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ROTFUCHS/131: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 177 - Oktober 2012


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

15. Jahrgang, Nr. 177, Oktober 2012



Inhalt

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Nägel mit Köpfen

Unlängst übte ein Genosse, der sich über den derzeitigen Zustand der kommunistischen Bewegung hierzulande aus gutem Grund Gedanken macht, am "RotFuchs" diskrete Kritik "von links": Dessen auf die Zusammenführung von Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch gerichteter Kurs behindere die Formierung einer marxistisch-leninistischen Vorhut in Deutschland, deutete er an. Der "RotFuchs", dessen generelle Positionen er durchaus teile, wolle die längst fällige Gründung einer einheitlichen Partei aller deutschen Kommunisten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag oder zumindest in eine "fernere Zukunft" verschoben sehen.

Was soll man diesem redlichen Kampfgefährten, der keine Zeit verlieren möchte, darauf antworten?

Der "RotFuchs" stellt keine politische Partei dar. Er steht weiterhin für die Zusammenführung linker Kräfte, wobei er alle Varianten des Antikommunismus entschieden zurückweist. Wir lehnen zugleich jede Einengung unseres Spektrums nur auf Kommunisten ab. Unter den Lesern und Freunden des RF befinden sich auch Tausende Basisaktivisten, Sympathisanten und Wähler der Linkspartei, zu denen wir ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut haben. Trotz aller Bestrebungen einflußreicher Reformisten, ideologische Verwirrung zu stiften, nehmen Marxisten in der Partei Die Linke Positionen ein, die sich mit unseren Auffassungen oftmals decken. Auch linke Sozialdemokraten wissen - anders als die beflissenen Erfüllungsgehilfen des Kapitals an der SPD-Spitze - den "RotFuchs" ebenso zu schätzen wie einstige Mitglieder aller DDR-Blockparteien, progressive Christen und Anhänger anderer Konfessionen.

Als Marxisten lehnen wir politische Beliebigkeit entschieden ab. Wer nach Bernsteins Devise, die Bewegung sei alles, das Ziel aber nichts, verfährt, strandet unweigerlich im politischen Abseits. Gemeinsame Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, Schritt für Schritt jene Kraft zu entwickeln, welche die Arbeiterklasse und andere Ausgebeutete eines Tages in den entscheidenden Kampf zu ihrer politischen und sozialen Befreiung zu führen vermag.

Diese Kraft kann nur eine Partei sein, die mit der von Marx, Engels, Lenin und anderen Vordenkern geprägten Weltanschauung ausgerüstet ist und entsprechenden Organisationsprinzipien folgt. Eine solche strategische Konzeption ist mit "revolutionärer Hast" unvereinbar.

Im NATO-Staat BRD bestehen außer einer Reihe durchaus ernstzunehmender marxistischer Gruppen und Zirkel sowie pseudokommunistischer Zusammenschlüsse vom Charakter der MLPD, die sich im Alleinbesitz der "reinen Lehre" wähnen, derzeit zwei authentisch kommunistische Parteien: die 1968 - zwölf Jahre nach dem Verbot der KPD Max Reimanns durch das Adenauer-Regime - neukonstituierte Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und die im Januar 1990 in Ost-Berlin gegründete und daher nach dem "Einigungsvertrag" legale Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

Die von Kurt Bachmann, Herbert Mies, Jupp Angenfort und anderen bewährten Arbeiterführern geprägte DKP war - obwohl im Bundestag nicht vertreten und trotz der Berufsverbote - eine relativ einflußreiche politische Kraft der Alt-BRD. Die Verankerung der Partei in Betrieben, Kommunalparlamenten und Gewerkschaften sowie unter Studenten und jungen Arbeitern gehörte zu ihren Markenzeichen. Die Konterrevolution, welche die DDR zerstörte, riß auch die durch den Gorbatschowismus bereits geschwächte DKP in den Strudel der Niederlage. Die einstmals rund 50.000 Mitglieder umfassende Partei, zu deren UZ-Pressefesten stets Hunderttausende Besucher strömten, setzt ihren Kampf inzwischen in wesentlich bescheideneren Dimensionen mutig fort.

Die Reichweite der KPD, die das Erbe der DDR ehrenhaft gegen Schmähungen verteidigt und von klassenkämpferischen Positionen ausgeht, ist leider noch deutlich geringer als die der DKP. Dennoch sind in jüngster Zeit gerade von ihr durchaus anerkennenswerte Initiativen zur Vereinigung aller deutschen Kommunisten, derer es dringend bedürfte, ausgegangen. Doch was ist eine Vorhut ohne Klasse und Masse? Um dem deutschen Imperialismus bisweilen die rote Karte zeigen zu können, wäre ein ganz anderes Potential erforderlich.

Wir haben es mit einer nichtrevolutionären Situation zu tun, in der die Mehrheit der Bevölkerung bei Verelendung unterer Schichten ruhiggestellt werden kann, wobei das entscheidende Kriterium - das Klassenbewußtsein der Arbeiter - in alarmierendem Maße fehlt.

Die Herausbildung einer einflußreichen, massengestützten, in der Klasse verankerten marxistischen Partei läßt sich weder herbeireden noch über das Knie brechen. Als Marxisten dürfen wir uns nicht von der Geschichte treiben lassen, aber auch keinesfalls die Vorstellung hegen, sie überlisten oder antreiben zu können.

Gut Ding will Weile haben, sagt der Volksmund. Dem hat Ernst Thälmann entsprochen, als er erst 1920 zur VKPD ging und dabei Tausende Hamburger USPD-Genossen mitbrachte.

Der "RotFuchs" darf weder historische Chancen verschlafen noch den Prozeß der Formierung neuer Kräfte vom Straßenrand aus "begleiten". Auf Nägel mit Köpfen kommt es an.

Klaus Steiniger

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Über Heimatgefühl und Heimatlosigkeit
Gedanken zum 7. und zum 3. Oktober

Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer,
unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald.
Unsre Heimat ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld,
und die Vögel in der Luft und die Tiere der Erde
und die Fische im Fluß sind die Heimat.
Und wir lieben die Heimat, die schöne,
und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört,
weil sie unserem Volke gehört.

Eines der schönsten Lieder, das wir in der Schule lernten, war dieses Lied. Die wunderschöne Melodie stammte von Hans Naumilkat, der einprägsame und sanfte Text von Herbert Keller. Es besang die Anmut unseres Landes mit seinen Naturreichtümern, Städten und Dörfern. Wenige Worte erweckten in uns ein Gespür dafür, wie es sich anfühlt, seine Heimat zu lieben - noch bevor wir es in eigenen Worten ausdrücken konnten. Das Lied erzählte aber auch von der Notwendigkeit, diese Heimat zu schützen, "weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört".

Diese Heimat gibt es für uns nicht mehr. Sie ist nicht mehr des Volkes eigen. 1990 fiel sie "unter die Räuber". Heute ahnen auch viele von denen, die das damals nicht so verinnerlicht hatten, warum der Schutz dieser Heimat so wichtig war. Ihre üppige Natur, ihre Städte und Dörfer sind zwar immer noch da, und obwohl ich weiterhin an demselben Ort lebe wie einst, fühle ich mich oft fremd, ohne in die Fremde gezogen zu sein.

Vielen früheren DDR-Bürgern geht es ähnlich. Nach 1990 wurde ihre Heimat mit so beispielloser Brutalität nach westlichem Geschmack umgestaltet, daß selbst die Stätten der Kindheit, der Jugend und des einstigen beruflichen Lebens fremd erscheinen, auch wenn sie vertraut sind. Die Häuser, Straßen und Wege sind oft noch die alten - und sind es doch nicht mehr. Grelle Farben und eine aufdringliche Werbung erzeugen eher das Gefühl von Leere und den Wunsch zurückzuweichen, um die überreizten Sinne beruhigen zu können.

Oft sehne ich mich nach dem unaufdringlichen "Grau" früherer Tage zurück. Überdies entsteht bei mir das Gefühl, alles sei von außen zu uns hineingetragen worden. Nichts davon - weder die Supermärkte noch die Bürohäuser oder gar die in vielen Orten geradezu palastartigen Arbeitsämter - haben etwas mit unserem Fleiß und unseren Leistungen zu tun. Kaum etwas von dem, was wir sehen und am Ende kaufen, wurde von uns erschaffen. Nur noch wenig lädt dazu ein, auf das eigene Tun stolz sein zu können.

Wenn auch restaurierte Fassaden und sanierte Straßen sehr zu begrüßen sind, können sie nicht vergessen machen, daß viele der einst besungenen Städte und Dörfer immer mehr veröden. Industriebrachen und renaturierte Flächen zeugen still von früherer Tatkraft der Bewohner im eigenen Interesse. Waren die in der DDR gebauten Autos auch keineswegs so modern wie jene aus westlichen Montagehallen, unsere Artikel nicht so bunt verpackt und unser Angebot ärmer, so konnten wir sie doch als unsere Autos und unsere Erzeugnisse betrachten! Merkwürdigerweise ruft die aufdringliche Warenfülle dieser Tage in mir eher das Gefühl eines ganz anders gearteten Mangels und innerer Hohlheit hervor. Ich spüre, daß das System, welches dahinter steht, purer Wahnsinn ist. Heutige Geisterlandschaften erzählen von einer Zeit, in der die Menschen den Reichtum der Heimat selbst in Händen hielten und ihn für sich vermehrten, ohne ihn zu verschwenden. Jetzt dürfen wir nur noch in der einstigen Heimat wohnen und konsumieren.

In den Ortszentren, hinter den elegant sanierten Fassaden findet man allzu viele Rechtsanwaltskanzleien oder Büros von Versicherungsvertretern. Vertraute Menschen sind fortgezogen, und viele werden ihnen noch folgen. Sie gingen oft nicht freiwillig in den Westen, sondern eher der Not gehorchend. Kinder sind vielerorts zur Seltenheit geworden. Begegnet man ihnen in manchen Dörfern, dann springt einem das regelrecht ins Auge! Ich spüre nun viel stärker als früher, daß es die Menschen und die durch sie erschaffenen Werte sind, welche einst das Heimatgefühl entstehen ließen.

Doch Heimat bedeutet ja noch mehr. Nicht nur Ort der Geburt und das eigene Lebensumfeld soll sie für uns sein, sondern auch die Nation, zu der man gehört, und der Staat, dessen Bürger man ist. Ginge es nach dem derzeitigen Hausherrn im Schloß Bellevue, wäre es wieder eine Freude, für diesen Staat zu sterben - und zu töten. Und ein solches Land sollen wir als unsere Heimat betrachten und obendrein auch noch lieben?

Ich gebe offen zu, daß es nichts gibt, was in mir Liebe und Stolz auf die so beschaffene BRD erzeugen könnte - weder ihre Kriege noch ihre Arroganz und schon gar nicht ihre erbärmlichen "Leistungsträger". Doch der Mangel an wärmeren Gefühlen ihr gegenüber sitzt bei mir tiefer: Ich habe die Annexion meiner wirklichen Heimat DDR als 25jähriger erlebt und spüre noch heute die Wunden, welche ihr die verbrecherische Treuhand sowie die verlogene Hinterlist bundesdeutscher "Eliten" geschlagen haben. Es schmerzt mich, daß ich zu dem Deutschland jenseits der Elbe und zu den westlichen Bezirken der Hauptstadt keine innere Beziehung habe aufbauen können. Ich bedaure es vor allem deshalb, weil ich weiß, daß es auch dort Ausgebeutete und Ausbeuter gibt. Doch Heimat wird mir der Rhein oder die Nordsee unter den heute bestehenden Verhältnissen nicht sein können, so schön auch die Landschaften dort sind.

Uns Sozialisten und Kommunisten wird oftmals Vaterlandslosigkeit vorgeworfen. Jene, welche dieses Pferd reiten, meinen damit stets nur unsere Abneigung gegen ihre kapitalistische Gier, ihre imperialistischen Kriege oder ihren Klassendünkel. Wenn sie davon reden, wir sollten Stolz auf unsere deutsche Heimat empfinden, haben sie dabei nur ihren chauvinistischen Größenwahn des "Deutschland, Deutschland über alles" im Auge. Reden sie davon, man müsse für das Vaterland Opfer bringen, dann verstehen sie darunter das Wegwerfen unserer Leben für ihre Bereicherung. Und preisen sie die Stärke deutscher Wirtschaftskraft, meinen sie nicht jene, welche allen Reichtum schaffen und dafür noch an die Wand gedrückt werden. Ein solches Vaterland soll ich lieben?

Meine verlorene Heimat DDR wird seit 22 Jahren unablässig durch neue Greuelmärchen in den Schmutz gezogen. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwelche Fernsehenthüllungen oder Zeitungsenten in die Welt gesetzt werden. Trotz aller Schmähungen mißt sich die BRD im Grunde genommen bis heute an einem längst nicht mehr existierenden Staat. Alles ist dieser Auseinandersetzung mit einem "Phantom" untergeordnet. Welches Maß an Frustration und Verzweiflung, an Angst um die eigene Zukunft kommt da zum Ausdruck! All das verstärkt in mir eher den Stolz und die Liebe zur verlorenen Heimat.

Im staatlichen Sinne werde ich wohl ein Heimatloser bleiben, es sei denn, ich hätte wieder Grund, dieses Land zu lieben und stolz auf es zu sein.

Meine Zeilen sind ein sehr persönlicher Bericht. Angeregt hat mich dazu Cornelia Noack mit ihrer wunderbaren neunteiligen Serie "Cornelias kleine große DDR". Auf ewig bleibt sie auch für mich die Heimat im Herzen. Ich liebe die Menschen und Tiere, die Wälder, Städte, Dörfer, Seen und das Gras auf der Wiese, wie es im Lied heißt, das ich so gern gesungen habe. Aber ein Fremdsein darin bleibt, bis alles eines Tages wieder unserem Volke gehört.

Ulrich Guhl

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Keine Toleranz für Andersdenkende
Was derzeitige Sieger unter Meinungsfreiheit verstehen

Die Vergangenheit läßt sich zwar aus Museen und von Straßenschildern, nicht aber aus dem Wissen, Gewissen und Gedächtnis von Menschen verbannen. Wie kaum eine andere Form des Denkens setzt souveräner Umgang mit der Geschichte und deren Leitlinien ein hohes Maß an Urteilsvermögen und Kritikfähigkeit sowie viel Toleranz voraus. Was indes deren Handhabung betrifft, sind wir inzwischen um eine Erfahrung reicher.

Hierzulande gibt es eine ganz spezifische Art von "Toleranz", die keine andere Meinung duldet. Mit der vielzitierten "Freiheit der Andersdenkenden" ist es nicht weit her. Die düsteren Schatten dieser Realität lassen sich auch nicht durch noch so medienwirksam arrangierte Lichterketten aufhellen. Das Urteil wird immer wieder vom Vor-Urteil überlagert.

Die Geschichte, die man uns jetzt beizubringen bestrebt ist, stellt in Wirklichkeit eine Vergötterung der kapitalistischen BRD-Gegenwart bei totaler Verketzerung von vier Jahrzehnten DDR dar. Das sozialistische System wird verteufelt und mit dem Hitlerfaschismus gleichgesetzt. Wer fragt nach der Fülle zerstörter Biographien oder an den Rand des Suizids getriebener Menschen? Wo gehobelt wird, da fallen eben Späne, heißt es.

Warum zieht es eine Gesellschaft, deren vermeintlicher Grundwert das Individuum sein soll, eigentlich vor, mit dem Pauschalbegriff des "Unrechtsstaates" jegliche Individualität zu leugnen?

Was blieb denn vom Anspruch auf direkte Demokratie, wie er vor mehr als zwei Jahrzehnten in Gestalt des "Runden Tisches" und seines Verfassungsentwurfs für eine neue demokratische Republik wenigstens in Ansätzen geltend gemacht wurde, übrig? Wir wissen darum, daß der Umgang mit der Geschichte stets zwei völlig konträre Ausgangspunkte besitzt: den der jeweiligen Sieger und den der Unterlegenen. Dabei läßt das Nachdenken über historisches Geschehen kein Vakuum zu. Gerade darin liegt eine Herausforderung, der man nicht ausweichen kann. Genormtem Verhalten muß das alternative Denken, die eigene Position entgegengestellt werden.

Zur Argumentationsstruktur um den vermeintlichen Unrechtscharakter der DDR gehört auch die Unterstellung, sein Antifaschismus sei "verordnet" gewesen. Ziel dieser allenthalben präsentierten These ist es, das weltweite moralische Prestige des einstigen Staates im deutschen Osten zu untergraben und so dem tatsächlich verordneten Antikommunismus als der langjährigen Staatsdoktrin der BRD eine scheinbare Legitimation zu verschaffen.

Bilderstürmerei, Denkmalsstürze, Straßenumbenennungen sowie der anachronistische Rückgriff auf Namen aus längst verflossenen Zeiten gehören dazu. Für den kapitalistischen Westen ergab sich damit die Chance, eine 1945 verhinderte oder zumindest schaumgebremste "Geschichtsbewältigung" auf Kosten der DDR nachzuholen.

Bezahlten die Menschen im Osten schon damals für ganz Deutschland die Wiedergutmachungskosten an die Sowjetunion, dann sorgte die wirtschaftliche Enteignung von 17 Millionen DDR-Bürgern auch noch für eine temporäre Teilkonjunktur der bereits schwächelnden westdeutschen Wirtschaft. Warum sollte dann keine "Entsorgung" des tatsächlichen deutschen Geschichtsverlaufs erfolgen?

Die Zusammenführung des vermeintlichen Unrechtsstaates DDR mit dem angeblichen Rechtsstaat BRD bewirkte die totale Negierung aller positiven Sozialismuserfahrungen in einem Teil Deutschlands.

Die willkürliche Fixierung auf Auswüchse der Machtkonzentration in den Händen einer am Ende überforderten Führung beruhte auf der Nichtbeachtung oftmals ausschlaggebender globalstrategischer Faktoren. Andererseits verlor der "Westen" jegliche Kritikfähigkeit in bezug auf den Grad der Unterwanderung, Deformierung und Zerstörung der bürgerlichen Demokratie wie deren Unvermögen, sich von innen heraus zu reformieren.

Die historische Erfahrung der DDR-Bürger verlangt einen völlig anderen Umgang mit Geschichte, der auch vor der Zukunft bestehen kann und nicht nur als Rechtfertigung heutiger Auseinandersetzungen dient.

Von Friedrich Engels ist die Feststellung überliefert, das einzig unumstößliche Recht in der Geschichte sei das Recht auf Revolution. Die Haltung dazu hängt ohne Zweifel vom jeweiligen sozialen oder politischen Standort des Betrachters ab. Unbestreitbar ist jedoch, daß die deutschen Antifaschisten nach ihren Erfahrungen aus der Zeit von 1933 bis 1945 nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hatten, einen Ausweg aus der Misere zu suchen, für den Zehntausende der Besten gelitten hatten und in den Tod gegangen waren.

Dieser Anspruch auf eine demokratische Alternative, auf einen die Ausbeutung beendenden und die Ausbeuter in Schach haltenden deutschen Staat des Friedens war also moralisch wie historisch gerechtfertigt. Wir halten uns an Marx und Engels, die - an die Bourgeoisie gewandt - im Kommunistischen Manifest davon gesprochen haben, ihr Recht sei nur der zum Gesetz erhobene Wille ihrer Klasse. Recht und Unrecht sind danach keine klassenindifferenten Begriffe. Vom Standpunkt der Verfechter des Kapitalismus, für die der Privatbesitz an Produktionsmitteln die oberste Maxime ist, stellt deren Überführung in das Gemeineigentum des Volkes in der Tat das schlimmste vorstellbare Unrecht dar. Allein auf dieser Grundlage etikettieren sie die DDR als "Unrechtsstaat".

Alle Antifaschisten dieses Landes - unabhängig von ihren spezifischen Standpunkten - sollten sich jeder Form einer willkürlichen "Entsorgung" unserer gemeinsamen deutschen Geschichte im Sinne jener, die heute die BRD vergöttern und die DDR verteufeln, entschieden widersetzen.

Oberst a. D. der NVA Hein Friedriszik, Berlin

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Zweifelhafte Sehnsucht
Warum Kanzlerin Merkel nur glaubt, die Träume "vieler Ostdeutscher" zu kennen

Dafür, daß sich Bundeskanzlerin Angela Merkel Schritt für Schritt einem reiferen Alter nähert, spricht die Tatsache, daß sich ihre Lieblingsstories oft wiederholen. So hat sie anläßlich der 60-Jahr-Feier der "Atlantik-Brücke" einmal mehr folgende Geschichte zum Besten gegeben: "Mein Reiseziel mit Eintritt ins Rentenalter - für Frauen in der DDR mit 60 - war klar: Durchgangsstation Bundesrepublik, aber direkte Abgabe des DDR-Ausweises, Inanspruchnahme eines Westpasses, sofortiger Überflug in die Vereinigten Staaten von Amerika."

Von Teilen der bourgeoisen Medienwelt wurden diese wegweisenden Worte prompt zum Zitat des Tages oder der Woche erhoben. Glücklicherweise ist das Jahr 2012 noch nicht zu Ende, sonst hätte es höchstwahrscheinlich zu noch ganz anderen Weihen gereicht. Die Regierungschefin konnte sich übrigens den Hinweis nicht verkneifen, daß die USA "für viele aus dem Osten" immer ein Land der Sehnsucht und Freiheit gewesen seien.

An dieser Stelle darf die Frage erlaubt sein: Wen meint die Kanzlerin eigentlich mit "viele"? 20 ihrer Bekannten, 200 Leute aus ihrem Wahlkreis, 2000, 20.000, 200.000 oder gar zwei Millionen Frauen und Männer? Fest steht wohl nur eines: Konkrete Erhebungen dürfte es dazu nicht geben, die Vokabel "viele" aber ist unbestimmt und dehnbar.

Doch was für ein Land sollte denn hier das Begehren der DDR-Bürger hervorgerufen haben? Sicher, die USA bestechen durch ihre schier unendlichen Weiten in neun verschiedenen Klimazonen (ohne Alaska), durch neuzeitlich-architektonische Meisterwerke in ihren urbanen Zentren und etliches mehr. Aber wie sieht die Kehrseite der Medaille aus?

2011 waren nach Auskunft des Washingtoners Zensusbüros 15,1 Prozent der US-Bürger von Armut betroffen. Da dürften in den Vereinigten Staaten, die sich wie Europa im Rahmen der kapitalistischen Systemkrise auf Talfahrt befinden, in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht wohl vor allem die Suppenküchen Hochkonjunktur haben.

Das Zensusbüro setzt gleich noch eins drauf: 45,7 der etwa 300 Millionen Einwohner der USA standen 2011 ohne private Krankenversicherung da und konnten auch keinerlei staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das waren 15,3 % der Bürger. Hilfe bekommen Bedürftige in einem Krankenhaus nur dann, wenn sie als medizinischer Notfall eingestuft werden. Das löst wohl manche ethische Debatte in den Notaufnahmestationen darüber aus, welchen Patienten ärztliche Versorgung zuteil werden dürfe und welchen nicht. Das US-Gesundheitssystem ist im weltweiten Vergleich überdies mit großem Vorsprung das teuerste. Auf jeden Bürger entfielen 2008 im Durchschnitt 7536 Dollar. In der BRD mußten im selben Zeitraum umgerechnet 3692 Dollar berappt werden, was ja auch kein Pappenstiel ist.

Und wie steht es um die Bildung in dem von Angela Merkel so favorisierten Land? Einer PISA-Studie der OECD ist zu entnehmen, daß die Fähigkeiten der Lernenden und Absolventen im Vergleich mit anderen entwickelten Ländern auf vielen Gebieten unterdurchschnittlich sind. So belegten 15jährige US-Schüler z. B. im Jahre 2003 bei 38 bewerteten Staaten in Mathematik den 24., in Naturwissenschaften den 19., im Lesen immerhin den 12. und auf dem Gebiet der Problemlösungsfähigkeiten den 26. Platz. Eine Analyse des National Center for Education Statistics weist aus, daß 8,1 Prozent der Mädchen und Jungen die Schule vorzeitig abbrechen. Kritiker des US-Bildungssystems gehen davon aus, daß tatsächlich etwa 30 Prozent der jungen Leute ohne jeglichen Abschluß bleiben.

Inländische Wirtschaftsbosse prangern solche Zustände als "wenig akzeptabel" an, da ihren Konzernen nicht der benötigte Nachschub an qualifiziertem Personal zur Verfügung stehe.

In Kenntnis dieser Tatsachen fragt man sich unwillkürlich: Wer sehnt sich danach, in einem solchen Land zu leben? Die Antwort darauf wird Angela Merkel den von ihr wahrgenommenen "vielen Ostdeutschen" leider schuldig bleiben.

An dieser Stelle sollen auch noch ein paar Worte zur derzeitigen Regierungschefin gesagt werden. Wenn sie die BRD - wie einst - noch immer als "Durchgangsstation" zur Weiterreise in die USA betrachten sollte, muß man sich über etliches in diesem Land, für dessen Geschicke sie heute die Verantwortung trägt, überhaupt nicht wundern. Dann geht es der Kanzlerin nämlich nur um die Erfüllung einer Pflichtaufgabe vor dem endgültigen Absprung über den großen Teich.

Warum aber wollte Frau Merkel die ihr nach eigenem Bekenntnis so verhaßte DDR eigentlich erst mit 60 verlassen? Sie hätte doch schon früher einen Ausreiseantrag stellen können. Oder wollte sie, die als Pfarrerstochter nach Abitur und Studium im In- und Ausland eine gutbestallte Mitarbeiterin der Akademie der Wissenschaften der DDR hatte werden können, erst noch die Sicherheiten und Annehmlichkeiten des Berufslebens im Arbeiter-und-Bauern-Staat zur Gänze auskosten?

Als FDJ-Kultursekretärin bei der Akademie der Wissenschaften - Zeitzeugen wollen ja wissen, daß sie dort für Agitation und Propaganda zuständig gewesen sei - dürfte Frau Merkel das vom Oktoberklub gesungene Lied "Sag mir, wo du stehst" sicher bekannt gewesen sein. Vielleicht hat sie es sogar mitgesungen, ohne den Text zu begreifen. Darin heißt es nämlich: "Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen."

Möglicherweise hätte sich die BRD-Regierungschefin lieber ein Beispiel an ihrer heutigen CDU-Intimfeindin Vera Lengsfeld nehmen sollen. Die hatte es nach jahrelangem Querulantentum im Februar 1988 endlich geschafft, aus der DDR gen Westen abgeschoben zu werden. Allerdings schien der Dame der andere Teil Deutschlands auch nicht sonderlich geheuer zu sein, weshalb sie sich zunächst einmal nach Cambridge in Großbritannien begab. Warum eigentlich nicht in die USA? War ihr nur der Flug dorthin zu beschwerlich, oder bestand nicht einmal bei ihr die von Merkel jetzt wieder beschworene Sehnsucht?

Rico Jalowietzki, Frankfurt (Oder)


Unser Autor (38) ist ausgebildeter Journalist und befindet sich heute in einer Umschulung.

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Unchristliches aus pastoralem Munde
Ein Expfarrer und Großinquisitor a. D. vor "Mut-Bürgern" in Uniform

Der "RotFuchs" kommentierte bereits in seiner Juli-Ausgabe die erleuchtende Rede, die Joachim Gauck am 12. Juli vor Militärs und Mitarbeitern der Führungsakademie der Bundeswehr gehalten hat. "Mut-Bürger in Uniform" lautete deren Motto.

"Ich habe mich auf meinen Antrittsbesuch bei der Bundeswehr ganz besonders gefreut", erklärte Gauck. "Sie können sich wahrscheinlich nur sehr bedingt vorstellen, warum das so ist und warum ich gerne zu Ihnen gekommen bin. Soldaten und Militär - das war mir in den ersten fünf Jahrzehnten meines Lebens allgegenwärtig. Es sind keine guten Gefühle, die bei mir hochkommen, wenn ich mich an die Aufmärsche erinnere, an die Militarisierung der Schulen, an die Erziehung zum Haß, an die Ablehnung des Zivildienstes durch Partei und Staat, an die militärische Absicherung einer unmenschlichen Grenze - nicht gegen einen Aggressor, sondern gegen das eigene Volk. Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Armee einer Partei verpflichtet war. Eine Armee, die Volksarmee hieß und es nicht war. Eine Partei, die von sich behauptet hat, den Volkswillen zu vertreten und die sich nicht gescheut hat, Soldaten auch gegen die eigenen Bürger einzusetzen."

Gauck betonte ausdrücklich, er stehe in seiner Eigenschaft als Bundespräsident vor Offizieren. Hätte er solcherlei als "Normalbürger" von sich gegeben, könnte man getrost antworten: Der Mann hat zwar in der DDR gelebt und studiert, aber von deren Politik nichts begriffen. Gegen Dummheit ist nun einmal kein Kraut gewachsen, sagt der Volksmund.

Prüfen wir seine Aussagen im Detail: Waren die Arbeiter und Bauern im Osten Deutschlands nicht dazu berechtigt und nach dem Potsdamer Abkommen sogar verpflichtet, sich einen antifaschistisch-demokratischen Staat zu schaffen? Durfte sich dieser gegen seine Feinde schützen? Wo saßen Deutschlands Spalter? Wer zwang der Welt den Kalten Krieg auf? Welche Mission erfüllte die Nationale Volksarmee in diesen Jahrzehnten? War sie ein Bollwerk des Friedens, das auch jene vor den Schrecken des Krieges bewahrte, welche die DDR von innen und außen bekämpften? Kann sich ein Christ vorstellen, daß Jesus eine solche Rede hätte halten können wie Gauck in Hamburg? Dieser vergaß die "Sünden" der Bundeswehr: Gibt es bei ihr keine Aufmärsche, keine systematische Einwirkung auf Schüler? Wurde in der BRD nicht jedermann unablässig zum Haß gegen den Sozialismus und die Kommunisten "erzogen"?

Über die Notwendigkeit der "Mauer" mag es Streit geben. Doch daß sie bis 1989 entscheidend dazu beitrug, einen von deutschem Boden ausgehenden Krieg zu verhindern, dürfte wohl unbestreitbar sein. Und: Die NVA hat keine militärischen Mittel gegen das eigene Volk eingesetzt oder irgendwo jemals Krieg geführt. Was die Bundeswehr tun würde, wenn sich die BRD im "Notstand" befände, ist in den Notstandsgesetzen nachzulesen.

Der Expfarrer und Großinquisitor a. D. gleicht jenen in der Bibel getadelten Leuten, welche die Splitter im Auge des anderen sehen, die Balken im eigenen Auge aber nicht. Gauck spricht der NVA das Recht ab, eine "Volksarmee" gewesen zu sein, bezeichnet die Bundeswehr aber als "Armee des Volkes". Ihr dichtet er allerhand "Demokratiewunder" an. Reden wir Klartext: Wie die BRD für sich in Anspruch nahm, Rechtsnachfolger des Hitlerschen Dritten Reiches zu sein, so stand auch die von Nazi-Generälen aufgebaute und geführte Bundeswehr von der ersten Stunde an voll in dieser Tradition.

Nicht zufällig erklärte der Bonner Verteidigungsminister F.J. Strauß: "Es gibt heute für die militärische Vorbereitung nurmehr einen einzigen Fall, das ist der Fall Rot." Daß er damit der Traditionslinie der faschistischen Wehrmacht folgte, liegt auf der Hand. Inzwischen geht es längst um Operationen der Armee des deutschen Imperialismus "out of area" - außerhalb der Landesgrenzen wie im eigenen Land.

Gauck sieht das so: "Während wir hier sitzen, stehen Tausende von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf drei Kontinenten in Einsätzen ihren Mann und ihre Frau. Die Bundeswehr auf dem Balkan, am Hindukusch und vor dem Horn von Afrika, im Einsatz gegen Terror und Piraten - wer hätte so etwas vor 20 Jahren für möglich gehalten. Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, werden heute ausgebildet mit der klaren Perspektive, in solche Einsätze geschickt zu werden - mit allen Gefahren für Leib, Seele und Leben. Sie haben einen Anspruch darauf, daß wir uns bewußtmachen, was Ihnen abverlangt wird und welche Aufgaben wir von Ihnen in Zukunft erwarten."

Der Spitzenrepräsentant des Staates der deutschen Monopole fuhr in der Sprache potentieller Aggressoren fort: "Die Perspektive der Soldaten ist der Kriegseinsatz."

In der Tat: Wer von den vereinnahmten DDR-Bürgern hätte das 1990 für möglich gehalten?! Da muß sich doch der Bundespräsident fragen lassen: Steht nicht im Zwei-plus-Vier-Vertrag (als Bedingung für die "friedliche Wiedervereinigung"), daß von deutschem Boden kein neuer Krieg ausgehen darf? Begeht die BRD nicht permanent Vertragsbruch?

Das Völkerrecht verbietet Aggressionen, Interventionen und die Anwendung militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen. Dazu sagte Gauck kein Wort. Indes quälte er sich die Sätze ab: "Gewalt, auch militärische Gewalt, wird immer auch ein Übel bleiben. Aber sie kann ... notwendig und sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden."

Wo in der Bibel hat er solcherlei gelesen? Ist das die Sprache von Jesus Christus? Und: Wer legt eigentlich fest, ob Gewalt ein Übel oder ein Segen ist? Die Bundestagsmehrheit? Wissen denn die meisten Abgeordneten überhaupt, worum es bei "Gewaltanwendung" geht, wenn - um mit Goethe zu sprechen - "hinten fern in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen?" Gaucks Bruder in Christo Rainer Eppelmann meinte zu diesem Thema: "Zwei Worte haben den Umbruch in der DDR geprägt: Keine Gewalt! Wir wußten, daß man mit Gewalt in diesem Land nichts verändern kann."

Was empfiehlt der Bundespräsident? Eine Rückkehr zu den Prinzipien des Völkerrechts und den christlichen Normen? Den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Kriegsgebieten? Nichts dergleichen. Er wünschte seinen Zuhörern lediglich "viel Glück, Mut, Selbst- und Gottvertrauen".

Allen, die seine Hamburger Rede vernommen haben, sollte man raten, die UNO-Charta, Kants "Traktat vom ewigen Frieden", das Urteil des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals und die biblische Bergpredigt zu lesen.

Prof. Dr. Horst Schneider

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Die NATO geht über Leichen
Ein US-Computermodell für nuklearen Erst- und Totschlag

Millionen Menschen in beiden deutschen Staaten und ganz Europa erhoben in den 80er Jahren ihre Stimme gegen die von den USA ausgehende Gefahr eines Kernwaffenkrieges.

Die NATO hatte 1979 nämlich beschlossen, US-Atomraketen in Westeuropa aufzustellen. US-Präsident Reagan verkündete seine Strategie des atomaren Erstschlags. Ziel der Systemauseinandersetzung sei es, die Sowjetunion "auf den Misthaufen der Geschichte zu befördern". Als "letztes Mittel" auf dem Weg dorthin müsse ein "begrenzter Nuklearkrieg in Europa" in Erwägung gezogen werden. Eine Studie des Weißen Hauses stellte dazu lakonisch fest: "Ein Sieg ist möglich." Der CSU-Vorsitzende Franz Joseph Strauß schrieb im "Bayern-Kurier" vom 29. Mai 1982, es sei "nicht wahr, daß es im Atomkrieg keinen Sieger geben könnte".

Das annähernde militärische Gleichgewicht, die Friedenspolitik der sozialistischen Staaten und andere Faktoren hinderten damals die Vereinigten Staaten an der Verwirklichung ihrer die Menschheit bedrohenden Pläne. Heute wird man an diesen Überlebenskampf vor fast drei Jahrzehnten angesichts der Entscheidung der Obama-Administration erinnert, in Europa ein NATO-Raketenabwehrsystem zu installieren.

Wurde 1979 der NATO-Beschluß mit der antikommunistischen Lüge einer "aus dem Osten drohenden Gefahr" begründet, so ist in Anbetracht der veränderten weltpolitischen Bedingungen inzwischen vom "Schutz Europas" gegen iranische und nordkoreanische Langstreckenraketen die Rede.

In Wahrheit ist das als NATO-Einrichtung deklarierte Raketenabwehrsystem nur Ausdruck des Strebens der USA nach globaler Hegemonie. Es geht um Weltordnungs- und Ressourcenkriege.

Rußlands Anstrengungen, durch Modernisierung seines Kernwaffenpotentials das annähernde nukleare Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, stehen den Zielen der USA im Wege. Daran hat sich mit dem Untergang der Sowjetunion nichts geändert. Auch das nichtsozialistische Rußland stellt für die Herrschaftsgelüste des US-Imperialismus auf dem eurasischen Doppelkontinent das Haupthindernis dar. Deshalb erklärte der damalige US-Präsident Bill Clinton 1995 vor den Chefs der US-Streitkräfte, es gehe fortan um die "Aufspaltung Rußlands in Kleinstaaten vermittels zwischenregionaler Kriege". Dabei komme es auf die "vollständige Desorganisierung des militärisch-industriellen Komplexes Rußlands und seiner Streitkräfte" an.

Ex-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski bezeichnete 1997 Eurasien als "Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft" ausgetragen werde. Dabei werde die Dreiteilung Rußlands angestrebt. Auch Clinton-Nachfolger George W. Bush folgte dieser Linie.

Zielstrebig wurde in den 90er Jahren die Politik einer Einkreisung Rußlands durch die Osterweiterung der NATO im vormaligen Raum des Warschauer Vertrages fortgesetzt. Von der Ostsee bis zum Kaspischen und zum Schwarzen Meer schuf die NATO entlang der Grenzen Rußlands neue Stützpunkte, wobei man ehemalige Sowjetrepubliken einbezog. Der russische Außenminister Lawrow - dem Westen ein Dorn im Auge - konstatierte, dadurch sei in den vergangenen 20 Jahren die europäische Sicherheit unablässig geschwächt worden.

Präsident Barack Obama wich nicht von der geopolitischen Strategie seiner Amtsvorgänger ab. Mit dem NATO-Raketenschirm soll das bestehende nukleare Gleichgewicht ausgehebelt werden, indem Rußland seine Zweitschlagkapazität - die Möglichkeit einer Vergeltung als Antwort auf einen Erstschlag der USA mit Kernwaffen - verliert.

Von dieser Idee besessene US-Strategen fühlen sich durch ein Computermodell für den simulierten nuklearen Präventivschlag gegen Rußland bestärkt. Danach wären 99 Prozent der russischen Atomraketen auf einmal vernichtet.

Schon vor sechs Jahren berichtete die in den Vereinigten Staaten erscheinende und Monopolkreisen der Rüstungsindustrie nahestehende Zeitschrift "Foreign Affairs": "Wenn die USA einen Nuklearangriff gegen Rußland (oder China) führten, bliebe dem angegriffenen Land nur ein kleines Arsenal übrig - wenn überhaupt. Dann wäre sogar ein relativ bescheidenes oder wenig wirksames Raketenabwehrsystem gegen Vergeltungsschläge ausreichend."

Das erwähnte Computermodell setzt auf Erfolg. Über die Zahl der vermuteten Opfer erfolgten keine Angaben.

Moskau hat demgegenüber ständig Alternativvorschläge unterbreitet, so zur Einteilung Europas in Sektoren militärischer Verantwortung für Raketenabwehr. Auch den Gedanken der Schaffung eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems ohne Zusammenlegung der Systeme beider Seiten oder die Preisgabe militärischer Geheimnisse wiesen USA wie NATO zurück.

Vor einem Jahrzehnt warb Präsident Putin vor dem Deutschen Bundestag für ein "sicheres Europa", in dem die Staaten des Kontinents ihre Ressourcen gemeinsam nutzen könnten.

Auf der "43. Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik" im Februar 2007 unterstrich er, internationale Sicherheit sei "weitaus umfassender als Fragen nur der militärisch-politischen Stabilität". Er zählte "die Überwindung der Armut, ökonomische Sicherheit und Entwicklung des Dialogs zwischen den Kulturen" dazu.

Vor zweieinhalb Jahren präsentierte Moskau das Projekt eines Vertrages über europäische Sicherheit. Als dessen Grundlagen wurden die Charta der Vereinten Nationen, die Schlußakte der Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von 1975, die Grundsätze der 1982 beschlossenen Deklaration von Manila über die friedliche Lösung von internationalen Streitfällen sowie die Charta der Europäischen Sicherheit von 1999 genannt. Teilnehmer des Vertrages sollten alle Staaten des euroatlantischen und des eurasischen Raumes von Vancouver bis Wladiwostok und Organisationen wie die EU, die OSZE, die Vertragsorganisation über kollektive Sicherheit, die NATO und die GUS sein.

Solche Vorschläge fanden bei den westlichen Regierungen kein positives Echo. Ende Februar 2012 vertrat Putin den Gedanken der "Bildung eines einheitlichen wirtschaftlichen und gesellschaftliches Raumes vom Atlantik bis zum Pazifik". Auch diese Idee stieß bei westlichen Politikern auf taube Ohren.

Unterdessen führen USA und NATO ihre Ressourcen-Weltordnungskriege. Zielstrebig betreiben sie die Installierung des Raketenschirms in Europa. Polen, Rumänien, die Türkei und die BRD sind dabei unmittelbar einbezogen. Die Stationierung seegestützter Einrichtungen des Systems im Mittelmeer und im Schwarzen Meer, in der Barentssee und in der Ostsee gehört zur Planung. Die Leitzentrale soll sich im bundesdeutschen Ramstein befinden.

Die mit der NATO-Osterweiterung begonnene Destabilisierung unseres Kontinents wird durch das Raketenprojekt noch forciert. Es hat eine neue Runde des Wettrüstens ausgelöst. Die BRD-Regierung zeigt sich demgegenüber unberührt. Mehr als das: Die Bundeskanzlerin weist Moskaus Bedenken nicht nur zurück, sondern verteidigt den Raketenschirm als "richtig und notwendig".

Widerstand ist angesagt.

Prof. Dr. Georg Grasnick

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Zur Formel von "zwei deutschen Diktaturen"

In einer Sendung von "Phoenix"-TV wurde vor geraumer Zeit einmal mehr behauptet, die Partei Die Linke täte sich schwer mit dem Eingeständnis, daß die DDR eine Diktatur gewesen sei. Tatsache ist: Die DDR war natürlich eine Diktatur und wollte das auch immer sein, verkörpert doch jede Staatsmacht nichts anderes als die politische Herrschaft (Diktatur) der in ihr jeweils dominierenden sozialen Kräfte. Die theoretische Grundlage des seit 1945 im Osten angestrebten sozialistischen deutschen Staates war Lenins Werk "Staat und Revolution". Dieses wiederum basierte auf dem Manifest der Kommunistischen Partei von Marx und Engels sowie auf Bemerkungen in einem Brief, den Marx am 5. März 1852 an Weidemeyer gerichtet hatte. Stalin wiederum verstand es in seiner Arbeit "Fragen des Leninismus", die theoretisch Unvorbereiteten schwer zugänglichen Thesen zu dieser Problematik allgemeinverständlich und kurz zusammengefaßt darzustellen. Darin hieß es u. a.: "Der Leninismus ist der Marxismus der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution. Genauer: Der Leninismus ist die Theorie und Taktik der proletarischen Revolution im Allgemeinen und die Theorie und Taktik der Diktatur des Proletariats im Besonderen."

In diesem Sinne gab die sowjetische Siegermacht dann in ihrer Besatzungszone - der SBZ -, auf deren Territorium später die DDR entstand, die Richtung zur Ausgestaltung des Verwaltungsapparates an, wobei sie den Beschlüssen der drei Siegermächte vom Juli 1945 folgte. Das galt auch für den Charakter der Staatsmacht der DDR. Das Ziel bestand in der Errichtung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen werktätigen Klassen und Schichten.

Initiator und Träger des gesamten Staatsaufbaus in SBZ und DDR war die Arbeiterklasse. Deshalb wurde auch deren führende Rolle in der DDR-Verfassung verankert. Ihre politische Organisation war die aus der Vereinigung von KPD und SPD hervorgegangene SED. Deren Massenbasis und Hauptstütze wiederum bildete vor allem der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), dem die meisten Werktätigen angehörten. Die so organisierte Arbeiterschaft der DDR war klassenmäßig die stärkste Kraft im Staat und damit auch tonangebend im Block der fünf antifaschistisch-demokratischen Parteien, die sich - nach inneren Klärungsprozessen in CDU und LDPD - ohne Ausnahme zum Sozialismus bekannten.

Damit entsprach die Gesellschaftsstruktur der DDR zunächst voll und ganz den Grundsätzen echter Demokratie. Zu ihr gehörten zwangsläufig auch diktatorische Maßnahmen zur Unterdrückung von Kräften des Monopol- und Finanzkapitals. Diese wurden auf dem Boden von SBZ und DDR nach den Festlegungen des Potsdamer Abkommens politisch ausgeschaltet und ökonomisch entmachtet. Sie suchten aber mit allen Mitteln, ihr Haupt wieder zu erheben. Die gegen sie ergriffenen Maßnahmen waren somit demokratisch legitimiert und entsprachen durchaus den Ansprüchen einer Diktatur des Proletariats.

Angemerkt sei hier, daß Marx, Engels und Lenin unter dem Begriff Proletariat nicht ausschließlich den Arbeiter an der Werkbank verstanden, sondern alle lohnabhängig Beschäftigten, unabhängig davon, ob sie körperlich-manuelle oder geistige Arbeit leisteten.

Durch spätere Einschränkungen der ursprünglichen Befugnisse des demokratischen Blocks und eine zunehmende Tendenz der Entmündigung von Staatsorganen wie auch der SED-Grundorganisationen durch einen immer eigenmächtiger entscheidenden Apparat wurden die Grundlagen wahrhaft sozialistischer Demokratie im Laufe der Jahre mehr und mehr untergraben. Dadurch entstanden Zweifel daran, ob die Arbeiterklasse ihre ursprünglich führende Rolle in der Gesellschaft tatsächlich habe behaupten können. Hinzu kam, daß der quantitative Anteil des "Proletariats" an der Bevölkerung durch Qualifizierung und Studium vieler klassenbewußter Arbeiter merklich schrumpfte. Sie wurden zu Angehörigen der werktätigen Intelligenz oder in produktionsfernen Bereichen wie dem Staatsapparat eingesetzt. Das nährte Auffassungen von einer angeblich sinkenden Berechtigung der Verwendung des Begriffs der Diktatur des Proletariats.

Heute ist es schwieriger als früher, die unmittelbaren Produzenten bei wachsender Vielschichtigkeit als einheitliche Klasse der Lohnabhängigen auszumachen und zu organisieren. Nur sie allein aber können das gesellschaftliche Gesamtsubjekt der die Diktatur des Proletariats Ausübenden sein.

Zurück zum Ausgangspunkt: Die Partei Die Linke sollte nicht bestreiten, daß die DDR in dem dargestellten Sinne eine Diktatur gewesen ist. Sie muß sich aber gegen Bestrebungen wenden, die antifaschistische DDR und das faschistische Naziregime in einem Atemzug als "zwei Diktaturen" zu bezeichnen. Die volksfeindliche Hitlerdiktatur vollzog den Willen der Monopolisten, Kriegsgewinnler und Holocaustverbrecher, während die nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet der DDR errichtete politische Herrschaft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten im Sinne der zuvor Ausgebeuteten handelte. Ihr ging es um die Ausrottung der faschistischen Ideologie, um die Durchkreuzung etwaiger Machtbestrebungen der Nachkommen oder Sachwalter enteigneter Kriegsverbrecher sowie um die Verhinderung des Wiederentstehens kapitalistischer Konzerne, Kartelle, Syndikate und Trusts. Oberstes Anliegen dieser "Diktatur" war es, eine erneute Konzentration politischer und ökonomischer Macht in deren Händen zu verhindern.

Selbst für jene Zeit, in der die SED-Parteiführung das alleinige Sagen hatte (was die sozialistische Demokratie deformierte und das ursprüngliche Mitbestimmungsrecht der Parteien des antifaschistisch-demokratischen Blocks untergrub), kann die gegnerische These von der Gleichsetzung zweier Diktaturen auf keinen Fall akzeptiert werden. Trotz der dargestellten Verzerrungen änderte sich am Wesen und an den verfassungsmäßigen Grundlagen der DDR nichts.

Horst Jablonski, Berlin

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Wurde 1989 die Macht verspielt?
Kritische Wortmeldung eines einstigen Bitterfelder Brigadiers

Seit einigen Jahren gehöre ich zu den "RotFuchs"-Lesern. Viele interessante Artikel wurden in dieser Zeit veröffentlicht. Manche Erinnerungen an eine bittere Niederlage und bisweilen auch Erstaunliches.

Im Laufe der Jahre fiel mir immer öfter auf, daß die Titel und Ränge einer Mehrheit der Autoren darauf schließen lassen, daß sie offensichtlich wichtige Funktionen in Partei, Staatsapparat und bewaffneten Organen der DDR innehatten. Das ist - für sich genommen - durchaus nichts Negatives. Doch mir schien, daß etliche dieser Genossen etwas abgehoben von der DDR-Realität und der Basis der Partei wirkten. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es mancher von ihnen früher vorsorglich vermieden haben dürfte, mit der Partei "in Konflikt zu geraten". Dabei gab es - jedenfalls aus meiner Sicht - in den Jahren nach 1980 dazu hinreichend Gründe. Diese Genossen sind vielleicht auch heute noch davon überzeugt, daß ihr Schweigen und stilles Dulden der "Parteidisziplin" entsprachen.

Jetzt redet man nur noch davon, daß die DDR durch eine Konterrevolution zerstört worden sei, was ja stimmt. Doch Revolutionen und Konterrevolutionen führen nur zum Erfolg, wenn die Situation dafür reif ist. Der Klassengegner - in Gestalt der reaktionären Kräfte der BRD - hatte offensichtlich die Lage in der DDR gründlicher analysiert als unsere eigene Parteiführung. Und er handelte entsprechend. Das ist eine traurige Tatsache, der wir uns stellen müssen. Ein sehr großer Teil des Volkes der DDR und kein kleiner Sektor der bewaffneten Kräfte einschließlich der Kampfgruppen waren außerstande und nicht willens, sich dem entgegenzustellen. Ich betrachte das Ganze als einen langwierigen und schleichenden Prozeß, der dadurch befördert wurde, daß viele leitende Genossen aus Parteidisziplin oder fehlendem Mut bereit waren, offensichtliche Fehlentscheidungen einfach hinzunehmen. Sie brachten es sogar fertig, dem Politbüro und Erich Honecker persönlich in organisierten Briefaktionen für deren "weise Führung" zu danken. Dabei mag die Erfahrung eine Rolle gespielt haben, daß man wußte, wie es jenen ergehen konnte, welche von der Linie der Parteispitze abweichende Meinungen vertraten. Wer aufmuckte, wurde zumindest in die Wüste geschickt.

Ganz anders verfuhr man mit willfährigen Jasagern, die abgelöst werden mußten. Für sie fand sich immer noch ein Posten mit möglichst gleichem Gehalt, beispielsweise im Kulturbereich oder einem der als unwichtig betrachteten Kleinbetriebe.

Die Mehrheit der DDR-Bevölkerung und auch der Genossen war mit der wirtschaftlichen Lage unzufrieden. In dieser Situation die Intershop-Läden einzurichten, erwies sich als schwerer Fehler. Damit wurde die D-Mark offiziell als Zweitwährung etabliert. Zugleich verkündete man unablässig vermeintliche Erfolge auf dem Gebiet der Ökonomie oder reklamierte nahezu hundertprozentige Wahlergebnisse als Zeichen enger Verbundenheit von Partei und Volk. Dabei gab es überhaupt keinen Grund, Wahlen zu manipulieren. Wo das trotzdem geschah, ging es lediglich um ein paar "Promille", weil die eine Kreisleitung besser dastehen wollte als die andere.

Solchen Dummheiten haben wir es zu verdanken, daß man die DDR der Wahlfälschung bezichtigen konnte.

Der Boden für die Konterrevolution war bereitet, doch niemand wollte das sehen. Deren Drahtzieher riefen schließlich die Massen auf die Straße. "Wir sind das Volk" skandierten sie, darunter auch viele SED-Mitglieder. Die meisten von diesen "Genossen" waren trotz oftmals langjähriger Mitgliedschaft nie in der Partei angekommen. Sie wollten Abteilungsleiter oder Schuldirektoren werden und wußten genau, daß der Weg dahin nur über das "richtige" Parteibuch führte. Es waren aber auch solche dabei, die hofften, daß die Führung endlich aufwachen möge.

Als dann die Losung erscholl, "Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, gehen wir zur D-Mark", war klar, wohin die Reise führen sollte.

Alles, was daraufhin im ZK unternommen wurde, kam viel zu spät und war bloßes Flickwerk. Die Genossen hatten die Macht verspielt. Die DDR war nicht mehr zu retten. Übrigens befanden sich unter jenen Unerschrockenen, welche das Banner aufhoben und sich dem Haß der Feinde entgegenstellten, nicht wenige zuvor von der eigenen Partei Gedemütigte.

Die PDS wurde gegründet und ging später in der Partei Die Linke auf. Diese war und ist nicht homogen. Da gibt es Linke und ganz Linke, auch Realos. Es bringt aus meiner Sicht wenig, heute über "Wege zum Kommunismus" zu reden. Selbst die Mehrheit der Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger lebt noch zu gut, um "bei Regenwetter auf die Straße zu gehen". Hinzu kommt, daß die ewigen Lügen über die DDR, welche von den Massenmedien der BRD verbreitet werden, immer noch oder gerade wieder Wirkung zeigen. Da wird ständig eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Ich weiß nicht, wie viele Filme mittlerweise das "Stasi"-Thema hin und her gewälzt haben. Natürlich muß man auch in der DDR Fälle von Kindesmißbrauch entdecken. Die armen unschuldigen Minderjährigen, die in Jugendwerkhöfen gequält wurden, werden nun ja endlich entschädigt.

Die Genossen der Partei Die Linke sind nicht zu beneiden. Da meinen einige von ihnen, sie müßten sich für irgendwas entschuldigen. Das ist falsch, erwidern andere im "RotFuchs". Ich bin mir da nicht so sicher, ob wir nicht doch hier und dort Grund hätten, stärker für begangene Fehler einzustehen. Auf jeden Fall aber müssen wir alle Versuche, die DDR als Unrechtsstaat zu diffamieren, energisch zurückweisen. Das schließt nicht aus, ehrlich zuzugeben, daß einzelnen Bürgern Unrecht geschehen ist. Damit verraten wir nichts und niemanden, sondern beweisen Souveränität. Dabei hätten wir allen Grund, den Kritikern tausendfaches Unrecht in der BRD unter die Nase zu reiben. Das tun wir viel zu selten.

Bei den Linken gibt es den fatalen Drang, unbedingt mitregieren zu wollen. Ein oder zwei linke Minister, wer möchte da nicht dabeisein? Leider erweist sich das Ganze in der Regel als böse Falle. Beispiel Berlin: Die SPD regiert dort mit der CDU munter weiter, während "Die Linke" durch die Fehler der vorangegangenen Koalition geschwächt worden ist. Man darf daraus aber nicht schließen, daß Kontakte zu SPD-Mitgliedern falsch wären. Eine gewisse Annäherung bei gleichzeitiger Abgrenzung schließen einander nicht aus. Im Mittelpunkt muß stets die Wahrnehmung der Interessen der Werktätigen stehen.

Die "RotFuchs"-Genossen haben sicher recht, wenn sie davor warnen, die Politik der SPD zu unterstützen oder ein Regierungsbündnis mit ihr einzugehen.

Die Partei Die Linke leistet als progressivste Kraft im von bürgerlichen und kapitalismusfreundlichen Parteien beherrschten Bundestag eine wahre Kärrnerarbeit, wofür sie bei allen Fehlern und Verirrungen Respekt verdient.

Günter Glante, Gera


Unser Autor leitete die Brigade "7. Oktober" im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld und erhielt als schreibender Arbeiter für sein 1960 erschienenes "Tagebuch eines Brigadiers" den Literaturpreis des FDGB. 1977 wurde er Direktor des Kabinetts für Kulturarbeit in Gera.

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Für wen das Bundesverdienstkreuz eigentlich gedacht war

Um neuerlichen Mißverständnissen zu begegnen, sei vorneweg gesagt: Es gibt in der BRD nicht wenige ehrenhafte und tatsächlich höchst verdienstvolle Menschen, die - welche Ironie der Geschichte - durch einen Staat hochdekoriert worden sind, mit dem man Attribute der zuvor genannten Art keinesfalls in Verbindung bringen sollte. Der folgende Text zielt ausschließlich auf Laureaten, deren Auszeichnung dem Charakter des imperialistischen deutschen Staates entspricht.

Das Bundesverdienstkreuz steht in der Traditionslinie des Eisernen Kreuzes vergangener Zeiten, wie auch die BRD als selbsternannter Rechtsnachfolger des faschistischen Staates immer auf Kontinuität bedacht gewesen ist. Das betrifft besonders den Aufbau der Justiz, der Geheimdienste, des Außenministeriums und der Streitkräfte. In diesen Bereichen war es nahezu Pflicht, sich bereits in brauner Zeit seine "Meriten" geholt zu haben. Am 7. September 1951 unterzeichneten Bundespräsident Theodor Heuss, Bundeskanzler Konrad Adenauer und Innenminister Robert Lehr den "Erlaß über die Stiftung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland". Seitdem wird diese Dekoration als Bundesverdienstkreuz bezeichnet.

Heuss erklärte damals: "In dem Wunsch, verdienten Männern und Frauen des deutschen Volkes und des Auslands Anerkennung und Dank sichtbar zum Ausdruck zu bringen, stifte ich am 2. Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland diesen Verdienstorden." Er werde "für Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wiederaufbau des Vaterlandes dienten", verliehen und solle "eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg" des bundesdeutschen Staates beitrage.

Wie aber sah die Wirklichkeit aus?

Das "Großkreuz Sonderstufe" - erhielten König Paul I. von Griechenland, der 1936 von Hitler empfangen worden war, Persiens Schah Reza Pahlevi und die faschistischen Diktatoren Trujillo aus der Dominikanischen Republik und Batista aus Kuba.

In Würdigung ihres "unabhängigen Kurses" wurden die Staatspräsidenten Rumäniens N. Ceaucescu und Jugoslawiens Josip Broz Tito bedacht. Die einstigen Verleiher des Ordens jubelten Jahre später, als ein "Tribunal" der Konterrevolution Ceaucescu lynchte und Titos Lebenswerk durch Leute vom Schlage des BRD-Außenministers Genscher in den Schmutz getreten wurde.

Zu den 1999 Höchstdekorierten zählte man solche "Totengräber des Kommunismus" wie Gorbatschow und Schewardnadse. Im Jahr 2000 wurde mit Expräsident Václav Havel auch der Prager Türöffner des Imperialismus auf die Liste gesetzt.

Natürlich erhielten sämtliche Bundespräsidenten - den Verleihungsgrundsätzen folgend - die Sonderstufe des Kreuzes, darunter der an Plänen zum KZBau beteiligte Heinrich Lübke (1959) und Exgroßinquisitor Joachim Gauck (2012).

In besonderer Ausführung übergab man das noble Metall auch an den ersten Bundeskanzler, Deutschlands Spalter Nr. 1, Konrad Adenauer (1954), und den bekannten Gestalter "blühender Landschaften" im Osten Helmut Kohl (1998).

Das "normale" Großkreuz ging u. a. an so hochverdiente Leute wie Hitlers Finanzier Hermann Abs von der Deutschen Bank, der wegen seiner Rolle bei IG Farben als überführter Stützpfeiler des Hitlerfaschismus nach 1945 ganze drei Monate im Gefängnis hatte zubringen müssen; den ehemaligen badenwürttembergischen Regierungschef Hans Filbinger, der nach Kriegsende als Marinerichter noch vier Todesurteile gegen Deserteure fällte, und Hans Globke, einst Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und später als Staatssekretär im Bundeskanzleramt die "graue Eminenz" Konrad Adenauers.

Das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband wurde u. a. an folgende Persönlichkeiten der BRD vergeben: Friedrich Flick, Konzernboß an Hitlers Seite, später Schlüsselfigur der größten Parteispendenaffäre in der Geschichte der BRD; Reinhard Gehlen, Nazigeneral und Leiter des Bereichs Fremde Heere Ost, dann von der CIA gestützter Begründer der berüchtigten Organisation Gehlen und des BND. Auch Adolf Heusinger, als Nazigeneral Leiter der Operativabteilung des Generalstabs im faschistischen Oberkommando der Wehrmacht, Architekt der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses war mit von dieser Partie.

Für das Große Verdienstkreuz mit Stern fand man nicht weniger "würdige" Empfänger: die deutschen McCarthyisten Joachim Gauck und Marianne Birthler, General David Petraeus, in Irak und Afghanistan Verantwortlicher der Aggressionstruppen des Pentagons, danach Chef des US-Geheimdienstes CIA; den berüchtigten Bankier Robert Pferdmenges, Arisierer eines jüdischen Bankhauses, Unterstützer Hitlers und enger Berater Adenauers.

Das Große Verdienstkreuz adressierte man u. a. an Otto von Habsburg, einen Busenfreund des spanischen Henkers Franco, und Werner Höfer, Autor der faschistischen Zeitschrift "Das Reich", seit 1933 NSDAP-Mitglied, später Pressereferent der faschistischen Organisation Todt sowie des Nazi-Rüstungsministers Speer, von 1953 bis 1987 Moderator des "Internationalen Frühschoppens" der ARD ...

Das ist nur eine kleine Auswahl von Leuten, sie sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht haben.

Natürlich gab es auch Menschen, welche die Annahme verweigerten. Am bekanntesten ist wohl Ludwig Baumann. Er war 1942 desertiert, wurde von den Faschisten gefangengenommen und erhielt die Todesstrafe, die dann in langjährige KZ- und Zuchthaus-Haft umgewandelt wurde, bevor man ihn dem Himmelfahrtskommando der 999er zuteilte. Seine Begründung der Ablehnung war unmißverständlich: "Zu viele Nazis haben sie bekommen."

Konstantin Brandt, Berlin

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Ein gänzlich unheroischer Held
Erhard Feuereiß riß so manches Eisen aus dem Feuer

Anstatt selbst auf demokratische Art zu regieren, werden wir von einem Kabinett hemmungsloser Schuldenmacher im eigenen Land und finanzieller Strangulierer anderer Völker Europas regiert. Angesichts allenthalben geknüpfter und geworfener Würgeschlingen sollten wir, die wir als einstige DDR-Bürger weder Schuldenberge aufgehäuft noch Schuld auf uns geladen haben, aus der Vermittlung der historischen Wahrheit über den sozialistischen deutschen Staat Gewinn ziehen. Denn auch die unverfälschte Geschichtsschreibung ist eine Waffe.

Von einem, der seine unverwechselbare Spur zog, als wir noch ohne kapitalistische Halsabschneider auszukommen vermochten, soll hier die Rede sein.

Erhard Feuereiß kam am 3. Mai 1914 in einem Bahnwärterhäuschen, das einsam im Wald an der Strecke zwischen Aue und Lauter stand, zur Welt. Den sieben Kilometer langen Schulweg nach Aue bewältigte er im Ausdauerlauf. Der junge Sportler hatte den Wunsch, zehn Jahre lang diese Strecke zurückzulegen, doch nach acht Jahren hieß es für den Bahnwärterjungen, eine Arbeit aufzunehmen.

Den Lehrherrn suchte sich Erhard selbst aus. Es handelte sich um Meister Beier, der eine Autowerkstatt betrieb. Die Entscheidung für ihn betrachtet der Held unserer Geschichte bis heute als seine erste selbständige Tat. Der Meister war nicht nur ein ausgezeichneter Fachmann, sondern auch ein Pädagoge par excellence. Er sorgte dafür, daß Erhard die 9. und 10. Klasse in der Volkshochschule absolvieren konnte. Überdies schickte er den jungen Mann zu einer Spezialausbildung zur WOMAG nach Plauen, wo er sich mit dem Dieselmotorenbau genauer vertraut machen konnte.

Doch alle Qualifizierung half nichts. Nach der Lehre wurde Erhard eines der vielen Opfer der Weltwirtschaftskrise. 1939 zogen ihn die Faschisten zur Kriegsmarine ein. Aber der junge Matrose kam bald wieder an Land. Man warf ihm vor, Unschickliches über einen Vorgesetzten gesagt zu haben.

In eine Nachrichteneinheit versetzt, wurde Erhard bald Fahrer einer "hohen Charge". Dieser Etappen-Posten rettete ihm vermutlich das Leben. Am Tag der Kapitulation konnte er, ohne Schaden genommen zu haben, das heimatliche Erzgebirge erreichen, wo er in der als "Republik Schwarzenberg" bekannt gewordenen kurzfristig unbesetzten Zone, über die Stefan Heym ausführlich berichtet hat, landete. Es heißt, er sei der Spiritus rector ihrer "Verfassung" gewesen. Außerdem gründete Erhard einen Fuhrpark zur Beschaffung dringend benötigter Lebensmittel. Damals heiratete er seine Agnes. Bald kam ihr erstes Kind zur Welt.

Nach dem Einrücken der Roten Armee stabilisierte sich die Lage in Schwarzenberg. Erhards Fuhrpark war nun nicht mehr vonnöten. 1948 besorgte er allerdings noch den Umzug eines Melkers ins mecklenburgische Dassow. Dort gab es einen Landmaschinenhof der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB). Der weckte das Interesse unseres Mannes aus dem Erzgebirge. In der Landeshauptstadt Schwerin ließ man Erhard wissen, in Dassow laufe alles so einigermaßen, aber in Groß Pasten bei Waren bestehe der dortige Hof nur aus einer alten Scheune ohne Dach und Mauerwerk. Diesen brachte Erhard bald in Schuß, doch die Bauern aus der örtlichen VdgB wollten die ihnen gerade erst zugeteilten Maschinen dort partout nicht unterstellen. Als er alles einigermaßen auf Vordermann gebracht hatte, zog unser Aufbauorganisator nach Vielist weiter, wo die geringe Zahl der Geräte dem Namen des Ortes widersprach. Ausruhen oder Urlaub kamen nicht in Frage. Man schickte Erhard in die MAS Wittenburg - die drei Buchstaben standen für Maschinenausleihstation -, wo der Betriebsleiter beinahe alle zwei Wochen gewechselt hatte und eine liederliche Arbeitsauffassung die Norm war. Wie "freute" man sich dort auf Erhard, der ohne Umschweife zur Sache kam. In der Belegschaftsversammlung unterbreitete er ein Zehn-Punkte-Arbeitsprogramm mit täglicher Leistungsabrechnung. Wer nicht mitmachen wolle, könne sich seinen Lohn in der Buchhaltung auszahlen lassen.

Von nun an gab der Kreis Hagenow den Durchreißer nicht mehr frei. Erhard wurde nacheinander Sekretär der SED-Kreisleitung für Landwirtschaft, Vorsitzender des Rates des Kreises, Leiter der Vereinigten Ziegelwerke, Direktor des Baustoffkombinats. Die Intervalle mußten zum Studium genutzt werden. Erhard erwarb zwei Diplome. Ab 1970 wurde er in Hagenow seßhaft, wo ihn der Rat der Stadt zum Bürgermeister wählte.

Auf diesem Posten blieb er bis zur Rente im Jahre 1979. Es seien die besten zehn Jahre seines Lebens gewesen, sagte er rückblickend, fiel doch dieses Dezennium der Kreisstadt in eine aufregende Periode. Aus dem einstigen Ackerbürgerstädtchen wurde ein Zentrum der DDR-Lebensmittelindustrie. Es entstanden die Großbäckerei des Konsums, der VEB Kartoffelveredlungswerk, das volkseigene Molkerei- und Dauermilchwerk, die Konsum-Getränkefabrik, der VEB Käsewerk. Damit gingen der Bau eines hochmodernen Kulturhauses für den Kreis, einer großen Sporthalle, von Wohnungen in neuangelegten Straßen einher.

Hagenow wurde auch zu einem Standort der NVA. In dieser Zeit traf Erhard mit dem einstigen Spanienkämpfer und nunmehrigen DDR-Verteidigungsminister Armeegeneral Heinz Hoffmann zusammen.

Der Hagenower Bürgermeister spielte auch eine gewichtige Rolle im Sport. Selbst ein erfolgreicher Bobfahrer, profilierte sich Erhard in seiner langjährigen Tätigkeit als Vizepräsident der FIL, die ihn mit ihrer höchsten Auszeichnung bedachte.

2006 starb Agnes. Bei aller Trauer um seine Lebenspartnerin bewahrte Erhard Haltung. An seinem 100. Geburtstag im Mai 2014 wolle er enge Freunde einmal mehr zum Spargelessen einladen, ließ er wissen.

Siegfried Spantig, Hagenow

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Erinnern an John Reed
Vor 125 Jahren wurde der Chronist des Roten Oktober geboren

Am 20. Oktober 1887 - vor 125 Jahren - wurde John Reed in Portland (USA) geboren. Sein Report "Zehn Tage, die die Welt erschütterten", ging nicht nur in die Literaturgeschichte ein. 1919 war Reed Mitbegründer der Kommunistischen Arbeiterpartei Amerikas. Ein Jahr später gehörte er zu den Teilnehmern des Kongresses der durch Lenin begründeten Kommunistischen Internationale (Komintern) in Moskau. John Reed starb am 17. Oktober 1920 und wurde an der Kreml-Mauer beigesetzt.

Nach dem Studium der Ökonomie und der Soziologie an der renommierten Harvard-Universität gingen John Reed und Louise Bryant - seine Frau - als Reporter nach Europa. Im Sommer 1917 begaben sie sich nach Rußland, um vom Ort des Geschehens und aus erster Hand über die revolutionären Ereignisse zu berichten.

John Reeds bereits erwähntes Buch vermittelt einen tiefen Einblick in den erbitterten Kampf der unterdrückten Volksmassen gegen die besitzenden Klassen und für die Überwindung ihrer Ausbeuterherrschaft. Besonders in den Kapiteln "Der heraufziehende Sturm", "Der Sturz der Provisorischen Regierung", "Die revolutionäre Front", "Die Konterrevolution" und "Sieg" schildert er anschaulich, welcher Geist die Genossen der Partei Lenins beseelte, wie sie sprachen und handelten, aber auch, wie ihre Führer aussahen.

Mit Respekt und Begeisterung berichtet John Reed vom Verlauf des II. Sowjetkongresses. Am 26. Oktober (8. November) 1917 notierte er: "Es war genau 8 Uhr 40, als ein Ausbruch jubelnder Begeisterung den Eintritt des Präsidiums, mit Lenin in seiner Mitte, ankündigte. Eine untersetzte Gestalt mit großem, auf stämmigem Hals sitzendem Kopf, ziemlich kahl. Kleine bewegliche Augen, großer sympathischer Mund und ein kräftiges Kinn. In abgetragenem Anzug, mit Hosen, viel zu lang für ihn. Zu unauffällig, um das Idol eines Mobs zu sein, aber doch geliebt und verehrt wie selten ein Führer in der Geschichte. Ein Volksführer eigner Art ... dank der Überlegenheit seines Intellekts; nüchtern, kompromißlos und über den Dingen stehend, ohne Effekthascherei - aber mit der Fähigkeit, tiefe Gedanken in einfachste Worte zu kleiden und konkrete Situationen zu analysieren. Sein Scharfsinn ist verbunden mit der größten Kühnheit des Denkens."

Auf diesem Kongreß verkündete Lenin den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung als Ziel.

Das erste Wort der Sowjetmacht war das Dekret über den Frieden. Angenommen wurde auch das Dekret über Grund und Boden. Die Delegierten beschlossen zugleich das Dekret über die Konstituierung der Regierung, die den Namen "Rat der Volkskommissare" annahm. Im Kapitel zum Bauernkongreß äußerte John Reed sein tiefes Verständnis für die mit dem bewaffneten Aufstand eingeleitete und inzwischen gefestigte Sowjetmacht. Dabei stützte er sich auf Antworten Lenins, die dieser am 18. (5.) November 1917 auf zahlreiche Anfragen aus Kreisen der Dorfbevölkerung gab. Der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare teilte mit, daß alle Macht ab sofort an die Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten übergegangen sei. Er forderte die bäuerliche Bevölkerung auf, selbst die gesamte lokale Macht in ihre Hände zu nehmen.

Aus gutem Grund hielt John Reed - der Chronist des Roten Oktober - die russische Revolution für eine der größten Taten in der Geschichte der Menschheit.

Sein Werk fand in der internationalen Arbeiterbewegung höchste Anerkennung. Lenin empfahl 1919 in einem Vorwort der für amerikanische Leser bestimmten Ausgabe, den Arbeitern in aller Welt von Herzen dieses Buch mit der Begründung, es sei eine wahrheitsgetreue und äußerst lebendige Darstellung der Ereignisse, die für das Verständnis der proletarischen Revolution und der Diktatur des Proletariats von größter Bedeutung sei.

Die Große Sozialistische Oktoberrevolution eröffnete eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte. Mit ihr begann das Zeitalter des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Bahnbrechende Leistungen vollbrachte das Sowjetvolk beim friedlichen sozialistischen Aufbau, in der harten Zerreißprobe des Großen Vaterländischen Krieges zur Zerschlagung der faschistischen Aggressoren und zur Erhaltung des Weltfriedens.

Trotz der Niederlage des Sozialismus in den europäischen Staaten des RGW und des Warschauer Vertrages ringen einflußreiche Kräfte in anderen Teilen der Welt um die Errichtung einer neuen gesellschaftlichen Ordnung, findet der Kampf gegen soziale Unterdrückung und nationale Bevormundung seinen Fortgang.

Dr. Ehrenfried Pößneck, Dresden

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Einsteigern in unsere Theorie empfohlen:
Lenin über Marxismus und Reformismus

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Sonderbare Alleingänge

Im Leitartikel des RF 175 hat Klaus Steiniger die inneren Strukturen und Konflikte in der Partei Die Linke unter den Bedingungen des "Ansturms der rechtskonservativen und faschistoiden Kräfte" auf die bürgerliche Demokratie eingehend analysiert.

Aus eigener Erfahrung in dieser Partei stimme ich mit seiner Auffassung weitgehend überein. Deshalb beunruhigt mich auch die Erklärung der Landesvorsitzenden aus den neuen Bundesländern "Mit den Stärken des Ostens für eine gesamtdeutsche Linke", die am 17. August veröffentlicht wurde. Schon die Überschrift ist schwammig und läßt offen, ob es nur um die Linkspartei geht oder um "die linken Kräfte in Deutschland". Der Unterschied ist bedeutsam, da nicht wenige ostdeutsche Funktionäre zu den Linken auch die SPD einschließlich Gabriels zählen. Ich hatte den Eindruck, daß die Parteibasis bei der Vorbereitung dieser Aktion wohl völlig übergangen wurde und es nur - laut ND - eine spärlich-wohlwollende Äußerung Bodo Ramelows und Dominic Heiligs aus dem Bundesvorstand gab.

Eine Woche später erlebte ich auf der Schweriner Basisvorsitzenden-Beratung, wie sich einige Genossen gegen die Erklärung wandten und es keinen einzigen Befürworter gab. Daraufhin versuchte der Kreisvorsitzende das Vorhaben der Landesvorsitzenden als "nicht so bedeutsam" herunterzuspielen, um nicht isoliert dazustehen.

Kaum hat der Göttinger Parteitag unserer Partei eine Chance zur zaghaften Kräftigung der Einheit und Geschlossenheit eröffnet, schon passiert das!

Unsere neuen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger wollen und können zwar gut zuhören, was sehr wichtig ist, doch jetzt kommt es vor allem auf Führung an.

Wir wollen uns einmal vorstellen, auch die westdeutschen Landesverbände reagierten ebenfalls mit der Einberufung einer Konferenz, um ihre Stärken innerhalb der Linkspartei herauszustellen. Diese spüren wir z.B. bei Cuba Sí als einer gesamtdeutschen Arbeitsgemeinschaft der Partei sehr deutlich. Doch bei uns ist noch niemand auf den Gedanken gekommen, zuerst eine Beratung der Genossen aus dem Osten einzuberufen!

Im Vorfeld der Gründung der Partei Die Linke bewies man von seiten der PDS Großmut und Toleranz gegenüber dem kleineren Partner WASG. Von Gleichrangigkeit und gleicher Augenhöhe war die Rede, um eine Einheit mit Zukunft zu gestalten. Die jetzige Erklärung schlägt dem ins Gesicht. Sie ist von Überhöhung, Schönfärberei und einer kontraproduktiven Zielstellung geprägt.

In Erfurt wurde ein Parteiprogramm mit offensichtlich überwältigender Zustimmung als Grundlage unserer Arbeit beschlossen. Auf dem M-V-Landesparteitag im März gab es bis auf einen sich äußernden Genossen keine Reaktion auf dieses Dokument. Sicherlich spielt dabei auch der Umstand eine Rolle, daß der Landesvorsitzende Steffen Bockhahn nicht hinter dem Programm steht, was er durch seine Stimmenthaltung in Erfurt dokumentierte. Nun aber will er den westdeutschen Genossinnen und Genossen zeigen, was er noch alles mit "ostdeutscher Kompetenz" für die ganze Partei machen könnte. Doch suchen wir immer gemeinsam nach Lösungen! Das macht stark und verhindert Blindheit.

Die oben Genannten sollten sich vor ihrer so übereilt einberufenen Konferenz noch einmal umfassend mit der Basis beraten. Wir von Cuba Sí - ich selbst bin ihr ständiger Delegierter bei den Landesparteitagen in M-V - würden gern über unsere Erfahrungen im einheitlichen Handeln berichten.

Karl Scheffsky, Schwerin

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Eine Eiche mußte weichen

Als ich Kind war, pflanzte man mit germanisch geschwellter Brust in jedem Dorf eine "deutsche Eiche", die von den Nazis als "Hitler-Eiche" bezeichnet wurde. Überdies trug eine der höchsten Auszeichnungen für fanatische Draufgänger der faschistischen Soldateska die Bezeichnung "Eichenlaub zum Ritterkreuz".

Unlängst pflanzte ein Rostocker OB eine "Friedenseiche". An seiner Seite stand dabei ein Bundespräsident, dessen Eltern stramme Hitler-Anhänger waren. Seine Mutter hatte sich bereits 1932 der NSDAP angeschlossen.

Die neue deutsche Eiche wurde ausgerechnet "zu Ehren" der Opfer amoklaufender Neonazis gepflanzt. Welcher Hohn!

Da griffen beherzte Leute zu einem Fuchsschwanz und begingen Baumfrevel.

Als einer vom "RotFuchs", der nicht als Begünstiger von Vandalenakten gilt, sage ich dazu nur: Besser zum Fuchsschwanz greifen als den Schwanz einziehen.

K. S.

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Nußbaums taube Nuß

"Das zahlt doch sowieso alles der Bürger!" Mit diesen Worten begründete Finanzsenator Nußbaum - er ist weiterhin Gesellschafter der Sea Life Harvesting-Gruppe in Bremerhaven - seine Überzeugung, daß der angebliche Rückkauf von 25 % der Anteile an den in "öffentlich-privater Partnerschaft" mit VEOLIA und RWE betriebenen Berliner Wasserbetrieben (BWB) "alternativlos und eines Dankes wert" sei. Bisher lief das Geschäft so ab, daß der Bürger Jahr für Jahr pro Kubikmeter verbrauchten Wassers rund 46 Cent Gewinn (durchschnittlich 17 % des ihm in Rechnung gestellten Betrages) an die BWB zu zahlen hatte. Diese teilte dann den Jahresgewinn von rund 230 Mio. Euro mit ihren privaten "Partnern". Die Konzernmanager von VEOLIA und RWE konnten dadurch ihre "Geschäftsfelder" in der Dritten Welt erweitern.

Den unlängst mit dem RWE-Vorstand abgeschlossenen "Unternehmenskaufvertrag" hat die Senatsverwaltung für Finanzen dem durch Volksentscheid vom 13. Februar 2011 zustande gekommenen Offenlegungsgesetz entsprechend ins Internet stellen müssen, wo ihn jeder prüfen kann. Bei nüchterner Analyse springen folgende Tatsachen ins Auge: Es wird weder ein "Unternehmen" gekauft noch werden Anteile an der BERLIN-WASSER HOLDING AG erworben, sondern eine "Kaufgesellschaft", die zudem eine anonyme "GmbH" als bestimmende "Komplementärin" besitzt, erwirbt die Anteile der RWE. Der vereinbarte "Kaufpreis" enthält ungewöhnliche Elemente wie "eigenkapital-gleiches Darlehen" und "fiktive Zinsen", weshalb seine Höhe nicht als "handelsüblich" zu bezeichnen ist. Mangels flüssigen Barvermögens in der Landeskasse soll der Kauf mit einem Kredit der Investitionsbank Berlin (IBB) über eine Laufzeit bis 2043 (oder länger) finanziert werden.

Die "Transaktion" soll laut Nußbaum "aus den Gewinnen der bisherigen RWE-Anteile an den BWB heraus", bestritten werden. Das bedeutet nichts anderes, als daß die BWB über die gesamte Laufzeit des Kredits Jahr für Jahr insgesamt etwa 250 Mio. € Gewinn "erwirtschaften" muß, 10 % mehr als bisher. Die sogenannte Einstellung des Kaufpreises und der übrigen Transaktionskosten in die Kalkulation der BWB delegiert die Aufbringung der 8 Milliarden Euro an die Portemonnaies der Berliner Bürger und Gewerbetreibenden.

Senator Nußbaum schiebt eine wirkliche "Rekommunalisierung" um weitere 15 bis 20 Jahre hinaus. Während sich die Umsatzrendite der Konzerne RWE im Jahre 2010 auf 6,5 % und VEOLIA auf 2,6 % belief, lag die der Öffentlich-Privaten "Partnerschaft" BWB 2011 bei 19 %. Und dabei soll es nach Senator Nußbaum bleiben. Wo liegt denn da der Unterschied zur bisherigen Situation? Es handelt sich um eine taube Nuß.

Vielleicht "spürt" es mancher Bürger nicht so, wenn er um Cent für Cent erleichtert wird. Damit, daß er nicht nachrechnet, "rechnen" Manager wie Politiker. So gilt es im Sinne des "Stuttgarter Manifests" gegen die zunehmende Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen nach politischen Alternativen für das Gemeinwohl zu suchen, statt den "Weiter so!"-Akteuren Beifall zu klatschen.

Dr. Hermann Wollner, Berlin

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Was hinter Klimaveränderungen steckt
Ende der Kleinen Eiszeit - Beginn der Kleinen Warmzeit

Seit einigen Jahren wird viel um den Treibhauseffekt von Spurengasen wie Kohlendioxid diskutiert. Der Kohlendioxid-Gehalt der Luft beträgt 0,0375 %, wovon gerade einmal 4 % menschlichen Aktivitäten zuzurechnen sind. Wir leben - betrachtet man die Dinge in großen Dimensionen - in einer Interglacialzeit, die von 1250 bis 1850 durch eine kleine Eiszeit unterbrochen wurde. Nun erleben wir eine Kleine Warmzeit, die parallel zur industriellen Revolution mit dem Beginn der Nutzung fossiler Brennstoffe einsetzte. Die Temperaturen erhöhten sich merklich. Messungen hierzu begannen ab 1880. Die menschlichen Aktivitäten nahmen in erheblichem Maße zu. Dennoch: Was bedeuten 4 % anthropogen erzeugten Kohlendioxids gegen 96 % natürlichen Ursprungs?

Wir müssen in erster Linie die Wetterentwicklung seit dem Hochmittelalter mit einem Wechsel von Kleiner Warmzeit (200 Jahre), Kleiner Kalt-Eiszeit (600 Jahre) und sich seit etwa 150 Jahren vollziehender Kleiner Warmzeit in Betracht ziehen. Die natürlichen Kohlendioxid-, Methan- und Methanhydratquellen in den Ozeanen und unter den Permafrostböden sowie in überund unterseeischen Vulkangebieten werden sträflichst vernachlässigt. Die heutige Förderung von Erdöl und Erdgas (Methan) trägt wohl die meiste Schuld an dem von Menschen verursachten (anthropogenen) Anteil an der jetzigen Kleinen Warmzeit. Methan ist für die Umwelt dreimal schädlicher als CO2. Aus wie vielen Bohrlöchern und lecken Leitungen entweicht Erdgas oder wird es abgefackelt!

Es sind nicht die Rinder, die man der CH4-Erdbelastung verdächtigt, oder gar die Menschen. Da gibt es viele Ungereimtheiten. Wieviel Geld wurde bereits durch CO2-Freistellungszertifikate seitens der Atomenergiewirtschaft eingeheimst? Erst Fukushima hat wenigstens für die Deutschen ein Signal gesetzt, was in Frankreich, Rußland, China oder Brasilien noch keine Beachtung findet.

Im übrigen ist der Wasserdampf der Wolken ein wesentlicher Bestandteil der "warmen" Erde. Das spürt jeder, wenn die Nachttemperaturen nicht so schnell sinken wie bei unbewölktem Himmel.

Die Umweltkrise verknüpft sich medial mit der Systemkrise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Der Mangel an profitabel produzierten Rohstoffen dürfte ein Grund für die Debatten um die Umwelt sein. Da werden Milliarden Dollar verspekuliert, die man für ein menschenwürdiges Leben ohne Hunger, Armut, Existenzangst und Wassernot einsetzen könnte. Man steckt Milliarden in die Rüstung, um Rohstoffquellen-Kriege zu führen. Geschehnisse in Afrika und Asien liefern den Beweis. Entscheidend für die Klimaveränderungen sind Sonnenaktivitäten, Wolkenbildungen. Erdachsverschiebungen sowie Störungen der Magnetfelder der Erde. Der Kohlendioxidgehalt der Luft war zu den historischen Kleinen Warmzeiten nicht höher als heute, obwohl in der Bronzezeit und im Hochmittelalter die Temperatur weit über der jetzigen lag. Die Pegel der Meeresspiegel waren in etwa gleich. Kurzfristige Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Erd- und Seebeben, Tsunamis oder die natürliche Freisetzung von Methanhydrat in Form von CH4 sind als entscheidende Faktoren zu betrachten.

Udo Hammelsbeck, Drübeck

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Fast ganz Mörfelden liest den "Blickpunkt"

Die hessische Doppelstadt Mörfelden-Walldorf hat 43.000 Einwohner. Mit einer Auflage von 14.500 Exemplaren kommt der "Blickpunkt" - unser seit der Neukonstituierung der DKP im Jahr 1968 herausgegebenes Blatt - in fast jedes Haus. Im August erschien die 500. Ausgabe. Wir betrachten die Zeitung als außerparlamentarische Begleitung unserer erfolgreichen Arbeit in der Stadtverordnetenversammlung. Keine der anderen dort vertretenen Parteien bringt ähnliches zuwege.

Gäbe es den "Blickpunkt" nicht, hätten wir bei den verschiedenen Wahlen unseren recht stabilen Stimmenanteil wohl kaum erreicht. Aber die Zeitung vermag mehr. Sie hält unsere geschwächten Reihen zusammen. So ist es gut, daß wir uns jeden Monat aufs neue dazu aufraffen, diese unverzichtbare Arbeit zu leisten. Wir stellen uns den jeweils aktuellen politischen Problemen und überlegen, wie wir am überzeugendsten unsere Meinung dazu "rüberbringen" können. Dabei gewinnen wir selbst ständig an Wissenszuwachs auf verschiedenen Gebieten.

Die Finanzierung ist weitgehend abgesichert, der Herstellungsprozeß zur Routine geworden, die Verteilung aber immer aufs neue eine große Herausforderung. Dabei benötigen wir auch die Hilfe von Genossinnen und Genossen, die nicht in unserer Stadt ansässig sind.

Wir "Blickpunkt"-Macher sind unterdessen ein eingespieltes Team, wobei vier oder fünf Autoren die meisten Beiträge liefern. An Stoff ist kein Mangel. Das vorhandene Material würde jeweils für zwei Zeitungen reichen. So setzen wir Schwerpunkte. Zu ihnen gehören z. B. die heftige Debatten auslösenden Erweiterungspläne für den Frankfurter Flughafen, DKP-Initiativen in der Stadtverordnetenversammlung und der rasch weiter voranschreitende Sozialabbau. Zu besonderen Anlässen bringen wir eine Extra-Ausgabe heraus. Das war der Fall, als Herr Gauck in Mörfelden-Walldorf erschien.

Bei unseren Sitzungen im Rathaus liegt stets ein "Blickpunkt"-Plan mit Vorschlägen der Redaktion auf dem Tisch. Dabei bitten wir immer um weitere Ideen. Sind die Aufträge verteilt, haben die Verfasser eine knappe Woche bis zur Abgabe ihrer Manuskripte Zeit, manchmal auch nur drei Tage.

Impulsgebende Informationen, Fotos, Karikaturen und andere Illustrationen entnehmen wir überwiegend der Lokalpresse, aber auch anderen linken Publikationen. Eine für uns an Bedeutung gewinnende Quelle ist das Internet. Natürlich wird gekürzt, ergänzt, zusammengefügt, neu und umgeschrieben.

Wir sind darum bemüht, stets ein Thema von örtlicher Relevanz auf die Titelseite zu bringen, ringen um möglichst kurze Artikel, ins Auge springende Schlagzeilen, einen aufgelockerten Stil.

Die fertigen Artikel gehen dem Genossen zu, der die Druckvorlage liefert. Die Redaktion verfügt über einen Scanner zum Erfassen von Texten, Karikaturen und Fotos sowie eine Digitalkamera für schnelle Aufnahmen. Ihr steht ein großer Fundus an Grafiken und anderen Gestaltungselementen zur Verfügung. Fast jeden Tag kommt etwas hinzu. Nach dem Umbruch erfolgt die Korrektur, um politische Unschärfen und orthographische Fehler auszumerzen. Anschließend geht die PDF-Datei zur Druckerei. Diese stellt die Zeitung zwei oder drei Tage später bereit. Dann beginnt die Ochsentour von Haus zu Haus. Jeder kann sich vorstellen, welchen Kraftaufwand das erfordert.

Sehr oft liest man an Briefkästen "Keine Werbung!" Meist ignorieren wir solche Aufkleber, die ja vor allem kommerzielle Reklame abwehren sollen. Wir wissen ja, daß die meisten Leute in unserer Stadt die Zeitung beziehen möchten. Auch die Lokalpolitiker anderer Parteien sind immer scharf auf die aktuelle Ausgabe. In der Stadtverordnetensitzung liest manchmal der gesamte Magistrat, dessen Plätze sich an der Stirnseite des Saales befinden, zunächst den neuesten "Blickpunkt".

Das Wichtigste ist für uns die Resonanz der Bevölkerung. Sie reicht von einem knappen "Richtig so" bis "Hier sind zehn Euro!" Manche Leser spenden regelmäßig etwas größere Beträge.

Es wäre schön, wenn es noch viel mehr Kleinzeitungen mit einem solchen Wirkungsradius geben würde. Bei der Durchsicht ähnlicher Blätter spürt man, daß hier und dort Enthusiasten am Werke sind, um solche Projekte zu entwickeln oder am Leben zu erhalten. Nur da, wo wir den Kopf heben, werden wir auch gesehen. Sonst wäre die DKP als Gesamtpartei aus dem Erinnerungsbild der meisten Menschen bald gänzlich verschwunden.

Rudi Hechler, Mörfelden-Walldorf


Das Manuskript wurde von der RF-Redaktion in der geschilderten "Blickpunkt"-Manier leicht bearbeitet.

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Mit Bach geht's den Bach runter

Ein Bestandteil bundesdeutscher Politik ist, daß man Niederlagen schönreden kann. Wir werden damit ständig konfrontiert, wenn es um die frisierten Arbeitslosenstatistiken und Wahlergebnisse geht oder wenn von "Kriegserfolgen" in Afghanistan die Rede ist. Ähnlich verhielt es sich auch bei der Auswertung der Olympischen Spiele in London. Wenn in den Kernsportarten Leichtathletik, Turnen und Schwimmen nur eine Siegleistung, bei den Laufdisziplinen sogar Leerlauf angesagt ist, oder wenn Sportarten wie Schießen, Segeln, Springreiten, Wasserspringen, Moderner Fünfkampf, Boxen, Ringen Fehlanzeige verbuchen müssen, dann geht es mit dem BRD-Sport immer mehr den Bach runter. Die Hand- und Fußballer haben sich nicht einmal für die Spiele qualifizieren können. Ursachen dafür gibt es sicher viele.

Die Herren Bach und Vesper reden die Ergebnisse schön, indem sie die in London errungenen Medaillen mit den in Peking eingesammelten vergleichen und feststellen, daß die BRD-Mannschaft 2012 zwei Medaillen mehr heimgebracht hat. Ergo geht es nach ihrer Meinung bergauf. Doch das ist genau der falsche Ansatz. Nicht Peking, sondern die Weltspitze ist hier der Maßstab. Es fehlt aber eine wissenschaftlich fundierte Weltstandsanalyse, welche Grundlage einer ehrlichen Bestandsaufnahme sein muß. Die Bundestrainer - im Schwimmen hatte man erst gar keinen - sind weder an der Basis noch in den Vereinen oder den Clubs wirksam. DOSB-Sportdirektor Vesper fordert nun eine Zentralisierung. Aber wer soll zentralisiert werden?

Die Misere beginnt schon im Schulsport und setzt sich bis zum Leistungssport fort. Bei dieser deutschen Kleinstaaterei sind eine Zentralisierung und abgestimmte Trainingskonzeptionen kaum möglich. Statt Stroh zu dreschen, sollte man sich doch endlich an die erfolgreichen Methoden und Erfahrungen im Leistungssport der DDR erinnern. Dies aber darf nicht sein! Und so wird es mit DOSB-Präsident Bach beständig weiter den Bach runtergehen.

Erhard Richter

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Kleiner Nachtrag zu "Max braucht Wasser"
Auch Wickersdorfer Schüler waren mit von der Partie

Mit großem Interesse las ich den Beitrag von Prof. Dr. Herbert Meißner im RF 172, rief er mir doch wieder einmal jene Tage lebhaft ins Gedächtnis zurück, als ich Oberschüler der "Freien Schulgemeinde Wickersdorf" - einer Internatsschule im Ort Wickersdorf des Kreises Saalfeld - war. Übrigens gehörte zu meinen Mitschülern auch Bernd Grabner, der Sohn des in Herbert Meißners Artikel erwähnten Hauptdirektors der VESTA, Hasso Grabner, von dem damals die Initiative ausging. Der Ruf nach "Wasser für Max" erreichte natürlich auch uns auf der Saalfelder Höhe, konkret die Klasse 10 a und b, zusammen 30 Schüler, 9 Mädchen und 21 Jungen. Mit unserer Schulleitung waren wir uns einig, eine Woche beim Bau mitzuwirken. Am 20. Januar 1949 brachte uns ein LKW der Firma Rattey aus Saalfeld - bewährter Transporteur unserer Kulturgruppe - zur Bauleitung. Die wollte uns jedoch zunächst gar nicht haben! Schüler, noch zu jung (fast alle Jahrgang 1932). Oh, was mußten wir da reden! Am Ende gab es Zustimmung, und ab ging es zu einer Baracke in Graba, am Stadtrand von Saalfeld. Dort prägte sich mir eine Lehre tief ein: Hat man die Wahl zwischen Holzwolle und Stroh als Nachtlager auf dem Boden - dann sollte man immer zum Stroh greifen, weil man sonst schnell auf "blanker Erde" liegt.

Unsere Arbeitsstelle befand sich auf der Hochebene des "Roten Berges". Im Januar ist das Ausheben eines Grabens im mit Schiefer durchsetzten, recht tief gefrorenen Erdreich für 800er Leitungsrohre aus Beton kein Zuckerlecken. Doch unter der von uns selbst gefertigten FDJ-Fahne, die auf dem Grabenrand im Wind wehte, kam unsere Brigade "Ernst Thälmann" gut voran. Einmal gab es eine ziemlich stachlige "Abwechslung": Für die im Bau befindliche Pumpstation in Tauschwitz an der Saale waren Isoliermatten eingetroffen. Wir luden sie aus und brachten sie ins Pumpenhaus. Die Matten waren aus reiner Glaswolle - was wohl alles sagt.

Die Woche war rum, als sich die Bauleitung mit der Bitte an die Schule wandte, uns eine Woche länger freizustellen. Dem wurde zugestimmt, was uns nur recht sein konnte. Nun wurde Eichicht, unsere Wirkungsstätte, zur Umschlagstation von Schüttgut für die Trasse. Hier stellten wir das komplette Kommando. Die mit der Bahn anrollenden Materialien waren mit Kreuzhacke und Schaufel per Hand auf LKW zu verladen. Es handelte sich um Schotter, Splitt und Kies, die meist festgefroren waren. Die Arbeit lief Tag und Nacht. Wir schliefen im Wartesaal des Bahnhofs Eichicht, dicht an der Arbeitsstelle, auf soliden Strohsäcken und in Doppelstockbetten. Ein Ofen "wärmte" so, wie er eben einen ganzen Saal zu erwärmen oder auch nicht zu erwärmen vermag. Auf dem Bahnsteig stand an der Außenwand des Gebäudes eine Reihe von Holzeimern mit Waschwasser. Da zerklopften wir dann am Morgen zuerst die Eisschicht. All das war harte Arbeit, die wir fröhlich bewältigten. Wir lernten uns untereinander noch besser kennen, achteten den Beitrag der Mädchen, die in keiner Weise zurückstanden, hörten auch viel von den Studenten, deren Gedanken und Lieder. So ritt uns der legendäre Max Hoelz auf seinem weißen Roß voran - ein Lied, das wir von den Leipzigern aufgriffen.

In der Eichichter Gaststätte gab es zum Abschied Dankesworte und Geschenke aus der Hand des späteren Ministers Fritz Selbmann, der stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftskommission war. Ich bekam einen so gewichtigen Mantelstoff, daß ich bei der Übernahme die Armmuskeln leicht anspannen mußte. Auch an der Abschlußfeier eines Durchgangs der Studenten im Saalfelder "Roten Hirsch" nahm ich teil, mit roten Kunststoffmarken für "Starkbier" ausgestattet, das ich erstmals im Leben trank. Trotzdem gingen wir alle noch senkrecht und fuhren singend auf dem offenen LKW ins Quartier. Wir machten Platz für die nächste Klasse unserer Schule, eine 9 b, die unter Betreuung des Geschichtslehrers Dr. Helmut König und seiner Frau Barbara als Brigade "Jonny Schehr" am Rohrbau mitwirkte. Diese Schüler waren also noch jünger als wir, aber das Alter spielte bei der anfangs so skeptischen Bauleitung nun keine Rolle mehr. Wickersdorf hatte sich einen guten Ruf erworben.

In einem Dankesbrief der VESTA an Helmut und Barbara König hieß es: "Wir können mit gutem Gewissen behaupten, daß die Leistungen der Wickersdorfer Schüler, die durch Ihren persönlichen Einsatz noch gesteigert wurden, einen erheblichen Anteil an der vorfristigen Erfüllung dieses Planprojekts Nr. 1 unserer Zone hatten."

Auch ich habe ein gutes Gefühl bei der Erinnerung an jene Zeit.

Klaus Wolff, Neustrelitz

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RF-Extra
Zur Abwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft
Ein Sieg ist kein Beweis der Wahrheit, eine Niederlage nicht deren Widerlegung

"Prüfet alles, das Gute behaltet", lautet die Mahnung, die Paulus in seinem zweiten Brief an die Thessalonicher (4.21) richtete. Die Krieger und Sieger im Ringen für das christliche Abendland hätten 1989/90 gelegentlich in die Bibel schauen sollen. Sie haben es leider nicht getan und statt dessen in der DDR jenen Rückfall in die Vergangenheit durchgesetzt, dessen Verlauf und Resultate Werner Röhr in seinem Buch "Abwicklung. Das Ende der Geschichtswissenschaft in der DDR" akribisch untersucht.

Der Autor ist sich des Respekts und des Dankes all derer sicher, die wie er verhindern wollen, daß ihr Schaffen und ihre Lebensleistung im Orkus des Vergessens verschwinden.

Seit mehr als zwanzig Jahren mühen sich die Sieger dieser Runde der europäischen Geschichte mit enormem personellem und finanziellem Aufwand, die DDR nach "allen Regeln der Kunst" wegzuretuschieren. Die Ergebnisse der DDR-Geschichtswissenschaft zu verschweigen und zu verfälschen, gehört zu dieser offiziellen Politik. Dem ist Werner Röhr couragiert und mit Akribie entgegengetreten. Überdies rückt er den Verlauf und die Ergebnisse ihrer Abwicklung sowie deren Drahtzieher ins grelle Licht des Tages.

Röhrs Buch entstand unter erschwerten Bedingungen, weil die Abwickler bemüht waren, ihre Spuren zu verwischen. Manche von ihnen wollen heute sogar wie weiland Pontius Pilatus ihre Hände in Unschuld waschen. Röhr erwähnt namentlich 87 Historiker, die ihm Bausteine zur Gestaltung scharfer Konturen seines Bildes von der Abwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft geliefert haben. Welche Arbeitsleistung verbirgt sich allein dahinter!

Das erste so umfassende Werk zu dieser Thematik ist straff gegliedert, wobei die Kapitelüberschriften die Sucharbeit des Lesers erleichtern.

Der Autor stellt einleitend den komplizierten Prozeß der Herausbildung einer eigenständigen DDR-Geschichtswissenschaft dar. Er würdigt die Pionierrolle solcher marxistischen Gelehrten wie Walter Markov, Ernst Engelberg, Alfred Meusel, Leo Stern und Jürgen Kuczynski, aber auch den Anteil bürgerlichen Historiker, welche die antifaschistisch-demokratische Geschichtswissenschaft begründen halfen. Die ursprünglichen Wegbereiter waren die Lehrer und Vorbilder jener Generation, die bereits von zusammenhängenden Positionen des historischen Materialismus ausgehen konnte. Sie schufen Arbeiten, von denen Röhr mit Recht sagt, daß es für die Arbeiterbewegung lebenswichtig sei, "ihre eigenen geschichtlichen Erfahrungen zu artikulieren und festzuhalten".

Im ersten Kapitel behandelt der Autor "Historische Institute und ihre Forschungsfelder", von der Akademie der Wissenschaften der DDR über die militärgeschichtlichen Einrichtungen bis zu den Geschichtssektionen an den Pädagogischen Hochschulen. Die Vielfalt der Forschungsgebiete und die von den Historikern vollbrachten Leistungen sind beeindruckend. Röhr analysiert im Kapitel 2 den politischen Anspruch der SED an die Geschichtswissenschaft. Die Analyse ist von aktueller Bedeutung, weil heute Pseudolinke die Tatsachen verdrehen und den Historikern der DDR anzulasten bemüht sind, sie seien doch bloß "Erfüllungsgehilfen" der SED gewesen. In diesem Zusammenhang untersucht Röhr auch die Einflüsse und Wirkungen des sogenannten Stalinismus. Er listet die Negativa durchaus auf, gelangt dann aber zu dem Urteil: "Diese Sünden an und in den historischen Wissenschaften waren weder im einzelnen noch in ihrer Summierung ein originäres Produkt des 'Stalinismus' und auch nicht dessen Monopol." Und er fügt hinzu: "Die von Hermann Weber (einem führenden "DDR-Forscher" und Renegaten, H. S.) vorgetragene These, daß sich die Geschichtswissenschaft durch die "umfassende Instrumentalisierung für die Politik der SED" selbst disqualifiziert habe, ist schlichtweg falsch."

Im Kapitel 3 "Historiker in der Krise" geht es Röhr um in den Jahren 1989/90 unternommene Bemühungen, an geschichtswissenschaftlichen Instituten die demokratische Selbstbestimmung durchzusetzen, nicht zuletzt auch, um der Unterwerfung unter bundesdeutsche Ostlandritter Widerstand zu leisten. Aus der Alt-BRD "eingeflogene" Berater der im Aufbau befindlichen Landesregierungen und Vertreter bundesdeutscher Historikerverbände verhinderten damals rigoros jegliche Weiterentwicklung der Geschichtswissenschaft der DDR aus eigenen Kräften.

Die "Kollegen" von jenseits der Elbe propagierten zwar offiziell "Wissenschaftspluralismus", verfolgten in der Praxis aber einen skrupellosen Alleinvertretungsanspruch. In dieser Phase gab es auch gewisse DDR-Historiker, die aus unterschiedlichen Beweggründen zu den Siegern überliefen. Röhr nennt Peter Hübner, Rainer Eckert und Jürgen John. Doch zeigte sich: "Die Verneigung vor Geßlerhüten ist ein öffentliches Ritual, bei dem Bedingungen und Vorbehalte nicht geduldet werden und Kritik ausgeschlossen bleibt."

Im Kapitel 4 erfährt der Leser einiges darüber, wie sich namhafte bundesdeutsche Historiker im "Wendejahr" 1989/90 gegenüber ihren "Zunftgenossen" in der DDR verhielten.

Zunächst rekapituliert Röhr die Beziehungen zwischen den Historikern aus der DDR und der BRD - vom durch die BRD-Seite provozierten Abbruch der Beziehungen in Trier 1957 bis zur "historischen Begegnung" im März 1987, als sich Vertreter beider Seiten gleichberechtigt in Bonn trafen. Präsident des "Verbandes der Historiker Deutschlands" (VHD) war zur "Wendezeit" Prof. Dr. Wolfgang Mommsen, dessen Urgroßvater 1902 als Historiker den Nobelpreis erhalten hatte. Er erwies sich als ein treuer Gefolgsmann des "Einheitskanzlers" Helmut Kohl. Im Sog der damaligen Bonner Politik spielte sich der VHD-Vorstand als Alleinvertreter in Sachen deutsche Geschichtsschreibung auf. Sein Ziel war die rasche und systematische Ausschaltung der DDR-Historiker aller Disziplinen. Der Gründe dafür gab es viele: Ein fairer Wettstreit mit den Ostkollegen schien zu riskant. Zu oft hatte sich die marxistische Geschichtswissenschaft als überlegen erwiesen. Zugleich lockten im Osten neue Pfründe auch für Drittklassige. Auf internationalem Feld hatten die DDR-Historiker beachtliche Positionen zu erringen vermocht. An der Spitze des infamen Feldzugs gegen DDR-"Kollegen" stand Prof. Mommsen, aus dessen Erklärungen und Briefen Röhr überzeugend ableitet, daß der Vorsitzende des VHD ein übler Heuchler und Doppelzüngler war. Der Platz reicht nicht aus, um hier Beispiele für das schändliche Verhalten bundesdeutscher Historiker gegenüber ihren "Brüdern" im Osten zu referieren.

Wie in anderen Bereichen der "Aufarbeitung" standen auch Historikern für ihre Verleumdungskampagne die Medien der Bourgeoisie zur Verfügung. Hatte Kinkel die (unabhängigen?) Richter kraft seines Amtes als Justizminister dazu aufgefordert, die DDR mit den Mitteln des "Rechts" zu diskreditieren, taten das Historiker unter Berufung auf die "geschichtliche Wahrheit". Am 8. Mai 1990 gab der katholische Theologe Kluetig in der FAZ den Auftakt zum Kreuzzug gegen die DDR-Geschichtswissenschaft. Ihm folgten Hermann Weber und Christian Maier.

War 1980 auf dem Weltkongreß der Historischen Wissenschaften von dessen damaligem Präsidenten Karl Erdmann (BRD) die "Ökumene der Historiker" gefeiert worden, so forderte Wolfgang Mommsen auf dem Historikertag in Bochum Ende September 1990 nun die bedingungslose Kapitulation der DDR-Historiker. Auch diesmal lautete der stärkste Vorwurf, die DDR-Geschichtswissenschaft habe die "Legitimierung des SED-Regimes" betrieben.

Röhr setzt sich mit der wahrheitswidrigen Behauptung von der angeblichen Unterwürfigkeit der DDR-Historiker überzeugend auseinander. Mit seinen Erklärungen spielte sich der VHD zum Ankläger und Richter auf, damit die "Köpfe von Historikern aus der DDR rollen" konnten. Am Beispiel des Wirkens von Jürgen Kocka und Thomas Nipperdey wird nachgewiesen, mit welchen niederträchtigen Methoden die Abwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft vollzogen wurde. Diese Schmach und diese Schande bleiben unvergessen. Im Kapitel 5 analysiert Werner Röhr die "Evaluierung, Auflösung und Abwicklung". Hier geht es um die Ziele, Phasen und Ergebnisse des bereits kurz skizzierten "Säuberungsprozesses".

Die besondere Infamie besteht darin, daß schon die "DDR"-Regierung des Kohl-Strohmannes Lothar de Maizière mit Artikel 38 des "Einigungsvertrages" jene Weichen gestellt hatte, welche die DDR-Wissenschaftsinstitute auf das Abstellgleis lenkten. Den Vollzug übernahmen dann bundesdeutsche Wissenschaftler - für die Historiker Professor Dr. Kocka - mit dem Mittel der "Evaluierung", die sich als Farce erwies. Bundesdeutsche Gutachter kannten in der Regel nicht einmal die Publikationen der DDR-"Kollegen", über deren Schicksal sie entscheiden sollten, noch weniger die "Evaluierungspapiere". Röhr nennt die Vorgänge zu Recht makaber. Hier kann aus Platzgründen nicht detailliert auf das Schicksal von DDR-Instituten und Forschern eingegangen werden. Vermerkt sei nur, daß es lediglich zwei DDR-Historiker gab - Fritz Klein und Wolfgang Küttler -, welche die Abwicklung als "fair" bezeichneten. Man kennt die Warnung Erich Kästners: "Nie dürft ihr so weit sinken, den Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken."

Kapitel 5 des Röhr-Buches dürfte für Opfer der Abwicklung besonders aufschlußreich sein, denn sie erleben hier ihre eigenen "sanften und unsanften Tode" noch einmal - ob es die Spezialisten für die Geschichte der Arbeiterbewegung oder die Militärhistoriker sind. Die Ergebnisse sprechen für sich: Aus der "Erhaltung leistungsfähiger Einrichtungen" wie sie Artikel 38 des "Einigungsvertrages" noch versprochen hatte, wurden Trümmerlandschaften ohne Ende.

Röhrs Nachwort trägt die Überschrift "Normalisierte Legitimationswissenschaft". Der Autor wirft einen Blick auf die Abläufe der letzten zwanzig Jahre. Am Anfang stand Mommsens Forderung auf dem 39. Historikertag in Hannover (September 1992), "die geistige Einheit der Deutschen wiederherzustellen". Daß es die "geistige Einheit" der Krupps mit den Krauses nie gegeben hat, war diesem Manne völlig fremd. Hatte er beim Wörtchen "wieder ..." etwa die Nazizeit im Sinn? Seit 1990 gibt es mannigfaltige Umdeutungen und Verfälschungen durch ein Heer hochdotierter Historiker und Politologen. Röhr stellt dazu fest: "Inzwischen ist die Beschäftigung mit der DDR und ihrer Geschichtswissenschaft fest institutionalisiert und ein lukrativer, karriereträchtiger Zweig der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft geworden." Leute wie Konrad Jarausch und Martin Sabrow führen das große Wort, um DDR-Historiker als Exoten und Fremdkörper vorzuführen. Der Stachel erfolgreicher und weiter wirkender Konkurrenz scheint tief bei ihnen zu sitzen.

Röhr geht im Nachwort auf wichtige Felder des heutigen Geschichtsrevisionismus ein. Er listet die Hauptgebiete aktueller Fälschungen auf. Das ist verdienstvoll.

Leider bleiben dabei die Totalitarismusdoktrin und deren Mißbrauch bei der Gleichsetzung von DDR und Naziregime unterbelichtet, beschäftigen sich doch regierungsnahe Institute unablässig mit dem "Diktaturenvergleich" und der Lieferung von Munition für entsprechende Medienkampagnen.

Abschließend vergleicht Röhr das Verhalten der BRD gegenüber faschistischen Historikern 1945 mit der Abwicklung von DDR-Historikern nach 1990. Damals wurde kein einziges Institut aufgelöst. Die Gründe dafür lagen auf der Hand: Man brauchte die "bewährten" Nazi-Historiker. Ihre Aufgaben änderten sich kaum. Die personelle und inhaltliche "Kontinuität" war nahezu perfekt.

1990 sahen die Dinge völlig anders aus. Marxistische Historiker hätten ein "Störfaktor" werden können. Selbst Wendehälse unter ihnen wurden bisweilen nur für kurze Zeit weiterbeschäftigt. Hatte man sie hinreichend ausgelutscht, dann hieß es: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan ..."

Röhrs Arbeit ist für Linke ein geradezu unentbehrliches Lehrbuch in der ideologischen Auseinandersetzung. Sie ist eine Ermutigung, den Kampf klüger als zuvor fortzusetzen und noch zu verstärken. Mag uns dabei eine Rede Richard von Weizsäckers vom 10. November 1987 als Wegweiser dienen: "Für den Sieger in einem demokratischen Kampf ist die Einsicht maßgeblich, daß mit seinem Sieg nicht seine Wahrheit besiegelt wird ... Dem muß die Einsicht des Verlierers entsprechen, daß nicht seine Wahrheit widerlegt ist ... Er behält die Chance, für seine Wahrheit aufs neue zu kämpfen."

Gehen wir ans Werk!

Prof. Dr. Horst Schneider


Werner Röhr: Abwicklung. Das Ende der Geschichtswissenschaft der DDR, Bd. 1. Analyse einer Zerstörung, Edition Organon 2011, 504 S., 30,90 € Inzwischen ist im gleichen Verlag der Bd. 2 (Analyse ausgewählter Forschungen. Übersichten - Register), 636 S., 34 €, erschienen.

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Der erste DDR-Botschafter in Indien
Herbert Fischer war ein Mitstreiter Mahatma Gandhis und Jawaharlal Nehrus

Vor 40 Jahren - am 8. Oktober 1972 - nahm die Republik Indien volle diplomatische Beziehungen zur DDR auf. Dies scheint mir ein willkommener Anlaß zu sein, an das verdienstvolle Wirken des DDR-Diplomaten Herbert Fischer zu erinnern, der zu den engen Mitstreitern der Führer des antikolonialen Befreiungskampfes von heute weit mehr als einer Milliarde Indern gezählt hat.

Am 8. Oktober 1972, unmittelbar nach dem 23. Jahrestag der Gründung des sozialistischen deutschen Staates, trat der Beschluß des indischen Ministerrates in Kraft, die DDR politisch und diplomatisch anzuerkennen. Dieser Schritt wurde von der durch Ministerpräsidentin Indira Gandhi geführten Regierung vollzogen, wobei sich Außenminister Swaran Singh besonders engagierte.

Aus ihm ergab sich zweierlei: Erstens erlangten die seit 1953 bestehenden freundschaftlichen Kontakte zwischen beiden Staaten, die sich bis Anfang der 70er Jahre auf den Gebieten der Politik, der Wirtschaft, des Handels, der Wissenschaft und Technik sowie der Kultur und des Sports zu einem ganzen Beziehungsgeflecht entwickelt hatten, eine neue Qualität. Sie wurden auf ein festes, völkerrechtlich verbindliches Fundament gestellt und konnten sich unter Bedingungen der Gleichberechtigung und Souveränität weiter festigen. Zweitens erlangten die in Berlin und Neu Delhi bereits bestehenden staatlichen Vertretungen beider Länder einen höheren Status. An ihrer Spitze standen nun Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter - also Diplomaten des höchsten Ranges.

Herbert Fischer, der seit 1965 die DDR-Handelsvertretung in Neu Delhi geleitet hatte, schildert in seinem Buch "DDR - Indien. Ein Diplomat berichtet", das 1984 im Staatsverlag erschien, die vielschichtige Bedeutung der politischen Anerkennung der DDR durch Indien. Er selbst hatte zuvor wiederholt erlebt, daß sich hochgestellte Politiker seines Gastlandes zwar dafür aussprachen, diesen längst überfälligen Schritt zu vollziehen, zugleich aber um Geduld baten, weil die BRD und andere westliche Mächte auf Indien massiven Druck ausübten und mit ökonomischen Gegenmaßnahmen drohten. Der junge Nationalstaat sah sich in Anbetracht seiner schwierigen wirtschaftlichen Lage zu vorsichtigem Agieren genötigt. Nur wenige indische Politiker unterstützten damals aufgrund ihrer extrem antikommunistischen Einstellung offen die imperialistischen Positionen.

Während ganz Indien wie andere Regionen der Welt ab 1969 von einer Welle des Verlangens nach Anerkennung der DDR erfaßt wurde, konnten sich in der Regierung auch diesmal noch jene Politiker durchsetzen, die ein weiteres Hinauszögern des Termins aus unterschiedlichen Gründen für richtig hielten.

Turbulent wurde die Entwicklung der Ereignisse dann aber in den folgenden Jahren. Im Juni 1971 war Außenminister Swaran Singh von Indira Gandhi mit einer persönlichen Botschaft in die DDR entsandt worden, um dort den Standpunkt der indischen Regierung zur dramatischen Lage in Ostpakistan (Bangladesh) darzulegen. Indien hatte die Hauptlasten sowohl bei der Versorgung von Millionen pakistanischer Flüchtlinge als auch bei der Unterstützung des Befreiungskampfes der Bevölkerung von Bangladesh zu tragen. Als Sonderbotschafter wurde Swaran Singh mit allen Ehren empfangen. Die Regierung der DDR versicherte Neu Delhi ihrer Solidarität. Sie unterbreitete Indien den Vorschlag, alsbald eine Volkskammerdelegation nach Kalkutta, der Hauptstadt des indischen Unionsstaates Westbengalen, zu entsenden, in deren Nähe sich die Flüchtlingslager der Pakistanis befanden.

Im Herbst 1971 wurde der Gedanke in die Tat umgesetzt. Man übertrug mir die Leitung der Delegation. Es war bereits meine dritte Indien-Reise. Mich begleiteten die beiden anderen Volkskammerabgeordneten Liesbeth Windisch, Oberbürgermeisterin von Zwickau (DFD-Fraktion) und Medizinalrat Dr. Günter Wiedemann (LDPD), Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheitswesen. Zu dritt besuchten wir mehrere Flüchtlingslager und berichteten dort über Hilfsmaßnahmen der DDR und Initiativen ihrer Bevölkerung. Zugleich berieten wir mit unseren Partnern über die Möglichkeit von Beziehungen zwischen dem künftigen Staat Bangladesh und der DDR. Tatsächlich war die DDR nach Indien und Bhutan dann der dritte Staat, der die Volksrepublik Bangladesh völkerrechtlich anerkannte.

Das Jahr 1972 begann für Herbert Fischer - "unseren Mann" in Neu Delhi - mit einem Paukenschlag. Er erbat einen Gedankenaustausch mit Minister Swaran Singh, der sehr freimütig verlief. Dabei brachte Genosse Fischer sein Unverständnis über die Haltung der indischen Regierung zur politischen Anerkennung und der Herstellung voller diplomatischer Beziehungen zum Ausdruck. Er bewertete das Gespräch mit Singh folgendermaßen: "In einer für solche Begegnungen gänzlich unüblichen Art geriet ich in starke Erregung und klagte über das ständige Hinhalten. Ich wisse gar nicht mehr, was ich meiner Regierung zur Erklärung sagen solle, ja, ich bezweifle auch, ob ich in meiner schon siebenjährigen Amtsperiode als Leiter der Vertretung der DDR noch die Herstellung diplomatischer Beziehungen erleben werde. Außenminister Swaran Singh war offensichtlich etwas erschrocken. Er versuchte, mich zu beruhigen. Ich solle nur Geduld haben, man behandle mich doch praktisch wie einen Botschafter, und der Zeitpunkt für die von mir so sehr ersehnte Entscheidung werde kommen. Das war ein bißchen Balsam, aber 'Die Botschaft hör' ich wohl, allein es fehlt der Glaube', zumindest an eine baldige Entscheidung, zu oft waren wir enttäuscht worden. Trotzdem - der Tag mußte kommen."

Zwischen März und Oktober 1972 lag eine ganze Reihe aufregender und teilweise sogar spannungsgeladener Momente im außenpolitischen Verhalten Indiens gegenüber der DDR: Im März erklärte Swaran Singh vor dem Parlament: "Wir sind glücklich, daß die DDR nach Indien und Bhutan das dritte Land war, das die Unabhängigkeit und Souveränität Bangladeshs anerkannt hat. Das zeigt die sehr freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen uns und der DDR bestehen. Das wird ein starker Faktor sein, der es uns ermöglicht, die Anerkennung auf der Ebene voller diplomatischer Beziehungen auszusprechen." Die an ihn gerichtete Frage, ob Indien warten wolle, bis sich die BRD entschließe, ihrerseits die DDR anzuerkennen, verneinte der Minister.

Ende September 1972 rief der erste Staatssekretär im indischen Außenministerium Herbert Fischer zu sich und teilte ihm mit, der Ministerrat Indiens habe beschlossen, diplomatische Beziehungen zur DDR aufzunehmen. Als besondere Freundschaftsgeste sei als Termin der 7. Oktober, der Nationalfeiertag der DDR, festgelegt worden. Die Mitarbeiter des DDR-Generalkonsulats bewerteten die Entscheidung für dieses Datum als ein sehr positives Signal.

Doch am Morgen des 6. Oktober wurde Herbert Fischer erneut vom ersten Staatssekretär darum gebeten, ihn möglichst sofort aufzusuchen. Er ließ den Leiter der DDR-Handelsvertretung wissen, BRD-Botschafter Diel habe erklärt, sein Land werde eine Anerkennung der DDR am 7. Oktober als "unfreundlichen Akt" betrachten. Indien möge zunächst einmal den Abschluß der Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten über einen Grundlagenvertrag abwarten.

Dies war jedoch der letzte Querschuß, den Bonn zur Verhinderung einer in Neu Delhi bereits getroffenen Entscheidung abfeuern konnte. Indiens Ministerrat ließ sich durch die Bonner Drohung nicht erpressen. Als Termin für den festlichen Akt wurde der 8. Oktober morgens 8 Uhr festgelegt. Auf Grund des Zeitunterschieds zwischen beiden Hauptstädten - er beträgt viereinhalb Stunden - wurde das Ereignis in Presse, Rundfunk und Fernsehen der DDR zwar noch am 8. Oktober gemeldet, die indischen Medien aber konnten erst am 9. Oktober darüber berichten. Dies geschah mit einer sehr wohlwollenden Kommentierung.

Am 31. Oktober 1972 erfolgte dann die feierliche Akkreditierung des Außerordentlichen und Bevollmächtigten DDR-Botschafters Herbert Fischer. Sie rückte den Vorgang ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Indiens Staatspräsident empfing den Missionschef in seinem Amtssitz zur Entgegennahme des Beglaubigungsschreibens. Auch für alle anwesenden Mitarbeiter der DDR-Botschaft fand der oberste Repräsentant des indischen Staates herzliche Worte.

Bereits am Vorabend hatte die Freundschaftsgesellschaft Indien-DDR in Neu Delhis große Mavlankar-Halle zu einer festlichen Veranstaltung geladen, bei der die Würdigung der Freundschaft mit der DDR im Mittelpunkt stand. Als erster Redner ergriff dort Außenminister Swaran Singh das Wort. Er hob hervor, daß die politische und diplomatische Anerkennung sowie die damit verbundenen engeren Bande zwischen Indien und der DDR die Friedenskräfte in der Welt stärken und dem Kampf gegen den Kolonialismus neuen Auftrieb geben würden. Der Präsident der regierenden Kongreßpartei und der Generalsekretär der KP Indiens fanden warme Worte für jene solidarischen Deutschen, die Indiens nationale Befreiung - sie jährte sich übrigens am 15. August zum 65. Mal - von Beginn an unterstützt hatten. Sie wünschten der DDR als der Fortsetzerin dieser guten Traditionen zum beiderseitigen Nutzen neue Erfolge.

Als letzter Redner richtete Herbert Fischer herzliche Worte an alle Freunde der DDR in Indien. Besonders dankte er Außenminister Swaran Singh, der sein Versprechen wahrgemacht hatte, noch während seiner Amtszeit die politische Anerkennung der DDR zu vollziehen. Das sei auch die Erfüllung des Erbes von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru.

Der letzte DDR-Botschafter in Indien, Wolfgang Grabowski, hat später geschildert, wie er bei seinen Kontakten mit vielen indischen Bürgern die Persönlichkeit Herbert Fischers kennen- und schätzengelernt habe: "Überall in Indien fragten mich die Leute: Wie geht es eigentlich Herbert Fischer? Dieser Mann war geradezu eine 'Besonderheit' in den Beziehungen zwischen Indien und der DDR, hat er doch viele Jahre seines Lebens an der Seite Mahatma Gandhis, des Begründers und Führers der indischen Befreiungsbewegung, verbracht." Er sei "im ganzen Land bekannt wie kein zweiter Deutscher. Ihm standen in seinem Gastland alle Türen offen. Auf die Inder übte dieser hochgewachsene stattliche Mann, der gütig und bescheiden und dabei von umfassender Bildung und Kultur war, große Anziehungskraft aus."

Botschafter a. D. Prof. Dr. Rolf Sieber

Ende RF-Extra

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Bahnbrecher Martin Luther King
Ohne die US-Bürgerrechtsbewegung wäre Barack Obama niemals ins Weiße Haus gelangt

Mitte der 60er Jahre setzte der afroamerikanische Prediger und Volkstribun Dr. Martin Luther King für einige Stunden seinen Fuß auf den Boden eines Staates, den es nach damaliger Auffassung des U.S. State Department auf der Weltkarte gar nicht geben durfte: Er stattete - von Westberlin einreisend - der Hauptstadt der DDR einen kurzen Besuch ab. Dabei begab er sich in die Marienkirche und in die nahegelegene spätgotische Nikolaikirche, das älteste erhalten gebliebene Bauwerk Berlins. An beiden Orten sprach er zu den zahlreich erschienenen Bewunderern seines seit den 50er Jahren geführten Kampfes für Bürgerrechte und Menschenwürde, der ihn wiederholt ins Gefängnis geführt hatte. Unter jenen, denen er während seines Aufenthalts begegnete, befanden sich auch Mitarbeiter der Abteilung USA/Kanada/Japan des Außenministeriums der DDR.

Während der Friedensnobelpreisträger von den herrschenden Kreisen seines Landes erbittert bekämpft wurde - FBI-Chef J. Edgar Hoover unterließ nichts, um dessen persönlichen Ruf zu beschädigen -, schmückten sich später auch seine Ächter mit fremden Federn. Sie gaben sich sogar als Schirmherren des baptistischen Gottesmannes aus. Nach der amerikanischen Devise "If you can't beat them, join them" (Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann schließ dich ihnen an) erklärten sie den 15. Januar, Kings Geburtstag, zum Nationalfeiertag. Nachdem die postmortale Ehrung Kings immer wieder hinausgezögert worden war, sah sich Washington am Ende doch vor die Notwendigkeit gestellt, diesen von Millionen US-Bürgern eingeforderten Schritt zu vollziehen.

Bevor die von MLK - wie er allgemein genannt wurde - seit langem dringend angemahnte und immer wieder verweigerte Bürgerrechtsgesetzgebung erzwungen werden konnte, wüteten Rassisten vor allem in den Südstaaten des Landes. Dort beging der berüchtigte Ku Klux Klan bis in die 40er Jahre unzählige Bluttaten gegen Schwarze. Bis heute haben sich die Bilder der um lodernde Flammenkreuze versammelten weißvermummten Terroristen in das Gedächtnis der Älteren eingebrannt.

Als MLK und dessen Kampfgefährten aus der Bürgerrechtsbewegung noch nicht in Aktion getreten waren, hatten bereits die Kommunisten der USA und andere Humanisten die Sache der Afroamerikaner mutig verteidigt. Sogar noch unter der Präsidentschaft John F. Kennedys waren militante Schwarze als "umgekehrte Rassisten" diffamiert worden. In einer seiner Reden hatte Kennedy selbst die Forderung erhoben, "die Rassenfrage aus der amerikanischen Politik herauszuhalten".

Unterdessen wird MLK sogar von Sprechern akzentuiert konservativer Kreise der Vereinigten Staaten heuchlerisch dafür gepriesen, daß er für die Aufhebung der Rassentrennung gesorgt und so "das Ende des Rassismus in den USA herbeigeführt" habe. Ein Hohn auf die Wirklichkeit, ist doch die Diskriminierung Nichtweißer nach wie vor latent, wenn auch subtiler.

Als in den 20er Jahren das Washingtoner Lincoln-Memorial mit Pomp und Gloria eingeweiht wurde, schrieb der bedeutende Romancier Sinclair Lewis nicht ohne Zynismus, der einst im Auftrag der Südstaatler gemeuchelte Präsident sei nun auf einmal "der brave Mann, der die Sklaven befreit habe und dann wie Christus für die Sünden der Republik gestorben" sei.

Auch heute fehlt es in den USA nicht an Leuten, die Martin Luther King mit gespaltener Zunge zum "Heiligen" erheben und - sich seines Namens bedienend - die Fiktion verbreiten, daß es doch wohl keinen Rassismus mehr in einem Land geben könne, dessen gefeierter Märtyrer und dessen Präsident von schwarzer Hautfarbe seien.

Offizielle Lehrpläne für allgemeinbildende Schulen suchen allenthalben den Eindruck zu vermitteln, das Wichtigste am Wirken des Baptisten-Predigers sei dessen Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit gewesen. Dieses stehe in scharfem Kontrast zum Credo des gleichfalls ermordeten Malcolm X - eines "üblen Schwarzen".

Der wahre King aber war keineswegs jener duldende Anpasser, als den ihn die Politiker, Historiker und Medien der Bourgeoisie dem Volk der USA zu suggerieren bemüht sind. Gewaltlosigkeit bedeutete für MLK "positiven Frieden" - die Verbindung von Frieden und sozialer Gerechtigkeit. Er stimmte mit Indiens Mahatma Gandhi darin überein, daß Armut die schärfste Form von Gewalt ist. Daraus zog er den Schluß, eine Rassenintegration ohne Änderung der Einkommensverhältnisse und der sozialen Lebensqualität sei weder möglich noch wünschenswert.

MLK brach mit der Johnson-Administration, unter der Washington immerhin seinen "Krieg gegen die Armut" eingeleitet und der US-Kongreß die Bürgerrechtsgesetzgebung beschlossen hatte, weil dieser Präsident zugleich den imperialistischen und rassistischen Krieg in Vietnam forcierte und sich damit als Erzfeind des "positiven Friedens" erwiesen hatte.

Gegen Ende seines Lebens organisierte Martin Luther King die Bewegung der armen Leute (Poor People's Movement). Er rief Verelendete aller ethnischen Gruppen - auch Weiße - dazu auf, gemeinsam nach Washington zu ziehen und dort auszuharren, um die Johnson-Administration mit der Nichterfüllung ihrer im "Krieg gegen die Armut" vollmundig abgegebenen Versprechungen zu konfrontieren.

Als MLK am 4. April 1968 auf dem Balkon seines Motel-Zimmers in Memphis (Tennessee) erschossen wurde, stand er gerade an der Spitze eines großen Streiks extrem ausgepowerter farbiger Arbeiter der dortigen Stadtreinigungsbetriebe.

Diesem wirklichen Martin Luther King gilt Amerikas lange verhinderter und nun auch durch eine saturierte Oberschicht der Gesellschaft "begangener" Nationalfeiertag. Sein Vermächtnis lebt weiter im Widerstand von Millionen gegen Washingtons Aggressionen - von Irak bis Afghanistan - und ein heutiges Jahresmilitärbudget von mehr als 650 Milliarden Dollar. Es handelt sich um das Zehnfache der Pentagon-Ausgaben während der Vietnam-Kriegsjahre.

MLK war der Führer der bedeutendsten Bewegung, die es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA gegeben hat. In seiner berühmten Rede in der Harlemer River Side Church deutete er, den Hoovers FBI stets der Zusammenarbeit auch mit "Roten" bezichtigt hatte, eine gewisse Nähe zur kommunistischen Vision einer ausbeutungsfreien Gesellschaft an. Danach lebte er nur noch wenige Monate.

RF, gestützt auf "Political Affairs", New York

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Als Havanna noch das Bordell der Yankees war

Die USA übten 1946 Druck auf den kubanischen Präsidenten Ramón Grau San Martin aus, Lucky Luciano - den obersten Boß des weitverzweigten Gangster-Syndikats Cosa Nostra - auszuweisen. Nachdem dieser erst kurz zuvor dort eingetroffen war, brillierte er bereits im Halbweltmilieu von Havanna. Doch Präsident Grau wollte den Ganoven von Format nicht deportieren lassen. Da stoppte Washington kurzerhand sämtliche Arzneimittellieferungen aus den USA nach Kuba, das keine eigene pharmazeutische Industrie besaß.

Die Nachstellungen des FBI - der überregionalen Bundesuntersuchungsbehörde - zu gewissen Aktivitäten des als "Capo aller Capos" nicht nur tief in den Heroinhandel verstrickten Anführers sämtlicher "organisierten" Gangster der Vereinigten Staaten hatten gezwungenermaßen eingeleitet werden müssen, nachdem sich dieser Ende September 1946 mit einem vom römischen US-Konsulat ausgestellten Paß in Kuba Eingereiste wiederholt mit einer jungen Amerikanerin öffentlich gezeigt hatte.

Als Lucianos Anwesenheit in Havanna und dessen Verbindungen zu entsprechenden Kreisen ruchbar geworden waren, wandte sich das für die Narkotikafahndung zuständige U.S. Drug Office ganz offiziell an Präsident Grau. Der sah zunächst keinerlei Gründe, dem in "honorigen" Kreisen der kubanischen Hauptstadt geschätzten "Ehrenmann" die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen. Erst nachdem sich der Chef der Rauschmittelbehörde direkt an US-Präsident Truman gewandt hatte, traten auch die Herren des Washingtoner Finanzministeriums und des State Department in Aktion.

Bevor Super-Gangster Luciano in Havanna seine Zelte aufgeschlagen hatte, war der nach Al Capone mächtigste Verbrecher aller Zeiten, für den sich 1946 wieder einmal die Gefängnistore geöffnet hatten, seiner ethnischen Abkunft wegen nach Italien abgeschoben worden. Die große räumliche Entfernung des auf vielen Feldern - nicht zuletzt im Drogen-Transfer - tätigen "Geschäftsmannes" von den USA hatte der New Yorker Mafia-Familie Vito Genoveses und dem kalifornischen Clan Bugsy Siegels - zwei Prätendenten auf den Chefsessel des "Paten" der Cosa Nostra - bedrohliche Spielräume eröffnet. Um wieder an den Ball zu gelangen, war Luciano kurzerhand nach Kuba aufgebrochen. Für den 21. Dezember 1946 hatte er dorthin zu einer großen Beratung aller CN-"Familien" über die "Wiederherstellung der Ordnung" innerhalb der Hierarchie und die Eröffnung des neuen Mafia-Empires Las Vegas eingeladen. Die "kulturelle Umrahmung" der dann aus technischen Gründen auf den 26. Dezember verschobenen Zusammenkunft im Hotel Nacional hatte einmal mehr der CN-nahe Entertainer Frank Sinatra übernommen.

Die Teilnehmer - sämtliche Bosse der einzelnen Zweige des Imperiums - verschwanden ebenso rasch und unauffällig wieder, wie sie angereist waren. Nur Luciano selbst blieb in der weißen Stadt am Meer, wo er sich außerhalb der Zugriffsmöglichkeiten des U.S. Drug Office wähnte.

Doch am 23. Februar 1947 ersuchte ihn ein kubanischer Geheimagent - ausgerechnet während des Lunchs - um seine diskrete Begleitung. Luciano wußte auch in dieser Situation Stil zu wahren. Er verabschiedete sich in aller Form von seinen einheimischen Leibwächtern und schritt - trotz der Handschellen die ewige Zigarre zwischen zwei Fingern haltend - zu einem Wagen mit offiziellem Kennzeichen. Präsident Grau beschuldigte Luciano keines einzigen Verstoßes gegen Kubas damalige "Rechtsordnung", sondern folgte allein einer "Bitte" der USA, den zeitweiligen Gast der karibischen Insel nach Italien zurückzuschicken.

Am 29. März 1947 stach Luciano in einer Luxuskabine des türkischen Schiffes "Bakir" mit Kurs Apenninen-Halbinsel in See. Dort, im italienischen Gefängnis von Tiscornia, vertraute er später seinem CN-Stellvertreter Meyer-Lansky an, er mache sich ernste Sorgen um jene "wackeren Gefährten", welche er in Kuba habe zurücklassen müssen. Doch die Sorge war unnötig: Keinem von ihnen wurde unter Graus Präsidentschaft auch nur ein Haar gekrümmt.

Übrigens - nach dem Intermezzo mit Luciano glätteten sich die Wogen zwischen Washington und Havanna rasch wieder, so daß der Arzneimittelexport in der einen und der Narkotika-Transfer in der anderen Richtung wie eh und je vonstatten gehen konnten.

RF, gestützt auf "Prensa Latina", Havanna


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Mit der Zigarre in der Hand verhaftet: Lucky Luciano

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Im Kuba der Castros: Mütter bestens umsorgt

Die in London angesiedelte Nichtregierungsorganisation "Rettet die Kinder" hat in einer unlängst veröffentlichten Studie zur Lage der Mütter in insgesamt 165 Ländern Kuba einen besonderen Ehrenplatz eingeräumt. Sie stellte fest, daß Frauen mit Kindern in keinem anderen lateinamerikanischen Staat so gut gestellt seien wie in der Heimat Fidels und Raúls. Auf dem Subkontinent folgen Argentinien und Uruguay auf den Plätzen zwei und drei. Berücksichtigt wurden von der Organisation Faktoren wie allgemeine Lebensbedingungen, Bildungsniveau und -chancen, sozialer und politischer Status, materielle Situation der Heranwachsenden, Sterblichkeitsrate bei Kindern bis zum fünften Lebensjahr, prozentualer Anteil Unterernährter.

Im globalen Vergleich führen Norwegen, Island, Schweden, Australien und Kanada das Feld an. Besonders beklagenswert ist die Situation von Frauen in Schwarzafrika. Jede 16. werdende Mutter stirbt dort an Schwangerschaftskomplikationen, jedes dritte Kind ist von Unterernährung bedroht.

Trotz seines glanzvollen Abschneidens bei diesem Vergleich und vorbildlicher Betreuung von Mutter und Kind ringt Kuba auch mit Problemen auf diesem Gebiet. Die Geburtenrate liegt seit 1978 unter der Sterblichkeitsziffer. Das ist dem in Havanna herausgegebenen Demographischen Jahrbuch zu entnehmen. Aus ihm geht hervor, daß die Zahl relativ spät gebärender Kubanerinnen ständig zunimmt, da immer mehr selbstbewußte, im Studium und am Arbeitsplatz erfolgreiche Frauen zunächst ihre akademische Ausbildung abschließen oder im Berufsleben Fuß fassen wollen, bevor sie eine Familie gründen und Kinder haben möchten. Dem Jahrbuch zufolge wurden 2010 bei insgesamt 127.746 Geburten mehr als 19.000 Kinder von Frauen im Alter zwischen 30 und 34 Jahren zur Welt gebracht, in über 11.500 Fällen waren die Mütter 35 bis 39 Jahre alt.

Wie man sieht, bringt die von Staat und Partei allseitig geförderte Emanzipation des unter der Batista-Diktatur und deren Vorgängern besonders diskriminierten weiblichen Bevölkerungsteils auch neue gesellschaftliche Probleme mit sich.

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Aus der Sicht des fünften Kontinents
Australische Generäle warnen vor Verstrickung in neue US-Strategien

Australien - der fünfte Kontinent zwischen Indischem Ozean und Pazifik - ist zum Objekt der Begierde Washingtons im Rahmen seiner militärischen Expansion in dieser Region geworden.

Mitte November 2011 erschien US-Präsident Barack Obama zu einem Kurzbesuch in Canberra. Anschließend gab die australische Labour-Regierung Julia Gillards bekannt, die Stadt Darwin an der Nordspitze des Landes solle fortan zur Basis für die auch als Ledernacken bezeichneten Marines des Pentagons werden. Zunächst sei nur an eine Vorhut von 250 Mann gedacht, die jedoch innerhalb der nächsten drei Jahre verzehnfacht werden könnte. Als weitere Pläne zur Nutzung von Häfen an der Westküste Australiens durch atomare U-Boote und Flugzeugträgerverbände der U.S. Navy sowie zur Stationierung von Drohnen auf den australischen Cocos-Inseln unweit Indonesiens durchsickerten, ersuchten australische Generäle im Ruhestand, aber mit Kampferfahrung in Korea und Vietnam die Gillard-Regierung, Forderungen aus Übersee nicht weiter nachzugeben, sondern auch das Neinsagen zu erlernen, wenn dieses im nationalen Interesse liege.

China sowie Australiens Nachbarstaaten Indonesien und Malaysia haben es nicht an Kritik im Hinblick auf die geplante US-Militärpräsenz fehlen lassen. Sollte eine der US-Drohnen von den Cocos-Inseln aus ohne Genehmigung indonesischen Luftraum verletzen, werde sie abgefangen, kündigte das Verteidigungsministerium in Djakarta an.

Auch die Philippinen stehen unter massivem Druck aus Washington. Sie sollen einer neuen US-Basis zustimmen, nachdem der Pinatubo-Vulkan im Juni 1991 die damalige Clark Air Force Base und das naheliegende Amüsierzentrum für GIs und Zivilangestellte mit dem Namen Angeles City unter seiner Lava und Asche begraben hatte.

Malaysia, wohin das Putrajaya-Forum - eine regionale Sicherheitskonferenz zu Verteidigungsfragen - einberufen wurde, hatte neben Chinas Verteidigungsminister, dem Präsidenten Indonesiens, Indiens Verteidigungsminister und anderen hochrangigen Vertretern der Region auch Rußlands Präsident Wladimir Putin eingeladen, während sich auf der Liste der offiziellen Sprecher nur die Namen zweier Waffenexperten aus den USA befanden. Von australischer Seite war der Armee-Oberkommandierende Generalleutnant David Morrison vertreten. Nach Auffassung von Prof. Graeme Gill, Experte der Universität Sydney, betrachten Malaysia und andere Nachbarländer Rußland als ein legitimes Gegengewicht zur US-Militärpräsenz im asiatisch-pazifischen Raum.

Neu sind amerikanisch-britische Ouvertüren gegenüber den Militärs in Myanmar (früher Burma), die 30 Jahre lang als westliche Reaktion auf deren Zusammenarbeit mit China bewußt übergangen worden waren. Das Handelsabkommen zwischen Myanmar und China, das 1988 unterzeichnet worden war, hatte den Bau von Öl- und Gasleitungen über 2500 Kilometer in das chinesische Yunnan eingeschlossen. Der plötzliche Aufstieg der nach 18jährigem Hausarrest in die offizielle Politik des Landes zurückgekehrten und vom Westen seit eh und je hofierten San Su Kyi signalisiert die sich vollziehenden Veränderungen. Die Strategie der imperialistischen Staaten zielt darauf ab, China den über Myanmar führenden Weg zum Indischen Ozean zu verlegen.

Weitere Informationen über neue US-Militärprojekte erwecken in Australien Besorgnis. Der "Verteidigungsplan", den US-Kriegsminister Leon Panetta am 27. Januar 2012 vorgelegt hatte, will Washingtons militärische Macht global projizieren, wobei konventionelle Streitkräfte eingeschränkt werden sollen. Er sieht für die U.S. Air Force eine 30prozentige Erhöhung des Bestandes an unbemannten Drohnen vor. Überdies soll die personelle Stärke der sogenannten Sondereinsatzkräfte wesentlich aufgestockt werden. Vorgesehen ist ein Zuwachs an sogenannten Mini-Basen rund um die Welt, wo lokale Satellitentruppen abgerichtet werden können und schnelles Eingreifen organisiert werden kann.

Die Strategie der Obama-Administration will größere Kriege durch kleine, schnelle und geheime Schläge ersetzen. Dies ist eine der Lehren aus Afghanistan, wo eine truppenintensive NATO-Präsenz fortan durch gut ausgebildete Einheiten aus dem Lande selbst weitgehend kompensiert werden soll.

Der terminus technicus seit Vietnam und Irak heißt Counterinsurgency. Er zielt auf Vertrauensgewinn bei der jeweiligen Bevölkerung und deren Unterstützung gegen "Aufständische". Bis heute ist es der NATO allerdings noch nicht gelungen, die afghanischen Taliban von der vermeintlichen Gutwilligkeit der ISAF-Okkupanten zu überzeugen und für westliche "Demokratisierungsvorhaben" einzuspannen.

Panettas neuer Plan betrifft auch das Verteidigungsbudget 2012/13 von über 650 Mrd. US-Dollar. Im kommenden Jahrzehnt wird eine Reduzierung angestrebt. Dennoch will das Pentagon den Bestand seiner "Sonder-Einsatzverbände" bis 2015 um zehn Prozent auf 70.000 Mann erhöht haben.

Die U.S. Air Force operiert z. Z. mit 61 Drohnen-Einsatzgruppen, die jeweils aus bis zu vier unbemannten Flugkörpern bestehen und rund um die Uhr in Marsch gesetzt werden können. Der US-Kongreß hat bereits der Anschaffung weiterer 30 000 dieser Mordinstrumente zugestimmt, was horrende Kosten verursacht. Pro Drohne werden 168 Mann Bodenpersonal benötigt, um sie 24 Stunden lang in der Luft zu halten, während 19 Analytiker anschließend das Videomaterial bearbeiten müssen.

Der frühere australische Armeechef Peter Leahy, heute Professor am Institut für Nationale Sicherheit der Universität Canberra, warnte davor, daß Nachgiebigkeit nur zu weiterem Druck aus den USA führen werde - vor allem aber zu Spannungen, wenn nicht zum Konflikt mit China. Ein anderer früherer Armeechef und Befehlshaber der UNO-Einheiten in Kambodscha, Generalleutnant a. D. John Sanderson, verwies darauf, daß Australiens Zukunft von der Entwicklung eines korrekten strategischen Verhältnisses zu seinen asiatischen Nachbarländern abhänge. "Wir leben hier!", sagte der erfahrene Militär.

Dr. Vera Butler, Melbourne

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Wessen Trojanisches Pferd ist die Moslembrüderschaft?

Nach einer ebenso "radikalen" wie geschickt in Szene gesetzten "antiamerikanischen" und "antiisraelischen" Kampagne, die ihr während des "Arabischen Frühlings" die Sympathien der Massen nicht nur Ägyptens eintrug, hat die in Kairo inzwischen zur Staatspartei gewordene Moslembrüderschaft nun das Steuer herumgerissen. Als neuen Todfeind machte die immer autoritärer auftretende islamistische Gruppierung nun das Syrien Präsident Assads aus. Sie rief unverfroren zur Einmischung in innersyrische Angelegenheiten auf. Parallel zu Israels Kriegsminister Ehud Barak schob sie Damaskus ohne nähere Untersuchung der Umstände das Houla-Massakers in die Schuhe und forderte "weltweites Eingreifen".

Der gleichnamige syrische Ableger dieser religiösen, zugleich aber auch sehr irdisch gepolten Vereinigung islamistischer Fundamentalisten ist tief in Operationen der vom Ausland gesteuerten "Freien Syrischen Armee" zur Zerschlagung des unabhängigen arabischen Staates verstrickt. Die Nachrichtenagentur Reuters nannte die Dinge beim Namen: In aller Stille hätten zu den "Rebellen" übergelaufene Deserteure der syrischen Streitkräfte bei der Moslembrüderschaft Rat und Unterstützung gefunden. Von Ägypten aus finanziere sie umfangreiche Waffenlieferungen für in benachbarte arabische Staaten und die Türkei geflohene syrische Armeeangehörige. In Syrien suchten die Moslembrüder, ihre alten Kontakte zu sunnitischen Kleinbauern und der städtischen Mittelklasse zu "revitalisieren".

In der Zeitschrift "The New Yorker" ließ der bekannte Kolumnist Seymour Hersh die Katze aus dem Sack. In seinem Beitrag "Die Umorientierung" stellte er fest, daß die Moslembrüder außer direkten Zuwendungen aus den USA und Israel vor allem massive Unterstützung von Saudi-Arabien und den reaktionären Golf-Emiraten erhalten. Schon im Herbst 2010/11 seien Beauftragte der Brüderschaft aus Libanon mit George W. Bushs einstigem Vizepräsidenten Dick Cheney in den USA zur Abstimmung einer gemeinsamen Strategie für den Sturz Assads zusammengetroffen.

Die Kursnahme der US-Administration auf die offiziell als "extrem antiamerikanisch" geltenden Moslembrüder reicht übrigens bis in das Jahr 2007 zurück. Dabei hat der zu den "Freunden eines unabhängigen Syrien" übergelaufene frühere Damaszener Vizepräsident Abdul Halim Khaddam eine Schlüsselrolle gespielt. Dieser bestinformierte Insider, der jetzt in Paris lebt, habe mit dem Wissen des Weißen Hauses erhebliche Zuwendungen vor allem aus Saudi-Arabien erhalten, berichtete Seymour Hersh in dem erwähnten Artikel. Ranghohe Vertreter einer von ihm damals zusammengezimmerten Syrischen Nationalen Errettungsfront seien durch Riad auch mit gefälschten Reisedokumenten versehen worden.

Auf die mit besonderer Vorliebe zur "Revolution" hochstilisierten und als "Arabischer Frühling" verkauften Ereignisse in Ägypten, die zum Sturz des Nassers Vermächtnis mit Füßen tretenden Präsidenten Hosni Mubarak führten, wurde langfristig hingearbeitet. Schon 2008 beriet man in New York mit dorthin eingeladenen künftigen ägyptischen "Protestführern" über "in Zukunft notwendig werdende Schritte". Die handverlesenen "Revolutionäre" wurden dann in den USA ausgebildet, ausgerüstet, finanziell ausgestattet und nach einiger Zeit in ihr Heimatland zurückgeschickt. All das geschah lange vor der erst 2010 offen zutage tretenden Destabilisierung des Mubarak-Regimes, die im Frühjahr 2011 in scheinbar ganz und gar spontanen Eruptionen des Massenprotests gipfelte.

Auch bei der Auswahl dem Westen genehmer Nachfolger Mubaraks legten die damit befaßten Washingtoner Experten ein Höchstmaß an "Flexibilität" an den Tag. Als neuen starken Mann suchten sie zunächst den ehemaligen Chef der in Wien angesiedelten Internationalen Atomenergiebehörde Mohamed El Baradei aufzubauen.

Dabei hatte sich dieser auftragsgemäß mit massiver Kritik an den USA und Israel in Positur zu setzen, um seinen Stellenwert im amerikanischen Spiel zu erhöhen. Als seine Förderer jedoch erkannten, daß dieser Vertreter elitärer Kreise der ägyptischen Bourgeoisie wohl kaum die notwendige Massenunterstützung erhalten würde, zogen sie ihn rasch wieder aus dem Verkehr. Um El Baradei loszuwerden setzten sie sogar das Gerücht in Umlauf, er sei vermutlich ein "verkappter iranischer Agent".

Tatsächlich sitzt El Baradei im Treuhänderrat der von maßgeblichen US-Finanzkreisen ins Leben gerufenen International Crisis Group Seite an Seite mit dem milliardenschweren Wall-Street-Spekulanten George Soros, dem scharfmacherischen Sicherheitsberater mehrerer US-Präsidenten Zbigniew Brzezinski, Israels Präsidenten Shimon Perez und ähnlichen Typen dieses Kalibers.

Auch der Council on Foreign Relations - ein US-"Denktank" für außenpolitische Weichenstellungen - befaßte sich schon im Jahr vor dem "Arabischen Frühling" mit strategischen und taktischen Erwägungen über einen Personentausch zur Absicherung des Systems. Sein Sprachrohr "Foreign Affairs" schrieb im März 2010: "Kairos enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sind ein kritischer und negativer Faktor in der ägyptischen Politik." So empfahl man der Moslembrüderschaft, weit deutlichere antiamerikanische Töne anzuschlagen, um mehr Einfluß auf die Masse der Ägypter zu erlangen. Inzwischen dürfte dieses Doppelspiel jedoch durchschaubarer sein. Es geht darum, den Haß immer breiterer Bevölkerungsschichten auf die USA und Israel durch radikale Verbalistik politisch aufzufangen und zugunsten von Kräften mit weitaus moderaterer Praxis zu kanalisieren. Daß dahinter eine Regie steckt, bei der die CIA-Zentrale Langley am Pult steht, liegt auf der Hand.

Wenn also die imperialistische Propaganda mit ihrem Eiapopeia von "Befreiung" und "Befriedung" des nordafrikanisch-mittelöstlichen Raumes aufwartet und dabei Damaskus ins Fadenkreuz nimmt, sollte man über Roß und Reiter Bescheid wissen.

RF, gestützt auf "The Guardian", Sydney, Information Clearing House

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Malwinen oder Falklandinseln?
Ein britisches Kolonialrelikt vor Argentiniens Küsten

Der große irische Erzähler Oscar Wilde schrieb einst über eine im Südatlantik 460 Kilometer von den Küsten Argentiniens entfernte Inselgruppe: "Es ist das Land der Zinndächer, der Schafe und von nicht viel mehr."

Gemeint waren die Islas Malvinas - ein aus zwei Hauptinseln und 776 Eilanden bestehender Archipel, den die britischen Kolonialisten unter Zurückweisung ihrer spanischsprachigen Benennung bis heute als Falklandinseln bezeichnen. Die meisten Menschen kennen nicht einmal den Namen dieser extrem schroffen "Ecke der Welt" - und noch weit weniger wissen sie, daß diese kein anderer als der berühmte Evolutionstheoretiker Charles Darwin als Erster gründlich erkundet hat. Ost- und Westfalkland sind noch immer eine Kolonie der britischen Krone, deren Gouverneur auch für "Verteidigung" und "Außenpolitik" der Inseln zuständig ist.

Schon der im Englischen und im Spanischen scharf divergierende Name des auf Ost-Falkland gelegenen Hauptortes - Port Stanley oder Puerto Argentino - signalisiert die Tiefe des Dauerkonflikts zweier Staaten, der sich 1982 zum offenen militärischen Schlagabtausch ausweitete. Damals erhob Argentinien offiziell Anspruch auf die Malvinas. Noch heute soll es auf den Inseln als Folge dieses Krieges 117 intakte Landminenfelder geben. Etwa 80 % davon bedeckt sandiger Strandboden, was ständige Verschiebungen ihrer Standorte zur Folge hat, so daß die Entfernung der aus Israel, Italien, den USA, Großbritannien und Spanien stammenden Sprengkörper auf enorme Schwierigkeiten stößt. Nach UNO-Angaben dürfte es sich im Ganzen um 20.000 bis 25.000 intakte Minen handeln.

Im Verlauf der letzten drei Jahrhunderte wurde der Archipel wiederholt von Seefahrern Portugals, der Niederlande, Frankreichs und Nordamerikas angesteuert, erkundet und reklamiert. Französische Siedler, die dort 1764 Fuß zu fassen suchten, nannten die Inselgruppe Les Malouines, woraus die Spanier Las Malvinas machten. Nur ein Jahr nach den Franzosen betraten britische Seeleute erstmals den Boden der Insel, wobei sie sich der Tatsache nicht bewußt waren, daß auf der anderen Seite des Eilands bereits französische Kolonisten lebten. 1833 landete die Royal English Navy auf den Falklandinseln, wo sie nur wenige Menschen antraf, die sich dort trotz der eisigen Winde vom Atlantik niedergelassen hatten. Obwohl die Malwinen/Falklandinseln - einer der unwirtlichsten und am meisten unterbevölkerten Flecken der Welt - außer verlockenden Stränden und einer bizarren Tierwelt keinerlei Attraktionen zu bieten hat, wurde unablässig um sie gestritten. Der Archipel - der Fläche nach mit Nordirland vergleichbar - ist nämlich neben seiner militärischen Bedeutung als Vorposten im Südatlantik auch ökonomisch recht lukrativ. Seit 1851 übt die Falkland Island Company (FIC) das Kommando über die Kolonialwirtschaft der Inseln aus, wobei sie den einheimischen Schafzüchtern Hungerlöhne zahlt, den Aktionären in Großbritannien aber satte Profite zukommen läßt. In etlichen Fällen hat die FIC den Farmern anstelle von Barleistungen sogar nur an Ort und Stelle einlösbare Vouchers ausgehändigt, um diese extra billigen Arbeitskräfte am Verlassen der Malwinen zu hindern. Die FIC besitzt zwar "nur" 46 % aller nutzbaren Flächen, ist aber Eignerin von 90 % der kommerziellen Infrastruktur. Bei all dem ist sie nur das Tochterunternehmen eines weit größeren britischen Chemiekonzerns.

Die Aufwendungen zur Verteidigung der britischen Kolonialfestung im Südatlantik sind das eigentliche Big Business. Jährlich gibt London dafür rund 70 Millionen Pfund aus. Auf jeden Bewohner der Falklands kommt mindestens ein dort stationierter britischer Soldat. So bilden mit den Streitkräften verbundene Aktivitäten auch die Haupteinnahmequelle der Einheimischen.

Der Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien, dessen Landeskinder schon 1838 von den Malwinen deportiert wurden, begann am 2. April 1982. Er leitete einen Prozeß gravierender ökonomischer Veränderungen auf dem Archipel ein. Seit dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen überwachen 8000 britische Soldaten und Schiffsverbände der Royal Navy den Gang der Geschäfte, die den Briten Riesensummen einbringen. Im Rahmen eines "Lizenzprogramms" werden unzählige im bereits überfischten Südatlantik rund um die Falklands navigierende Trawler aus Spanien und etlichen asiatischen Staaten rücksichtslos abkassiert. Eine weitere gigantische Einnahmequelle tut sich auf: Die erst 2011 erfolgte offizielle Einweihung der Sea-Lion-Ölfelder im küstennahen Bereich könnte in den kommenden Jahren bis zu 3,9 Milliarden Dollar an Steuer- und Zolleinnahmen in die britischen Kassen spülen.

So ist nicht auszuschließen, daß im weiter schwelenden Konflikt zwischen London und Buenos Aires früher oder später erneut die Kriegstrommeln geschlagen werden. Doch Argentiniens besonnene Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner kämpft heute auf diplomatischem Wege gegen das Relikt des britischen Kolonialismus. Sie führt Gespräche, um das Einlaufen britischer Schiffe in argentinische Häfen zu verhindern, Konzerne des eigenen Landes zum Abziehen ihrer in Londoner Banken "geparkten" Gelder zu veranlassen oder Sanktionen zu ergreifen und Handelsbarrieren zu errichten.

Am 5. März führte der konservative Londoner "Daily Telegraph" eine Meinungsumfrage unter seinen 650.000 Lesern durch. Das Blatt wollte wissen, ob Großbritannien die Falklands als Malwinen an Argentinien zurückgeben solle oder nicht. Über 55 % der Antwortenden sprachen sich für Rückgabe aus, 14 % erklärten demgegenüber, die Inselbewohner sollten per Referendum selbst entscheiden.

RF, gestützt auf "The New Worker", London

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Das weite Herz der Unitarier
Eine Kirche, die Darwins Entwicklungslehre anerkannte

Seit einiger Zeit unterhält der "RotFuchs" freundschaftliche Beziehungen zu einer durch ein hohes Maß an Toleranz beseelten Religionsgemeinschaft in Australien. Die Redaktion tauscht unser Blatt mit "the Beacon" (Leuchtfeuer) aus, einer Monatszeitschrift, die von der Melbourne Peace Memorial Unitarian Church herausgegeben wird und eine bemerkenswerte Weltsicht offenbart.

Bevor wir uns etwas eingehender mit Zielen und Inhalten der Unitarier vertraut machen, möchte ich dieser Betrachtung eine Episode voranstellen, die sich 1972 - vor 40 Jahren - in Kalifornien zutrug. Damals berichtete ich als Sonderkorrespondent des ND, dessen seinerzeitige Auflage 1,3 Millionen Exemplare betrug, monatelang aus dem Gerichtssaal des Prozesses gegen die afro-amerikanische Marxistin und Bürgerrechtskämpferin Angela Davis. Er fand in San Jose unweit von San Francisco statt.

Dort kam eines Tages ein ungewöhnlich aufgeschlossener und liberal gesinnter bürgerlicher Mann auf mich zu. Er schlug mir vor, ihn am folgenden Wochenende in das Universitätsstädtchen Santa Cruz am Pazifik - die spätere Wirkungsstätte der Professorin Angela Davis - zu begleiten. Dort wolle man ein örtliches Verteidigungskomitee für die Angeklagte von San Jose gründen.

Auf solche Angebote eingerichtet, stimmte ich zu und verbrachte ein spannendes Wochenende bei Tom und May Ray in Aptos. Dort hatten sich der frühere Heilpraktiker und seine architektonisch hochbegabte Frau ein selbstkonzipiertes Haus gebaut. Beim Begrüßungsmahl mit Freunden, das wir in einem mexikanischen Restaurant einnahmen, stellten sich mir alle Anwesenden als Mitglieder der Unitarian Church vor. Auf mein Eingeständnis, Atheist zu sein, beruhigte mich Tom mit der Versicherung, das mache überhaupt nichts, da auch sehr viele Unitarier zu einer eher irdischen Interpretation der Christus-Legende neigen würden. Anschließend fragte er mich, ob ich am nächsten Morgen - es war Sonntag - die Andacht in den Räumen ihrer Kirche halten wolle. Als ich etwas zögerte und auf einen Mangel an Erfahrung in solcherlei Dingen verwies, zerstreute Tom, der noch am selben Abend etwa 60 seiner Freunde versammelte, die "einen veritablen roten Exoten aus Ostdeutschland mal anfassen wollten", meine Bedenken. "Weißt Du was: Du sprichst einfach über Angela - das interessiert unsere Unitarier gegenwärtig am meisten." Und so hielten wir es dann auch.

Jahrzehnte später vermittelte die Melbourner RF-Korrespondentin Dr. Vera Butler einen freundschaftlichen Kontakt zwischen "the Beacon" und dem "RotFuchs".

Unitarier gibt es im Grunde genommen seit den Anfängen des Christentums. Ihre moderne Ausprägung erfuhr diese außergewöhnliche, längst weltweit bestehende Religionsgemeinschaft zunächst in Polen, Transsylvanien, Großbritannien und Nordamerika.

Die Unitarische Kirche konnte sich ohne Verfolgung durch andere Gruppen frei entwickeln. Auf ihren richtungweisenden Glaubenstagungen schrieb sie durch die Jahrhunderte ein hohes Maß innerer Demokratie fest. Nur die Unitarier an Ort und Stelle entscheiden über die Benennung oder Abberufung von Priestern und Predigern. Während sich andere Glaubensgemeinschaften in der Regel auf die jeweilige Ausbeuterklasse orientierten, setzten die Unitarier von Beginn an auf einfache Menschen. Sie duldeten stets abweichende Meinungen und erkannten Bewiesenes ohne Zögern an. Dabei unterwarfen sie sich niemals einschränkenden Dogmen ihrer Zeit. Das Bemühen um bürgerliche und religiöse Freiheiten, Bildung und Erziehung, örtliche Selbstverwaltung und ein hochwertiges öffentliches Gesundheitswesen gehörte zu ihren Prioritäten.

Mitglieder der Unitarian Church spielten - besonders im 18. und 19. Jahrhundert - eine Schlüsselrolle bei der Überwindung feudaler Strukturen und der Durchsetzung von Prämissen der industriellen Revolution, die dem modernen Kapitalismus den Weg bereitete. In diesem Sinne wirkten sie für die Einführung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie in Großbritannien.

Ihre Kirchen waren von Beginn an im umfassendsten Sinne Freikirchen. Niemand, der sich den Unitariern anschließen wollte, mußte zuvor ein Glaubensbekenntnis ablegen. "Wir denken nicht alle dasselbe, erwarten aber voneinander Ernsthaftigkeit bei der Suche nach der Wahrheit", stellte Peter Abrehart 1977 in einer unlängst vom "Beacon" veröffentlichten Rede fest.

Die Amerikanische Unitarische Kommission gab nach rassistischen Ausfällen anderer Religionsgemeinschaften schon 1934 eine bahnbrechende Stellungnahme zur Glaubensfreiheit ab, in der es u. a. hieß: "Freiheit ist keine vage und schlüpfrige Duldung jeglicher Ideen und Meinungen. Nicht alle Ansichten verdienen Respekt - gleich, ob in der Wissenschaft, der Politik oder der Religion.

Es gibt so etwas wie eine 'Disziplin der Freiheit' ... Wir sind nicht frei, unsere Nachbarn durch emotionelle Drohungen, physische Gewalt und Ausbrüche einzuschüchtern. Unsere Größe besteht im rigorosen Schutz aller ernsthaft Denkenden jeglicher Kultur oder Tradition überall auf der Welt. In unserer Kirche gilt als ungeschriebenes Gesetz, daß niemand wegen der Unabhängigkeit seines Denkens und Gewissens ausgeschlossen werden darf, selbst wenn er damit im Augenblick ganz allein dastehen sollte."

"Die Unitarier fordern von ihren Mitgliedern nicht uniformierte Ansichten über Gott, die Unsterblichkeit oder die Bibel. Sie akzeptieren menschliche Vernunft und wissenschaftliche Beweise. Jeder von ihnen muß bereit sein, seine Ansichten im Lichte neuer Erkenntnisse zu überprüfen. ... Sie haben keine Angst vor der Wissenschaft."

"Daher waren die Unitarier wohl auch die einzige organisierte Glaubensgemeinschaft ihrer Zeit, die Darwins Entwicklungslehre ausdrücklich anerkannte.

Sie bemühen sich um weltumspannende Brüderlichkeit, die nicht durch nationale, rassische oder religiöse Schranken getrennt wird", schrieb "the Beacon".

Noch ein Wort zu unseren Freunden aus Melbourne. Ihre Kirche entstand 1852. Seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, besonders aber nach dem Ersten Weltkrieg, mischten sie sich zunehmend in soziale und politische Auseinandersetzungen ein. Einer ihrer Geistlichen, Rev. Victor James, mobilisierte die Gemeinde entschlossen gegen eine australische Variante des McCarthyismus in den schlimmen Zeiten der extrem reaktionären Menzies-Regierung und während des Vietnamkrieges, als Australien zur wichtigsten Nachschubbasis der US-Aggressoren wurde.

Heute stehen unsere Freunde von der Melbourne Unitarian Peace Memorial Church in den vorderen Reihen des Kampfes gegen Ausbeutung, Armut und Krieg.

Klaus Steiniger

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Aufspielen für Gabriel García Márquez

Seinen 85. hat Gabriel García Márquez bereits am 5. März begehen können. Eine Gratulation käme da wohl zu spät. Deshalb spielen wir einfach für ihn auf. Warum?

Bisher war uns der Autor des Romans "Hundert Jahre Einsamkeit" - das wohl berühmteste Werk des kolumbianischen Literaten und großen Freundes der kubanischen Revolution - nur als Verfasser ebenso einfühlsamer wie zupackender Texte bekannt. Seitdem ihn aber die in Havanna erscheinende "Granma" ihren Lesern unter der Schlagzeile "Ein begeisterter Musikliebhaber" in einer weiteren Dimension vorgestellt hat, interessieren wir uns auch für diese Seite im vielgestaltigen Schaffen des lateinamerikanischen Literatur-Nobelpreisträgers.

Seit den 40er Jahren hatten sich hochtalentierte junge Leute in einer bekannten Bücherei des kolumbianischen Barranquilla und später im städtischen Literatur-Café "La Cueva" regelmäßig getroffen. Zu ihnen stellte der Schriftsteller enge Beziehungen her. Nachdem er sich im Januar 1950 aufgrund einer schweren Erkrankung zeitweilig von der Gruppe hatte zurückziehen müssen, veröffentlichte er tägliche Kolumnen im "Heraldo de Barranquilla".

Viele Jahre später bewegten den Autor von "Der Herbst des Patriarchen" (1975), "Die Liebe in den Zeiten der Cholera" (1985) und "Der General in seinem Labyrinth" (1989) nostalgische Gedanken, wenn er an seine musikbeflissenen Freunde zurückdachte. Er erinnerte sich dann an einen Ausspruch Che Guevaras, der einmal am Lagerfeuer gesagt hatte, Nostalgie beginne beim Essen. Das sei zwar richtig, doch müsse man auch entsprechenden Hunger haben, meinte der Schriftsteller. Dabei stehe eines fest: Nostalgie werde stets durch Musik ausgelöst. Dafür hat García Márquez immer geglüht. "Ich bin ein Freund der Sänger. Ich bin gerne in der Welt der Musiker", bemerkte er. "Wenn ich mit meinen Freunden zusammen bin, gibt es nichts, was ich lieber täte, als über Musik zu sprechen." Und er gestand: "Ich besitze mehr Platten als Bücher."

Musik sei für ihn alles, was erklinge. Besser als Musik sei nur ein Gespräch über Musik.

In seinem Haus in Mexiko, wo García Márquez lebt, hört er Melodien aus der ganzen Welt, besonders aber aus der Karibik. "Meine Lieblingsmusik ist jene, welche ihren Ursprung unmittelbar im Volk hat. Ich bin dem Volkstümlichen verbunden. Auch wenn ich den Gipfel des Ruhms erklommen habe, erhebe ich mich niemals über das Volk."

Zu einem Mann dieser Gesinnung und Gesittung kann man den Kolumbianern, allen Völkern Lateinamerikas und uns selbst nur gratulieren. Also doch: Herzlichen Glückwunsch - wenn auch im Nachtrab der vielen Verehrer!

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Anatolien: Wo manche Mädchenaugen unter Kopftüchern selbstbewußt blitzen

Ich war schon mehrere Male dort ..." lautet oft die Antwort auf die Frage, ob jemand die Türkei kenne. Meistens wird aber damit nur die Mittelmeerregion gemeint, die Badestrände mit ihren Hotels und den deutsch sprechenden "Gasteinwohnern".

Auf die Frage, wo Anatolien liege, erhält man eher spärliche Antworten.

So zogen wir aus, um uns an Ort und Stelle umzusehen. Es zeigte sich, daß Anatolien tatsächlich in der Türkei als Ostanatolien, Südostanatolien und Zentralanatolien zu finden ist, soweit es die politischen Grenzen betrifft. Aber seine Geschichte und seine Traditionen richten sich nicht nach diesen willkürlichen Grenzen. Über Jahrhunderte mit den heutigen östlichen und südlichen Nachbarn der Türkei eng verknüpft, prägten die Anatolier eine Kultur, die sich von der westlichen, ja auch der kleinasiatischen doch stark unterscheidet.

Ob wir das wahre Anatolien fanden? Wir wissen es nicht. Aber wir begegneten Menschen, von denen wir glaubten, daß sie wie wir dachten und fühlten, und die dann doch andere Seiten offenbarten. Wir stießen nach und nach auf Überlieferungen, von denen wir fest annahmen, es gäbe sie nicht mehr. Wir standen vor über 8000jährigen steinernen Zeugen einer Geschichte, deren letzte Geheimnisse immer noch nicht entschlüsselt sind. Wir bewegten uns auf einer Erde, die sich durch todbringende Machtkämpfe vieler Völker mit Menschenblut vollgesaugt hat. Erschrocken stellten wir fest, daß rohe Gewalt immer noch ein Mittel zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte ist.

Der Ansturm aus dem Westen auf eine Lebensauffassung, die sich nur schwer vom Althergebrachten zu trennen vermag und eine beiderseitige Intoleranz gegenüber Andersdenkenden bilden eine nicht mühelos zu überwindende Kluft.

Doch zwischen all diesen Dingen liegt eine freundliche Herzlichkeit, eine innere Schönheit, die derjenige erkennt, der sie sucht. Manche Mädchenaugen blitzen auch unter Kopftüchern den Fremden selbstbewußt an, viele der dunkeläugigen, schwarzbärtigen jungen Männer überlassen den Müßiggang anderen, und Nachkommen in den 60er Jahren nach Deutschland Ausgewanderter sehen in der Heimat ihrer Eltern jetzt zunehmend eine Zukunft.

Die Landschaft mit ihrer teils urtümlichen Wildheit, ihren kahlen, farbigen Schluchten, gestauten Flüssen und Seen, uralten und auch neuen Klöstern wie Gotteshäusern, ihren Ruinen von Burgen und Schlössern, unter der Oberfläche schlummernden, aber sich mehr und mehr zu erkennen gebenden Schätzen, ist nicht nur der Hintergrund zu diesem Bühnenbild der anatolischen Gesellschaft. Von der Hauptstadt des ehemaligen Kaiserreiches Trabzon nahmen wir unseren Weg entlang der Grenze zu Georgien, Armenien, Iran, Iraks Autonomer Region Kurdistan und Syrien. In der zentralanatolischen Stadt Ankara - seit 1923 Hauptstadt der Türkei - endete unsere mit überreichen Eindrücken versehene Reise.

Trotz aller theoretischen Vorbereitungen ergab dieses Erleben für uns ein völlig neues Bild, das oft erst im nachhinein entschlüsselbar ist. So konnten wir von Anatolien, der Schönen, den Schleier ein wenig lüften und ihren Glanz wie ihre Anmut erahnen.

Daraus ergibt sich auch, daß unser Buch kein Reiseführer im üblichen Sinne ist, sondern eine sehr persönliche Betrachtung der bei dieser "Expedition" erlebten Welt.

Ich hoffe, daß die RF-Leser bei der Erkundung des im verborgenen blühenden Gartens unseren Wissensdurst, unsere Ängste und unsere Freuden wie unsere Zuversicht teilen werden.

Heinz Scharf, Neuenhagen


Heinz Scharf: Anatolien, Du Schöne, Shaker-Media 2012, 280 Seiten, umfangreiches Quellenverzeichnis, 23 ganzseitige Farbfotos, 22,90 Euro, ISBN 978-3-86858-850-7,

bestellbar über www.fototheater-hautnahes.de oder direkt beim Autor: info@fototheater-hautnahes.de

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Was geht mich Friedrich der Große an?

Am 24. Januar 1712 wurde dem Hohenzollern-Prinzenpaar Friedrich Wilhelm, der dann als "Soldatenkönig" in die preußische Geschichte einging, und Sophie Dorothea ein Sohn geboren, der den Namen Friedrich bekam. Wenn dieses Ereignis für dessen Eltern Glück bedeutete, Hunderttausenden jungen Menschen, die der spätere König Friedrich II. in seinen Raubkriegen abschlachten ließ, brachte es Unglück. Eigentlich hatte er ja ein guter König und der erste Diener seines Staates sein und nur den europäischen Zentralmächten Frankreich und Rußland, vor allem aber Österreich zeigen wollen, wer fortan Herr im kontinentalen Hause sein würde. So bejackt sind doch auch heutzutage manche Leute. Doch für Friedrich hieß das zunächst einmal, aus Preußen eine militärische Großmacht entstehen zu lassen, um der österreichischen Kaiserin Maria Theresia Schlesien zu entreißen, das deren Papa wiederum den Polen abgenommen hatte. Das gelang im Siebenjährigen Krieg, der etwa fünfhunderttausend Menschen das Leben kostete. Selbst 13- bis 14-jährige Kadetten hatten für "ihren vom Volk geliebten König" den "Heldentod" zu sterben oder wurden für den Rest ihres Lebens verstümmelt.

Heute werden vor allem rührselige Heldenepen wieder aufgewärmt: Wie der Prinz unter seinem strengen Vater zu leiden hatte, der den jungen Mann dazu zwang, der Enthauptung seines engsten Freundes Katte beizuwohnen, welcher dem kleinen Fritz bei dessen Flucht vor seinem ihn ewig prügelnden Papa geholfen hatte. Beliebt sind auch die Legenden, "Friedrich der Große" habe jeden nach seiner Fasson selig werden lassen, die Flöte beherrscht und seine "Windspiele" geliebt. Nach den guten Zeiten seiner Freundschaft mit dem großen französischen Philosophen Voltaire habe ihn im Alter der Rheumatismus geplagt, so daß er bis zu seinem Tode im Jahre 1786 nur noch ein einsamer "Alter Fritz" ohne Nachkommen gewesen sei.

Solches und ähnliches erzählt man auch heute dem bier- und rührselig staunenden Volk nicht nur in bunten Journalen. Das zeigt natürlich Wirkung: "Na, so schlecht war der Alte Fritz doch gar nicht. Immerhin hat er Kartoffeln anbauen lassen, das Oderbruch trockengelegt (er selbst?), die Schulpflicht eingeführt und "fremde Landeskinder" eingebürgert. So etwas nennt man Traditionspflege.

Ein mit Friedrich II. verbundenes Erlebnis haftet mir noch heute im Gedächtnis. Rund 220 Jahre nach dem preußischen Prinzen kam ich in einer proletarischen Berliner Kellerwohnung zur Welt. Mein antifaschistischer Vater wurde später von einem Verehrer Friedrichs II. namens Adolf Hitler ins Zuchthaus Brandenburg/Görden geworfen. Nach seiner Entlassung Ende der 30er Jahre unternahm unsere ganze Familie einen einzigen Ausflug. Das Ziel war Potsdam. Vater wußte sehr viel über die alte preußische Garnisonsstadt zu erzählen. Der "Große König" sei eher ein kleiner Mann gewesen, meinte er. Groß gemacht habe Friedrich II. die damalige "Streusandbüchse", wie Brandenburg aufgrund seiner trockenen Kiefernwälder genannt wurde.

Durch seine mörderischen Kriege sei das anfangs recht unbedeutende Königreich in einen militärischen Faktor von kontinentaler Bedeutung verwandelt worden, der die Grundlage für den preußisch-deutschen Militarismus gebildet habe. Doch das blieb bei den diesjährigen Huldigungsreden natürlich unerwähnt.

Wir aber hatten damals unseren Spaß mit den Riesenpantoffeln im Schloß Sanssouci, die man über die eigenen Schuhe ziehen mußte, um die Parkettböden zu schonen. Das finden die großen und kleinen Besucher auch heute noch lustig. Anschließend führte unser Ausflug zur Garnisonkirche. In deren Gewölben "ruhten" die "Gebeine" des "Alten Fritz". Auf unsere Fragen, was denn Gebeine seien, erklärte Vater den Unterschied: Bei einfachen Menschen spreche man von Skelett oder Gerippe, so auch bei den etwa zweihunderttausend toten Soldaten Friedrichs II., die in dessen Kriegen mit einem "Hurra" auf den Lippen ihr Leben hatten lassen müssen. Bei Majestäten und anderen "Großen" bezeichne man die Knochen hingegen als Gebeine.

Interessanter ist auch für später Geborene die Geschichte der Garnisonkirche mit ihrem schönen Glockenspiel "... Üb immer Treu und Redlichkeit ...". Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gotteshaus von anglo-amerikanischen Bombern in Schutt und Asche gelegt. Heute will man naiven oder ahnungslosen Leuten weismachen, der Kommunist Walter Ulbricht habe als DDR-Staatsratsvorsitzender die Garnisonkirche so mir nichts, dir nichts sprengen lassen. Es wurde jedoch nur die Restruine beseitigt, um Platz für den Neuaufbau in Potsdam zu schaffen.

Mit den Trümmern entsorgte man zugleich auch ein Symbol preußischer Expansionspolitik und der Auslieferung der Weimarer Republik an Hitler durch den "greisen Feldherrn" Hindenburg, ihren letzten Präsidenten.

So haben wir schon vor 70 Jahren bei unserem Vater proletarischen Geschichtsunterricht genossen. Doch wer sagt jungen Leuten unserer Tage noch die Wahrheit?

Heute wird unter SPD-Führung in Brandenburg das "Preußentum" wieder gehegt und gepflegt. Das begann in den 90er Jahren mit einer kleinen Spaßtruppe aus zusammengelesenen "Langen Kerls" in prächtigen Uniformen, die auf den Schlachtfeldern niemals so glanzvoll ausgesehen haben dürften.

Eines Tages wurden die "Gebeine" von Friedrich II. durch Bundeskanzler Kohl und dessen Gefolge von irgendwo hergeholt und am Schloß Sanssouci mit Pomp und Gloria beigesetzt. Seine "Windspiele" erfuhren ebenfalls postmortale Weihen. Auf immer mehr Plätzen und an Gebäuden im Bundesland Brandenburg stieg zunächst der "Rote Adler" und in dessen Gefolge zugleich auch der an die Nazis erinnernde schwarze Vogel unter Heimatklängen wieder auf.

Das weckt Erinnerungen an Heinrich Heines "Wintermärchen". Der schrieb 1844:

Zu Aachen, auf dem Posthausschild,
Sah ich den Vogel wieder,
Der mir so tief verhaßt! Voll Gift
Schaute er auf mich nieder.

Du häßlicher Vogel, wirst du einst
Mir in die Hände fallen,
So rupfe ich dir die Federn aus
Und hacke dir ab die Krallen.

Du sollst mir dann, in luft'ger Höh'
Auf einer Stange sitzen,
Und ich rufe zum lustigen Schießen herbei
Die rheinischen Bogenschützen.

Doch "das Volk" hält sich weder an Heine noch an Joachim Ringelnatz, der zum "Alten Fritz" auch noch etwas Hübsches beizusteuern wußte, als er schrieb:

Es war eine Schnupftabakdose,
Die hatte Friedrich der Große
Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war sie natürlich stolz.

Da kam ein Holzwurm gekrochen,
Der hatte Nußbaum gerochen.
Die Dose erzählte ihm lang und breit
Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.

Sie nannte den alten Fritz generös.
Da aber wurde der Holzwurm nervös
Und sagte, indem er zu bohren begann:
"Was geht mich Friedrich der Große an!"

Klaus J. Hesse, Berlin

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Sinnsuche im Bilderchaos
Gedankenordnen nach der 13. Kasseler Documenta

Um es vorwegzunehmen: Das Hingehen, Hinsehen und die nötige Ausdauer dabei haben sich allemal gelohnt. Denn was über 300 Künstlerinnen und Künstler vieler Länder bis Mitte September in Kassel gezeigt haben, ermöglichte dem Betrachtenden die sinnbildgebende Konfrontation mit der Welt in ihrem besorgniserregenden Zustand. Die Ausstellungsmacher hatten die Schau unter das Motto "Zusammenbruch und Wiederaufbau" gestellt. Wer sich offenen Sinnes darauf einließ, konnte in der dOKUMENTA (13) gefühlte Ängste und erlebte Zusammenbrüche von Künstlerhand und -geist bestätigt finden. Humane Zukunftsvisionen und aufbauende Überlegungen hingegen blieben weitgehend unauffindbar.

Einmal in fünf Jahre können Kulturinteressierte in Kassel die bildlichen Äußerungen bedeutender Kreativer aus aller Welt zur gesellschaftlichen Gegenwart betrachten, bedenken und beurteilen. Das Credo der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev mag politisch aktive, kritische Menschen überaus neugierig gemacht haben: Eintreten könne der Besucher in "Gebiete, in denen Politisches untrennbar ist von einem sinnlichen, (...) weltgewandten Bündnis zwischen der aktuellen Forschung auf verschiedenen (...) Feldern und anderen historischen ebenso wie zeitgenössischen Erkenntnissen". Was also haben schöpferisch begabte Zeitgenossen, die frei von Entfremdung ihr innerlich Gewußtes und Gespürtes in wahrnehmbare äußere Formsprache übersetzen, uns Alltagsmenschen über das Politische und das Erkennbare mitzuteilen?

Von hohen Erwartungen beflügelt, betrat der oder die Sinnbildsuchende die gut frequentierten Säle des Friderizianums und der Documentahalle, der Neuen Galerie, das Ottoneum, die Orangerie und die zahlreichen umhausten Räume in der Karlsaue. Ich selbst hatte mich mit dem Vorsatz gewappnet, gesellschaftspolitische Aussageverknüpfungen besonders zu beachten und mich um deren Entschlüsseln zu mühen. Und ich empfand das Erlebnis dOCUMENTA (13) als bereichernd und faszinierend. Da kommt zum Beispiel die Frage nach dem Sinn, dem Unsinn und der Perversion von Kunst in der kapitalistisch marktförmigen Käuflichkeit zur Sprache: Drucke Hunderter Zeichnungen und Collagen hängen als perforierte Zettel an der Wand samt ausdrücklicher Aufforderung zum Abreißen und Mitnehmen. In jeweils eigener Handschrift formulieren Bild-, Aktions- oder Videoinstallationskünstler das drängende Problem der bedrohlichen, gewinnbesessenen kapitalistischen Ressourcenplünderung. Kostbare Muttererde in Goldbarrengestalt formgepreßt und als geologische Schichtung im Reliquienschrein. Ein Appell, das Lebensmittel Wasser wertzuschätzen, in multimedialer Schullehrmitteldarstellung - oder als 3-D-Modell einer Abwasser produzierenden Siedlung, gebaut aus Acryl und Naturmaterialien. Bewegt nahm der Ausstellungsgast wahr, wie das alte humanistische Thema der Anklage gegen den Krieg wiederkehrt: Ein interaktives Bilderbuch - Synthese aus traditionellen und neuen Medien - links auf den aufblätterbaren Seiten handgedruckt ein authentischer Erlebnisbericht, rechtsseitig visualisiert ein Projektor per Bewegtbild die Greueltaten marodierender Söldnertrupps in afrikanischen Dörfern. Oder ein Raum mit altkolonialen Originalobjekten; den afrikanischen Kultmasken zugeordnet die Porträtfotos entsetzlich entstellter, kriegsversehrter Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Ein Video mit drastischen Schlacht- und Sterbeszenen, verfremdet durch traditionelle Fadenmarionetten und zeitlich entrückt auf einen mittelalterlich-kreuzritterlichen Kampfschauplatz. Vielfach reflektiert auch die Verwirrung in der medial überfluteten, technokratisch durchherrschten Lebenswelt: Da hängen zum Beispiel 300 mit scheinbar wahllosen Bildmotiven fotorealistisch bemalte Tafeln dicht an dicht in einem Raum. Oder das 12 Meter groß wiedergegebene Bild eines Flugzeuges: Es läßt beim Nähertreten die postkartengroßen "Pixel" erkennen, jedes wiederum das Flugzeugmotiv in die Mikrostruktur fortschreibend. Überdies ein 40 Meter langes, umgehbares Objekt mit Zigtausenden aus Illustrierten-Jahrgängen entnommenen Figuren, die an Schilfhalmen kleben.

Das große Wort Freiheit - es gewinnt schrift- und klangliche Gestalt: Die Rauminstallation zeigte an den Wänden die Texte Hunderter Freiheitslieder vieler Sprachen und Völker, von "Bella Ciao" über "Warschawjanka" und "Katjuscha", "El pueblo unido" bis hin zu "Die Gedanken sind frei". Ein als alte Jukebox aufgemachter CD-Player forderte zum Auswählen und Abhören auf. Auf der Wiese vor dem Friderizianum geriet per "Occupy Documenta" der Wahnwitz des gemeingefährlichen Finanzkapitals in den Blick. Da standen in Reihen weiße Zelte, vorderseitig mit den Begriffen der biblischen sieben Todsünden und auf der Rückseite mit Worten aus Schlagzeilen des real existierenden Kapitalismus beschriftet: Ressourcenraub, Flüchtlingselend, Arbeitslosigkeit. Daneben hatten Antifa-Aktivisten ihr buntes Protestcamp errichtet.

Anders als noch 2002 und 2007 bevorzugte der überwiegende Teil der Ausstellenden eine an der Realität orientierte, nichtabstrakte Formsprache. Die existentiellen Probleme der Welt waren in der Ausstellung benannt, bebildert, chiffriert oder unverschlüsselt, skandalisiert oder objektiviert. Doch nirgends eine Vision. So blieb der Gesamteindruck für marxistisch vorgebildete Ausstellungsbesucher enttäuschend, zumindest aber unvollständig.

Auch bürgerliche Humanisten mögen ihn vermißt haben - den Anspruch der Kunst als Aufforderung zum Mutfassen und selbstmächtigen Eingreifen in die ureigenen Geschicke des Menschen als gesellschaftliches Wesen. Wer die Entsprechung solcherart denunzierender Aufkündigung der europäisch-aufklärerischen Mission in der Philosophie sucht, kommt vielleicht bei Peter Sloterdijk auf eine Spur - jenem reaktionären Leugner von progressiver Wirkungsgeschichte der Aufklärung und staatlicher Pflicht zum sozialen Ausgleich. Seine "zynische Vernunft" ist Inbegriff des höhnisch-absichtsvollen Verzichts auf soziale Zielverfolgung.

Die diesjährige dOKUMENTA (13) - als bedeutendste Schau zeitgenössischer Kunst weltweit erachtet - blieb die wichtigste Botschaft schuldig: Wie verändern wir die schadhafte Welt zum Besseren?

Marianne Walz, Gernsheim

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Warum ist Spinat gesund?

Wir alle kennen das: Wenn sie die Welt zu erkunden beginnen, stellen uns Kinder immer wieder die Frage: Warum? Warum scheint die Sonne? Warum bin ich nicht groß? Warum ist Spinat gesund? Lassen wir uns darauf ein und versuchen es mit ihnen.

Warum sind unsere Löhne niedrig? Weil wir ausgebeutet werden. Warum sind die Renten bei uns so schmal? Weil wir ausgebeutet werden. Und warum werden wir ausgebeutet?

Warum wurden die Banken privatisiert? Warum wurden die Genossenschaften und die staatlichen Betriebe liquidiert? Warum importieren wir heute mehr als die Hälfte aller Nahrungsmittel, obwohl wir uns zuvor selbst versorgen konnten? Warum zahlen wir jetzt für Medikamente, die im Sozialismus kostenlos waren? Warum blechen wir für die Ausbildung, die vorher für jedermann frei war?

Warum sind wir in der NATO? Warum stimmten wir der Bombardierung Jugoslawiens zu? Warum unterstützen wir die USA bei ihren Aggressionen in aller Welt? Warum haben die Leute Angst, am Arbeitsplatz ihre Meinung zu sagen? Warum?

Warum zahlt die Kirche keine Steuern? Warum haben wir so viele Zeitungen und Zeitschriften, die zu lesen sich nicht lohnt? Warum haben wir im Fernsehen so viele stupide Programme? Warum machen sie aus uns Idioten? Warum?

Warum arbeiten unsere Frauen und Mädchen als Mägde auf der ganzen Welt? Warum finden sie zu Hause keine Arbeit? Weil hier alles zerrüttet ist. Aber warum ist alles zerrüttet? Weil wir jene Weisen wählten, die uns heute regieren. Warum wählten wir sie dann? Weil man uns erzählte, daß die Kommunisten unser Volk schlecht geführt haben. Warum sollen sie uns schlecht geführt haben, wo doch jeder eine auskömmliche Arbeit, eine bezahlbare Wohnung, soziale Sicherheit, unentgeltliche Gesundheitsfürsorge, kostenfreie Bildung und eine heute kaum noch vorstellbare kulturelle Vielfalt hatte? Und warum war das so? Weil es dem Wesen des Sozialismus entspricht! Und warum wollen wir den Sozialismus nicht wieder? Weil wir Idioten sind. Und warum sind wir Idioten?

Weißt du was, geh und und nerv die Mutter weiter mit Deinen Fragen!

Dr. Michal Dienes, Michalovse (Slowakei)

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"Aufhebung" Nr. 1 erschienen

In Salzburg (Österreich) ist unlängst die erste Ausgabe der "Aufhebung" - Zeitschrift für dialektische Philosophie - herausgekommen. Die dem Andenken an Hans Heinz Holz gewidmete marxistische Publikation ist unter www.dialektik-salzburg.at im Netz zu finden und unter redaktion@dialektik-salzburg.at oder bei der Salzburger Gesellschaft für dialektische Philosophie z. Hd. Stefan Klingelsberger, Franziskanergasse 1, A-5020 Salzburg, zu bestellen

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Erbeutete DDR-Kunstwerke auf Burg Beeskow

Auf Burg Beeskow im Brandenburgischen sind etwa 23.000 von der BRD geringschätzig und abwertend als "Auftragskunst" bezeichnete Werke konzentriert worden, die sich zum Zeitpunkt der Annexion der DDR durch den imperialistischen deutschen Staat im Besitz von Betrieben, Einrichtungen und Organisationen befanden. Ein entsprechendes Dokumentationszentrum wird im Rahmen der Burgrestaurierung dringend benötigt. Um die Aufbringung der dafür erforderlichen Mittel geht der Kampf derer, die sich dafür engagieren.

Ich hatte bereits die Möglichkeit, einen Blick in das derzeitige Archiv zu werfen, aber auch als selbst Malende Ausstellungen zu verschiedenen Themen auf der Burg in Augenschein zu nehmen. Mein Interesse war groß, entstanden die Bilder und Skulpturen doch in meiner Kindheit und Jugend sowie in der Zeit meines jungen Erwachsenseins.

Größtenteils haben die Aussteller bekannte Werke gewählt. Schautafeln sprechen korrekt von "Kunst aus 40 Jahren DDR". Doch einzelne thematische Wegweiser "Sozialistischer Realismus und neuer Mensch? (50er Jahre)", "Heile Welt im Schatten der Berliner Mauer - Ankunft im sozialistischen Alltag? (60er Jahre)", "Moderne als Erbstück und Ende der Schönmalerei? (70er Jahre)", "Agonie des Staates und Verweigerung von Gehorsam und Gefolgschaft? (80er Jahre)" und "Epilog" lassen erahnen, was hier beabsichtigt ist. Im Ausstellungskatalog war beispielsweise zu lesen: "Seit 1946 wird nach dem Willen Stalins und der KPD der sozialistische Realismus als Schaffensmethode und der neue Menschentypus als Zielsetzung verordnet." Neben dem "verordneten Antifaschismus" gab es also auch den "verordneten sozialistischen Realismus"! Weiter liest man dort: "Die Figur des werktätigen Menschen wird zur Ikone, zum Helden der sozialistischen Bewegung stilisiert."

Mehr Polemik dieser Art ist im Katalog angesagt. Die Losung "Kunst ist Waffe" wird als "linkes Vehikel aus der Weimarer Zeit" karikiert. Da ist vom "ideologischen Diktat der kommunistischen Partei und der politischen Indienststellung der Malerei", "vom sogenannten Bitterfelder Weg" und "einer streng reglementierten Auftragspolitik ­... der allmächtigen Partei" die Rede. "Der Weggang vieler Künstler" habe "deutlich signalisiert, daß das Projekt einer sich abgrenzenden sozialistischen DDR-Nationalkultur zum Scheitern verurteilt" gewesen sei. Dann wiederum heißt es: "Bis zum Ende der DDR entstehen Bilder, die in der europäischen Tradition stehen, von der Lust am Malen und von dem Traum, das Leben durch Bilder verändern zu können, bestimmt sind."

Diese Mischung aus gewollter Abwertung und unverhohlenem Staunen erinnert verblüffend an die berühmte Fabel vom Fuchs und den Trauben.

Der Text des Ausstellungskatalogs trägt das Signum von Herbert Schirmer, des Kulturministers der Noch-DDR. Der gelernte Maschinist, Journalist und Kunsthistoriker war sieben Jahre Burgdirektor in Beeskow. Bei ihm findet man kein einziges Wort über die Entstehungsgeschichte der ausgesuchten Bilder.

Fast vom selben Jahrgang wie Herbert Schirmer, muß ich konstatieren, daß er sich in seinem früheren Leben wohl nie für die eigentlichen Grundlagen dieser Kunst - sozialistischer Ideengehalt, proletarische Parteilichkeit und Volksverbundenheit - interessiert haben dürfte. Auf ihnen beruhte die Vielfalt von Themen, Inhalten, Stilarten, Formen und Gestaltungsweisen. Der sozialistische Realismus nahm aktiv an der Heranbildung sozialistischer Persönlichkeiten, der Steigerung ihres Lebensgefühls und der Ausformung ihrer Schönheitsvorstellungen teil. Das setzte bei den Kunstschaffenden eine gründliche Kenntnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit und ein entsprechendes Niveau des politisch-philosophischen Denkens voraus. Nur so waren sie dazu imstande, das Wesen der Entwicklungsprozesse in deren Vielschichtigkeit und Konflikten tiefer zu durchdenken und richtig zu bewerten. Denn die Kunst ist ihrem Wesen nach - in den Worten von Marx - "eine besondere Weise der Produktion" und zugleich "Form des gesellschaftlichen Bewußtseins".

Auch der Künstler der DDR war ein Arbeiter, der mit seinen Werken zur Befriedigung der Bedürfnisse aller beitrug und sich dem Frieden, dem Humanismus, der Demokratie, der antiimperialistischen Solidarität und dem Sozialismus verpflichtet fühlte.

Wer meint, das auf Burg Beeskow zusammengetragene und bruchstückhaft der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Kunstschaffen der DDR für die Verunglimpfung des sozialistischen deutschen Staates nutzen zu müssen, sollte einen Blick in die Gästebuch-Eintragungen werfen. Sie weisen solche Eskapaden mehrheitlich zurück. Als Fazit kann ich - ungeachtet einschränkender Bemerkungen - die Besichtigung von Ausstellungen an diesem Ort empfehlen.

Cornelia Noack, Beeskow

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Wer im trüben fischt, angelt nur alte Hüte

Cornelia Noack aus Beeskow sei herzlich gedankt, daß sie ehrlich und ungeschminkt ihr normales Aufwachsen und Leben in der sozialistischen DDR beschrieben hat. Solche Erinnerungen sind nützlich und notwendig.

Die tonangebenden bürgerlichen Medien versuchen immer wieder, einseitig und nur anhand von ausschlachtbaren Einzelfällen oder unglücklich verlaufenen Lebenswegen den Alltag in der DDR als unmenschlich darzustellen. Inzwischen tun sie sogar alles, um ihn mit der Situation in Nazizeiten zu vergleichen.

Auffällig ist in letzter Zeit, wie oft in diesem Zusammenhang das Thema "Spezialheime in der DDR" bemüht wird. Mir kam kürzlich ein Fachblatt für Ärzte in die Hände. Auch dort beschäftigte sich ein Beitrag mit diesem Thema. Als Verfasser zeichnete ein gewisser Herr Jachertz. Hetze pur!

Wie lagen die Dinge wirklich?

Von insgesamt 474 DDR-Kinderheimen waren immerhin 389 Normalheime, also exakt 82,06 %, was Autor Jachertz eingesteht. Dennoch kapriziert auch er sich auf das "Spezialheim Torgau" für straffällig gewordene Jugendliche.

Als jemand, der acht Jahre - von 1948 bis 1956 - in einem Normalkinderheim in Halberstadt aufwuchs, empfand und empfinde ich es als ein großes Glück, dort freundliche und kompetente Erzieher erlebt zu haben. Darüber berichtete ich in meinem Buch "Kindheit in Halberstadt" (Edition D.B. Erfurt, 2004), das man noch bei Dietmar Beetz unter der E-Mail-Adresse info@beetz-dietmar.de bestellen kann. Im Halberstädter Heim "A. S. Makarenko" erwarben wir eine vielseitige musische Erziehung und sportliche Ausbildung. Wir sangen, lernten Instrumente spielen, führten Volkstänze auf, übten Märchenspiele ein und traten mit einem eigenen Programm öffentlich auf. Ohne diese Förderung in jungen Jahren hätte ich später wohl kaum studieren können.

Als die "Thüringer Allgemeine" im Oktober 2010 ihre Leser aufforderte, dem MDR in Leipzig Erlebnisberichte zu diesem Thema einzusenden, tat ich das, erhielt aber niemals eine Antwort. Erst auf Nachfrage bestätigte man mir wenigstens den Erhalt der Zuschrift. Das war's dann aber auch. Die Schilderung positiver Erfahrungen ist bei den überwiegend gleichgeschalteten MDR-Journalisten nicht gefragt, sie fischen lieber im trüben nach alten Hüten. Dort ist man allein auf Negatives erpicht, das dann verallgemeinert wird.

Werner Voigt, Kromsdorf

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Archie und der Kapitän der "Völkerfreundschaft"

Archie hatte schon zwei wohlgeratene Töchter, und es sah ganz so aus, als sollte noch eine dritte hinzukommen. Sogar der Name - Daniela - lag schon fest. Doch dann wurde es zur Freude des Vaters und zur Überraschung der glücklichen Mutter doch ein Daniel. Die fleißigeren Schwestern waren in der Schule stets besser als das Brüderchen. Beide absolvierten das Lehrerbildungsinstitut in Berlin-Köpenick mit Bravour und arbeiteten danach einige Jahre als Erzieherinnen in Jugendeinrichtungen der DDR.

Nach der Rückwärtswende bekam ihre erfolgreiche berufliche Laufbahn einen Knick. Sie hielten dem bundesdeutschen Streß auf Dauer psychisch nicht stand, wurden in unterschiedlicher Ausprägung gemütskrank. Schließlich waren sie unter den neuen Bedingungen arbeitsuntauglich. Archie schaute sich in dieser Zeit in psychiatrischen Anstalten zwischen Hamburg und Berlin für sie um, wobei er selbst mehr und mehr zu depressiven Gedanken neigte.

Sohn Daniel erfuhr in der DDR - wie alle anderen auch - nach dem Abschluß der 10. Klasse eine solide Berufsausbildung, die ihm allerdings in der BRD nichts mehr nützte. Eine weitere Qualifizierung zum PC-Kaufmann setzte jedoch seine in der DDR erfolgte Ausbildung als Facharbeiter für Datenverarbeitung fort und brachte ihm einen guten Abschluß. Obwohl er sich bundesweit bemühte, erhielt er nur ein Arbeitsplatzangebot aus dem tiefsten Süden der Bundesrepublik.

Zu jener Zeit war Daniel bereits alleinerziehender Vater eines Knäbleins von dunklerer Hautfarbe. Aus diesem ist inzwischen ein großer und schlaksiger junger Mann mit einer Lockenpracht geworden, die an das Jugend-Selbstbildnis Dürers erinnert. Er sei der "reinste Adonis", sagt die Nachbarin stets bewundernd.

Daniel, mein Sohn, führte inzwischen mit seinem Halbbruder Micha, den man als Jugendsünde Archies bezeichnen könnte, eine florierende Gaststätte. Dabei handelte es sich um einen Zufall, wie er sonst nur in Filmen vorkommt. Micha hatte zuvor schon das weithin bekannte "Zosch" in Berlins Tucholskystraße mit aus der Taufe gehoben.

Die "MS Völkerfreundschaft" - ein Lokal unweit des Senefelder Platzes am unteren Ende der Schönhauser Allee - wurde liebevoll ausgestattet. Die Innenwände waren maritim bemalt und sollten nicht nur an das gleichnamige DDR-Urlauberschiff erinnern, sondern auch dessen Mission internationaler Verbundenheit widerspiegeln. Das Ganze sah sonst wie ein englischer Pub aus - mit Sofas und üppigen Sesseln möbliert. Dort gab es eine winzige Bühne, wo Lesungen stattfanden und Jazzmusik gemacht wurde. Auf einem freien Plätzchen nebenan richtete Daniel im Sommer auch noch einen Biergarten ein. Ein alter Bauwagen diente als Ausschank.

Archie feierte in der "Völkerfreundschaft" nach überstandener Herz-OP seinen 70. Geburtstag im Kreis der Familie. Zugegen waren auch Freunde wie die Schriftsteller Fritz Rudolf Fries, Armin Stolper und Gerhard Branstner.

Daß es keine Mißtöne gab, lag natürlich in erster Linie an Gastgeber Daniel, dem kulanten Wirt der "Völkerfreundschaft". Irgendwann führte der das Lokal dann allein weiter, als Micha aus familiären Gründen absprang. Zehn Jahre kämpfte Daniel unter wechselnden Eigentümern für den Erhalt des Restaurants, bis einer von ihnen die Garotte der Mieterhöhung um den Hals des Geschäftsführers so fest zuschraubte, daß diesem die Luft ausging.

Archie hätte weinen mögen, als er davon erfuhr, doch der erwachsene Sohn war inzwischen stärker und tapferer als sein Vater. Er zeigte keine Schwäche. Mit dem Prinzip "Friß Vogel oder stirb!" längst vertraut, suchte und fand er auch im heutigen System seinen Weg. Dabei ist er durchaus linker Gesinnung, liest die "junge Welt" und war schon etliche Male - auch längerfristig - in Kuba, wohin er Solidaritätsfahrräder und andere wichtige Güter für die Compañeros mitnahm.

Beinahe hätte er sogar eine Kubanerin geheiratet. Die aber wollte mehr nach Berlin als zu ihm, was es eben auch gibt. Seine Liebe zu Kuba nahm dadurch keinen Schaden.

Nach dem "Abwracken" der "Völkerfreundschaft" ist Daniel vorerst auf Gelegenheitsarbeiten angewiesen. So fährt er für Mietwagenfirmen und andere Unternehmen Autos kreuz und quer durch die BRD - von Flensburg bis zum Bodensee. Zwischen Hamburg, München und Berlin ist er bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit Tag und Nacht auf Achse. Bisweilen betreut er mit seiner Partnerin auch gastronomische "Events", was man heutzutage wohl Catering nennt. Amerikanismen sind eben Trumpf.

Halbbruder Micha ist unterdessen Surf- und Segellehrer geworden. Im Sommer befindet er sich auf Kreta.

Die Zeiten ändern sich und wir in ihnen, hieß es in der Epoche der alten Römer. Ein Spruch, der Archie bisweilen in den Sinn kommt.

Manfred Hocke

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Leserbriefe an RotFuchs

Wenn Ende Oktober Hunderte ehemalige Angehörige der Deutschen Grenzpolizei/Grenztruppen der DDR zu ihrem alljährlich stattfindenden Treffen zusammenkommen, werden sie nicht nur ihrer in den vergangenen zwölf Monaten verstorbenen Kameraden und Genossen gedenken, sondern auch jene fünf Grenzer ehren, welche 1962 - also vor 50 Jahren - während ihres Dienstes zum Schutze der Republik von heimtückischen Feinden ermordet wurden. 1962 ist als eines der kritischsten und gefahrvollsten Jahres des Kalten Krieges in die Geschichte eingegangen. Die Fronten zwischen den Staaten des Warschauer Vertrages und der NATO hatten sich extrem verhärtet, auch wenn die Maßnahmen des 13. August 1961 einen drohenden Kriegsausbruch abzuwenden vermochten. Nach wie vor standen sich aber beide Machtblöcke und Militärkoalitionen unversöhnlich gegenüber.
Besonders rabiat zeigte sich die BRD. Sie verstärkte ihre politische, wirtschaftliche und ideologische Aggression gegen die DDR. Das zeigte sich auch in wütenden Angriffen auf deren Grenzsicherungskräfte. Provokationen fielen innerhalb weniger Monate Unteroffizier Jörgen Schmidtchen, Unteroffizier Manfred Weiß, Unteroffizier Peter Göring, Unteroffizier Reinhold Huhn, ein junger Christ aus dem Vogtland, und Hauptmann Rudi Arnstadt zum Opfer. Sein Tod hat mich in besonderer Weise betroffen gemacht, da ich während meiner eigenen Dienstzeit an der Staatsgrenze mehrere Male Gast seiner Kompanie war, wobei ich ihn als pflichtbewußten Offizier und zuverlässigen Genossen kennenlernte.

Oberstleutnant a. D. Günter Freyer, Berlin


Mit großem Interesse habe ich die Politische Erklärung Erich Honeckers vor dem Berliner Landgericht gelesen, die der Augustausgabe des "RotFuchs" beigelegt war. Daß er so enden mußte, von den meisten seiner engsten Kampfgefährten und vom Millionen-Parteivolk verlassen, tut mir noch heute sehr weh. Gleich wie man zu ihm gestanden haben mag - vor Gericht hat sich Erich Honecker als aufrechter Kommunist und mutiger Kämpfer erwiesen.
Wir können an alledem, was damals geschah, nachträglich nichts mehr ändern. Doch solche Dokumente wie seine Gerichtsrede wiegen historisch schwer und tragen dazu bei, den Verfälschungen der westlichen Seite entgegenzutreten und die DDR, die unser Vaterland bleibt, in der Erinnerung der Menschen so zu verankern, wie sie wirklich gewesen ist.

Oberstleutnant der VP Johannes Schwarze, Berlin


Magdeburgs Linke hat im Juli einen herben Verlust hinnehmen müssen. Am 3.7. verstarb Genosse Walter Bütow im 84. Lebensjahr. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Mitglied der KPD. In Leipzig zum Gießerei-Ingenieur ausgebildet, war er seit den 50er Jahren im Magdeburger Ernst-Thälmann-Werk tätig. Zwischen 1990 und 1994 kämpfte er energisch für den Erhalt dieses großen Industrieunternehmens und seiner sozialen Einrichtungen, der Poliklinik und des Kindergartens. Dennoch wurden sämtliche Teile des Kombinats "abgewickelt". Die lebensgroße Thälmann-Statue auf dem Betriebsgelände sollte eingeschmolzen werden, aber Walter Bütow und "sein" Verein der Thälmannwerker und Freunde ließ sie vor der Berufsschule aufstellen, wozu Irma, die Tochter des Arbeiterführers, nach Magdeburg kam. Wertvolle Dokumentationen zur Geschichte des einstigen Krupp-Gruson-Werks und seiner Umwandlung in das VE Schwermaschinenkombinat "Ernst Thälmann" (SKET) wurden durch Walter Bütow und seine Genossen erarbeitet. Sie künden vom Rüstungs- und Kriegswahn der "Krupps" und vom Aufbauwillen der "Krauses". So, wie Ernst Thälmann, dessen Statue jetzt ihren hoffentlich letzten Standplatz im hiesigen Technikmuseum gefunden hat, einer von uns war, bleibt auch Walter Bütow in unser aller Herzen.

Dr. Sonnhild Bertz und Inge Stephan, Magdeburg


Der aufschlußreiche Beitrag "Diplomatische Depesche" im August-RF hat mein besonderes Interesse geweckt. Ich wüßte gerne, was Gregor Gysi dazu meint. Ist die Depesche vom US-Diplomaten subjektiv gefärbt worden oder entspricht sie der Wahrheit? Waren die Parteiführung und die Parlamentsfraktion über den Besuch beim Botschafter der Vereinigten Staaten zuvor oder danach informiert?
Als sehr souverän empfinde ich es, daß der RF das politische Vermächtnis des Genossen Honecker im Wortlaut veröffentlicht hat. Es bleibt zu hoffen, daß dieses Dokument bei der objektiven Beurteilung von Personen und Situationen zu Rate gezogen wird. Es wäre wichtig, diese Rede der jungen Generation zugänglich zu machen. Wer, wenn nicht wir, könnte das tun!
Noch eine traurige Nachricht: Unser Vereinsmitglied Ernst-Manfred Mölle aus Sohland ist nach wochenlangem Koma am 3. August verstorben. Er konnte seinen Leserbrief im Juli-RF leider nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Schwerstbehindert und sich auf seine Stöcke gestützt nur mit Mühe vorwärts bewegend, blieb er bis zuletzt dem "RotFuchs" verbunden, in dem der langjährige Funktionär der DDR-CDU - er war im Kreis Bautzen Ratsmitglied für Handel und Versorgung - seine politische Heimat gefunden hatte.

Helge Tietze, Bautzen


Mein Vater, Prof. Dr. Heinz Wachowitz, starb am 8. August. Bis in seine letzten Tage war er damit beschäftigt, Ideen für eine künftige sozialistische Gesellschaft und über die Wege dorthin zusammenzutragen, auch wenn ihn ein Schlaganfall in den letzten Jahren an den Rollstuhl fesselte. Ein gemeinsam mit Kollegen der Parteihochschule in diesem Jahr herausgegebenes Buch "Gedanken zur künftigen gesellschaftlichen Entwicklung" ist sozusagen sein Vermächtnis.
Nun kann er den "RotFuchs" nicht mehr lesen. Ich selbst tue das bereits seit Jahren.

Dr. Harald Wachowitz, Prenden


Am 22. Juli 1922 fand im Suhler Oberrathaussaal die 1. Reichskinderkonferenz der KPD statt. Hauptorganisator war damals der kommunistische Schuldirektor Pfaff aus Zella-Mehlis. 90 Jahre später organisierte die Geschichtskommission des Stadtvorstandes der Partei Die Linke mit Unterstützung unserer RF-Regionalgruppe und anderer befreundeter Organisationen in Suhl und Kaltennordheim zwei gut besuchte Veranstaltungen, auf denen Genosse Egon Krenz sprach.
In Suhl befand sich auch die Enkelin des Genossen Pfaff, Heike Gundlach, unter den Teilnehmern. Zur Überraschung der Anwesenden verlas Egon Krenz einen Brief der noch lebenden 1. Sekretäre des Komsomol, an den die 1. Reichskinderkonferenz seinerzeit eine Grußbotschaft gerichtet hatte.

Gerald Müller, Suhl


Am 20. August rief mich Dietrich Kittner aus Österreich an, wo er mit seiner Frau Christel lebt. Dietrich ist sehr krank, Christel hatte einen Schlaganfall.
Ich möchte unseren Freunden über den RF Genesungswünsche zukommen lassen, denen sich gewiß viele Leser anschließen. Der antifaschistische Kampf für ein demokratisches Deutschland, gegen Reaktion und Opportunismus ist hier in Linden und Hannover ohne die Kittners und deren Werk nicht denkbar. Am Ende unseres kurzen Telefongesprächs erinnerte ich Dietrich an den jiddischen Vers: "Sog nischt kejnmol as du gejst dem letstn weg ..." (Sag niemals, daß du den letzten Weg gehst), und er antwortete: "Ewig kann's nicht Winter sein ..."

Edwin Wesemann, Hannover


Besten Dank Wolfgang Clausner für den ausgezeichneten Artikel "Verpaßte Chance?". Da ganze Heerschaaren von Geschichtsfälschern unterwegs sind, um die DDR von ihrem Ende her zu interpretieren und vergessen zu machen, daß sie in ihren Anfangsjahren unter schwierigsten Bedingungen wütenden Angriffen des westdeutschen Kapitals standhielt, ist die Darstellung solcher Vorgänge von großem Wert.
Die Zurückweisung der "Stalin-Note" durch die BRD beruhte auch auf der Unterschätzung der Kraft der vereinten Arbeiterklasse der DDR. Ihre Gegner hatten die Vorstellung, daß aus der sowjetischen Besatzungszone niemals ein selbständiger Staat hervorgehen könnte. Die DDR-Bevölkerung hatte ja die Reparationen an die UdSSR für ganz Deutschland fast allein aufbringen müssen, was jedem Einwohner das 12,5fache des den BRD-Bürgern abgeforderten Betrages auferlegte. Hinzu kam die Rohstoffarmut im Osten, der lediglich über Braunkohle und Kalisalze verfügte. Auch die zur Brechung des US-Atomwaffenmonopols erforderliche Forcierung der Uranerzförderung für die UdSSR band erhebliche Ressourcen. 1966 schrieb der bürgerlich-liberale Publizist Sebastian Haffner: "Das westdeutsche Kapital war 1949 davon überzeugt, einen Staat östlich der Elbe werde es unter den bestehenden Umständen nicht geben. Und gerade den Aufbau dieses Staates verzeiht das Kapital Ulbricht nie."
Es war ein Staat, in dem 40 Jahre lang der vom Volk erarbeitete Reichtum nicht über Dividenden, Boni und Supergehälter privatisiert, sondern der gesellschaftlichen Entwicklung planmäßig zugeführt wurde.
Wolfgang Clausner hat recht: Die Haßausbrüche der Antikommunisten ändern nichts daran, daß die Erinnerung an diesen deutschen Staat im historischen Gedächtnis der Völker Bestand haben wird.

Dr. Hermann Leihkauf, Berlin


Mit Interesse verfolge ich das "RotFuchs"-Echo zur derzeitigen Finanzkrise. Ingo Hänels Kritik an der Merkelschen "marktkonformen Demokratie" im Juli-RF ist Punkt für Punkt korrekt. Es fragt sich nur: Was tun? Lenins Frage ist heute genauso relevant wie damals, die Umstände aber sind mit denen im zerfallenden Zarenreich nicht vergleichbar. Die Widersprüche bestehen fort: Arbeiterklasse gegen Kapital, Arm gegen Reich, Hunger gegen Überfluß. Nur das Kräfteverhältnis hat sich verschoben.
Auch wenn riesige Protestdemonstrationen in Griechenland, Spanien, Frankreich oder Italien stattfinden, haben die Gewerkschaften vieler Länder an Zugkraft verloren. Das System ist noch stark genug, solche Proteste unter Kontrolle zu halten.
Die heutige Schuldenkrise wäre behebbar, wenn die "überforderten" Banken Bankrott anmelden müßten, um das Finanzsystem zu sanieren. Doch die Privilegien der Oligarchie stehen nicht zur Debatte. Jeder weiß, was zu tun wäre - aber niemand wagt, es laut zu sagen. Was Furcht erregt, ist das Schrumpfen des Arbeitsmarktes, wenn das private Unternehmertum seine Investitionen plötzlich anderswo günstiger anlegen kann. Und überdies: Die Schweiz, Monaco, Liechtenstein - ja selbst Großbritannien - erwarten Kapitalflüchtlinge mit offenen Armen und niedrigen Steuern.
Die linken Kräfte stehen vor einem Dilemma: Wohl ist es wichtig, die Inkompetenz und Verruchtheit des kapitalistischen Systems anzuprangern - aber wie weiter? Über die Wahlurne? Was sind die Alternativen?
Ingo Hänel erwähnt den Aufstieg faschistischer Kräfte in verarmenden Ländern wie Griechenland, aber auch in Frankreich, Großbritannien und der BRD. Kapitalismus und Faschismus sind immer bestens miteinander ausgekommen, denn die Profite der Privateigner waren dabei stets gewährleistet.

Dr. Vera Butler, Melbourne


Seit zwei Jahren lese ich jede "RotFuchs"-Ausgabe von vorne bis hinten. Die Zeitschrift vermittelt einen realen politischen Blick auf das derzeitige nationale und internationale Geschehen und gibt mir ständig neue Kraft.
Bei der Suche nach den Gründen für das derzeitige Agieren des Finanzkapitals griff ich auf meine während des Studiums in Moskau angefertigten Konspekte über Marxens "Kapital" zurück, vor allem auf die Analyse der einfachen und der erweiterten Reproduktion und die Rolle des Bank- und Finanzkapitals. Sein Fazit lautete: Geld darf nie zu Geld ohne Warenbeziehungen werden.
Heute vollziehen sich im Banken- und Börsenbetrieb bis zu 90 % reine Geldbewegungen ohne produktives Kapital. Die Banken und anderen Kreditinstitute arbeiten mit spekulativen und fiktiven Summen, die Geld zur "Ware" machen und damit einen eigenen Kreislauf vermitteln. Unlängst las ich, daß international nur noch 3 % aller finanziellen Operationen an konkrete Warenbewegungen gebunden sind.
Die im Programm der Partei Die Linke dazu bezogene Grundposition findet meine vollste Unterstützung - um ihre Verwirklichung muß zielstrebig, ohne faule Kompromisse oder zerfleischende persönliche Auseinandersetzungen gekämpft werden.

Horst Winter, Ilmenau


Viel zu spät haben sich mit Ökonomie befaßte Wissenschaftler kritisch zur Finanzpolitik der BRD-Regierung an die Öffentlichkeit gewandt. Die sich anbahnende Katastrophe ist ja auch kaum noch zu übersehen. Unruhe, wenn nicht Angst, machen sich breit. Die Energie, welche Politiker aufbringen, um die Situation zu verharmlosen, sollte lieber in eine umfassende Informierung der Menschen investiert werden.
Aber will man das? Es ist doch reine Demagogie, wenn die Kanzlerin, um uns ihre "Sparpolitik" schmackhaft zu machen, Privathaushalte mit Staaten gleichsetzt. Natürlich muß ein Privathaushalt sparen, wenn er klamm ist oder Schulden hat. Doch die Makro-Ökonomie ist etwas völlig anderes. Wenn ein Staat spart, bedeutet das in jedem Falle Sozialabbau und Verschlechterung der Lebensqualität.
Wen will die Kanzlerin eigentlich retten? Sie spricht davon, daß die großen Banken für die Wirtschaft viel zu wichtig sind, um sie scheitern zu lassen. Geht man aber von der Tatsache aus, daß die meisten Geschäfte der großen Geldhäuser untereinander abgewickelt werden, dann sieht die Sache schon ganz anders aus. In den USA sind derzeit mehr als 80 % aller Geldtransmissionen Geschäfte dieser Art. Mit der realen Wirtschaft haben diese Banken kaum noch etwas zu tun.

Volker Büst, Vienau


Mein größter Respekt galt und gilt Rainer Rupp! Seinem Lebensweg kann man nur mit Hochachtung begegnen.
Wie ist es möglich, daß ihm jemand in so entwürdigender Weise gegenübertritt, wie es Dietmar Bartsch getan hat? Unter anderem entschied sich Rainer Rupp auch für D. B., "seinen Weg" zu gehen.

Edith Döring, Leipzig


In der BRD werden Menschenrechte im Sport mit Füßen getreten und einseitige Vorverurteilungen ausgesprochen.
Nach über 20 Jahren wird dem Erfolgstrainer im Eiskunstlaufen Ingo Steuer (4 Weltmeistertitel mit seinem Traumpaar) eine feste Anstellung verweigert. Das kürzlich veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofes gestattet ihm zwar, Bundeswehrangehörige zu trainieren, aber seine Arbeit wird durch Preisgelder der Aktiven entlohnt. Das Bundesinnenministerium droht im Falle seiner Anstellung durch die Deutsche Eislauf-Union mit der Streichung der Fördergelder.
Wenn es noch eines Beispiels für ein solches Vorgehen bedarf, dann ist es die Nichtaufnahme Gustav-Adolf Schurs in die "Ruhmeshalle" des deutschen Sports. Mit einem Stimmenverhältnis von 27 (West) : 1 (Ost) verweigerte die Jury Täves Aufnahme. Er fiel auf Grund seiner vorbildlichen menschlichen und politischen Haltung bei den Jury-Millionären in Ungnade, die belasteten Nazis den Vorzug gaben.

Erhard Richter, Berlin


In meinem Artikel über Ditmar Danelius im August-RF, für dessen Veröffentlichung ich mich herzlich bedanke, hat sich bei der redaktionellen Bearbeitung ein Fehler eingeschlichen. Genosse Danelius wurde 1960 zum 1. Sekretär des Bezirksvorstandes Berlin der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft gewählt und gehörte nach Beendigung seiner hauptamtlichen Tätigkeit von 1969 bis 1990 weiterhin dem Bezirksvorstand und dem Zentralvorstand der DSF an.

Günter Bartsch, Berlin


Wir waren wieder mal im tschechischen Franzensbad zur Kur. Für Leute, die bereits mehrfach dort gewesen sind, gibt es einen Klub, bei dem man automatisch Mitglied wird, was einige Vorteile bietet. So kann man z. B. in den Klubräumen deutsche Zeitungen und Zeitschriften lesen. Wir waren baß erstaunt und freudig überrascht, als wir neben der "Welt", der "Zeit" und dem "Spiegel" auch den dort ausliegenden "RotFuchs" entdeckten.

Helmut Putzger, Strausberg


Mit Marx und Lenin könne man die heutige Welt nicht mehr erklären, behaupten manche (siehe August-RF, S. 2). Vielleicht wäre es leichter, wenn Friedrich Engels mit herangezogen würde. Doch auf ihn wird in dem Artikel überhaupt nicht Bezug genommen, was leider in sozialistisch-kommunistischen Publikationen allzuoft passiert. Übrigens fühle ich mich durch den Sammelbegriff "Linke" instrumentalisiert. Die griechische KKE hat schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, daß die Begriffe "links" und "rechts" nicht mehr der heutigen politischen Realität entsprechen. Ein "Linker" kann durchaus Ministerpräsident eines Landes sein, das an einem NATO-Krieg teilnimmt und innenpolitisch arbeiterfeindliche Maßnahmen ergreift. Kommunistische Parteien sind nicht einfach "linke Parteien", sondern bilden dort, wo sie diese Kriterien erfüllen, die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse und anderer Werktätiger im Kampf für die Überwindung des Kapitalismus.
"Mit klarer Sprache und richtiger Wortwahl können wir zur Änderung von Machtverhältnissen beitragen", konstatierte Eckart Spoo in der Zeitschrift "Ossietzky".

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen


Oberst a. D. Rainer Langener war der letzte Kommandeur der in Bautzen angesiedelten Offiziershochschule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung. Jetzt hat er ein interessantes und bildendes Buch vorgelegt. Sein Titel: "Meine Jahre auf dem Schleudersitz - Erinnerungen und Gedanken eines Militärfliegers der DDR".
Langeners Maxime lautete stets: "Nie höhere Anforderungen an andere als an sich selbst stellen." Er verwirklichte dieses Prinzip bei allen von ihm zu verantwortenden Entscheidungen mit einem vertretbaren Risiko. Sein fünfjähriges Studium an der Akademie der Luftstreitkräfte der UdSSR "Juri Gagarin" beendete er 1977 mit Auszeichnung und Goldmedaille, was nur wenigen gelang.
Bei der Lektüre des Buches "überfliegt" man Städte und Regionen unseres Landes wie Kamenz, Rothenburg, Bautzen, die Niederlausitz oder das Oberland und vollzieht Flugstunden von hohem Wert. Sie waren nämlich keinem Krieg geschuldet, sondern dienten der Sicherung des Friedens. Ein Einsatz, den Flugschüler und Lehrer in einigen Fällen mit ihrem Leben bezahlten. Oberst Ratz, ehemaliger Kommandeur der Jagdfliegerschule Bautzen, zählte dazu.
Bemühungen, die Offiziershochschule nach 1990 als zivile Bildungsstätte aufrechtzuerhalten, führten nicht zum Erfolg. Nach 30 Jahren und 63 Tagen war in jenem Jahr das Leben auf dem Schleudersitz für Oberst a. D. Rainer Langener beendet.
Er und ich sind vom gleichen Jahrgang. Unsere Lebensläufe ähneln sich stark. Auch an der Verleihung des Namens "Otto Lilienthal" an die OHS konnte ich teilnehmen.

Prof. Dr. oec. Dipl.-Ing. Dieter Rost, Bautzen


Durch einen guten Freund, Prof. Dr. Horst Schneider, wurde ich mit Ihrer Zeitung bekanntgemacht. Ich bin Jahrgang 1928 und wurde wie er Neulehrer. Im Juli 1949, also noch vor Gründung der BRD und der DDR, bin ich in die CDU eingetreten, deren Hauptvorstand ich 35 Jahre angehörte. Jetzt bin ich nur in der Senioren-CDU.
Einen Höhepunkt unserer Freundschaft bildete die Zeit vom Herbst 1989 bis zum Frühjahr 1990. Ich wurde damals zum Übergangspräsidenten der Dresdner Stadtverordnetensammlung gewählt. Als dieser hatte ich nach der Kommunalwahl im Mai 1990 die Aufgabe, die Konstituierende Sitzung des Stadtparlaments vorzubereiten. Zu meiner Freude und Überraschung war Horst Schneider als dessen ältestes Mitglied der Alterspräsident, womit er die Eröffnungsrede halten mußte, die wir gemeinsam vorbereiteten.
Die "RotFuchs"-Hefte habe ich gewissermaßen als "anerkannte Blockflöte" gelesen. Mir scheint es an Beiträgen mit Blick auf die Politik der SED zum Thema der praktischen Zusammenarbeit im Demokratischen Block zu mangeln. Auch in der Götting-Würdigung (Oktober 2011) fand ich nichts über das innenpolitische Zusammenwirken der SED mit den anderen Parteien. So spielten die im Namen der CDU von Götting unterbreiteten Vorschläge - etwa über die Einführung der staatlichen Beteiligung an Mittelstands-Betrieben - keine Rolle. Auch die Kultur und das Gesundheitswesen könnten hier genannt werden.
Wie will man die Leitsätze des "RotFuchs"-Fördervereins, besonders die Punkte 4, 5 und 6 auf den Weg bringen, wenn man sich nicht einer Analyse von Erfolgen, Schwächen und Fehlern in der Zusammenarbeit mit den befreundeten Parteien stellt?

Oberstudienrat Fritz Rick, Dresden


Immer wieder ist im "RotFuchs" und anderen Medien vom Rechtsextremismus die Rede. Themen wie "Nationalsozialistischer Untergrund" stehen dabei im Mittelpunkt, wobei man sich fragt, wie es soweit kommen konnte und wer die Schuld daran trägt.
Die Antwort liegt auf der Hand. Wir stehen für Multikulti und freie menschliche Entfaltung, für Zusammenhalt und Weitblick. Dennoch nehmen wir nicht jeden so, wie er ist. Wir beurteilen Menschen oft eher nach ihrer Sprache als nach ihrem Charakter, blicken zuerst auf die Kleidung, bevor wir dem Betreffenden in die Augen schauen. Insgeheim denken viele so: Bevor eine Türkin nicht ihr Kopftuch abgelegt hat, ist sie weder integriert noch beherrscht sie die deutsche Sprache.
Man beklagt fehlenden Luxus hierzulande, während Immigranten nach jahrelanger harter Arbeit in Deutschland knallhart abgeschoben werden. Fast jeder schweigt dazu. Doch bevor wir über jene urteilen, welche uns in diese Situation gebracht haben, sollten wir uns zunächst einmal selbst im Spiegel betrachten und befragen. ...

Oliver Geffers, Bonn


Leo Mayer, stellvertretender DKP-Vorsitzender, forderte in der UZ eine andere Partei. "Ja - revolutionärer, wissenschaftlicher, demokratischer, effektiver" ... Wer wollte das wohl nicht? Nur, wie kommen wir dorthin? Dazu fällt Leo Mayer nur ein Schwall aus waberndem "Zeitgeist"-Jargon ein, bei dem sich jeder denken kann, was er will: "initiativreicher, Bewegung für Veränderung, attraktiver für junge Menschen, in Fragen der Demokratie glaubwürdig, den neuen Herausforderungen stellen, nicht im Alten erstarren, politisches Klassenprojekt 'von unten', Partizipation, plurale politische Kraft" ­...
So geht das über eine ganze Seite.
Sehr mühsam erschließt sich, was Leo Mayer mit "Veränderung der Verhältnisse" meint. "Zentrale Aufgabe einer kommunistischen Partei" sei es, "Brücken zu bauen und die Suche nach Gemeinsamkeiten zu forcieren". Diese Gemeinsamkeiten bestehen für ihn darin, daß alle Bewegungen und Kämpfe angeblich nur einen gemeinsamen Gegner haben: "das transnationale Kapital, die Multis und Banken". Hier kommen aufschlußreicherweise die imperialistischen Staaten, welche diese - auch im eigenen Land - schützen, gar nicht vor. Offensichtlich soll niemand verprellt werden, z. B. Gabriel von der SPD. Der hat sich "sehr kritisch" mit den Banken auseinandergesetzt, "welche die Staaten erpressen und ihnen die Politik diktieren". Der imperialistische Staat als armes Opfer? Gabriel wäre also durchaus als "plurale politische Kraft" mit ins Boot zu holen!
Doch ein Bündnis ist etwas völlig anderes: Zu ihm gehören vor allem Klarheit über Gemeinsamkeiten wie Differenzen und Freiheit der Kritik unter den Beteiligten. Allianzen ohne diese Voraussetzung wären für Kommunisten nur Verrat an der eigenen Sache.

Fritz Dittmar, Hamburg


Die meisten Berichte über den Auftritt der drei jungen Frauen aus der Punkrock-Band "Pussy Riot" in einer Moskauer Kirche beschäftigen sich mehr mit dem gegen sie gefällten Urteil als mit der Aktion selbst. In Medienberichten überwiegt die Meinung derer, die Rußland im Allgemeinen und Putin im Besonderen angreifen.
Hans-Dieter Schütt widmete dem Ereignis im ND einen ausführlichen Beitrag - wortgewaltig und weltumspannend wie immer. Da ist von "dem klebrigen, schon immer geschmacklosen Kaubonbon altbekannter Ostblock-Rhetorik" (die er einst als Chefredakteur der "Jungen Welt" selbst bediente) die Rede. "Gut, daß der Westen bunt schmeckt", schreibt Schütt weiter. Das mag schon stimmen. Doch man fragt sich besorgt, ob nicht bei diesem bunten Westen immer mehr die Farbe braun hervorschimmert.
Unsere Zeit ist sehr temporeich. Heute steht "Pussy Riot" im Mittelpunkt, morgen wird ein anderes Ereignis für Schlagzeilen sorgen.

Gerda Huberty, Neundorf


Als ich unlängst den "Nordkurier" aufblätterte, traute ich meinen Augen nicht. Unsere Justizministerin Kuder will die "Arbeitspflicht" in den Haftanstalten Mecklenburg-Vorpommerns abschaffen, um damit dem EU-Recht zu entsprechen.
Nach der verleumderischen Kampagne über "Zwangsarbeit" in DDR-Gefängnissen oder im Jugendwerkhof Torgau kam ich mir echt veralbert vor. Auch im bundesdeutschen Knast muß man also arbeiten! Im Fach Soziologie habe ich mal gelernt, daß die Arbeit laut Engels ein wichtiger Faktor bei der "Menschwerdung des Affen" gewesen ist. Warum will man sie nun abschaffen?

Dr. med. Gerd Machalett, Siedenbollentin


Mir gefallen die Genossen, die dem RF-Kollektiv ein geschlachtetes Schwein als Spende zugedacht haben. Anstelle einer Geldüberweisung möchte ich Euch ebenfalls mit einer Sachspende bedenken. Sie ist nicht eß-, sondern lesbar. Es handelt sich um einen Text Goethes, welcher 1912 - im Geburtsjahr Erich Honeckers - gedruckt wurde und noch gut erhalten ist. 1992 hielt ich mich für kurze Zeit bei Leipziger Genossen auf. Damals entdeckte ich irgendwo im Sperrmüll am Rande der Stadt unter Werken von Marx, Engels und Lenin auch den alten "Kommunisten" Goethe. Wir nahmen dann einen ganzen Kofferraum voller kostbarer Literatur mit nach Kassel.
Die würdige und angemessene Beilage zum August-"RotFuchs" habe ich ebenso wie das vom Verlag Wiljo Heinen dankenswerterweise wiederverlegte Buch Erich Honeckers "Zu dramatischen Ereignissen" bereits gelesen. An seinem 100. stand bei mir eine rote Nelke auf dem Tisch, eine Kerze brannte, und ich hörte entsprechende Musik.

Ronald Brunkhorst, Kassel


Nun ist der "aufgeblasene Ochsenfrosch" obendrein noch Ehrenbürger von Rostock geworden, dessen Stadtteil Lichtenhagen vor 20 Jahren weltweit für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt hat. Es kann durchaus als ein Zeichen der Zeit betrachtet werden, daß just in den Tagen dieses unrühmlichen "Jubiläums" ausgerechnet einem solchen Freiheitsapostel, den man obendrein auch noch als Gedenkredner anzubieten wagte, die Ehrenbürgerschaft der Hansestadt zuerkannt wurde. Das deutsche Kapital weiß eben genau, wem es eine "Ehrerweisung" schuldet.

Walter Drexler, Berlin


Das Kindeswohl ist ja angeblich immer ein hohes Gut. Ist es das? Wieso dürfen dann die Jungen bei Juden und Muslimen beschnitten werden?
Ich bin wahrlich für Religionsfreiheit, sofern sie niemanden in seinem Menschsein beeinträchtigt. Jeder sollte den Glauben haben dürfen, den er will. Aber aktive Körperverletzung muß und sollte strafbar bleiben. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine jahrhundertealte Tradition handelt. Ich käme ja auch nicht auf die Idee, meinem Nachbarn einfach den Arm abzuschneiden, nur weil ich an den heiligen "Honk" glaube und sage: Armabschneiden gehört nun einmal zu meiner Religion". In einem solchen Falle würde ich zu Recht durch die Justiz verurteilt.

Kai Friedrich (Kaivel), Kassel


Eine Bemerkung zu Sylvia Feldbinders "Facebook"-Artikel im August-RF.
Über dieses soziale Netz unterhalte ich Kontakt zu etlichen Kommunisten und anderen Linken. Um zu schnüffeln, bedient sich der Gegner auch des Facebook-Netzes, obwohl dazu gar keine Notwendigkeit besteht. Wir haben ja nichts zu verbergen. Vielmehr geht es darum, möglichst viele Menschen in unserem Sinne anzuregen und zu mobilisieren.
Von Marx stammt der Ausspruch, das Kapital komme nicht umhin, bei Gefahr des eigenen Untergangs auch jene Waffen zu schmieden, die es zur Strecke bringen werden. Im Zeitalter der rasanten Entwicklung von Informatik und Netzwerk-Kommunikation haben jene das Nachsehen, die sie nicht zu nutzen suchen.

Petra Reichel, Bad Kreuznach


Unlängst hatte ich ein rechtsradikales Flugblatt in meinem Briefkasten. Dessen Verfasser geben sich als "sozialrevolutionäre Nationalisten" aus. Angeblich wollen sie den Widerstand gegen die kapitalistische Ausbeutung organisieren, wobei sie weder die Hochfinanz noch deren politische Geschäftsträger in den großbürgerlichen Parteien erwähnen.
Statt dessen gehen sie definitiv gegen links vor. Das gab es ja in der jüngsten deutschen Geschichte schon einmal: Leute, welche vorspiegelten, das "raffende Kapital" abschaffen zu wollen, festigten in Wahrheit die Macht der Großbanken und Konzerne.

Mario Kettler, Reichenbach/V.


Hans Horn hat in seinem Artikel über UFA und DEFA Goebbels zitiert, der die Überlegenheit primitiver Demagogie gegenüber seriöser Argumentation anpries. Das sollte uns angesichts der ständigen Zunahme nationalistischer, rassistischer und faschistischer Äußerungen und deren Wirkung auf junge Menschen hellhörig machen. Viktor Klemperer hat sich in seinem Werk LTI (Die Sprache des Dritten Reiches) eingehend damit beschäftigt, wie es geschehen konnte, daß ihm selbst nahestehende Menschen den Einflüsterungen dieser Verbrecherbande erlagen. Er hat keine Antwort gefunden - und wir selbst haben uns zu wenig mit diesem Phänomen beschäftigt, weil wir glaubten, die Vernunft werde sich schon durchsetzen. Wie sich indes zeigte, war diese Hoffnung auf Sand gebaut.

Dr. sc. Fritz Welsch, Berlin


Das Bild auf der Titelseite der RF-Beilage zeigt Erich Honecker mit geballter Faust. Es handelt sich dabei um die Grußgeste der Kommunisten in aller Welt. Nach meiner Ansicht sollte es immer der linke, vom Herzen kommende Arm sein, der politischen Farbe wegen. Oder kann es auch der rechte sein?

Gunter Heinemann, Seggiano (Italien)

Antwort der Redaktion:
Der Brauch wird von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt. So grüßen z. B. die Genossen der portugiesischen PCP mit der rechten Faust, was die falschen Sozialisten eines Mario Soáres in den Jahren 1974/75 ganz automatisch zum Ballen der Linken veranlaßte, um ja nicht mit den Kommunisten verwechselt zu werden.


In einem vom ND veröffentlichten Leserbrief stieß ich auf den Satz: "Auch 23 Jahre nach der Wende ist der kalte Krieg nicht beendet, wie das Werk deutlich macht." Der Verfasser war ein Oberstleutnant a. D., der sich zum Buch eines Wessi-Obristen über die NVA äußerte.
Mich irritierte dieser Satz. Meint der Verfasser wirklich. die sogenannte Wende hätte den Kalten Krieg beenden können? Sie war doch vielmehr selbst dessen Produkt und zielte keineswegs auf eine friedliche und gerechte Weltordnung. Tatsächlich wurde die Menschheit in existenzbedrohende Zustände zurückgeworfen. Und in der Tat hat die "Wende" den Kalten Krieg nicht beendet oder gar eine Lage entstehen lassen, in der Vernunft und Sachlichkeit bei den politischen Auseinandersetzungen die Oberhand gewinnen konnten. Da ja dem ND-Leserbriefschreiber sicher nicht verborgen geblieben ist, wem damit eine schwere Niederlage beigebracht wurde, dürfte er sich eigentlich nicht wundern, wenn der Gegner seinen (zeitweiligen) enormen Geländegewinn nicht dadurch in Frage gestellt sehen möchte, daß er dem Besiegten mit Respekt oder Wahrhaftigkeit begegnet. Unser Stabsoffizier sollte seine Mitschriften aus dem Parteilehrjahr zu Rate ziehen, wo viel vom besserungsresistenten Imperialismus gesagt worden ist.

Hans Ebner, Berlin


Nachdem ich im "RotFuchs" Nr. 174 den Leitartikel "Dem deutschen Gockel schwillt der Kamm" gelesen hatte, erinnerte ich mich an eine sehr erfreuliche Begegnung beim traditionellen Frühlingstreffen der Volkssolidarität, das 2005 auf Zypern stattfand Zwei Sätze ließen mich an Erlebtes zurückdenken: "Das hemmungslose Herumtrampeln auf der Souveränität Griechenlands - der ältesten europäischen Kulturnation - und die gegenüber Athen angewandten 'Treuhand'-Würgegriffe sind in ihrer Perfidität nicht zu überbieten. Wie in jenen Tagen, als Manolis Glezos die Hakenkreuzfahne von der Akropolis herunterriß, ist Hellas zum Objekt expansionistischer Gelüste des deutschen Imperialismus geworden."
Bei einem Einkaufsbummel kamen wir an einer zyprischen Wechselstube vorbei. Im Kontakt mit dem Betreiber bemerkte ich, daß wir in der Bewertung der Situation trotz bestehender Sprachbarrieren übereinstimmten. Beim Abschied verdeutlichte ich ihm, daß ich unter Griechen etliche Vorbilder und Freunde hätte, auch wenn ich diesen selbst natürlich unbekannt sei. Ich erwähnte Manolis Glezos, Mikis Theodorakis und Harilaos Florakis, den langjährigen Generalsekretär der kommunistischen KKE.
Wenig später kam der griechische Zypriot hinter uns her, umarmte mich und sagte, "Du hast aber gute Freunde bei uns!"
Kurz vor dem Hotel sprach mich dann ein junges Mädchen an. Erst nach einer Weile begriff ich den Sinn ihrer Worte: "Sie haben sich vorhin mit meinem Vater über ihre griechischen Freunde unterhalten. Darf ich Ihnen irgendwie behilflich sein?"

Günther Stegner, Ilsenburg (Harz)

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RotFuchs Nr. 177, 15. Jahrgang, Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2012