Die meisten Losungen, welche die Demonstranten mit sich führten, griffen Gorbatschow an und priesen Jelzin.

Augenscheinlich organisierte sich die Opposition in Windeseile. Sämtliche Versammlungen wurden von Mitgliedern des parlamentarischen Blocks 'Demokratisches Rußland', die selbst nach so entfernten Städten wie Omsk und Wladiwostok eigens aus Moskau angereist waren, gelenkt und geleitet. Auch immer mehr Arbeiter begannen, sich der Intelligenz anzuschließen. Einige Jahre zuvor hatten die Bergleute politische Agitatoren davongejagt, von denen der Versuch unternommen worden war, sich an ihre Streiks zu klammern. Jetzt verlangte fast jeder Grubenarbeiter die Abdankung Gorbatschows und dessen Gefolges. So ergab es sich, daß der letzte Präsident der UdSSR - schwankend, inkonsequent und von begrenzter Begabung, wie er war - zum Hauptgehilfen der Opposition wurde."

Jelzin und dessen Komplizen versuchten, in Rußland weiterhin nationalistische Gefühle zu entfachen und in anderen Republiken gegen die Unterstützung eines Fortbestands der Union zu agitieren. Doch trotz des großen Aufwands war diesen Anstrengungen kein Erfolg beschieden.

Das Referendum vom 17. März 1991 ergab eine beeindruckende Mehrheit für die Beibehaltung der Union. Die offiziell bekanntgegebenen Zahlen sprachen für sich.

Hier ein Überblick:

Anzahl der Stimmberechtigten
Abgegebene Stimmen (80 %)
Davon votierten mit ja (76,4 %)
Neinstimmen (21,7 %)
Ungültige Stimmen (1,9 %)
185.647.355
148.574.606
113.512.812
32.303.977
2.757.817

Doch der Zersetzungsprozeß hatte bereits Wirkung gezeigt: Sechs Republiken - Armenien, Georgien, Estland, Lettland, Litauen und Moldawien - verweigerten dem zentralen Beschluß, das Referendum abzuhalten, die Gefolgschaft. In zahllosen Fällen hinderte man Bürger, die votieren wollten, durch Einschüchterung und andere Formen der Druckausübung daran, von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen.

Dennoch gaben auch dort über zwei Millionen Wahlberechtigte - meist ethnische Russen - ihre Stimme für den Fortbestand der UdSSR ab.

Die Mehrheit der Bürger der Union und die große Majorität der Russen entschieden sich damals für einen einheitlichen sozialistischen Staat. Nach Angaben Leonows beteiligten sich in der Russischen Föderation 75 % der Wahlberechtigten, von denen wiederum 70 % Jastimmen abgaben. In der Ukraine waren es sogar 83 % bzw. 70 %, in Belorußland jeweils 83 %. In den übrigen Republiken fiel die Entscheidung für die UdSSR noch eindeutiger aus. Von dort, wo offiziell keine Teilnahme am Referendum stattfand, wurden dennoch Ergebnisse vermeldet.

So stimmten in Lettland mehr als 500.000 Bürger, in Litauen mehr als 600.000 und in Moldawien über 800.000 Wahlberechtigte ab. Hier handelte es sich vor allem um den engagiertesten Teil der russischsprachigen Bevölkerungsminderheit. Dennoch konnten die Ergebnisse wohl kaum als Votum "unbedeutender Gruppen von Rentnern" ausgelegt werden, wie chauvinistische Politiker und deren Medien behaupteten.

Geben wir zum Schluß noch einmal Generalleutnant Leonow das Wort: "Was benötigten Politiker mehr, um die Sowjetunion angesichts solcher Resultate zu erhalten?

Der Wille des Volkes hatte sich klar und unwiderruflich dafür ausgesprochen. Es fehlte nur ein kleiner Schritt: Man hätte die Ergebnisse des Referendums formell anerkennen und die separatistische Propaganda verbieten müssen, die darauf abzielte, die UdSSR zu zerstören. Die Unionsregierung benutzte diese einmalig günstige Gelegenheit, das Vaterland zu retten, jedoch nicht. Sie 'vergaß' einfach, sich auf die Resultate des Referendums zu stützen, während die Opposition - nach kurzer Verblüfftheit - weiter das Feuer des Separatismus schürte, ohne die Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen.

Der Wille des Volkes wurde schamlos mißachtet."

Dr. Vera Butler, Melbourne,

gestützt auf "Sowjetskaja Rossija" (12.12.1990) und "Prawda" (27.3.1991), beide Moskau

Unsere in Riga als Tochter eines Russen und einer Baltendeutschen geborene Autorin, die diesen Artikel bereits 2007 schrieb, promovierte an der Universität Melbourne zu dem Thema: "Aspekte der australisch-sowjetischen Beziehungen".

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Was hätte den Schotten die Abschottung gebracht?

Das September-Referendum über Schottlands Trennung von oder sein Verbleiben bei England hatte in den einen Hoffnungen geweckt, bei den anderen aber Befürchtungen hervorgerufen. Während man in den USA und in Frankreich ein Scheitern des Großbritanniens außenpolitisches Gewicht erheblich reduzierenden und damit dessen Widerstandskraft gegen den deutschen Imperialismus verringernden Ja-Votums erhofft hatte, hegte man in Berlin direkt entgegengesetzte Erwartungen. Der Verbleib der Schotten unter dem gemeinsamen Dach Großbritanniens entsprach absolut nicht dem politischen Geschmack der Merkel-Regierung. Die Entscheidung - bekanntlich stimmten 55 % der Schotten für den Verbleib bei England und 45 % dagegen - enttäuschte die an der Spree gehegten Hoffnungen, durch eine Teilung des Vereinigten Königreichs das Gewicht Londons, des Hauptwidersachers der BRD-Ambitionen in Brüssel, ernsthaft geschwächt zu sehen.

Britische und schottische Kommunisten, die - im Unterschied zu revolutionären Illusionen nachjagenden Trotzkisten und Ultralinken - für ein Nein optiert hatten, begrüßten den Ausgang des Referendums. Denn wäre die Entscheidung anders ausgefallen, hätte das einen scharfen Rechtsruck im britischen Unterhaus durch den sofortigen Verlust von etwa 40 Mandaten in Schottland gewählter Labour-Abgeordneter zur Folge gehabt. Das Resultat wäre eine deutliche Stärkung der Tory-Herrschaft an der Themse gewesen.

Die Masse der schottischen Labour-Wähler - mehrheitlich Arbeiter und überwiegend jüngere Leute - stimmte für die Unabhängigkeit, während sich die kleine und mittlere Bourgeoisie sowie einflußreiche Sektoren des Großkapitals für ein Festhalten an Großbritannien entschieden. Die Industriemetropole und Arbeiterhochburg Glasgow votierte überwiegend gegen die verhaßte Londoner Tory-Herrschaft.

Qualitative Veränderungen antiimperialistischen Charakters waren für den Fall eines Sieges der sich linksnationalistisch darstellenden Schottischen Nationalpartei (SNP) nicht zu erwarten gewesen. So ließ man in Edinburgh keinen Zweifel an der weiteren NATO-Mitgliedschaft und der Aufrechterhaltung des durch die U.S. Navy atomar bestückten Marinestützpunkts an der schottischen Küste. Ein unabhängiges Schottland hätte sich überdies sofort um die EU-Mitgliedschaft bemüht.

Namhafte Gewerkschaftsführer, linke Labour-Politiker und angesehene Wissenschaftler haben bereits im Vorjahr ein als "Red Paper on Scotland 2014" bezeichnetes Dokument unter dem Titel "Klasse, Nation und Sozialismus" vorgelegt. "The Socialist Correspondent", das in Glasgow erscheinende und dem RF seit langem solidarisch verbundene Vierteljahresmagazin englischer und schottischer Marxisten, berichtete ausführlich darüber. Aus der Sicht der Zeitschrift handelt es sich um den Versuch eines klassenmäßigen Herangehens an Schottlands Situation, wobei der Nachweis geführt werde, daß die Voraussetzungen für eine künftige sozialistische Entwicklung nicht durch Abtrennung, sondern nur innerhalb des Vereinigten Königreichs geschaffen werden könnten.

Scharfe Kritik wird dabei an den als Sozialdemokraten firmierenden SNP-Führern geübt, die als Hauptverlierer des Referendums dastehen. Die Autoren des "Red Paper" treffen zugleich die Feststellung: "Schottland ist unverkennbar stärker für linke Politik offen als unsere südlichen Nachbarn."

Das "Rote Papier" warnte nachdrücklich vor Illusionen über mögliche soziale Veränderungen innerhalb der bestehenden Ordnung. "Die einzige ökonomische Transformation, die unter einer SNP-Regierung in einem unabhängigen Schottland stattfinden würde, wäre dem Kapital zugewandt und gegen die Arbeiterschaft gerichtet." Die Preisgabe der Schlüsselgewalt über die Wirtschaft an auswärtige Institutionen, die Bank von England und die Europäische Kommission der EU stünden dann zur Debatte.

Vorstellungen, daß ein Aufbrechen des einheitlichen Staates sozialen Fortschritt bringe und die Unabhängigkeitsbewegung einen "nationalen Befreiungskampf" führe, gingen völlig an den Realitäten vorbei.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", Glasgow, und "Solidaire", Brüssel

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Nicaragua baut den Großen Interozeanischen Kanal

Am 19. Juli beging man in Nicaragua den 35. Jahrestag des Sieges der Sandinistischen Volksrevolution über die Somoza-Diktatur. In seiner Festansprache verkündete Präsident Daniel Ortega, der Große Interozeanische Kanal durch Nicaragua werde kommen. Damit erfüllt sich die Vision Sandinos von einer Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik.

Die Planung des Bauwerks läuft seit 2012. Nicaraguas Nationalversammlung beschloß damals, das Megaprojekt an die HKND Group des chinesischen Unternehmers Wang Jing aus Hongkong zu vergeben.

Ein Wort zu den technischen Daten: 286 km Länge, davon 80 km durch den Nicaragua-See; 230-520 m Breite; 27,6-30 m Tiefe. Der Kanal wird die Durchfahrt von Containerschiffen, Frachtern und Tankern mit einer Kapazität bis zu 400.000 Tonnen erlauben. 5100 Schiffe sollen ihn im Jahr passieren können. Für den Transit werden 30 Stunden benötigt. Zum Kanal werden zwei Schleusen gehören: eine auf der Pazifikseite, die andere zur Karibik hin. Das Projekt umschließt eine Eisenbahnlinie, Ölleitungen, zwei Tiefseehäfen, zwei internationale Airports und zwei Freihandelszonen an den Mündungsseiten. Es wird etwa 40 Milliarden US-Dollar kosten. Nicaragua will 51 % der Anteile halten.

Vier unter fünf in eine Umfrage des Instituts M & R einbezogene Nicaraguaner äußerten, sie hielten den Großen Interozeanischen Kanal für ein seriöses Projekt, während 12,7 % Einwände erhoben und einen Erfolg bezweifelten. Für und Wider waren in Hunderten Beratungen mit der Bevölkerung diskutiert worden.

Die Mehrheit der Nicaraguaner hat also das Vorhaben, die Sandinistische Revolution mit diesem gigantischen Bauwerk in ihre zweite Etappe zu führen, akzeptiert: Auf die politische soll jetzt die wirtschaftliche Unabhängigkeit folgen. Managua will damit der extremen Armut und den zu erwartenden ernsten Folgen des Klimawandels entgegenwirken.

Um beide Aufgaben lösen zu können, muß das mittelamerikanische Land ein jährliches Wirtschaftswachstum von mindestens 8 Prozent erreichen. Derzeit liegt es zwischen 4 und 5 %. Nicaragua verspricht sich vom Kanalprojekt diese Steigerung und zugleich die Erwirtschaftung der für das Bauwerk erforderlichen Mittel. Der Kanal soll auch Wasser für die Felder der Bauern liefern.

Für das Vorhaben ist eine Bauzeit von fünf Jahren veranschlagt worden.

Wolfgang Herrmann, Nueva Nicaragua e. V.

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Warum der bewaffnete Widerstand im faschistischen Spanien erfolglos blieb

Die USA retteten die Franco-Diktatur

Nach dem durch Hitler und Mussolini abgesicherten Sieg der Franco-Faschisten im März 1939 befand sich eine Million Spanier entweder in Konzentrationslagern oder in der Emigration. Deren Zentrum wurde Frankreich. Die kleinbürgerlichen und sozialdemokratischen Politiker der Republik resignierten. Im März 1939 löste sich die in Paris angesiedelte Regierung der Volksfront auf. Das Schicksal der Emigranten verlief unterschiedlich.

Viele gingen nach Mexiko, Kuba, anderen Ländern Lateinamerikas und in die UdSSR. Die Regierung Frankreichs behandelte die Spanienkämpfer unwürdig. Als die hitlerfaschistischen Truppen dort einfielen, gerieten Tausende von ihnen in deren Hände. Ein großer Teil starb in Konzentrationslagern, allein über 5000 in Mauthausen. Massen von Spaniern strömten in die Fremdenlegion oder zu de Gaulles "Freien Franzosen". Sie zeichneten sich besonders in der 2. Panzerdivision von General Leclerc aus, wo ihre Kettenfahrzeuge nach Kampfstätten des spanischen Bürgerkrieges benannt worden waren. Sie befanden sich unter den ersten regulären Soldaten der französischen Armee, die 1944 den Pariser Aufständischen zu Hilfe kamen. Während des Großen Vaterländischen Krieges der UdSSR kämpften 14.000 republikanische Spanier in den Reihen der Roten Armee. Ein Sohn der Pasionária - Ruben Ruiz Ibarruri - fiel als Held der Sowjetunion in der Stalingrader Schlacht.

Die von José Diaz und Dolores Ibárruri geführte KP Spaniens (PCE) hatte 1939 etwa 300.000 Mitglieder und gehörte der Volksfrontregierung an. Ihr und den von der Partei geleiteten Bereichen war es zu verdanken, daß der antifaschistische Abwehrkampf so lange durchgehalten wurde. Nach der Niederlage waren Kommunisten die ersten, die den Widerstand zu organisieren begannen. Schon 1942 versuchte die PCE in Frankreich eine Nationale Union als Plattform zur Vereinigung unterschiedlicher antifaschistischer Kräfte ins Leben zu rufen, doch andere zogen nicht mit. Erst im September 1944 wurde in Mexiko eine Exilregierung gebildet, die bis 1977 bestand. Zur gleichen Zeit schufen Sozialdemokraten und liberale Republikaner den Bund Demokratischer Kräfte. Diesem und der Exilregierung trat 1946 auch die PCE bei.

Im Zuge der Befreiung Frankreichs ergriffen spanische Kommunisten abermals die Initiative. Im Süden des Landes hatten Tausende von ihnen in Partisanenabteilungen der FKP gekämpft. Sie vereinigten sich im Mai 1944 in der Spanischen Partisanengruppierung mit Hauptquartier in Toulouse.

In diesen Gebieten wurden die francofaschistischen Vertretungen und Banken gewaltsam in Besitz genommen und über ihnen die Fahne der Spanischen Republik gehißt. Nun bereiteten sich die Partisanen auf den Kampf in ihrem Heimatland vor.

Seit 1937 gab es in den von Franco kontrollierten Gebieten etwa 3000 republikanische Flüchtlinge, die sich in den Bergen verschanzt hatten, aber militärisch kaum in Erscheinung traten. Bis 1941 wurden deren Gruppen zerschlagen. An ihre Tradition wollten kommunistische Partisanen anknüpfen, die fest mit einer Niederwerfung Spaniens durch die Alliierten rechneten. Bei zwei Angriffen im Herbst 1944 gelang es ihnen, gewaltsam die Grenze nach Asturien, Katalonien, Galizien und der Estremadura zu durchbrechen oder in kleinen Trupps einzusickern. Im September griffen dann 4000 kommunistische Guerillakämpfer die Stadt Lerida an, um einen ersten Brückenkopf für die angestrebte neue Volksfront-Regierung zu schaffen und einen landesweiten Aufstand auszulösen. Im Oktober belagerte ein starker Partisanenverband die Stadt Viella. Es gelang ihm aber nur, einige Quadratkilometer spanischen Bodens zu befreien und Hunderte Gefangene zu machen. Einen Aufstand vermochte er nicht zu entfachen.

Franco stützte sich abermals auf seine marokkanischen Elitetruppen. Die Partisanen erlitten eine Niederlage: 200 fielen, 800 gerieten in Gefangenschaft, während sich der größte Teil des Verbandes geordnet nach Frankreich zurückziehen konnte. Etwa 200 Partisanen schlugen sich weiter nach Süden durch. Unter Führung von Jesus Monzon schufen sie kurzzeitig eine Stadtguerilla in Madrid, die sogar ein faschistisches Hauptquartier angriff.

Doch die Bedingungen für den Partisanenkampf waren äußert ungünstig. In Franco-Spanien herrschte seit 1939 Friedhofsruhe. Eine "fünfte Kolonne" von Denunzianten terrorisierte alle Anhänger der Linken. Nahezu sämtliche bekannten einstigen Republikaner waren eingekerkert. Überdies bestand Uneinigkeit zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen Gegnern der Diktatur. So zerfiel die republikanische Partisanenfront. 1947 wurden die Kommunisten aus der Exilregierung ausgeschlossen. Im selben Jahr kam es jedoch noch einmal zu einem gewissen Höhepunkt der Partisanenkämpfe. Die letzten Abteilungen hielten sich bis 1952. Bewaffnete Gruppen des Widerstandes operierten auch später noch in Spanien, standen aber unter dem Kommando von Anarchisten.

Das Ausbleiben der erwarteten Unterstützung durch die westlichen Alliierten untergrub den antifaschistischen Widerstand in besonderem Maße. Trotz öffentlicher Verurteilung des Franco-Regimes verhinderten vor allem die USA ein Eingreifen zugunsten der Diktaturgegner. Der aufkommende Kalte Krieg rettete auch den Faschismus in Spanien. Die Hoffnung auf seinen baldigen Sturz erwies sich als Wunschdenken.

Die PCE mußte ihre Strategie ändern und sich auf einen langandauernden Kampf einstellen. Die Partisanenaktionen wurden abgebrochen und die illegalen Gewerkschaften aufgelöst. Statt dessen wurde der Versuch unternommen, in bestehende Strukturen einzudringen. Die PCE blieb indes die einzige Partei des Landes, welche in den folgenden Jahrzehnten aktiven Widerstand leistete.

Es ist davon auszugehen, daß die spanischen Kommunisten in Westeuropa wohl die meisten Opfer im Kampf gegen den Faschismus gebracht haben. Dies trug dazu bei, daß die unter Santiago Carrillo zum Eurokommunismus tendierende PCE - im Unterschied zu Portugals marxistisch-leninistischen Prinzipien folgender PCP - nach ihrer Legalisierung 1977 keine führende Rolle im Prozeß der Wiederherstellung bürgerlich-demokratischer Verhältnisse zu spielen vermochte. Dennoch trat sie trotz des Aderlasses als drittstärkste politische Formation des Landes in eine neue Kampfetappe ein.

Dr. Bernhard Majorow

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Was der Publizist Erich Kuby 1984 für undenkbar hielt
Stell dir vor, die Mauer ist weg

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Gegen Plattheiten über den Plattenbau

Nach der Rückwende wird kaum ein DDR-Begriff - gleich nach der Lieblings-Diffamierungsvokabel "Stasi" - so gehässig und abwertend in den tonangebenden Medien verwendet wie Plattenbau. "Die Platte" wurde zum Inbegriff des angeblich menschenunwürdigen Daseins im DDR-Alltag hochstilisiert. Ähnlich wie der Palast der Republik, der unseren westlichen "Brüdern und Schwestern" als "Palazzo Prozzo" nahegebracht werden sollte, wurden die Plattenbauten als "Arbeiterschließfächer" abgestempelt.

Das kommt übrigens bisweilen ganz subtil daher: Da vernachlässigt eine junge Frau ihre Kinder. Was schreiben anschließend die Zeitungen? Die Rabenmutter habe die Kleinen zwei Wochen lang "in einem Plattenbau" - also nicht in einer Wohnung! - allein zurückgelassen. Was kann denn die Bauweise eines Hauses dafür! Kein Journalist käme je auf den Gedanken, seinen Lesern mitzuteilen, diese Frau habe ihre Kinder in einem "Ziegelsteinbau" zurückgelassen.

Die "Platte" muß mit allem Negativen behängt werden, was sich nur irgendwie anbietet. Politiker und Journalisten, die so daherreden oder schreiben, haben offensichtlich nicht die geringste Ahnung von dem, worüber sie schwadronieren.

Die industrielle Montagebauweise, von weitsichtigen Vordenkern des Dessauer Bauhauses und Architekten einer ihm vorausgegangenen Periode bereits im Ansatz erprobt, wurde in der DDR zu technischer Vollkommenheit weiterentwickelt. Sie ist eine wissenschaftlich-technische Leistung ersten Ranges, deren einziger Makel darin besteht, daß die Wohnblocks in Massen als gleichförmig erscheinende und daher leicht zu verwechselnde Baukörper nebeneinander aufgereiht wurden. Die Entwickler des industriellen Bauens wollten das so nicht und gingen davon aus, daß mit vorgefertigten typisierten Bauelementen durchaus Abwechslungsreiches geschaffen werden kann. Aber das wurde ihnen unter Überbetonung ökonomischer Ziele, Zwänge und Kennziffern nicht gestattet, weil es dann keine solchen Rekorde bei Bauzeiten und Kostenminimalisierung gegeben hätte. 1987 wurden für eine moderne 58-qm-Plattenbauwohnung mit Zentralheizung und Warmwasserversorgung nur 561 Arbeitsstunden - davon 286 in der Vorfertigungsphase - bis zur Übergabe gebraucht. Die Miete betrug je Quadratmeter Wohnfläche 0,80 bis 1,25 Mark der DDR. Heute wären das 0,20-0,32 Euro.

Für den Bau einer freistehenden Eigenheimwohnung oder für eine solche in Wohnanlagen werden in der Regel etliche Monate, manchmal sogar Jahre gebraucht. Kann man auf diese Weise die Wohnungsnot Hunderttausender oder von Millionen Menschen - allein aus technischer Sicht - lindern oder beheben?

Niemand käme heute auf den Gedanken, die Autoindustrie dafür zu tadeln, daß ihre Produkte im Takt- und Fließverfahren aus vorgefertigten Baugruppen weitgehend von Robotern zusammengefügt werden. Keiner wertet diese als "Plattenblech-Autos", nur weil sie nicht mehr wie zu Zeiten des alten Benz handwerklich zusammengeschraubt werden.

Bei Häusern scheint das aber so zu sein. Die kapitalistische Gesellschaft ist vor allem an individuell gestalteten Anlagen mit Eigentumswohnungen und am privaten Häuslebau interessiert. Nur das "rechnet sich". Banken fahren mit Krediten für jene, welche hinreichend bei Kasse sind, satte Gewinne ein, ebenso Versicherungen, Bausparkassen, Makler, Notare und viele andere. Profitable Kapitalanlage ist der einzige Maßstab.

In den östlichen Randgemeinden Berlins kann man sehen, wohin eine solche Wohnungspolitik führt. Jede sich bietende Lücke wird zugebaut. Der Preis dafür: Tag für Tag wird die Natur ein Stück mehr zerstört. Gewachsene Landschaften zersiedelt man. Dem folgt dann die Zubetonierung weiterer Flächen auf dem Fuße, weil die Häusle-Bewohner Straßen, Parkplätze, Einkaufszentren und vieles mehr benötigen. Gleichzeitig veröden ganze Viertel ostdeutscher Großstädte, weil es für Hunderttausende einst in Lohn und Brot stehende DDR-Bürger nach Abwicklung der Industrie im Osten keine Arbeit mehr gibt. Sie müssen sie nun anderswo suchen.

An Leipziger Ausfallstraßen gibt es seit geraumer Zeit leerstehende Häuserzeilen, die in den Gründerjahren errichtet wurden. Diese erfahren allerdings keine derart gehässige Herabwürdigung, wie die inzwischen oftmals unbewohnten Plattenbauten, die bereits massenhaft abgerissen worden sind. Sie fallen auch nicht wie diese dem "Stadtumbau" zum Opfer.

Hans Rehfeldt, Berlin


Unser Autor war ND-Redakteur für Fragen des Bauwesens.

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Als Willi Bredel der geistigen Finsternis den Kampf ansagte

An der Spitze des Schweriner Kulturbundes

Am 4. Juli 1945 wurde in Berlin der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet. Im darauffolgenden Monat konstituierte er sich als Organisation mit Johannes R. Becher als erstem Präsidenten. In Mecklenburg-Vorpommern wurde Willi Bredel zum Vorsitzenden des Landesverbandes gewählt. Die Gründer gingen kämpferisch, gesellschaftskritisch und zukunftsorientiert ans Werk.

"Wir glauben, daß wir Licht bringen müssen in die furchtbare Finsternis, die Hitler hinterlassen hat. Wir dürfen die Menschen nicht ihrer Verzweiflung überantworten, sondern müssen sie hochreißen und ihnen ein neues Ziel geben, und vor allem eines, worauf es in dieser ­... Katastrophe ankommt: Vertrauen in die Lebensfähigkeit des von seinen reaktionären Übeln befreiten Volkes und Mut und Mut!", hieß es in den Leitsätzen.

Der Kulturbund stieß das Tor zu einem Leben auf, von dem die meisten Menschen nur wenige Monate zuvor noch nicht einmal zu träumen gewagt hatten. Das widerspiegelte sich in der außergewöhnlichen Resonanz. In schneller Folge wurden in M-V etliche Ortsgruppen gebildet. 1947 waren es bereits 91, denen mehr als 24 000 Mitglieder angehörten - 1 % der Gesamtbevölkerung. 4362 von ihnen waren jünger als 20 und 5447 im Alter zwischen 21 und 30. Wissenschaftler, Ärzte, Künstler, Lehrer, Techniker, Schriftsteller und Theologen, aber auch Studenten und Schüler fanden im Kulturbund eine geistige Heimat, sahen in ihm eine Chance, die faschistische Ideologie zu überwinden.

Die Tatsache, daß der Kulturbund besonders in Mecklenburg-Vorpommern eine derartige Anziehungskraft besaß und ständig an Einfluß gewann, ist vor allem Willi Bredel zu verdanken. In den Leitsätzen, die auf seiner Initiative beruhten, erkannten viele die Kursnahme auf eine gesellschaftliche Zukunft, für die sich der Einsatz lohnte.

Wer dem Kulturbund angehörte, verstand sich als Mitglied einer Organisation, die zwar politisch nicht neutral, aber an keine Partei gebunden war. Man ging einander nicht aus dem Weg, schloß sich nicht gegenseitig aus, sondern suchte das Gespräch. Willi Bredel sorgte bereits bei der Bildung einer ersten Landesleitung dafür, daß alle Bereiche der Intelligenz gleichberechtigt vertreten waren und Ressentiments weitgehend ausgeschlossen wurden.

So gehörten ihr u. a. die Intendanten Edgar Bennert und Johannes Semper, die Rektoren Prof. Dr. Lohmeyer und Prof. Dr. Rienäcker, die Pastoren Karl Kleinschmidt und Bruno Thek, die Schauspieler Lucie Höflich und Josef von Santen, die Schriftsteller Adam Scharrer und Graf Stenbock-Fermor, der Heimatforscher Johann Gosselk und der Redakteur Karl Krahn an.

Der Kulturbund ist seinen Gründungsprinzipien treu geblieben. Das bestätigte ihm in den 90er Jahren sogar die Enquetekommission des Landtags von M-V, die nicht gerade in dem Verdacht stand, Gefälligkeitsgutachten zu verfassen. Der Kulturbund habe in Mecklenburg-Vorpommern eine große Rolle gespielt, "wo sich von Schwerin aus Willi Bredel im Verein mit Gleichgesinnten ... außerordentlich stark engagierte. So wie für das Land im Ganzen, läßt sich das vielleicht noch stärker für viele einzelne Regionen sagen (z. B. Greifswald, Schwerin, Rostock, Ahrenshoop), wo sich der Kulturbund bei der Demokratisierung und Verbreitung von Bildung, Kultur und Kunst sowie bei der Gewinnung von Intellektuellen in der Nachkriegszeit die größten Verdienste erwarb", liest man in ihrem Bericht.

Einen Beweis für die Ernsthaftigkeit seiner Ideale lieferte der Kulturbund 1949 auch mit seinen Veranstaltungen zum 200. Geburtstag Goethes. Man muß sich in die Zeit zurückversetzen, um die Größe des Vorhabens und der Leistung zu begreifen. Im Dezember 1948 hatte sich ein Goethe-Ausschuß gebildet, der es als seine Aufgabe betrachtete, Goethes Vorstellungen vom Sinn des Lebens, seine soziale Utopie, seine nationalen Hoffnungen, seinen weltumspannenden Geist nach der Schreckenszeit des Faschismus und des Krieges für einen geistigen und moralischen Aufbruch produktiv zu machen. Hunderte Veranstaltungen in Städten und Dörfern, an Universitäten und Schulen, in Betrieben und Einrichtungen dienten dem Ziel, Verzagtheit und Entmutigung zu überwinden und eine perspektivische Vorstellung zu gewinnen.

Willi Bredel begann seine Festrede vor den im Staatstheater Schwerin versammelten mecklenburgischen Landtagsabgeordneten mit den Worten: "Eingedenk des in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten Erlebten sind wir der Meinung, daß unser großes nationales Kulturerbe, diese Gipfelleistungen begnadeter Menschen, dieser köstliche Schatz humanistischen Gedankengutes, als erworbenes, behütetes, weiterzuentwickelndes Besitztum im Bewußtsein und im Leben unseres ganzen Volkes besser aufgehoben ist als lediglich bei einer dünnen Schicht ästhetischer Kunst- und Kulturbeflissener."

Dabei befand sich der Schriftsteller in voller Übereinstimmung mit Franz Mehring, der zu Goethes 150. Geburtstag erklärt hatte: "An dem Tag, an dem sich die deutsche Nation ökonomisch und politisch befreit hat, wird Goethe erst zu seinem vollen Recht kommen, weil dann die Kunst ein Gemeingut des ganzen Volkes sein wird."

Willi Bredel war zutiefst davon überzeugt, daß Deutschland am Beginn dieser Zeitenwende stand und daß es sich deshalb nicht nur lohnte, sondern Pflicht und Verantwortung war, allen Menschen Zugang zu Goethes Idealen zu verschaffen.

Seine Rede strahlte Zuversicht aus: "Goethe, dieser geistige Gigant unserer Nation, vermag uns mit seinem edlen Humanismus, seiner Friedensliebe, seinem rastlos wirkenden, vorwärts, auf Fortschritt und Freiheit gerichteten Streben besonders in unserem heutigen nationalen Unglück wieder einen Halt zu geben und in der Besinnung auf die uns von der Geschichte auferlegte Mission auch Auftrieb und Mut ..."

Prof. Dr. Benno Pubanz, Güstrow


Unser Autor ist Ehrenpräsident des Kulturbundes in Mecklenburg-Vorpommern.

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Eberhard Panitz: Büchervernichtung in Grünau

In Ergänzung zu "Scheiterhaufen für den Geist" (RF 200) erinnern wir hier an einen Vorgang, von dem Eberhard Panitz in seinem Buch "Die grüne Aue des alten Fritz. Bilder und Geschichten aus Grünau" berichtet hat.

Beschämend auch, was 1995 an der bereits in der allerersten Wendewut umbenannten ehemaligen Bernard-Koenen-Schule geschah: Am 2. November landete Franz Fühmanns Buch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel, ein Sprachwunderwerk des Dichters aus den siebziger Jahren, auf dem dortigen Schulhof im Müll. Der Hausmeister hatte dieses Buch und Hunderte andere herbeigekarrt und schmiß es zu den Büchern, die schon im Container lagen. Es waren die Lesestoffe der versunkenen DDR-Schulwelt, dutzendweise Reclam-Ausgaben, nicht wenige deutsche Klassiker und viel vom Besten unserer Nachkriegslektüre: Thomas Manns Mario und der Zauberer, Lessings Nathan der Weise, Heines Deutschland. Ein Wintermärchen, Schillers Kabale und Liebe, Goethes Faust, Bertolt Brechts Die Gewehre der Frau Carrar und viele "Volk und Wissen"-Bände über "Schriftsteller der Gegenwart" und mit "Lesestoffen" für den Literaturunterricht sowie "Wissensspeicher" zu verschiedenen Fächern, selbst zur Schulgartenarbeit und zum Werkunterricht. Ich wurde, als ich meinen damals achtjährigen Sohn vom Schulhort abholen wollte, zum Zeugen dieses Autodafés, das trotz meines entsetzten Einspruchs. Der Hausmeister berief sich darauf, daß er einer Anordnung folge, diese Bücher entsprächen nicht mehr der Norm und müßten ausgesondert werden.

Ich sah, wie neben Ostrowskis und Makarenkos Büchern auch Erzählungen meiner Kollegen und Freunde Erik Neutsch, Hermann Kant und Günter Görlich den Weg in den Orkus nahmen, auch ein Bändchen mit einer Geschichte von mir. Als ich danach griff, sah ich, daß auf dem Titelblatt wie in den meisten aussortierten Büchern "Volkseigentum" und "Bernard-Koenen-Schule" eingestempelt war. Sollte das der Grund der Vernichtung sein? Entsprachen diese Bücher deshalb nicht mehr der nun gültigen "Norm"?

Das seines Umschlags entledigte und dem Müll zugedachte Buch Fühmanns Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel ist geradezu eine Beschwörung des Wertes und der Würde des Buches und der Sprache. Es war vor allem für Schulkinder bestimmt und erschien 1978 im Berliner Kinderbuch-Verlag in prachtvoller Ausstattung. Kein Wort, keine Zeile, keine Seite findet sich darin, die einer mensch- oder kindgemäßen "Norm" nicht angemessen wäre. In zentimetergroßen Versalien sind darin die Leitsätze gedruckt:

ALLES SAGBARE LIEGT IN DIESEN ZEICHEN - ALLES GESAGTE IST NUR EIN GLEICHNIS - WAS MAN SAGEN KANN, KANN MAN AUCH KLAR SAGEN.

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BZ diffamierte Dagmar Frederic

Eine der populärsten Unterhaltungskünstlerinnen aus der DDR, die auch heute noch - nicht zuletzt als unermüdliche Schirmherrin des Sozialwerks Berlin-Lichtenberg - für Humanität und Menschenwürde einsteht, sieht sich Boykott und Verleumdung gegenüber. Unter der keineswegs selbstkritisch gemeinten Schlagzeile "Allzeit blöd" diffamierte Springers BZ am 5. September auf ihrer Titelseite die DDR-Nationalpreisträgerin und einstige Vizepräsidentin des von Gisela Steineckert geleiteten Komitees für Unterhaltungskunst.

Der Grund für diese Attacke waren Äußerungen der bekannten Interpretin bei der Enthüllung einer Nachbildung Erich Honeckers in der Berliner Dependance des Wachsfigurenkabinetts der Madame Tussaud. BZ: "Sie schwärmte von den guten alten Zeiten in der DDR. Honecker beschrieb sie als freundlichen und netten Mann."

Daß sich Dagmar Frederic ihren Schneid nicht hat abkaufen lassen, verdient Respekt!

K. S.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dagmar Frederic nimmt aus den Händen Erich Honeckers den Nationalpreis entgegen.

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Ein Schöpfer bewegender Kinderliteratur, der den Nerv junger Leser traf

Abschied von Benno Pludra

Jeder ist nur einmal da. Er muß diese Einmaligkeit begreifen, die Kraft, die Begabung, die er hat, um das Alltägliche und das Besondere zu tun, wie wir's zum Leben brauchen und wie es die Gesellschaft braucht, es auch dann zu tun, wenn es schmerzhaft ist für ihn selber oder für die Gesellschaft oder für beide. Hier zuerst sehe ich eine Möglichkeit und auch Verpflichtung von Literatur, gleichgültig wieder, ob für Kinder oder für Erwachsene geschrieben. Wir leben in einer gemeinsamen Welt, in gegenseitiger Abhängigkeit. Die Kinder in größerer, weil sie uns brauchen, und wir in sozusagen Langzeitabhängigkeit, weil wir die Kinder später brauchen, ohne sie geht's nicht weiter."

In diesen wenigen Zeilen läßt sich all das finden, was die Bücher Benno Pludras in Gänze ausmacht und worin sich ihre Lebensfähigkeit bis heute bewahrt hat: Träume und Wünsche zuzulassen und ihre Kraft an der Realität, die sie umgibt, zu messen. Ich denke an mehr als vierzig Bücher, geschrieben in einem langen Leben, das an der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der ganz eigenen Wirklichkeit der Kinder nie vorbeigegangen ist, sie Poesie werden ließ, die Zartheit mit Härte zu verweben mußte.

Er ist am 27. August 88jährig gestorben - seit er sein Haus in Nedlitz verlassen mußte, weil das Alter ihn letztlich in die Knie zwang, in einer Seniorenresidenz. Er hat in Würde und materieller Geborgenheit gelebt, und so ist er auch gegangen, friedlich und eines Morgens. Am 1. Oktober 1925 in Mückenberg, heute Lauchhammer, geboren, der Vater Metallformer, die Mutter Hausfrau, ging er 1942 zur Handelsmarine und geriet in die Kraftfelder des 2. Weltkriegs.

Pludra wollte immer Seemann werden. Als Schiffsjunge auf der Viermastbark "Padua" fand er all das, wovon die Träume und Bücher seiner Kindheit erzählten. Wenn auch die Romantik ihren Riß in der Wirklichkeit bekam, als er als Vollmatrose einen Frachter bestieg, der in der Dezemberkälte torpediert wurde, blieb doch die Liebe zum Meer, die Sehnsucht nach der See, den Schiffen, welche die Welt bereisten.

Es gab Ersatz: ein Viertelhaus auf Hiddensee, Schiffsmodelle in den eigenen vier Wänden, Segelboote, seine Wohnungen: immer am Wasser, wenn es auch nur die Spree oder ein Arm der Havel war. Wasser war wichtig, war Voraussetzung, sollte ein neues Domizil bezogen werden.

Nach dem 2. Weltkrieg machte er Abitur und begann als Neulehrer zu arbeiten, studierte etwas Kunstgeschichte und Germanistik, wurde Reporter einiger kleiner Zeitungen, später Redakteur eines Rundfunkjournals, schrieb Reportagen und wurde 1952 freischaffend. Die fünfziger Jahre erwiesen sich für ihn als äußerst produktiv. Zwischen 1952 und 1956 erschienen sieben Bücher, die, liest man sie heute, allemal schon den entschiedenen Zugriff auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigen, die späterhin alle Erzählungen Pludras auszeichnen. Sicherlich geschah dies noch im Spiegel des unmittelbar Erlebten, er folgte Aufträgen, die von den Zeitungen und den Verlagen kamen. Noch ist er unsicher im Einsatz handwerklicher Mittel, erkennbar aber allemal der eigene Sprachduktus, die ihm eigene Rhythmik, die später zu großer Verfeinerung gelangten.

"Sheriff Teddy" oder "Die Jungen von Zelt 13" zeichnen das Leben der Kinder in einer geteilten Stadt im Nachkriegsdeutschland oder stellen genormte pädagogische Leitlinien einer sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft in Frage.

Aber damals auch schon die kleine, romantische Geschichte, "Haik und Paul", die von der Unmöglichkeit einer Liebesbeziehung erzählt: "Die Verhältnisse, sie sind nicht so." Und das meint: gesellschaftliche, denn: Sie ist aus Hamburg und er aus der Niederlausitz. Die kommenden Jahrzehnte bringen wunderbare Erzählungen: Sein liebstes Buch. "Lütt Matten und die weiße Muschel" erscheint 1963 und ist bis zum heutigen Tag wohl ein Edelstein in der deutschen Kinderliteratur.

Eine Grundsatzfrage in dieser: das Vorbild, seine Akzeptanz und Wirksamkeit, zugleich aber auch seine mögliche Nachvollziehbarkeit durch die Jungen.

Lütt Mattens Vater ist ein erfolgreicher Fischer, doch was er übersieht, ist das Bemühen des Jungen, es dem Vater gleichzutun, ihm ebenbürtig zu sein.

Pludra bringt den Jungen in Existenznot, es könnte sein, daß er ertrinkt. Aber er läßt es nicht zu. Doch noch deutlicher wird das Verantwortungsprinzip in der Erzählung "Insel der Schwäne". Am Rand seiner physischen und psychischen Existenz, sucht der Held Ausweg- und Fluchtmöglichkeiten zugleich. Pludra fängt ihn auf, zeigt Hoffnung und Menschlichkeit. Die spätere Verfilmung ist da konsequenter, verfolgt das dichterische Konzept logisch, der Junge verliert. Ein dramatisches Ende, was den Film scharf in die Kritik brachte.

Pludra verständigt sich in den Folgejahren gern auf kleinere eindringliche Erzählungen, die immer wieder um die Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern kreisen. Sein Zugriff wird härter, zugleich gewinnen seine poetische Kraft, seine Figurenzeichnung, seine Sprache an Intensität, an Detailreichtum. Deutlich auch das Einbringen phantastischer, märchenhafter Elemente. Sie verstärken das Erfassen psychischer und physischer Situationen seiner Gestalten.

"Tambari" ist das Schlüsselwort für Glück und Sehnsucht, der Name des Kutters, den der alte abenteuerumwehte Seemann Luden Dassow seinen Leuten vererbt. Keiner will ihn haben, nur der Junge Jan Töller erkennt in ihm seine Träume, nimmt den Kampf um den Kutter auf. Ein Kampf gegen Gleichgültigkeit, überlebtes Denken, gegen Mitleidlosigkeit und mangelnde Verantwortungsbereitschaft. Aber er wird gewonnen. Noch will Pludra nichts ohne Hoffnung enden lassen.

Das ändert sich in den Folgejahren. "Jakob heimatlos", eine der letzten größeren Erzählungen, zeigt Niederlagen und Ausweglosigkeit. Da ist keine Chance auf Rückkehr zu den Träumen der Kindheit, die schmerzhaft verlassen wird. Ein Verlierer geht seinen vorgegebenen Weg. Der Autor verklagt eine Gesellschaft.

Dr. Katrin Pieper, Schöneiche


Unsere Autorin war Cheflektorin des Kinderbuchverlags.

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Kindheit

"Guter Mond, du gehst so stille ..."
sang ich und hoffte, daß er
die Kinder bewacht.
Aber der Alte war nur der
ewige Zeuge. Alles hat er mit
Gleichmut gesehen.
Der kannte den Vogelruf am Morgen
des Krieges und die schaurige Landschaft
nach der letzten Schlacht.
Dem versteinerte sein altes Mondgesicht
im Morgen-Grauen.

Ich schaue in den tiefen Brunnen
der Kindheit, und unter der
siebten Haut zuckt manchmal
die alte Kinderangst: Sirenen,
Bomben und Brände und
Betten im Keller ...
Die Mutter betet zu einem Stein, und
Schreie zersplittern wie Glas.

Und eine dürre Taube mit rotem Auge
starrt durch mein Fenster, und eine Stimme
ruft endlich den Frieden aus.

Christa Kozik

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Nicht alle können zu den Stärksten gehören

Nach der Lektüre von "Hand aufs Herz" im August-RF möchte ich der Autorin sagen: Liebe Gisela, Dein Artikel hat mich wirklich aufgewühlt und angeregt. Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Blick durch die Kinderhymne von Bertolt Brecht auf Gewesenes, zu Bewahrendes und vor allem auf Auseinandersetzungen unserer Zeit. Ich will einige Anmerkungen machen, die keine Vorwürfe, sondern ein Impuls zum gemeinsamen Weiterdenken sein sollen.

Du schreibst: "Wir brauchen Mut ... Wir sind nicht verantwortlich für jeden, der aufgibt." Ich kann mich hier ebenfalls auf Brecht beziehen: "Die Schwachen kämpfen nicht, die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang, die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese sind unentbehrlich."

Ja, es gehört sehr viel Mut dazu, unter heutigen Verhältnissen im Brechtschen Sinne zu den Stärksten gehören zu wollen. Ich möchte Dich fragen: Gibt es auch eine Anmut der Schwäche angesichts ständiger psychischer Belastung durch Nichtgebrauchtwerden, dauernde Demütigung und den entwürdigenden Zwang, Sozialtransferleistungen beantragen zu müssen? Oder auch beim Zwang abhängig Beschäftigter wie unter prekären Bedingungen Selbständiger, sich ständig selbst verleugnen und verbiegen zu müssen? Viele haben - scheint es - eine weiterführende Gesellschaftsidee aufgegeben, weil sie für deren Bewahrung zu schwach sind. Ihre armseligen Verhältnisse und die Erfordernisse der Reproduktion ihres täglichen Lebens fressen sie förmlich auf.

Du schreibst: "Wichtig ist, daß wir bei unseren einfachen Wahrheiten bleiben ..." Sind diese denn wirklich so einfach? Wäre es so, dann müßten sie doch sehr viele Menschen auch heute noch aufgreifen. Das aber ist offensichtlich nicht der Fall.

Selbst in der DDR, als sich die Gelegenheit bot, grundlegende Erkenntnisse über das Wesen der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu erwerben, war das am Ende leider nicht so. Man denke nur an das Verhalten eines Teils der "Massen" in der Zeit der "Wende"!

Man braucht politische, ökonomische, philosophische und andere Kenntnisse - also Bildung -, um Möglichkeiten zukunftsfähiger Gesellschaftsgestaltung erkennen zu können. Das BRD-Bildungssystem blockiert dies nun bereits seit nahezu einem Vierteljahrhundert auch im Osten. Man spürt schmerzhaft die Folgen der zunehmenden Preisgabe der Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus in der gegenwärtigen Politik vieler Linker. Wie kann man dieses Wissen wieder vermitteln und im Kontext politische Handlungsfähigkeit durch Erkenntnisgewinn erreichen?

Da frage ich mich: Sind die von Dir betonten Wahrheiten wirklich so einfach? Im linken Spektrum gibt es viele echte oder vermeintliche Wahrheitsträger, die aber leider nicht übereinkommen wollen oder können.

Du schreibst über Deutschlands Politiker: "Viele ... sind nicht einmal schlau, von Klugheit zu schweigen. Wenn sie uns etwas versprechen, glauben wir ihnen inzwischen nicht ..." Da fragt sich doch: Warum können sie sich dann so lange halten? Weshalb nimmt ihre Zahl sogar zu, auch in der Partei Die Linke? Warum werden sie in ihrer Mehrheit stets wiedergewählt? Und: Ändert das Sich-Abwenden oder die Wahlabstinenz derer, die an nichts mehr glauben, irgend etwas am Bestand des Parteienkartells?

Man kann das Ganze auch mit einem weiteren Brecht-Wort zusammenfassen: "Es ist der älteste Trick der Bourgeoisie, den Wähler frei seine Unfreiheit wählen zu lassen, indem man ihm das Wissen um seine Lage vorenthält. Das, was jemand braucht, um seinen Weg wählen zu können, ist Wissen. Was kommt dabei heraus, wenn man einen Mann, der weder Notenlesen noch Klavierspielen lernen durfte, vor ein Klavier stellt und ihm die freie Wahl über die Tasten überläßt?"

Du endest in Deiner Kolumne mit den Worten: "Tun auch wir, was möglich ist." Was aber ist für wen das jeweils Mögliche? Gegenwärtig scheinen einer linken Perspektive eher die Felle davonzuschwimmen. Das gilt auch für "Die Linke" als politische Kraft, denn der Euphorie-Bonus der Vereinigung von PDS und WASG ist schon lange verbraucht. So müssen wir uns an Che Guevara halten: "Seien wir Realisten, versuchen wir das Unmögliche!

Gert Recker, Dresden

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Der kleine Fuchs und die Ehrenregel

Kaum ein Tag vergeht, an dem wir nicht von brutalen Schlägern hören, die Wehrlose jagen, bereits am Boden Liegende gegen den Kopf treten, zu Tode prügeln.

Wir sind entsetzt über das Unrecht in der Welt. Warum schaffen wir es nicht, die Schändlichkeiten im eigenen Land zu bezwingen? Tiere beschämen uns!

Es war einmal ein neugieriger kleiner Fuchs. Eines Tages machte er sich heimlich davon. Er wollte alle Tiere höflich nach ihren Namen fragen und ihnen notfalls aus dem Weg gehen, denn Wölfe und Steinadler seien gefährlich, hatte die Mutter gewarnt.

Da begegnet ihm der Dachs. "Ah, schön gestreift", staunt der kleine Fuchs, "bist du der Wolf?" "Scher dich weg, sonst pack ich dich!", knurrt der Gestreifte. "Ich bin ein Dachs und habe genug von dir und deiner Familie, deine Mutter hat sich in meinem Bau eingenistet, und ich mußte mir einen anderen graben!" "Oh, Entschuldigung", sagt der kleine Fuchs und läuft weiter.

Anschließend trifft er den Uhu. "Hast du aber schöne große Augen, bist du der Steinadler?" "Mach, daß du verschwindest", grollt der Uhu. "Im vergangenen Jahr hat mich dein Vater angegriffen, mir drei von meinen schönsten Federn ausgerissen, und ich habe ihm eins mit dem Schnabel versetzt." "Oh, dann seid ihr doch quitt!" "Von wegen", kreischt der Uhu und schlägt nach dem Kleinen. Der rennt weinend davon.

Am Ende begegnet ihm der Hase. "Warum weinst du, kleiner Fuchs?" "Der Dachs hat mich weggejagt, der Uhu hat mich geschlagen. Ich wollte doch nur wissen, ob sie Wolf oder Steinadler heißen." Da sagt der Hase: "Hier am Rande der großen Stadt gibt es gar keine Wölfe und Steinadler. Doch vor den Menschen nimm dich in acht! Sie stellen uns nach. Manche reden nicht miteinander, schlagen Schwächere und achten andere nicht."

"Wie meinst du das?", fragt der kleine Fuchs. "Jedes Tier weiß, wenn zwei gegeneinander kämpfen, greift der Stärkere nicht mehr an, sobald der andere am Boden liegt."

"Ja, das ist die Ehrenregel. Die Mama hat sie uns erklärt, als wir Geschwister miteinander gerauft haben. Wenn einer umfällt, am Boden liegt und seinen Bauch zeigt, wird er in Ruhe gelassen, denn er ist ja schon besiegt."

"Es gibt Menschen, die zwar von Ehre reden, sie aber nicht kennen. Sie prügeln ohne Erbarmen und grundlos, ohne aufzuhören." "Haben die Tollwut?", fragt der kleine Fuchs. "Das sieht nur so aus", antwortet der Hase, "aber gegen Tollwut hätten sie ja geimpft werden können. Für sie gibt es einfach keine Ehrenregel. Wir Junghasen schauen auf unsere Eltern und lernen von ihnen: Was ist richtig, was ist falsch, welche Pflanzen darf man fressen, wo kann ein Schlafplatz angelegt werden, wie boxt und balgt man um ein Weibchen, wie schlägt man einen Haken. Kurz und gut: Wie benimmt man sich?"

"Haben Menschen keine Eltern, die ihnen erklären, wie man sich zu verhalten hat?" "Doch, aber wenn diese es selbst nie gelernt haben, können sie es auch anderen nicht erklären. Und wenn Kinder nicht auf sie hören, sondern einfach weglaufen ..."

Da wird der kleine Fuchs ganz verlegen, bedankt sich beim Hasen und hoppelt schnurstracks zu seiner Mutter zurück. Die hat ihn ein bißchen am Ohr gezaust, er aber hat gelobt, nie mehr wegzulaufen und die Ehrenregel "Wer am Boden liegt, wird nicht mehr angegriffen", nie zu vergessen.

Er gelobte also, ein schlauer Rotfuchs zu sein.

Edda Winkel

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Nun ist es November. Der August entblößt uns die Haut, der November verlockt eher zu wärmenden Gedanken. Schon einen an Weihnachten? Den wehren wir noch ab, aber ein ruhiger Abend mit alten Liedern hilft der Seele auch, gegen das frühe Dunkel, auf die Beine. Ach, bald kommt das neue Jahr, und was für eins liegt dann hinter uns?

Ein umfassend heißer Sommer, überwiegend mit kalten und erschreckenden Nachrichten. Unangemessenheit wurde zum Stil. Fast jeder Sprechende in den Medien brachte seine persönliche Empörung über den Stand der östlichen Dinge ein. Das erinnert an die Zeit vor fünfundzwanzig Jahren. Wir erkennen den Stil wieder. Damals ereiferten sie sich auch so.

"Den krummen Baum der Menschheit hat noch keiner gerade gebogen." Ein berühmter Satz von Immanuel Kant. Ja, Sprüche sind etwas sehr Schönes. Man trägt sie durchs Leben, und nimmt sie in jede neue Liebe und jede neue Wohnung mit. Wie eine getrocknete Rose oder das erste Poesiealbum. In meins hat die doofe Evi geschrieben: "Ich lag im Garten und schlief, da kam ein Englein und rief ..." Na, was wohl? Sie solle mir was ins Stammbuch schreiben. "Der Führer hat dich gemacht, und hat uns die Ewigkeit gebracht. Das wünscht dir Horst." Er war zwölf und dachte damals, was er schrieb.

"Man muß im Leben für alles bezahlen", sagte mein Opa, der behauptete, er sei Sozialdemokrat. Dafür fehlte jeder Beweis. Für sein Verhalten in der Pogromnacht 1938 habe ich ihn später verehrt. Er hat seine Meinung innerhalb der Familie deutlich gemacht. In jener Nacht war das viel.

Später war ich frei von der Unterlegenheit durch Armut und Unbildung. Vor mir lag die Chance zur eigenen Meinung. Ich war gierig auf Erkenntnisse, und dankbar für Belehrung. Es gab Einflüsse, die frühen Irrtum mit sich brachten, aber auch moralische Grundsätze, die ich fürs ganze Leben behielt.

Am 25. Jahrestag der Befreiung war ich für unser Jugendmagazin auf Reportagereise in den baltischen Ländern der Sowjetunion.

Den achten Mai verbrachte ich in einem Hotel in Tallinn. Das war gefüllt mit Kriegshelden, zur Siegesfeier aus ihrer heimatlichen Union angereist.

Ich hätte sie gern ausgefragt, ihre Hände geschüttelt, ihre Wangen geküßt, mich bei ihnen ganz persönlich bedankt. Was sie geleistet und erlitten haben, was sie überstehen mußten, das wußte ich, es gab ja darüber genügend Aufklärung. Fadejews "Junge Garde" und der Dokumentarfilm "Du und mancher Kamerad" von G. Rücker, K.-E. von Schnitzler und den Thorndikes hatten mir, unter anderem, geholfen.

Aber dieses Wissen und die Begegnung mit den ruhmreichen Männern, das waren zwei verschiedene Dinge. Warum? Wir begegneten uns auf der Straße vor dem Hotel. Sie gingen zu ihrer Feier, wenige am Stock, manche noch in mittleren Jahren, andere hoch aufgerichtet und sehr breitbeinig. Jeder von ihnen war schwer beladen mit Orden und Medaillen, dicht und übermäßig. Sie sprachen russisch, sehr laut, in dieser baltischen Stadt, in der ich am Abend zuvor von Beschwernissen erfahren hatte. Es ging um die unterdrückte Landessprache in der Schule, um die eigene Kultur. Man erzählte mir, daß die alten estnischen Volkslieder bei öffentlichen Auftritten verboten gewesen seien, bis die berühmte alte Volkssängerin sich ohne Genehmigung im Park in eine Kurmuschel gestellt habe, und daß sie dort die verbotenen Lieder ohne instrumentale Begleitung sang. Es fanden sich fast 100.000 Mitsänger ein - und danach wurde das Verbot aufgehoben.

Die Männer waren Helden. Die Klunkern auf den alten Uniformen, hoch verdient. Aber sieht es nicht derzeit so aus, als hätte ihr entbehrungsreicher Kampf nur einen historischen Etappensieg erbracht? Statt einer weltweiten Belehrung zugunsten des Weltfriedens?

Dieser Gedanke kam mir viel später, damals hatte ich nur schwankende Empfindungen. Ich wollte nicht, daß sie so auftraten, in einem Land, in dem ihresgleichen von vielen Bürgern als Besatzung empfunden wurden. Die Folgen reichen ja bis heute. Ich konnte und wollte das damals nicht zulassen, noch werten, aber es ging mir in die Nacht nach.

Dann aber besuchten wir Anatol, den ich nie vergessen werde. Wir hörten, im ehemaligen "Haus der Schwarzen Ritter" gäbe es einen erfolgreichen Jugendklub, mit vielen Arbeitsgruppen und Zirkeln. Das stimmte, und Anatol war der Leiter. Bei ihm konnte getanzt, gesungen, diskutiert, gelehrt und gelernt werden. Ein kleiner Jude, einziger Überlebender seiner Familie. Den Tod seines Vaters hat er miterlebt. Mit sechzehn Jahren war Anatol an der Befreiung Tallinns beteiligt. Nach dem Sieg hat er seine Waffe an einem Baum zerschlagen und sich geschworen, nie wieder eine in die Hand zu nehmen. Diesen Schwur mußte er brechen, als die bewaffneten Rechten eine Konterrevolution anzettelten.

Anatol gehört zu den Lieben meines Lebens. Ich hatte nur ein paar Stunden mit ihm und seiner Arbeit, aber im Oktoberklub habe ich versucht, etwas von seinen Ideen ins Leben zu bringen.

Über meinen Besuch im litauischen Salaspils, dem Mordlager für Frauen und Kinder, möchte ich jetzt nichts sagen. Nur, daß es russische Begleiter waren, die mich dort in die Arme genommen und zu trösten versucht haben. "Du warst ein Kind", haben sie gesagt, und "Kinder sind immer unschuldig." Das stimmte so nicht, ich wußte es und werde es lebenslänglich wissen, aber dort gewesen zu sein, wo der Herzschlag der Mutter Tag und Nacht durch das Lager hallt, auch das hat aus mir gemacht, die ich bin.

Neben der Verzweiflung wohnt im Leben auch immer der Trost. Wir gesunden, wenn auch oft nicht gleich. Aber manchmal ... also, wir kamen nach Moskau, und das Jugendmagazin dort lud uns zu einem Abend mit anderen Gästen. Die kamen herein, herrliche Kerle, die internationale Besatzung der Ra, des Papyrusbootes von Thor Heyerdahl. Einer der Männer war Afrikaner, sehr schön, dunkelbraun, und als er mich reden hörte, sagte er: "Mensch, bin ick froh, dett ick ma' wieda deutsch reden kann, ick bin ja schon janz vonne Rolle." Und dann schnatterte er im reinsten Berlinisch über seine Kinderfrau, bei der er deutsch gelernt hat. Hat er nicht, aber ich habe ihm das nicht gesagt. Um Punkt zehn Uhr gab es einen Pfiff vom Kapitän, und sofort sprangen die Männer auf, formierten sich, und weg waren sie.

Ich konnte weiterreisen, aber in Rußland kommt man nicht weit bis zum nächsten Schlag auf das Herz.

Die "Prawda" hat mich nach der Reise um einen Artikel ersucht, ich habe ihn geschrieben und bekam danach Briefe, die mich mit ihrer Güte, ihrem Großmut und ihrem Willen zum Frieden bis heute beschäftigen. Der ehemalige Pilot und der Lehrer, der im Krieg in vorderster Front war, schrieben mir über ihre Mütter. Auch von denen bekam ich Briefe.

Wenn ich die Namen der Städte höre, um die jetzt gekämpft wurde, Slawjansk oder Mariupol, Donezk oder Lugansk, dann fällt mir ein, daß ich einige dieser Namen kenne: aus den Erzählungen von damals urlaubenden Wehrmachtssoldaten. Schreiben durften sie das ja nicht.

Ich war am Ladogasee, wo einst Hütchen auf dem Wasser schwammen. Mehr war vom Rettungsschiff für Kinder aus dem belagerten Leningrad nicht geblieben.

Ich wollte unbedingt ins Museum der Belagerung. Die Genossen rieten ab, ich sei zu erschöpft und sähe auch so aus.

Wird es von den jetzigen Kämpfen ein neues Museum geben? Und werden darin die Zeugnisse ebenso aufs Herz schlagen, ebenso zornig machen, so verzweifelt, wie ich es an jenem Tag war? Ich fühlte mich sehr alt und sehr wehrlos, bis ich mich selber ermahnte: Wenn du so fühlst, mußt du auch so denken. Und handeln, nicht wahr? Leichter gesagt als getan. Aber ich versuche es.

*

Leserbriefe an RotFuchs

Dem "RotFuchs" meinen herzlichen Dank für die lieben Glückwünsche zu meinem 91. Geburtstag, auch für die objektiven, sachlichen, wahrheitssuchenden Einschätzungen und Kommentare zu internationalen Entwicklungen und Krisenherden wie derzeit in der Ukraine. Unter dem Druck der Sippenhaft habe ich als Wehrmachtsangehöriger den Zweiten Weltkrieg dort erleben müssen. Mein Vater war als KPD-Reichstagsabgeordneter - von den Faschisten wegen Hochverrats verurteilt - zu dieser Zeit im Zuchthaus. Durch den rechten Staatsstreich in Kiew und als Teil der gegen Rußland gerichteten Einkreisungspolitik ist der Krieg nun in die Ukraine zurückgekehrt. Möge den Ostukrainern bald das Selbstbestimmungsrecht gegeben und gewährleistet werden! Der "RotFuchs" ist für mich zur politischen Heimat geworden. Im hohen Alter gab er mir den Mut und die Kraft zum Schreiben meiner biographischen Aufzeichnungen. Ich übergebe sie dem RF als Dank für die Würdigung und Bewahrung revolutionärer Traditionen.

Hermann Schuldt, Wismar


Über die schriftlichen und telefonischen Glückwünsche der "RotFuchs"-Redaktion zu unserer diamantenen Hochzeit haben wir uns sehr gefreut. Vielen Dank! Bei einem solchen Jubiläum denkt man an vergangene Zeiten. Es bleibt dabei: Das Wort Genosse - wie stolz das klingt! Leider können wir aus Alters- und gesundheitlichen Gründen nicht mehr viel zur Veränderung dieser Gesellschaft tun. Aber wir versuchen unser Bestes, die Verlogenheit des Systems auch dadurch zu entlarven, daß wir die Gedanken des "RotFuchs" weitertragen.

Gisela und Gerhard Thüring, Berlin


Grüße herzlicher Verbundenheit vom "Avante!"-Pressefest der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP). Seine Vorbereitung und Gestaltung, vor allem aber die Rede des PCP-Generalsekretärs Jerónimo de Sousa vor Zehntausenden, haben mich tief beeindruckt. Ich empfinde Freude und Genugtuung über den Kampfgeist der portugiesischen Genossen. Gewisse Parallelen zu unserer iranischen - leider verratenen - Revolution und die Erinnerung an zahlreiche ermordete Kampfgefährten haben mich überwältigt. Der Geist der Solidarität und des Internationalismus, die feste Verankerung der Partei in der Gesellschaft gaben mir das Gefühl der Freude darüber, zu dieser Familie zu gehören.

Ghassem Niknafs, Hamburg


Ihre langjährige Leserin, die aufrechte Kommunistin Emmi Seelenbinder, verstarb am 12. August. Mit ihr konnte ich mich bis zuletzt über uns bewegende politische Themen austauschen. Emmi las mit Begeisterung den "RotFuchs" und konnte in vielen Beiträgen ihre guten Erfahrungen aus der DDR wiedererkennen. Sie ließ sich nicht von den kapitalistischen Medien erklären, wie es sich in ihr gelebt hat, und verteidigte ihre positiven Erinnerungen gegenüber Besserwissern. Ihre Leistung und Hingabe für den Aufbau des Sozialismus sowie ihr aufrechtes soziales Wesen werde ich immer im Gedächtnis behalten. Für sie und den Onkel ihres verstorbenen Ehemannes, den Kommunisten Werner Seelenbinder, werde ich stets eine Nelke an der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde niederlegen.

Carmen Uhlig, Berlin


Zum Kampf gegen die verheerende Ebola-Epidemie entsendet Kuba 165 Ärzte und weiteres medizinisches Personal nach Sierra Leone. Das kündigte Havannas Gesundheitsminister Roberto Morales Ojeda schon im September vor der WHO an. Es ist das bisher größte Kontingent an Spezialisten, das in die Region entsandt wurde. Kubas Beispiel zwang andere Staaten zum Nachziehen. Die BRD appellierte an Soldaten, sich freiwillig zu melden.
P. S.: Fidel wurde übrigens nicht 87, wie im RF stand, sondern 88 Jahre alt.

Falk Moldenhauer, Bochum

Bemerkung der Redaktion:
Im RF 200 hatten wir Falk in Frank umgetauft. Wir bitten um Nachsicht.


Wir Alten werden immer weniger. Wir - das sind jene, welche nach Brechts "Galilei" die Wahrheit kennen und sie keine Lüge nennen. Mit Ernst Heinz ist wieder einer gegangen, der dem Marxismus bis zum Schluß treu geblieben ist. Sein letzter großer Beitrag im August-RF über unseren "Prenzlberg", in dem ich selbst 60 Jahre gelebt habe, zeugt davon. Ernst gehörte wie ich jener Generation an, die als Kinder den mörderischen Krieg des deutschen Faschismus erlebt und überlebt hatten. Um so leichter fiel es uns, ohne "Verordnung" und trotz aller westlichen Hetze Freunde der "Russen" zu werden. Hätte es sie in Berlin und die lebenserhaltenden Befehle von Marschall Shukow und seiner Generäle Bersarin und Kotikow nicht gegeben, dann wären noch Tausende an Hunger, Kälte und Seuchen zugrundegegangen. Jahrzehnte hat es gedauert, um im "Prenzlberg" - dem einwohnerreichsten und am meisten zertrümmerten Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg - das Leben wieder erträglich zu machen. Ernst Heinz, der langjährige 1. Kreissekretär der Partei, hat sich dieser Herausforderung gestellt. Die Erde trägt einen guten Menschen weniger. Das schreibt Euch ein 82jähriger Buchdrucker.

Klaus J. Hesse, Berlin


Hakenkreuze und SS-Runen an den NATO-Stahlhelmen der Kiewer "Freiheitshelden" konnte man am 8. September im ZDF betrachten - doch, was kümmert das die Gauckisten! Wer von den deutschen Kriegsberichterstattern vor Ort geht schon der Frage nach: Wofür verwendet man eigentlich die 500 Millionen Euro an BRD-Steuergeldern, die Frau Merkel im Zuge ihrer Verehrung für die "Maidan-Aktivisten" nach Kiew geschaufelt hat?

Paul Jattke, Chemnitz


Angst ist kein guter Ratgeber, weiß ich. Aber ich habe Angst, daß zwei verheerende Weltkriege nicht ausgereicht haben, um das Volk aufzurütteln. Nach fast drei Jahren erlebten Bombenterrors mitten im "Reich" vermag ich dessen Grausamkeit zu beurteilen. Hat das Wohlstandsdenken die Gehirne der meisten amputiert? Wo bleibt der Aufschrei der Menschen, die noch Erinnerungen haben?

Marianne Wuschko, Hoyerswerda


Die am 2. September im ND veröffentlichte Karikatur läßt keinen Zweifel offen. Sie zeigte "König Putin". Die Spitze seiner Krone war ein deutsches Eisernes Kreuz. Putin zertrampelt mit seinem Pferd die Ukraine. Wie ein Damoklesschwert schwebt sein Mantel über ihr. Das Gesicht des russischen Präsidenten ist deutlich erkennbar, damit jeder sieht, welcher der Verderben bringende, Hammer und Sichel schwingende Teufel ist. Deutlicher hätte ein seitenlanger Artikel, der Rußland alle Schuld an den ukrainischen Übeln in die Schuhe schiebt, nicht sein können. Und das Ganze im ND, das sich als "Sozialistische Tageszeitung" betrachtet. Soll die Karikatur den Eindruck vermitteln, daß die Russen schon immer die Störenfriede gewesen sind? Vielleicht wird bald auch behauptet, sie hätten 1941 Hitlerdeutschland überfallen. Es ist zu überlegen, ob man eine Zeitung mit einer derart gefärbten Meinung unbedingt weiterlesen muß!

Gerda Huberty, Neundorf


Seit dem Erscheinen des RF lese ich ihn mit wachsendem Interesse und besuche auch die hiesigen Veranstaltungen des Fördervereins. Ich bin bereits 87 Jahre alt und wurde 1944 als Siebzehnjähriger zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. In den letzten Kriegsmonaten irrten wir orientierungslos mit Granatwerfer und MG durch Mecklenburg, um den "Endsieg" zu retten. Glücklicherweise habe ich überlebt. Deshalb werde ich wütend, wenn "Politiker" wie Gauck die Deutschen schon wieder auf einen kriegerischen Einsatz "vorbereiten" wollen. Ein Wort zur Ukraine: Nach der Auflösung der Sowjetunion und der wirtschaftlichen Machtübernahme durch "Oligarchen" vom Schlage Timoschenkos, Janukowitschs und Poroschenkos ging es rasant bergab. "Ministerpräsident" Jazenjuk erklärte, bei den Separatisten der Ostukraine handele es sich um "Untermenschen", die "ausgelöscht" werden müßten. Das ist die altbekannte Sprache von Faschisten. Wohin soll die Reise gehen? In einen neuen Krieg der NATO unter Führung der USA gegen Rußland? Ich habe den Krieg noch erlebt. Gott behüte uns davor!

Franz Bohnsack, Güstrow


Da es die Politiker nicht verstanden haben, die Probleme in der Ukraine auf friedlichem Wege zu lösen, müssen eben die Massen handeln. Das völkerrechtlich anerkannte Instrumentarium dazu ist der Volksentscheid. Die Völker wollen ihr Leben selbst bestimmen und sind bereit, notfalls auch mit Waffengewalt dafür zu kämpfen. Poroschenko, der reichste Oligarch der Ukraine, hat als Präsident sofort befohlen, in der Ostukraine auf eigene Staatsbürger zu schießen. Dort gibt es nur einen Ausweg: Waffenstillstand und strikte Anerkennung der Ergebnisse des Volksentscheids. Diese Aufgaben sind nicht gegen, sondern nur mit Rußland zu lösen.

Dr. Ernst-Ludwig Hischer, Rostock


Wieder einmal kommt die "Gefahr aus dem Osten": Die Ereignisse in der Ukraine liefern den Beweis. Die angeblich bedrohliche Rolle Putins wird dabei besonders strapaziert. Man erzeugt neue Feindbilder, auch als willkommene Ablenkung vom Anwachsen der faschistischen Gefahr im eigenen Land. Die heuchlerische Politik zur Tilgung der DDR aus der Geschichte und aus dem Gedächtnis der Menschen richtet sich mit besonderer Schärfe gegen die Traditionen des Antifaschismus. Die längere Zeit in den imperialistischen Staaten bestehende Vorstellung, Putin sei "ihr Mann im Kreml", hat sich als Trugschluß erwiesen. Er ist für den Westen längst keine sichere Bank mehr.

Oberst a. D. Hein Friedriszik, Berlin


Der engagierte und so liebevoll geschriebene Artikel von Christa Kozik war ganz offensichtlich für die Jüngeren unter uns gedacht. Die Autorin beschränkt sich aber nicht auf das Gefühlvolle der gut nachvollziehbaren Sentenz "Ein verlorenes Land trägt man im Herzen", sondern belegt anhand eindringlicher Beispiele die moralische Überlegenheit der heute so infam verteufelten sozialistischen Gesellschaftsordnung. Jeder, der hier gelebt und gearbeitet hat, kann das aufgrund eigener Erfahrungen bestätigen und ergänzen. Der RF mit diesem bewegenden Beitrag voll wahrhaftiger Argumente erreichte mich kurz nach dem 3. Oktober, an dem die tonangebenden Medien der BRD eine beispiellose Kampagne zur Schmähung und Verleumdung unserer Heimat DDR geführt hatten. Auch ich, liebe Christa Kozik, ertrage gelassen die Häme der politischen Gegner, wenn man der Wahrheit die Ehre und der DDR die verdiente Würdigung zuteil werden läßt. So habe ich angesichts der Hetze gegen den untergegangenen deutschen Staat, die mit dem Geschwätz vom angeblichen Unrechtsstaat - als Nachweis eigener Regierungsfähigkeit - auch Teile der Partei Die Linke erfaßte, als "alter Mann aus dem Osten" den Artikel von Christa Kozik dankbar aufgenommen.

Rudi Krause, Berlin


Auch bei den sächsischen Landtagswahlen hingen an den Lampenmasten meist die Konterfeis von vier "Anwärtern" übereinander. 14 Parteien rangelten um Stimmen. Die Wahlbeteiligung war mit 49,2 % die niedrigste aller Zeiten, wobei unsere "Heldenstadt" sogar noch fünf Prozent darunter lag. Während NPD und FDP aus dem Landtag flogen, errang die angeblich "nur" rechtskonservative AfD des Ex-Unternehmerpräsidenten Henkel auf Anhieb fast 10 %. "Unser" Ministerpräsident Tillich erwies sich erneut als schlitzohriger Bauernfänger, der den Wählern Katzen als Hasen verkaufte. Seine große Chefin in Berlin ist ihm dabei ein leuchtendes Vorbild. Während im Wahlkampf eher zweitrangige Probleme in den Vordergrund gerückt wurden, schob man die wichtigen Themen absichtlich aufs Nebengleis und von dort in den Tunnel. So werden in Sachsen keine Jahresberichte über die tatsächliche Zahl der Firmenpleiten und die reale Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die zu Vergleichen herangezogen werden können, veröffentlicht. Dabei gibt es summarisch mehr "auf der Straße Liegende" als in der Zeit von 1929 bis 1932. Die Zahl krimineller Delikte ist deutlich höher als zu allen Zeiten seit 1865.

Joachim Spitzner, Leipzig


Die Präambel für einen möglichen Koalitionsvertrag in Thüringen soll mißbraucht werden, um der Partei Die Linke politische Ansichten und Geschichtsinterpretationen von SPD und Grünen als Voraussetzung für einen Regierungswechsel aufzuzwingen. Dortige Vertreter der Linken unterwarfen sich ohne Not dem politischen Diktat möglicher Koalitionäre, statt sich vehement für die Realisierung des eigenen Wahlprogramms einzusetzen. Dabei geht es doch um die inhaltliche Ausgestaltung von Regierungsarbeit auf Landesebene, nicht aber um die Deutungshoheit in der deutschen Geschichte. Wenn es aber doch so sein sollte, dann müßten sich die damaligen BRD-Regierungsparteien SPD und Grüne zu ihrem völkerrechtswidrigen Handeln im Jugoslawienkrieg, zur Bombardierung Belgrads und Hunderten toter Zivilisten, aber auch zu dem von ihnen befürworteten Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan bekennen.

Raimon Brete, Chemnitz


Herzlichen Dank für den neuesten "RotFuchs"! Die Ausgabe ist großartig. Am allerwichtigsten ist für mich das Thema DDR, denn dieser Zeit habe ich es zu verdanken, daß ich als alleinstehende Mutter meine vier Kinder so gut und glücklich aufziehen konnte, wobei ich gleichzeitig als Wissenschaftlerin voll gearbeitet habe. Der RF hat seinen Platz in meinem Bücherschrank mit entsprechender Literatur. Als 95jährige lese ich alle Beiträge mit großer Freude.

Dr. Hildegard Harting, Berlin


Gisela Steineckerts Text "Hand aufs Herz" hat mich sehr berührt und an den diesjährigen Besuch des Brecht-Weigel-Hauses in Buckow am Scharmützelsee erinnert. Gleich am Eingang lag dort auf einem Pult das aufgeschlagene Buch mit Brechts "Kinderhymne". Erstaunt stellte ich fest, daß meiner klugen Tochter "Anmut sparet nicht noch Mühe ..." unbekannt war. Auch im Elternhaus hatte sie nichts davon vernommen. Da fühlte ich mich schlecht. Es ist, wie Gisela Steineckert schreibt, einfach "unterwegs verlorengegangen", als wir Eltern voll damit beschäftigt waren, gute Arbeit für unser Land zu leisten, das wieder aufblühen sollte. Und das lebten wir vor, wobei wir das Glück hatten, daß aus den Kindern anständige, kluge Mitgestalter wurden, die diese Tugenden auch unter den heutigen Bedingungen bewahren. Der Satz "Daß die Völker nicht erbleichen wie vor einer Räuberin ..." hat in der BRD einen tiefen aktuellen Sinn bekommen. Solche Erinnerungen und Gedanken hat Gisela Steineckerts "Hand aufs Herz" bei mir wachgerufen. Ich danke ihr besonders für die zutreffende Beurteilung des veränderungsbedürftigen jetzigen Deutschlands, an dessen Spitze dieser unsägliche Präsident steht.

Helga Störz, Zwickau


Das derzeitige, äußerst "großzügige" Buchangebot entspricht - von ausgewählten Titeln abgesehen - nicht unseren Ansprüchen. Die DDR-Literatur, die wir uns durch die Büchervernichter nicht delegitimieren lassen, ist demgegenüber ein Genuß. Selbstverständlich zählt auch der "RotFuchs" zu jener Lektüre, welche wir Monat für Monat mit Interesse erwarten. Wir lesen die Zeitschrift intensiv, ja wir studieren sie sogar zum Teil. Besonders auf den Leitartikel sind wir stets gespannt. Wir betrachten ihn als richtungweisend und wertvoll für die Argumentation im Familienkreis wie in unserem Umfeld. Natürlich sprechen wir darüber hauptsächlich mit Gleichgesinnten und Sympathisanten. Oft verschenken wir einzelne Exemplare an Menschen, die Interesse bekunden, wobei wir ihnen vorschlagen, den RF selbst zu abonnieren. Weiterhin viel Erfolg bei der spannenden Berichterstattung zu den brennendsten Themen unserer Zeit!

Uschi und Detlef Henkel, Bernau


Herzlichen Dank für die regelmäßige Zustellung des RF! Ihr leistet eine sehr verdienstvolle Arbeit, für die ich mich als ehemaliger ND-Mitarbeiter bei allen Autoren und Beteiligten ganz herzlich bedanken möchte. Im Sinne eines nicht so verdienstvollen Altkanzlers rufe ich Euch zu: Weiter so!

Hans Rehfeldt, Berlin


Wie ernst nimmt diese Gesellschaft die historisch unwiderlegbaren Fakten und Realitäten? Keine menschlich verschuldete Katastrophe entwickelt sich von einem Tag auf den anderen. Jeder große Fehler hat seine Ursache in einer Serie von kleinen Fehlern. Erfordernisse, die man nicht sieht oder nicht sehen will, führen zu Irritationen, Zerwürfnissen und schließlich in die Katastrophe. Achtet auf jene, die viel reden. Um Wahrheiten zu erfahren und zu verarbeiten, muß man auch zuhören können und wollen. Wer ständig durch Maßlosigkeit der Worte ein Gespräch zu stören versucht, will die Wahrheit nicht hören. Mit Sachverstand zuhören und in Achtung und Toleranz antworten - ist das nicht der bessere Weg? Das jedenfalls ist die Meinung eines katholischen Lesers und Autors des RF.

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Seit den letzten Wahlen in Bayern wurden massive Angriffe gegen uns Genossen der Partei Die Linke geführt. Das Landratsamt wollte wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten sogar Neuwahlen ansetzen. Es geht um die Vernichtung eines politischen Gegners, der dieses System als überholt betrachtet und sich nichts sehnlicher wünscht, als daß die Ausbeutung von Menschen durch Menschen endlich ein Ende findet, wie es bei Euch in der DDR der Fall war. Dafür gebührt Euch heute noch Dank. Die Geschichte kann die DDR nicht vernichten, sie wird als ein Staat vor ihr bestehen, in dem jeder Arbeit hatte, ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und keine Zukunftsangst.

Hannes Färber, Grafenwöhr


Mit Freude habe ich - wie immer - pünktlich den Jubiläums-"RotFuchs" erhalten. Eure Beiträge sind stets eine gute Hilfe zur Festigung des eigenen sozialistischen Bewußtseins, insbesondere durch die Vermittlung historischer Zusammenhänge, so zur "friedlichen Revolution" in der DDR. Die Leitartikel des Genossen Steiniger und die Leserbriefe stehen bei der Lektüre stets an erster Stelle. Leider ist Euch in der die Ukraine betreffenden Zuschrift von Hans-Georg Vogl aus Zwickau ein sachlicher Fehler unterlaufen. Bei dem gestürzten Vorgänger Poroschenkos wurde statt des Namens Janukowitsch fälschlicherweise Lukaschenko genannt.

Klaus Feldhacke, Berlin

Die Redaktion entschuldigt sich - auch bei Genossen Vogl - für diesen groben Schnitzer.


Seit vielen Jahren aufmerksamer Leser des RF, möchte ich mich zum Absturz der MH 017 über der Ostukraine äußern. Im Internet ist unter AnderweltOnline. com ein präziser und sachkundiger Bericht in Auswertung der Haisenko-Analyse erfolgt. Der Verband der Ingenieure Rußlands untersuchte alle Bruchstücke und die für einen Abschuß der Passagiermaschine möglichen Waffensysteme. Außerdem erfolgte eine Analyse der Luftraumbewegung zum Abschußzeitpunkt. Im Unterschied zu Manfred Wild bin ich der Meinung: Eigentliches Ziel war offensichtlich die aus Brasilien kommende Maschine Präsident Putins, die in 300 bis 500 km Entfernung auf gleicher Höhe flog. Ein ukrainisches Jagdflugzeug hat die MH 017 beschossen und zum Absturz gebracht, wobei die ukrainische Regierung möglicherweise davon nichts wußte. Die regionalen Oligarchen verfügen über alle Mittel, einen Piloten der Luftstreitkräfte durch Bestechung zu engagieren.

Gerhard Kasten, Bad Suderode


Im RF 200 bemüht sich Jobst-Heinrich Müller "um eine ausgewogene Bilanz'" für die Partei Die Linke. Der Artikel verdient volle Zustimmung. Der Autor verweist auf die zunehmende Tendenz, das Erfurter Programm mit seinen sozial- und friedenspolitischen Positionen zu unterlaufen. Er warnt zu Recht vor den bürgerlich-demokratischen Illusionen einiger durchaus namhafter Parlamentarier der Partei. Als Beleg für das Vorhandensein marxistischer Kräfte führt er nur die Kommunistische Plattform an. Seine Feststellung, daß diese "zunehmend an den Rand gedrängt" wird, muß indes durch den Hinweis auf das Marxistische Forum, die Antikapitalistische Linke und andere marxistisch orientierte Gruppierungen ergänzt werden. Als Mitglied des Landeskoordinierungsrates der KPF in Brandenburg verweise ich darauf, daß wir entschieden um Erhalt und Realisierung des Erfurter Programms kämpfen. Auch wenn dieses noch nicht konsequent marxistisch ist, enthält es doch deutlich antikapitalistische Aspekte und ist mit seinen friedenspolitischen Festlegungen in der deutschen Parteienlandschaft einmalig. Ich unterstreiche die Feststellung des Genossen Müller: "Den Erhalt, die Verbreitung und konsequente Umsetzung marxistischer Theorie ... nimmt uns niemand ab! Das müssen wir schon selber tun." Dabei ist uns der "RotFuchs" eine äußerst wertvolle Hilfe!

Prof. Dr. Herbert Meißner, Oranienburg


Die Tatsache, daß das Grundgesetz lediglich ein Provisorium ist, belegt allein schon sein Titel: GG für die Bundesrepublik Deutschland. Herr Kauder von der CDU ist ein Roßtäuscher, wenn er ohne Erröten das GG "die beste Verfassung der Welt" nennt.

Dr. Klaus Emmerich, Edertal-Mehlen


Am 3. Oktober war - folgt man der offiziellen Empfehlung - der "Tag der deutschen Einheit" zu feiern. Doch laut Artikel 146 des Grundgesetzes soll nach Herstellung der Einheit eine "vom deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossene" neue Verfassung in Kraft treten. Wo ist denn hier die Legitimierung? Und: Ohne neue Verfassung keine Einheit! Bis heute existiert lediglich das am 23. Mai 1949 von einem "Parlamentarischen Rat" beschlossene Grundgesetz. Zur Irreführung der Bevölkerung schuf man sowohl ein "Bundesverfassungsgericht" als auch einen "Verfassungsschutz", die etwas schützen sollen, was gar nicht vorhanden ist.

Helmut Baumgarten, Halle/Saale


Seit vielen Jahren bin ich ein interessierter Leser Eurer Zeitschrift. Besonders gefällt mir die konsequente Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Viele Funktionäre der Partei Die Linke haben sich bereits so weit angepaßt, daß sie kaum noch prinzipielle Kritik an ihr üben. Hauptsache, man ist im Parlament oder in einer Regierung. Außerparlamentarische Aktionen werden nur noch selten organisiert. In den letzten Jahren hat man sich für nahezu alles, was die DDR getan hat, entschuldigt. Immer wieder versucht man, mit anderen gemeinsam zu regieren, wobei man an Zustimmung verliert, wie sich erst Berlin und dann in Brandenburg gezeigt hat. Doch wir brauchen keine zweite SPD, sondern eine konsequent antikapitalistische Linke. Ich finde es äußerst entwürdigend, wie NATO und EU unter USA-Vorherrschaft mit Rußland umspringen, es zu demütigen suchen und mit Sanktionen belegen. Sie waren es auch, von denen die Krawalle auf dem Maidan organisiert und bezahlt wurden. Der "russische Bär" soll erlegt werden, um die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges zu revidieren.

Lutz Heuer, Berlin


Erst seit kurzem beziehe ich Ihre Zeitschrift und möchte für Ihre fundierten Beiträge herzlich danken. Sie geben mir fast immer Sicherheit in meinen eigenen Analysen und Bewertungen der sehr komplizierten internationalen und nationalen Situation. Besonders hervorheben möchte ich Gisela Steineckerts "Hand aufs Herz". Ja!!! Auch für mich hat sie das ausgesprochen, was ich schon lange denke und fühle. Eine entscheidende Frage bleibt allerdings - in meinen Augen - offen: Wer und wo sind die Kräfte, die den "großen Lümmel" auf den Weg aus der Trägheit führen? Es handelt sich um einen schweren, aber unabdingbaren Weg.

Dr. Dieter Müller, Dresden


Vielen Dank dem "RotFuchs" für die Lichtblicke und erhellenden Momente im Kontrast zum dunklen bundesdeutschen Journaillentum! Ein besonderes Dankeschön dafür, daß Gisela Steineckert bei und für Euch schreibt. Ich schätze sie seit Jahrzehnten, habe - als Zupfgeigenhansel beim Festival des Politischen Liedes - immer wieder Bücher von ihr erworben und in mein kapitalistisches Heimatland gebracht. Ihre klugen, sprachlich geschliffenen Beiträge - nicht zuletzt der Artikel über Biermann - sind für mich eine Freude. Bitte mehr!

Thomas Friz, Göppingen


Der September-RF enthielt interessante Artikel, die mir beim Nachdenken über aktuelle Ereignisse geholfen haben. Sehr erfreut bin ich darüber, daß die Literatur in unserer Zeitschrift eine wichtige Rolle spielt. Schön, daß Gisela Steineckert jetzt zu den ständigen Autoren gehört. Der "RotFuchs" ist - auch durch sie - emotionaler geworden, was mir sehr gefällt. Seit Jahren lese ich immer wieder in Giselas Büchern. So bereitete es mir großes Vergnügen, daß ich vor geraumer Zeit bei einer Lesung in Loge bei Lüchow sie und ihre Enkelin Laura kennenlernen konnte. Wir saßen ein Weilchen auf einer kleinen Bank und sprachen über Gedichte.

Anne Beck, Salzwedel


Seit dem 8. September gibt es in der BRD einen hauptberuflichen Militärbischof, der für 100 Militärpfarrer der evangelischen Kirche verantwortlich ist. Angeblich will die EKD die Friedenspolitik neu gestalten - welche Demagogie! Wie früher werden deutsche Soldaten - diesmal der Bundeswehr - samt Waffen gesegnet und in den Krieg geschickt, zu dem Töten gehört. Das paßt in die Strategie Joachim Gaucks, der mit seinen Reden ohne Unterlaß um Verständnis für "notwendige" Kriegseinsätze wirbt. Zum Glück gibt es auch in Suhl Vertreter der evangelischen Kirche wie Superintendent Martin Herzfeld und andere engagierte Christen, die mir als leidenschaftliche Kriegsgegner bekannt sind. Herr Herzfeld war Initiator einer Veranstaltung zum Weltfriedenstag, die unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" stand. Das sollte sich Ex-Pfarrer Gauck hinter die Ohren schreiben, hatte er doch zu DDR-Zeiten diesen Spruch in seinem Dienstzimmer, dazu die Losung: "Stellt Euch vor, es ist Krieg, und keiner geht hin."

Dagmar Schmidt, Suhl


Im Osten Deutschlands sollen evangelische und katholische Bahnhofsmissionen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Sie seien seit 1953 in der DDR verboten gewesen, hieß es beim rbb. Dabei hätten sich deren Mitarbeiter doch lediglich um soziale Belange der Fahrgäste gekümmert, z. B. um Wickeltische für Kleinstkinder. Man verschwieg indes, daß solche Missionen auch von westlichen Geheimdiensten für Spionage, Patentschmuggel u. a. genutzt wurden. Daher bestand für die DDR-Sicherheitsorgane vermutlich Handlungsbedarf. In dem rbb-Beitrag vom 8. September unterschlug man, daß auch nach Auflösung der Bahnhofsmissionen vom Deutschen Roten Kreuz der DDR alle humanitären Anliegen auf jedem größeren Bahnhof bedient wurden.

Jürgen Förster, Dresden


Obwohl die IG Metall und der Belegschaftsrat des Daimlerwerks Hamburg-Harburg bereits den arbeitsfreien Samstag verkauft hatten, nachdem dieser schwer genug erkämpft worden war, akzeptierten sie nun auch noch die Einführung der Sonn- und Feiertagsarbeit. Die Belegschaft wurde weder befragt oder informiert. Die Betriebsparteien vereinbarten einfach Sonn- und Feiertagsarbeit im Rahmen von Mehrarbeit für einen Geltungszeitraum. Bei weiter bestehendem Bedarf - hieß es - sollen Verhandlungen im Rahmen der Bewilligung mit dem Amt für Arbeitsschutz geführt werden. Für den Betriebsrat ist die Wiedereinführung der Sonn- und Feiertagsarbeit kein Problem. Es gibt weder Aussagen noch Begründungen zum angeblich fortbestehenden Bedarf.

Holger Braatz, Hamburg


Wir senden unserem "RotFuchs" herzliche Grüße in der Hoffnung nach Berlin, in der Zeitschrift noch viele richtungweisende Leitartikel lesen zu können, deren klare Gedankenführung und fundierte inhaltliche Aussage ich ehrlich bewundere. Ich erkenne in ihnen oft eigene Erfahrungen und Erlebnisse aus bewußter Mitgestaltung der DDR wieder.

Dr. Werner Freigang, Leipzig


Da ich inzwischen Einblick in diese Materie gewonnen habe, ist mir klar geworden, wie die "DDR-Aufarbeitungsindustrie" und die "SED-Opfer-Aufarbeitungsindustrie" funktionieren. Auf den Internetseiten der sogenannten Opfervereine wurde ich fündig. In einer speziellen Datei sind alle aus der Geldmaschine "Bundesstiftung Aufarbeitung" seit 1998 geförderten Projekte aufgeführt. So wird z. B. die Zeitschrift "Stacheldraht" (20 Seiten bei mittelwertiger Aufmachung) jährlich mit über 100.000 Euro gesponsert. Jetzt ist mir klar, daß wir keine gerechte BRD/DDR-Geschichtsaufarbeitung bekommen werden, solange diese Mechanismen bestehen. Allein die "Stasi"-Unterlagenbehörde beschäftigt 2000 Mitarbeiter und treibt einen Jahresaufwand von über 100 Millionen Euro. Für sie mußten die BRD-Steuerzahler bereits mehr als zwei Milliarden Euro blechen.

Johann Weber, Ruhstorf


Im Fall Edward Snowdens hat sich die NSA kräftig in den Finger geschnitten. Wie kann ein Geheimdienst von dieser Dimension einen hochqualifizierten Experten mit sehr speziellen Kenntnissen einfach aus dem Blickfeld verlieren? Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war, unternahm Washington buchstäblich alles, um seines Ex-Mitarbeiters wieder habhaft zu werden. Beim Rückflug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales aus Rußland wurde die Maschine in Westeuropa zur Landung gezwungen. Offensichtlich vermutete die NSA, in der Staatsmaschine befinde sich auch der von ihr Gesuchte. Alle friedliebenden Menschen Europas und der Welt sind Edward Snowden zu großem Dank verpflichtet. Es handelt sich ja um einen Mann des Friedens, der die Karten der Kriegstreiber aufgedeckt hat.

Klaus Keller, Heiligenstadt


Mit Interesse und Zuspruch habe ich im RF 200 einen weiteren Beitrag Gisela Steineckerts gelesen. Der Artikel war nicht nur "die Hand auf dem Herzen", sondern ging viel tiefer hinein. Unser aller Bundespräsident erfuhr darin eine knappe, den Tatsachen entsprechende Einschätzung. Die von ihm ausgehende Gefahr wurde klar benannt. Da reist dieser Mann mit Priestergehabe, die Freundin immer an seiner Seite, in der ganzen Welt herum und will anderen, Frau Merkel ergänzend, Menschenrechte, Frauenrechte, die Bedeutung von Familie und viele andere Tugenden vermitteln. Das alles tut er mit gespielter Sanftheit und eingeübtem Schmalzlächeln. Doch die von Gisela Steineckert erwähnten politischen Träume lassen vermuten, daß die Erziehung vor allem im Hause seines Nazi-Onkels nachwirkt. Was bei Köhler zunächst nur gedacht werden durfte, ist jetzt ganz offiziell deutsche Außen- und Militärpolitik.

Eberhard Georgi, Strausberg


Durch Vermittlung eines hiesigen Lesers habe ich im "RotFuchs" endlich eine Zeitschrift gefunden, in der ich jenen Lesestoff entdecke, nach dem ich schon lange auf der Suche gewesen bin. Denn das Rechtsgeschaukle in anderen Blättern gefällt mir in keiner Weise. Seit meiner Gymnasialzeit in der DDR bin ich nämlich von der Richtigkeit des dialektischen Materialismus überzeugt.

Karlheinz Boehme, Döbeln


Danke für Eure fundierten Beiträge! Sie sind ein echtes Reservoir an Standpunkten mit umfassender Kenntnis.

Wolfgang Hupfer, Chemnitz


Ich möchte dem Artikel Wilfried Steinfaths zur Neuverfilmung von "Nackt unter Wölfen" beipflichten. Was soll denn der neue Film eigentlich anderes zeigen? Eine Geschichtsverfälschung, nicht zuletzt durch Auslassen tatsächlicher Ereignisse, dürfte wohl zu erwarten sein. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die - wie einst Bruno Apitz - Authentisches über die Greueltaten des Hitlerfaschismus in den Konzentrationslagern aussagen können. Ich finde es beängstigend, daß im Fernsehen ständig Dokumentationen über Hitler und andere Naziverbrecher gebracht werden. Sie tragen nicht, wie angeblich gewollt, zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins jüngerer Generationen bei, sondern dienen dem anwachsenden Neofaschismus als Tankstelle.

Siegfried Tietz, Altenberg/Sachsen


Die Wölfe hatten es auf eine Schafherde abgesehen, vermochten ihr aber nicht beizukommen, weil die Hunde Wacht hielten. Also suchten sie durch List, ihr Ziel zu erreichen. Sie schickten Gesandte zu den Schafen, welche die Auslieferung der Hunde forderten; denn die Hunde, behaupteten sie, wären schuld an ihrer Feindschaft untereinander. Erst wenn diese abgeschafft seien, werde auch Friede zwischen ihnen herrschen. Die Schafe, die das Kommende nicht bedachten, gaben die Hunde heraus. So wurden die Wölfe der Dinge leicht Herr und vernichteten die ganze schutzlose Herde (Äsop, Fabel 232).

Dr. Holger Michael, Erkner

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Redaktionsschluß für die übernächste Ausgabe ist der 20. eines Monats.

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Quelle:
RotFuchs Nr. 202, 17. Jahrgang, November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2014