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ROTFUCHS/121: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 167 - Dezember 2011


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

14. Jahrgang, Nr. 167, Dezember 2011



Inhalt
Warum nicht gleich Kurt Schumacher?
6. RF-Mitgliederversammlung in Berlin: Kämpferische Aufbruchstimmung
Der "Pontifex" im Bundestag: Lücken in einer päpstlichen Lektion
"Piraten" an Bord: Entern eines leckgeschlagenen Schiffes
War der Nichtangriffsvertrag von 1939 ein "Pakt zweier Diktatoren"?
Die Verschwörung von Beloweshsk
Zu neuen "Faschismus-Theorien": Nebelwerfer in Aktion
Gedanken eines DDR-Chemiegenerals
Aufrüstung um jeden Preis
Marxismus für Einsteiger: Nationales und Internationales
Offenbarungen des BRD-Kriegsministers: "Sterben und Töten gehören dazu"
Spartakus ist ein Programm
Emil Eichhorn - der rote Polizeipräsident
Druckerei-Prinzipal und Arbeiterschinder
Wo der Geist von Goebbels wieder spukt
Herbstliche "Manöverkritik"
RF-Extra - Das "Elend" des Kombinats Robotron
RF-Extra - Kuba: Kein Stochern im Nebel
Ein "präventiver Feuerring" um China
Libyen: Kriegsziel schwarzes Gold
Obamas Flucht in den "Befreiungsschlag"
Soros und die "Bärenwetten" der Euro-Killer
Belgiens PTB fordert Millionärssteuer: Das ist ihre Krise - sollen sie zahlen!
Polen: Repressalien gegen Prof. Zbigniew Wiktor
Schweden: Trauer um Solveig Hansson
Ägypten: Sozialistische Partei gegründet
Cornelias kleine große DDR (1)
Hagenow: Tod eines Kulturhauses
Nebel um Stammheim
Lyriker mit Löwenherz: Louis Fürnberg
Jupp Mallmanns Bekenntnisse
Archie, Pia und der fliegende Papst
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Wer stranguliert die Griechen?

Während meiner Tätigkeit als die portugiesische Revolution begleitender ND-Korrespondent mußte ich erleben, daß unser Lissabonner Quartier nicht nur von Wohlmeinenden angesteuert wurde. So instruierten wir die Kinder, in unserer Abwesenheit keine Unbekannten einzulassen. Doch als wir eines Tages nach Hause kamen, umringten sie in der "Sala" freudig einen Fremden. "Das ist ein alter Krieger aus Athen", verkündete die knapp sechsjährige Susanne. Thanassis Georgiu hatte sich auf die durch einen Türschlitz an ihn gerichtete Frage, wer er denn sei, als "alter Grieche aus Athen" vorgestellt. Da er sich bereit erklärte, den Kindern ein Märchen zu erzählen, wurde ihm die Tür geöffnet.

Der seit über sechs Jahrzehnten in Berlin lebende heute 97jährige symbolisiert die besten Traditionen seiner hellenischen Heimat: Ein Veteran der Griechischen Demokratischen Armee, hatte Thanassis nach deren Niederlage Ende der 40er Jahre politisches Asyl in der DDR erhalten. Zunächst Journalist der Nachrichtenagentur ADN, ist er seit "einer Ewigkeit" Berliner Korrespondent der Athener Tageszeitung "Rizospastis" - des Organs der KKE. Die drei Buchstaben stehen für eine besonders gestählte Abteilung der internationalen kommunistischen Bewegung: die über beachtlichen Masseneinfluß verfügende und der Gewerkschaftszentrale PAME starke Impulse verleihende KP Griechenlands. Nach der Niederlage der Volksarmee im Grammos-Massiv nahm die DDR auch viele hundert Kinder von Genossen auf. Sie waren vor dem konterrevolutionären Terror in Sicherheit gebracht worden. Ich erinnere mich noch genau daran, mit welcher Wärme und Herzlichkeit wir sie in unsere Arme schlossen.

Hellas - das war für uns zunächst der Widerstandsheld Manolis Glezos, der die Hakenkreuzfahne der Nazi-Okkupanten von der Akropolis heruntergerissen hatte.

Zur Zeit des griechischen Monarcho-Faschismus erfuhren wir Schreckliches über Makronissos und andere KZ-Inseln in der Ägäis. Verzweifelt und erfolglos kämpften wir um das Leben des zum Tode verurteilten ZK-Mitglieds der KKE Nikos Belojannis. Damals waren die kommunistischen Parteien nur in vier Ländern Europas verboten: in Hellas, in Franco-Spanien, im Portugal Salazars und in der "freiheitlichdemokratischen" BRD.

In jenen Jahren ging der Name eines einzigartigen Künstlers um die Welt: Mikis Theodorakis. Seine eingängigen Lieder wurden sofort zur Folklore, die Vertonung von Pablo Nerudas Großem Gesang war eine Kampfansage des Griechen an Chiles Pinochet-Faschisten.

Als im April 1967 über Athen die sieben Jahre wütende Schreckensherrschaft der Schwarzen Obristen hereinbrach, begann eine neue Periode besonders grausamer Verfolgung aller Demokraten. Zu jenen aber, welche schon zuvor auf Makronissos Schwerstes hatten erdulden müssen, gehörte KKE-Generalsekretär Harilaos Florakis. Als ich Mitte der 80er Jahre DDR-Volkskammerpräsident Horst Sindermann nach Athen begleiten durfte, saß ich dem legendären Arbeiterführer im Parlamentsgebäude gegenüber. Absolvent eines humanistischen Gymnasiums, wo Homers Ilias und Odyssee im Originaltext gelesen wurden, ließ ich die imposante Geschichte der Griechen vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Ich dachte an Sokrates, Aristoteles, Plato, Aischylos und Heraklit, dessen berühmtes Wort "Alles fließt" zum Grundstein der Dialektik wurde.

Hellas - das Land des zur Sonne strebenden Prometheus - ist heute Spielball finsterer Mächte des Kapitals, reaktionärer Politiker und profaner Politikaster. Beim Inszenieren der modernen griechischen Tragödie sind selbst die Merkels und Sarkozys nicht mehr als Regieassistenten, während der den Euro "beschirmende" Finanzmagnat Jean-Claude Juncker aus dem territorial zwergenhaften Luxemburg in diesem Orchester den Taktstock schwingt. Eine willige Athener Kollaboranten-Truppe unter dem Großbankier Papadimos soll den Hellenen, die unter Brüssels "Rettungsschirm" im Regen stehen, jetzt die Würgeschlinge noch fester um den Hals ziehen.

Wie der antike Brandstifter Herostratos einst den Diana-Tempel auf der Akropolis ansteckte, um wenigstens so in die Geschichte einzugehen, bereiten sich auch Brüssels Bankrotteure auf neue Herostratentaten vor. Sie erwägen ungeniert, in das Boot der Euro-Zone hineingezerrte schwächere Nationalstaaten im Falle weiteren "Versagens" wieder über Bord zu werfen.

Das Elend Athens ist zugleich ein Offenbarungseid der EU. Denn nicht den Griechen angedichtetes eigenes Unvermögen, sondern das ihnen übergestülpte Euro- und Europa-Projekt der tonangebenden imperialistischen Mächte hat die Nachfahren der größten Kulturnation der Antike in derartige Bedrängnis gebracht. Ohne Brüssel gäbe es heute in und um Hellas kein solches Gezeter. Manolis Glezos und Mikis Theodorakis haben das in ihrem dringlichen Appell an die Völker der Welt unterstrichen.

Doch die Augen jener, welche Griechenland auf ihre Speisekarte gesetzt haben, sind größer als deren Mägen. So wird aus Triumphgebrüll am Ende Katzenjammer. Immerhin: Die Banken haben ihr Schäfchen ins trockene gebracht.

Man sollte indes nicht verkennen, daß mit der Verschärfung der innenpolitischen Konfrontation zwischen sich wehrenden Massen und staatlichen Repressionsorganen ein neuer Rückgriff auch auf "Schwarze Obristen" nicht ausgeschlossen werden kann.

Während andere sich darauf kaprizieren, weitere "Tranchen" ihrer "Rettungspakete" lockerzumachen oder festzuzurren, setzen wir auf die Kraft der griechischen Werktätigen: Ihre Generalstreiks haben gezeigt, daß der kämpferische Geist unseres "alten Kriegers aus Athen" in dessen Heimat nicht erloschen ist.

Klaus Steiniger

Raute

Warum nicht gleich Kurt Schumacher?

Bei ihrem Erfurter Parteitag schärfte die PDL ihr Profil als größte - allerdings keineswegs einzige - Antikriegspartei und wichtigste parlamentarische Kraft des konsequenten Antifaschismus in Deutschland.

Das in der thüringischen Landeshauptstadt verabschiedete Programm enthält zugleich antimonopolistische Aussagen, ohne damit die revolutionäre Lösung der Macht- und Eigentumsfrage im marxistischen Sinne anzuvisieren.

Auffällig war die perfekte Kosmetik, derer sich die Veranstalter bedienten: Buchstäblich über Nacht hatte man die tiefen ideologischen Gräben zwischen Parteirechten und Parteilinken - nun als "Moderatere" und "Radikalere" umschrieben - aus der taktischen Überlegung "zugeschüttet", daß eine zerstrittene Partei für Wähler nicht attraktiv sei.

Als in vielen Sätteln erprobter Politiker von Format erwies sich einmal mehr der frühere und möglicherweise auch künftige Parteivorsitzende Oskar Lafontaine - ein gestandener linker Sozialdemokrat. Um ihm den Wiedereintritt in die PDL-Bundespolitik schmackhaft zu machen, wurde in Erfurt anstelle von Marx, Engels und Lenin ein Name ins Spiel gebracht, der wohl jeden PDL-Genossen aufschrecken dürfte, dessen Geschichtsgedächtnis noch nicht völlig ausgelöscht oder restlos angepaßt ist: Willy Brandt. Der einstige Westberliner Frontstadtbürgermeister, spätere Berufsverbotskanzler und notorische Vietnamkriegsbefürworter - als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale erwarb er in den Augen seiner Gefolgschaft dadurch zusätzliche Meriten, daß er beim Abwürgen der Portugiesischen Revolution die Führung übernahm - wurde als Patron eines ominösen Hilfskorps ohne Skrupel unter die Lichtgestalten der PDL eingereiht.

Gregor Gysi brachte sogar seinen Stolz darauf zum Ausdruck, daß Brandt nun "nicht mehr der SPD, sondern uns gehört". Im gleichen Atemzug hatte der PDL-Fraktionsführer eine alte Abgrenzung erneuert: "Wir wollen doch nicht zurück zur DDR - wir sind doch nicht doof. Wir wollen keinen Staatssozialismus!"

Man sollte es präziser fassen: Gysi, der sich inzwischen damit brüstet, er sei "Zentrist", will überhaupt keinen Sozialismus, der dieses Qualitätsmerkmal verdient, sondern offensichtlich zurück zur Godesberger Sozialdemokratie. Heute noch unter der Fahne Willy Brandts, könnte er seine Partei schon morgen oder übermorgen mit der Ankündigung überraschen, auch Kurt Schumacher gehöre dazu.

Einen solchen Etikettenschwindel haben die aufopferungsvoll an der Basis wirkenden Genossinnen und Genossen der Linkspartei, die sich mehrheitlich unter einem roten Banner versammelt sehen möchten, nicht verdient.    K. S.

Raute

6. Mitgliederversammlung des RF-Fördervereins zog Bilanz und steckte neue Ziele ab

Kämpferische Aufbruchstimmung

Am 29. Oktober fand im Münzenberg-Saal des Berliner ND-Gebäudes die 6. Mitgliederversammlung des "RotFuchs"-Fördervereins e. V. statt. Er kann wohl mit Fug und Recht als einflußreiches Forum zur Bewahrung und Verbreitung der Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus betrachtet werden. Der Verein zählt heute - trotz schmerzlicher Verluste in den Jahren seines Bestehens - über 1500 Mitglieder, die 31 Regionalgruppen angehören. Hinzu kommen örtliche Lesergruppen, deren Wirken ebenfalls auf politische Bildung gerichtet ist. Neben der "jungen Welt", die natürlich auch andere Aspekte zu berücksichtigen hat als eine Monatszeitschrift, ist der vom RF-Förderverein herausgegebene "RotFuchs" das derzeit meistgelesene Periodikum konsequenter Linkskräfte in der BRD. Seine Printausgabe erreicht inzwischen etwa 30.000 Interessenten. Hinzu kommen 32.000 bis 35.000 mehrheitlich jüngere Downloader der Internet-Ausgabe. Der vor 14 Jahren begründete RF geht an Bezieher in 39 Ländern.

Die 6. Mitgliederversammlung fand kurz nach der von etwa 350 RF-Genossen wahrgenommenen Zentralen Veranstaltung in Rostock statt, auf der Götz Dieckmann mit einer richtungweisenden Rede wichtige neue Akzente gesetzt hatte. Wie diese signalisierte sie den Übergang zu einer höheren Qualität unserer politisch-ideologischen Arbeit. Das klar herausgearbeitete strategische Konzept des RF geht vom historischen Händedruck Wilhelm Piecks und Otto Grotewohls im April 1946 aus, mit dem der alte Vereinigungstraum von Kommunisten und Sozialisten auf marxistischer Grundlage verwirklicht wurde.

Wir leisten einen aktiven Beitrag zur Herausbildung einer wirklich systemverändernden antikapitalistischen Formation. Dabei geht es um eine endlich wieder massengestützte und klassenkämpferische gesamtdeutsche Partei, die sich auf die Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin sowie anderer gedanklicher Wegbereiter des Sozialismus gründet. Das ist ein Kontrastprogramm zu den Absichten jener, welche Kurs auf einen Vereinigungsparteitag mit der SPD unter umgekehrten Vorzeichen nehmen, Willy Brandt huldigen, sich zum Antikommunismus bekennen und die DDR schmähen. Die Bereitschaft zur Teilnahme an der Formierung einer solchen Kraft zog sich wie ein roter Faden durch die 6. MV des RF-Fördervereins. Diese verlief in einer Atmosphäre der Konstruktivität und des Optimismus. Ihre Teilnehmer gehören verschiedenen linken Parteien an oder sind derzeit parteilose Kommunisten und Sozialisten.

Begeistert wurde zu Beginn das pointierte und treffsichere Programm des Berliner politischen Kabaretts "Charly M." aufgenommen, das in der BRD Herrschende und in ihr herrschende Mißstände unter Beschuß nahm.

Im Mittelpunkt der Beratung stand dann der analytische, in die Zukunft weisende Bericht des Vorstandes, den Rolf Berthold erstattete. Er nannte die Hauptaspekte der geleisteten und der noch bevorstehenden Arbeit.

Allen daran Beteiligten sprach er den Dank aus: der Redaktion, den zahlreichen Autoren und künstlerischen Mitarbeitern, dem Vertrieb, der Verantwortlichen der Internet-Ausgabe, dem Korrektor, dem Gestalter und der Druckerei sowie allen Basis-Aktivisten, die Monat für Monat in den Regionalgruppen den Bildungsauftrag des Vereins erfüllen.

Mit seinen Leitartikeln und weiteren Grundsatzbeiträgen habe der RF wichtige politische Fragen aufgeworfen und zu aktuellen Debatten Position bezogen. Unter den Veranstaltungen der beiden letzten Jahre rage das RF-Gespräch mit Angela Davis auf der Hauptbühne des vorjährigen ND-Pressefestes heraus, mit dem die Planungen der Veranstalter gesprengt worden seien. Besondere Anerkennung galt den einsatzbereiten Referenten, darunter Heinz Keßler, Egon Krenz, Christa Luft, Helga Hörz, Heinz Grote und Arnold Schölzel.

Zuvor hatte bereits Dietmar Koschmieder als Geschäftsführer der jW dem RF für dessen tatkräftige Solidarität in schweren Tagen, als andere zum Boykott aufriefen, gedankt und Gefühle herzlicher Verbundenheit übermittelt.

Den Berichten des Kassierers und der Revisionskommission folgte ein von Bruni Steiniger gestalteter Videobeitrag über die Rostocker RF-Großveranstaltung, der einen lebendigen Eindruck vom "Geschehen vor Ort" vermittelte.

Höhepunkt der Diskussion, die Harry Machals, Vorsitzender der Rostocker Regionalgruppe, eröffnete, war die mitreißende Rede des 85jährigen Leo Kunz aus der RG Königs Wusterhausen: Der Sohn des im KZ Mittelbau-Dora von der SS ermordeten kommunistischen Widerstandshelden Albert Kunz aus Thälmanns Kampfstab erfüllte damit einmal mehr das Vermächtnis seines Vaters.

Walter Schmidt, Vorsitzender der RF-RG Bitterfeld-Wolfen, berichtete vom solidarischen Zusammenwirken mit Genossen der PDL und anderen Linkskräften am ehemaligen DDR-Chemiestandort.

Der Berliner Arbeiter Marco Oswald appellierte als einer der jüngsten Teilnehmer an die Versammelten, die neuen Generationen nicht aus dem Blickfeld zu verlieren.

Bernd Gutte schilderte anschaulich erste Aktivitäten der gerade gebildeten RF-Lesergruppe Görlitz.

Ingrid Buchhorn, bis 1990 Vorsitzende des Rates des Kreises Güstrow, sprach in bewegten Worten davon, wie ihr der "RotFuchs" zur politischen Heimat geworden sei.

RF-Chefredakteur Klaus Steiniger nahm zum Erfurter PDL-Parteitag Stellung. Er charakterisierte Die Linke als bedeutendste parlamentarische Antikriegspartei und unverzichtbaren antifaschistischdemokratischen Faktor der BRD-Gesellschaft. Der RF solidarisiere sich mit allen Mitgliedern der Linkspartei - und das sei wohl die überwiegende Mehrheit -, die den sozialistischen Idealen die Treue wahren.

Mehrere Genossen - so der Saßnitzer Karl-Heinz Schulz, Andreas Krämer aus Chemnitz und Günter Burckhardt aus Berlin - sprachen zu Fragen der Aktionseinheit und Zusammenarbeit der Linken.

Götz Dieckmann begründete einen Änderungsantrag zu den Leitsätzen - dem Programm des RF-Fördervereins. Anstelle der bisherigen Formulierung "Einigung - nicht Vereinigung!", solle es fortan heißen: "Einigung - mit dem Ziel der Vereinigung!"

Der Vorstandsbericht wurde einstimmig bestätigt. Auch die Wahl des neuen Vorstandes, dem Rolf Berthold wiederum als Vorsitzender, Götz Dieckmann und Wolfgang Dockhorn als dessen Stellvertreter angehören, erfolgte ebenso einmütig. In der ersten Vorstandsberatung wurde Klaus Steiniger abermals als Chefredakteur des RF berufen.

Die erfolgreiche und Orientierung gebende Beratung klang mit dem Gesang der Internationale aus.    RF

Raute

Bei seiner Bundestagsrede "vergaß" der Pontifex wirklich Wichtiges

"Lücken" in einer päpstlichen Lektion

Schon die Ankündigung, der "deutsche Papst" werde im Bundestag sprechen, löste eine kontroverse Diskussion aus. Unter Verweis auf das Grundgesetz, das die Trennung von Staat und Kirche festlegt, lehnten auch etwa 100 Abgeordnete den Auftritt des Pontifex mit der Begründung ab, das Parlament sei keine Kirche. Von offizieller Seite lancierte man, Bundespräsident Wulff habe den Papst als Staatsoberhaupt eingeladen. Der gebietet in der Tat nicht nur über die Seelen von weit mehr als einer Milliarde Katholiken, sondern auch über den mächtigen Vatikanstaat mit seinen rund tausend Einwohnern. Der Streit um die Rolle des Papstes widerspiegelte sich in der An- oder Abwesenheit von Abgeordneten. Etwa einhundert von ihnen hörten sich dessen Rede nicht an, bei der Linksfraktion waren nur 28 der 76 Stühle besetzt.

Um die Lücken im Saal zu kaschieren, füllten sich die Fraktionen mit Ex-Abgeordneten auf. Joseph Ratzinger begann mit einem Paukenschlag. Er käme nicht nur als Landsmann in seine deutsche Heimat, sagte er. "Die Einladung gilt mir als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt. Sie anerkennen damit die Rolle, die dem Heiligen Stuhl als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukommt."

Nur der Grüne Christian Ströbele durchschaute das Spiel und verließ den Saal. Der "Heilige Vater", wie Lammert Herrn Ratzinger begrüßt hatte, schlüpfte für kurze Zeit in die Rolle eines Theologieprofessors, der den Politikern eine Lektion in Sachen Recht und Unrecht erteilte.

Benedikt XVI. zitierte zunächst aus dem Alten Testament: "Im ersten Buch der Könige wurde erzählt, daß Gott dem jungen König Salomon bei seiner Thronbesteigung eine Bitte freistellte. Was wird sich der junge Herrscher in diesem Augenblick erbitten? Erfolg - Reichtum - langes Leben - Vernichtung der Feinde? Nicht um diese Dinge bittet er, er bittet: Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.

Die Bibel will uns mit dieser Erzählung sagen, worauf es für einen Politiker letztlich ankommen muß. Sein letzter Maßstab und der Grund für seine Arbeit darf nicht der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn sein. Die Politik muß Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen."

Das war zweifellos starker Tobak. Traf Ratzinger damit den Nerv der Zuhörer? Beifall zollten sie ihm jedenfalls nicht. Das ist verständlich. Und der Papst verstärkte das Gewicht seiner Mahnung mit dem berühmten Zitat des Heiligen Augustinus: "Nimm das Recht weg - was ist dann der Staat noch anderes als eine große Räuberbande?" Wie soll und darf ein Bürger mit DDR-Biographie einen solchen Ausspruch nach 21 Jahren Annexion aufnehmen? Die Berufung Benedikts XVI. auf Augustinus hat jedoch auch ihre Tücken. Zu dessen Taten gehörte, daß er kaiserliche Militärhilfe anforderte und nutzte, um seinen Bischofskollegen Donatus niederzumachen. Der hatte das "Verbrechen" begangen, sich gegen die Ausbeutung von Tagelöhnern und Wanderarbeitern auszusprechen.

War Augustinus das Vorbild Ratzingers bei der Maßregelung von Befreiungstheologen?

Der Papst hielt es für nötig, dem Augustinus-Zitat noch eine Aktualisierung hinzuzufügen: "Wir Deutschen wissen aus eigener Erfahrung, daß diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, daß Macht von Recht getrennt wurde, daß Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und daß der Staat zum Instrument der Zerstörung wurde - zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte."

Wer wird dem Papst hier widersprechen? Leider "vergaß" der Pontifex wichtiges. Wer hat diese "Räuberbande" an die Macht geschoben und warum? Weshalb haben Bischöfe Hitlers "Räuberbande" und deren Waffen gesegnet? Welche Rolle spielte der päpstliche Nuntius Pacelli, aus dem dann Pius XII. wurde?

Stillschweigend schmuggelt der Heilige Vater in die Kritik am totalitären Dritten Reich auch "andere totalitäre Regime" ein. Was ist gemeint? Die Sowjetunion jedenfalls war die Hauptkraft bei der Zerschmetterung des Naziregimes. Übrigens fanden die Soldaten der Roten Armee im Bedarfsfalle auch christlichen Segen. Die orthodoxen Priester beteten für den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg. Die Totalitarismusdoktrin, die Joseph Ratzinger propagierte, ist also ein vergifteter Dolch in den Händen von Geschichtsfälschern.

Benedikt XVI. sah zwischen "Sein und Sollen" einen "unüberbrückbaren Widerspruch. Der reale Widerspruch besteht indes zwischen der Macht der ausbeutenden Klassen und ihrer politisch-ideologischen Hilfsarmee auf der einen und der großen Mehrheit auch der Gläubigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, auf der anderen Seite. Es gibt Bischöfe und Theologen wie Reinhard Marx und Hans Küng, die über diesen Konflikt nachdenken. Aber sie gelten keineswegs als Freunde des Papstes. Und eine Analyse der Wirklichkeit sollte Ratzingers Rede nicht sein.

Statt dessen erhob er seinen totalitären Machtanspruch: "Außerhalb der Kirche ist kein Heil." Und: "Vom Blick auf die Gottheit her wird entschieden, was unter Menschen rechtens ist." Es "wird entschieden". Durch wen? Wer verfügt über den "Blick auf die Gottheit"? Die Abgeordneten jedenfalls nicht.

Hinter den gelehrten und dunklen Redewendungen des "Heiligen Vaters" verbarg sich der Absolutheitsanspruch eines Mannes, der sich anmaßt, allein zu bestimmen, was Wahrheit, Vernunft und Recht sind. Der Papst erklärte: "Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben." Welcher Abgeordnete hatte das Bedürfnis, da einen Einwurf zu wagen? Inquisition, Hexenverbrennungen, die Ermordung von Ketzern und Ungläubigen dürften in der Tat keine Offenbarung gewesen sein.

Die Medien lobten, daß die Parlamentarier die verdunkelnde Rede des Pontifex mit Respekt und Aufmerksamkeit verfolgt, sich am Ende erhoben und höflich applaudiert hätten. Das angeblich weltbewegende "Event" war ohne Zwischenfälle abgelaufen.

Nun darf gefragt werden: Was wird in die Geschichte eingehen?

Einige Abgeordnete hatten es eilig, das zu beurteilen. Thomas Oppermann von der SPD verkündete schon um 17.53 Uhr sein Lob, der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle fünf Minuten später. CDU-Geschäftsführer Hermann Gröhe hatte bereits um 17.41 Uhr in der Papstrede "eine wertvolle Orientierung" gefunden. Gregor Gysi wandte ein, er hätte sich gewünscht, von Benedikt zu hören, daß der Krieg kein politisches Mittel ist. Zum anderen habe das Thema Armut und Reichtum in der Rede gefehlt.

Das Presseecho war gemischt. "Je genauer man die Rede liest, die als anspruchsvoll und akademisch gilt, desto unverständlicher wird sie", erfuhr man bei "Publik-Forum". "Papst verlangt Treue zum Vatikan" und "Benedikt XVI. enttäuscht die Protestanten", überschrieb die "Süddeutsche Zeitung" ihre resümierenden Berichte. "Über wirklich Wichtiges schwieg der Papst", titelte "neues deutschland", während "junge Welt" die Bilanz zog "Der Papst hat das Land wieder verlassen, aber was hat er eigentlich gewollt?"

Das bleibt tatsächlich die große Frage: Was hat der vom bayerischen CSU-Anhänger zum "Stellvertreter Gottes" avancierte Papst in Berlin gewollt und erreicht?

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Warum Berlins PDL 13.000 Stimmen an die "Piraten" ablieferte

Entern eines leckgeschlagenen Schiffes

Nach zehnjähriger Kuschelpolitik mit der SPD hat es die kapitalismusfreundliche Fraktion um den Ex-Grünen Wolf sowie um die Hoffnungsträger des rechten PDL-Flügels Lederer und Bartsch endlich geschafft, die Wahlergebnisse ihres Berliner Landesverbandes von 22,6 % im Jahr 2001 auf nunmehr 11,6 % beinahe zu halbieren. Enttäuschung über eine unsoziale und doppelbödige Kommunalpolitik ist der Grund für das Desaster. Ihr auf eine Randrolle zugeschnittenes Konzept wollen die Versager in der Hauptstadt nun der ganzen Partei aufzwingen.

Schon vor dem Abstimmungstag wußten sie ganz genau, was passieren würde. So suchten sie mit wüsten Angriffen auf die "Doppelspitze" in Sachen "Castro-Gratulation", "Mauer" und "junge-Welt-Boykott" dieser die Verantwortung für das sich abzeichnende Berliner Fiasko rechtzeitig in die Schuhe zu schieben.

Die scheinbar aus der Retorte und per Internet erzeugte "Piraten"-Partei errang rund 9 % der Stimmen, darunter auch die von 13.000 früheren PDL-Wählern. Die bundesweite Bedeutung dieses vermutlich nicht zufällig aufgetauchten "Phänomens" liegt darin, daß das Entern des leckgeschlagenen Schiffes der "rot-roten" Senatskoalition durch die Piraten ein Ausdruck des Scheiterns der PDL-Pluralismus-Konzeption signalisiert. Die 2008 in Cottbus von Gregor Gysi beschworene "neue Kraft" der Linkspartei, die "marxistische Schubladen" nicht mehr benötige, stellte sich als "Papiertiger" heraus. Vor allem 18- bis 34jährige, aber auch 23.000 Nichtwähler, 17.000 Grüne und 14.000 ehemalige SPD-Anhänger fanden in der Partei mit dem aufmüpfigen Charme innovativer Techno-Freaks ihre neue politische Hoffnung. Die "Piraten" offerierten sich frei von dämonisiertem Sozialismus, ohne sozioökonomische Orientierungsprobleme, mit von Linken wie Grünen entliehenen Dekorationen und einem besitzergreifenden Netzwerk-Optimismus. Organisationsstruktur und basisdemokratische Offenheit erlauben eine rasche Wandelbarkeit im Programm, das jedermann bedienen kann.

"Die Piraten-Partei will sich auf die im Programm genannten Themen konzentrieren ... Wir glauben, daß sie für Bürger aus dem gesamten traditionellen politischen Spektrum unterstützenswert sind und daß uns eine Positionierung in diesem Spektrum im Streben nach Wahrung der Privatsphäre und Freiheit hinderlich wäre", verkündeten die "Piraten" vor Jahresfrist in der Präambel ihres "programmatischen Dokuments". Dieses läßt die Schlüsselprobleme unserer Zeit - imperialistische Raubkriege, Klassenkampf und Welternährungskrise, aber auch nationale Befreiungsbewegungen - völlig außer Betracht. Zwar werden Bürgerrechte und Antimonopolismus angemahnt, doch streben die "Piraten" eine kapitalistische Marktwirtschaft mit überdimensionaler Förderung kleinbürgerlicher Unternehmen an, was wohl mehrheitlich ihrer eigenen Klassenlage entspricht.

Die Staatsfrage wird mit idealistischen Utopien und typisch anarcho-syndikalistischen Entwürfen nur ganz am Rande berührt. Das von attac, aber u.a. auch von der stellvertretenden PDL-Vorsitzenden Katja Kipping propagierte "bedingungslose Grundeinkommen" - CDU-FDP-Experten haben es freudig als "Hartz-IV-Ersatz" aufgegriffen - entkoppelt die Daseinssicherung von den Lohnzahlungen der Kapitalisten. Dadurch würde der Gewerkschaftsbewegung der Boden entzogen, und Dumpinglöhne erhielten ihre Salonfähigkeit. Die "Piraten" glauben an die Technologie als solche. Zwar hat der mikroelektronisch-chiptechnologische Quantensprung als Basis Strukturwandel, Standortverteilung sowie erhebliche Veränderungen in der Arbeitswelt und Lebensweise bewirkt, bleibt aber, teils sogar verschärft, im kapitalistischen Verwertungsrahmen Quelle von Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg.

Nur bei Verfügungsgewalt über das Eigentum an den Produktionsmitteln im Ergebnis des Klassenkampfes der Werktätigen kann höhere Produktivität zu gerechter Umverteilung des im Arbeitsprozeß geschaffenen gesellschaftlichen Reichtums genutzt werden. Und: Ursache der Volksrebellionen in einigen Ländern, wie wir sie gerade erleben, sind nicht das Internet oder die PCs, sondern die wirtschaftlichen Konflikte und Klassenwidersprüche.

Die Piraten-Partei greift das Erbe solcher Bürgerbewegungen wie "Stuttgart 21" auf, eröffnet durch die Gesellschaft vernachlässigten - überwiegend jungen - Menschen Möglichkeiten für "Kirchturmpolitik", ständische Interessen und Konzentration auf ihre technologischen Präferenzen, denen Heilungskräfte für alle Übel der Menschheit zugeschrieben werden.

Wer wie die Pluralisten in der PDL ohne antikapitalistische Agitation und marxistische Aufklärung als bloßer Trittbrettfahrer von Bürgerprotesten gegen einzelne Mißstände neue Anhänger zu gewinnen hoffte, hatte an den Wahlurnen das Nachsehen. Auch in Koalitionen unter Verzicht auf eigene politisch-ideologische Substanz verwischt die PDL ihr Profil und geht im Brei der bürgerlichen Parteien unter. Bloße SPD-Imitation braucht niemand, denn das Original besitzt schon seit 1914 Erfahrung in solcherlei Politik und ist da weitaus bewanderter, wie der Verbleib Wowereits an der Berliner Senatsspitze beweist.

Da viele technologische Forderungen der "Piraten" für CDU, FDP und SPD durchaus kompatibel sein könnten, dürften einige gewiß auch umgesetzt werden. Nur da, wo es unbeabsichtigterweise ans "Eingemachte" der Bourgeoisie geht, werden die "Piraten" abblitzen. Eine "Linke" indes, die ihren Verzicht auf systemüberwindende antikapitalistische Forderungen in vorauseilendem Gehorsam verkündet und der bereits praktizierten Kommunistenhatz Vorschub leistet, stellt auch keine Wahlalternative mehr dar. Die PDL muß sich nicht wundern, wenn sie von jungen Wählern zu den "verknöcherten traditionellen Parteien" gezählt wird, welche "Piraten"-Anhänger so abschreckend finden.

Übrigens sollte man - was mögliche Regisseure im Hintergrund sowie denkbare Mäzene der zahlreichen geschickt gemachten Werbeplakate zugunsten einer Anfängerpartei ohne ernsthafte Struktur betrifft - noch folgendes in Betracht ziehen: Seit 2011 amtiert der 28jährige Bioinformatik-Student Sebastian Nerz als Bundesvorsitzender der "Piraten". Er kommt aus der CDU und gilt als konservativ. Diese Partei aber verlor auffälligerweise keine oder fast keine Stimmen an die "Piraten" - für sie ein Grund mehr, das Projekt landesweit zu fördern, um anderen das Wasser abzugraben.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

Raute

Rückgriff auf das antisowjetische Propagandaklischee vom "Pakt zweier Diktatoren"

Unsinniges zum Nichtangriffsvertrag von 1939

Am 23. August erschien auf dem Internetportal www.kommunisten.de ein Artikel unter dem Titel "... Stalin, der Verräter bist du!" Dessen Sichtweise auf den vor 72 Jahren zwischen der UdSSR und dem Deutschen Reich geschlossenen Nichtangriffspakt ist folgende: Der "Schandvertrag zwischen der Sowjetunion und Hitlerdeutschland" belaste die kommunistische Bewegung bis heute. Ausgangspunkt seiner Entstehung seien deutsche Interessen an einem Wirtschaftsabkommen mit der UdSSR um das Jahr 1939 herum gewesen, um die Versorgung mit kriegswichtigen Rohstoffen zu verbessern, worauf sich Stalin nur allzu gerne eingelassen habe. Das sei eine Mißachtung der Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern) gewesen, wonach die UdSSR und die kommunistische Weltbewegung Kurs auf antifaschistische Volksfronten unter Einschluß bürgerlicher Demokraten bzw. Demokratien zu nehmen hatten. Die britische und französische Bereitschaft zur Bildung eines Antihitlerblocks sei in sträflicher Weise ungenutzt geblieben und Stalin so zum Komplizen der Zerschlagung Polens durch die Naziwehrmacht geworden. Das müsse als Verrat an den Prinzipien des Antifaschismus und der Komintern-Politik betrachtet werden.

Doch stellen wir die Frage: Ließ sich Stalin wirklich ohne Not auf den Vertrag mit Hitler ein? Oder war er zu der Erkenntnis gelangt, daß die Westmächte kein Interesse an einer antifaschistischen Koalition hatten und den deutschen Expansionsdrang nach Osten lenken wollten? Sah sich die UdSSR unter diesen Voraussetzungen nicht gezwungen, durch einen solchen Vertrag Zeit zur Vorbereitung auf den erwarteten Krieg mit Nazi-Deutschland zu gewinnen?

Der Historiker Isaac Deutscher gilt als einer der wichtigsten Stalin-Biographen. Sein Werk zu diesem Thema verrät wenig Zuneigung in bezug auf den sowjetischen Parteiführer und Staatsmann. Um so bemerkenswerter ist, was er zur Vorgeschichte des Vertrages zu sagen hat. Diese setzt er wesentlich früher an als der anonyme Autor des über kommunisten. de verbreiteten Artikels. Bereits Mitte der 30er Jahre bemühte sich der Kreml um eine Antihitlerkoalition: "Aber, wie dem auch immer gewesen sein mag, hat man doch den gerechtfertigten Eindruck, daß Stalin in den Jahren 1935 bis 1937 und auch noch später ernsthaft und ehrlich eine Koalition gegen Hitler auf die Beine bringen wollte", schrieb Deutscher. "Aber hier erwartete ihn eine Enttäuschung nach der anderen. Der russischfranzösische Beistandspakt blieb ein Stück Papier. (...) Frankreich und England rührten zu allen Provokationen Hitlers nicht einmal den kleinen Finger." Eine nachvollziehbare Einschätzung, denkt man an das passive, Hitler ermutigende Verhalten der französischen Regierung beim Einmarsch der Wehrmacht ins entmilitarisierte Rheinland. Deutscher resümiert: "Die französische Regierung ... behandelte Hitler - ihren künftigen Feind - beinahe wie einen Verbündeten und ihren nominellen Verbündeten Rußland beinahe wie einen Feind." Weiter heißt es in dem 1989 in Darmstadt erschienenen Werk "Stalin. Eine politische Biografie": "Der bedrohten Tschechoslowakei stellten die Sowjets militärische Hilfe für den Fall eines Angriffs in Aussicht, ohne daß die Westmächte zu bewegen gewesen wären, sich diesem Angebot glaubwürdig anzuschließen. ... Stattdessen opferten sie die CSR im Zuge des Münchener Abkommens. Aber auch nach München war es das Bestreben sowjetischer Außenpolitik, doch noch zu einer gegen Hitlerdeutschland gerichteten Einigung mit Großbritannien und Frankreich zu kommen. ... Die französische und die britische Regierung beantworteten die sowjetischen Bemühungen mit albernen Kapriolen, als sie z. B. diplomatisch unterbesetzte Delegationen mit demonstrativer Verspätung nach Moskau entsandten, wo sich die mitgeführten Vollmachten als unzureichend erwiesen."

Die UdSSR mußte einsehen, daß sich an der sowjetfeindlichen Außenpolitik der Westmächte seit den 20er Jahren nichts grundsätzlich geändert hatte. Stalin erkannte die in Paris und London gehegten Hoffnungen auf ein Losschlagen Hitlers nach Osten. Jetzt konnte es Moskau nur noch um ein Maximum an Zeit zur Vorbereitung auf den Angriff gehen.

Auch der damalige US-Innenminister Harold L. Ickes bescheinigte die Hinhaltetaktik des Westens: "Großbritannien hätte längst eine Vereinbarung mit der Sowjetunion erzielen können, es wiegte sich aber in der Hoffnung, Rußland und Deutschland gegeneinander aufzubringen und auf diese Weise mit heiler Haut davonzukommen."

Chamberlains Politik, eine Einigung mit der UdSSR auf antifaschistischer Grundlage zu hintertreiben, wurde selbst von einem Reaktionär mit Realitätssinn attackiert: Winston Churchill. Er verstand, daß die Briten es bei Hitler nicht mit einem Bluthund zu tun hatten, den man auf ausgewählte Opfer hetzen konnte. Vielmehr war zu erwarten, daß der deutsche Faschismus über kurz oder lang auch mit den Weltmachtansprüchen des Empire kollidieren würde. "Churchill erklärte unumwunden, daß die britische und die französische Regierung die Verantwortung dafür tragen, daß es 1939 nicht zu einem Militärbündnis zwischen Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion gekommen ist. Mitverantwortlich waren auch die Regierungen Polens und Rumäniens, die keine Durchmarscherlaubnis im Falle einer deutschen Aggression für die sowjetischen Truppen gaben", konstatierte der verstorbene Historiker und langjährige "RotFuchs"-Autor Ulrich Huar.

Besonders einzugehen ist auf die Frage der "Teilung Polens". Die UdSSR und Hitlerdeutschland einigten sich darauf, daß das polnische Staatsgebilde nicht weiter zu existieren habe. Die völkerrechtliche Unhaltbarkeit einer solchen Vereinbarung zweier Staaten über das Schicksal eines dritten Staates ist offensichtlich. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die nach dem September 1939 den vormaligen Staat Polen durchtrennende deutsch-sowjetische Demarkationslinie eine deutliche Westwärtsverlegung der Verteidigungsstellungen der Roten Armee im Fall eines deutschen Angriffs darstellte. Churchill bemerkte hierzu übrigens: "Daß die russischen Armeen auf dieser Linie stehen, ist für die Sicherheit Rußlands gegen die deutsche Gefahr absolut notwendig."

"Durch die 'Westverschiebung' wurden Teile Weißrußlands und der Ukraine der UdSSR angegliedert, die sich Polen 1921 im Vertrag von Riga unter Ausnutzung der desolaten Verfassung Sowjetrußlands angeeignet hatte", konstatierte der Historiker Kurt Gossweiler. Die völkerrechtliche Problematik muß also unter Einschluß ihrer Vorgeschichte bewertet werden. Es ist verständlich, daß im überwiegenden Teil der (westdeutschen) Literatur der Vertrag von Riga überhaupt keine Erwähnung findet. Es würde nicht zum tendenziösen Bild zweier sich spontan umarmender Diktatoren passen.

In Erinnerung sei gerufen, wie der Nichtangriffsvertrag seinerzeit seitens der DKP bewertet wurde. G. Judick und K. Steinhaus führten dazu in den "Marxistischen Blättern" aus: "Angesichts der Tatsache, daß sich die Westmächte beharrlich weigerten, der Gefahr einer faschistischen Aggression mit einem System der kollektiven Sicherheit zu begegnen, gab es im August 1939 zu dem Vertrag mit Deutschland faktisch keine Alternative. Der eigentliche Fehler Stalins lag darin, daß er Hitler eine solche Dummheit, wie es die mutwillige Inszenierung eines Zweifrontenkrieges war, nicht zutraute."

Erik Höhne, Neuß

Raute

Vor 20 Jahren wurde die UdSSR durch ein kriminelles Komplott ausgelöscht

Die Verschwörung von Beloweshsk

Am 8. Dezember 1991 wurde in den belorussischen Wäldern von Boris Jelzin, dem Präsidenten der RSFSR, Leonid Krawtschuk, dem Präsidenten der Ukrainischen SSR, und Stanislaw Schuschkewitsch, dem Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Belorussischen SSR, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit der "Beloweshsker Übereinkunft" die Sowjetunion für aufgelöst erklärt und zugleich die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) aus der Taufe gehoben. Es handelte sich dabei in mehrerlei Hinsicht um offenen Verfassungsbruch. Der Unionsvertrag von 1922, den die Verschwörer angeblich aufkündigten, hatte bereits seit langem keine juristische Kraft mehr, da er durch die Verfassung der UdSSR ersetzt worden war. Deren oberste Machtorgane waren ebenso wie die der übrigen Unionsrepubliken selbstherrlich übergangen worden. Und der Wille der Bevölkerung der Sowjetunion wurde in einer Weise mißachtet, die nicht augenscheinlicher sein konnte, hatte diese sich doch im Frühjahr 1991 in einem Referendum mit 76 Prozent für den Erhalt der UdSSR ausgesprochen.

Die Verschwörer waren sich der Ungesetzlichkeit ihres Handelns voll bewußt. Jelzin soll darum gegenüber seinen Komplizen auch besorgt geäußert haben: "Wir sind Todeskandidaten." Die Angst erwies sich allerdings als unbegründet. Die Machtorgane der UdSSR waren im Ergebnis der sich unter dem Aushängeschild der Perestroika vollziehenden Abwicklung des Sozialismus bereits vollständig zersetzt. Nach dem vor allem an der Inkonsequenz seiner Akteure gescheiterten Versuch des "Notstandskomitees", in letzter Minute das Steuer herumzureißen, wütete die Konterrevolution nunmehr unverhüllt. Jelzin hatte die KPdSU in Rußland verboten. Die Volksmassen waren desorientiert und handlungsunfähig. Gorbatschow, der Präsident der UdSSR, unternahm nichts, um den Gesetzesbruch zu verhindern, und die Obersten Sowjets der Unionsrepubliken setzten gehorsam ihre Unterschrift unter die "Beloweshsker Übereinkunft".

Die Mehrheit der Menschen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion bedauert heute das Ende der UdSSR, mußten und müssen sie doch einen hohen Preis dafür zahlen. Blutige Kriege und Nationalitätenkonflikte haben Zehntausende das Leben gekostet. Viele Millionen Sowjetbürger, vor allem Russen, die nicht zur Stammnationalität der Republik gehörten, in der sie lebten, wurden von einem Augenblick zum anderen zu Ausländern, die sich nicht selten ihrer Bürger- und Menschenrechte beraubt sahen. Das von den Völkern der Sowjetunion in sieben Jahrzehnten gemeinsamer Arbeit geschaffene Volksvermögen haben Oligarchen und Familienclans an sich gerissen. Die industrielle Produktion, Wissenschaft und Forschung wurden um Jahrzehnte zurückgeworfen, die Volksmassen in bittere Armut gestürzt.

In seinem 2010 im Moskauer Verlag EKSMO erschienenen Buch "Der Kronzeuge" vermittelt der ehemalige Ministerpräsident der UdSSR, Nikolai Ryshkow, bei uns kaum bekannte Einblicke in den Ablauf der verhängnisvollen Ereignisse von Beloweshsk. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf die erbärmlichen Kreaturen, die der bereits unter Gorbatschow ins Chaos getriebenen sozialistischen Supermacht Sowjetunion den Todesstoß versetzten. Ryshkow stützt sich dabei weitgehend auf die Publikation A. D. Schutows "Auf den Ruinen einer Großmacht".

Zum Bild gehört auch die folgende fast wie eine Posse anmutende Begebenheit. Danach wurde der Text der Beloweshsker Übereinkunft von den dazu beauftragten Mitarbeitern der Verschwörer diskutiert, von dem in juristischen Fragen versierten Mitglied der russischen Delegation, Schachrai, niedergeschrieben und anschließend wegen dessen unleserlicher Handschrift von Gaidar in eine lesbare Fassung gebracht.

Um vier Uhr nachts sollte der Text unter die Tür des Zimmers geschoben werden, in dem die Stenotypistin schlief. Allerdings sei die Tür verwechselt worden und das Papier bei einem Leibwächter gelandet. Nachdem dieser erwachte - so heißt es weiter - habe er dessen Sinn zu enträtseln versucht. Nachdem er zu dem Ergebnis gekommen sei, daß es sich wohl um Unsinn handele, habe er es zerknüllt und auf der Toilette in den Drahtkorb für benutztes Papier geworfen. Deshalb hätten die Verfasser des Dokuments dieses am Morgen in großer Unruhe gesucht. Und man habe es schließlich an dem nicht zu vermutenden Ort wiedergefunden.

Am Tage machten sich die Präsidenten mit dem nun maschinengeschriebenen Text bekannt, stellten feierlich die Wimpel ihrer Republiken vor sich auf und setzten um 14.17 Uhr ihre Unterschriften darunter. Der Welt wurde mitgeteilt, daß "die Union als Subjekt des internationalen Rechts und geopolitische Realität ihre Existenz beendet" habe.

Um für den Fall der Fälle auf Unterstützung von außen rechnen zu können, berichtete Jelzin eiligst dem US-Präsidenten Bush sen: "Heute hat sich in unserem Land ein sehr wichtiges Ereignis vollzogen, und ich wollte Sie persönlich darüber informieren, bevor Sie es aus der Presse erfahren", gab er sich feierlich. Er unterstrich, so berichtet Bush in seinen Memoiren, "daß Gorbatschow diese Resultate noch nicht kennt". Weiter sagte Jelzin speichelleckerisch: "Hochverehrter George, das ist außerordentlich, außerordentlich wichtig. Angesichts der Tradition, die sich zwischen uns bereits herausgebildet hat, konnte ich selbst keine zehn Minuten warten, um Sie zu informieren."

Ryshkow stellt dazu treffend fest, daß sich in diesem Gespräch wie in einem Spiegel die ganze Nichtigkeit Jelzins zeige - eines Staatsfunktionärs, der zu jeder Gemeinheit und Intrige, zu jedem Verrat in Verfolgung seiner persönlichen Interessen bereit war.

Nach dem Telefongespräch mit Bush fand ein Festessen statt. In dessen Verlauf habe sich Jelzin, durch das große Erlebnis ermuntert, derart betrunken, daß an die für 17 Uhr angesetzte Pressekonferenz nicht zu denken war. Sie fand erst um zwei Uhr nachts statt, wobei es nicht sofort gelungen sei, Jelzins Bewußtsein wiederherzustellen. Anschließend habe es ein Bankett gegeben, bei dem dieser "schnell wieder die Grenzen seiner Kondition erreicht habe und auf den Teppich gefallen sei".

Vier Tage nach den Ereignissen in Beloweshsk, am 12. Dezember 1991, reagierte das Komitee für Verfassungsaufsicht der UdSSR. Es konstatierte, daß Belorußland, die RSFSR und die Ukraine nicht befugt gewesen seien, Fragen zu entscheiden, welche die Rechte und Interessen aller Unionsrepubliken betreffen. Das Komitee zog den Schluß, daß der Akt von Beloweshsk keine verpflichtende juristische Kraft habe.

Und wie verhielt sich Gorbatschow? Der ehemalige Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR, A. Lukjanow, beantwortete die Frage: "Er blieb der Oberkommandierende, und ein einziges Wort des Präsidenten hätte genügt, und von den Unterzeichnern und ihren Dokumenten wäre nichts übrig geblieben. Ging es doch um das Schicksal einer Weltmacht, um ein Volk von dreihundert Millionen, um das globale Kräftegleichgewicht in der Welt. Das Machtwort des Menschen, der geschworen hatte, die Union zu bewahren und zu verteidigen, gab es jedoch nicht."

Der Zerstörungsprozeß des einheitlichen Staates nahm seinen Lauf und wurde bald "erfolgreich" abgeschlossen - zum Nutzen des Weltimperialismus und zum Schaden des sowjetischen Volkes, des Friedens und des Fortschritts in der Welt.

Willi Gerns, Bremen

Raute

Die Mär vom Faschismus als einer "antikapitalistischen Revolte"

Nebelwerfer in Aktion

In seinem Artikel "Faschismus als Bewegung und an der Macht" (RF 162) berichtet Götz Dieckmann von "Sturmangriffen", denen sich Georgi Dimitroffs Bestimmung des Klassencharakters der faschistischen Diktatur heute ausgesetzt sieht. Und er erklärt auch, warum das so ist: "Nichts ist schlimmer für das Monopolkapital als der Nachweis seiner Verantwortung für das Grauen." Daher werde der Faschismus heute als "Diktatur wildgewordener Kleinbürger" dargestellt, der sich das Kapital nur unter Zwang gebeugt habe.

Die Ausführungen Prof. Dieckmanns bedürfen einiger modernisierender Ergänzungen. Denn längst wird der Faschismus an der Macht nicht mehr nur in eine "Diktatur wildgewordener Kleinbürger" umgelogen. Heute heißt es, er sei eine "antikapitalistische Revolte von unten" gewesen, ein "barbarischer Rachefeldzug der Zukurzgekommenen gegen individuelles Glück, Schönheit und Emanzipation". Jene, die solchem Unsinn das Wort reden, sind nicht etwa Lohnschreiber der Bourgeoisie, sondern sitzen in den Reihen der Linkspartei, der Antifa, in den Universitäten. Vermeintlich marxistische Theoretiker, allen voran der US-Amerikaner Moishe Postone, stehen in den ersten Reihen der Propagandisten dieser neuesten "Faschismustheorien" und betreiben den dramatischen Paradigmenwechsel in der Faschismusforschung.

So schreibt Mathias Wörsching in seinem Aufsatz "Leistungen und Fehlleistungen marxistischer Faschismustheorien aus heutiger Sicht" (Rundbrief 1/2009 der BAG Rechtsextremismus/Antifaschismus beim Bundesvorstand der Partei Die Linke), Faschismustheorien im Anschluß an Dimitroffs Referat auf dem VII. Weltkongreß krankten an "Desinteresse am Ideologischen" und einer "Fixierung auf den Faschismus als Herrschaftsform". Das führe viele Marxisten "zur Vernachlässigung" der spezifisch faschistischen Form von Antikapitalismus. Diesen "Antikapitalismus" sieht Wörsching in einer "Feindschaft gegen Liberalismus, Individualismus, bürgerlichen Lebensstil und Hedonismus".

Aufgrund dieser Analyse plädiert er dafür, nicht der Faschismus als Herrschaftsform solle länger im Vordergrund stehen, sondern der Faschismus als "Revolte gegen die kalte und gefühllose Welt der kapitalistischen Moderne". Die Faschismustheorie müsse vor allem den "Bruch [...] im Verhältnis von Faschismen und Kapitalismus bestimmen".

Damit die These vom "Bruch" Sinn ergibt, muß allerdings nicht nur der Faschismus, sondern auch der Kapitalismus umgedeutet werden. Dabei wird der Faschismus auf Antisemitismus reduziert. Der sei eine Revolte gegen den angeblich "abstrakten" Kapitalismus, der seinerseits zu einer Art Herrschaft ohne Herrscher verklärt werde. Weil "die Menschen" aber diese "anonyme Herrschaft" nicht verstehen, suchen sie ständig Sündenböcke für alle Übel und finden sie in den Juden. Und als wäre das noch nicht genug, wird dieses Kunststück ausgerechnet mit dem Werk von Karl Marx begründet.

Der hat vom Kapital als "automatischem Subjekt" gesprochen, um deutlich zu machen, daß die kapitalistische Produktionsweise auch Bedingungen einschließt, die sich dem Willen der Akteure entziehen. Die neuen Faschismustheoretiker benutzen die Rede vom "automatischen Subjekt" allerdings in einem ganz anderen Sinn. Die kapitalistische Gesellschaft nennen sie einen "apersonalen" Gesamtzusammenhang. "Herrschende" existieren darin angeblich nicht. "Da es sich beim Kapitalismus um eine warenvermittelte und somit apersonale 'Herrschaftsform' handelt, können keine 'Herrschenden' ausgemacht werden, da sie de facto nicht existieren", erklärt etwa eine "Revolutionäre Aktion Erfurt".

Angesichts dieser "apersonalen Herrschaftsform", meint ein "Arbeitskreis kritischer Studierender" aus Kiel, scheint es den Menschen "verlockend, die Repressivität der Strukturen auf Personen und Personengruppen herunterzubrechen", denn damit wären "Unterdrückung und Ausbeutung sichtbar und zuzuordnen". Unterdrückung und Ausbeutung sind für diese "Kritiker" also unsichtbar und nicht zuzuordnen. Ihr Resümee: "Als gesellschaftliches Phänomen taucht diese Art von Kritik unter anderem als Antiamerikanismus oder Antisemitismus auf."

Oder, in den Worten von Moishe Postone: "Bei der beschriebenen Wende zum Konkreten im Angesicht abstrakter Herrschaft handelt es sich selbstverständlich um eine Form der Verdinglichung. Zwei der verschiedenen Spielarten dieser Verdinglichung, die in den letzten 150 Jahren eine beachtliche Kraft entwickelt haben, sind die Identifikation des globalen Kapitals mit der britischen und später amerikanischen Hegemonie und seine Personifizierung in den Juden." Wer Herrschende benennt, bedient antisemitische Ressentiments, produziert faschistische Ideologie. Jeder, der von "Heuschrecken" oder "Finanzjongleuren", aber auch von der herrschenden Klasse spricht, meint - das ist die Konsequenz - eigentlich die Juden.

Es wäre beruhigend, wenn man das als Gerede einiger Verwirrter abtun könnte. In den verschiedensten Schattierungen ist diese "Faschismustheorie" aber in der linken Theoriebildung vorherrschend geworden. Vielgelesene Theoretiker wie Michael Heinrich oder Ingo Elbe stehen in ihrem Dunstkreis. Kein Wunder, enthält sie doch ein sehr attraktives Angebot: Man kann "kritisch" und "gegen Nazis" sein und gleichzeitig ganz antikommunistisch den Kapitalismus gegen die Gefahr des wahlweise linken oder rechten, gern auch - mit rassistischen Untertönen - "muslimischen" Antikapitalismus verteidigen. Wen wundert es da, daß selbst im "Handelsblatt" längst über den "faschistischen Antikapitalismus" geschrieben wird.

Der Faschismus "ist keine über den Klassen stehende Macht, nicht die Macht von Kleinbürgertum oder Lumpenproletariat über das Finanzkapital, sondern er ist die Macht des Finanzkapitals selbst", sagte Dimitroff. Sein Satz bildet noch immer eine Frontlinie im Klassenkampf. Bleibt der unbewußt, können selbst jene, die glauben, auf der richtigen Seite zu stehen, unversehens auf der Seite des Klassengegners landen - dann mag noch so oft "Antifa" auf ihren Fahnen stehen. Die Kommunisten dürfen dieses Phänomen nicht unterschätzen: Die "neuesten Faschismustheoretiker" betreiben das Geschäft der Reaktion.

Werner Erdner, Hamburg

Raute

Die chemische Industrie war ein Herzstück der DDR-Volkswirtschaft

Gedanken eines Generaldirektors

Chemie - unser Leben, unsere Zukunft". Mit diesem Motto war das von den Vereinten Nationen ausgerufene Internationale Jahr der Chemie am 27. Januar 2011 in Paris offiziell eingeleitet worden.

Die UNESCO hob aus diesem Anlaß auch die Leistungen herausragender Chemikerinnen und Chemiker hervor. Zu ihnen zählt Marie Sklodowska-Curie, die gemeinsam mit ihrem Mann Pierre zwei neue Elemente entdeckte und zugleich als Begründerin der Radiochemie gilt. Sie erhielt 1911 ihren zweiten Nobelpreis - den für Chemie. Mutter zweier Töchter - Eve und Irene - war sie eine von vier Frauen unter insgesamt 162 Chemiepreisträgern. Irene trat in Maries Fußstapfen und erhielt zusammen mit ihrem Mann Frederick Joliot, Physiker, Kämpfer der französischen Résistance, Mitglied des ZK der FKP und in den 50er Jahren Präsident des Weltfriedensrates, ebenfalls den Nobelpreis. Beide wurden wegen ihrer konsequenten politischen Haltung mit Berufsverbot in Kernforschungsinstituten ihres Landes belegt.

Das Motto "Chemie: unser Leben, unsere Zukunft" verlangt eine unmißverständliche Antwort auf die Frage, ob sie den Menschen dient oder gegen sie gerichtet ist. Die Chemie spielte bei der Herausbildung der modernen Produktivkräfte seit Anfang des 19. Jahrhunderts eine revolutionierende Rolle. Ihre Geschichte ist aber auch in besonderem Maße mit menschenfeindlichem Geschehen verbunden. Erinnert sei hier an den Einsatz von Giftgasen durch die kaiserlich-deutsche Armee im Ersten Weltkrieg gegen französische und russische Truppen, aber auch an Zyklon B, mit dem Millionen Menschen - vor allem Juden - in den faschistischen Vernichtungslagern ermordet wurden. Der IG-Farben-Konzern war an diesen Völkermordverbrechen maßgeblich beteiligt. Nicht unerwähnt bleiben darf die von den US-Streitkräften im Vietnamkrieg eingesetzte "Entlaubungs-Chemikalie" Agent Orange, die Hunderttausende Menschen betraf und bis heute zur Verkrüppelung nicht weniger Nachkommen führt.

Das oben genannte Motto verlangt eine gewissenhafte Antwort auf die Frage: Haben kapitalistische Profitinteressen Vorrang, oder geht es um Brot, Wohlstand und Schönheit für alle?

Die Chemie-Industrie der DDR traf eine eindeutige Entscheidung: Die Profiteure wurden ausgeschaltet. Doch mit der Teilung Deutschlands entstanden schwerwiegende Probleme: Die traditionellen und untereinander verflochtenen Stoffströme zwischen Ost und West flossen nicht mehr wie zuvor. Der größte Teil der Chemie-Anlagen auf DDR-Gebiet war zerstört oder wurde im Zuge von Reparationen demontiert. Außer Braunkohle, Salzen aus dem Raum Bernburg/Staßfurt und Kalk oder Gips aus dem Harz verfügte der im Osten entstandene Staat über keine nennenswerten Bodenschätze. Dennoch stellte die chemische Industrie der Volkswirtschaft und der DDR-Bevölkerung ein großes Sortiment an Pharmazeutika, Farbstoffen, Chemiefasern, Filmen, Treibstoffen, Schmieröl, Gummi, Plaste, Haushaltschemikalien, Kosmetika sowie Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zur Verfügung. Um ihren Rohstoffbedarf zu decken, baute die DDR trotz des Röhrenembargos Pipelines und Aufbereitungsanlagen für Erdöl und Erdgas aus der UdSSR. Für mehr als 10 Mrd. Valuta-Mark wurden modernste Chemie-Verarbeitungsanlagen aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) importiert. Aus eigener Forschung konnten Stoffumwandlungsverfahren und Technologien zur Modernisierung und Erneuerung der Produktion in die Praxis überführt werden. Die Anwendung der Automatisierungs- und Robotertechnik, der elektronischen Datenverarbeitung und der Mikroelektronik zur Rationalisierung sowie der Biotechnologie bestimmten das Bild unserer Arbeit.

Wir waren zutiefst davon überzeugt, daß Chemie den Menschen tatsächlich Brot, Wohlstand und Schönheit bringt. Sie war ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Wir alle hätten uns natürlich gewünscht, daß die Modernisierung und Erneuerung mancher Anlagenkomplexe schneller und rationeller verlaufen wäre. Das Geld dafür war durchaus zu verdienen, doch die Möglichkeiten der Volkswirtschaft insgesamt bestimmten die materiellen Voraussetzungen. Das betraf besonders Technologien und Verfahren zur Abluft- und Abwasserreinigung sowie deren Wirkungen auf die Umwelt jener Menschen, welche auf Territorien im Bereich der chemischen Werke lebten.

Vor der feindlichen Übernahme der DDR durch die BRD waren am 31. Dezember 1989 in 15 Chemiekombinaten insgesamt 308.008 Menschen tätig. Sie hatten bis zum 31.12.1990 Erzeugnisse im Wert von 88 Mrd. Mark der DDR (ca. 22 Mrd. €) hergestellt.

Durch unsere Arbeitsleistungen halfen wir mit, ein DDR-Bruttoinlandsprodukt (BIP) von - umgerechnet - 16.796 DM pro Einwohner zu erwirtschaften. Legt man den 1987 ausgewiesenen Umrechnungssatz von 1 Ecu (der damals gültigen europäischen Währungseinheit, die 2,07 DM entsprach) zugrunde, dann gelangt man für 1988 zu einer Bruttoinlandsprodukt-Größe pro Kopf der DDR-Bevölkerung von 8114,32 Ecu. Im Rahmen der in jenem Jahr zur EG gehörenden Länder wäre dies der 9. Platz gewesen - mit recht geringem Abstand zu Großbritannien (9000 Ecu), aber mit deutlichem Vorsprung gegenüber Spanien (6130 Ecu), Griechenland (3800 Ecu) und Portugal (3090 Ecu). Das habe der Wirtschaft der DDR und der Arbeit ihrer Bürger ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt, konstatierte Prof. Siegfried Wenzel in seinem Buch "Was war die DDR wert?"

Aber hatte sie denn keine Schulden?

Die Modrow-Regierung legte hierzu niemals eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung vor. Die DDR hatte indes durch Anlagen-Importe - es handelte sich um etwa 700 Technologien und komplette Produktionsstrecken für die Industrie, die mit Erzeugnissen bezahlt wurden - langfristige Kreditlinien zu den Lieferanten aufgebaut, woraus sich am Stichtag natürlich Verbindlichkeiten im kapitalistischen Ausland ergaben. Andererseits verfügte sie über Guthaben in etwa gleicher Höhe im sozialistischen Ausland. Im NSW betrugen die Verbindlichkeiten 23,3 Mrd. DM. Das waren 7,44 % der als BIP bezeichneten Wirtschaftsleistung der DDR oder 3622 DM pro Kopf der Bevölkerung.

Seit 1990 ist die Wirtschaft der BRD von drei schweren Krisen getroffen worden. Gegenwärtig beträgt die Staatsverschuldung ca. 1,976 Billionen €. Das sind 83,2 % des BIP, wobei maximal 60 % als zulässig gelten. Die Folgen für die Bevölkerung sind hinreichend bekannt: stillgelegte Produktionsanlagen, grassierende, wenn auch auf vielerlei Weise kaschierte Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Altersarmut - all das gehört seit 1990 zum gewohnten Bild. Die DDR-Verfassungstexte wie die Verfassungswirklichkeit hingegen garantierten allen Bürgern Vollbeschäftigung.

Das Motto des UN-Jahres "Chemie: unser Leben, unsere Zukunft" hätte - bezogen auf die DDR - seine uneingeschränkte Berechtigung gehabt.

Dr. Adolf Eser, Muldenstein

Unser Autor war Generaldirektor des Chemiekombinats Bitterfeld.

Raute

Für Waffen und Militär gilt: Sparen, sparen, koste es, was es wolle

Aufrüstung um jeden Preis

Anfang 2010 landete nach siebenmonatigem Testflug eine geheimnisumwitterte Mini-Raumfähre des US-Militärs auf der Luftwaffenbasis Vandenberg in Kalifornien. Das Unternehmen gilt als "kosmisches Rüstungsprojekt". Unterdessen erhielt der Boeing-Konzern vom Pentagon den Auftrag, für rund 35 Mrd. Dollar insgesamt 179 Tankflugzeuge zu bauen. Rußland testete im Oktober vergangenen Jahres eine Interkontinentalrakete, die zehn einzeln lenkbare Raketen über 8000 km transportieren kann.

In nahezu allen Staaten spielt die Waffenproduktion bei der "Zukunftsplanung" eine vorrangige Rolle. 2009 beliefen sich die diesbezüglichen Ausgaben im Weltmaßstab auf 1,5 Billionen $ oder 1,1 Billionen €. Verglichen mit den Jahren 2001 bis 2005 sind sie seit 2006 um etwa 24 % gestiegen. Die 100 größten Rüstungskonzerne steigerten ausgerechnet 2009 - also während der Rezession - ihren Umsatz um 8 % und setzten todbringende "Produkte" im Gesamtwert von 401 Mrd. $ (300 Mill. €) ab. Allein die USA stecken in diesem Jahr 700 Mrd. $ in die Herstellung von Mordwerkzeugen sämtlicher Typen und Kaliber. Rußland will bis 2020 umgerechnet 475 Mrd. $ für Rüstungszwecke ausgeben. Dort sollen acht atomgetriebene U-Boote, 600 Kampfflugzeuge und 1000 Hubschrauber ausgeliefert werden. Die Regierung der BRD gab 2009 grünes Licht für 291 indische Rüstungsexportanfragen im Gesamtwert von 67,9 Mill. €. Nach Pakistan gingen Waffen für 45,5 Mill. €. Die Bundeswehr wird unablässig modernisiert, damit sie weltweit in Kriegen für "deutsche Interessen" eingesetzt werden kann. Für Rüstung und Militär gilt offenbar die Losung: "Sparen, sparen - koste es, was es wolle!" Nur ein Beispiel für das Ausmaß solcher Verschleuderung von Volksvermögen: 2010 fand ein gemeinsames Manöver der US-Streitkräfte mit japanischem Militär statt, an dem 44.000 Soldaten, 60 Kriegsschiffe und 500 Flugzeuge teilnahmen.

Bisher hat noch keine Abrüstungskonferenz die Erde vor der Selbstmordgefahr bewahren können. Welchen Sinn ergibt z. B. die jüngste START-"Abrüstungsvereinbarung" zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland, wenn die nuklearen Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre um 30 % (!) von je 2200 auf 1550 reduziert und die Zahl der Trägersysteme (Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützte Landstreckenraketen und Langstreckenbomber) auf jeweils 800 halbiert werden sollen?

Der Rüstungswettlauf erfolgt mit einer beispiellosen Unerbittlichkeit und um jeden Preis. "Veredelt" wird er durch die digitalen Möglichkeiten, weltweit in Sekundenbruchteilen Befehle erteilen und Waffen einsetzen zu können. Zugleich erweist sich, daß die ihnen unterstellte Militärtechnik selbst für die Generäle immer unüberschaubarer und damit unbeherrschbarer wird.

Überdies wissen wir, daß der Einbruch in die "streng geheime" Datenwelt inzwischen nahezu jedem hinreichend begabten Knaben gelingen kann! Eine Dummheit, ein Zufall oder ein Fehler im System haben also für unseren Planeten tödliche Konsequenzen. Der Abschuß einer einzigen atomaren Rakete droht eine Kettenreaktion auszulösen. Auch "kleinere" Katastrophen können fatale Wirkungen nach sich ziehen, wenn z. B. ein atomar bestücktes Flugzeug irgendwo abstürzt, wie das 1966 über dem andalusischen Dorf Palomares geschah, wo eine US-Maschine mit vier Wasserstoffbomben an Bord niederging.

Erhard Römer, Berlin

Raute

Marxismus für Einsteiger - Nationales und Internationales

Sprichworte haben gelegentlich ihre Tücken. Ciceros "Ubi bene, ibi patria" kann zweierlei heißen: "Wo es gut ist, da ist das Vaterland!" Das ist die Wahrheit. Oder aber: "Mein Vaterland finde ich dort, wo es mir gut geht!" Die zweite Variante dient Glücksrittern und Begrüßungsgeld-Jägern als Richtschnur: "Wes Brot ich eß', des Lied ich sing!"

"Den Kommunisten ist ... vorgeworfen worden, sie wollten das Vaterland, die Nationalität abschaffen", heißt es im Kommunistischen Manifest. "Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie." (MEW, 4/479) Bebels Sozialdemokraten seien "vaterlandslose Gesellen", hieß es schon zu Bismarcks Zeiten. Wäre die Reaktion ehrlich gewesen, hätte sie denselben Vorwurf gegenüber den preußischen Reformern Stein, Hardenberg, Scharnhorst und Blücher erheben müssen. Denn was war deren Credo? Man müsse Untertanen zu Bürgern erheben, der Armee Preußens den Zopf abschneiden und das entehrende Spießrutenlaufen abschaffen, sonst gebe es keine Patrioten, die das Land gegen Napoleons Armeen entschlossen zu verteidigen bereit seien. Was haben Marx und Engels denn anderes gesagt, als die großen Reformer an den Wegmarken des zu ihrer Zeit historisch möglichen und notwendigen Fortschritts?

Proletarischer Internationalismus heißt weltweite Solidarität; Vaterlandsliebe ist dessen Fundament. "Wer sein Vaterland nicht kennt, hat keinen Maßstab für fremde Länder", so Goethe in "Wilhelm Meisters Lehrjahre". In Hölderlins "Hyperion" ist zu lesen: "Wohl dem Manne, dem ein blühend Vaterland das Herz erfreut und stärkt!" Und schließlich Heinrich Mann in einem Essay: "Der Begriff des Vaterlandes ist sozialistisch."

Die Bolschewiki zogen sich den abgrundtiefen Haß aller Imperialisten und Opportunisten zu, als sie im Ersten Weltkrieg angesichts der reaktionären und annexionistischen Ziele aller im Krieg stehenden Großmächte die Losung "Niederlage der eigenen Regierung!" aufstellten. Gleichzeitig verfaßte Lenin seinen Artikel "Über den Nationalstolz der Großrussen". War das ein Widerspruch? Keineswegs! "Ist uns großrussischen klassenbewußten Proletariern das Gefühl des nationalen Stolzes fremd?" fragte Lenin. "Wir lieben unsere Sprache und unsere Heimat, wir wirken am meisten dafür, daß ihre werktätigen Massen (d. h. neun Zehntel ihrer Bevölkerung) zum bewußten Leben erhoben werden, daß sie Demokraten und Sozialisten werden. Es schmerzt uns am meisten, zu sehen und zu fühlen, welchen Gewalttaten, welcher Unterdrückung und welchen Schmähungen die Zarenschergen, Gutsbesitzer und Kapitalisten unsere schöne Heimat unterwerfen. Wir sind stolz darauf, daß diese Gewalttaten Widerstand in unserer Mitte ... hervorgerufen haben. ... die großrussische Nation hat gleichfalls eine revolutionäre Klasse hervorgebracht, hat gleichfalls bewiesen, daß sie imstande ist, der Menschheit große Vorbilder des Kampfes für die Freiheit und den Sozialismus zu geben und nicht nur große Pogrome, Galgenreihen und Folterkammern, große Hungersnöte und große Kriecherei ... Niemand ist schuld daran, daß er als Sklave geboren wurde; aber ein Sklave, dem nicht nur alle Freiheitsbestrebungen fremd sind, sondern der seine Sklaverei noch rechtfertigt und beschönigt, ... ist ein Lump und ein Schuft, der ein berechtigtes Gefühl der Empörung, der Verachtung und des Ekels hervorruft." (LW, 21/92 f.)

Dürfen wir also auf unser Land der alten Eichen, das Land von Bach, Goethe und Heine, von Marx und Einstein stolz sein? Wie alle Völker haben wir das Recht, unser Vaterland zu lieben. Dabei dürfen wir keinen Augenblick die Zeiten vergessen, als es die Welt vor Deutschland wie beim Anblick einer Mörderin schauderte. Und ebensowenig, daß schon wieder in deutschem Namen Ungeheuerliches geschieht und vorbereitet wird.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Die "humanitären" Offenbarungen des BRD-Kriegsministers Thomas de Maizière

"Sterben und Töten gehören dazu"

Am 27. Juni gab Kriegsminister Thomas de Maizière vor dem Bundestag eine Regierungserklärung zur Sicherheitspolitik ab. Er forderte u. a.: "Unsere Bundeswehr ist jetzt so auszurichten, daß sie für die erkennbaren sicherheitspolitischen Herausforderungen von heute gewappnet ist, aber auch für die nicht klar erkennbaren Forderungen von morgen ... Es ist unsere nationale Zielvorgabe, langfristig zeitgleich rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten in zwei großen und mehreren kleineren Einsatzgebieten flexibel und durchhaltefähig für Einsätze im Rahmen des internationalen Krisenmanagements bereitstellen zu können."

Ist das ein Blankoscheck für zeitlich und räumlich undefinierte Kriege mit nicht bekannten Feinden? Ist "Krisenmanagement" mit Aggressionen "out of area" (außerhalb der Region) gleichzusetzen? Liegt das im "nationalen Interesse"?

Im "Spiegel" 25/2011 wurde Thomas de Maizière noch deutlicher: "Sterben und Töten gehören dazu, das müssen wir akzeptieren und bejahen." Wir "akzeptieren" mörderische Kriege? Wer ist wir? Wo bleibt der Aufschrei der "Bürgerrechtler", die jeden "Mauertoten", der sein Risiko freiwillig einging, in ein Opfer der DDR verwandeln, wenn BRD-Minister de Maizière das "Sterben und Töten" beim Mord an unschuldigen Interventionsopfern für normal - womöglich für Heldentum - hält? Der oberste deutsche Kriegsherr stieß nur auf den Widerspruch des Sprechers der PDL - der einzigen Friedenspartei im bundesdeutschen Parlament.

Ging es in der Rede des Kriegsministers um den öffentlichen Bruch des Völkerrechts und des Grundgesetzes, dann handelte es sich um Delikte, die in allen Rechtsstaaten strafbar sind. Jeder möge das prüfen!

Das Grundgesetz bestimmt den Vorrang des Völkerrechts. Seine allgemeinen Regeln sind zwar Bestandteil des Bundesrechts, gehen den Gesetzen der BRD aber vor. Zum Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges heißt es im Grundgesetz: "Handlungen, die geeignet sind oder in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."

Zum "Siebengestirn des Völkerrechts" (Peter Alfons Steiniger), das im Grundgesetz als unmittelbar geltendes Recht gilt, gehören u. a. der Gewaltverzicht in den internationalen Beziehungen, die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung, das Verbot von Interventionen und Aggressionen. Eine "humanitäre Intervention" gibt es weder im Völkerrecht noch in der politischen Praxis.

Deutschland sind in der UNO-Charta (Artikel 107 und 111) spezielle Verpflichtungen auferlegt worden, die sich aus seiner faschistischen Vergangenheit ergeben. Das trifft auch auf die Nachkriegsverträge bis hin zum "Zwei-plus-vier-Vertrag" vom 12. September 1990 zu. In dessen Artikel 2 heißt es: "Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind oder in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen."

Die Signatur Lothar de Maizières unter diesen Vertrag war die letzte internationale Handlung der längst nicht mehr souveränen DDR. Sie war aber auch ihr Vermächtnis. Da Thomas seinem Vetter Lothar in dieser Zeit mit Rat und Tat zur Seite stand, dürfte ihm der Vertragstext nicht unbekannt sein.

Nach den Bestimmungen des Völkerrechts und des Grundgesetzes war die Aggression gegen Jugoslawien 1999 kein Akt der Verteidigung. Dieses Land hatte die BRD keineswegs angegriffen. Es drohte auch kein "neues Auschwitz", das Joseph Fischer ausgemacht haben wollte, sondern die dritte deutsche Aggression gegen Jugoslawien. Ex-Kriegsminister Peter Struck (SPD) behauptete zwar, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, aber einer seiner Vorgänger, der CDU-Mann Volker Rühe widersprach ihm: "Am Hindukusch wird nicht unsere Freiheit verteidigt."

Der neueste Fall einer "Intervention aus humanitärem Geist" sei Libyen, las man im "Spiegel". Um das behaupten zu können, muß dessen Autor Gerhard Spörl das gültige Völkerrecht auf den Kopf stellen: "An die Stelle klassischer Invasionen mit dem Ziel der Besetzung fremden Territoriums sollen von nun an humanitäre Interventionen treten. Sie haben den Vorteil, daß sie sich moralisch begründen lassen und theoretisch auf kurze Sicht angelegt sind. Sie sind kein Alleingang einer Nation und finden fast immer den Segen der UNO. Sie sind gedacht als Hilfe zur Selbsthilfe für eine Opposition, die sich gegen ein Unrechtsregime auflehnt!" Das Rezept: Jemand ernennt einen Staat zum "Schurkenstaat", erfindet einen neuen "Hitler", finanziert und bewaffnet "Rebellen" - und schon gibt es Gründe für eine "humanitäre Intervention".

Thomas de Maizière war bekanntlich einer der Referenten auf dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dresden. Auch dort propagierte er seine zutiefst unchristliche Politik.

"Wir Deutschen sind von Freunden umgeben", äußerten einst Helmut Kohl und die Seinen. Also besteht überhaupt kein Grund zu aggressiven Handlungen. Die übergroße Mehrheit der Deutschen lehnt Kriege ab. Da wäre es demokratisch, wenn die Abgeordneten jeglicher Aggression ihre Stimme verweigerten. Das politisch-moralische Versagen der Parlamentsmehrheit wiegt um so schwerer, wenn man das Grundgesetz zu Rate zieht: "Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen", heißt es dort. Warum ist ein solches Verlangen ausgeblieben? Angesichts der kriegsbegünstigenden Haltung des überwiegenden Teils der "Volksvertreter" wäre das Bundesverfassungsgericht anzurufen und ziviler Widerstand zu leisten, der gesetzlich dann geboten ist, wenn Gefahren für die Republik offensichtlich sind.

Die "Sicherheitspolitik" der Bundesregierung stellt eine Gefahr für Leib und Leben der BRD-Bürger und der von den Aggressionen betroffenen Völker dar. Die düsteren Erfahrungen in der ersten Hälfte der 30er Jahre dürfen sich nicht wiederholen. Damals ließ sich die Mehrheit der Deutschen widerstandslos mit dem Segen von Bischöfen auf die Schlachtbank treiben.

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Ein Name, der seit der Antike für soziale Befreiung steht

Spartakus ist ein Programm

Vor bald 2100 Jahren erhoben sich Sklaven unter Führung des Spartakus gegen ihre Herren im Süden Italiens und damit gegen den mächtigen römischen Staat. Diese Erhebung, die nach einem langwierigen und opferreichen Krieg (73-71 v. u. Z.) mit einer blutigen und vollständigen Niederlage des Spartakus und seiner Armee endete, war eine der großen Rebellionen der Weltgeschichte. Unter schwierigsten Bedingungen gab der Gladiator Spartakus - Marx nannte ihn einen "großen General, noblen Charakter und wahren Vertreter des antiken Proletariats" (MEW 30, 160) - ein Zeichen, das im Kampf gegen Unterdrückung und für den Aufbau einer ausbeutungsfreien Gesellschaft immer wieder aufgenommen und an Spätere weitergegeben werden konnte.

Machen wir einen Zeitsprung: Aus den politisch-ideologischen Strömungen der deutschen Sozialdemokratie entstanden verschiedene Gruppierungen, deren Stellung zum Krieg und zur Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft Maßstab für ihre Klassenposition war. Aus der antiimperialistischen sozialdemokratischen Linken formierte sich die Gruppe "Internationale", die frühzeitig Kurs auf die Schaffung einer neuen Arbeiterinternationale nahm. 1916 wurde Spartakus zum Namensgeber dieser Gruppe, für die besonders Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Franz Mehring und Wilhelm Pieck standen, deren politische Vorstellungen in den "Spartakusbriefen" verbreitet wurden. Am 7. Oktober 1918 fand in Berlin die illegale Reichskonferenz der Spartakusgruppe statt. Deren Programm: sofortige Beendigung des Krieges, revolutionäre Erkämpfung demokratischer Rechte und Freiheiten, Sturz des deutschen Imperialismus als Voraussetzung für den Übergang zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft.

Am 9. November 1918 begann eine bürgerlich-demokratische Revolution, die zum sofortigen Sturz der Monarchie führte. Am 14. Dezember 1918 wurde das Programm des Spartakusbundes veröffentlicht. Es bildete die programmatische Grundlage für die dann am Jahresende gegründete KPD.

Die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts am 15. Januar 1919 bedeutete das Ende der Spartakusbewegung, die in den nun folgenden Kämpfen gegen die Konterrevolution und den weißen Terror des Militärs besonders grausamer Verfolgung ausgesetzt war und faktisch zerschlagen wurde.

Heute berufen sich nicht wenige Pseudolinke auf den großen Helden der Antike und bedienen sich in Verfolgung eigener Ziele freizügig seines Namens. Mit den Anliegen der deutschen Spartakisten jener Jahre, dem mörderischen und für die europäische Sozialdemokratie zerstörerischen Weltkrieg ein Ende zu bereiten und den Weg zur sozialistischen Revolution zu bahnen, oder auch mit den Anfängen der KPD haben sie indes nichts gemein. Die Partei Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts und Ernst Thälmanns war knapp anderthalb Jahrzehnte nach ihrem Gründungskongreß die mitgliederstärkste und einflußreichste kommunistische Klassenvorhut aller kapitalistischen Länder.

Der Name Spartakus steht bis in unsere Tage gegen Unterdrückung und Gewalt, für Freiheit und wahre Demokratie.

Dr. Wolfgang O. Schmitt, Berlin

Raute

Im November 1918 nahm Emil Eichhorn den Klassenfeind auf die Hörner

Berlins roter Polizeipräsident

Der "Vorwärts", das Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), empfand keinerlei Scham, als es im Verein mit der bürgerlichen Berliner Presse schon wenige Tage nach Beginn der Novemberrevolution in übelster Weise über Emil Eichhorn herfiel. Der Mann habe in seinem Dienstzimmer eine Notenpresse aufgestellt und drucke Falschgeld, außerdem habe er die Kasse des Polizeipräsidiums aufgebrochen und ausgeraubt, er erhalte enorme Summen aus Moskau überwiesen und lasse für seine Leibwache feinste Torten backen, während das Volk hungern müsse, gaben diese Blätter zum Besten.

Wer war Emil Eichhorn, und warum wurde er von den hohen SPD-Chargen so gehaßt? Der unmittelbare Anlaß dafür bestand darin, daß der Unabhängige Sozialdemokrat Eichhorn seit dem 9. November 1918 als Polizeipräsident der Hauptstadt amtierte. Der Berliner Arbeiter- und Soldatenrat, der sich gleich am ersten Tag der Revolution gebildet hatte und dem Eichhorn angehörte, übertrug ihm diese Funktion, nachdem es ihm gelungen war, die im Polizeipräsidium am Alexanderplatz schwer bewaffnet verschanzten Polizisten und Soldaten zur friedlichen Übergabe des riesigen Gebäudekomplexes zu bewegen. Zwei Tage danach, am 11. November, bestätigte der Vollzugsrat der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte Eichhorn in dieser Funktion.

Robert Emil Eichhorn stammte aus Sachsen. Am 9. Oktober 1863 als Sohn eines Strumpfwirkers in Röhrsdorf bei Chemnitz geboren, erlernte er den Beruf eines Mechanikers. Der Ausbildung schlossen sich Wanderschaft und zwei Jahre Militärdienst an. Da er mit 17 bereits Mitglied der SPD geworden und deshalb vom Bismarckschen Sozialistengesetz bedroht war, emigrierte er in die Schweiz, wo er am Druck revolutionärer Schriften mitarbeitete, die illegal nach Deutschland gebracht wurden. 1893 in die Heimat zurückgekehrt, entschloß er sich, künftig als Funktionär in seiner Partei zu wirken. Sieben Jahre gehörte er als Redakteur der "Sächsischen Arbeiter-Zeitung" in Dresden an, bis ihn die Partei 1900 mit der Leitung der "Mannheimer Volksstimme" beauftragte. Nacheinander übte er Parteifunktionen in Sachsen und im Herzogtum Baden aus. Er vertrat seine SPD-Genossen auf insgesamt zwölf Reichsparteitagen zwischen 1893 und 1911. Emil Eichhorn war Stadtverordneter in Mannheim, Mitglied des badischen Landtags und von 1903 bis 1911 Reichstagsabgeordneter.

1908 wurde ihm die Leitung des sozialdemokratischen Pressebüros in Berlin übertragen. Seit langem dem linken Flügel der SPD zugehörig, schloß er sich Karl Liebknecht und dessen Genossen an. Er trat entschieden für den politischen Massenstreik ein. So war es eine logische Folge, daß er unmittelbar nach Kriegsausbruch den sofortigen Friedensschluß ohne Annexionen propagierte. Als die kaiserlichen Behörden ihre Zensur über den "Vorwärts" verhängten, protestierte er heftig gegen diese Knebelung der Arbeiterpresse, was ihm eine mehrmonatige Haftstrafe eintrug.

Das Jahr 1917 wurde zu einem entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben. Eichhorn gehörte im April nicht nur zu den Gründungsmitgliedern der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), sondern schloß sich zugleich den Führern der Spartakusgruppe - Liebknecht, Luxemburg, Mehring, Pieck und Duncker - an. Von der Oktoberrevolution begeistert, entsprach er 1918 der Bitte, beim Aufbau des Berliner Büros der sowjetrussischen Telegraphenagentur zu helfen.

Am 9. November zum obersten Polizeibeamten der deutschen Hauptstadt ernannt, ließ er sofort die in der "Zwingburg am Alex" eingekerkerten 650 politischen Gefangenen frei. Unverzüglich löste er die politische Polizei des Kaiserreiches auf und ordnete an, deren Akten zu verbrennen. Bereitwilligen Polizisten gestattete er die Fortsetzung des Dienstes, allerdings unbewaffnet. Nur die Kripo durfte ihre Pistolen behalten. Um die öffentliche Ordnung in der Stadt zu gewährleisten, stellte Eichhorn eine etwa 3000 Mann starke Sicherheitswehr aus Arbeitern und Soldaten auf, die einen regulären Streifen- und Ordnungsdienst versah, aber auch konterrevolutionäre Aktionen unterband. Anfang Dezember nahmen Angehörige dieser Wehr Karl Liebknecht in Schutz, als er von reaktionären Militärs verhaftet werden sollte.

Das alles mißfiel dem aus Spitzenfunktionären der SPD und der USPD gebildeten "Rat der Volksbeauftragten". Von Anfang an sah dieser seine Hauptaufgabe darin, die Revolution mit Waffengewalt niederzuschlagen. Das hatte SPD-Reichskanzler Friedrich Ebert schon am 10. November mit General Groener von der Obersten Heeresleitung vereinbart. Dem entsprach auch die Ernennung des rechten SPD-Politikers Otto Wels zum Stadtkommandanten. Dieser bildete eine "Republikanische Soldatenwehr" aus aktiven kaiserlichen Militärs. Sie sollte das Gegengewicht zu Eichhorns Sicherheitswehr sein. Kapitalisten und Adel Berlins zahlten den Sold für diese Truppe.

Als die Konterrevolutionäre am 24. Dezember die Volksmarinedivision im Marstall angriffen, schickte Eichhorn seine Sicherheitswehr den roten Matrosen zu Hilfe. Das reichte den Ebert, Scheidemann, Noske und Konsorten. Sie wiesen den preußischen Innenminister Paul Hirsch (SPD) an, den roten Polizeipräsidenten abzusetzen. Das geschah am 4. Januar 1919. Nachdem Eichhorn aktiv an den Januar- und Märzkämpfen der Berliner Arbeiter teilgenommen hatte, suchte man ihn per Steckbrief und setzte eine hohe Belohnung auf seinen Kopf aus. Doch er entkam den Häschern und organisierte schon im April einen großen Streik in Braunschweig. Kurz danach wurde er in Halberstadt verhaftet, aber von revolutionären Arbeitern befreit.

Trotz der Verfolgung hielt die USPD zu Emil Eichhorn. Sie entsandte ihn als einen ihrer 22 Abgeordneten in die Nationalversammlung und ein Jahr später in den ersten Reichstag der Weimarer Republik. Dort führte er die 81köpfige USPD-Fraktion. Wiederholt ergriff er im Plenum das Wort, setzte sich mit der reaktionären Haushalts-, Steuer- und Sozialpolitik der Regierung auseinander und griff die bürgerliche Klassenjustiz an. Auf dem Außerordentlichen Parteitag in Halle/Saale (Oktober 1920), bei dem sich die USPD organisatorisch in zwei Flügel spaltete, wurde Eichhorn in das Zentralkomitee der Linken gewählt. Er zählte dort zu den eifrigsten Befürwortern eines Zusammenschlusses mit der KPD. Dieser für die deutsche Arbeiterbewegung bedeutungsvolle Schritt wurde im Dezember 1920 in Berlin vollzogen. Die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands zählte danach 300.000 Mitglieder. Emil Eichhorn gehörte zu ihnen. Nach seinem Tod am 26. Juli 1925 schrieb "Die Rote Fahne", er sei das Beispiel eines mutigen und kampfbereiten Revolutionärs gewesen.

Günter Freyer

Raute

Warum die Nazis Grünaus Bahnhofstraße in Büxensteinallee umbenannten

Druckerei-Prinzipal und Arbeiterschinder

Im vergangenen Jahr kippte das in Erfurt angesiedelte Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Tarifeinheit in einem Betrieb. Vorgänge dieser Art sind in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung keineswegs neu. Es gibt nicht wenige Beispiele plötzlicher Gründung durch die Unternehmer ausgehaltener Arbeiter-"Vertretungen". Ich will einen solchen Fall hier vorstellen. Am 12. November 1938 teilte das Amtsblatt für den Landesbezirk Berlin die scheinbar normale Umbenennung der Grünauer Bahnhofstraße in Büxensteinallee mit.

Die Nazis hatten gute Gründe, den 1924 verstorbenen einstigen Hofbuchdruckereibesitzer Georg Büxenstein nachträglich auf solche Weise zu "ehren", waren doch seine Besitzungen in die Hände des von ihnen besonders geschätzten Hugo Stinnes übergegangen.

Büxenstein war der "Prinzipal" der Berliner Druckereibesitzer. Er tat das Seinige, um Tarifverhandlungen zu unterlaufen. So findet sich die Feststellung: "Die Bemühungen der Kommission, in Verbindung mit den Prinzipalen der Zeitungsdruckereien Ergänzungsbestimmungen für den Zeitungssatz zu schaffen, waren erfolglos. Die Kommission hatte sich nach ihrer Konstituierung an den derzeitigen Vorsitzenden des hiesigen Zeitungsdruckereivereins, Prinzipal Büxenstein, mit dem Ersuchen gewandt, dahin gehend wirken zu wollen, daß die Prinzipalität ebenfalls eine gleiche Anzahl aus ihrer Mitte wähle, welche alsdann gemeinsam mit der Gehilfenkommission die Bestimmungen aufstellen sollten. Herr Büxenstein benachrichtigte hierauf im Auftrage der vereinigten Zeitungsdruckereien Berlins die Gehilfenkommission, daß der § 39 des Tarifs die Art und Weise der Berechnungen von Zeitungen geregelt habe und daß deshalb eine Veranlassung zu Beratungen über diesen Gegenstand nicht vorhanden sei.'" Der § 39 aber enthielt die Bestimmung, wonach neu eingestellte Arbeiter einen niedrigeren Lohn erhalten sollten.

Das führte zwangsläufig zu Konflikten, so bei der "Freisinnigen Zeitung". "Der dortige Geschäftsleiter hatte nach längeren Verhandlungen zugestanden, daß er dem jetzigen Personal das bisherige Verhältnis belasse, Neueintretende dagegen müßten nach den Prinzipalbestimmungen berechnet werden. Das Personal ging auf dieses 'Abschlachtungssystem' nicht ein, und ca. 50 Kollegen legten die Arbeit nieder. Die Firma Büxenstein, telefonisch benachrichtigt, sandte sofort den zweiten Faktor und eine Anzahl Lehrlinge zur Aushilfe. Vom Personal ersucht, die Lehrlinge zurückzuziehen, erklärte die Firma, mit ihren Lehrlingen machen zu können, was sie wolle", las man 1912 in der "Geschichte des Vereins der Buchdrucker".

Jack London schrieb zu dieser Thematik: "Nachdem Gott die Klapperschlange geschaffen hatte, die Kröte und den Vampir, hatte er noch etwas von einer scheußlichen Substanz übrig, und daraus machte er einen Streikbrecher. Ein Streikbrecher ist ein zweibeiniges Tier mit einer verkorksten Seele, einem Wasserkopf und einem Rückgrat, das aus einer Kombination von Gallert und Kleister besteht. Wo andere das Herz haben, trägt er eine Geschwulst fauliger Prinzipien."

Das im Vorjahr gefällte Urteil des Erfurter Bundesarbeitsgerichts öffnet den "Herzlosen" Tür und Tor. Ein aktuelles Beispiel aus Osnabrück: "Dort zwang die Polizei die Streikposten der Stadtreinigung dazu, Müllfahrzeuge passieren zu lassen. Am Steuer saßen von der Stadt zu Streikbrecherarbeit genötigte 1-Euro-Jobber - ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht", berichtete die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Internet.

Arbeitslose als Streikbrecher? In der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung ist auch das nicht unbekannt.

"Während einerseits der Arbeitslosenstand eine enorme Höhe hatte - Ende September 1894 gab es in der Branche rund 800 Beschäftigungslose - wurden andererseits in einzelnen größeren Druckereien speziell von den Maschinensetzern eine ungeheure Anzahl von Überstunden gemacht. Um das Überstundenunwesen (es wurden von einzelnen bis zu 40 Überstunden pro Woche geleistet) einzudämmen, verhandelte der Gauvorstand mit den Kollegen der in Betracht kommenden Druckereien, und es gelang hier und da, die Zahl der Überstunden einzuschränken. Bei der Firma Büxenstein & Becker kam es dabei zu einem Konflikt. Die Vertrauensleute der Arbeiter, die wegen einer Einschränkung der Überstunden vorstellig wurden, erfuhren eine brüske Abweisung. Sie wurden am folgenden Zahltag gekündigt." Georg Büxenstein war der ausgemachte Typ eines brutalen Ausbeuters. Er ging buchstäblich über Leichen. Doch anläßlich seines Todes glorifizierte ihn die "Vossische Zeitung": "Mochte es sich um Setzmaschinen oder Stereotypen, um Vierfarbendruck oder Offset, um Bilanzgeheimnisse oder Zusammenschweißung von Gesellschaften, um Rudern oder Pferderennen, um Automobil- oder Reitsport, um Obstplantagen, Waidwerk oder Häuserbauten handeln, er ruhte nicht, bevor er die Technik bis ins kleinste als sein Eigentum besaß, so daß ihm kein Fachmann, kein Untergebener darin mehr imponieren oder etwas vormachen konnte. Büxenstein hatte eine jugendliche Freude an den zahlreichen Auszeichnungen, mit denen der Kaiser, die deutschen Fürsten und andere Potentaten ihn bedachten."

Welche politische Farbe aber hatten die Druckerzeugnisse bei Büxenstein - "Berliner Neueste Nachrichten", "Deutsche Warte", "Deutscher Kurier", "Deutsche Zeitung" und zeitweise auch die "Kreuz-Zeitung". "Meyers Handlexikon" kam 1922 nicht umhin, die "Deutsche Zeitung" als "national-antisemitisch" zu bezeichnen.

Hans Horn

Raute

Über Aufbau und Verfall der Jugendhochschule am Bogensee

Wo der Geist von Goebbels wieder spukt

Etwa 15 km nördlich von Berlin liegt zwischen Klosterfelde, Wandlitz, Lanke und Prenden eines der schönsten Waldgebiete des Berliner Umlandes. Etwa 500 m nordwestlich des Bogensees stößt man auf einen gewaltigen Gebäudekomplex. Für den überraschten Spaziergänger hat das Ensemble repräsentativer Bauten fast etwas Unwirkliches.

Bald nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hielten Erich Honecker und Heinz Keßler Ausschau nach einem Anwesen, das sich für eine zentrale Schulungsstätte der Freien Deutschen Jugend eignete. Beide gehörten seit der ersten Stunde zu deren Leitung. Der eine hatte 10 Jahre Haft hinter sich, der andere war wegen Überlaufens zur Roten Armee in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden.

Was jetzt geschah, mag wie ein makabrer Witz der Geschichte klingen. Am Bogensee entdeckten die beiden das Objekt ihrer Begierde. Es handelte sich um die "Villa Waldhof" des Nazi-Propagandaministers Josef Goebbels! Dort, wo dieser einst seine antikommunistischen Greuelmärchen ersann, um die deutsche Jugend in einen sinnlosen Krieg zu hetzen, sollten nach Vorstellung der beiden Kommunisten nun junge Leute dafür gewappnet werden, solchen Lügnern nie wieder auf den Leim zu gehen.

Am 9. März 1946 übergab die sowjetische Kommandantur in Bernau per Befehl Nr. 322 den Waldhof an die Provinzial-Jugendkommission Brandenburg der erst zwei Tage zuvor gegründeten FDJ. Schon am 22. Mai wurde der erste Lehrgang an der Zentraljugendschule eröffnet. Etwa 40 Teilnehmer waren angereist. In den Seminaren debattierte man über "das Wesen des Kapitalismus" oder "Staat - Staatsformen - Verfassung". Ein Kurs dauerte damals zwei Monate.

Am 26. Mai 1946 hielt Wilhelm Pieck seinen ersten Vortrag am Bogensee. Er sollte dort in den folgenden Jahren ein häufiger Gast sein. Am 14. September 1950 erhielt die Lehrstätte den Namen "Jugendhochschule Wilhelm Pieck".

Im Oktober 1950 überließ der Berliner Magistrat als Eigentümer des Geländes das gesamte Areal der FDJ. Da die Bauten aus den 30er Jahren für die Unterbringung der Hörer nicht mehr ausreichten, wurden zunächst Baracken errichtet, während man Pläne für eine neue Jugendhochschule auszuarbeiten begann.

Im September 1951 wurde das Vorhaben dann in Angriff genommen. Am 16. Oktober erfolgte die Grundsteinlegung für das Lektionsgebäude. In den darauf folgenden Jahren entstand nach Entwürfen der Architekten Hermann Henselmann und Kurt Liebknecht ein eindrucksvolles Bauensemble. Dazu gehörten auch ein Kulturhaus und mehrere Studentenunterkünfte. Prächtige Grünanlagen milderten die Strenge der Architektur, deren stilistische Nähe zum Neoklassizismus der heutigen Berliner Karl-Marx-Allee sich nicht verleugnen läßt.

1956 war der Komplex bezugsfertig. Der Lektionssaal bot bis zu 600 Personen Platz. Er gilt neben dem zweigeschossigen Speisesaal im Kulturhaus als architektonisches Glanzstück.

Längst wurde die Hochschule nicht nur von Deutschen besucht. In den folgenden Jahrzehnten absolvierten mehr als 15.000 FDJler und über 4300 ausländische Hörer ein Studium am Bogensee. Sie alle wurden mit marxistisch-leninistischer Theorie vertraut gemacht. Viele der Studenten waren illegal angereist, da sie in ihren Heimatländern politischer Verfolgung unterlagen. Mitglieder des südafrikanischen ANC, der namibischen SWAPO, der palästinensischen PLO, Sandinisten aus Nikaragua oder der Pinochet-Diktatur entronnene Chilenen fanden hier Aufnahme. Täglich wurde proletarischer Internationalismus praktiziert. Die Jugendhochschule verfügte mit 18 Fremdsprachenkabinen über die zweitgrößte Simultansprechanlage der DDR.

Oft war die Bildungsstätte Gastgeber für Prominente. Kurt Masur dirigierte hier das FDJ-Sinfonieorchester, der Schriftsteller und erste DDR-Nationalpreisträger Eduard Claudius las aus seinen Werken, und DDR-Kosmonaut Sigmund Jähn wurde begeistert empfangen. Neben Jorge del Prado, dem Generalsekretär der KP Perus, gehörte auch Nikaraguas Präsident Daniel Ortega zu den am Bogensee Begrüßten.

Die abgeschottete Lage des Objekts stieß verständlicherweise auch auf Kritik. Im Umland sprachen manche vom "Roten Kloster". In späteren DDR-Jahren machte sich wie anderswo auch eine ritualisierte Erstarrung im Lehralltag breit. Innere Probleme der DDR wurden verdrängt oder schöngeredet, freimütige Diskussionen fanden immer seltener statt.

Konterrevolution und Annexion der DDR bedeuteten 1989/90 auch für die Jugendhochschule das Aus. Die Mitarbeiter - zuletzt waren es 328 - wurden nach und nach entlassen. Das Gelände fiel wieder an das Land Berlin. Ab 1991 stand das Areal dem "Internationalen Bund für Sozialarbeit" zur Verfügung, der sich mit "Attributen westlicher Freiheit" wie Arbeits- und Obdachlosigkeit befaßte. Er betrieb ein Hotel und führte Seminare, Fortbildungskurse und berufliches Training durch. Doch das "rechnete" sich nicht. 1999 wurde die Nutzung des Objekts eingestellt.

Seitdem liegt das 150.000 qm große Gelände brach. Die Gebäude sind dem Verfall preisgegeben, obwohl sie 1999 unter Denkmalschutz gestellt wurden. Die große Plastik auf dem Lektionsgebäude wurde zerstört. Niemand will es gewesen sein. Ein Wachdienst soll fortan Vandalismus verhindern, doch Kälte und Feuchtigkeit lassen die Schäden weiter anwachsen.

Und auch diese "Errungenschaft" der BRD fehlt nicht: Nazi-Sympathisanten umschleichen ständig die einstige Goebbels-Villa und bringen den Ort in Verruf.

2008 schrieb Berlin das Gelände zum Verkauf aus. Doch sämtliche Nutzungskonzepte scheiterten. Inzwischen denkt man an einen Teilabriß. Erinnerungen an die Zerstörung des Palastes der Republik werden wach.

Retten kann man die Jugendhochschule nur, wenn man sie dem Vergessen entreißt. Einem der eindrucksvollsten Bauensembles der DDR, das mit dem Namen ihres Präsidenten verbunden war, droht der Untergang. Dabei steht mitten im Wald, nicht weit von Berlin, eine komplette Universitätsstadt. Ihr Schicksal ist ein Spiegelbild der geistig-kulturellen Armut eines reichen Staates, der Kriege führt und seine Jugend wie einst der braune Hausherr am Bogensee in diese schickt.

Ulrich Guhl

Raute

Warum man sich stets auch an das Lachen von Marx und Engels erinnern sollte

Herbstliche "Manöverkritik"

Als die bunten Blätter fielen und es herbstete, klopfte der Oktober-"RotFuchs" bei mir an, und wir unternahmen einen gemeinsamen Spaziergang. Tolstoi sollte uns begegnen: "... die größten Taten gehen unter. Märchen aber leben, wenn sie gut sind, sehr lange." Märchenhaftes und Bewahrenswertes erfuhr ich über Wilhelm Pieck, Bernard Koenen, Gerald Götting, Margot Käßmann ... Ob die "großen Taten" von Besier, den Baulöwen und Frau Sauer einmal untergehen werden? Und schließlich gabelten sich zwischen Bewahrenswertem und "großen" Taten auch die eigentümlichen Wege der PDL "unter einem Dach".

So richtig munter wurden wir aber erst, als wir bei der Wegmarkierung 26 auf eine Karikatur stießen ... "Nun unterbrechen wir unsere Werbung für 3 Minuten Spielfilm", stand darunter. Ein Knaller! Das tapfere Schneiderlein hätte in diesem Augenblick auf seinen Gürtel gestickt: "Einer auf einen Streich!" Ein Blick und der ganze TV-Rummel ist entlarvt. Lachend und mit effet!

Ja, das Lachen. Nicht zu glauben, 1987 brachte Dietz "Heiteres und Bissiges von Marx und Engels" heraus. Gab's das wirklich? Da fiel uns Heinz Kahlau ein: "Überall, wo die Porträts der Klassiker des Marxismus gezeigt werden, macht es mich traurig, daß sie so ernst auf uns schaun ..."

Dabei waren die beiden Rheinländer doch ganz anders. Eleanor Marx meinte, es gäbe keine komischere Legende über ihren Vater als jene, ihn als eine Art Donnergott hinzustellen. Alle Kampfgefährten schilderten die beiden als sehr humorvoll. Engels ging da sogar noch weiter: "Hätt' ich 5000 fr. Renten, ich tät' nichts als arbeiten und mich mit Weibern amüsieren, bis ich kaputt wär'. Wenn die Französinnen nicht wären, wär' das Leben überhaupt nicht der Mühe wert", schrieb er an Marx.

War das nicht ungeheuerlich? Ein wie Karl für die Historie auserwählter Roter als krasser Abweichler vom Ernst der Partei, von sozialistischer Moral und Ethik! So kann aus der führenden Rolle auf Dauer nichts werden!

Das zeigte sich aber erst sehr viel später. Helmut Timm aus Groß Nemerow denkt schon mehr als 20 Jahre darüber nach, warum das Kind 1989 in den Brunnen gefallen ist. Ihn trafen wir an der Wegmarkierung 30.

Es muß wohl auch am fehlenden Lachen gelegen haben ... Wenn man mit gehörigem Abstand in das todernste Parteistatut hineinschaut ... Da war er nun eines Tages eingetreten, der noch kleine Genosse. Doch was dem so alles entgegenschlug! Eingedeckt wurde er allein elfmal mit den Worten: "Er ist verpflichtet ...". Am schlimmsten aber war, daß er furchtlos Mängel in der Arbeit aufdecken sollte, sogar ohne Ansehen der Person. An Mängeln war kein Mangel, und auch nicht an Personen, die dazugehörten. Aber ohne Ansehen ...?

Zur Wahl gehen sollte dem Wähler Freude bereiten: Ich, der Bürger, bestimme dadurch, wer mich fortan vertritt! Hm ... Die Liste einer Partei kreuzte er allerdings am 20. 0ktober 1946 zum letzten Mal an. Dabei wurde die im April jenes Jahres aus KPD und SPD hervorgegangene SED in den fünf östlichen Ländern sogar sehr oft angekreuzt. Dann aber gab es 43 Jahre lang nur noch eine "Front" und die "führende Rolle". Wilhelm ging, Walter kam, Erich blieb und wollte bleiben. Andere auch. Der Bürger schaute bei alldem nun allerdings nur noch zu. Basta!

Als '89 das letzte Jahr eingeläutet wurde, fand die Mai-Wahl statt. Rund 1 Prozent Gegenstimmen vermerkte das offizielle Protokoll. Und auch im ND vom 3. August offenbarte man verblüffende Realitätsferne: "Die Arbeitsproduktivität stieg in der DDR im Durchschnitt pro Jahr um 4,2 % ... In Japan waren es nur 3,6, in Frankreich 3,2, in der BRD 2,5 und in den USA 1,4 %." Texte dieser Art wirbelten damals in den Parteiorganisationen allerhand Staub auf. Doch Ochs und Esel sollten keine Chance haben, den Sozialismus in seinem Lauf aufzuhalten, die Mauer überdies weitere 100 Jahre stehen.

In Dresden fuhren unterdessen Autos mit einem weißen (Ausreiseantrag gestellt), einem grünen (ich darf) oder einem schwarzen Fähnchen (abgelehnt) an der Antenne durch die Straßen. Die Wartezeiten für Trabant betrugen inzwischen ... Der 1-Megabit-Schaltkreis wurde als Wunder angepriesen ... Auf der Bestarbeiterkonferenz erfand Schabowski einen Wartburg mit fünf Rädern ...

Mit der vom Statut verlangten furchtlosen Aufdeckung der Mängel haperte es leider mächtig, sonst hätte es den Herbst 89 so wohl kaum gegeben. Selbst Karl und Friedrich wären dran gewesen, wenn sie sich allzu furchtlos gezeigt hätten.

Als am 4. November auf dem Alex keineswegs nur von Gegnern des Sozialismus protestiert wurde, war die DDR noch nicht unmittelbar in Gefahr. Doch die Führung spielte "Kaninchen im Rübenfeld"...

Irgendwie hatte der Bürger das all die Jahre DDR weggesteckt. Dabei halfen ihm die fast 8000 Kinderkrippen und 14.000 Kindergärten, nur noch 4,7 Totgeborene auf 1000 Geburten - 1950 waren es noch 21,7 gewesen. Ein Weißbrot bekam man für 52 Pfennige, die Kilowattstunde kostete 8, anderthalb Millionen Pioniere gehörten den "Timur-Trupps" an, die DDR war ein Lese- und Sportland, es gab Täve Schur, Oertel, Herricht, Preil und Helga Hahnemann. Stolz war man auf die Semperoper, den Berliner Fernsehturm, Erichs Lampenladen, Henselmanns nach Karl Marx umbenannte Allee, den Warnemünder Teepott. Und es half den Menschen in der DDR überdies, was da in der Welt geschah: im Vietnam des Onkels Ho, in Fidels Kuba, im Chile Allendes, der den Kindern Milch gab, Nasser, Gagarin, Mandela, Arafat. Auch Nikita mit seiner "Wurst am Stengel" gehörte eine Weile dazu.

Nicht viel zu lachen gab es, wenn sich Lieblinge wie Eberhard Cohrs, Manfred Krug, Angelika Domröse und Hilmar Thate aus der DDR verabschiedeten oder Leute wie Heym, Harich und Bahro anders zu denken begannen. Dabei hatten Karl und Friedrich doch gerade auch mit Andersdenkenden besonders eifrig korrespondiert.

"Vor hellem, lustigem Lachen flüchtet sich das Elend wie der Teufel vor dem Hahnenschrei", schrieb Wilhelm Liebknecht, obwohl die Situation auch zu seiner Zeit nicht gerade rosig war. Es kommt immer auf die richtigen Leute "oben" an - mit einer geistigen Nähe auch zu Morgenstern, Tucholsky, Kästner, Ringelnatz oder zu den versteckten Weisheiten in Haseks "Schwejk", Swifts "Gulliver", Spörls "Feuerzangenbowle", de Costers "Tyll" und anderen. In den ersten schweren Jahrzehnten hatten wir ja Genossen dieses Kalibers an der Spitze. Man hörte ihnen gerne zu und folgte ihren Argumenten. Doch die Mai-Losungen späterer Jahre oder die Langeweile verbreitenden Parteitagsreden, deren Inhalt man - zumindest seit den 70er Jahren - stets vorausahnen konnte, waren da seichterer Natur.

Mit dem mich auf dem Oktober-Spaziergang begleitenden "RotFuchs" war ich mir darin einig, daß es bei allem Verdruß über das, was andere Wiedervereinigung nennen, und dem dabei Herausgekommenen oder noch zu Befürchtenden von Wert ist, das Lachen nicht zu vergessen. Es war nicht alles schön bei uns, weshalb es ja auch peu á peu zu versiegen drohte.

Dabei gilt: Gesunder Zweifel muß sich mit dem Festhalten an Bewahrenswertem mischen. Und vor allem sollte man an die Heranwachsenden denken, damit sie wenigstens ein Stück vom Staffelstab übernehmen können - und zwar nicht mehr bei einer so verwirrenden Vereins- und Gruppenvielfalt mit mehr oder weniger marxistischer Färbung, wie sie zu schildern Götz Dieckmann in seiner Rostocker Rede gezwungen war.

Klaus Horn, Großdobritz

Raute

RF-Extra

Wie in den volkseigenen Betrieben der DDR "gelitten" wurde

Das "Elend" des Kombinats Robotron

In den Volkseigenen Betrieben (VEB) wurde stets die Einheit von Arbeits- und Lebensbedingungen betont. Die Menschen arbeiteten dort nicht nur, sie verbrachten auch einen erheblichen Teil ihres Lebens im Betrieb. Sie waren keineswegs Proletarier, die ihre Arbeitskraft verkauften, sondern freie Werktätige, in einem Betrieb, der dem Volk gehörte.

Ein wichtiges Instrument war der "Plan zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen", über dessen Inhalte ich hier berichten will. Im Dresdner VEB Kombinat Robotron war ich viele Jahre für diesen Bereich als Fachdirektor verantwortlich.

Meiner Darstellung lege ich den Ist-Zustand der 70er Jahre zugrunde.


Die Arbeitsumwelt

Inhalt des Planteils "Materielle Arbeitsbedingungen" war die Gestaltung der Aufgaben, der Arbeitsplätze und der Arbeitsumwelt.

Zu meiner Zeit standen Veränderungen bei der Fließbandarbeit, der Einsatz von Industrierobotern (Manipulatoren) und die Anwendung computerunterstützter Technologien (CA-Techniken) im Plan. Bei den Fließbandarbeiten faßten wir mehrere Takte zusammen, verlängerten die Taktzeiten und verringerten dadurch die Monotonie in der Arbeit. Industrieroboter brachten wir z. B. als Einlegegeräte in den Stanzereien zum Einsatz. CA-Techniken wurden in der Konstruktion, in der Produktions- und Materialplanung sowie bei der Wareneingangsprüfung eingeführt.

Die Realisierung aller Maßnahmen erfolgte als Einheit von Rationalisierung, Produktivitätssteigerung und Förderung der Persönlichkeiten. Der Plan sah z. B. vor, je Industrieroboter zwei Arbeitskräfte freizustellen. Arbeitslos wurde dadurch niemand, da es genügend andere Einsatzmöglichkeiten gab.


Die Sozialversicherung

Die Kranken-, Renten- und Unfallversicherung bildeten in der DDR eine Einheit. Eine ganze Reihe von Aufgaben auf den genannten Gebieten wurde in den Betrieben selbst gelöst. Sie waren wie die Gewerkschaften Träger der Sozialversicherung, in der die drei Gebiete zusammengefaßt waren. Die Versicherten zahlten 10 % ihres Bruttoeinkommens, wobei die Beitragsbemessungsgrenze bei 600 Mark lag. Das waren dann maximal 60 Mark im Monat, die gleich vom Lohn oder Gehalt abgezogen wurden. Weitere 10 % übernahmen die Betriebe. Per Gesetz wurde 1971 eine "Freiwillige Zusatzversicherung" eingeführt. Sie verschaffte den an ihr Teilnehmenden die Möglichkeit, mehr für ihre künftige Rente zu tun. Die Beitragsbemessungsgrenze betrug 1200 Mark. Auch hier zahlten die Betriebe 10 % dazu.

Die Gewerkschaften bildeten im Betrieb einen "Rat für Sozialversicherung", der bestimmte Aufgaben der SVK wahrnahm. Dazu gehörte z. B. die Bewilligung physiotherapeutischer Maßnahmen, medizinischer Bäder, Sehhilfen, Gehhilfen u. a. Ärztlich verordnete Kuren bedurften der Befürwortung des Rates. In größeren Betrieben wurden dafür spezielle Kurenkommissionen wirksam, die dem Rat zugeordnet waren.


Das betriebliche Gesundheitswesen

Auch in der Gesundheitspolitik wurden wesentliche Aufgaben in den Betrieben selbst gelöst. Grundlage dafür war das Betriebsärzte-Prinzip.

Je nach Anzahl ihrer Mitarbeiter schufen die VEBs Voraussetzungen für die Einstellung von medizinischem Personal. Es gab Schwesternstationen, Betriebsambulatorien und sogar Polikliniken. Das "Betriebliche Gesundheitswesen" war dem staatlichen Gesundheitswesen zugeordnet, welches auch das medizinische Personal der Betriebe entlohnte. Es behandelte die Betriebsangehörigen, deren Familienmitglieder und oftmals auch Patienten aus nahegelegenen Wohngebieten. Auch hier galt das Prinzip der freien Arztwahl. Betriebsangehörige konnten sich natürlich auch für andere Mediziner entscheiden.

Zu den Aufgaben des betrieblichen Gesundheitswesens gehörten Reihenuntersuchungen, Grippeschutz- und andere -Impfungen sowie vorbeugende Krebs- und Prostatauntersuchungen. Die Mütterberatung, eine Dispensairebetreuung und weitere prophylaktische Maßnahmen standen ebenfalls auf dem Programm.

Viele Betriebe schufen auf eigene Kosten zusätzliche physiotherapeutische Einrichtungen, Saunen und Fitneßräume.

Die Betriebsärzte trugen auch Verantwortung für die Einhaltung hygienischer Normen, die Ermittlung von Unfallschwerpunkten und die allgemeine Betriebssicherheit. Dabei arbeiteten sie eng mit den Sicherheitsinspektoren der Betriebe zusammen.

Das betriebliche Gesundheitswesen entlastete die örtlichen Polikliniken und staatlichen Arztpraxen. Hinzu kam eine Reihe wirtschaftlicher Effekte: Der Weg zum Arzt war kurz, die damit verbundenen Ausfallzeiten hielten sich im Rahmen. Die Betriebsärzte kannten die jeweiligen Arbeitsbedingungen, was eine gezieltere Behandlung ihrer Patienten ermöglichte.

Im Betriebsambulatorium des Kombinats Robotron waren zwei praktische Ärzte und ein Zahnarzt mit dem erforderlichen Hilfspersonal tätig.


Die Versorgung der Werktätigen

Es war gesetzlich geregelt, daß die Versorgung der Werktätigen mit einer "vollwertigen warmen Hauptmahlzeit, einer Zwischenverpflegung sowie mit Erfrischungen" zu erfolgen hatte.

Zur Verwirklichung dieser Auflagen setzten kleinere Betriebe Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen für Arbeiterversorgung ein. Großbetriebe schufen Versorgungsstützpunkte, Speisehäuser und Betriebsgaststätten.

Robotron-Dresden hatte z. B. einen Pausenstützpunkt und eine Betriebsgaststätte, in denen etwa 30 Fach- und Hilfskräfte der Gastronomie rund 2000 Werktätige versorgten.

In den Arbeitspausen standen warme und kalte Getränke wie Tee und Mineralwasser kostenlos bereit. Jeder konnte einen Imbiß käuflich erwerben.

Die warme Hauptmahlzeit wurde in Speiseräumen verabreicht. Kleinere Betriebe kooperierten dabei mit größeren oder auch mit gastronomischen Einrichtungen des Territoriums. In den betriebseigenen Speisehäusern gab es Wahlessen, meist ein Eintopfgericht oder andere Hausmannskost sowie zwei bis drei Fleischoder Fischgerichte. Die Kosten für ein Essen lagen zwischen 0,80 und 1,50 Mark, selten darüber. Die Preise wurden vom Betrieb erheblich subventioniert. Nachspeisen, Kaffee und Kuchen, alkoholfreie Getränke u. a. waren zum Gaststättenpreis erhältlich.

Für Betriebe mit Schichtarbeit galt die Devise, daß es in jeder Schicht eine warme Mahlzeit gab.

Die größeren gastronomischen Einheiten waren durch die Arbeiterversorgung allein nicht ausgelastet. Deshalb standen sie auch für andere Zwecke wie die Schulspeisung zur Verfügung. Nach den betrieblichen Mittagspausen "bevölkerten" oft Schüler das Speisehaus. Essen wurde auch an andere Kindereinrichtungen geliefert.

Gesellschaftlichen Organisationen, Mitarbeiterkollektiven und einzelnen Kollegen standen die Häuser zur Nutzung offen. Nicht wenige begingen dort Familienjubiläen; Freundschaftstreffen mit anderen Kollektiven, auch aus dem Ausland, fanden statt, Feiern zur Jugendweihe und zur Konfirmation waren vorgesehen. Zum Jahreswechsel mit Weihnachts- und Silvesterfeiern gab es keine freien Plätze.

Auch Dienstleistungen anderer Art wurden angeboten, z. B. Einkaufsmöglichkeiten für Waren des täglichen Bedarfs. Oft geschah das in Kooperation mit der Konsumgenossenschaft, die Betriebsverkaufsstellen einrichtete. Häufig erfolgten Sonderverkäufe von Industriewaren. Angeboten wurden dabei Bekleidung, Stoffe, Bett- und Tischwäsche, Lederwaren und vieles andere mehr. Der Verkauf erfolgte in Arbeitspausen und außerhalb der Arbeitszeit. Überdies konnten auch Reparatureinrichtungen wie Änderungsschneidereien und Schuhmacher genutzt werden.

Die Betriebe halfen bei der Bereitstellung von Wohnraum. Durch die örtlichen Staatsorgane erhielten sie bestimmte Kontingente zugewiesen, die sie an wohnungssuchende Betriebsangehörige vergeben durften. Damit befaßten sich Wohnungskommissionen, die nach einem Dringlichkeitsschlüssel Vorschläge unterbreiteten.

Schließlich gehörte zur Arbeiterversorgung auch noch der Berufsverkehr. Das galt besonders für Betriebe, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer erreichbar waren. Sie stimmten mit den Verkehrsträgern Arbeitszeit- und Fahrpläne ab. In ländlichen Gebieten war das von besonderer Bedeutung. Dort wurden Schichtbusse eingesetzt, um die Arbeiter ohne hohen Zeitaufwand zu befördern.


Freizeit und Ferien

Alle größeren VEBs verfügten über Kapazitäten zur Freizeitgestaltung. Vom eigenen Ferienheim mit Vollverpflegung über Anteile bei Vertragsheimen und Bungalows bis zu festen Stellflächen auf Campingplätzen reichte die Angebotspalette. Robotron Dresden unterhielt z. B. ein Ferienheim in Gohrisch (Sächsische Schweiz), eine Bungalowsiedlung in Binz auf Rügen und Campingeinrichtungen auf der Insel Usedom.

Für ein- oder zweiwöchige Ferienaufenthalte entsprachen die Preise denen der Gewerkschaften. Jeder Interessent konnte sich einen solchen Urlaubsaufenthalt leisten.

Ein besonderer Zweig dieses Bereichs waren die Ferienlager für Schulkinder der Betriebsangehörigen. Sie wurden im Sommer durchgeführt. Auch dafür hatten etliche Betriebe spezielle Objekte, zumeist aber fanden sie in zeitweilig angemieteten Schulgebäuden, Sporteinrichtungen u. ä. statt. Die Betriebe richteten die Lager ein und sorgten für das Mobiliar. Sie stellten pädagogisch geeignetes Personal zur Verfügung, sicherten die Versorgung mit Lebensmitteln sowie die medizinische Betreuung und vereinbarten Ziele für Wanderungen, Exkursionen und Kinobesuche.


Kultur und Sport

Kulturarbeit und Sport wurden von den Betrieben weitgehend getragen. Sie schlossen z. B. Verträge mit Kultureinrichtungen des Ortes oder der Region ab, indem sie Veranstaltungsanrechte erwarben, die dann zu ermäßigten Preisen an die Betriebsangehörigen weitergegeben wurden. Robotron hatte solche Verträge mit der Semperoper, dem Schauspielhaus, der Staatsoperette und der Philharmonie. Die Anrechte waren heiß begehrt, so daß die Nachfrage oft nicht befriedigt werden konnte, weshalb ihre Besitzer von Zeit zu Zeit wechselten.

Die Bildung von Interessengemeinschaften für Gesang, Musik, Tanz, Theater und Fotografie war eine weitere Aufgabe. Der Betrieb stellte dafür Räume zur Verfügung, engagierte Zirkelleiter und sorgte für Arbeitsmittel und -material.

Aus den Zirkeln gingen oft Volkskunstgruppen hervor. Bei Robotron schlossen sich diese zu einem Volkskunstensemble zusammen, in das auch Werktätige anderer Betriebe und Bürger aus der Gegend einbezogen wurden. Schrittweise entstanden mehrere Sparten: ein Arbeitersymphonieorchester, mehrere Chöre, ein Kinder- und Jugendballett, eine Combo, eine Gruppe für Gesellschaftstanz, ein Kabarett, eine Pantomimengruppe und ein Marionettentheater. Insgesamt wirkten in diesen Gruppen mehr als 150 Personen mit. Die Mehrzahl waren Laienkünstler, nur Übungsleiter und Ausbilder erhielten ein Honorar.

In den 70er und 80er Jahren nahmen Gruppen des Robotron-Ensembles an den jährlich in der DDR stattfindenden Arbeiterfestspielen teil. Sie traten u. a. in der Tschechoslowakei und Ungarn auf.

Auch der Sport gehörte zur Freizeitgestaltung. Räume mit Tischtennisplatten fanden sich in jedem Betrieb. Fitneß-Center kannte man damals noch nicht, aber Sportgeräte der verschiedensten Art waren überall vorhanden, Kegelbahnen seltener, denn dazu bedurfte es spezieller Anlagen. Großbetriebe besaßen eigene Sportplätze, manche verfügten sogar über Stadien oder Schwimmhallen.

Je nach den vorhandenen Möglichkeiten veranstalteten die Betriebe Sportwettkämpfe bis zu regelrechten Betriebsmeisterschaften. Die am meisten vertretenen Disziplinen waren Fuß- und Volleyball sowie Leichtathletik. Auch der Denksport kam nicht zu kurz.


Wer beglich die Rechnungen?

Für den Erwerb oder den Bau von Ferienheimen, Betriebsgaststätten, Kulturhäusern, Sporthallen u. ä. erhielten die Betriebe staatliche Mittel, die in die jeweiligen Investitionspläne eingeordnet wurden. Handelte es sich um volkseigene Objekte, so erfolgte ein kostenfreier Rechtsträgerwechsel.

Die Finanzierung der Einrichtungen für die Arbeiterversorgung, von Kultur und Sport, dem Ferienwesen usw. erfolgte aus dem Kultur- und Sozialfonds, den jeder Betrieb im Rahmen seines Finanzplanes bildete. Über dessen Verwendung entschied der Betriebsdirektor in Abstimmung mit der zuständigen Gewerkschaftsleitung. Die einzelnen Positionen waren dann Bestandteil des jährlichen Betriebskollektivvertrages (BKV), der in einer Vertrauensleutevollversammlung zur Diskussion gestellt und zum Beschluß erhoben wurde. Weitere Mittel flossen aus den Kassen der Gewerkschaft. Anders als in der BRD hatten diese ihre Basis in den Betrieben und anderen Einrichtungen. Dabei galt das Prinzip: "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft". Damit verhinderte man eine Zersplitterung der Interessenvertretung der Werktätigen. In einem Metallbetrieb waren also auch alle metallfremden Beschäftigten Mitglieder der Gewerkschaft Metall.

Gliederungen des FDGB gab es in allen Betrieben, der Organisierungsgrad lag über 90 %. Im Gesamtmaßstab arbeitete eine Betriebsgewerkschaftsorganisation mit ihrer Leitung - der BGL. In Abteilungen, Bereichen und ähnlichen Einheiten bestand eine Abteilungsgewerkschaftsorganisation mit der AGL und in den einzelnen Arbeitskollektiven gab es Gewerkschaftsgruppen mit deren Vertrauensleuten. Die genannten Leitungen vertraten auf allen Ebenen die Interessen ihrer Mitglieder. Dazu gehörte die aktive Teilnahme an sämtlichen Entscheidungen zu sozialen Fragen, also auch zu den im hier geschilderten "Plan der Arbeits- und Lebensbedingungen" festgelegten Maßnahmen.

Prof. Dr. Erich Dreyer, Dresden

Raute

Klare Konturen nach dem 6. Kongreß der kubanischen Kommunisten

Kein Stochern im Nebel

Das Politbüro der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), der Staatsrat und der Ministerrat hatten sich entschieden, das Modell der weiteren wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes dem 6. Parteitag im April zu unterbreiten. Seit dem 5. Parteitag waren 14 Jahre vergangen. Die inneren und äußeren Bedingungen Kubas hatten sich in dieser Zeit grundlegend verändert.

Die auf den Untergang der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas folgende Sonderperiode (Periodo Especial) neigte sich in den Jahren 2004/05 ihrem Ende zu. In dieser Zeit ging es um das Überleben des Volkes und die Bewahrung der sozialistischen Gesellschaft, um die Rettung der wichtigsten Errungenschaften der Revolution. Kubas Führung entschied sich unter enormem Druck oft für Improvisationen und Einzelfall-Lösungen, bei denen es nicht selten den Anschein hatte, als geriete der sozialistische Entwicklungsprozeß ernsthaft in Gefahr. Nur der Standhaftigkeit der Partei, der Opferbereitschaft und revolutionären Kraft des Volkes war es zu verdanken, daß der sozialistische Inselstaat diese schwere Zeit überstand. Es grenzt fast an ein Wunder, daß in der Welt Einmaliges und Vorbildliches - vor allem auf sozialem und kulturellem Gebiet - ohne Abstriche aufrechterhalten werden konnte.

Verständlicherweise kommt es in Zeiten höchster Not zu Verwerfungen besonders wirtschaftlicher und sozialer Art. Sie waren den objektiven Bedingungen des Landes, aber auch subjektiven Fehlern geschuldet. Zusätzliche Belastungen entstanden durch die Krise des kapitalistischen Systems und die verschärfte USA-Blockade sowie aus klimatischen Gründen. Diese Faktoren wirken bis heute fort.


Konkrete Lageeinschätzung

Ein erklärendes Wort zur Bedeutung des 6. Parteitages der PCC, der mit den dort beschlossenen Leitlinien zur Durchsetzung einer neuen Qualität der sozialistischen Produktionsverhältnisse außerordentliche Bedeutung erlangte.

Was zwang Kuba zur Ergreifung außerordentlicher Maßnahmen?

Die Industriebetriebe, überwiegend mit Hilfe sozialistischer Länder Europas oder noch vor der Revolution errichtet, waren nicht nur technisch veraltet, sondern auch moralisch verschlissen. Sie besaßen im Prinzip keine produktive Substanz mehr. Die Landwirtschaft war aufgrund des Mangels an Devisen, nutzbarer Technik, Treibstoffen und Düngemitteln sowie infolge niedriger Produktivität außerstande, den Bedarf an Lebensmitteln auch nur annähernd zu decken. Das System der Planung und des staatlichen Aufkaufs besaß keine Anreize. Die Jugend, der alle Bildungstüren offenstanden, verließ die Dörfer, wodurch sich die bewirtschaftete Agrarfläche zunehmend verringerte. Die Infrastruktur - Elektroenergie, Verkehrswesen, Wasserwirtschaft und besonders das Bauwesen - litt unter Zerfallserscheinungen. Allein für die Werterhaltung, vom Ausbau ganz zu schweigen, fehlte es an materiellen Ressourcen und finanziellen Mitteln.

Diese Gesamtsituation verdeutlichte, wie sehr Land und Volk unter der Niederlage des Sozialismus in Europa nach 1989/90 zu leiden hatten. Dennoch wurde niemals ein Zweifel daran gelassen, daß die wichtigsten Errungenschaften der Revolution selbst in diesen schweren Jahren ohne Abstriche erhalten würden. Das fortschrittliche Bildungssystem aller Ebenen sowie Forschung und Gesundheitswesen, Kultur und Sport wurden sogar weiterentwickelt. Auch die Wirtschaft erholte sich ab 1994/95 allmählich. Durch die Reduzierung der Anzahl von Industriebetrieben und unerläßliche Umstrukturierungsmaßnahmen erfolgte de facto die Freisetzung unzähliger Arbeitskräfte, auch wenn sie von großzügigen sozialen Regelungen aufgefangen wurden. Viele Stellen in staatlichen Institutionen und Betrieben waren mehrfach besetzt. All das wurde aus dem Staatshaushalt beglichen. Diese Subventionen erstreckten sich auf viele Wirtschaftsbereiche, deren Produktion unbedingt erhalten werden mußte, wirkten sich aber auch auf die Versorgung der Bevölkerung aus. Der Verwaltungsapparat mußte unverhältnismäßig aufgebläht werden, da Massenarbeitslosigkeit, Verelendung der Bevölkerung oder Schocktherapien für den sozialistischen Staat undenkbar waren.

Verständlicherweise wirkte sich der tägliche Überlebenskampf im ganzen wie der einzelnen Familien spürbar auf die Arbeitsweise der Leitungsorgane und die Mentalität vieler Verantwortlicher und ihrer Mitarbeiter aus. Das zeigte sich in geringer Arbeitsproduktivität, mangelnder Ordnung und Disziplin, ungenügender Nutzung vorhandener Ressourcen, aber auch in Erscheinungen von Korruption und Schwarzhandel.

Kubas Führung versuchte durch strenge Zentralisierung und Einzelfall-Entscheidungen bis ins Detail, den Fehlentwicklungen entgegenzusteuern. In der Sonderperiode gab es weder eine langfristige Planung noch Konsultationsmöglichkeiten mit gleichgesinnten Partnerstaaten über ein sozialistisches Entwicklungsmodell. Raúl Castro zitierte in seiner Rede an den 6. Parteitag eine Passage aus dem Rechenschaftsbericht des 1. PCC-Kongresses vom 17. Dezember 1975: "Bei der Führung unserer Wirtschaft haben wir aus Idealismus zweifellos Fehler begangen und manchmal die Realität ignoriert, daß es objektive ökonomische Gesetze gibt, an die wir uns halten müssen." Das war bereits ein deutlicher Hinweis auf dringend erforderliche Veränderungen in Arbeitsstil und -inhalt.


Abschluß der "Sonderperiode"

Trotz aller Schwierigkeiten waren bis 2005 Bedingungen entstanden, die eine Beendigung der Sonderperiode zuließen. Der Übergang zu einer normalen gesellschaftlichen Entwicklung unter Berücksichtigung der kubanischen Besonderheiten und daraus resultierender Gesetzmäßigkeiten wurde notwendig und möglich. Nach eigener Einschätzung erreichte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2003 erstmals wieder den etwaigen Umfang des BIP von 1989. In den Jahren 2005 und 2006 wurden dann Wachstumsraten von über 10 % erzielt.

Der Beginn der neuen Phase fiel mit dem Ausscheiden Fidel Castros aus den höchsten Führungspositionen zusammen. Er selbst hat mit der Ankündigung weitreichender Entwicklungsprojekte noch wesentlich zu deren inhaltlicher Ausrichtung beigetragen. In einer denkwürdigen Rede am 17. November 2005 an der Universität von Havanna skizzierte Fidel nach einer kritischen Analyse des bisherigen Weges auch Kubas Perspektiven einer sozialistischen Zukunft. Es kann vermutet werden, daß bestimmte Ereignisse im Jahr 2004 der kubanischen Wirtschaft und besonders dem Staatshaushalt wesentliche Erleichterungen gebracht haben, die eine Entscheidung über weiterführende Programme möglich machten. Diese "Erleichterungen" standen offenbar mit den Staatsbesuchen der Präsidenten Chinas und Venezuelas im Zusammenhang. Damals wurden Vereinbarungen getroffen, die nicht nur Engpässe der wirtschaftlichen Entwicklung Kubas beseitigen halfen und den Druck der defizitären Staatsfinanzen wesentlich verringerten, sondern auch die außenpolitischen Rahmenbedingungen für die langfristige Entwicklung günstiger gestalteten. Hierzu gehören die Gründung der antiimperialistischen Staatengruppe ALBA und andere Ereignisse, die zur Festigung der lateinamerikanischen Zusammenarbeit beitrugen.

Kuba konnte infolge verbesserter innerer und äußerer Bedingungen qualitativ neue und entscheidende Programme für seine weitere Entwicklung in Angriff nehmen. Das betrifft die Neugestaltung der Energiewirtschaft, die Verbesserung des Transportwesens und der dazugehörigen Infrastruktur, wichtige Impulse für das Bauwesen und für die schrittweise Lösung der Wohnungsfrage, für die Erweiterung von Lagerkapazitäten, einen Wandel in der Landwirtschaft und die Erfüllung vieler anderer bis dahin vernachlässigter Aufgaben. Das alles erforderte enorme Investitionen in Devisen, aber auch in nationaler Währung.


Klare Benennung von Defiziten

Nach dem Wechsel an der Spitze von Staat und Partei standen die bereits unter Leitung Fidel Castros eingeleiteten Maßnahmen erst am Beginn ihrer Realisierung. Es zeigte sich überdies, daß die Lösung weiterer Probleme zwingend in den Vordergrund trat.

Das betrifft besonders die Nahrungsgüterversorgung. Nahezu 80 % der Lebensmittel mußten von diesem vornehmlich agrarisch geprägten Land eingeführt werden, wobei die Weltmarktpreise gerade in den für Kuba entscheidenden Jahren unaufhörlich stiegen, während die Einnahmen aus dem Hauptexportgut Nickel sanken. Auch der Zuckerpreis befand sich längere Zeit in einem Tief, während der Preis für Rohöl enorm anzog. Durch die Kooperationsbeziehungen mit Venezuela und eingeleitete Sparmaßnahmen konnten negative Auswirkungen auf Kubas Wirtschaft gedämpft werden.

Raúl Castro benannte am 26. Juli 2007 in Camaguay - bei einer insgesamt positiven Bilanz der Wirtschafts- und Sozialpolitik in den langen und leidvollen Jahren der Sonderperiode - mit großer Deutlichkeit Unzulänglichkeiten, Irrtümer und Folgen bürokratischen Verhaltens. Er verwies zugleich auf vorhandene Reserven für Kubas künftige Entwicklung: Durch gut organisiertes Arbeiten, effektive Kontrolle, tägliche hohe Anforderungen, Exaktheit, Ordnung und Disziplin sollten die Bedingungen geschaffen werden, um die angespannte Situation zu beherrschen. Es gehe um eine eigenständige, nachhaltige und unabhängige Entwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse.

Raúl Castro knüpfte an bewährte Traditionen der kubanischen Führung an, die in entscheidenden Momenten dem Volk stets die ungeschminkte Wahrheit zu sagen pflegte. Auch in seiner Antrittsrede als Vorsitzender des Staats- und Ministerrates begründete er vor der Nationalversammlung seine Konzeption zur Stärkung des Wirtschaftsgefüges, zur Stabilisierung des Haushalts, zur Durchsetzung von Sparsamkeit und Effektivität in allen Wirtschaftszweigen. Es gehe vor allem darum, die hohen Lebensmittelimporte durch Eigenproduktion abzulösen und den Haushalt durch Abbau unnötiger Subventionen zu entlasten. Er forderte die Leiter aller Ebenen auf, ohne Triumphalismus und Selbstbeweihräucherung realistisch, kritisch und selbstkritisch zu arbeiten. Die Vorbereitung des vom 16. bis 19. April 2011 durchgeführten 6. Parteitages hatte bereits im Sommer 2007 begonnen. Seitdem wurden grundsätzliche Korrekturen auf einigen Gebieten in der Praxis getestet.


Beratung mit dem ganzen Volk

Bei der langfristigen Vorbereitung des jüngsten Parteitages fanden mit der Bevölkerung offene, kritische und oftmals auch kontrovers geführte Diskussionen zu den Leitlinien statt, die den einzigen Beschlußpunkt des Parteitages bildeten. Dabei erfolgten drei Millionen Wortmeldungen. In den ursprünglichen Entwurf der 291 Leitlinien wurden zahlreiche Vorschläge aufgenommen, über zwei Drittel von ihnen neu formuliert. Die Endfassung bestand dann aus 311 Thesen.

Die Leitlinien räumen der Weiterentwicklung und Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse absoluten Vorrang ein. Es wird dort von einer Modernisierung gesprochen, welche die spezifischen Entwicklungsprozesse der kubanischen Gesellschaft und die internationalen Rahmenbedingungen berücksichtigt.

Nur die sozialistische Gesellschaft sei dazu imstande, die krisenbedingten Schwierigkeiten zu überwinden und die wichtigsten Errungenschaften der Revolution zu bewahren. Bei der Aktualisierung des Wirtschaftsmodells bleibt der Plan das entscheidende Führungsinstrument, wobei die Gesetze des Marktes berücksichtigt werden. Die Arbeit ist ein Recht und eine Pflicht. Sie muß der Quantität und Qualität nach vergütet werden. Das Defizit in der Zahlungsbilanz soll kurzfristig ausgeglichen werden, Exportüberschüsse sind zur Ablösung von Importen einzusetzen. Eine Neuordnung des und eine Pflicht. Sie muß der Quantität und Qualität nach vergütet werden. Das Defizit in der Zahlungsbilanz soll kurzfristig ausgeglichen werden, Exportüberschüsse sind zur Ablösung von Importen einzusetzen. Eine Neuordnung des Lohnsystems wird als dringendes Erfordernis betrachtet.

Die Struktur der Wirtschaftseinheiten, die vom System der staatlichen Planung differenziert und flexibel erfaßt wird, setzt sich folgendermaßen zusammen: Die wichtigste Säule bilden selbständige Staatsunternehmen, hinzu kommen Firmen mit gemischtem Kapital, Genossenschaften, Pächter von Ländereien und Objekten, auf eigene Rechnung arbeitende Privatpersonen sowie andere, die zur Effizienz der gesellschaftlichen Arbeit beitragen können.


"Alles verändern, was zu verändern ist"

In den Aussprachen gab es die meisten Wortmeldungen zum subventionierten Versorgungssystem und zur Frage der faktischen Doppelwährung, deren schrittweise Überwindung anzustreben sei. Das Wirtschaftsmodell müsse so verändert werden, daß eine höhere Leistungsfähigkeit und Arbeitsproduktivität in der gesamten Volkswirtschaft erreicht wird, um ein bestimmtes Niveau von Waren und Dienstleistungen zu nichtsubventionierten, für alle Bürger aber erschwinglichen Preisen zu sichern.

Im Anschluß an den Parteitag, dessen Motto "Alles verändern, was zu verändern ist" lautete, fand das 1. Plenum des ZK der PCC statt. Die Anzahl der Mitglieder des Politbüros wurde von 24 auf 15 reduziert. Zum 1. Sekretär wurde Raúl Castro, zum 2. Sekretär Ramon Machado Ventura gewählt. Fidel hat für keine Wahlfunktion kandidiert. Er wurde unter großem Beifall der Delegierten in seinem Ehrenamt als Führer der Revolution bestätigt.

Heinz Langer, Berlin

Unser Autor, von dem mehrere im Verlag Wiljo Heinen erschienene Bücher zum Thema vorliegen, war Botschafter der DDR in Kuba.


Ende RF-Extra

Raute

BRD-Akademie für Sicherheitspolitik nahm Asien ins Visier

Ein "präventiver Feuerring" um China

Deutsche Außenpolitik-Experten rechnen mit massiver Aufrüstung in Ostasien und schließen militärische Aggressionen der USA gegen China nicht aus. Die Vereinigten Staaten verstärkten ihre "Militärpräsenz in der Region" und seien gemeinsam mit ihren Verbündeten dabei, einen "präventiven Feuerring" um die Volksrepublik zu legen, hieß es im Juli auf einer Tagung an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Die Teilnehmer, darunter hochrangige deutsche Militärs, loteten aus, welche Haltung die großen Staaten Asiens heute gegenüber Beijing einnähmen und ob in den jeweiligen nationalen Militärstrategien eine Konfrontation mit China als mögliches oder wahrscheinliches Zukunftsszenario gelte. Das Ergebnis bildet die Zwischenbilanz der westlichen Bemühungen ab, Verbündete gegen den chinesischen Rivalen zu gewinnen. Berlin, dessen Aktivitäten auf der Bundesakademie-Tagung nicht ausdrücklich gewürdigt wurden, ist seit Jahren dabei, potentielle Gegner der Volksrepublik massiv aufzurüsten, darunter Südkorea, das in den vergangenen Jahren zeitweise der weltweit größte Abnehmer deutschen Kriegsgeräts war. Die Bundeswehr ergänzt die Aufrüstung der betreffenden Staaten um militärpolitische Kooperation.

Als Organisatoren der Tagung des zentralen militärpolitischen "think tanks" (Denktanks) der Bundesregierung traten die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und der Trierer Universitätsdozent Martin Wagener auf. In dessen Seminaren wird gefordert, die militärpolitischen "Fesseln" des Grundgesetzes abzuschütteln, um der BRD größeren "Handlungsspielraum" zu verschaffen.

Dabei halten deutsche Militärs, wie auf der Tagung ein Brigadegeneral aus dem Bundesministerium der Verteidigung erläuterte, das Potential der chinesischen Streitkräfte auf absehbare Zeit nicht für eine Bedrohung westlicher Interessen. Einer "militärischen Auseinandersetzung mit den USA" sei die Volksbefreiungsarmee keinesfalls gewachsen; vielmehr sei sie technologisch "zehn bis zwanzig Jahre" im Rückstand. Zudem sehe sich Beijing weiterhin "in der konfuzianischen Tradition einer harmonischen Politikgestaltung, die beispielsweise im Rahmen der UNO auf Kooperation setze", wird der Brigadegeneral zitiert. Ziel der chinesischen Regierung sei daher die "Projektion von Fähigkeiten zur Abschreckung". An einem "Wettrüsten in der Region" sei die Volksrepublik nicht interessiert.

Ganz im Gegensatz dazu attestierte der erwähnte Prof. Wagener den Vereinigten Staaten, sich im "allgemeinen Streit um die Vorherrschaft in Ostasien" auf "einen potentiellen militärischen Schlagabtausch mit der Volksrepublik" vorzubereiten. Washington halte nicht nur die Bündnisse "mit Japan, Südkorea, Australien, Thailand und den Philippinen" aufrecht, es verfüge darüber hinaus auch "über eine Vornepräsenz" von rund 75.000 Soldaten in der Region - und das "ohne Hawaii". Washington verbessere seine Raketenabwehr, treibe die "Arbeiten am AirSea-Battle-Konzept" voran, diversifiziere auch sein "Militäraufgebot in Ostasien" und baue "Guam als Ausweichbasis u. a. für den Fall aus, daß man die Stützpunkte in Nordostasien verliere". Die US-Militärpräsenz ähnele "insgesamt (...) einem 'Feuerring', der präventiv um China gelegt wird und den Washington im Konfliktfall auch durchaus zu aktivieren gewillt ist", läßt sich Wagener zitieren.

Eine zumindest potentiell konfrontative Haltung gegenüber Beijing ist der Berliner Tagung zufolge von zentralen US-Verbündeten in der Region zu erwarten. Keinerlei Zweifel herrschen im Falle Japans. Zwar fahre Tokio "zweigleisig" und strebe auch eine "Einbindung Chinas" an, hieß es; doch fielen "die Ergebnisse dieser Bemühungen eher bescheiden aus". Daher habe die Regierung Japans eine "strategische Neuausrichtung" beschlossen und das Militäraufgebot auf Okinawa und den Nansei-Inseln verstärkt. Auch suche Tokio trotz aller Sparzwänge "seine militärischen Fähigkeiten zu steigern und das Bündnis mit den USA zu stärken". Ähnliches gilt für Südkorea, das umfänglich aufrüstet und in den Jahren 2004 bis 2008 der viertgrößte Käufer auf dem weltweiten Markt für Kriegsgerät war. Über die geostrategische Ausrichtung der südkoreanischen Streitkräfte heißt es beim Bonn International Center for Conversion (BICC), die Verteidigungsdoktrin des Landes gehe von einer vielfältigen "Bedrohungslage" aus. Man kalkuliere durchaus auch Auseinandersetzungen mit China ein. Das BICC verweist außerdem auf die "starke Präsenz von US-amerikanischen Truppen" in Südkorea.

Skeptisch waren die Experten hinsichtlich der Bemühungen des Westens, Indien in seine antichinesische Front einzubinden. Die "Modernisierung der indischen Streitkräfte" sei "nicht gegen die Volksrepublik, sondern gegen Pakistan gerichtet", hieß es. Dem Rivalen China hinkten die indischen Streitkräfte technologisch so weit hinterher, daß kaum eine wirkliche Aussicht auf ein Gleichziehen bestehe.

Ebenfalls diskutiert wurde die Stellung Rußlands. In der deutschen Hauptstadt wird schon lange gerätselt, ob Moskau sich im Falle des Falles auf die Seite Chinas schlagen könne. Diese Befürchtung ist nach den Ergebnissen der Berliner Tagung unbegründet. Zwar unterstütze Moskau Beijing mit Rüstungslieferungen, und es gebe - etwa im Rahmen der SCO (Shanghai Cooperation Organization) - durchaus eine punktuelle militärpolitische Kooperation mit Stoßrichtung gegen die USA. Doch sei diese "aufgrund der sehr unterschiedlichen Interessenlagen eher instabil und selektiv". Berlin unterstützt das sich abzeichnende Bündnis gegen Beijing mit der Lieferung von Kriegsgerät in großem Stil. Deutsche Konzerne exportierten vor allem Kriegsschiffe nach Seoul. Für das Jahr 2008 verzeichnete der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung Südkorea sogar auf Platz eins der weltweiten Rangliste deutscher Waffenkäufer. Umfangreiche deutsche Rüstungsexporte gingen auch an mehrere Staaten Südostasiens, die wegen ihrer Territorialstreitigkeiten mit China um verschiedene Inselgruppen als - zumindest im Ernstfall - Verbündete des Westens gelten. Deutsche Panzerlieferungen brachten zuletzt Singapur unter die Top 10 deutscher Rüstungskäufer.

Über "Geschäftsabschlüsse" hinaus strebt die Bundeswehr einen Ausbau der Militärkooperation mit wichtigen Verbündeten des Westens gegen die Volksrepublik China an. Dies gilt unter anderem für Südkorea, Japan und Indien.

Im globalen Konkurrenzkampf um den Zugriff auf industriewichtige Ressourcen kündigte Berlin den Abschluß einer "Rohstoffpartnerschaft" mit der Mongolei an. Das Land, das Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober bereiste, gehört zu den rohstoffreichsten Staaten weltweit. Insbesondere verfügt es über sogenannte Seltene Erden, die für die Produktion moderner Technologie unverzichtbar sind. Mit der "Rohstoffpartnerschaft" sucht die Bundesregierung einen Rahmen zu schaffen, um BRD-Firmen einen privilegierten Zugriff auf die begehrten Bodenschätze zu sichern. Als Einstieg in die profitable Kooperation gilt ein Milliardenprojekt, das hochwertige mongolische Kohle für Werke von ThyssenKrupp in Europa sichern soll. Die Zusammenarbeit zwischen der BRD und der Mongolei hat eine militärpolitische Dimension und gewinnt Bedeutung für die Einkreisung Chinas durch den Westen.

Aus: "Informationen zur deutschen Außenpolitik" (german-foreign-policy.com)

Raute

Libyen förderte vor dem NATO-Überfall 2 % des Erdöls der Welt

Einziges Kriegsziel: das schwarze Gold

Die Libyen betreffende Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates vom 17. März 2011 bestand im wesentlichen aus drei Punkten. Sie forderte einen Waffenstillstand zwischen "Aufständischen" und der Regierung sowie das Ende der Gewalt, d. h. den Schutz der Zivilbevölkerung; die Lösung des Konflikts unter Einbeziehung von Vermittlern; die Einrichtung einer sogenannten Flugverbotszone. Ausgeschlossen wurden die Lieferung von Waffen und der Einsatz ausländischer Bodentruppen.

Aus heutiger Sicht war diese Resolution eine neue Variante der Eröffnung eines Krieges von NATO-Staaten, bei dem es unter Ausnutzung der "arabischen Revolutionen" um den ungehinderten Zugang zum Erdöl und die Neuaufteilung der Herrschaftsgebiete ging. Es steht eindeutig fest, daß die UN-Resolution dem völkerrechtswidrigen militärischen Eingreifen zunächst einzelner ihrer Staaten und dann der NATO in einen innerlibyschen Konflikt den Anschein von Rechtmäßigkeit verschaffen sollte. Sie ermöglichte damit NATO-Staaten wie Frankreich und Großbritannien, die erwiesenermaßen Bodentruppen bei den Auseinandersetzungen einsetzten und die libyschen "Rebellen", die später sogar in "Revolutionäre" umgetauft wurden, mit Waffen, Geld und militärischen Informationen zu beliefern. Die Bodentruppen waren getarnte Spezialeinheiten, die neben der Ausbildung von Aufrührern direkt mit Waffen und Know-how in die Kämpfe eingriffen, um die Herrschaft des Revolutionsführers Gaddafi zu beenden. Insbesondere die Briten setzten und setzen Veteranen der Irak- und Afghanistan-Kriege sowie reguläre Armeeverbände ein. Truppen aus Jordanien und Katar kämpften an der Seite der NATO. Es fragt sich, ob ausländische Kampfverbände nicht selbst Kriegsverbrechen begangen oder ermöglicht haben.

Etwa 22.000 NATO- und rund 5000 US-Luftangriffe fanden statt - insgesamt also 27.000 Luftschläge gegen die nur 30.000 Mann umfassende libysche Armee und die Bevölkerung. Die Überlegenheit der NATO-Kräfte war so erdrückend, daß es erstaunlich ist, wie legale libysche Truppenverbände sechs Monate lang Widerstand leisten konnten. Das Nachrichtenmagazin "Rußland heute" wies nach, daß Franzosen und Briten regelrechte Kommandostäbe in der Umgebung der Stadt Es-Suwai-tin im Osten Libyens unterhielten, um von dort aus die Kriegshandlungen zu koordinieren. NATO-Soldaten aus der BRD hatten bei all dem "lediglich" die Aufgabe der "Zielauswahl" für den Einsatz der NATO-Luftwaffe. Bereits im Irak-Krieg waren Ziele für die amerikanischen Bomber und Raketen durch BND-Leute ausgesucht worden. Aber auch Waffen aus bundesdeutscher Produktion tauchten bei den "Rebellen" auf. Wie Kriegsberichterstatter wissen ließen, waren keineswegs nur militärische Objekte im Visier der Luftkrieger, sondern Libyens gesamte Infrastruktur, wie das die NATO bereits auf den Kriegsschauplätzen in Irak und im Kosovo praktiziert hatte.

Unter der Schlagzeile "Die Jagd hat begonnen" freute sich die "Welt kompakt" vom 2. September darüber, daß es im Krieg auf nordafrikanischem Boden um den Zugang zum libyschen Erdöl gegangen sei. Frankreich werde dabei der Hauptnutznießer des Umsturzes sein. Die Pariser Zeitung "Liberation" veröffentlichte einen Brief vom 3. April d. J., in dem die "Aufständischen" Frankreich 35 Prozent des gesamten libyschen Öls als Gegenleistung bei umfassender militärischer Unterstützung des "Rebellenrates" zusicherten. Dabei geht es um keinen Pappenstiel, bedenkt man, daß in Libyen vor dem NATO-Überfall täglich 1,6 Millionen Barrel gefördert worden sind. Sicherlich steht das in engem Zusammenhang damit, daß sich Italiens Regierung anfangs zögerlich am Krieg gegen seinen arabischen Öllieferanten beteiligte. Die Apenninen-Republik dürfte daher ihre privilegierte Stellung im Libyen-Geschäft verlieren. Selbst Katar und die Türkei finanzierten die "Rebellen" von NATO-Gnaden, um ein Stück vom Ölkuchen zu erlangen. In den Startlöchern stehen unterdessen die Ölkonzerne BP, Total und Qatar Petroleum.

Desgleichen geht es um die Wahrnehmung deutscher Interessen. Die BRD bezog 2010 ca. 7,7 % ihrer Erdölimporte aus Libyen, während Italien 22 %, Frankreich 15,7 %, Großbritannien 8,5 %, Irland 23,3 % und Spanien 12,1 % von dort erhielten. Die Großkonzerne BASF (Winterhall) und RWE (Dea) unterhalten eigene Fördergesellschaften in Libyen. Deren Anlagen blieben bei den Kriegshandlungen und ungeachtet massiver NATO-Bombardierungen zu 90 % intakt. Das dürfte kein Zufall sein.

Natürlich geht es auch um den Wiederaufbau der teilweise zerstörten Infrastruktur, für den sich britische, französische und türkische Bauunternehmen lukrative Aufträge ausrechnen. Erst zerstören, dann sich die Rohstoffe aneignen und schließlich am Wiederaufbau kräftig verdienen - so sieht das Konzept zur Plünderung Libyens aus. Das libysche Volk muß sich darauf einstellen, daß jetzt die NATO-Mächte den Fahrplan für die Zukunft ihres ressourcenreichen Landes bestimmen.

Nichts ist ausgeschlossen, auch kein zweiter Irak mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf Dauer.

Das Fazit lautet: Durch die UNO-Resolution 1973, gegen die - anders als im Falle Syriens - kein ständiges Sicherheitsratsmitglied ein Veto einlegte, wurde nicht nur das Völkerrecht mit Füßen getreten, sondern auch die brutale Einmischung der NATO in Libyens innere Angelegenheiten ausdrücklich sanktioniert.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

Raute

Eine zweite Amtszeit des ersten schwarzen Präsidenten im Weißen Haus?

Obamas Flucht in den "Befreiungsschlag"

"Es ist an der Zeit, den politischen Zirkus zu beenden und etwas für die Wirtschaft zu tun." Mit dieser Aufforderung hatte sich Präsident Barack Obama an die Abgeordneten und Senatoren des US-Kongresses gewandt. In den letzten Monaten - besonders seit dem dramatischen Tauziehen zwischen Präsident und Parteien zur zeitweiligen Verdrängung solcher Staatskatastrophen wie der drohenden Zahlungsunfähigkeit bei bereits reduzierter Kreditwürdigkeit der USA - fanden im Parlament der Vereinigten Staaten heftige politisch-ideologische Auseinandersetzungen zwischen Demokraten und Republikanern statt. Besonders taten sich dabei die Aktivisten der scharf rechts gerichteten Tea-Party-Bewegung unter den mehr als 80 republikanischen Frischlingen im Repräsentantenhaus hervor.

Seitdem befinden sich die Obama-Administration und der 112. US-Kongreß auf dem Weg zum nächsten politischen Showdown: Bis zum 23. Dezember müssen sich der Präsident und dessen Demokraten mit den Republikanern der Grand Old Party (GOP) auf massive Haushaltskürzungen einigen, da sonst die im Sommer 2011 vereinbarten automatischen Mechanismen in Kraft träten, die auch den Rüstungs- und Streitkräfte-Haushalt massiv tangieren würden, was nicht passieren darf.

Im Sommer erlebte die USA-Bundeshauptstadt einen regelrechten "politischen Zirkus". Obama warnte die derzeit nicht am Ruder befindliche GOP vor einer Blockadehaltung und erklärte: "Die Zeit für Washingtoner Spiele ist vorbei." Auf ihm lastete bereits der Druck aller republikanischen Bewerber um das 2012 neu zu vergebende höchste Staatsamt. Deren gemeinsame Losung lautet: "Keine zweite Amtszeit für Barack Obama!"

Ein Befreiungsschlag war also mehr als überfällig. Obama entschied sich für eine politische Offensive gegen weiter rechts stehende Kräfte, vor allem gegen die drei übriggebliebenen von zunächst neun potentiellen republikanischen Rivalen: Michelle Bachman, Mitt Romney und Rick Perry.

Basis, Führung und hauptsächliche Geldgeber der GOP sind mit dem US-Kongreß, in dem die Partei zwar die Mehrheit eroberte, der aber in der Bevölkerung nur geringen Widerhall findet, ebenso unzufrieden wie mit den derzeitigen Anwärtern auf das Weiße Haus. Man konnte bei deren gemeinsamen Fernsehauftritten ihre unverkennbare Blässe und eine gewisse Hektik beobachten. Die GOP-Spitze sucht deshalb weiter nach einem wirklich zugkräftigen Herausforderer Obamas, der die Partei und deren Stammwähler einerseits für konservative Grundüberzeugungen motivieren kann, sich aber zugleich moderat zu bewegen weiß. Im September erfuhr die Öffentlichkeit durch die Medien, wie der erste schwarze Präsident in der Geschichte der USA seinen Befreiungsschlag zu führen gedenkt, um aus der permanenten Job-Krise herauszukommen und seine Wiederwahl zu sichern. Obamas Konzept besteht aus zwei Teilen:

Erstens soll das Beschäftigungsgesetz (American Jobs Act) die "Wende auf dem Arbeitsmarkt" herbeiführen und die hohe Erwerbslosigkeit drastisch reduzieren. Dazu dient eine Finanzspritze von 447 Mrd. Dollar, um der Konjunktur auf die Sprünge zu helfen und mindestens eine Million neue Jobs im öffentlichen Dienst wie in der Privatwirtschaft zu schaffen. Am 8. September begründete Obama den Gesetzentwurf vor beiden Kammern des Kongresses. Nur vier Tage später reichte er bereits den endgültigen Text ein und ersuchte die Parlamentarier um rasche Beschlußfassung. Schwerpunkte des Pakets sind: staatliche Investitionen in Milliardenhöhe, reduzierte Sozialabgaben für Beschäftigte und Unternehmer, Steueranreize für Investitionssteigerung, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit sowie Finanzspritzen für US-Bundesstaaten und Kommunen.

Am 26. September erhielt Obamas Projekt die Zustimmung einer deutlichen Mehrheit im Senat, was den Weg zur Budget-Sicherung im komplizierten nächsten Haushaltsjahr bahnte und den staatlichen Finanzkollaps zunächst abwendete. Das Haushaltsjahr 2012 begann am 1. Oktober, und der Regierung darf das Geld im Vorfeld der nächsten Wahlen nicht ausgehen. Auch das Repräsentantenhaus stimmte dem Gesetz bald darauf zu.

Zweitens legte Obama Spar- und Steuerprogramme auf. Dabei stehen sowohl das Budget als auch spezielle Regelungen auf den Gebieten Arbeit, Steuern und Preise zur Debatte. Dieses Standbein seines "Befreiungsschlages" verknüpfte der Präsident indes nicht mit einer Gesetzesinitiative.

Er berief dazu auch keine offizielle Tagung des Kongresses ein, sondern entwickelte sein diesbezügliches Konzept auf einer sogenannten Ochsentour - einer mehrtägigen Rede- und Werbereise durch einige US-Bundesstaaten. Bei einer Ansprache im Rosengarten des Weißen Hauses fiel dann das den Nerv nicht weniger Wähler treffende Wort von einer Reichensteuer, was wiederum die Republikaner sofort auf die Barrikade trieb.

Am 19. September unterbreitete Obama dem Kongreß einen auf zehn Jahre berechneten Sanierungsplan für den US-Haushalt mit einem Gesamtvolumen von drei Billionen Dollar (2,2 Bill. €). Der GOP kam er mit dem Vorschlag von Kürzungen im sozialen Bereich deutlich entgegen. Allein bei Leistungen auf diesem Gebiet soll mehr als eine halbe Billion Dollar gespart werden, vor allem bei den Gesundheitsprogrammen für Arme und Ältere. Die Realisierbarkeit der in Aussicht gestellten Mittelkürzung auch im Verteidigungsetat hängt natürlich von der angeblich beabsichtigten Beendigung der Kriegseinsätze in Irak und Afghanistan ab. Käme es dazu, wären erhebliche Summen anderweitig verfügbar.

Obamas Kritiker und Gegner im Kongreß äußerten sich zu dessen "Befreiungsschlag" folgendermaßen: Michelle Bachman, die Ikone der extrem rechtskonservativen Tea-Party-Bewegung im Repräsentantenhaus, forderte die Ablehnung des gesamten Maßnahmepakets mit den Worten: "Überlassen wir die Wirtschaft dem freien Markt!" Mitch McConnell, Minderheitsführer der GOP im Senat, hatte Obamas Konzept schon früher zurückgewiesen. Es handele sich nicht um einen Plan zur Schaffung von Jobs, sondern lediglich darum, die Wiederwahl des derzeitigen Präsidenten abzusichern. Eric Cantor, der GOP-Mehrheitsführer im Haus und dort ebenfalls eine Spitzenfigur der Tea-Party-Gruppierung, bezichtigte Obama, bei seinem "Paket" mit der Forderung "Alles oder nichts" vor die Abgeordneten getreten zu sein. Entrüstet wies er die Ankündigung des Präsidenten zurück, sein Sanierungsprogramm "in jeden Winkel des Landes zu tragen".

Der republikanische Vorsitzende des Haushaltsausschusses Paul Ryan bezichtigte den gegenwärtigen Residenten im Weißen Haus, einen "Klassenkampf" anzuzetteln, wenn er höhere Steuern für Besserverdienende einfordere. Obama entgegnete: "Ich weise die Idee zurück, daß es ein Klassenkampf ist, wenn man einen Hedge-Fonds-Manager bittet, denselben Steuersatz zu entrichten wie ein Klempner oder Lehrer."

Der "politische Zirkus", den die beiden großbürgerlichen Parteien im US-Kongreß veranstalten, ist Ausdruck dessen, daß die herrschenden Kreise im mächtigsten kapitalistischen Land der Welt keinen Ausweg mehr finden, um die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise, in den Griff zu bekommen. Fast 300 Millionen Bürger der Vereinigten Staaten müssen sie ausbaden.

Botschafter a. D. Prof. Dr. Rolf Sieber

Raute

Was bei einem "Ideen-Dinner" mit George Soros ausgebrütet wurde

Die "Bärenwetten" der Euro-Killer

Anfang Februar 2010 fand in einem Privathaus in Manhattan ein "Ideen-Dinner" statt. Zu den Teilnehmern gehörte die Crème de la crème der Hedge-Fonds-Manager, darunter George Soros vom berühmt-berüchtigten Quantum Fonds. Es ging darum, ob und wann der Euro auf das Niveau von 1:1 im Verhältnis zum US-Dollar sinken wird. Noch im Dezember 2009 hatte der Kurs auf 1:1,51 für den Euro gestanden. Im Februar 2010 betrug er nur noch 1:1,35 US-Dollar.

Wenn auf den Währungsmärkten spekuliert wird, geht es stets um Wetten. Wird ein gewisser Kurs zu einem bestimmten Zeitpunkt steigen oder fallen? Es gibt unendlich viele Varianten und Möglichkeiten, ihn zu beeinflussen. Dabei steht fest: Wenn gegen eine bestimmte Währung gewettet wird, daß sie - sagen wir - in neun Monaten im Verhältnis zum US-Dollar auf Parität sinkt, liegt es im Interesse der Pessimisten, der sogenannten Bären, daß der Wechselkurs auch tatsächlich fällt, denn sonst kann es zu Millionenverlusten kommen.

Dem läßt sich abhelfen: Um das Risiko zu verringern oder - mehr als das - um auf Nummer sicher zu gehen, wird das legendäre "Marktvertrauen" durch gezielte Falschinformationen untergraben. Dafür braucht man "Analytiker", "Experten" und willige Journalisten, die als Meinungsmacher fungieren.

Zu einem Zeitpunkt, zu dem die amerikanische Zentralbank - die Federal Reserve - ihren Zinssatz praktisch auf Null reduziert hat, um die Wirtschaft anzukurbeln, winken den Hedge-Fonds durch Fremdfinanzierung (leverage) Riesenprofite, denn sie wetten nicht mit Eigenkapital, sondern auf Pump.

George Soros, der mittels seiner Fonds über 27 Milliarden US-Dollar Risikokapital verfügt, hatte kurz vor dem "Ideen-Dinner" öffentlich davor gewarnt, daß der Euro "zerfallen" würde, falls die EU ihre Finanzen nicht in Ordnung zu bringen verstünde.

Auf Soros wird gehört. Im September 1992 orchestrierte er einen massiven Fall des britischen Pfunds, was London dazu zwang, den Europäischen Wechselraten-Mechanismus (ERM) zu verlassen.

Großbritanniens Wirtschaft war schwer beschädigt, aber Soros "machte" eine Milliarde Dollar, denn er hatte auf den Erfolg eines Prozesses gewettet, der von ihm selbst in Gang gesetzt worden war. Noch im selben Jahr wurde Italiens Lira angegriffen und mußte abgewertet werden, wobei nur ein Ausverkauf staatlicher Guthaben den Verbleib im ERM ermöglichte. Frankreich brachte es mit massiver BRD-Hilfe fertig, den "franc fort" gegen die zwar anonymen, aber von Soros organisierten spekulativen Angriffe zu verteidigen - übrigens mit erheblichen Unkosten für beide Länder.

"Hier gibt es eine Gelegenheit, viel Geld zu machen", meinte Hans Hufschmid, früher bei Solomon Brothers in führender Stellung und heute Manager des Hedge-Fonds GlobeOp Financial Services, der in New York und London angesiedelt ist. Andere "Titanen" unter den in Manhattan Anwesenden - so SAC Capital Advisers und David Einhorn von Greenlight Capital, der seinerzeit hoch gegen Lehmann Brothers gewettet und den Bankrott dieses Bankhauses beschleunigt hatte - diskutierten Anlagestrategien in einem schuldenüberladenen Europa.

Kurz zuvor hatten führende Finanzinstitute wie Goldman Sachs, Merrill Lynch und Barclays Bank ihrer Anleger-Kundschaft empfohlen, gegen den Euro zu wetten. Bereits in der Woche, die dem "Ideen-Dinner" vorausging, hatte der Umfang der "Bärenwetten" gegen den Euro einen Rekord von 60.000 Wettverträgen (futures contracts) erreicht. Drei Tage danach setzte dann eine Verkaufswelle gegen den Euro ein, wodurch der Wechselkurs auf 1:1,36 fiel.

Die hohe Verschuldung mehrerer EU-Mitgliedsstaaten, die auf die verlockende Losung "Wachstum auf Kredit" (growth on credit) hereingefallen waren, wird heute spekulativ ausgenutzt. So soll die Europäische Währungsunion aufgesplittert werden, die seit ihrer Gründung als Hauptkonkurrenz zum US-Dollar betrachtet wird. Im Unterschied zu der für ihre liberale Finanzpolitik bekannten Federal Reserve konnte die weltweit operierende Hochfinanz die Europäische Zentralbank und deren Währungsgebaren bisher nicht wesentlich beeinflussen. Das griechische Fiasko hat aber plötzlich die Möglichkeit entstehen lassen, den Euro durch Marktmanipulationen zu schwächen und eventuell sogar die EU zu zerstören.

Die derzeit tonangebenden Persönlichkeiten unter den europäischen Politikern - vor allem Merkel und Sarkozy - sind sich dieser Hintergründe durchaus bewußt. Wichtig ist jedoch, daß auch die Wählerschaft entsprechend aufgeklärt wird, so daß sie begreift, was letztlich auf dem Spiel steht: die Zukunft eines von den USA unabhängigen Europa.

Dr. Vera Butler, Melbourne

Raute

Belgiens PTB trifft mit dem Vorschlag einer Millionärssteuer ins Schwarze

Das ist ihre Krise - sollen sie zahlen!

Seit nunmehr drei Jahren will die Partei der Arbeit Belgiens (PTB/PvdA) den schlimmsten Couponschneidern im Königreich ans Leder. Ihr Vorschlag einer Millionärssteuer für Superreiche hat landesweit wie der Blitz eingeschlagen. Ziel der mit Kühnheit und Esprit befeuerten Kampagne ist die Einführung einer einprozentigen Zusatzabgabe für alle Vermögen, die eine Million Euro übersteigen. Bei mehr als zwei Millionen geht es um 2 %, bei über drei Millionen sollen es 3 % sein. Nach Schätzungen würde ein solcher Schnitt dem Fiskus jährlich rund acht Milliarden Euro einspielen.

In den Worten der auf diesem Terrain äußerst kompetenten Deutschen Bank ist Belgien "eine Steuerhölle für Lohn- und Gehaltsempfänger, ein Steuerparadies für sehr große Vermögen". Diese würden durch eine Sonderabgabe in der geforderten Höhe tatsächlich kaum angetastet, während der Bevölkerungsmehrheit bedeutende Mittel zuflössen.

Belgische Ökonomen haben errechnet, daß geschätzte staatliche Mehreinnahmen von 8 Mrd. Euro drei Möglichkeiten eröffnen würden: 3 Mrd. könnten für die Schaffung zusätzlicher Jobs und die Verbesserung der Leistungen des öffentlichen Dienstes ausgegeben werden, 3 Mrd. für Rentenerhöhungen und 2 Mrd. für Bildung, Lehre und Forschung. In diesen drei Bereichen entstünden auf solche Weise etwa 100.000 neue Arbeitsplätze.

Nach jüngsten Umfragen spricht sich bereits jeder zweite Belgier für die von der PTB vorgeschlagenen Maßnahmen aus. Was aber wären die Voraussetzungen für deren Umsetzung? Erstens müßte ein Vermögenskataster eingeführt werden, zweitens wäre das Bankgeheimnis aufzuheben, drittens ginge es um notwendige praktische Konsequenzen wie die Erfassung aller in Betracht kommenden Personen.

Übrigens sind die von Belgiens Kommunisten ins Auge gefaßten Veränderungen bereits in einer Reihe europäischer Länder Realität: in Frankreich, Finnland, Norwegen, Schweden und teilweise sogar in der Schweiz ist das der Fall.

Allein die zusätzliche Besteuerung der zehn reichsten belgischen Familien ergäbe einen Betrag von 1.125.476.400 Euro, wodurch sich die monatlichen Bezüge von einer Million Rentnern um jeweils 90 Euro aufstocken ließen.

Die Brüsseler Wochenzeitung "Solidaire" verpflanzte sämtliche 88.000 Superreichen theoretisch in eine einzige Stadt, der sie den Namen Rich City gab. Ihre Bewohner seien jene zwei Prozent der Bevölkerung, die jeweils über ein Vermögen von mehr als 1,5 Millionen Euro verfügen. "Wenn auch Sie, liebe Leser, dort wohnen möchten, müßten Sie 250 Jahre lang Monat für Monat 500 Euro beiseite legen können", schrieb das Blatt sarkastisch.

Wie aber sieht es wirklich aus? In Belgien besitzen 10 % der Landesbürger die Hälfte aller Reichtümer, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung über weniger als 10 % des Gesamtvermögens verfügt.

Übrigens: Den zehn Spitzenreiter-Familien ist die "Krise" besonders gut bekommen: Zwischen 2001 und 2010 konnten sie ihre Besitztümer gleich versechsfachen - von 6,192 Mrd. auf 37,535 Mrd. €. Am reichsten sind die de Spoelberchs. Ihr Clan verfügt allein über das Anderthalbfache des Budgets von ONEM - einer Institution, die im Jahr 2009 Arbeitslosenunterstützung, zeitweilige Kredite und Umschulungsgelder an 1,3 Millionen Belgier zahlte.

Wie ist das also mit der durch die PTB vorgeschlagenen Millionärssteuer? Entspringt ihre Forderung lediglich parteipolitischem Kalkül, oder liegt sie im Interesse der erdrückenden Mehrheit der belgischen Bevölkerung?

Hinzugefügt sei: Auch der BRD täte es gut, den Hundts und ihresgleichen die Krallen zu stutzen. Das wäre ein erster kleiner Schritt zur Lösung der Eigentumsfrage.

PS: Die PDL hat auf ihrem Erfurter Parteitag ebenfalls eine Millionärssteuer eingefordert.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Polens Kommunistenhasser erkennen Zbigniew Wiktor den Professorentitel ab

In den ersten Jahren nach 1989, als die Rechtskräfte in Polen noch nicht allenthalben das Sagen hatten, waren linksgerichtete Hochschullehrer durchaus keine Seltenheit. So wurde auch der an der Leipziger Karl-Marx-Universität habilitierte Gesellschaftswissenschaftler Dr. Zbigniew Wiktor 2003 zum Außerordentlichen Professor an der Universität Wroclaw ernannt. Er lehrt dort am Institut für Politologie. Offensichtlich hatte man damals kein größeres Problem damit, daß er Mitbegründer und Führer des Bundes Polnischer Kommunisten war. Den "RotFuchs"-Lesern und Mitgliedern des RF-Fördervereins ist Zbigniew Wiktor - heute Mitglied der Kommunistischen Partei Polens - durch aufschlußreiche Vorträge und Artikel sowie als liebenswerter Mensch bekannt. In Polen profilierte er sich vor allem durch sein Buch über China - eine ausgezeichnete Sachanalyse. Alle früheren Versuche, ihn zu verdrängen, scheiterten an seinem wissenschaftlichen Renommé und seiner Popularität bei den Studenten.

Nach dem Amtsantritt der scharf rechts gerichteten Kaczynski-Brüder im Jahr 2005 änderte sich die Situation grundlegend. Seitdem nimmt die Kommunistenhatz in Polen bisher ungekannte Ausmaße an. Mit dem Gesetz vom 14. Juni 2010 wurden nicht nur kommunistische Symbole, sondern auch die verbale Verteidigung Volkspolens verboten und unter Strafe gestellt. So geht die "Säuberung" der Hochschulen von Verfechtern konsequent linker Positionen weiter. Alle Außerordentlichen Professoren mußten sich einer sogenannten Verifizierung stellen. Prof. Wiktor wurde trotz seiner wissenschaftlichen Leistungen keine Professur mehr angeboten. Die Begründung dazu ist grotesk: Man unterstellte ihm "mäßige wissenschaftliche Leistungen" nach seiner Habilitation. In den meisten seiner Publikationen gäbe es "methodologische Mängel". Im Klartext: Man bezichtigte ihn, als Marxist "nicht zu wissenschaftlicher Arbeit fähig zu sein". Überdies warf man ihm vor, nicht in akademischen Zeitschriften publiziert zu haben.

Das alles ist unzutreffend. Prof. Wiktor hat zehn Bücher geschrieben und über 200 Beiträge in renommierten wissenschaftlichen Periodika veröffentlicht. Auch mit seinem Werdegang können wohl nur wenige mithalten: Er ist an den Universitäten von Wroclaw, Moskau, Leipzig, Illinois (USA) und Wuhan (China) als Hochschullehrer tätig gewesen. In seiner 46jährigen akademischen Laufbahn hat er über 300 Diplomarbeiten und etliche Doktoranden betreut. Das allein wäre Grund genug, ihm den Professorentitel anzutragen.

Das Vorgehen gegen Zbigniew Wiktor widerspricht dem Geist der polnischen Verfassung und den Statuten der Universität Wroclaw. Doch das läßt seine politischen Gegner, die sonst so lautstark Rechtsstaatlichkeit und Toleranz einfordern, völlig kalt.

Ein Vergleich: Der 2010 verunglückte polnische Präsident Lech Kaczynski - er war der Spiritus rector dieser unwürdigen Aktion gegen linke Hochschullehrer - wurde 1996 zum Professor berufen, obwohl seine wissenschaftlichen Arbeiten völlig unauffindbar sind.

Dr. Bernhard Majorow

Raute

Tiefe Trauer um eine große Schwedin

Solveig Hansson ist am 20. September in Stockholm gestorben. Sie wurde 97 Jahre alt. Ihr ganzes Leben war sie eine Frau mit reichem und wachem Intellekt. Ihr Name ist in Berlin unter älteren Antifaschisten sehr bekannt.

Solveig Hansson wuchs in der zweitgrößten Stadt Schwedens, in Göteborg, auf. Hier schloß sie sich den Kommunisten an und wurde mit nur 20 Jahren zur Komintern nach Moskau geschickt, um dort als Telegraphistin ausgebildet zu werden. Zurück in Göteborg, wählte man sie als jüngstes Mitglied in die sonst ausnahmslos aus Älteren bestehende Stadtverordnetenversammlung. In den Jahren der Hitler-Diktatur und während des Zweitens Weltkrieges, als deutsche Antifaschisten auf ihrer Flucht nach Stockholm kamen, war Solveig für sie eine verläßliche Kontaktperson: Sie hatte von der Komintern den Auftrag erhalten, diesen politisch Verfolgten zu helfen. Dabei arbeitete sie u. a. mit Richard Stahlmann, Georg Henke, Karl Mewis und Herbert Wehner zusammen.

Am 18. Februar 1942 führte die schwedische Polizei eine Razzia in der Stockholmer Wohnung der deutschen Emigrantin Frieda Wagner durch: Dort entdeckte sie Herbert Wehner. Es folgten lange Verhöre. In deren Verlauf ließ Herbert Wehner wissen, daß Solveig Hansson seine Kontaktperson in Schweden gewesen sei und ihm in Stockholm geholfen habe. Solveig, die darüber Stillschweigen wahrte, wurde ebenfalls verhaftet. Man stellte beide vor Gericht. In ihrem Prozeß verurteilte man sie wegen Aktivitäten "mit dem Ziel, die Regierung eines Schweden freundschaftlich verbundenen Landes zu stürzen". Es handelte sich um Hitlerdeutschland. Herbert Wehner erhielt ein Jahr, Solveig Hansson neun Monate Gefängnis.

Nach der Haftentlassung setzte Solveig ihre Arbeit mit den antifaschistischen Flüchtlingen in Stockholm unbeirrt fort. Daraus entstanden Kontakte und Freundschaften, die ein Leben lang hielten. Ihr hoher Einsatz während des Krieges ist in das Buch "Ästhetik des Widerstandes" von Peter Weiss eingeflossen. Nach dem Krieg nahm Solveig engagiert am politischen Leben teil, besonders im Verband der Schwedischen Linksfrauen. Sie war auch in der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) sowie als Vizepräsidentin der Freundschaftsgesellschaft Schweden-DDR an herausragender Stelle aktiv.

Als Solveig das Pensionsalter fast erreicht hatte, wurde 1974 in Portugal der Faschismus gestürzt. Leidenschaftlich setzte sie sich für die Unterstützung der "Nelkenrevolution" ein. Sie war Mitbegründerin des schwedischen Portugalkomitees und besuchte wiederholt das im Umbruch befindliche Land, wo sie u. a. mit Klaus Steiniger zusammenarbeitete, der ihr in seinem Reportageband "Bei Winston und Cunhal" einen besonderen Abschnitt gewidmet hat.

Während ihres langen Lebens vergaß Solveig niemals ihre deutschen Freundinnen und Freunde. Sie fuhr des öfteren nach Berlin, wo sie ein gern gesehener Gast war. Jetzt hat sie uns verlassen. Wir trauern um eine große, mutige und kämpferische Frau.

Åke Wilen, Stockholm

Raute

In Kairo wurde die Ägyptische Sozialistische Partei gegründet

Linke Sammlung im Land am Nil

Obwohl sich die Macht- und Eigentumsverhältnisse, denen die einheimische Kompradoren-Bourgeoisie und führende imperialistische Mächte nach wie vor ihren prägenden Stempel aufdrücken, im Wesen nicht verändert haben, wurde das alte Ägypten durch die demokratische Volkserhebung vom 25. Januar und die nachfolgenden Ereignisse merklich aufgemischt. Die politisch und ökonomisch dominierenden Kräfte sahen sich zu einer Reihe kosmetischer Operationen und taktischer Manöver gezwungen. Dazu gehörte auch das durch Washington "empfohlene" Fallenlassen eines besonders kompromittierten Teils der alten "Eliten". Die Prozesse gegen den 30 Jahre lang am Ruder gehaltenen Hosni Mubarak und seinen Klüngel beweisen das am augenscheinlichsten. Doch trotz weiter andauernden Polizei- und Armeeterrors gibt es auch echte Bewegung in der innenpolitischen Szene. Die gegen das Mubarak-Regime aufbegehrenden und den Sturz des Diktators herbeiführenden Volkskräfte vermochten sich nicht nur auf dem inzwischen weltweit zur Legende gewordenen Kairoer Tahrir-Platz lange Zeit zu behaupten, sondern schufen auch eine Reihe neuer politischer und gewerkschaftlicher Organisationen. Deren legales Wirken wäre zuvor undenkbar gewesen.

Zu dieser Palette gehört die im Juli von 400 Aktivisten gegründete Ägyptische Sozialistische Partei (ÄSP). Sie ist keine revolutionäre Vorhut im marxistisch-leninistischen Sinne, sondern trägt eher gemäßigtere Züge. In ihren Reihen gibt es indes neben Anhängern anderer Ideologien auch Personen, die vom wissenschaftlichen Sozialismus ausgehen.

Die ÄSP bezeichnet die antiimperialistische Volkserhebung - dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend - als Revolution und betrachtet sich als deren Fortsetzerin. Sie trifft mit ihren ideologischen Prämissen derzeit in Ägypten angesichts der weltweiten kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrise sowie im Lande selbst gesammelter Erfahrungen auf fruchtbaren Boden. Das Nachdenken über sozialistische Gesellschaftsoptionen ist dort heute durchaus populär.

Die im Entstehen begriffene ÄSP ist der "Sozialistischen Front" zugehörig, wobei sie ihre Partner in der National-Progressistischen-Unionistischen Partei (Tagammu), der Demokratischen Arbeiterpartei, der Sozialistischen Revolutionären Partei und der Ägyptischen KP erblickt. Sie selbst sieht sich als neues Glied in der Kette linker Gruppierungen im Land am Nil. Die ägyptischen Sozialisten haben seit 1920 den Kampf gegen Kolonialismus und Neokolonialismus geführt. Die jetzt von der ÄSP eingeforderten ökonomischen Maßnahmen zielen vor allem auf die Überwindung der gravierenden Unterschiede zwischen Stadt und Land. Man muß in Betracht ziehen, daß 87 % der ärmsten Ägypter - sieben von acht Landesbürgern - außerhalb der dichtbesiedelten Zentren leben. Die Partei setzt sich für das Recht der Arbeiter und Erwerbslosen zur Formierung freier, vom Staat unabhängiger Gewerkschaften und Verbände ein. Sie fordert ein gesetzlich verbrieftes Recht auf Arbeit für alle in Ägypten Lebenden, verlangt die Zahlung angemessener Unterstützung aus dem Arbeitsprozeß Ausgegliederter sowie die Anhebung der Mindestlöhne und Renten auf 1500 ägyptische Pfund.

Hervorzuheben ist die Haltung der ÄSP zur gesellschaftlichen Rolle der Frauen. Sie seien vom Niedergang der Wirtschaft und den Preissteigerungen im letzten Jahrzehnt am härtesten getroffen worden. Hinzu kämen ihre wesentlich geringeren Bildungschancen in einem von Männern dominierten Land.

Ahmed Baa, der zu den Vätern der Partei gerechnet wird, unterstrich auf dem Gründungskongreß die Forderung der ägyptischen Linken nach Beibehaltung des säkularen - also nicht an eine Religion gebundenen - Staates. Er wandte sich damit gegen die von gewisser Seite angestrebte Änderung der Verfassung, die darauf abzielt, Ägypten zu einem islamischen Land zu erklären. Zugleich unterstrich er, daß die ÄSP das Christentum, den Islam und den jüdischen Glauben als Bestandteile des ägyptischen Glaubens bewerte und ihre Hand "erleuchteten religiösen Führern" entgegenstrecke, die auf dem gleichen Boden stünden wie sie selbst.

Zu den am Tag der Parteigründung bereits angekündigten, aber noch bevorstehenden Wahlen konstatierte die ÄSP, man habe dafür gesorgt, daß nur "neue Parteien der Reichen" zum Zuge kämen. Jene aber, die ein anderes soziales System in Ägypten anstrebten, habe man finanziell an die Wand gedrückt. Um auf den Stimmzettel zu gelangen, sei von einer neugegründeten Partei nicht nur die Beibringung von 5000 Unterschriften verlangt worden, sondern auch eine öffentliche Präsentation der kompletten Kandidatenliste mit sämtlichen Klarnamen in unerschwinglich teuren Annoncen bei den zwei größten Zeitungen des Landes. So werde der ÄSP zwar eine Teilnahme am Wahlkampf ermöglicht, jedoch ein Erscheinen auf dem Stimmzettel verwehrt. Die ÄSP hat sich vorgenommen, landesweite Strukturen zu schaffen, wobei die Teilnehmer am Gründungskongreß überwiegend aus der Kairoer Region stammten. Nur wenige Auswärtige hatten dem Ereignis beiwohnen können.

Der Auftaktveranstaltung ging eine Reihe von Grußbotschaften zu. Besondere Beachtung fand dabei das Schreiben der linksgerichteten Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP). Unter den ausländischen Gästen sah man u. a. Vertreter der FKP, der KP Spaniens, der Französischen Linkspartei, der Rot-Grünen Allianz aus Dänemark und der Demokratischen Arbeiterpartei Südkoreas. Aus der BRD war eine Delegation der PDL angereist.

RF, gestützt auf "The New Worker", London

Raute

Vom ganz normalen Aufwachsen und Leben im Sozialismus

Cornelias kleine große DDR (1)

Im Sommer 1954 verpflanzten mich meine Eltern - eine 18jährige Kriegsvertriebene und ein 24jähriger Offizier der DDR-Grenztruppen - aus dem mecklenburgischen Zarrentin kurzerhand nach Stalinstadt an der Oder. Ich war damals gerade drei Monate alt. Papa nahm eine Tätigkeit bei der SED-Kreisleitung auf, Mama hütete mich. Anfangs wohnten wir noch bei meiner Tante, die bereits eine schöne Neubauwohnung in den sogenannten Stalin-Bauten besaß, bis wir selbst ein eigenes Quartier zugeteilt bekamen. Zwar noch mit Ofenheizung, aber immerhin. Da setzt übrigens meine frühe Erinnerung ein - ob es die Spaziergänge in der im Aufbau befindlichen Stadt oder meine erste Weihnachtsfeier waren, bei der ich neben einem bunten Teller und einem Holztrecker auch einen Teddy mit Wuschelfell bekam. 1957 wollte Mama endlich eine Ausbildung zur Krankenschwester aufnehmen, zu der ihr der Krieg und das Umherirren keine Chance gelassen hatten. Sie begann in einer Kinderkrippe als Hilfsschwester und erlernte dann in der Abendschule ihren Beruf. Ich aber mußte in die Krippe, wogegen ich mich anfangs lauthals gewehrt haben soll.

Als Dreijährige wechselte ich in den Kindergarten, an den ich einfach nur schöne Erinnerungen habe: an das bunte, helle, im Grünen gelegene Paradies mit den kleinen Liegen, die wir ganz allein aufstellen durften, aber auch an die Mittagsgeschichten, die niedlichen Plastetassen. ... Ja, ich rieche noch den Duft des Milchkaffees und sehe uns in Leibchen und langen braunen Strümpfen Hopse spielen. Man erzählte mir, ich sei gelegentlich auch mal stiften gegangen und hätte im Krankenhauspark meine Mama gesucht. Ach, das Krankenhaus. ... Ich hatte immer etwas Bammel davor, es war so groß und erschien mir mit seinen riesigen hellen Räumen und den schönen Pflanzen auf den Fluren wie ein Schloß. Wenn mich Mama dann in ihrer wunderschönen Tracht wieder einsammelte, sah sie zwar wie sonst aus, roch aber so gesundmachend. Seit dieser Zeit war ich nur noch die Tochter von Schwester Edith.

Ende 1957 bekamen wir eine neue Wohnung mit Fernheizung. Man erzählte mir, der "große Ofen" (des EKO) mache dafür Eisen, daß ich es so bequem haben könne. Jetzt hatten wir vier Zimmer mit Bad. Alles war schön und geräumig. Ein langer Flur lud zum Rollern ein. Das Wohnzimmer besaß einen Balkon und eine Glastür, hinter der sich das Arbeits- oder Besucherzimmer befand. Die Küche bot Platz für einen großen Eßtisch. Vor allem hatte ich nun mein eigenes Zimmer. Im Hof befand sich ein herrlich begrünter Spielplatz mit Schaukel und Rutsche, gleich nebenan ein Planschbecken.

Schon bald ging Papa nach Berlin, um - wie man mir sagte - "Partei zu studieren". In seinem Schrank standen jetzt viele braun und blau eingebundene Bücher. Die Männer mit den dicken Weihnachtsmannbärten darin durfte ich auch mal anschauen.

Bald konnte ich Mamas Bauch streicheln. Da war nämlich mein Schwesterchen drin, auf das ich mich freute und das im Juni 1958 geboren wurde.

Jeden Tag sah ich die Stadt weiter wachsen. Das war für mich eigentlich gar nichts Besonderes, da ich ja nichts anderes kannte. Unser Kindergartenspiel mit den Bauklötzen ähnelte dem sehr. Ich kann mich noch an das Haus der Organisationen mit Papas Kreisleitung und an das bunte Mosaik darin erinnern, auch an das Bild am Kaufhaus. Beide hatte Walter Womacka entworfen, dessen Bewunderin ich später wurde. Vor Augen stehen mir auch der "Aktivist" - eine sehr großzügige Ausflugsgaststätte -, die Leninallee mit dem besonders geliebten Schreibwarengeschäft, der Blumenladen vor dem Krankenhaus, das Friedrich-Wolf-Theater mit dem sonntäglichen Kinderkino. Daneben befanden sich ein Kunstgewerbegeschäft zum Naseplattdrücken, die herrliche Eisdiele und das Lese-Café, wohin ich schon mal zu literarischen Veranstaltungen mitgenommen wurde. Im Gedächtnis geblieben sind mir die Spaziergänge am Kanal und in den Diehlower Bergen mit der "Huckel"-Gaststätte, wo sonntags immer Tanztee war, aber auch die Volksfeste auf dem Rummelplatz vor dem Eisenhüttenkombinat-Ost, unserem EKO. Oma ging des öfteren in die HO-Baracke zum Nähutensilien-Kauf oder auf den Wochenmarkt am Haus des Handwerks, das unser Dienstleistungszentrum war. Überall gab es Kinderspielplätze mit viel Trubel.

1960 wurde ich eingeschult. Jungpioniere holten uns von daheim ab. Ich sehe mich mit 30 weiteren Abc-Schützen im Klassenraum sitzen, weiß sogar noch, daß meine Zuckertüte weinrot war, doch die Erinnerung an die Feierstunde ist einfach weg. Nun ging ich in eine ganz neue Schule. Sie war groß und schön, mit Hort, Turnhalle und Aula... Sie roch immer etwas nach Bohnerwachs.

Frau Cramer, unsere Lehrerin, war streng, aber lieb, unsere Hortnerin Fräulein Krämer lieb und blond und ich stets neugierig. Dabei hatte ich viel zu erzählen, was nicht immer gut ankam. Die roten Einträge in meinem Heft mußte ich den Eltern dann unterjubeln. Für gute Leistungen gab es bei uns keine Bienchen wie anderswo, sondern einen Sputnik-Stempel, den man nach dem Flug Juri Gagarins ins Weltall eingeführt hatte. Der stand für das Höchste, was ein Mensch erreichen konnte.

Schon in der 2. Klasse wurde es feierlich: Ich durfte Pionier werden. Ach, was waren wir stolz in den weißen Blusen mit dem blauen Halstuch! Endlich gehörten auch wir Knirpse dazu. Doch nun hieß es, sich an die zehn Pioniergebote zu halten, was so einem lebhaften Bündel wie mir nicht leichtfiel. Doch wenn uns die Patenbrigade - eine große Gärtnerei - einlud, waren wir zwischen den langen Gurken, den Tomaten und den Alpenveilchen alle die reinsten Engel.

In unserem Hort wurde viel gelesen. Als wir "Timur und sein Trupp" in die Hände bekamen, gab es kein Halten mehr. Wir Zweitklässler bildeten sofort Timur-Brigaden und schwärmten aus, älteren Leuten zu helfen. Das stieß bisweilen auf Skepsis, gehörte es doch keineswegs zum Üblichen, daß sich wildfremde Kinder zum Kohleholen oder Einkaufen anboten. Aber die meisten Rentner waren für unsere kleine Hilfe dankbar. Auch die Jagd nach Altstoffen machte Spaß. Der Erlös kam in die Klassenkasse, wollten wir doch unbedingt den Kindern in Kuba helfen. Sogar im Mathe-Unterricht rechneten wir aus, wie viele Hefte und Bleistifte für das eingenommene Geld gekauft werden könnten. Die internationale Solidarität haben wir wirklich sehr ernst genommen.

Auch unsere "ABC-Zeitung" half mit, daß wir uns als Kinder in der Gesellschaft zurechtfanden. Und die Schulbücher waren liebevoll auf den ganz normalen Alltag ausgerichtet. Wenn es um den 1. Mai, den Frauentag oder den Kindertag ging, stand da alles Wichtige drin.

Stalinstadt besaß noch eine Besonderheit - den Stadtfunk. Die Leute blieben stehen, wenn Täve Schur für den Frieden radelte, der Sputnik ins All flog oder unser Präsident Wilhelm Pieck starb. Solche Übertragungen haben wir uns alle gemeinsam angehört, mitgefiebert, mitgejubelt oder bei Schmerzlichem mitgelitten.

Manchmal mußten wir feststellen, daß einer aus unserer Klasse von heute auf morgen nicht mehr zur Schule kam. Von Umzug war dann die Rede, bis wir begriffen, daß die Eltern mitsamt ihren Kindern einfach "abgehauen" waren. Ich hatte keine Ahnung, wie es im Westen aussah, denn meine ganze Verwandtschaft lebte in der DDR, wo ich alles besaß, was ich mir wünschte und was ich brauchte. (Wird fortgesetzt.)

Cornelia Noack, Beeskow


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Cornelia (1. Reihe, 4. von rechts) kurz nach der Einschulung

Raute

Wie man im mecklenburgischen Hagenow mit einem Kleinod aus DDR-Tagen verfuhr

Tod eines Kulturhauses

Als der Rat des Kreises Hagenow 1968 davon unterrichtet wurde, vier Jahre später fänden im Bezirk Schwerin die Arbeiterfestspiele der DDR statt, wobei das Bergarbeiter-Ensemble des VEB Braunkohlenkombinats Lauchhammer in die Stadt komme, war das ein willkommener Anlaß, einen lange gehegten Wunsch abermals höheren Ortes vorzutragen: den Bau eines Kulturhauses für den flächenmäßig größten Kreis der DDR. Nun hielt unsere "Obrigkeit" Ausschau, welche Kultureinrichtungen wohl am ehesten als Beispiel dienen könnten. Schließlich meinte die Kreisentwurfsgruppe, das Kulturhaus der NVA in Marxwalde (heute heißt der Ort wieder Neuhardenberg) entspräche am meisten unseren Vorstellungen. Und so wurde mit Hilfe von Fachleuten aus Berlin zunächst ein Vorprojekt erarbeitet. Man veranschlagte Kosten von 13,8 Millionen Mark der DDR. Dagegen wurden Einwände erhoben. Die Projektanten machten Zugeständnisse: Man könne ja den Keller samt Sauna und Bowlingbahn sowie das Obergeschoß für ein Lese-Café und die Kreisbibliothek weglassen. Nach einer Neuberechnung kam man auf 7,2 Millionen für Erschließungsarbeiten, Haus, Heizhaus und Parkplatz.

Die Grundsteinlegung erfolgte am 3. Juni 1970. Nach einem reichlichen Jahr wurde ein Baustop verfügt, weil Disproportionen in der Volkswirtschaft der DDR aufgetreten waren. Das Stahlgerüst für den Saal aber stand bereits, nur die Mauern waren noch hochzuziehen. Man fand eine Lösung: Der Leiter des VEB Bau Hagenow beauftragte 30 Maurerlehrlinge damit. Das brachte ihm zwar eine Rüge der Partei ein, doch niemand hinderte ihn daran, den Nachwuchs weiterarbeiten zu lassen. Selbst der Kreisratsvorsitzende zuckte nur mit den Schultern: "Ja, wenn Du Lehrlinge ausbilden mußt ..."

Als man im Frühjahr 1973 bereits an die Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der DDR dachte, stellte das unfertige Kulturhaus ein Ärgernis dar. So wurde abermals bilanziert. Die Hagenower machten nun die halbe Republik mobil: Eine Dreistufenhubbühne müsse her, Akustik erster Güte, Elektronik und vieles andere. Selbst Stukkateure vom Palast der Republik nahmen sich des Saals an, während die einheimischen Bautischler mit feinstem ausländischem Furnier arbeiteten. Die Gaststätte wurde mit hübschen Keramiken einer im Kreis ansässigen Künstlerin geschmückt. Im Foyer lenkte ein riesiges Wandbild die Blicke auf sich.

Am 4. Oktober 1974 erfolgte die Schlüsselübergabe. Im rückständigen Südwesten Mecklenburgs war das Hagenower Kulturhaus ein Kleinod. Der Saal faßte 700 Besucher, hinzu kamen eine Galerie mit 96, eine Gaststätte mit 150, ein Klub mit 32 Plätzen und eine Tanzbar. Eine moderne Küche, Räume für Ballett, Zirkel und Arbeitsgemeinschaften sowie auftretende Künstler standen zur Verfügung.

Namhafte Ensembles und Solisten aus dem In- und Ausland, aber auch die "Dörpschaft" - ein örtliches Eigengewächs, das heimatliche Folklore brachte - traten auf. Besonders freuten sich die 80 jungen Tänzerinnen und Tänzer des Hagenower Kinderballetts über ihre gediegene Heimstatt. Selbstverständlich nutzten die fünf Parteien, sämtliche Massenorganisationen - vor allem auch der Kulturbund - Industriebetriebe und Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften die Räume und die gute Bewirtung. Allein 1978 zählte man 120.376 Besucher.

Das KKH war gerade 16 Jahre alt, als "der Westen" über uns herfiel. Sämtliche 2000 von der DDR gebauten Kulturhäuser wurden nacheinander zugrunde gerichtet, weil in ihnen die "Unkultur der Kommunisten" ihr Domizil gehabt hätte.

Mit dem Hagenower Kulturhaus passierte folgendes: Haus und Grund lagen nun beim Landrat. Der aber besaß für solche Zwecke kein Budget. So bemühte man sich, das einstige KKH in städtisches Eigentum zu überführen. Doch auch die Stadt paßte: kein Geld. Schließlich erfolgte dann doch noch die Übernahme durch das Landratsamt. Die von ihm veranlaßte Verkaufsausschreibung blieb lange ohne Resonanz. Zwar meldeten sich zwei Westberliner, um dort ein großes Bettenhaus zu errichten. Doch sie zahlten nicht. Strafanzeige, Gerichtsverhandlung, Gefängnis, Rückübertragung reihten sich aneinander. Endlich fand sich ein seriöser Käufer: die Kreissparkasse Ludwigslust. Sie ließ das Kulturgebäude beseitigen und an dessen Stelle einen Palast aus Stahl und Glas hinsetzen. Der Wechsel bewies, daß dort, wo zu DDR-Zeiten die Kultur angesiedelt war, nun das Geld seinen Tempel errichtete.

Besonders demütigte die Hagenower, daß man ihr Kulturhaus Vandalen überließ, die im Innern alles kurz und klein schlugen, nachdem sie die großen Scheiben der Eingangstüren zertrümmert hatten. Und selbst beim Abriß gab es noch einen Stich ins Herz, als der Bagger seine Stahlzähne kurzerhand in das Foyer-Gemälde bohrte.

Siegfried Spantig, Hagenow

Raute

Mysteriöse Selbstmordserie im BRD-Hochsicherheitstrakt bis heute unaufgeklärt

Nebel um Stammheim

Wer über die Nacht vom 17. zum 18. Oktober 1977 - die sogenannte Todesnacht - in Stammheim etwas schreibt, ohne die Vorgeschichte zu benennen, unterliegt leicht der Gefahr, das Geschehen als selbstgewählte Folge individueller Gewalt zu bewerten.

Die BRD-Geschichte der 60er Jahre war die Fortsetzung einer beispiellosen Hetze gegen alle, die sich auch nur links einzuordnen wagten. Selbst ziviler Widerstand gegen die zunehmende Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie geriet ins Visier der Repressionsorgane. "Höhepunkte" dabei waren der brutale Polizeiterror gegen die Teilnehmer der Studentendemonstration am 5. Februar 1966 in Berlin, bei der besonders die USA-Aggression in Vietnam angeprangert wurde, und gegen Demonstranten beim Schah-Besuch. An jenem Tag wurde Benno Ohnesorg erschossen. Die lebensgefährliche Schußverletzung, die Rudi Dutschke am 11. April 1968 bei Protesten gegen das Wüten der USA in Indochina erlitt, gehörte ebenso dazu wie die Einführung der "Notstandsgesetze" am 27. Juni 1968 oder die ungehemmte Brutalität der Büttel des kapitalistischen Staates in einer Reihe von Großstädten der BRD.

Am 28. Januar 1972 beschloß die SPD-geführte Koalitionsregierung unter Willy Brandt "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst". Diese gingen als "Radikalenerlaß" und "Berufsverbotsgesetz" in die Geschichte ein und führten schon in den ersten Jahren zur Überprüfung von 1,4 Millionen Bundesbürgern. Am 18. August 1976 folgte der § 129a über die Strafbarkeit der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Der Stammheim-Prozeß und das als gemeinschaftlicher Selbstmord deklarierte Ableben von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe veränderten das Gesicht der BRD. Es ist ein Verdienst des Pahl-Rugenstein-Verlags, sich dieser Thematik wiederholt angenommen zu haben. Das unlängst erschienene Buch von Helge Lehmann "Die Todesnacht in Stammheim" ist ein erneutes Bemühen, sich der bis heute unbewiesenen offiziellen Version des Geschehens aus faktenbetonter Sicht entgegenzustellen. Sein scheinbarer Nachteil erweist sich schon bald als Vorzug. Die Lektüre ist anstrengend, da der Autor akribisch jene Beweise präsentiert, welche zu liefern eigentlich Aufgabe der Untersuchungsorgane und der Justiz gewesen wäre. Beide verzichteten indes aufgrund politischer Vorgaben des Staates bewußt darauf.

Der Autor will durch eine Indizienkette die offizielle Darstellung des gewaltsamen Todes der RAF-Aktivisten sowie der lebensgefährlichen Verletzung Ingrid Moellers widerlegen. Dies ist ihm eindrucksvoll gelungen. Er regt die RF-Leser dazu an, das Buch mit seiner datenreichen zusätzlichen CD selbst in die Hand zu nehmen.

Helge Lehmann stellt nämlich fest: Ein Waffenschmuggel durch die Rechtsanwälte war zu keiner Zeit möglich. Eine Absprache der tot Aufgefundenen zu einem "kollektiven Selbstmord" blieb technisch ausgeschlossen. Wahrgenommene Lichtzeichen und Autogeräusche im nächtlichen Hof fanden im Todesermittlungsverfahren keinerlei Beachtung. Von außen kommende Nachrichten über die Flugzeugentführung in Mogadischu konnten Inhaftierte realistischerweise nicht empfangen. Die Schüsse der "Selbstmörder" wurden von keinem der Strafvollzugsbeamten gehört, Schalldämpfer aber nicht gefunden, ebensowenig Fingerabdrücke auf den Waffen. Die Nottreppe vom Hof in den Zellentrakt hätte von Personen aus einem oder mehreren Fahrzeugen unbeobachtet benutzt werden können, da die Videoaufzeichnung nicht funktionierte.

Der Hauptbelastungszeuge Volker Speitel vom Rechtsanwaltsbüro Croissant konnte einiges, was er den staatlichen Ermittlern erzählt haben soll, gar nicht wissen. Da die Zellen nicht sofort kriminaltechnisch untersucht wurden, müssen spätere Waffen- und Sprengstoff-Funde als unglaubwürdig erscheinen. Durch den Abriß fast der gesamten Zellen wurden mögliche Beweismittel pulverisiert.

Obwohl nicht vor 9 Uhr die ersten Ermittlungsbeamten in Stammheim eintrafen, verbreitete dpa bereits um 8.53 Uhr die Eilmeldung: "Baader und Ensslin haben Selbstmord begangen."

Helge Lehmann resümiert, im dargestellten Fall seien die legalen Grenzen staatlichen Handelns überschritten worden, Das Ergebnis habe den Erwartungen der Ermittlungsführer wie ihrer Auftraggeber entsprochen.

Im Januar 1979 erklärte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt: "Ich kann nur nachträglich den deutschen Juristen danken, daß sie das alles nicht verfassungsrechtlich untersucht haben." (!)

Den Toten von Stammheim ist bis heute keine Gerechtigkeit widerfahren. Um so mehr sollten sich Sozialisten und Kommunisten gefordert sehen, angesichts zunehmender faschistoider Tendenzen in der Bundesrepublik gerade auch die Entwicklungen ihrer Gesellschaft in den 60er und 70er Jahren genauer unter die Lupe zu nehmen.

Konstantin Brandt, Berlin


Helge Lehmann. Die Todesnacht in Stammheim. Eine Untersuchung.
Indizienprozeß gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren.
Unter Mitarbeit von Olaf Zander. Mit Dokumenten-CD. Pahl-Rugenstein, Bonn 2011,
240 S., 19,90 Euro. ISBN: 978-3-89144-437-5

Raute

Das kurze, aber erfüllte Leben des Louis Fürnberg

Lyriker mit Löwenherz

Er ist der Dichter jener Poesie und Prosa, die wir aus dem Leben unserer Menschen nicht mehr wegdenken können", bemerkte Franz Fühmann 1957 in seiner Gedenkrede auf den erst 48jährig gestorbenen Dichter, Denker und Kämpfer Louis Fürnberg.

1954 äußerte er, der aus Prag in die DDR übergesiedelt war, er wolle sich auch um Weimars literarischen Nachwuchs kümmern. Für mehrere junge Autoren wie Walter Werner, Christa Wolf, Eckart Krumbholz, Kurt Steiniger, Franz Fühmann, Rainer Kirsch, Harry Thürk, Hanns Cibulka, Werner Bräunig und andere wurde er zum Lehrmeister und Berater. Der Dichter und engagierte Kommunist setzte genaue Beobachtung voraus, um mit der größten Präzision etwas auszudrücken. Er verwarf platte und flache Reimereien, regte zum Überdenken und Ausfeilen an und ermutigte, was viele Briefe Fürnbergs bezeugen. Er überarbeitete die Manuskripte des Nachwuchses und setzte sich für manche Erstveröffentlichung ein. Eckart Krumbholz schrieb über seine "Nachhilfestunden bei Louis Fürnberg" in dem Bändchen "Eine Blume in meiner Hand" (1975). Walter Stranka äußerte in seinen "Erinnerungen an Louis Fürnberg", der Dichter habe in die junge Generation besondere Hoffnungen gesetzt, die berechtigt waren und sich fast ausnahmslos erfüllten, wenn man an Schriftsteller wie Christa Wolf, Walter Werner, Rainer Kirsch oder Hanns Cibulka denke.

1964 begann der Aufbau-Verlag mit der Edition von Fürnbergs Gesammelten Werken in sechs Bänden. An deren Zusammenstellung und Redaktion war Lotte Fürnberg maßgeblich beteiligt. 1973 lag die Werkausgabe komplett vor. Die Bände I und II enthielten die Gedichte, die Bände III und IV vereinten die künstlerische Prosa und einige Stücke. Erinnerungen an Zeitgenossen, Essays, Reden und Publizistik wurden in die Bände V und VI aufgenommen. Damit wurden zwar Lyrik, Prosa, Essayistik und Publizistik des "Dichters des Wahren und Guten" (Hans Richter) vorgestellt, doch es fehlten noch seine Briefe. Rosemarie Poschmann und Gerhard Wolf gaben 1978 den "Briefwechsel zwischen Louis Fürnberg und Arnold Zweig" heraus. In mühseliger Kleinarbeit trugen Rosemarie Poschmann und Lotte Fürnberg weitere 2000 Briefe zusammen, die zwischen 1932 und 1957 verfaßt worden waren. Eine Auswahl davon enthielt rund 700 Briefe Fürnbergs mit 500 teilweise ausführlichen Anmerkungen. Lotte Fürnberg steuerte ihren recht interessanten Aufsatz "Ein Leben in Briefen" bei.

Unter den ausgewählten Schriftstücken befanden sich u. a. Briefzeugnisse von F. C. Weiskopf, Egon Erwin Kisch, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Wieland Herzfelde, Hugo Huppert, Ludwig Renn, Anna Seghers, Rosemarie Schuder und Marie Majerova. Die zwei Bände "Briefe 1932 bis 1957" erschienen 1986.

1959 legte die Akademie der Künste "Louis Fürnberg - Ein Buch des Gedenkens zum 50. Geburtstag" vor. Aus gleichem Anlaß verlieh die Stadt Weimar dem Dichter und furchtlosen Kämpfer für eine sozialistische Welt post mortem die Ehrenbürgerschaft. 1961 erschien Gerhard Wolfs Buch "Der Dichter Louis Fürnberg", das bereits eine umfangreiche Fürnberg-Bibliographie enthielt. Im gleichen Jahr wurde in Weimar eine überlebensgroße Bronzebüste des Dichters enthüllt, die der Prager Bildhauer Martin Reiner geschaffen hatte. 1964 gestaltete der Thüringer Otto Knöpfer ein Gemälde für die damalige Louis-Fürnberg-Oberschule in Weimar. 1967 wurde eine Gedenktafel am Wohnhaus in der Rilkestraße enthüllt. Für die Reihe "Schriftsteller der Gegenwart" des Verlags Volk und Wissen schrieb Henri Poschmann die Monographie "Louis Fürnberg. Leben und Werk" (1967), in der er Dichten, Denken und Handeln des Schriftstellers in jeder Etappe seines Lebens als Einheit erkennbar zu machen versuchte. Poschmanns Monographie kam 1977 neu heraus und erschien 1982 auch in der BRD. Hans Richter erschloß 1966 in seiner gleichnamigen Studie "das lyrische Werk Louis Fürnbergs" mit Hilfe einer Methodik, die der Arbeits- und Publikationsweise des Poeten weitgehend entsprach. 1967 erschien das "Fürnberg-Lesebuch", dem 1977 eine erweiterte Ausgabe folgte.

In der Fachzeitschrift "Deutschunterricht" (4/1977) wiesen Pädagogen nach, wie Fürnbergs Gedichte an den DDR-Schulen im Literaturunterricht Eingang fanden, u. a. "Spätsommerabend" (6. Kl.), "Am frühen Morgen" (7. Kl.) und "Alt möcht ich werden" (8. Kl.).

Lutz Hellmuth und Dietmar Lenz schufen 1982 für ein Weimarer Neubauviertel die Skulptur "Hommage à Louis Fürnberg" und Hans Bräunlich bearbeitete im selben Jahr Fürnbergs Stück "Ein Mensch ist zu verkaufen" als Hörspiel, wozu Peter Gotthard die darin enthaltenen Songs neu vertonte. Es erhielt beim Internationalen Hörspiel-Wettbewerb in Warschau den 1. Preis und wurde auch in der BRD unter dem Titel "Der arme Heinrich" gesendet.

Zum 75. Geburtstag Fürnbergs entstand 1984 für das Fernsehen der DDR der Dokumentarfilm "Das Abenteuer zu leben" (Regie: Peter Rocha). In einem Fernsehgespräch erinnerte sich Lotte Fürnberg an zwei Jahrzehnte Gemeinsamkeit mit Louis. Zum 100. Geburtstag des Dichters erschienen 2009 in der Reihe "Weimarer Texte" Fürnbergs "Mozart-Novelle" und "Die Begegnung von Weimar" in einem Band.

Dieter Fechner

Raute

Jupp Mallmanns Bekenntnisse

Einer, der nie von der Fahne ging

Als ich Jupp Mallmanns Bericht über das bewegte Leben eines Kommunisten in Händen hielt, kam mir manches vertraut vor. Bilder aus den ersten Nachkriegsjahren standen mir vor Augen. In Ost und West setzten wir uns damals für die Beseitigung der ungeheuren Kriegsschäden ein und handelten in der Überzeugung, daß sich ein solches Völkermorden nie wiederholen dürfe.

Das Deutschlandtreffen der FDJ 1950, die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im darauffolgenden Jahr, der brutale Überfall der Stumm-Polizei an den Grenzen zu Westberlin und der Schuß aus einer Polizeipistole, der Philipp Müller in Essen tötete, prägten eine ganze Generation. Unsere Erfahrungen im Osten unterschieden sich grundlegend von denen Gleichaltriger im Westen. Während wir als Arbeiterkinder in der DDR studieren konnten und unseren jungen Staat mit aufbauten, saß Jupp bei Adenauer im Gefängnis. Ohne Urteil entlassen, erhielten er und seine Freunde keinerlei Haftentschädigung.

Im August 1956 folgte das bis heute bestehende KPD-Verbot. Für Jupp waren damit Verfolgung und Illegalität auf viele Jahre verbunden. Insgesamt wurden in der BRD 250.000 Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten und alle, die sich dem Kalten Krieg entgegenstellten, angestrengt. Jupp, 1925 in Düsseldorf geboren, gehörte zu den Justizopfern jener Zeit. Mit der DKP-Gründung 1968 reihte er sich wieder in den legalen Kampf ein. "Durch unsere Aktivitäten haben wir manchen Zeitplan der Herrschenden durcheinandergebracht", schreibt er. Trotz des Sieges der Konterrevolution fordert Jupp dazu auf, die Fahne um keinen Preis einzurollen.

Dr. Marga Beyer, Berlin


Jupp Mallmann hat aufgeschrieben. Mit Anmerkungen zur BRD-Sonderjustiz von Erich Buchholz.
Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2011, 110 S., 6 €, ISBN 978-3-939828-68-6

Raute

Archie, Pia und der fliegende Papst

Als Archie mühsam und beladen die wacklige Gangway der Bulgarian Airlines mit Gepäck über der Schulter und in der Hand schwer atmend hochächzte, erblickte er in einem Augenblick des Innehaltens zwei adrette Stewardessen der Linie, die gut seine Enkeltöchter hätten sein können, ihm aber nicht zur Hand gingen. Mißtrauisch beäugte er das Innere der uralten Boeing, die noch einen Ausgang am Heck hatte, und fragte sich, wie es wohl sei, wenn der Papst durch die Lüfte fliegt. Kurz zuvor hatte ihn nämlich seine Urenkelin ausgefragt, ob dieser auch fliegen könne und dergleichen mehr. "Wie kommst du denn darauf?", wollte der Angesprochene in Erfahrung bringen. Die wißbegierige, quirlige Pia, die wirklich so heißt, drang weiter in Archie ein und erkundigte sich nun, ob der Papst wohl wisse, wo der liebe Gott wohnt. "Er tut so, als wüßte er es, aber ob er es wirklich weiß, steht in den Sternen", zog sich Opa Archie aus der Affäre. "Na, gut", sagte Pia, "manchmal weiß man eben nicht genau, wo jemand zu Hause ist, aber man kennt die Richtung, nicht wahr, Opa?" Dabei zeigte sie mit ihrem Kinderfinger zum Himmel. "Du hast recht", entgegnete Archie, "die Richtung stimmt, denn in der Gegenrichtung" - dabei zeigte er mit dem Daumen nach unten - "soll ja der Teufel wohnen. Dort, wo die Erde noch heiß und flüssig ist und das Fegefeuer lodert."

Pia gab energisch zurück: "Nein, das meine ich ja gar nicht. Ich will wissen, was über den Wolken ist." Archie nahm Zuflucht zu einer Binsenweisheit: "Über den Wolken ist viel Luft, und dann gibt es dort noch Sonne, Mond und Sterne." Pia beharrte: "Aber der Papst spricht doch mit dem lieben Gott, sonst wäre er ja nicht Papst, oder?" Archie wand sich: "Ja, er hält Zwiesprache mit Gott, heißt es. Aber ob er ihn erreicht oder ob Gott ihm überhaupt antwortet, das weiß keiner, das bleibt ein Geheimnis des Papstes."

Archie mußte auf der Hut sein, denn die etwas altkluge Pia, diese kleine, liebe Nervensäge, geht im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg auf eine "Freie Evangelische Schule" und hat dort seit der 1. Klasse das Fach "Andacht". Pias Mutter hatte Opa Archie am Telefon erklärt, dies sei eine sehr seriöse Schule mit besonders guten Lehrern, allerdings vom eigenen Viertel ein bißchen weit entfernt. Auf die nahegelegene Schule aber gingen über 90 % Kinder mit Migrationshintergrund und geringen Deutschkenntnissen. Was sollte Opa Archie dazu sagen, schließlich hat er ja nichts mehr zu melden. Also muß er wohl oder übel mit seiner Urenkelin Gespräche über den lieben Gott führen. Pia hatte schon ihre Mutter, Opa Archies Enkeltochter Anne, mit der Gretchenfrage nach deren Religion in arge Verlegenheit gebracht. Auch war Pia bereits aus der "Andacht" mit dem erhellenden Satz nach Hause gekommen: "Wenn ich glaube, kann ich alles!" "Nur nicht dein Zimmer aufräumen", fügte die Mutter hinzu.

Nach dem Gespräch mit dem Uropa zog Pia nun folgenden Schluß: "Wenn der Papst weiß, wo Gott wohnt und er mit ihm im Himmel spricht, müßte er eigentlich fliegen können." Archie fragte zurück: "Wer, Gott?" Pia: "Nein, der Papst." Archie erwiderte: "Das ist doch Unsinn, der Papst nimmt natürlich das Flugzeug und fährt dann mit dem Papa-Mobil." Prompt legte Pia nach: "Gibt es auch ein Mama-Mobil?" Archie sagte leicht genervt: "Nein, der Papst hat keine Frau." Da wurde nachgefragt. "Warum nicht?" Antwort: "Das würde ihn vom lieben Gott ablenken."

Archie wollte weiteren Fragen entrinnen, aber Pia ließ nicht locker: "Und seine Leute?" Archie: "Du meinst die Priester?" Pia: "Ja, die auf der Kanzel in der Kirche." "Die dürfen auch keine Frauen haben." Pia schnürte den Sack zu: "Dann ist die Papst-Kirche also nur etwas für Vatis?" "Ja, das stimmt, deshalb heißt der Ort, an dem der Papst wohnt, ja auch Vatikanstadt." Pia klatschte in die Hände und rief: "Vati-Kahn-Stadt." Sie war begeistert. "Dort wohnen fast nur Männer", meinte Archie. "Die katholische Kirche ist nämlich eine Männer-Kirche. Lauter Männer unter sich." Da rief Pia: "Ja, und sie sind alle so seltsam verkleidet. Ich weiß das aus dem Fernsehen." Plötzlich sagte sie erschrocken: "Aber wenn sie keine Frauen haben dürfen, dann sterben sie ja aus." Archie seufzte: "Wenn das so einfach wäre."

"Opa, sag mal, kannst du Priester gar nicht leiden?" "Einige schon." Pia blieb am Ball: "Und den Papst?" Nun spielte Archie mit offenen Karten: "Liebe Pia, das ist nicht mein Papst, nein, ich mag ihn nicht. Er hat anscheinend über dem lieben Gott die Menschen vergessen, jedenfalls die meisten." "Und warum jubeln ihm dann so viele zu?", wollte sie wissen. "Sie können nicht anders, sie empfangen jeden Papst so, weil sie an Gott glauben." Pia: "Das verstehe ich nicht." Archie: "Ich auch nicht." "Glaubst du an Gott, Opi?" "Ich würde es gern, aber ich kann es nicht." "Na, vielleicht wird es ja noch", sagte Pia zuversichtlich. Archie gab ihr versöhnlich ein Küßchen. Das Ende des Gesprächs ließ ihn aufatmen und in den Stoßseufzer flüchten: "Oh, Pia mia!"

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an RotFuchs

Am 18. Oktober rief die legendäre DDR-Kinderärztin und Hochschullehrerin Prof. Dr. Ingeborg Rapoport, Autorin des Erfolgstitels "Meine ersten drei Leben", in der Redaktion an, um sich mit viel jünger wirkender Stimme für die RF-Glückwünsche zu ihrem 99. Geburtstag zu bedanken. Auf Grund einer Sehbehinderung würden ihr Freunde einzelne Artikel aus dem "RotFuchs" vorlesen, den sie für die beste linke Publikation in Deutschland halte. Inge sagte zum Schluß: "Liebe Genossen, ich bin immer bei Euch!"    RF


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Im biblischen Alter von 96 Jahren möchte ich mit meinen Mitteln und Möglichkeiten noch etwas zur Ausleuchtung der abwechslungsreichen Szene im kapitalistischen Krisentheater beitragen.

Der Afghanistanbesuch von Bundespräsident Wulff und dessen Begegnung mit Karsai war eine weitere Kasperiade. Hatte sein Vorgänger, der frühere Treuhand-Oberaufseher Köhler, noch den Zorn der Prominenz aus Politik und Wirtschaft auf sich gelenkt, weil er die Wahrheit auf den Markt trug, so kräht längst kein Hahn mehr danach, was unter Partnerschaft mit Afghanistan nach 2014 zu verstehen ist. Die Drohnen in der Luft werden gegen andere Drohnen ausgetauscht. "Alles fließt", heißt es. Ich füge hinzu: besonders das Öl.

Dr. Käthe Seelig, Rangsdorf


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Ich habe nicht immer die Freude, Euch lesen zu können. Aber wenn, dann bin ich begeistert: Es sind meine Deutsch-Stunden! Ich bedanke mich.

Pete Runge, Alliston (Ontario), Kanada


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Ich soll ein Dankeschön aus Toronto unweit der Niagarafälle an Euch weiterleiten. Der RF-Vertrieb sendet jetzt unsere Zeitung dorthin an einen russischen Journalisten. Der Mann hat zuvor bei der Moskauer Deutschen Zeitung gearbeitet und ist vor einigen Jahren mit seiner Familie nach Kanada ausgewandert. Er freut sich über unseren "RotFuchs", den er nun schon zweimal bekommen hat und sehr aufmerksam liest.

Gerhard Masuch, Leipzig


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Da ich der Erfinder von "Spur der Steine" bin, wird niemand bestreiten, daß ich mich sowohl im Leben als speziell auch in der Kunst der DDR auskenne. Ja, auch ich bin observiert worden und auch meine Romane, Erzählungen und anderen Texte sind, trotz literarischer Auszeichnungen andererseits, von Drangsalierungen bis hin zum Verbot betroffen gewesen. Das hat geschmerzt und stets auch Zweifel ausgelöst. In einem jedoch nicht: in dem Bewußtsein, daß zum ersten Mal auf deutschem Boden eine Gesellschaft zu errichten versucht wurde, die frei von kapitalistischen Banken und Konzernen ist, befreit vom Adel und seinen Rittergütern; in der das Geld nicht alle Werte des Menschseins bestimmt und der das eine nahezu heilig war: die Erhaltung des Friedens.

Das alles, weil es das eigentlich Revolutionäre ist, war und bleibt mir wichtiger als das eine und andere Versagen dieses noch in seinen Anfängen steckenden und stets unter Beschuß stehenden staatlichen Versuchs von Sozialismus. Dafür habe ich mich eingesetzt. Und um so arroganter finde ich es, wenn jemand, der in seiner Gegend nicht einmal ein Ein-DM-Stück zum Erbarmen gebracht, nicht einen Stein vom anderen der alten Sozietät bewegt hat, naseweis daherkommt, ohne historisches Verständnis, und die schwere Arbeit anderer in den Schmutz zieht.

Ich beziehe mich auf den Artikel "Proletarische Klasse und Ramschtisch im KaDeWe" im ND vom 21. September.

Erik Neutsch, Halle/Saale


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"Aus vertrauenswürdiger Quelle wurden wir darüber informiert, daß die Parlamentsfraktion der hiesigen Nazi-Partei Jobbik einen Gesetzesvorschlag zu unterbreiten gedenkt, alle kommunistischen Organisationen in Ungarn zu verbieten."

Das teilte mir György Tenner aus Budapest mit. Er bat darum, die RF-Leser und die linke öffentliche Meinung der BRD von der Absicht der ungarischen Faschisten in Kenntnis zu setzen, damit sie entsprechende Schritte der Solidarität unternehmen können.

Eberhard Kornagel, Leipzig


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Da maßt sich ein deutscher "Wirtschafts"-Minister öffentlich an, eine Insolvenz-Empfehlung für einen anderen europäischen Staat - Griechenland - auszusprechen. Niemand aber erwähnt die Tatsache, daß die BRD-Regierung abermals jegliche Wiedergutmachung für von der faschistischen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg in Hellas verübte Massaker abgelehnt hat. Als Beispiel ist hier Distomo zu nennen. Besonders auch auf der bei BRD-Urlaubern beliebten Insel Kreta wurden im deutschen Namen schwerste Verbrechen begangen. Dieses Unrecht kann nicht wieder gutgemacht werden, doch wäre zumindest eine finanzielle Entschädigung längst überfällig.

Dr. Eva Ruppert, Bad Homburg


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Unlängst verstarb der Dirigent und Komponist Kurt Sanderling. Bei der postmortalen "Würdigung" dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit - in Berlin zelebrierte man ein Konzert unter Leitung seiner Dirigenten-Söhne - wurde "übersehen", daß der Weltstar ein gestandener jüdischer Antifaschist, Freund der DDR und der Sowjetunion war. Von einem Journalisten befragt, warum er ausgerechnet in die UdSSR emigriert sei, antwortete Sanderling: "Sie müssen bedenken, daß damals die 'demokratischen' Länder bemüht waren, den 'Führer' nicht zu 'verärgern'. Niemand nahm deutsche Antifaschisten, selbst Juden, gerne auf. Das tat allein die Sowjetunion."

Nach dem Krieg gab es um Kurt Sanderling ein diplomatisches Gerangel zwischen dem "großen Bruder" und der DDR. Deren Führung besann sich nämlich darauf, daß Sanderling - inzwischen Chefdirigent des Leningrader Symphonie-Orchesters - den Berliner Philharmonikern gut zu Gesicht stünde. So wurde Moskau ersucht, die Rückkehr des Musikers zu genehmigen. Nach einigem Hin und Her willigte die Sowjetunion ein, zumal Sanderling selbst diesen Wunsch geäußert hatte.

Walter Ruge

Diesen Brief hat uns der Verfasser nur wenige Tage vor seinem Tod geschrieben.


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Davon, daß der Afghanistan-Krieg jetzt schon ein zehnjähriges Völkermorden ist, sprechen die Wenigsten. Es betrifft sie ja nicht persönlich, also läßt sich das Thema verdrängen. Die Schutzbehauptung lautet, man könne ja sowieso nichts dagegen unternehmen. So einfach ist das für viele, die sich nicht rühren möchten. Hetzer hoher Ränge aber lassen sogar verlauten, wenn "wir" nicht in Afghanistan "für Ruhe und Ordnung" sorgten, würden "diese Asiaten" eines Tages an unseren Grenzen stehen und "ihren Terror" hierher exportieren. Also habe die Teilnahme am Völkermord der Amis sogar eine "wichtige Schutzfunktion"!

Burkhard Kammhoff, Templin


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Im ZDF-Sommerinterview wurde Gesine Lötzsch inquisitorisch befragt, wie sie es mit "dem Kommunismus" halte. Sie gab eine wohlformulierte Antwort. Besser und richtiger wäre es gewesen, wenn die Kovorsitzende der Linkspartei mit der Gegenfrage gekontert hätte, was die Interviewerin denn eigentlich darunter verstehe.

Die Lohnschreiber des Kapitals verbinden mit diesem Begriff ja etwas ganz anderes als wir, für die sich Kommunismus nach dem Manifest von Marx und Engels definiert. Sie wenden den Betriff entweder auf die politische Ordnung der UdSSR zu Stalins Zeiten oder jene in der DDR an. Doch beide Staaten und deren führende Parteien haben die Gesellschaftsordnung in UdSSR und DDR niemals als kommunistisch bezeichnet. Im Kampf der Ideen geht es verstärkt auch um Begriffe wie Menschenrechte, die linke Inhalte haben. "Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!" heißt es doch in der Arbeiterhymne.

Linke sollten sich eine Weisheit aus gegnerischer Quelle ins Stammbuch schreiben: "Wer die Begriffe definiert, bestimmt die Politik!"

Siegfried R. Krebs, Legefeld


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Was Klaus Steiniger im Leitartikel der Oktoberausgabe schreibt, findet meine volle Zustimmung. Ich bin himmelhochjauchzend, wenn ich Gregor Gysis Bundestagsreden vernehme, aber zu Tode betrübt über das, was ich manchmal von ihm lese. Im ND-Gespräch zu dem Thema: "Wie weiter mit den Linken?" halte ich vieles für richtig, daß aber von unerträglichen Aussagen begleitet wird. "Ich bin Zentrist, das ist eine schwierige, gelegentlich auch einsame Rolle zwischen den Stühlen", erklärte Gysi dort. Zentrismus ist doch wohl eine gegen den Marxismus gerichtete Strömung, getragen von der Ideologie der Anpassung, der Unterordnung unter das herrschende gesellschaftliche System. Sie folgt einem opportunistischen Sozialreformismus, der sozialistische Ideale aufs Spiel setzt.

Auch seine Aussage im ND-Interview, es gebe Parteimitglieder, welche die DDR in einer Weise verteidigten, wie sie es nicht verdient habe, weise ich entschieden zurück. Die Mehrheit in den Basisorganisationen hat über 40 Jahre unseren Staat unter schwersten Bedingungen aufgebaut und gegen alle Angriffe geschützt. Sie hat mit der DDR kein Problem.

Oberst a. D. Hans Linke, Suhl


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Da ich gesundheitlich leider nicht mehr in der Lage war, an der Gesamtmitgliederversammlung teilzunehmen, möchte ich allen Genossen, die unseren "RotFuchs" so erfolgreich voranbringen, meine herzlichen Grüße übermitteln.

Angesichts des Herum-Eierns der Lederer, Liebich und anderer Berliner PDL-Funktionäre, die sich vor der Verantwortung für das jüngste Wahldebakel drücken und ihre Ansichten immer noch erheblichen Teilen der Mitgliedschaft schmackhaft zu machen wissen, kamen mir Parallelen aus der Zeit der Vereinigung von KPD und SPD in den Sinn. Ich habe damals in Leipzig mit erfahrenen Genossen oft stundenlange Gespräche über Grundfragen und politische Details geführt. Dabei war eines unter Jungen und Alten, Sozialdemokraten und Kommunisten unstrittig: daß die Vereinigung nötig sei und bald erfolgen solle. Doch wir waren so naiv anzunehmen, daß an der Basis Geklärtes auch auf Leitungsebene so gesehen werde. Auf zentralen Veranstaltungen erlebten wir, wie sich führende SPD-Funktionäre drehten und wanden: "Natürlich ja, Genossen, aber ..." Erfahrene Versammlungsleiter fälschten die vorgetäuschte Zustimmung zu Forderungen der Basis in ein "Abwarten, Genossen." um. Die Mehrheit des Leipziger Vorstandes wurde nämlich durch Schumachers Clique in Hannover gesteuert.

Mir scheint, daß in der Berliner PDL auch nicht gerade die Meinung der Basis zählt.

Dr. sc. Fritz Welsch, Berlin


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Nach 48jähriger ununterbrochener Zugehörigkeit zu SED, PDS und Linkspartei bin ich aus der PDL ausgetreten. Mein Entschluß dürfte von manchen Funktionären wohlwollend betrachtet werden, trägt er doch zur "Reinheit" der Partei bei. Die unsägliche "Aufarbeitung" der Geschichte des MfS bestärkte mich als dessen ehemaligen Offizier in meiner Entscheidung. Wiederholte Angebote, innerhalb der Partei an einer objektiven Aufarbeitung dieses Themas mitzuwirken, wurden dahin gehend beantwortet, daß es in der PDL kein entsprechendes Gremium gebe. Wen wundert es, daß man sich lieber mit Lügen und Halbwahrheiten zufriedengibt, wenn man aus einem unlängst erschienenen Buch erfährt, was sich am 3. Dezember 1989 in Dresden ereignet hat. Bei einem Treffen von Gregor Gysi, Hans Modrow, Wolfgang Berghofer und Markus Wolf soll dem Autor zufolge der Gedanke geäußert worden sein, im Interesse der Rettung der Partei einen Schuldigen für die Misere zu suchen. Dabei komme nur die Staatssicherheit in Frage, sei in der Runde entschieden worden.

Dieter Dethloff, Wittenförden


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Der Oktober-RF offenbarte im Leitartikel und mehreren Beiträgen eine bedrückende Sorge um den Zustand der Linkspartei. Zu Kriterien werden ihre innere "Streitkultur", ihre Ausstrahlung und ihre Wahlergebnisse gemacht. Solche Überlegungen sind auch Nichtparteimitgliedern keineswegs zu verdenken.

Ich war wiederholt Delegierter zu PDS-Bundesparteitagen und bemühe mich in Magdeburg seit Jahren um die politische Bildung.

Auf dem Gebiet der Ideologie hat die Gegenseite ihr Wirken nicht reduziert. Sie setzt den Kalten Krieg fort. Ständig steigert sie den Aufwand bei der Verbreitung von Antikommunismus, Antihumanismus und Scheinhumanismus - oft mit "verfeinerten" Methoden. Im Zentrum ihrer aggressiven Kampagne steht die Verteufelung der DDR als "Unrechtsstaat" und "zweite deutsche Diktatur". Dies wirkt in Sachsen-Anhalt indes nur bedingt. Schon 2009 blieben 94 % der durch "Monitor" Befragten zumindest bei dem Urteil, in der DDR sei "nicht alles schlecht" gewesen.

Dr. Heinz Sonntag, Magdeburg


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Am 24. September erlebte ich die zentrale RF-Veranstaltung in Rostock. Mich bewegte sehr, daß der 65. Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD zur SED eine so eindrucksvolle Würdigung erfuhr. Mit dem Gewicht des Historikers hat uns Götz Dieckmann die Verbrüderung zweier Arbeiterparteien als das bedeutendste Ereignis vermittelt, das sich nach der Zerschlagung der faschistischen Barbarei auf deutschem Boden vollzog. Mir wurde noch stärker bewußt, welche einmalige geschichtliche Chance in den letzten Jahren der DDR dadurch vertan worden ist, daß keine fundierten Bemühungen um eine echte Stabilisierung der Partei als führender Kraft der Gesellschaft unternommen worden sind. Rostock war ein Bekenntnis dazu, daß Marxismus und Leninismus zusammengehören. Der RF beschränkt sich nicht auf leere Worte, sondern handelt entsprechend.

Walter Krüger, Dudinghausen


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Gerade aus Rostock zurückgekehrt, drängt es mich, den Initiatoren, Organisatoren und allen Mitwirkenden von ganzem Herzen zu danken. Das Programm der Veranstaltung war gehaltvoll und gut aufeinander abgestimmt. Den Vortrag des Genossen Dieckmann möchte ich wegen seiner inhaltlichen und rhetorischen Brillanz als besonders anregend und begeisternd hervorheben. Das russische Vokalensemble "Nadeshda" animierte mit seinem Schwung - beginnend mit dem "Kalinka"-Lied - das schon etwas bejahrte, aber durchaus begeisterungsfähige Publikum zum Mitsingen und rhythmischen Klatschen.

Ganz besonders freute ich mich darüber, liebe Genossen aus dem Ferienheim "Heideruh" wiederzutreffen. Die Hafenrundfahrt bot reichlich Gelegenheit zum Gedankenaustausch und zum Auffrischen von Erinnerungen. Ein wunderschöner, ereignisreicher Tag, der Kraft und Mut gibt. Danke!

Heinz Butzke, Neubrandenburg


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Der Beitrag von Christine Buchholz zur Militarisierung der BRD-Politik machte deutlich, wie dreist die Verteidiger der "Freiheit am Hindukusch" inzwischen ihre geostrategischen Absichten eingestehen.

Ein diesbezügliches Erlebnis hatte ich kürzlich als Teilnehmer einer Konferenz in Szczecin, als wir beim Besuch des NATO-Stabes Nordost auf die Frage, ob denn dieses Bündnis und die Bundeswehr überhaupt noch nötig seien, erfuhren, wo BRD-Streitkräfte inzwischen an militärischen Operationen beteiligt sind. Auf der uns gezeigten Weltkarte tauchten neben den Standorten stets auch Zahlen auf, welche die jeweiligen Fördermengen von Öl und Gas auswiesen.

Auf die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen diesen Zahlen und der Anwesenheit von Bundeswehrsoldaten bestehe, erklärte ein Oberstleutnant S. wörtlich: "Als deutscher Offizier bin ich stolz darauf, für die Energiesicherheit meines Landes sorgen zu dürfen. Ich bin schließlich kein Bundespräsident ..." Eine tolle moralische Legitimation für die "Armee im Einsatz"!

Prof. Dr. Herbert Barten, Greifswald


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In einer Hinsicht könnte ich mir einen konstruktiven Wandel im Verhältnis zwischen den bestehenden kommunistischen Gruppierungen und der DKP wünschen und vorstellen. Seit 1989 ist hinreichend viel Zeit verflossen, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Diejenigen, die sich auf Marx, Engels und Lenin berufen, haben lange genug auch über den Wert des realen Sozialismus als Teil unseres gemeinsamen Erbes nachgedacht. Der "Prüfstein UdSSR/DDR" wurde mittlerweile entweder "verworfen" oder in die eigenen programmatischen Vorstellungen hinsichtlich des Fortgangs der Entwicklung vom Kapitalismus zum Sozialismus positiv eingebaut. Ich meine bei all jenen, welche dieses Erbe akzeptieren.

Unter denen müßte es möglich sein, das Resümieren über die Vergangenheit und das Spekulieren über die Zukunft zu beenden, um sich der Gegenwart zuzuwenden. Es ist doch eine Tatsache, daß die derzeitige Zersplitterung der sich in zentralen Fragen eigentlich einigen Kommunisten/Marxisten-Leninisten höchst unerfreulich ist - eine absurde Vergeudung von Kräften.

Der nachwachsenden Generation bieten wir ein solches Bild der Zersplitterung, daß sie sich eigentlich nur von uns abwenden kann. Das mag man noch fünf bis zehn Jahre durchhalten, dann aber sind die meisten von uns entweder tot oder außer Gefecht.

Soll's das gewesen sein - mit uns, den Erben von KPD und SED, von Thälmann und Pieck? Was für ein Irrsinn! Welche Logik oder Eitelkeit steckt dahinter? Ich sehe darin nur sektenhafte Besserwisserei und Dummheit. Das ist meine sehr persönliche Meinung.

Dr. Hans-Peter Brenner, Bonn


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Die ausgezeichnete Rede Götz Dieckmanns haben wir mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Wie Ihr wißt, haben wir leider nicht die Mehrheit in der Parteiführung.

Ich bin sicher, daß wir dennoch Wege finden werden, um die Einheit voranzutreiben.

Renate Münder, Redaktion T & P, München


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Die Rede des Genossen Dieckmann habe ich gelesen und verstehe sein Anliegen. Es ist ja nicht nur das Seinige. Die DKP existiert seit über 40 Jahren als die legale kommunistische Partei unseres Landes. Sie ist aus der illegalen KPD hervorgegangen und hat tiefe Wurzeln in der marxistischen Arbeiterbewegung unseres Landes. Überdies besitzt sie eine erfahrungsreiche Geschichte. Mit ihren heute knapp 4000 Mitgliedern - natürlich ist das lächerlich wenig - stellt sie dennoch die derzeit größte und älteste kommunistische Organisation unseres Landes dar. Es geht also nicht um irgendwelche selbsternannten Gurus ­..., sondern um eine Partei mit einem marxistischen Programm. Das verpflichtet sie auch zu Bemühungen um die Zusammenführung kommunistischen Potentials in unserem Land. Es gibt Versuche, Briefwechsel, Absprachen. Wenigstens zwei Probleme aber sollte man nicht außer acht lassen: Bevor man sich vereinigt, muß man sich erst einmal gründlich auseinandergesetzt haben. Das stammt von Lenin. Es muß also schon einiges an gemeinsamen Auffassungen herausgearbeitet werden, was bisher noch nicht gelungen ist. Und zweitens: Dieser Prozeß wird auch verhindert, wenn man die DKP eine revisionistische Partei nennt.

Dr. Robert Steigerwald, Eschborn


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Der Hauptaussage des Beitrags von Dr. Vera Butler "Wie sich eine Weltmacht selbst liquidierte" (RF 164) stimme ich zu. Einige Details überzeugen mich jedoch nicht. Ich würde Andropow u. a. eine bewußte Abweichung vom sozialistischen Weg nicht unterstellen. Das blieb dem letzten KPdSU-Generalsekretär vorbehalten, der gegenüber Egon Bahr freimütig bekannte, schon immer Sozialdemokrat gewesen zu sein.

Es mag aus marxistisch-leninistischer Sicht in jeder Nachkriegsetappe Fehler und Irrtümer gegeben haben. Der Personenkult hat sie sicher begünstigt, wobei ich der Meinung bin, daß kein Parteiführer die Verantwortung dafür allein getragen hat.

Übrigens sah Stalin bereits die Notwendigkeit, sich von starren Formen zu verabschieden. In seiner Schrift "Ökonomische Probleme des Sozialismus" - sie war aus meiner Sicht ein Musterbeispiel an gedanklicher Klarheit und sprachlicher Schlichtheit - deutete er erforderliche Veränderungen an.

In der UdSSR hatten sich zwei getrennte Wirtschaftsstrukturen entwickelt: die militärische, welche exakt funktionierte, und die zivile, die allmählich kollabierte. Juri Andropow, in dessen nur kurzer Amtszeit sich das Brutto-Inlandsprodukt der UdSSR immerhin um 8% erhöhte, trägt die Verantwortung für einen absoluten Mißgriff: die Auswahl Gorbatschows.

Dr. Manfred Böttcher, Berlin


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Gott war auch in Baden-Württemberg! Wir alle haben es gelesen: "Grüß Gott in Baden-Württemberg!" Nicht aber "Grüß den Papst in B.-W.!" Oder ist der Papst etwa Gott? Sehr wahrscheinlich, denn er entscheidet in allen Situationen selbstherrlich als Staatschef ohne Parlament. Der Papst duldet keinen Widerspruch und untersagt jeglichen Fortschritt im Denken. Er ist allmächtig. Aber auch der Allmächtige?

Welch ein Unterschied zu Fidel Castro, dem Geburtstags-Glückwünsche zu übermitteln verpönt war, obwohl er durch seine Politik humane Leistungen bedrängten Völkern hat zuteil werden lassen.

Hermann Thomas, Wilsdruff


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Wir widersprechen dem Artikel "Absage an Vollbeschäftigung" von Dr. Dr. Ernst Albrecht (RF 165).

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine monatliche Geldauszahlung, die jedem Menschen von der Geburt bis zum Tod garantiert wird, ohne daß eine Gegenleistung erbracht werden muß. Auch bei Gelderwerb wird es weitergezahlt.

Eine Vollbeschäftigung ist im Kapitalismus nicht mehr vorgesehen. Das Konzept Hartz IV wurde so angelegt, daß praktisch kaum jemand wieder in den normalen Arbeitsmarkt integriert wird. Gezielt werden Erwerbslose massenhaft über entmenschlichende Verfahren ruhiggestellt oder prekär beschäftigt. Um Albrechts Kritik vom Kopf auf die Füße zu stellen, bedarf es einer Definition, was unter Arbeit zu verstehen ist. Nach Albrecht handelt es sich ausschließlich um Erwerbsarbeit. Der Begriff meint aber alle schöpferischen Tätigkeiten des Menschen, nicht nur die durch den Kapitalismus auf Erwerbsfelder eingegrenzten.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Antwort auf die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die Ausweitung von Billiglohnjobs und die sich vor allem durch Hartz IV vergrößernde Armut. Das 170 Jahre alte Kampfparadigma "Einkommen durch Arbeit" wird damit in "Arbeit durch Einkommen" umgekehrt. Das ist eine neue Revolution im 21. Jahrhundert.

Karsten Jagau, Gerd Greve, Torsten Müller,
Basisorganisation "Aufbruch LINKS" der PDL Schwerin


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Dr. Dr. Albrecht ist für seinen Artikel zum "bedingungslosen Grundeinkommen" zu danken. Er gibt uns viele gute Argumente gegen diese Form der Volksverdummung und des Abhängigmachens vom bürgerlichen Staat. So weist er besonders auf die angestrebte Ruhigstellung eines größeren Teils der sonst Arbeitslosengeld Beziehenden und die Verführung von Unternehmen zum Lohndumping sowie die straffe Bindung des Bürgers an den kapitalistischen Staat hin. Es ist eine Schande für diese Gesellschaft, wenn sich immer mehr Lohnabhängige nicht mehr von ihrer Hände Arbeit menschenwürdig ernähren, geschweige denn leben können. Verhältnisse wie in den USA lassen grüßen! Dort sind bis zu drei Arbeitsstellen zum Bestreiten des Lebensunterhalts notwendig!

Das Grundeinkommen ist ein Angriff auf Tarifverträge und zielt darauf ab, die Gewerkschaften überflüssig zu machen.

Wäre es daher nicht gerade für Linke notwendig, alle Kraft auf die Durchsetzung des Mindestlohnes zu konzentrieren? Ernst Albrechts Schlußfolgerung trifft völlig zu: Eine Reformierung des Kapitalismus ist ausgeschlossen, es bedarf der Änderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse.

Dr. paed. Peter Nitze, Wittenberg


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War der Artikel "Absage an Vollbeschäftigung" unseres Doppel-Doktors aus Dormagen etwa satirisch gemeint? Die Schrift von Friedrich Engels heißt "Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen", aber nicht "Anteil der Lohnarbeit." Das hat seinen Grund. Arbeit ist nicht schon immer und ihrem Wesen nach Lohnarbeit. Was aber von dieser zu halten ist, stellt Marx klar, wenn er sie als Synonym für Zwangsarbeit oder Lohnsklaverei bezeichnet.

Wer Lohnarbeit und Arbeit gleichsetzt, begibt sich ins Schlepptau der bürgerlichen Ideologie. Grenzwertig ist es mit Hausarbeit und Kinderbetreuung. Die ist zwar zur Reproduktion der Arbeitskraft und zur Erzeugung von Proletariernachwuchs notwendig, wird aber nicht auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages mit Geld entlohnt.

Wer von den politischen Machthabern ein "bedingungsloses" Grundeinkommen bezöge, hinge von deren politischem Kalkül ab. Wer aber seine Arbeitskraft gegen Lohn an die wirtschaftlichen Machthaber verkauft, ist ums Verderben von den Produktionsmittelbesitzern abhängig: davon, daß sie ihn gebrauchen (genauer: ausbeuten) können. Nebenbei bemerkt: Die Kapitalisten-Klasse kann gar nicht an einer gesellschaftlichen Vollbeschäftigung interessiert sein. Dadurch würden die Lohnkosten steigen, weil anders die Lohnarbeiter nicht an einzelne Unternehmen zu binden wären. Den Kapitalisten sind viele Arbeitslose als große Reservearmee erwünscht, um bei Bedarf eine gestiegene Nachfrage nach Lohnarbeitern unverzüglich befriedigen zu können.

Noch einmal sei Marx zitiert: "Statt des konservativen Mottos: 'Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!' sollte sie (die Arbeiterklasse N. K.) auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: 'Nieder mit dem Lohnsystem'!" (MEW 16/152)

Ich wünsche Eurer sonst so hervorragenden Zeitschrift Erfolg.

Norbert Kornau, Hannover


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Merkel durfte in Vietnam Menschenrechte und Meinungsfreiheit anmahnen und vor Studenten in Ho-Chi-Minh-Stadt sprechen. Ich dachte dabei an die 30 Jahre Kampf der Vietnamesen für ihre Befreiung; an die Begegnung mit Onkel Ho und seinen Pionieren bei deren Bambustanz in Dresden; an ihre militärischen Auslandsstudenten, welche die einstige Kadettenanstalt in Naumburg besuchten; an ihre drei Oberstleutnants im Wohnheim in der Moskauer Kropotkinskaja und an der Generalstabsakademie; an die Hilfe von Genossen meines Kombinats beim Ausbau des Ho-Chi-Minh-Pfades ... und an die Rolle der BRD in all dieser Zeit. Aber auch an den Jubel der Berliner am 1. Mai 1975 entlang der Aufstellung unserer Paradetruppen, als über Lautsprecher die Botschaft kam: "Vietnam ist frei!"

Klaus Horn, Großdobritz


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Heinz Gliemann hat aus meiner Sicht weder Sahra Wagenknecht noch ihr Buch richtig verstanden. Erst warf man ihr einen unversöhnlichen Linksdrall vor, jetzt verdächtigt man sie, marxistische Grundsätze verwässern zu wollen.

Es wäre nach meiner Auffassung kurzsichtig, an früheren Sozialismusvorstellungen zu hängen, ohne Fehlabläufe in Basis und Überbau zu durchdenken. Der reale Sozialismus in der DDR und im übrigen Osteuropa schlug fehl, weil wesentliche gesellschaftliche Entscheidungen in der Ökonomie und im sozialen Bereich immer mehr einen undemokratischen Kommandocharakter annahmen. Natürlich lag dies auch ganz wesentlich an permanenten westlichen Störmanövern und anderen Belastungen.

Dennoch zeichnete sich die DDR trotz solcher Hemm- und Hindernisse durch einen respektablen Lebensstandard, niedrige Mieten, ein fürsorgliches Gesundheitssystem und eine effiziente polytechnische Bildungspolitik aus. Und ein solches Umfeld - für die Schönen und Reichen im Kapitalismus unzumutbare Kostenfaktoren - war für mich als einstigen DDR-Bürger meine Heimat! Mit den realitätsfremden Renditejägern und deren zweifelhaften Kriterien habe ich nichts gemein.

Freiheit statt Kapitalismus! heißt in meinem Verständnis, daß diese erst nach der Überwindung der Aktiendominanz und der Vergesellschaftung der DAX-Unternehmen möglich wird. So habe ich Sahra Wagenknecht verstanden.

Mario Kettler, Reichenbach/Vogtland


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Den Beitrag von Rolf Bullerjahn "Der Knall mit dem Urknall" empfand ich geradezu als einen geistig hochstehenden Befreiungsschlag. Nicht nur, daß wirkliche Kardinalfragen aufgegriffen wurden, sondern auch das gedanklich starke und ausdrucksvolle "Wie" hatte es in sich.

Ich erinnere mich, zu DDR-Zeiten an der TH die These gehört zu haben: Das gesamte All bestand ursprünglich aus Wasserstoff. Das war ja wohl auch schon so etwas Hirnverbranntes.

F. Grupe, Merseburg


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Am 22. Juli 1922 fand in Suhl die erste Reichskonferenz der Kommunistischen Kindergruppen Deutschlands statt. 800 bis 1000 Kinder wurden damals von den Bürgern unserer Stadt liebevoll aufgenommen. Im Mittelpunkt der Konferenz standen der Proletarische Internationalismus, die Solidarität mit dem jungen Sowjetstaat sowie der Kampf gegen den reaktionären Ungeist an den Schulen. Die Arbeitsgruppe Geschichte des Stadtverbandes Suhl der Partei Die Linke berät derzeit darüber, wie der 90. Jahrestag dieser Konferenz würdig begangen werden kann.

Wir fragen die RF-Leser: Kennt jemand Nachkommen von Zeitzeugen, die auf Grund mündlicher oder schriftlicher Überlieferungen etwas zum damaligen Ereignis sagen könnten? Jeder Hinweis wäre für uns eine große Hilfe. Mitteilungen bitte an dschmidt.suhl@gmx.de, Tel. 03861/720296

Dagmar Schmidt, Suhl


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Inspiriert von der Titelseite der Beilage mit Prof. Dieckmanns Rostocker Text, möchte ich linken London-Besuchern ein paar Tips geben. Sie sollten unbedingt die Marx-Gedenkstätte in Clerkenwell Green besichtigen. Das Marx-Grab ist auf dem Highgate Cemetery im Londoner Osten (East). Ein kolossales Wandgemälde in der Cable Street unweit des Tower ist der 1936 dort ausgetragenen Straßenschlacht antifaschistischer Arbeiter gegen die britischen Nazis gewidmet. Ende November hatte das Musical "Goodbye Barcelona" in London Premiere. Es erinnert an den 75. Jahrestag der Interbrigaden.

Reinhardt Silbermann, Hamburg


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Mit Erstaunen habe ich Ihre Homepage geöffnet. Ich bin erfreut, daß man in dieser Zeit so etwas Aufschlußreiches lesen kann. Meine Heimat - insbesondere die politische - war, ist und bleibt die Deutsche Demokratische Republik. Vieles, was ich bei Ihnen lese, deckt sich mit dem, was auch ich über bestimmte Ereignisse denke. Ich war lange Zeit selbständiger Handelsvertreter und bin jetzt Zeitarbeiter. Ich glaube, ich werde künftig öfter mal bei Ihnen hineinschauen.

W. Grabowski, Schwerin


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Die Oktoberausgabe war wieder sehr lesenswert. Besonders gefielen mir die Beiträge über Wilhelm Pieck und Täve Schur. Wir haben zu beiden einen besonderen Bezug. Meine Frau begegnete unserem Präsidenten als Pionier auf der Wartburg. Noch heute bewahrt sie einen Artikel auf, der über dieses Zusammentreffen berichtet. Ich selbst gehörte 1960 zu einer Abordnung unserer in Berlin stationierten NVA-Einheit, die Wilhelm Pieck an dessen Bahre die letzte Ehre erwies. Solche Augenblicke vergißt man nicht.

Zur Behandlung Täve Schurs durch die neuen Machthaber bedarf es keines Kommentars. So gehen die Helfershelfer des Kapitals eben mit Menschen um, die sich in der DDR Verdienste und Ansehen erwarben.

Horst Schuchardt, Erfurt


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Der Beitrag "Krelles Kralle", RF 165, muß geradezu Entsetzen auslösen. Auch ich gehöre zu einer Generation, die an der Berliner Humboldt-Universität bei wunderbaren Professoren eine fundierte und solide rechtswissenschaftliche Ausbildung erfahren hat. Ich war immer stolz darauf, mein Studium an dieser Universität absolviert zu haben. Mich beeindruckte besonders, daß sich unter unseren Lehrern so viele gestandene Antifaschisten befanden. Da ist es ein Schock, erfahren zu müssen, daß ein ehemaliger SS-Sturmbannführer vor etwa zwei Jahrzehnten dort seine menschenfeindliche Ideologie durchsetzen und die Hochschule von Humanisten "säubern" durfte.

Ich blicke dankbar auf jene Jahre zurück, als ich meinen Fuß über die Schwelle der HU gesetzt habe, in deren Foyer mir sofort das ins Auge springende Marx-Wort auffiel: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern."

RA Ralph Dobrawa, Gotha


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Heute war sie da - die lang erwartete Post mit dem "RotFuchs". Herzlichen Dank für Euer bemerkenswertes Engagement! Ihr leistet damit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag, um der grassierenden Verdummung unserer Landsleute entgegenzuwirken! Wir haben zwar eine Schlacht verloren, nicht aber den Krieg!

Gerhard Mory, Taucha


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Der Vorschlag, Griechenland solle mit einer Treuhandanstalt nach Kohls Muster für Ostdeutschland auf Kurs gebracht werden, wurde öffentlich unterbreitet. Sein Urheber war aber nicht etwa Hella von Sinnen, sondern ein sehr namhafter Finanzexperte. Ich muß die RF-Leser nicht darüber aufklären, was die Treuhand der BRD bei uns angerichtet hat, sondern nur zwei Zahlen anführen. Erstens: Ostdeutschland hat nach dem letzten Stand 5,26 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, von denen man jedoch eine Million mitgezählte Westberliner abrechnen muß. Zweitens: Der Osten hängt mit jährlich 80 Mrd. Euro am Infusionstropf, damit das auf Hochglanz polierte Kartenhaus nicht plötzlich zusammenfällt. Wer es nicht glaubt, darf in Helmut Schmidts Buch "Außer Dienst" nachschlagen. Dort findet er übrigens auch eine vernichtende Kritik an der Wirtschaftspolitik der CDU-Kanzler Kohl und Merkel sowie seines famosen SPD-"Genossen" Schröder. Was aber würde passieren, wenn die Wirtschaftsflüchtlinge und Zwangspendler aus der Zeit nach 1990 auf einen Schlag zurückkämen und allesamt Arbeitslosengeld einforderten?

Die Linkspartei vergreift sich übrigens am bürgerlichen Wort-Pool, indem sie die mit wirtschaftlichen Zwangsmitteln Vertriebenen verharmlosend als "Abwanderer" bezeichnet. Nicht übersehen sollte man auch, daß der untertarifliche Niedriglohnsektor eine ständig steigende Tendenz aufweist.

Im Unterschied zu den stillhaltenden ostdeutschen Duckmäusern traue ich den Griechen zu, daß sie im Falle des Überstülpens einer auf sie zugeschnittenen "Treuhand" den Generalstreik zum revolutionären Kampf ausweiten. Noch haben viele das Monsterspiel nicht ganz durchschaut. Das könnte sich allerdings ändern.

Joachim Spitzner, Leipzig

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Quelle:
RotFuchs Nr. 167, 14. Jahrgang, Dezember 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2012