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ROTFUCHS/110: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 156 - Januar 2011


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

13. Jahrgang, Nr. 156, Januar 2011



Inhalt
Ich war neun
Wie das Auswärtige Amt mit den DDR-Diplomaten verfuhr
Dank für polizeistaatliche Vorsorge
Kampfansage an Europas rückständigstes Streikrecht
Teure Gehirnwäsche
Mißvergügliches aus dem Spreewald
Marxismus für Einsteiger: Bourgeoisie
Kein Zimmer im "gesamteuropäischen Haus"
Fürst von Hardenberg lehnte ab
Neuland unterm Pflug
Post an Bodo Ramelow
Prickelndes
Giftige Pfeile auf den "roten Baron"
Die Chronik der "Matroschka"
Ein guter Ossi? Flexibel, brav und biegsam!
Zur Dialektik von Reform und Revolution
Vom Tod einer Zwangsarbeiterin nach der Befreiung
Der Mut des Allesandro Zanconato
Hennigsdorf: Wie der Stahl gehärtet wurde
RF-Extra Spuren der Wahrheit
RF-Extra Ein Sprung ins eiskalte Wasser
Brasilien nach der Präsidentenwahl:
Fünftgrößtes Land der Welt in starker Hand
Griechenlands Hauptstadt-Region Attika:
14,4 Prozent für die Kommunisten
Ehrung für El Salvadors Schafik Hándal
Barack Obama in der Klemme
Feldpost vom Hindukusch: Zwischen Todesangst und Trophäenmentalität
"Der Spiegel": RF ist sozialistisches Fachorgan
Seit 90 Jahren Kommunisten in Australien: Peter Symons tapfere Partei
Walter Ruge: Für Esten sind die Deutschen alle Sachsen
Nazim Hikmets Rückkehr in die Türkei
Vor 100 Jahren wurde Lotte Fürnberg geboren
Brief an Tillichs Kultusministerin: Marxistische Philosophin unerwünscht?
Friedrich Schillers kurzes Dichterleben
"Der famoseste Kerl der ganzen Antike" - Spartakus lehrte die Römer das Fürchten
Dieter Noll: Klassiker der Antikriegsliteratur
Warum Archie die neuen "Kaiserbäder" meidet
Leserbriefe
Grafik des Monats

Raute

Deutsche Leidkultur

Der renommierte, vom antisemitischen Terror Hitlerdeutschlands betroffene Romanist Victor Klemperer - als Kulturbund-Abgeordneter der ersten Volkskammer zählte er zu den Gründern der DDR - würde sich angesichts des politischen Jargons gewisser BRD-Politiker im Grabe umdrehen. In seiner berühmten Schrift "LTI" (Lingua Tertii Imperii) geißelte Prof. Klemperer das verabscheuenswürdige Vokabular, mit dem die Nazis der Sprache Goethes und Schillers Gewalt angetan hatten. Dieses Gestammel der "Deutschstämmigen", das unterdessen teilweise in den "Sprachschatz" der BRD-Medien eingeflossen ist, entsprang dem Denken solcher Naziideologen wie Alfred Rosenberg und Joseph Goebbels. Heute feiert es im sich herauskristallisierenden neuen großdeutschen Reich fröhliche Urständ. Unsere Kultur leidet unter politischer Unkultur: Vor Jahren führte der damalige CDU-Fraktionschef und Frontmann der Unternehmerverbände Friedrich Merz im Bundestag die Phrase von der "deutschen Leitkultur" ein. Unterdessen geht sie auch dem smarten, inzwischen scharf rechts fahrenden CSU-Politiker Horst Seehofer flott von der Zunge. Sein Fraktionskollege - der die Gutsbesitzerriege im Kabinett vertretende ehemalige CSU-Generalsekretär und heutige BRD-Kriegsminister Freiherr zu Guttenberg - demonstriert Tag für Tag in der "deutschen Besatzungszone" Nordafghanistans, was unter dem Wort zu verstehen ist. Solche bundesdeutschen Leidkulturbringer wie Oberst Klein haben es in Kundus bewiesen.

Auch Guttenbergs Kanzlerin macht um die durch Sarrazin angeheizten "nationalen Themen" keinen Bogen. "Schluß mit Multi-Kulti!", verkündete sie unter dem frenetischen Beifall ihrer CDU-Gefolgschaft.

Was ist damit gemeint? Merkels Kampfansage an jegliche Solidarität humanistisch gesinnter Deutscher mit anderssprachigen, andersaussehenden, andersdenkenden und andersgläubigen Menschen in der BRD, die sich gefälligst im "Gastland" zu assimilieren haben, ist eine aufgepflanzte Fahne des großdeutschen Chauvinismus und der Verachtung des Brauchtums anderer Völker!

Wie hat denn die "Zuwanderung" in den kapitalistischen Teil Deutschlands überhaupt begonnen? Von wem eigentlich wurden die der Täuschung halber als Gast-Arbeiter ausgegebenen Billiglöhner in das florierende Land des Erhardschen "Wirtschaftswunders" der 50er Jahre geholt? Die Konzerne des wiedererstandenen deutschen Imperialismus konnten damals und später gar nicht genug extrabillige, doppelt ausgebeutete Arbeitssklaven aus vieler Herren Länder heranschleppen lassen.

Jetzt, da der Mohr seine Schuldigkeit getan hat, soll er plötzlich weiß werden oder gehen - sieht man hier von der gezielten Werbung hochqualifizierter Spezialisten aus Entwicklungsländern ab. Die nachgezogenen Angehörigen der einstigen "Gastarbeiter" und Millionen andere in die reiche BRD geströmte Arme und Unqualifizierte aber haben gefälligst zu verschwinden.

"Schluß mit Multi-Kulti! - Es lebe die deutsche Leitkultur!" - rufen die Chauvinisten aus dem Regierungslager unisono mit der radikalen politischen Rechten. Dabei ist die BRD de facto längst ein Einwanderungsland wie die USA geworden, ohne dabei allerdings die Wirkungen des überseeischen "Schmelztiegels" zu beachten. Ein solcher bringt nämlich, wenn diverse Erze hineingeworfen werden, neue Legierungen hervor. Trifft das nicht auch auf die Zusammenführung von Menschen unterschiedlicher Abkunft zu? Müssen die anderen auf einmal alle Deutsche werden, wo sie doch ganz und gar nicht "deutschstämmig" sind?

In den Vereinigten Staaten, die seit 200 Jahren Zuwanderer aufnehmen, gibt es bis heute sehr voneinander abweichende, ihre nationale Abkunft und Identität keineswegs verleugnende USA-Bürger: Unter ihnen befinden sich Anglo-Amerikaner, Afro-Amerikaner, Italo-Amerikaner, Deutsch-Amerikaner, Amerikaner irischen Ursprungs, spanischsprachische Latinos, indianische und Sinuit-Ureinwohner sowie Menschen mit vielfältigen asiatischen Wurzeln. San Franciscos China-Town wird zum Beispiel als größte chinesische Siedlung in der Neuen Welt betrachtet.

Nicht minder bekannt ist New Yorks Little Italy. Dort spricht man ebensowenig englisch wie in den Mexikaner-Revieren Kaliforniens. Ist das der sonst so proamerikanischen Dame an der Berliner Regierungsspitze, die noch heute in Erinnerungen an das gemeinsame Steak-Essen mit dem längst abgehalfterten Freund George W. Bush in Trinwillershagen schwelgt, bei ihren fremdenfeindlichen Exkursen ganz und gar verborgen geblieben? Gilt denn für Angela Merkel nicht mehr ihre nach 1990 taktisch abgewandelte frühere Lieblingsparole "Von den USA lernen, heißt siegen lernen!"?

Das Geschwätz über deutsche Leitkultur ist nichts anderes als ein dreister Rückgriff auf faschistoides "Gedankengut". Es bringt den Ruf einer großen Kulturnation, zu der wir uns mit bescheidenem Stolz bekennen, in Verruf. Als deutsche Kommunisten, Sozialisten und Demokraten bleiben wir Internationalisten. Einmal mehr bekräftigen wir unser Bekenntnis zum Geist der Kinderhymne Bertolt Brechts: "Und nicht über und nicht unter ander'n Völkern woll'n wir sein, von der See bis zu den Alpen, von der Oder bis zum Rhein!"

Klaus Steiniger

Raute

Als meine Eltern plötzlich nicht mehr gebraucht wurden

Ich war neun

Ich war neun Jahre alt und dachte: Früher war alles besser. Bis dahin wuchs ich in der DDR auf, dann zogen wir in die BRD - ohne die Adresse zu ändern. Meine Kindheit war unbeschwert; sie endete mit dem Mauerfall, weil nun alle Sorgen hatten - das merkt man auch mit dem Daumen im Mund.

Als 81er Jahrgang wurde ich schon mit neun Jahren erwachsen - meine Eltern würden mir da widersprechen. Aber: Ich wußte damals schon, warum meine bereits ältere Deutschlehrerin uns bat, beim Buchstabieren "Doppel-S" zu sagen statt "SS". Ich schrieb beim Kinderfest auf meinen Button: "An die CDU: Ihr müßt mal ein bißchen nachdenken." Und auf die Frage: Was nützt mir die Reisefreiheit, wenn ich keine Arbeit habe und kein Geld zum Verreisen? bin ich damals auch ganz allein gekommen. Das klingt vielleicht altklug, ist aber vor allem ganz schön zynisch für ein Kind. Vielleicht sollte ich mir rückwirkend auch Sorgen um mich machen ...

Meine Kindheit war, von Mama aus dem Kindergarten abgeholt zu werden und mit ihr zu singen "Drum links, zwei, drei! Drum links, zwei, drei! Wo dein Platz, Genosse, ist. Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil du auch ein Arbeiter bist." Dabei habe ich mir immer das Kinderspiel "Mein linker, linker Platz ist leer - ich wünsche mir die ... her!" vorgestellt. Meine Kindheit war Paternosterfahren in der Bezirksleitung, Mittagsschlaf auf Brechts Couch im Berliner Ensemble, mit Eddie Fischer in dessen Elefantenkostümbauten klettern. Meine Kindheit waren Pioniernachmittage, die es jeden Mittwoch gab, der deswegen auch hausaufgabenfrei war. Wir bastelten Fensterbilder, spielten Theater, hörten einem Vater zu, der aus seinem Betrieb und von Maschinenstraßen erzählte, oder besuchten unsere Patenbrigade, die Eisenbahner, durften da ihre Mützen aufsetzen und die Kelle schwingen.

Meine Kindheit waren Papas Geschichten: Einmal wurde er beim Wiedereinreisen nach einem Wochenendbesuch bei seiner Westberliner Tante Marianne vom DDR-Grenzer durchsucht. "Was haben Sie denn in der Tasche?" "Nur das Zentralorgan" (die Tageszeitung "Neues Deutschland"). Skeptischer Blick des Grenzers: "Aufmachen, bitte!" Der kippte aus den Latschen, denn über den Tisch ergoß sich eine Flut aus Zeitungsblättern - die Artikel unterstrichen und mit Randbemerkungen versehen. Habe ich schon erwähnt, daß mein Vater Lehrer an einer Parteischule war? Der Mehrwert ist nicht das gleiche wie Gewinn! wußte ich schon bei der Einschulung. Meine Kindheit war auch, mit befreundeten Familien in ein Dorf zu fahren, wo wir alle im Heu spielten und die Erwachsenen sich abends, bisweilen satirisch, mit SED-Geschehen auseinandersetzten. Ich habe nichts verstanden - aber alle lachten.

Dann kam der Sommer 1989, und man sprach von Ungarn, vom Visum, von der Mauer. 4. November 89. Ich durfte nicht mit auf die Demo am Alex, aber ich habe sie im Fernsehen verfolgt. Die Schauspieler, die ich aus Kinderfilmen kannte, standen vor dem Mikrophon und wirkten besorgt. Alle schienen besorgt. Ein paar Tage später fuhr ich, wie immer auf dem Weg zur Schule, am Grenzübergang Sonnenallee vorbei: Menschen warteten in Riesenschlangen. Worauf? Von der nächtlichen Grenzöffnung hatte ich noch nichts gehört. Und ich war nicht die einzige: Eine Freundin meiner Eltern erzählt die Geschichte, wie ihre ausredenbegabten Kinder am 9. November schon morgens von der Schule mit der Behauptung zurückkehrten, der Unterricht falle aus: "Keiner da. Die sind alle im Westen!" Na, da haben sie sich mal was einfallen lassen! Aber sie hatten recht.

Erst im Dezember fuhr meine Familie das erste Mal rüber "Wessis gucken". Wir besuchten auch Papas Tante Marianne, Onkel Horst und Onkel Fredi, die mit uns nach Spandau in ein Einkaufszentrum fuhren. Mein erster Bettler. Meine Eltern hatten also nicht gelogen, als sie uns von Menschen erzählten, die zu arm waren, in einem Haus zu schlafen und etwas zu essen zu kaufen. Auf dem Weg nach Hause schaffte es meine kleine Schwester, einen ganzen U-Bahn-Waggon zum Lachen zu bringen. 4jährig hangelte sie an der oberen Querstange und wollte partout nicht loslassen, als wir aussteigen mußten. Mein Vater versuchte es dann mit der Drohung: "Komm runter, bitte, sonst mußt Du im Westen bleiben!" Da brüllte sie los: "Neeeiiin, ich will nich im Westn bleeeiiim!"

Darauf folgten zehn Monate der Verwirrung: Die SED hieß nun PDS, der Runde Tisch war eckig (heute finde ich: auch im übertragenen Sinne), erst jetzt wurde mir klar, daß meine Eltern schon früher einiges an Honecker auszusetzen hatten. Ihr Freundeskreis veränderte sich über politische Ansichten. Nachbarn warfen uns anonym eine Karte in den Briefkasten mit dem Wort: Wendehälse! Was Blödsinn ist, weil meine Eltern sich nicht wenden ließen. Kurskorrekturen mußten sie vornehmen, nach langem Diskutieren und Neubewerten der Lage. Und vor allem versuchten sie, diesen herben Rückschlag auf dem Weg zu einer besseren Welt ohne Krieg und ohne Bettler zu verarbeiten.

Am 2. Oktober 1990 beklagte ich mich bei unserer Gruppenratsvorsitzenden (einer Art Klassensprecherin) über den Kapitalismus, der ab morgen auch bei uns alles ergrauen lassen würde. Ich war am nächsten Tag überrascht, wie hell die Sonne schien. Mit Indoktrination hat das nichts zu tun; eher mit der blühenden Phantasie eines Kindes. Kurzum: Auch ich hatte nun Sorgen. Meine Eltern wußten, sie würden demnächst ihre Arbeit verlieren. Parteischullehrer wurden nicht mehr gebraucht, Parteisekretärinnen am Theater auch nicht. Wegen der gängigen Meinung, Funktionäre seien indoktrinierte Betonköpfe gewesen, muß betont werden, was mein Vater - immer noch verliebt und stolz auf seine Frau - darüber sagt: Viele Mitarbeiter des Theaters, Techniker wie Schauspieler, sind noch heute meiner Mama freundschaftlich verbunden, eben weil sie nicht Parteilinie durchgedrückt hat, sondern eher so etwas wie eine sozialistische Seelsorgerin war, die sich um alle kümmerte.

Ich kann mich noch an die Hunderte von Plätzchen erinnern, die wir zu Hause einzeln verpackt haben, um sie allen Beteiligten einer Premiere zu schenken. So etwas wurde nun nicht mehr gebraucht. Meine Mutter, promovierte Philosophin, darf diesen Titel, sofern er einer wissenschaftlichen Laufbahn dient, nicht mehr benutzen, weil er von einer DDR-Uni vergeben wurde, und hat dann eine Zusatzqualifikation in Telekommunikation gemacht.

In meiner Erinnerung sind die meisten, die ich kannte, arbeitslos geworden. Manche haben in ihrer Verzweiflung über den Wertewandel, der in einer Nacht über sie hereinbrach, zum Alkohol gegriffen, einige sogar zum Strick. Denn sie hatten wirklich geglaubt, daß eine bessere Welt geschaffen werden könnte. Das sind Kindheitserinnerungen, meine Erinnerungen. Selektiv und keinesfalls allgemeingültig, aber auch real.

Nele Haas, Berlin

Raute

Wie das Bonner Auswärtige Amt mit den DDR-Diplomaten verfuhr

Zynismus pur

Im lange währenden Prozeß der "Abwicklung" von Funktionsträgern der DDR benutzten unsere Widersacher bei ihren Versuchen, "Rechtsstaatlichkeit" zu demonstrieren, die unterschiedlichsten Formulierungen. Während in vielen Fällen wie bei Manfred Liebscher (RF 154) vom "gegenseitigen Einvernehmen" und von "Personalabbau" die Rede war, zeigte man sich im Falle der Mitarbeiter des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten zunächst "diplomatischer", dann aber unverblümter.

Nach der Festlegung des "Tages der Deutschen Einheit" wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Ministeriums über die bevorstehende "Abwicklung" informiert. Mit gleichlautenden Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 27. September 1990 wurde ihnen freigestellt, sich für die Übernahme in dieses zu bewerben. Das alte Arbeitsverhältnis endete nach einem "Wartestand" mit Ablauf des 2. Juli 1991.

Schon nach dem Amtsantritt der Regierung de Maizière hatten die Mitarbeiter der Staatsorgane der DDR vor der Frage gestanden, was mit ihnen nach einer "Einheit" geschehen würde. Man war eigentlich frei von Illusionen, meinte aber andererseits, zumindest anfangs, daß man vom Westen aus die "neuen Bundesländer" nicht allein würde "regieren" können. Manche hatten Kohl und seinen Leuten nicht zugetraut, dann so unklug vorzugehen und es sich besonders mit vielen hochqualifizierten Ostdeutschen zu verderben. Äußerungen Willy Brandts und Richard von Weizsäckers, daß zusammenwachsen solle, was zusammengehöre, und daß sich auch die alte BRD verändern müsse, wirkten zunächst ermutigend. Warum sollte sich also für DDR-Diplomaten kein Platz im außenpolitischen Apparat der BRD finden?

Schließlich hatten sich ja zwei Staaten vereinigt. Als völkerrechtliche Voraussetzung dieses Vorgangs war am 12. September 1990 der "Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" (Zweiplus-Vier-Vertrag) unterzeichnet worden und am 15. März 1991 in Kraft getreten. Je mehr dann diese "Einheit" oder besser gesagt der "Anschluß" voranschritten, desto deutlicher stellte sich die Frage, ob zumindest zwei der Signatarstaaten, nämlich Großbritannien und Frankreich, bei der "Vereinigung" vorausschauend an ein solch radikales Überstülpen des Systems des einen deutschen Staates auf die Verhältnisse des anderen gedacht hatten. Für die Regierung der BRD gab es aber keine Skrupel, den Einigungsvertrag in sehr vielen Punkten ad acta zu legen und zu "ihrer" Tagesordnung überzugehen. Die Erklärung des damaligen Bundesjustizministers Klaus Kinkel vom 23. September 1991 vor dem Deutschen Richtertag spielte dabei eine herausragende Rolle: "Es muß gelingen, das SED-System zu delegitimieren." Zunächst war es nach außen noch nicht so deutlich gewesen, daß sich Außenminister Genscher als "radikaler Ausgrenzer" ("Neues Deutschland", 29. 12. 1998) erweisen würde. Er trat dann besonders vehement dafür ein, keinen DDR-Diplomaten zu behalten.

Auf Grund des Briefes des Auswärtigen Amtes hatte sich eine Reihe von ihnen für eine Übernahme beworben. Da es für mich mehr ein Grundsatzproblem als eine reale Hoffnung war (ich näherte mich der Vollendung meines 60. Lebensjahres), bewarb ich mich nicht, sondern stellte die Frage nach einer weiteren Verwendung (ein feiner Unterschied!). Ich wurde vor einen Auswahlausschuß unter der Regie des Leiters der Verwaltungs- und Abwicklungsstelle, Dr. Franz Bertele, geladen. Waren vier, fünf oder sechs Personen im früheren Arbeitszimmer des Außenministers Oskar Fischer versammelt? Ich weiß es nicht mehr. Aber die abschließende Äußerung Berteles nach dem Gespräch bleibt mir unvergessen: Wenn, dann würde man mich als Botschafter einstellen müssen, aber von den Herren im Auswärtigen Amt würde wohl niemand bereit sein, unter einem ehemaligen DDR-Botschafter zu arbeiten. Zynischer konnte sich Bertele wohl kaum ausdrücken.

Mit einem Routineschreiben vom 29. Juni 1992 wurde mir die Ablehnung mitgeteilt. Darin hieß es u. a.: "Es hat sich gezeigt, daß die Anforderungen an Mitarbeiter unseres Dienstes hinsichtlich fachlicher und regionaler Diversifikation, weltweiter Einsetzbarkeit und Sprachkenntnissen häufig ganz andere sind als im früheren MfAA der DDR."

Ja, eines stimmt: Im Auswärtigen Amt stellte man andere Anforderungen! Aber: Sie waren in sehr bedeutender Hinsicht niedriger als im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Die meisten Diplomaten der DDR verstanden im Unterschied zu denen westlicher Länder ihre Funktion keineswegs nur als "formal Ausführende". Sie fühlten sich auch nicht als "Beamte", sondern waren gehalten, die ihnen gestellten Aufgaben "schöpferisch" zu erfüllen und immer wieder Vorschläge zu unterbreiten. Eine der schärfsten Kritiken war, wenn jemand eines "beamtenhaften Verhaltens" bezichtigt wurde. Im Unterschied zur BRD hatte man bei uns (von Ausnahmen abgesehen) die gründlichere Regionalausbildung. Das führte dazu, daß Diplomaten der DDR im jeweiligen Diplomatischen Korps auf Grund ihrer Detailkenntnisse und guten Kontakte im Aufenthaltsland gefragte Gesprächspartner waren.

Und schließlich sprach die sehr unterschiedliche soziale Herkunft von Diplomaten beider deutscher Staaten für sich! Als sich vor 20 Jahren DDR-Diplomaten für das Auswärtige Amt bewarben, hegten sie vielleicht die unschuldige Hoffnung, daß man mehr als 20 Jahre nach der DDR-Herausgabe eines Braunbuches über Nazi-Verbrecher in Bonn ein von "Braunen" und Erinnerungen an sie gesäubertes Amt würde betreten können. Heute, kurze Zeit nach der auf Initiative Joseph Fischers erfolgten Herausgabe eines Dokumentenbandes, könnten frühere Kollegen von einem Schauder befallen werden und sagen: "Gut, daß man uns nicht genommen hat!" Und daß ehemalige DDR-Diplomaten außenpolitische Schritte wie z. B. den Afghanistankrieg mitgetragen hätten, ist wohl kaum anzunehmen.

Botschafter a. D. Günther Scharfenberg, Kühlungsborn

Raute

Dank an Bundesinnenminister de Maizière für polizeistaatliche Vorsorge

Brief aus Essen

Guten Tag,
Herr Innenminister de Maizière,

seit einigen Tagen wird in den Medien berichtet, daß Sie mich brauchen, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. "Ich möchte die Bevölkerung bitten, in ihrem Umfeld wachsam zu sein und alles, was Ihnen verdächtig erscheint, der Polizei zu melden", hieß es z. B. in der "Neuen Ruhrzeitung".

Natürlich will ich Ihrem Appell zur allgemeinen Denunziation sofort Folge leisten. Aber Sie werden sicherlich verstehen, daß ich meine sehr wichtigen und höchst sicherheitsrelevanten Beobachtungen Ihnen direkt mitteile, denn - wer weiß, wie stark der internationale Terrorismus bereits die deutschen Polizeistellen zersetzt hat.

Die Meldungen, daß die gesamte deutsche Polizei nach den Castor-Protesten für Tage, wenn nicht Wochen, quasi völlig außer Gefecht gesetzt wurde, weil die Beamten ohne den nötigen Verpflegungsnachschub die Demonstranten verprügeln und in Freilandkäfige stopfen mußten, spricht für sich.

Nun also zu meinen wichtigen Beobachtungen zum Thema "allgemeines Terrorverhindern": Es gibt da eine Organisation, die sich schönfärberisch "Bundesverteidigungsministerium" nennt und einerseits enge Kontakte zu den Medien unterhält, andererseits aber ihren wahren Charakter grandios zu verschleiern versteht. Denn in der Praxis verstößt sie täglich gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und dessen Verbot, Angriffskriege zu führen und somit Terror gegen die Zivilbevölkerung anderer Länder auszuüben.

Auch der Chef dieser Organisation kann namentlich benannt werden. Es handelt sich um einen Adligen namens Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester von und zu Guttenberg. Der Name allein spricht Bände. Das Perfide ist, daß dieser Chef-Militarist mittels seiner intimen Beziehungen zu den Medien von diesen geradezu als "Heilsbringer" angepriesen wird; manche schwärmen bereits von ihm als dem künftigen Kanzler.

Daß der suspekte Bajuware die bereits Anfang der 90er Jahre beschlossenen Bundeswehr-Richtlinien, nach denen bei Verknappung der Rohstoffe und angesichts der unverschämten Ambitionen der Länder des Trikont nach allgemeiner Teilhabe an den Ressourcen unseres Planeten gegen diese natürlich Krieg zu führen sei, nun zum gesellschaftlich akzeptierten Konsens zu erheben gewillt ist, mögen ihm manche hoch anrechnen. Da dies aber immer noch gegen das Grundgesetz (den Verfassungsersatz der BRD) verstößt, fordere ich Sie auf, alle Ihnen unterstellten Geheimdienste sofort darauf anzusetzen, diese ganz offensichtlich dem Terrorismus zugeneigte Person unter Voll-Observation zu stellen. Zumal - dies sei Ihnen ganz im Sinne der geforderten Denunziation und streng vertraulich mitgeteilt - das Ministerium dieses Mannes die politische Verantwortung für die Ermordung von 142 Menschen am 4. September 2009 im afghanischen Kundus trägt. Der unmittelbar dabei verantwortliche Obrist wurde durch ihn mit einer Beförderung belohnt. Von den USA - man denke an die Auslöschung des vietnamesischen Dorfes My Lai - lernen, heißt siegen lernen. Na, aber doch bitte nicht so offensichtlich! Selbstverständlich, und das dürfte auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein, wird der in anderen Ländern verübte Terror damit auch in dessen Ursprungsland geradezu eingeladen.

Und nun, Herr Innenminister, noch eine letzte Information, die aber wirklich fast alles bisher Gesagte in den Schatten stellt: Wie mir ein Nachbar kürzlich spät abends in der Eckkneipe "Zum wachen Auge" mitteilte, ist alles noch viel schlimmer: Der Mann aus dem Süden der Bundesrepublik handelt nicht etwa im eigenen Auftrag, sondern ist selbst nur ein Untergebener! Sein Boß soll eine ostdeutsche Frau (!) namens Angela Merkel sein. Es handelt sich bei ihr um eine vermeintliche Langzeitagentin der FDJ ("Schläferin"), die mit einem ungeheuren Machtapparat ausgestattet ist. Eine Lobby-Marionette aus der Uckermark, gilt sie ebenfalls nur als Befehlsempfängerin einflußreicher Konzernbosse. Mehr konnte ich dazu bisher nicht herausfinden.

Mit Konrad Adenauer sage ich Ihnen, Herr de Maizière: "Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande." So formulierte es der erste Kanzler in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag am 7. November 1962. Ich aber bleibe dran und werde auch weiterhin Ihrem Aufruf zur allgemeinen Denunziation engagiert Folge leisten.

Eine alte Erkenntnis der Arbeiterbewegung lautet: "Der größte Lump im ganzen Land - das ist und bleibt der Denunziant". Doch was scheren uns schon diese Moralbegriffe aus der "Unterschicht" - schließlich besteht so die Möglichkeit, endlich einmal der Macht nahe zu sein, wie uns schon Heinrich Manns strammdeutsche Romangestalt Diederich Heßling im "Untertan" lehrte.

Und wollen wir das nicht alle, Herr Bundesinnenminister?

Mit denunziatorischem Gruß

Heinz-W. Hammer, Essen


PS: Ihre jüngste Maßnahme, die allgemeine Terrorwarnung für die Bundesrepublik Deutschland vom 16. November 2010, war wirklich ein kluger Schachzug. Wenn sich schon die Bevölkerung trotz aller Propaganda unseres Adligen aus dem Süden partout nicht für deutsche Kriegsführung und Hurrapatriotismus gewinnen läßt, dann muß man eben mit dem Schüren von Angst und Schrecken ein bißchen nachhelfen. Das hat ja in den USA, Großbritannien und anderswo schon hervorragend geklappt. So etwas, hierzulande nicht ohne Tradition, läßt sich übrigens auch zum Abbau völlig überflüssiger Bürger- und Menschenrechte ausnutzen. Vom Recht auf Selbstbestimmung über Informationen bis zum absoluten Folterverbot eröffnet sich ein weites Feld. Und wie man hört, haben Sie auf einer Konferenz der Landesinnenminister ja bereits begonnen, das Verbot der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht aufs Korn zu nehmen.

Also - weiter so! Es wäre doch gelacht, wenn wir gemeinsam (Sie als oberster Vorgesetzter der Geheimdienste und ich als Ihr zuverlässiger Denunziant) es nicht schaffen würden, die tumbe Bevölkerung auf den richtigen Topf zu setzen.

Die Plazierung von Bombenattrappen auf internationalen Flughäfen war übrigens schon mal keine schlechte Idee. Auch das präzise Timing ist zu loben. Aber da läßt sich zweifellos noch viel mehr machen.

Die von Ihnen in Marsch gesetzten martialisch gerüsteten Polizeitrupps, die derzeit mit Maschinenpistolen im Anschlag die öffentlichen Straßen und Plätze heimsuchen, vermittelten schon mal die schöne Vision eines Polizeistaates. Das Volk muß ja allmählich an eine solche Möglichkeit gewöhnt werden.

PPS: Es ist sicherlich auch in Ihrem Sinne, wenn ich diesen Brief zugleich auch weiteren mit der Erzeugung allgemeiner Hysterie und eines Klimas flächendeckender Denunziation Befaßten zukommen lasse. Und vielleicht sind ja einige Zeitungen sogar geneigt, meine Hinweise und Anregungen zu veröffentlichen, um Sie, Herr Minister, damit in Ihrem nimmer enden wollenden Kampf gegen das allenthalben dräuende Böse tatkräftig zu unterstützen. Auf meine Kumpane vom Stammtisch im "Wachen Auge" können Sie auf jeden Fall zählen.


(Redaktionell bearbeitete und leicht gekürzte Fassung)

Raute

Kampfansage an das rückständigste Streikrecht Europas

Ein Land ohne Arbeitsgesetzbuch

"Das Streikrecht gehört als Grundrecht in das Grundgesetz." Diesem Thema widmet sich die AG "Arbeitsgesetzbuch", dessen Kodifizierung durch das Parlament längst überfällig ist. Im Mittelpunkt der Debatte steht dabei die Frage nach dem Recht auf politischen Streik.

Was macht dieses Thema eigentlich so brisant?

Die im Grundgesetz als Staatsgebot ganz allgemein formulierten Menschenrechte müssen endlich für alle Mitglieder der Gesellschaft auch rechtsverbindlich verankert werden. Im Artikel 9 (3) des Grundgesetzes der BRD heißt es: "Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12 (a), 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87 (1), Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden."

Artikel 9 des Grundgesetzes bedarf indes folgender Ergänzung: "Das Streikrecht ist gewährleistet. Es umfaßt auch das Recht zum politischen Streik." Leider fehlt jedoch dieser notwendige 4. Absatz. Diese "Lücke" darf so nicht weiterbestehen. Deshalb muß mit allen gewerkschaftlichen und parlamentarischen Mitteln für diese Ergänzung gekämpft werden. Ohne Zweifel ist das Verbot des politischen Streiks und des Demonstrationsstreiks in der BRD nicht mit dem europäischen Recht vereinbar, gewährt doch die für die Bundesrepublik verbindliche, weil von ihr ratifizierte Europäische Sozialcharta ausdrücklich die unbegrenzte Arbeitskampffreiheit. Die starke Einschränkung des Streikrechts steht auch in krassem Widerspruch zu den Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).

Das Grundgesetz schützt entgegen herrschender Rechtsmeinung aber durchaus den politischen Streik. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang vor allem darauf, daß sich das Streikrecht nicht nur auf die Arbeitsbedingungen reduzieren läßt, sondern ausdrücklich auch für die Wirtschaftsbedingungen besteht, die wiederum von politischen Entscheidungen bestimmt werden. Ferner sei darauf aufmerksam gemacht, daß das Verbot politischer Streiks letztlich durch Arbeitsgerichtsentscheidungen, also durch Richterrecht, vorgenommen wurde. Die dadurch herbeigeführte Illegalisierung des politischen Streiks wie auch des Sympathie- und des "wilden" Streiks führte dazu, daß in der BRD das wohl restriktivste Streikrecht Europas gilt, womit Grund- und Menschenrechte eklatant verletzt werden.

Manche Kampfaktionen gesellschaftlicher Gruppen und gewerkschaftlicher Zusammenschlüsse unterstreichen durchaus den Willen zu politischen Streiks und offenbaren das dafür erforderliche Potential. Das unterstreichen auch diesbezügliche Anträge der Fraktion der Linkspartei im Deutschen Bundestag. Oskar Lafontaine hat sich wiederholt in diesem Sinne prononciert geäußert. Solche Initiativen stellen indes noch immer Ausnahmen dar, denn bis heute bleibt die Tabuisierung politischer Streiks durch Parteien und Medien der BRD die vorherrschende Tendenz.

Der parlamentarische Widerstand ist zu gering, die enge Bindung des DGB an die SPD führt zur Lähmung gewerkschaftlicher Aktivitäten. Auch im Bundestag muß die Forderung nach dem Recht auf politischen Streik lauter werden.

Was ist zu tun?

Organisierter Widerstand gegen den große Teile der Bevölkerung treffenden oder bedrohenden Sozialabbau ist unerläßlich. Die Angriffe auf den Lebensstandard der Massen bedingen notwendigerweise kämpferische Auseinandersetzungen, die auch in Form politischer Streiks und außerhalb des Tarifrechts geführt werden müssen. Die Gewerkschaften dürfen nicht auf eines ihrer wichtigsten traditionellen Kampfmittel verzichten, sondern sollten im Gegenteil darauf zurückgreifen, um Protest und Widerstand zu organisieren. Deshalb muß die Erkenntnis ins gesellschaftliche Bewußtsein gehoben werden, daß politische Streiks nicht nur legitim sind, sondern als verbrieftes Recht auch gesetzlich wachgerufen werden müssen, um zur Stärkung der bürgerlichen Demokratie in der BRD beizutragen.

Dr. Steffen Hultsch, Arbeitsgemeinschaft Arbeitsgesetzbuch

Raute

Teure Gehirnwäsche

An die 20 Millionen Tageszeitungen werden in Deutschland täglich gekauft. 49 Millionen Menschen lesen sie. Darüber hinaus gibt es eine Menge weiterer Personen, die diese Zeitungen kostenlos in Wartezimmern, Cafés und Aushangkästen zur Kenntnis nehmen, ohne sie selbst erwerben zu müssen.

Wäre es da nicht gerecht, jedem Haushalt ein Abonnement aufzuzwingen, das er auch zu bezahlen hat? Inklusive "Bild-Zeitung"? Egal, ob er sie lesen möchte oder nicht? Das wäre doch in der Solidargemeinschaft richtig.

Ein schlechter Witz? Gewiß. Doch mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk macht man es uns vor. Ab 2013 sollen nicht mehr diejenigen Rundfunk- und Fernsehgebühren bezahlen, die ein Empfangsgerät zu Hause haben, sondern alle. Jeder Haushalt, ob Fernsehapparat-Besitzer oder nicht, hat dann eine "angemessene" Gebühr zu entrichten.

ARD-Vorsitzender Peter Boudgoust bestätigte schon im Juli 2010 in einem Interview mit der Gewerkschafts-Zeitung "M", daß es sich lediglich um eine versteckte zusätzliche Steuer handeln werde. Den unerträglichen Flachfunk mit von der Allgemeinheit finanzierten Bildungseinrichtungen zu vergleichen, wie Boudgoust es tut, ist indes eine Zumutung für die Intelligenz des Zuschauers - ganz abgesehen davon, daß mit Studiengebühren, Lernmittelkosten und Sponsoring die Aussage ohnehin nicht mehr stimmt.

Für Gehirnwäsche auch noch bezahlen? Keiner anderen Diktatur ist das bisher eingefallen. Und dennoch stimmen die oberen Etagen der Gewerkschaften dieser Abzocke vollmundig zu. Die öffentlich-rechtlichen Sender litten unter Finanzierungsproblemen, hört man aus der ver.di-Zentrale. Daher sei die "Reform" überfällig.

Abgesehen davon, daß es sicherlich nicht die Aufgabe der Gewerkschaften ist, sich um das pekuniäre Wohl sogenannter Arbeitgeber zu kümmern und abgesehen davon, daß die öffentlich-rechtlichen Sender schon seit Jahrzehnten nicht mehr ihren Auftrag zu unabhängiger Information erfüllen - wenn sie dies jemals taten -, so stellt sich doch zumindest die Frage: Warum bittet man nicht die beiden Großkirchen zur Kasse, die seit der Erfindung des Rundfunks reichlich kostenlose Sendezeit beanspruchen? Warum steckt der Staat nicht einen kleinen Teil der Milliarden zur Rettung verzockter Banken in das Medium, mit dem er Informationsfreiheit heuchelt? Wie wäre es mit der Finanzierung von Qualitätsfernsehen statt von Kriegen in Ex-Jugoslawien, Afghanistan und anderswo?

Solche kritischen Töne will man in der Berliner ver.di-Zentrale übrigens nicht hören. Ein diesbezüglicher Leserbrief an die zuständige Gewerkschaftszeitschrift "M" blieb ungedruckt und unbeantwortet.

Seit 1982 besitze ich ausschließlich Radiogeräte. Einen TV-Apparat habe ich auch als Journalist nie vermißt. Die neue Zwangssteuer bedeutet für mich und viele andere eine monatliche Abgabenerhöhung.

Hans Dölzer, Hirschberg

Unser Autor ist Freier Technik-Journalist und ver.di-Fachbereichs-Vorstandsmitglied Rhein-Neckar.

Raute

Mißvergnügliches aus dem Spreewald

An einem der letzten schönen Tage des vorjährigen Sommers machte ich mich mit meinen Eltern auf in den Spreewald. Wir freuten uns auf eine gemütliche Kahnfahrt. Doch es sollte anders kommen. Der Kahn hatte noch nicht richtig abgelegt, da begann unser Fährmann mit einem Loblied auf den zurückgekehrten Grafen, der seine Besitzungen wiederbekommen habe.

Man sei froh darüber, zumal er Arbeitsplätze geschaffen habe. So ging es weiter. Ich dachte: "Wo sind wir denn hier nur hingeraten?" Doch es kam noch "besser". Statt über Tradition und Natur zu berichten, stand nun die DDR im Mittelpunkt seiner Betrachtungen. So wurden die Fahrgäste über "Zwangskollektivierung" und "Enteignung" unterrichtet. Auch klagte er, daß die Fährleute zu DDR-Zeiten ihre Kähne zwar behalten durften, aber einer Genossenschaft beizutreten gezwungen waren.

Daß die Genossenschaft der Kahnfährleute auch heute noch besteht, erwähnte er allerdings nicht. Zu einer DDR-Schule für Rechnungswesen meinte er, "die Kommunisten" hätten trotz solcher Einrichtungen nicht rechnen können.

Überhaupt war "Kommunisten" wohl das von ihm am meisten benutzte Wort. Die HO, verschiedene Minister, Massenabfertigung bei Kahnfahrten und in Gaststätten - alle bekamen ihr Fett ab. Es verging keine Minute ohne einen Seitenhieb auf die DDR.

Die übrigen Fahrgäste, unter ihnen auch einige aus Schwaben, hörten sich alles geduldig und interessiert an, ja bekundeten sogar Zustimmung. Mit jedem Satz stieg mein Blutdruck. Sollen wir uns solchen Blödsinn die nächsten zwei Stunden etwa anhören?, dachte ich. Meine Eltern wurden ebenfalls unruhig. Für knapp 10 Euro pro Nase durften wir diese Geschichtsstunde "genießen". Statt gemütlicher Kahnfahrt in einer idyllischen Landschaft gab es Lügen am laufenden Band. Beim Ausspruch "diese Verbrecher" konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Ich drehte mich zu dem Mann um, und bat ihn, seine widerliche Hetze gegen die DDR zu unterlassen.

Was folgte, war ein kurzes Wortgefecht mit dem PR-Agenten des Grafen und einigen Fahrgästen. Unter ihnen befand sich niemand, der mir zustimmte. Das Gegenteil war der Fall. Besonders die mit schwäbischem Akzent ausgestatteten Herrschaften brachten ihre Empörung über meine Worte zum Ausdruck. Danach herrschte, abgesehen von einigen Sticheleien des Fährmannes ("Darüber darf ich ja nicht mehr reden ­..."), fortan Ruhe.

Nicht zuletzt durch solche Figuren und deren Lügenstories wird Menschen, welche die DDR nicht selbst erlebt haben, ein Zerrbild vermittelt.

Nächstes Mal werden wir den wunderschönen Spreewald wieder vom Paddelboot aus genießen.

Torsten Trentzsch, Meißen

Raute

Marxismus für Einsteiger - Bourgeoisie

Die Bourgeoisie ist die herrschende Klasse im Kapitalismus. Als Eigentümer der entscheidenden Produktionsmittel lebt sie von der Ausbeutung der Arbeiterklasse und anderer Teile der Gesellschaft. Im Kapitalismus der freien Konkurrenz anfangs revolutionär, hat sie mächtige Produktivkräfte und damit zugleich die Arbeiterklasse hervorgebracht und für bürgerliche Freiheiten, gegen Feudalismus und Reaktion gekämpft. Im Zeitalter des Imperialismus ist sie selbst zu einer reaktionären, historisch überlebten Klasse geworden, deren Interessen den Bedürfnissen der Menschheit entgegenstehen. In einigen ökonomisch unterentwickelten Regionen sind allerdings noch Reste ihrer früheren Potentiale zu erkennen.

Man darf Differenzierungen innerhalb der Bourgeoisie nicht übersehen, die Klein- und Mittelbourgeoisie nicht mit den Großkapitalisten in einen Topf werfen. Seit dem Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus dominiert das Finanzkapital. Dieser Teil der Bourgeoisie hat die Leitungsfunktionen in der materiellen Produktion fast vollständig abgegeben. Finanzkapital reduziert sich auf nackte Ausbeutung. Es trennt Kapitaleigentum und ursprüngliche Kapitalfunktion.

Großbourgeois sind Großaktionäre geworden, d. h., sie sind zumeist reine Parasiten. "Die Finanzaristokratie, in ihrer Erwerbsweise wie in ihren Genüssen", lesen wir bei Karl Marx, "ist nichts als die Wiedergeburt des Lumpenproletariats auf den Höhen der bürgerlichen Gesellschaft." (MEW, Bd. 7, S.15) Die Leitung der Produktion liegt heute überwiegend in den Händen von Managern, qualifizierten Angestellten der großen Kapitalisten. Diese in der Regel hochdotierten Leute werden allerdings häufig selbst Besitzer von Aktienpaketen und sind durch Lebensführung wie soziale Vernetzung fest an ihre Auftraggeber gebunden.

Um den Übergang zum Sozialismus zu verhindern, unterstützt die Großbourgeoisie überall auf der Welt die Konterrevolution. Sie hat raffinierte Systeme geistiger Manipulierung entwickelt und setzt - vor allem in Krisenzeiten - auf autoritäre Herrschaftsformen und letztlich auf Krieg. Die schlimmste Variante ihrer Macht ist der Faschismus. Ging es um die Abwehr der äußersten Reaktion, war es schon immer ein Fehler, zu verkennen, daß antiimperialistische und insbesondere antifaschistische Bündnisse durchaus auch mit Teilen der nichtmonopolistischen Bourgeoisie möglich und notwendig sind. Denn wirtschaftliche Krise und politische Instabilität gehen nicht nur Hand in Hand mit der Verschärfung der Ausbeutung, sondern stets auch mit systematischer Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie. Das trifft auch beträchtliche Teile der Bourgeoisie.

Die Betonung der unbestreitbaren Tatsache, daß die Klasseninteressen von Bourgeoisie und Proletariat objektiv unvereinbar (antagonistisch) sind, darf in der Bündnispolitik nicht zu schädlichen sektiererischen Schlußfolgerungen führen, die potentielle Verbündete aus dem bürgerlichen Lager in die Fänge der äußersten Reaktion treiben. Man muß dabei allerdings im Auge haben, daß es sich auf Grund ihrer Klassenlage um schwankende oder auch nur zeitweilige Verbündete handelt.

Heute hat sich der von Marx beschriebene gesetzmäßige Prozeß der Internationalisierung des Wirtschaftslebens und des gesamten gesellschaftlichen Geschehens bis auf jene Stufe gesteigert, die "Globalisierung" genannt wird. Wichtig ist zudem: Die von Lenin nachgewiesene ungleichmäßige ökonomische und politische Entwicklung des Monopolkapitalismus, von konkurrierenden imperialistischen Zentren, verläuft "sprunghaft" wie vor hundert Jahren. Deren Kampf um die Neuaufteilung der Welt wurde nach der Niederlage des Sozialismus in Europa keineswegs beendet oder durch Übereinkünfte gedämpft, wie es manche Zeitgenossen erträumen. Die Folgen sind absehbar. Es gilt, sie entschlossen einzudämmen.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Über äußere Faktoren, die den Sieg der Konterrevolution begünstigten

Kein Zimmer im "gesamteuropäischen Haus"

Die Systemauseinandersetzung und die Konfrontation der beiden Supermächte haben die DDR ständig belastet und ihre Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Zbigniew Brzezinski schrieb 1966 in seinem Buch "Alternative zur Teilung", eine vernünftige Politik müsse darauf abzielen, "die Beziehungen zu Osteuropa zu verbessern und dabei gleichzeitig Ostdeutschland zu isolieren ... Die Osteuropäer, insbesondere die Tschechen und die Polen, müssen davon überzeugt werden, daß die Existenz Ostdeutschlands ihre Freiheit einschränkt, ohne ihre Sicherheit zu stärken ... Gegenüber Ostdeutschland ist die Politik der Isolierung geboten."

In der Hamburger Zeitung "Die Welt" analysierte Hans Lades, Ordinarius an der Universität Erlangen, die Politik der Bundesregierung gegenüber der DDR und griff Brzezinskis Gedanken auf: "Die Tendenz der deutschen Politik ging nun dahin, den Ost- und Südosteuropäern, aber schließlich auch der Sowjetunion die Zone als letzten Hort des Stalinismus unansehnlich und reparaturbedürftig erscheinen zu lassen. Für diese Politik könnte man das Schlagwort Isolierung der DDR verwenden. Doch das genügt nicht ... Uns geht es jetzt darum, nach der Ignorierung und der Isolierung zu einer Politik der Präparierung der DDR überzugehen [...] Unsere Mittel sind: Rundfunk, Fernsehen, in geringerem Maße die Presse und alles, was man unter Kontakten versteht [...] Erreichbar ist auf diesen Ebenen: die Auflockerung dogmatischer Inhalte durch die Faszination westlicher Formen ..."

Der Kurswechsel der sowjetischen Politik wurde auf dem RGW-Gipfel 1986 in Sofia mit Gorbatschows These öffentlich, daß jede Partei für sich selbst verantwortlich sei. Ähnlich zweideutig wurde auch die Formulierung vom "gesamteuropäischen Haus" geprägt. Gorbatschow hatte bereits zuvor die Priorität der allgemeinmenschlichen Werte und Interessen gegenüber den Klasseninteressen verfochten.

Die USA erkannten darin die Aufhebung der "Breshnew-Doktrin" und reagierten 1989 mit einer neuen Europapolitik, deren Schlüssel die BRD war. Helmut Kohl wurde entsprechend informiert. Im März 1989 unterschrieb USA-Präsident George Bush sen. seine Direktive NSD-23, die vorsah, jetzt über die Eindämmung des sozialistischen Lagers hinauszugehen. Seine Administration sah eine Möglichkeit, mit der Einheit Deutschlands gegen den wachsenden Einfluß der Gorbatschow-Politik in Mittel- und Westeuropa anzutreten und auf dem Wege der Durchsetzung "gemeinsamer Werte" die Teilung des Kontinents zu überwinden. Die "Wiedervereinigung" Deutschlands und Berlins würde dafür ein klares Zeichen setzen.

Bei der Verwirklichung dieser Pläne spielten die elektronischen Medien die Hauptrolle. Anfang 1989 wurden die Nachrichten halbstündlich gesendet und mit der organisierten Massenflucht im Sommer über Ungarn erreichte der Krieg über den Äther seinen Höhepunkt. Durch die Sender wurde jetzt die relativ kleine und bis dahin recht einflußlose Gruppe von DDR-Gegnern aufgewertet und maßlos überhöht. Die Medien der DDR setzten dem kaum noch etwas entgegen - auch deshalb, weil sich die führenden Politiker ausschwiegen. Ab November schlug diese Zurückhaltung dann in das Gegenteil um. Jetzt wetteiferten Sender und Zeitungen der DDR mit denen der BRD um die tollsten "Enthüllungen". Sie taten das mit dem Ziel, der DDR moralisch den Rest zu geben. Da wurden die recht simplen Häuser der SED-Politbüromitglieder in Wandlitz zu Protzpalästen mit unglaublichem Komfort und Intershop-Waren zum erstrangigen Problem.

Trotz aller Vorbehalte der DDR-Staatsführung gegenüber Gorbatschow traute ihm wohl keiner zu, daß er die DDR so schmählich verraten würde. Armeegeneral a. D. Heinz Keßler schreibt hierzu in seinen Erinnerungen: "Bei einer Tagung in Moskau nahm mich Gorbatschow beiseite und sagte mir, dem Verteidigungsminister des eng befreundeten Landes, mit Nachdruck: 'Wir müssen alles tun, damit die DDR nicht angetastet wird, denn sonst gerät das ganze sozialistische Lager in Gefahr.' Das nahm mich für ihn ein, denn damit waren die Bedeutung wie die Verantwortung unserer Republik klar bezeichnet. Als Gorbatschow im Herbst 1988 auf der UNO-Vollversammlung jedoch seine weltweit beachtete Rede hielt und sagte, es gehe heutzutage bereits nicht mehr um Kapitalismus oder Sozialismus, sondern um die allgemeinmenschlichen Interessen, um Liberalismus und Demokratie der allgemeinsten Art - da verstärkte sich auch mein Widerspruch und ließ sich nicht wieder beruhigen, zumal gerade diese Rede in der ganzen Welt, am meisten aber in imperialistischen Staaten wie der BRD, besonders viel Lob erhielt. Mehr noch als die Rhetorik Gorbatschows ließ mich der Beifall aufhorchen und bestärkte mein Gefühl, Glasnost und Perestroika seien keine Alternative für uns."

Am 13. Juni 1989 hieß es in der gemeinsamen Erklärung nach dem Besuch Gorbatschows in der BRD, beide Seiten wollten zur Überwindung der Trennung in Europa beitragen.

Ziehen wir ein Resümee:

Die enge Verflechtung der DDR mit der UdSSR führte bei deren Talfahrt auch zum Untergang der DDR. Es waren nicht vorrangig ökonomische Gründe, die das bewirkten, sondern Führungsschwächen sowohl in der UdSSR als auch in der DDR und in den anderen sozialistischen Staaten Europas. Dabei wurden wichtige Lehren des Marxismus-Leninismus nicht beachtet. Dazu gehörten: die Lösung der Spitze von der Parteibasis, von den Werktätigen und anderen Schichten des Volkes; das Fehlen einer ständigen kritischen Analyse (politisch, ökonomisch, gesellschaftlich); die Vernachlässigung der sozialistischen Demokratie sowie die Unterbindung einer echten Diskussion über herangereifte Probleme und neue Vorhaben; die Geringschätzung des in der DDR vorhandenen gesellschaftswissenschaftlichen Potentials, das für die Weiterentwicklung sozialistischer Politik und Wirtschaft zur Verfügung gestanden hätte; die Unentschlossenheit und Konzeptionslosigkeit in der kritischsten Situation des Jahres 1989.

Es bleiben Fragen: Warum werden vorrangig ökonomische Gründe für das Scheitern der UdSSR angegeben? Das Land befand sich 1917 und 1945 in einer weitaus schwierigeren wirtschaftlichen Lage als 1990. KPdSU-Generalsekretär Juri Andropow ließ 1984 eine umfassende kritische Analyse der Situation anfertigen. Warum fand die Partei keine geeigneten Führungskader, die auf dieser Grundlage eine Wende hätten einleiten können?

Trotz der bereits angeführten Gründe ist die Hilflosigkeit der SED und ihrer Führer beim Untergang der DDR schwer nachzuvollziehen. Gab es denn keine ausreichenden Erfahrungen im Klassenkampf? Hatte man aus den Ereignissen in der CSSR, in Ungarn und in Polen nichts gelernt?

Horst Neumann, Bad Kleinen

Raute

Die demokratische Bodenreform entsprach dem Geist des Potsdamer Abkommens

Fürst von Hardenberg lehnte ab

Die unaufhörlichen Angriffe auf die Agrarpolitik in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und dann der DDR nehmen kein Ende. Der rabiate und rechthaberische Ton der "Kritiker" läßt jede Sachlichkeit vermissen.

65 Jahre nach Verkündung der Bodenreform durch Wilhelm Pieck in Kyritz veranstaltete die der Linkspartei nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung dort eine "Gedenkdiskussion", an der auch Vertreter des christlich-konservativen Bauernvereins teilnahmen. In der Debatte hielten sie natürlich dagegen. Einerseits gaben sie sich als Anhänger der unvollkommenen und begrenzten Befreiungsreform von Stein-Hardenberg aus, wobei sie sich für die Interessen der Junker und anderer Großgrundbesitzer verwandten, andererseits traten sie als vermeintliche Anwälte der Klein- und Zwergbauern, der Landlosen und Umsiedler auf, die aus dem Bodenreform-Fonds einige Hektar erhalten hätten, welche ihnen dann durch die "Zwangskollektivierung" wieder entrissen worden seien.

Klagen über die demokratische Umgestaltung des Dorfes in der unmittelbaren Nachkriegszeit vermischten sich mit Beschwerden über die Schaffung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Das ist verständlich, denn deren Weg festigte die neuen Besitz- und Eigentumsverhältnisse im Dorf. Dadurch ließ sich der zweifellos schwere Anfang nach 1945 und in den Folgejahren besser meistern. Der Verlauf der Bodenreform und die erfolgreiche LPG-Entwicklung widerlegten die unglaubwürdigen Argumente ihrer Gegner.

Die nach 1918 unangetastet gebliebene Macht des Adels, der Junker und anderer Grundherren wurde im Potsdamer Abkommen ausdrücklich als eine wesentliche Ursache für das Aufkommen des deutschen Faschismus gebrandmarkt. Zu dieser Erkenntnis gelangten auch zwei Antifaschisten, die gemeinsam in der Hölle von Sachsenhausen geschmachtet hatten und später öffentlich miteinander debattierten: Fürst von Hardenberg und der Kommunist Fritz Perlitz. Beiden war trotz ihrer konträren sozialen Herkunft bewußt, daß die Nazipartei die alten Strukturen auf dem Lande für ihre verbrecherischen Zwecke ausnutzen konnte. Herr von Hardenberg sprang dabei natürlich nicht über seinen Schatten. Er erkannte, aus welchen Gründen auch immer, die vom Potsdamer Abkommen in diesem Zusammenhang angestrebten Ziele auf Grund seiner Klassenposition nicht an. Dabei ging es den Signataren dieser völkerrechtlichen Übereinkunft nicht nur um eine bloße Feststellung, sondern um die Durchsetzung eines konkreten internationalen Auftrags zur konsequenten Zerschlagung der monarchistisch-großbürgerlichen Eigentumsverhältnisse in der deutschen Landwirtschaft. Diese konnte nur durch eine tiefgreifende Bodenreform erfolgen, wie sie 1945/46 im Osten durchgeführt wurde. Fritz Perlitz setzte sich damals im Brandenburgischen dafür ein.

Die UdSSR hat den historischen Bedingungen und der ursprünglichen Einschätzung aller Alliierten der Antihitlerkoalition Rechnung getragen. Als einzige Siegermacht sorgte sie in ihrem Besatzungsgebiet für Bedingungen zur Einleitung einer Bodenreform bei entschädigungsloser Enteignung der Gutsbesitzer und Naziaktivisten. Die durchschnittliche Größe der dabei erfaßten Betriebe lag bei 300 Hektar land- und forstwirtschaftlich genutzter Fläche.

Nach der Konterrevolution im Osten Deutschlands entstanden wieder etliche alte und neue Betriebe dieser Größenordnung. Einige gehen weit darüber hinaus. Besonders billiger Bodenerwerb und günstige Pachtverhältnisse sowie unterbezahlte Hilfskräfte machen das möglich, wobei häufig weniger als früher geerntet wird oder sich das gesamte Produktionsvolumen auf Monokulturen gründet.

Indes hat sich die nach 1945 von Gegnern gehegte Hoffnung, die kleineren Alt- und die Neubauern würden weder als Einzellandwirte noch als Genossenschaftsmitglieder zurechtkommen, nicht erfüllt.

Seit den 60er Jahren sahen sich westdeutsche Bauernkongresse veranlaßt, Informationen zum Leistungsvergleich herauszugeben, wobei die ausgewiesene Pro-Kopf-Versorgung aus Eigenproduktion angesichts zunehmender Nahrungsmittelimporte schwer zu ermitteln war. Die fast tägliche Lieferung von Milch, Eiern und Geflügel sowie - saisonbedingt - Obst aus der brandenburgischen Streusandbüchse nach Westberlin erfolgte z. B. ohne jegliche Herkunftsangabe. Hinzu kamen die währungsspekulativen Einkäufe der Westberliner Bevölkerung im Osten bis 1961.

Die neuen Eigentumsverhältnisse nach der Bodenreform und der sozialistischen Umgestaltung hatten sich mittlerweile so stabilisiert, daß sich der damalige BRD-Bauernverbandspräsident Freiherr von Heeremann nun um Kontakte mit der ursprünglich streng gemiedenen Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) in der DDR bemühte. Er vertrat hier natürlich die Interessen der Großagrarier des Westens, zollte aber als Kenner der Materie den Leistungen der DDR auf landwirtschaftlichem Gebiet jovialen Respekt. Dem lebenserfahrenen Adelsmann waren die Erfolge der gesellschaftlichen Umgestaltung in den Dörfern natürlich nicht entgangen. Das veranlaßte ihn zunehmend, sich für die perspektivische Entwicklung im Osten zu interessieren, welche sich auf der Grundlage des durch die Bodenreform und die LPG Geschaffenen vollzog. So wurde der bereits erwähnte Tagesvergleich ökonomischer Leistungen in West und Ost de facto zu einem Wettstreit der Systeme.

In der DDR begann in den 70er und 80er Jahren ein Prozeß des Übergangs zu industrieähnlichem Wirtschaften auf dem Agrarsektor. Die neuen Produktionsverhältnisse brachten auch neue Erzeugungsmethoden hervor, welche zur Verbindung mehrerer LPG miteinander führten. Dieser Weg erfolgte über Kooperationen. Eine solche Großflächenbewirtschaftung gestattete eine wesentlich bessere Auslastung der modernen Technik, die gezielte Übertragung der besten Erfahrungen aus Theorie und Praxis sowie das schrittweise Anvisieren stadtähnlicher Arbeits- und Lebensbedingungen.

Während im Westen die mit der Macht verquickten agrarischen Großbetriebe weiterhin bemüht sind, die noch verbliebenen Einzelbauern niederzukonkurrieren sowie ihre eigenen Beziehungen zur Verarbeitungsindustrie und zum Großhandel noch stärker auszubauen, um am Aufschwung der Konzerne teilzuhaben, wurde in der DDR der moderne und zugleich humane Weg unter Einbeziehung aller Bauern und ihrer Genossenschaften beschritten. Das geschah bei festen Preisen und gesichertem Absatz. Bedauerlicherweise wurde dieser Weg nach 1990 abrupt versperrt.

Zusammenfassend sei gesagt: Die demokratische Bodenreform war eine historisch längst überfällige Aufgabe, die - bei konsequenter Verwirklichung des Potsdamer Abkommens - in ganz Deutschland hätte gelöst werden müssen. Sie und die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft haben ihre Bedeutung keineswegs verloren. Ihre geschichtliche Mission bleibt perspektivisch auf der Tagesordnung. Die Linkspartei und deren Partner sollten diese Position keineswegs kampflos aufgeben.

Hans Nieswand, Potsdam

Unser Autor war Landwirtschaftssekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam.

Raute

Als ich zu den LPG-Geburtshelfern in Mecklenburg gehörte

Neuland unterm Pflug

Über die sozialistische Umgestaltung auf dem Lande, wie dieser Prozeß genannt wurde, gibt es viele wahre Geschichten und manche Legenden. Nicht wenigen geht es wie Karl May: Sie wissen über alles Bescheid, sind aber nie dabeigewesen. Anders verhält es sich bei Dr. Manfred Graichen, mit dessen Beitrag im RF 153 ich völlig übereinstimme. Der frühere LPG-Vorsitzende beschreibt dort handfeste Tatsachen, die sich selbst durch die dicksten Lügen und verleumderischsten Erfindungen unserer Gegner nicht widerlegen lassen.

Wenn damals "Tausende Bauernfamilien großes Unrecht erlitten" hätten und "mit Repressalien und Schauprozessen zur Aufgabe ihrer Höfe gezwungen" worden wären, dann muß ich in einem völlig anderen Land gelebt haben. Seit 1954 war ich in verschiedenen Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) tätig, deren Aufgabe nicht zuletzt darin bestand, sowohl auf den Äckern als auch in den Köpfen der Kleinund Mittelbauern "zu pflügen", um den gesellschaftlichen Prozeß vom Ich zum Wir voranzubringen.

Ich habe an Ort und Stelle diese tiefgreifende Umwälzung der Eigentumsverhältnisse in den Dörfern nicht nur erlebt, sondern sie als aktiver Mitgestalter begleitet. Wer von Zwangskollektivierung spricht, der redet wider besseres Wissen. Er plappert Vorgestanztes nach oder lügt mit Absicht. Die Umgestaltung der DDR-Landwirtschaft war ein durch und durch demokratischer Prozeß. Nichts geschah hinter verschlossenen Türen, alles war öffentlich und jederzeit zu hinterfragen. Und was wohl am wichtigsten gewesen ist: Der Wandel wurde, wenn auch in unterschiedlichem Grade und bisweilen zeitverzögert, von den Bauern angenommen.

Ich erinnere mich an eine Dorfversammlung, auf der es besonders hoch herging und sogar ein heftiger Streit entbrannte. Während sich immer mehr Anwesende für die LPG aussprachen, redeten andere heftig dagegen. Unter Anspielung auf eine Romangestalt in Scholochows "Neuland unterm Pflug" ließ der anwesende Sekretär der SED-Kreisleitung beim Öffnen seiner Jacke eine Pistole sehen, die er nach den Juni-Ereignissen 1953 zu seinem persönlichen Schutz erhalten hatte. Bei diesem Anblick forderte er die Bauern dazu auf, ihre Unterschrift zu leisten. Natürlich kam es zu einem Eklat. Die Versammlung war geschmissen und unsere mühevolle Kleinarbeit kurz vor dem Ziel zunichte gemacht worden. Diese üble Geschichte löste bei manchem geradezu Entsetzen aus, eine Zwangskollektivierung hat sie jedoch auf keinen Fall bewirkt. Im Gegenteil: Jene Bauern des Dorfes und der näheren Umgebung, die schon ihre Bereitschaft zum Eintritt in die LPG signalisiert hatten, wandten sich von uns ab. So kostete es viel Kraft und Zeit, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und erneute Gesprächsbereitschaft zu finden.

Rückblickend auf diese Zeit möchte ich sogar behaupten: Die Partei war später nie mehr so direkt mit den Bürgern der DDR - in diesem Fall den Bauern und Landarbeitern - im Gespräch wie während der 50er Jahre. Damals durchlebten wir eine Periode des gesellschaftlichen Aufbruchs. Kaum ein Tag verging, an dem nicht in öffentlichen Versammlungen häufig bis spät in die Nacht über das Für und Wider sozialistischer Großraumbewirtschaftung gestritten wurde. Dabei halfen uns besonders jene Bauern mit ihren Erfahrungen, welche sich bereits öffentlich zu einem Eintritt in die LPG durchgerungen hatten. Auch unsere Dorfzeitung, in der wir gute Erfahrungen verallgemeinerten, entwickelte sich damals zu einem kollektiven Organisator im kleinen.

Immer häufiger trafen wir uns mit jenen Bauern, die zwar ihr Interesse am genossenschaftlichen Weg bekundet hatten, sich aber scheuten, in großen Versammlungen ihren Beitritt zur LPG zu erklären. Sie bildeten Gründungskomitees und suchten sich jene, mit welchen sie zusammengehen wollten, selbst aus. Den Protokollen waren stets die Aufnahmeanträge derer beigefügt, die sich entschieden hatten. Wir legten Wert darauf, daß sich erfolgreiche und im Dorf anerkannte Bauern an die Spitze der Komitees stellten. Das LPG-Referat beim Rat des Kreises hatte damals alle Hände voll zu tun, die Registrierung vorzunehmen und den Genossenschaften die entsprechende Rechtsform zu geben. Alle sollten außer einem Statut auch einen Namen haben. Dabei trug sich manche Kuriosität zu.

Natürlich fehlte es nicht an Konflikten und Widerstand gegen die sich rasch vollziehenden Veränderungen. In den Neu- und Kleinbauern-Dörfern, wo das Eigentum an Boden und Vieh weniger fest ausgeprägt war, kam man in der Regel schneller zur Sache. Reiche Mittelbauern brauchten viel Zeit. Sie schilderten mir oft, wie schwer es ihnen falle, ihren Besitz "so einfach herzugeben". Angesichts der anfänglichen Wirtschaftsschwäche mancher Genossenschaften befürchteten nicht wenige, ihr jahrelanger Bauernfleiß sei nun umsonst gewesen.

Zunehmend forderten Großbauern, deren Kinder das Dorf verließen, um in die Stadt oder zum Studium zu gehen, die MTS sollten auch ihre Äcker bewirtschaften. Dazu reichten die Kapazitäten einerseits nicht aus, andererseits war es auch untersagt. So kam es vor, daß sich Traktoristen schmieren ließen, was wiederum neuen Konfliktstoff schuf.

In all diese Auseinandersetzungen mischten sich die westlichen Rundfunksender massiv ein. Es regnete ständig Flugblätter. Eine besonders miese Rolle spielte bei all dem der RIAS. Er schürte Unruhe und säte Zweifel unter der Dorfbevölkerung. Viele Groß- und Mittelbauern erlagen den Verlockungen der westlichen Propaganda. Die Namen der "Abgehauenen" wurden nicht selten unter konkreter Ortsangabe über den Äther bekanntgegeben. Die Republikflüchtigen verschwanden bei Nacht und Nebel. Sie überließen Haus, Hof und Vieh ihrem Schicksal. Abschiedsbriefe für Verwandte oder Freunde berichteten dann bisweilen von einer angeblich kurz bevorstehenden Festnahme durch das MfS.

Als wenig hilfreich im Dialog mit den Bauern erwies sich die von Sektierern praktizierte Methode "Alles oder nichts!" Ihr entsprachen solche Parolen wie "Wer für den Frieden ist, wird Mitglied der LPG." Der Umkehrschluß mußte die Menschen gegen uns aufbringen, denn auch die Großbauern waren ja nicht für den Krieg. Solche hier und dort angewandten Druckmittel wie die per Lautsprecher erfolgende Aufforderung an einzelne Bauern, endlich in die Genossenschaft einzutreten, waren nicht typisch und erwiesen sich lediglich als Wasser auf die Mühlen unserer Gegner. Am Ende siegten bei den meisten die Vernunft und die Einsicht in den Zwang ökonomischer Gesetze.

Dabei war nicht zu übersehen, daß auf der anderen Seite der Elbe unter umgekehrten Vorzeichen ein ähnlicher Zwang zur Großraumwirtschaft herrschte. Dort führte er allerdings zu massenhaftem Bauernlegen. Während in der DDR das Eigentum und die bäuerliche Existenz innerhalb der LPG gewährleistet blieben, führte der erbitterte Konkurrenzkampf Westdeutschlands Kleinbauern in den Ruin. Die sozialistische Landwirtschaft erwies sich zeit ihres Bestehens als stabil. Je leistungsfähiger sie wurde, um so mehr mißbrauchten sie allerdings bestimmte Führungskräfte als Exporteur weit unter dem Wert verkaufter Nahrungsmittel in den Westen Deutschlands.

Waldemar Arndt, Vellahn

Unser Autor war 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Hagenow.

Raute

Dorniger Sozialabbau

wegen Behandlung von Gürtelrose
Gürtel enger schnallen müssen
bei Neurose-Therapie
finanziell alt aussehen
undank Rösler

Jürgen Riedel, Minden

Raute

Bad Blankenburg: Empörung einer PDL-Basisgruppe über die Schmährede der Landtagsabgeordneten Katharina König

Post an Bodo Ramelow

Der "offene Brief" unserer Bad Blankenburger Basisgruppe "Montagstreff", der im parteiinternen Mitteilungsblatt "Anstoß" zur Rede der Abgeordneten Katharina König im Thüringer Landtag veröffentlicht wurde, hat große Aufmerksamkeit hervorgerufen. Die Art und Weise, wie darauf reagiert wurde, erscheint uns absurd und selbstzerstörerisch.

Schon im ersten Abschnitt Deiner Antwort an die Basisgruppe versuchst Du, werter Genosse Ramelow, Dich von uns zu distanzieren, indem Du Dein Befremden ausdrückst. Das ist für uns nicht nachvollziehbar. Wir reagierten lediglich auf die Rede Katharina Königs, die vor dem Landtag erklärt hatte, in ihren Augen sei die DDR ein Unrechtsstaat gewesen. Du hebst ausdrücklich hervor, daß die Meinungsfreiheit "ein hohes Gut" sei. Warum kritisierst Du uns, wenn wir davon Gebrauch machen, stellst Dich aber schützend vor eine Abgeordnete, die historische Wahrheiten öffentlich leugnete und sie durch Einschätzungen unserer politischen Gegner bzw. "eigene Erfahrungen" ersetzte?

Mit Deinem Freispruch für Katharina König bist Du großzügiger als der Papst, der zumindest Beichte, Buße oder Ablaßkauf wegen begangener Sünden verlangt.

Gibt es für Meinungsfreiheit nicht auch Grenzen? Sind wir als demokratische Sozialisten, die im Hier und Heute die Lebensbedingungen aller benachteiligten Bürger verändern wollen, nicht in besonderem Maße der historischen Wahrheit verpflichtet? In keinem Dokument der PDS oder der Linkspartei zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR findet man den Kampfbegriff "Unrechtsstaat DDR".

Es ist doch ein Unterschied, ob jemand am Stammtisch eine Meinung äußert oder ob eine Landtagsabgeordnete und Interessenvertreterin einer Partei vor großem Publikum eine öffentliche Rede hält. In der Politik kommt es immer auf die Wirkung an. Wer das nicht sieht, macht die Linkspartei zu einer Partei der Beliebigkeit und zu einem zahnlosen Tiger, über den unsere politischen Gegner nur schadenfroh lachen werden, um ungehindert ihre volksfeindliche Politik fortzusetzen.

Was unterscheidet uns denn noch von den Regierungsparteien, wenn wir die gleichen Begriffe verwenden und gleiche Auffassungen wie sie zu einem wichtigen Problem vertreten? Warum scheut Ihr eine offene und vorurteilsfreie Auseinandersetzung zu einem Thema, das Millionen Ostdeutsche bedrückt, deren Biographien beschädigt und sie als Bürger zweiter Klasse diffamiert? Ist es nicht dringend geboten, die Halbwahrheiten und Entstellungen zur jüngsten deutschen Geschichte als Lügen der Sieger auf Zeit zu entlarven? Muß sich nicht jedes Mitglied unserer Partei gegen die ständige Schönfärberei in bezug auf bundesdeutsche Geschichte und Gegenwart sowie gegen die unablässige Kriminalisierung der DDR und ihrer Bürger, gegen die seit 20 Jahren andauernde soziale und politische Benachteiligung wehren? Brauchen wir nicht endlich einen streitbaren, vorwärtsgewandten und trotzig enthüllenden linken Journalismus, wie ihn August Bebel, die Liebknechts, Egon Erwin Kisch, Gerhart Eisler und viele andere unerschrocken demonstriert haben?

Warum gestattest Du einer Abgeordneten unserer Landtagsfraktion, die DDR als Unrechtsstaat zu verunglimpfen, obwohl es in ihr Errungenschaften gab, die uns 1989/90 verlorengingen und seitdem in Gesamtdeutschland erst wieder erstritten werden müssen?

Inzwischen ist ein unerträgliches politisches Klima entstanden, das wir zur Wahrung unserer Identität nicht mehr hinnehmen dürfen: Wer an DDR-Errungenschaften erinnert, wird vorgeführt und verdächtigt, ein Feind der freiheitlich-demokratischen Ordnung zu sein - wie sogar Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Sellering (SPD). Man versucht Personen, die kritische Äußerungen wagen, zum Schweigen zu bringen. Freie Hand und Unterstützung erhalten hingegen all jene, die Halb- oder Unwahrheiten über die DDR, die "SED-Diktatur", den "Stasi-Terror" und die "marode Wirtschaft" verbreiten. Mücken werden dabei zu gefährlichen Monstern aufgeblasen, regelmäßig wird eine Sau durchs Dorf getrieben, um die Bürger abzulenken und es gekauften Subjekten zu ermöglichen, ungestört Verwirrung zu stiften und neue Brandherde zu legen.

Der Antikommunismus wurde in der BRD zur Staatsreligion. Wohin wird uns das führen? Es fehlt nur noch, daß unser Blankenburger Fähnlein aufrechter Antifaschisten vom Verfassungsschutz zu "schlafenden Terroristen" erklärt wird. Diese gefährliche Ideologie, die Thomas Mann vor über 70 Jahren als "Grundtorheit des 20. Jahrhunderts" bezeichnete, hat inzwischen auch in der Linkspartei ihre Fürsprecher gefunden. Statt auf Stärkung und Geschlossenheit unserer Partei zu setzen, erzeugen solche verleumderischen und haltlosen Unterstellungen vor allem Mißtrauen und Zwietracht. Sie bewirken die Spaltung und Lähmung der Kampfkraft der Linken. Machen wir endlich Schluß mit dieser erbärmlichen, gefährlichen, alle Vernunft zerstörenden antikommunistischen und demagogischen Unkultur im Meinungsstreit!

Werter Genosse Ramelow! Wie Du inzwischen sicher erkannt haben wirst, sind wir Blankenburger Briefschreiber nicht auf der Wurstsuppe dahergeschwommen. Wir gehören zur Generation mit Erlebnissen und Erfahrungen aus vier deutschen Staaten. Die Genossen der Basisgruppe "Montagstreff" sind aber kritisch, weltoffen und Lernende geblieben. Ihr solltet unsere Erfahrungen nicht mit Füßen treten! Leider sind die Sozialismus-Bemühungen in Europa aus unterschiedlichen Gründen gescheitert, aber es gibt sie noch in anderen Teilen der Welt, darunter auch in China. Das verspricht Hoffnung auf eine globale Veränderung und Überwindung des kapitalistischen Systems, das alles Leben auf unserem Planeten bedroht und zu zerstören vermag.

Harry Kultermann, Bad Blankenburg

(Redaktionell leicht bearbeitet)

Raute

Prickelndes

Unter der Überschrift "Ich war wie befreit" berichtete die CDU-nahe Gazette "Thüringer Allgemeine" in ihrer Schmuddel-Serie "Meine Wende" darüber, wie die Europa-Abgeordnete Gabi Zimmer vor 20 Jahren von kommunistischer Drangsalierung erlöst wurde. Die mittlerweile 55jährige war damals Dolmetscherin im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl, während ihr Mann, den sie dem Blatt gegenüber als "Nachrichteningenieur mit Offiziersausbildung" vorstellte, bei der Suhler Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit gearbeitet haben soll. 1981 in die SED eingetreten, gehörte Gabi Zimmer von 1987 bis 1989 - offenbar gegen ihren Willen - der Parteileitung des Betriebes an.

1990 wurde die Vertikalaufsteigerin zunächst PDS-Bezirksvorsitzende in Suhl, dann Thüringer Landesvorsitzende. Im Jahr 2000 brachte sie es bei beliebig austauschbarer Gesinnung sogar zur PDS-Bundesvorsitzenden. 2004 schob man sie nach Strasbourg ab. Über ihr schönstes Erlebnis sagte die anpassungsfähige Dame der "Thüringer Allgemeinen": "Dann endlich, im September 1989, passierte etwas. Ich hatte keine Angst. Im Gegenteil, ich atmete auf; ich war wie befreit, empfand die Veränderungen als spannend und prickelnd. Die Wende war unvermeidlich - und ein Glücksfall."

Dieser wäre ihr ohne weiteres zu bestätigen. Denn hätte es eine Person mit solchen menschlich-moralischen und politischen Qualitäten ohne den Sieg der Konterrevolution jemals so weit bringen können?    RF

Raute

Wie der MDR Werk und Wirken Manfred von Ardennes in den Schmutz zog

Giftige Pfeile auf den "roten Baron"

Am 10. Oktober 2010 strahlte der MDR erstmals die Filmdokumentation "Der wendige Baron" aus. Im Anschluß daran fand ein Chat statt. Die Sendung wurde fünf Tage später wiederholt. Autor und Regisseur ist André Meier, der sich in diesem Genre schon "bewährt" hatte.

Nun feuerte er seine giftigen Pfeile auf Manfred von Ardenne, den "roten Baron", ab. Der 1907 Geborene und 1997 Verstorbene gehörte zu den namhaftesten und erfolgreichsten Wissenschaftlern in der DDR - eine Tatsache, die ihm von eingefleischten Antikommunisten jenseits der Elbe nie verziehen wurde. Ardenne hatte nach seinem Wirken in der Sowjetunion in freier Entscheidung Elbflorenz als künftigen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt gewählt. Er hat seinen Schritt auch öffentlich begründet. Dresden zog großen Gewinn aus der Arbeit Ardennes. Neben vielen Auszeichnungen besaß er auch die Ehrenbürgerschaft der Stadt, zu deren geachtetsten und einflußreichsten Persönlichkeiten er bis 1989 zählte.

Der Angriff auf die Würde Manfred von Ardennes kam nicht von ungefähr. Er ist Teil der Verleumdung der DDR und aller, die sie geschaffen, getragen und verteidigt haben. Günter Morsch, ein "Gedenkstätten"-Leiter, bezeichnet den makabren Vorgang als den Einsatz der "Geschichte als Waffe".

Darüber, ob "Die Frau vom Checkpoint Charly", eine Haßpredigt Joachim Gaucks oder eine beliebige andere Gelegenheit zur Verteufelung der DDR ausgewählt wird, entscheiden die Dirigenten der Kampagne in den staatlich gelenkten Leitinstitutionen. Da bleibt kaum Raum für begründetes Andersdenken. Schlammschlacht-Experten sollen dem Volk ein "antitotalitäres" Geschichtsbild aufzwingen. Dafür gibt es spezielle Behörden: vom "Hause" Birthler über das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung bis zum MDR.

Gegen deren Agieren ist entschiedener Widerstand angesagt, auch wenn sich die Drahtzieher ausschweigen. So wurde mein Protestbrief vom 15. Oktober an den Intendanten des MDR bis heute nicht beantwortet. Die Brüder Dr. Alexander und Dr. Thomas von Ardenne wandten sich einen Tag früher an den Rundfunkrat des MDR und verwahrten sich gegen die "einseitige, negative und zum Teil unwahre Darstellung" ihres Vaters, was seiner Verächtlichmachung gleichkomme: "Die Saxonia-Filmproduktion beschädigt ungerechtfertigt den Stolz unserer Mitarbeiter und den Namen unseres Vaters", schrieben sie und verwiesen auf dessen akademische Leistungen: 32 Monographien, vier populärwissenschaftliche Bücher, eine Autobiographie in 14, teilweise überarbeiteten Auflagen, ca. 700 Artikel und Aufsätze, rund 600 Patente. Von alledem sagt der Film kein Wort. Ardennes Werk und Wirken werden als Beitrag für die Stärkung von "Diktaturen" und Zeichen von Geldgier abgetan.

Beim Chat am 10. Oktober wollte Uta von Meier wissen: "Warum wurde nicht näher auf die Forschungsergebnisse für die DDR-Wirtschaft eingegangen?" Dessen lächerliche Antwort: "Aus Zeitgründen." Die Idee, Manfred von Ardennes Biographie für Zwecke der Totalitarismus-Doktrin und den "Diktaturenvergleich" zu mißbrauchen, ist im Hannah-Arendt-Institut ausgebrütet worden. Dessen "Forschungsprojekt" wurde von Gerhard Barkleit aufgegriffen, der 2007 das Buch "Manfred von Ardenne: Selbstverwirklichung in drei Diktaturen" auf den Markt warf. Bei der Fernsehdokumentation fand er als "Kronzeuge" Verwendung. Wie ich von Dr. Alexander und Dr. Thomas von Ardenne weiß, waren die Söhne demgegenüber in die inhaltliche Vorbereitung der Filmdokumentation nicht einbezogen.

Niemand sucht sich den Ort, den Zeitpunkt und die soziale Stellung bei der Geburt selbst aus. So hatte auch Manfred von Ardenne keinen Einfluß auf seine Herkunft aus einer Offiziersfamilie und jene politischen Verhältnisse, in welche er hineingeboren wurde. Ein Teilnehmer des Chats meinte sarkastisch: "Wie verzeihlich wären die erspürten charakterlichen Makel und politischen Einbindungen gewesen, hätte sich von Ardenne zu DDR-Zeiten, z. B. 1985, in den Westen abgesetzt? Wie anders wäre dann diese Dokumentation zu den gleichen Fakten wohl ausgefallen?" Man kann hinzufügen: Wie anders ist Wernher von Braun durch dieselben Leute bewertet worden!

Im Chat kam es zu einer bezeichnenden Episode. BZ wollte wissen: "In dem Film werden in der Hauptsache negative Charaktereigenschaften wie Eitelkeit, Geltungsdrang und Gewinnstreben dargestellt. Glauben Sie, damit dem wissenschaftlichen Wirken Ardennes auf den verschiedensten Gebieten und damit dem Menschen mit genialem Forschergeist gerecht zu werden? Aus meiner Sicht ist das eine ungeheuer verkürzte Wertung. Sie paßt aber in die Oberflächlichkeit heutiger Journalisten in Sachen Geschichtsinterpretation. Ich kann Ihnen dazu nur mein Unverständnis zum Ausdruck bringen."

Und was antwortete Meier? "Ich nehme Ihre Meinungsäußerung zur Kenntnis." Dümmer und dünner geht's nimmer!

Der "Dokumentation" zufolge entsprach von Ardenne der Bitte Stalins, "beim Bau der sowjetischen Bombe zu helfen". Zweifellos hat er an Moskaus Atomprogramm mitgearbeitet. Die Tatsache, daß ihm die UdSSR in Suchumi beste Bedingungen für die Forschung und das Leben seiner Familie bot, kann nicht, wie im Film geschehen, negativ beurteilt werden. Entscheidend ist, warum von Ardenne am Programm mitwirkte. Darüber hat er sich selbst wiederholt geäußert. Er hielt das atomare Wettrüsten für einen verhängnisvollen Weg und ein atomares Patt unter den gegebenen Bedingungen für die einzige Möglichkeit, einen Nuklearkrieg zu verhindern.

Nun sind sein eigenes Bekenntnis und die objektive Wirkung der geleisteten Arbeit zu prüfen. Zur objektiven Wirkung hat die NATO ihr Wort gesprochen. Jahrzehntelang behauptete sie in jedem wichtigen Dokument, der Erhalt des Friedens sei allein ihrem Abschreckungspotential zu verdanken. In der Tat wäre ein Angriff auf den Sozialismus atomarer Selbstmord gewesen. Wenn dem so ist, hat von Ardenne nichts Tadelnswertes getan, im Unterschied zu jenen, welche Vernichtungswaffen noch immer als Mittel der Politik einsetzen. Im übrigen wurde der berühmte Forscher und Erfinder nicht müde, die Politiker zur Umkehr vom Kurs der "Abschreckung" zu bewegen. Seine Mahnung aus dem Jahre 1987 ist von hoher Aktualität: "Welcher wunderbaren Zukunft würde die Menschheit entgegengehen, wenn Ost und West darin fortführen, nach dem Abbau des Mißtrauens gemeinsam die großen Gefahren, welche im kommenden Jahrtausend die ganze Menschheit bedrohen, zu bekämpfen. Wie würde sich alles zum Guten wenden, wenn sich die Wissenschaften, Techniken und Industrien beider Seiten und die der übrigen Staaten, vereinen würden ..., um die vielen den Lebensstandard kommender Generationen bestimmenden Weltprobleme zu lösen."

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Elsässer auf Dummenfang

Der als "nationaler" Vermittler zwischen Rechts und Links posierende Journalist und Buchautor Jürgen Elsässer gibt jetzt eine Zeitschrift gleicher Couleur heraus, die Thilo Sarrazin als "nächsten Bundeskanzler" einer "neuen Volkspartei" in Erwägung zieht. Zum Auftakt fand in Berlin eine Podiumsdiskussion statt, bei der Elsässer aus Irreführungsgründen wiederum "ein breites Spektrum" illustrer Gäste "beider Lager" präsentierte. Unter seinen Stars glänzte Dieter Stein, Chefredakteur der "Jungen Freiheit" - einer faschistoiden Gazette für Leser "mit gehobenen Ansprüchen".

Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist!

K. S.

Raute

Ein Hagenower Kindergarten, welcher die "Abwicklung" überstand

Die Chronik der "Matroschka"

Ein PDL-Politiker namens Helmut Holter, der in Schwerin gerne Ministerpräsident werden möchte, wird nicht müde zu behaupten, die DDR sei "eine Diktatur" gewesen. "Sie hat deshalb scheitern müssen", ließ er in den Landtagsnachrichten vom 13. Oktober 2010 verlauten.

Holters Diktatur-Gedanke ist schwer diskutierbar, solange er nicht klipp und klar sagt, was er eigentlich unter DDR-Diktatur versteht. Waren auch jene durchgreifenden Maßnahmen, die dem Wohle des Volkes dienten, für ihn nur ein falsches Spiel, ein Feigenblatt, um die Blöße einer "Diktatur" zu bedecken?

Nehmen wir als Beispiel die Erziehung der Jüngsten in den DDR-Kindereinrichtungen. Die Arbeit wurde dort nach einem Programm gestaltet, das hervorragende Pädagogen und Mediziner konzipiert hatten. Mädchen und junge Frauen, welche ein vierjähriges Studium, zu dem auch zwei Jahre Praktikum gehörten, absolviert hatten, wurden staatlich geprüfte Kindergärtnerinnen. Übrigens erfolgte deren Ausbildung im einstigen Schloß der Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin. Der Thronsaal diente dabei als Musikzimmer.

Ausbildungsstätte für den Kreis Hagenow war die "Matroschka" in der Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Im Juli 1978 wurde dort der Grundstein gelegt. Die Einrichtung sollte 260 Kinder im Vorschulalter beherbergen. Zum 7. Oktober 1979 plante man die Übergabe. Für das Vorhaben gab es gewichtige Gründe: 200 bislang unberücksichtigt gebliebene Krippenanträge drückten sehr. So versprach Bürgermeister Gerhard Christen den Eltern, sie könnten mit Schuljahresbeginn ihre Kinder dorthin bringen. Ab Mitte August bewältigten Erzieherinnen und Eltern zunächst die Reinigungsarbeiten.

"Am Montag, dem 3. September 1979, ergriffen 180 Kindergarten- und 80 Krippenkinder Besitz von ihrem neuen zweiten Zuhause", liest man in der bis auf den heutigen Tag vorbildlich geführten Chronik der Einrichtung, die in den letzten Jahrzehnten von deren Leiterin Karin Lockau angelegt worden ist. Die etwas mehr als 12.000 Einwohner zählende Kreisstadt Hagenow verfügte bis 1990 außerdem über die Kinderkombination im Kartoffelveredlungswerk, die Einrichtungen "Makarenko", "Sandmännchen", "Käte Kern" und "Borstel" sowie zwei weitere Krippen in den Ortsteilen.

Nach dem Anschluß der DDR an die BRD wurde eine nach der anderen dichtgemacht. Aber auch in der "Matroschka" ging die Angst um. Frau Ursula Keller notierte in der Chronik "Wer wann zu gehen hatte, wurde im Rathaus bestimmt. Junge Erzieherinnen kamen zuerst dran. War es wieder einmal soweit, wurde ich in die Stadtverwaltung gerufen. Kam ich aus dem Rathaus zurück, begegneten mir ängstliche Blicke. Bin ich diesmal dran?"

Hinzu kam, daß den Takt zu diesem Entlassungskonzert übelste Entstellungen der Arbeit der Erzieherinnen schlugen. Und nicht zuletzt zeigte sich das völlige Desinteresse der jetzt zum Zuge Gekommenen an der Betreuung der Kleinen.

Die Kinder in den Vorschuleinrichtungen der DDR waren zur Bewährung im Kollektiv, zur Achtung vor der Arbeit der Älteren, zur Solidarität mit anderen Völkern und allen Unterdrückten, also im humanistischen Geist erzogen worden. Das machte die neuen Vertreter der wiederhergestellten alten Macht sprachlos. So arbeiteten die Kinderpädagoginnen in der auf 1990 folgenden Zeit noch mehr als ein Jahrzehnt lang nach alten, soliden Vorgaben, freilich unter strikter Vermeidung jeglicher Bezüge auf die DDR.

Heute hat sich die "Matroschka" an eine 16 Seiten umfassende Konzeption ganz anderer Art zu halten. In dieser heißt es: "Das Hauptziel der Arbeit besteht in der Förderung der Entwicklung der Ich-, Sozial- und Sachkompetenz der Kinder. Diese eignen sie sich in der Auseinandersetzung mit sich selbst, anderen und der Welt an."

Derzeit verfügt die "Matroschka" über 54 Krippen-, 153 Kindergarten- und 132 Hort-Plätze. Sieht man sich die Chronik-Bände ab 1990 an, so kann man der Arbeit der Erzieherinnen nur höchstes Lob spenden. Wie oft müssen sie, von denen viele selbst Mütter und Hausfrauen sind, in ihrer Freizeit Stunden um Stunden aufwenden, damit alles in Ordnung geht. Für das Überleben der zwar aus DDR-Zeiten stammenden, aber unpolitischen Benennung der Hagenower Kindereinrichtung gibt Frau Lockau unter Hinweis auf die Figur der russischen Puppen-Puppe eine überzeugende Begründung. Doch die nach 1990 auch in Hagenow verfolgte rückwärtsgewandte Politik hätte selbst diesen harmlosen Namen nur allzu gerne gelöscht. Offenbar fehlte den Entscheidungsträgern in diesem Falle der Mut zur Schilderstürmerei ...

Siegfried Spantig, Hagenow

Raute

Ein guter Ossi? Flexibel, brav und biegsam!

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

Kann man auch auf parlamentarischem Wege zum Sozialismus gelangen?

Zur Dialektik von Reform und Revolution

Das Verhältnis von Revolution und Reform ist eine Kernfrage der marxistischen Theorie und Praxis zur Gesellschaftsveränderung. Sie lautet zugespitzt: Können linke Parteien unter den Bedingungen des Kapitalismus für Reformen sein? Die Antwort: unbedingt! Sie müssen es sogar. Im parlamentarischen Kampf geht es darum, die jeweilige bürgerliche Regierung zu Reformen zu zwingen. Die gesamte Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung ist durch einen ständigen Kampf um Reformen im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft gekennzeichnet. Immer wieder ist es gelungen, dem Klassengegner kleinere und größere Zugeständnisse abzutrotzen. Hierzu zählen die Durchsetzung des 8-Stunden-Tages, die Einführung des bezahlten Urlaubs, das Frauenwahlrecht und andere graduelle Fortschritte. Sie erfolgten stets in Gestalt von Reformen, ohne daß dadurch bereits an den Grundfesten der bestehenden Gesellschaftsordnung gerüttelt wurde.

Lenin schrieb, daß das "Verhältnis von Reform und Revolution nur vom Marxismus eindeutig bestimmt" worden sei. "Reformen", konstatierte er, "sind ein Nebenprodukt des revolutionären Kampfes des Proletariats" (LW, Bd. 33, S. 96/97). Sie führen an Revolutionen heran. Diese aber sind ohne Reformen in ihrem Vorfeld undenkbar. Sobald die Revolution gesiegt hat, erweisen sich Reformen als um so unverzichtbarer.

Wer absolut auf die Revolution - ohne von den gegebenen Bedingungen auszugehen - setzt, wird zum Revoluzzer. Wer aber allein Reformen anstrebt und es dabei beläßt, ist ein Reformist. Die Sozialdemokratie erbringt dafür ohne Unterlaß handfeste Beweise.

Das Verhältnis von Reform und Revolution hat viele Facetten und ist von Land zu Land, von Zeit zu Zeit unterschiedlich. Es kann sich relativ friedlich oder auch gewaltsam gestalten, wie das die jeweiligen geschichtlichen Bedingungen zulassen oder erfordern. So war die russische Oktoberrevolution des Jahres 1917 zwar ein gewaltsamer Bruch mit den bestehenden Verhältnissen, verlief aber relativ friedlich. Die im Februar d. J. ans Ruder gelangte Provisorische Regierung unter Kerenski zeigte sich nicht zu ernsthaften Zugeständnissen (Reformen) bereit und war weder willens noch dazu imstande, den Forderungen der Massen nach Beendigung des imperialistischen Krieges Rechnung zu tragen. Sie unternahm auch keine Schritte zur Lösung der Agrarfrage und des Nationalitäten-Problems. Die Erfüllung diesbezüglicher Forderungen blieb der Sowjetmacht überlassen, die nach ihrem revolutionären Sieg sofort Reformen breiten Raum verschaffte. Davon zeugen die Dekrete über Grund und Boden sowie zum Selbstbestimmungsrecht der nichtrussischen Bevölkerung. Mit dem Brester Frieden, der einen schmerzlichen Kompromiß darstellte, wurde dem Krieg ein Ende gesetzt.

Die gesellschaftlichen Umgestaltungen in den von der Nazi-Okkupation befreiten Ländern Ost- und Südosteuropas verliefen zwar in vieler Hinsicht ähnlich, aber es gab auch Unterschiede. In den meisten von ihnen existierte eine revolutionäre Befreiungsbewegung, deren Handeln nicht nur auf die Vertreibung der Hitlerfaschisten, sondern auch auf die Entmachtung einheimischer Kollaborateure und die Errichtung der Volksmacht abzielte. Auch hier ging es um die Durchsetzung demokratischer Reformen, durch welche die Massen schrittweise an eine sozialistische Gesellschaft herangeführt werden sollten.

Etwas anders vollzog sich die Entwicklung in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. Dort bot sich der Arbeiterbewegung die historisch wohl einmalige Chance, über eine antifaschistisch-demokratische Ordnung unter Führung einer Einheitspartei aus Kommunisten und Sozialdemokraten den Weg einer friedlichen sozialistischen Revolution zu beschreiten. Auch dieser Prozeß wurde durch eine Reihe tiefgreifender Reformen vorbereitet, flankiert und untersetzt.

Die Annäherung an eine sozialistische Gesellschaft dürfte heutzutage - jedenfalls in den entwickelten kapitalistischen Ländern Europas - wohl kaum in der bisher bekannten Weise erfolgen. Die bürgerlich-parlamentarische Ordnung erweist sich dort trotz aller Krisenerscheinungen als relativ stabil. Die Massen fallen mehrheitlich auf die Hinterhältigkeit des bourgeoisen Spiels herein. Nur ein geringer Teil der BRD-Arbeiter besitzt ein halbwegs ausgeprägtes Klassenbewußtsein. Fallstricke und Falltüren verfehlen ihre Wirkung nicht. Der "deutsche Michel" hat Angst vor der Revolution. Dabei spielt die permanente antikommunistische Indoktrination eine nicht zu unterschätzende Rolle, was sich besonders bei Wahlen stets aufs neue beweist. Friedrich Engels hat zu Recht darauf hingewiesen, daß deren Ergebnis in bürgerlichen Ländern "nur ein Gradmesser für die Reife der Arbeiterklasse" und anderer Besitzloser sein kann.

Unter den heutigen Bedingungen nehmen die Stimmen jener zu, welche der Meinung sind, man könne auch durch Wahlen zu einer sozialistischen Gesellschaft gelangen. Dazu bedürfte es neben der Einheit parlamentarischer und außerparlamentarischer Kämpfe indes eines völlig anderen Kräfteverhältnisses und eines fundamental gewandelten Wahlverhaltens der Bürger.

Dr. Rudolf Dix

Raute

Vom Tod einer Zwangsarbeiterin nach der Befreiung

Maria aus Charkow

Man hatte mich zu Beginn des Krieges als Schuljungen zu einem Bauern im Thüringer Land gebracht. Alles war neu und aufregend. Kühe, Pferde, Schweine und viele andere Tiere sah ich dort zum ersten Mal. Auch die dazu gehörenden Maschinen und Felder erschienen mir riesig. Die Bäuerin - der Mann war verstorben und der Sohn zur Wehrmacht eingezogen - führte die Wirtschaft. "Also du sagst Tante zu mir, und sie" - dabei zeigte sie auf ein junges Mädchen - "sagt Chefin zu mir. Sie heißt Maria, ist 21 und arbeitet hier bei uns. Alles, was sie sagt, wird gemacht, hast du mich verstanden?" Erstaunt nickte ich mit dem Kopf.

"Komm, ich dir zeigen im Hof und Stall alles und dann sagen was du machen." Nanu dachte ich, sie spricht ja ganz anders. Kann sie denn nicht ordentlich reden? Bei Gelegenheit werde ich sie fragen.

Maria arbeitete wie ein Mann. Nichts war ihr zu schwer, alle Arbeiten führte sie exakt aus. Vor allem konnte sie gut kochen und backen. Thüringer Klöße, aber auch Pelmeni und vieles andere bereitete sie sehr schmackhaft zu. Sie zeigte mir, wie die Pferde angespannt werden, wie eine Kuh zu melken ist, wie man das Vieh richtig füttert und alles, was auf dem Bauernhof so gemacht werden muß. Auch daß ich mich morgens und abends zu waschen hätte und meine Schularbeiten immer erledigen solle, weil sonst die Chefin böse würde.

Meine Aufgabe bestand vor allem darin, außer vielen anderen Arbeiten natürlich, jeden Abend das Scheunentor ordentlich zu verschließen. In Abständen von einigen Wochen jedoch, sagte mir die Tante an einem bestimmten Tag: "Kleiner" - so nannte man mich hier - "heute wird das Scheunentor nicht verschlossen." "Warum?" "Frag nicht!", fuhr sie mich an. "Du sollst das machen, was ich dir sage!" Also verschloß ich das Tor an diesem Abend nicht. Es störte mich schon, daß ich nicht erfuhr, warum es offen bleiben sollte. Als es dunkel war, schlich ich mich aus dem Haus und ging leise in die Scheune. Am Kuhstall erschrak ich über ein Geräusch. Es waren aber nur die Kühe, die mit den Ketten rasselten. In der Scheune war es finster. Aus einer Ecke hörte ich Stimmen. Nanu, was ist denn das? Langsam näherte ich mich und hörte die Laute nun deutlicher. Es waren mehrere Stimmen in einer mir unbekannten Sprache. Ich lauschte einige Minuten und begab mich dann wieder in mein Zimmer. Morgen muß ich Maria fragen, was da vor sich geht, dachte ich.

Erschrocken über meine Frage, drehte sich Maria um und ging weg. Nanu, schoß es mir durch den Kopf, was ist denn jetzt wieder falsch? Als ich aus der Schule kam, sagte sie zu mir: "Komm mit, Kleiner, wir gehen in den Stall. Dort werde ich dir etwas erzählen." Neugierig folgte ich ihr. "Also", fing sie leise an, "was ich dir jetzt sagen, du niemandem etwas erzählen, verstehst du? Wenn du darüber sprechen, dann wir alle werden eingesperrt." Aha, nahm ich an, vielleicht hat sie gestohlen oder jemanden ermordet. "Von mir erfährt keiner ein Wort", versicherte ich ihr. In den wenigen Wochen seit ich hier war, half sie mir immer wie eine große Schwester und behandelte mich stets freundlich. Nun konnte ich ihr vielleicht auch etwas Gutes tun. Immerhin haben wir ein gemeinsames Geheimnis.

"Hör zu", begann sie. "Seit vier Monaten bin ich hier. Mit acht anderen Mädchen wurde ich von den Deutschen aus Charkow, das liegt in der Ukraine, in ein Konzentrationslager gebracht. Meine Mutter, meinen Vater und meinen kleinen Bruder hat die SS getötet. Mein großer Bruder ist im Krieg gefallen. Nun bin ich von der ganzen Familie allein übriggeblieben. Im KZ hat man gesagt, wir müßten bei Bauern helfen, da alle Männer aus den Dörfern im Krieg seien. So bin ich hierhergekommen.

Bei der Chefin habe ich es gut, ich muß nur ordentlich arbeiten, damit man mich nicht wieder abholt. Manchmal treffen wir uns abends, die anderen Mädchen aus meinem Land und ich, bei uns in der Scheune. Die Chefin weiß es und hat es uns erlaubt. Es darf aber sonst niemand wissen. Meine Freundinnen haben es nämlich nicht so gut."

"Was macht ihr da so, wenn ihr euch trefft?", fragte ich sie. "Na ja, wir sprechen über unsere Heimat und was wir machen wollen, wenn der Krieg zu Ende ist." "Willst du nicht hierbleiben, bei uns?" "Nein, ich möchte wieder nach Hause und das mit aufbauen, was die Faschisten zerstört haben", antwortete sie. Damit endete unser Gespräch.

Die Jahre vergingen. Maria war eine richtige gute Bäuerin geworden. Sie konnte pflügen, mit der Dreschmaschine umgehen, Traktor fahren und wußte, was auf den Feldern anzubauen war. Da die Chefin sehr schlecht laufen konnte, mußte Maria vieles allein entscheiden und darauf achten, daß der Hof in Ordnung gehalten wurde.

Dann war der Krieg aus. Zuerst besetzten die Amerikaner unser Gebiet. Auf Anweisung der Chefin mußte sich Maria immer in einem kleinen, unscheinbaren Raum verstecken, wenn GIs bei uns auftauchten. Bald darauf rief mich Maria zur Chefin. "Also", begann sie, "jetzt, nach dem Krieg, werde ich Euch verlassen. Ich will wieder nach Charkow. Etwa 30 Kilometer von hier entfernt ist ein Sammellager eingerichtet worden. Dort treffen wir uns alle und fahren dann mit einem Zug zurück in die Ukraine."

Ich wollte es noch gar nicht glauben, aber sie verabschiedete sich sehr schnell. Offensichtlich fiel ihr die Trennung schwer. "Bevor wir abfahren, komme ich noch einmal vorbei", sagte sie mit Tränen in den Augen und verließ den Hof.

Zwei Wochen später hielt vor unserem Haus ein PKW. Aus ihm stieg Maria. "Oh", rief ich gleich, "willst du nun doch bei uns bleiben?" "Nein", lächelte sie, "ich will mich nur von Euch verabschieden." Der Fahrer öffnete den Kofferraum und entnahm ihm einen Ballen schönen blauen Stoffes. "Hier Chefin", sagte Maria, "etwas anderes habe ich nicht, um mich zu bedanken. Später, wenn ich wieder in meiner Heimat bin, werde ich Euch schreiben." Sie gab der Bäuerin die Hand, drückte mich noch einmal und stieg mit den Worten "Mach's gut, Kleiner!" ins Auto. Dann fuhren sie davon.

Einige Wochen darauf kam ein Mann zu uns und berichtete, daß es in etwa 30 Kilometer Entfernung ein Lager mit während des Krieges nach Deutschland verschleppten Frauen gegeben habe. Kurz vor der Abreise hätten Banditen sie alle erschossen. Keine habe überlebt. Maria, Tamara, Olga, Lena und all die anderen sahen ihre Heimat nie wieder.

Wir haben Maria und ihre Freundinnen nicht vergessen. Sie mußten am Ende eines furchtbaren Krieges ihr junges Leben lassen.

Dr. Hans Rost, Bautzen


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die sowjetische Komsomolzin Soja Kosmodemjanskaja wird von deutschen Faschisten zum Galgen geführt.

Raute

Als ein Italiener in Nazideutschland gefangenen Franzosen half

Der Mut des Allesandro Zanconato

Der 8. Juni 1944 war wenige Stunden zuvor angebrochen, als ein Mann mittleren Alters und von untersetzter Statur in Zella-Mehlis den Anstieg hinaufhastete, der zum Haus Nr. 6 einer als Bierbach bezeichneten Straße führte. Dort, in seiner ärmlichen Untermieterbehausung, fischte er mit vor Aufregung flatternden Händen hauchdünne, handtellergroße und mit einem Text in französischer Sprache bedruckte Blätter aus einem Versteck. "Kameraden, der Tag der Freiheit rückt für Euch heran!", stand über den wenigen Sätzen. Ein bescheidenes Quantum davon hatte ihm vor zwei, drei Tagen ein guter Freund zugesteckt, der nun seit dem Morgengrauen in Gestapohaft saß. Was, wenn Hitlers Geheimpolizei auch ihm auf die Spur kommen würde? Der Mann brach loses Gestein aus dem Fundament im Keller und verbarg das "heiße Papier" in einer Höhlung. Dabei überkam ihn trotz der Sorge um seinen verhafteten Freund gallige Schadenfreude. Denn bis auf den eingemauerten Rest hatte er alle ihm anvertrauten Blätter an den Mann bringen können. Französische Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter waren seine Bezieher.

Nicht in der vom Thüringer Wald umgebenen Berg- und Arbeiterstadt Zella-Mehlis war Allesandro Zanconato auf die Welt gekommen, sondern im italienischen Dorf Arzigano. Von Kindheit an zählten Armut und Not zu seinen Begleitern. Dem Aufstieg zum versierten Maurer folgte schon bald der Absturz in das Heer der Arbeitslosen. So verließ Allesandro schweren Herzens "Bella Italia". Nach vergeblichen Versuchen, in Algerien und Frankreich Fuß zu fassen, wandte sich der ruhelose Italiener an entfernte Angehörige in Deutschland, das mit seinen genagelten Stiefeln gerade den europäischen Frieden zertrampelte. Die in Zella-Mehlis ansässigen Carlottos nahmen ihn auf. Ein guter Zufall wollte es, daß er auf örtliche Hitlergegner traf, die den Maurer und Internationalisten in ihre Widerstandsarbeit einbezogen.

Des Französischen und Deutschen mächtig sowie zunehmend auch im Diskurs mit Menschen slawischer Herkunft geübt, reichte Allesandro Zanconato keine der ihm zur Verteilung übergebenen Botschaften einfach weiter. Was Theodor Neubauer und Magnus Poser - die beiden Köpfe der antifaschistischen Front im Thüringischen - formuliert hatten und was ihm Hans Raßmann und Fritz Wolf aus Zella-Mehlis dann in Flugblattform übergaben, wurde von ihm ins Französische übertragen, kommentiert und erläutert. Im Kreis versklavter ausländischer Bürger sprach er über die Wurzeln von Krieg und Faschismus, über die Notwendigkeit organisierter Gegenwehr und die Regeln des Kampfes gegen die nazistische Alltagstyrannei.

Es war dem Italiener, den seine thüringischen Freunde einfach Alexander nannten, dafür zu danken, daß er Seite an Seite mit mutigen ukrainischen Mädchen wie Anna Burlaka und Lida Deinela sein ganzes südländisches Temperament für eine bessere Zukunft in die Waagschale warf. So wurde die Botschaft Theodor Neubauers verbreitet:

"Ihr, die ausländischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter, kennt dieses Volk gut genug, um zwischen den von einem Terrorregime brutal unterdrückten Massen und dem Nazismus selbst einen Unterschied zu machen. Habt Ihr nicht häufig genug unter den Deutschen kühne Menschen gefunden, die nicht aufhören, den Faschismus zu bekämpfen und dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen?"

Der in Mehlis gebürtige Karl Zink hat in der Tat sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Die Nazijustiz ließ ihn im September 1940 in Berlin-Plötzensee hinrichten. Auch der in Italien gebürtige und später in Zella-Mehlis ansässige Peter Cappi opferte sein Leben. In die Strafkompanie 999 gepreßt, kehrte der Kommunist und Mechaniker nicht wieder zurück. Den Golgatha-Weg ging auch der Zella-Mehliser Jungkommunist Herbert Holland, der ebenfalls 999er war und für immer verschollen blieb.

Andere Antifaschisten der Stadt überlebten Buchenwald und Bad Sulza oder kamen aus den Gefängniszellen in Untermaßfeld und Suhl, Rudolstadt und Gräfentonna, Arnstadt, Zella-Mehlis und Eisenach, Hohenleuben und Ichtershausen heim.

Der aus dem französischen Rennes stammende katholische Laienpriester Marcel Callo mußte täglich zehn bis zwölf Stunden Zwangsarbeit in der Carl-Walther-Waffenfabrik verrichten. Als Mann des Widerstandes im April 1944 von der Gestapo verhaftet, starb dieser aufrechte Christ am 19. März 1945 im KZ Mauthausen. Im Ortsteil Zella trägt ein Platz seinen Namen. Die Stadt pflegt auch jene Stätten, welche an die Schande von Zwangsarbeit und Demütigung ausländischer Bürger erinnern.

Das Gedenken allein ist indes nur von begrenztem Wert, wenn aus dem Geschehenen keine Schlußfolgerungen gezogen werden. Doch das ist immer öfter der Fall. So haben in jüngster Vergangenheit die Glocken der Kirche zu Mehlis geläutet, um gegen einen heutzutage und hierzulande fast "normalen" Aufmarsch von Neofaschisten zu protestieren. Ihr mahnender Klang verhallte, die Drohung ultrarechten Unheils aber ist geblieben. Soll irgendwann der Kopf eines anderen Karl Zink auf blutigen Boden poltern?

Jeder von uns hat einen Mund, um ihn gegen Neofaschismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu gebrauchen, hat Augen, die sich vom Wegsehen nicht eintrüben dürfen. Und jeder von uns besitzt einen Kopf, der nicht denken darf, Politik sei anderer Leute Sache. Manche behaupten, das Erinnern an die im Kampf gefallenen Genossen Theodor Neubauer und Magnus Poser sei von der Zeit überholt, deren Eintreten gegen Krieg und Faschismus könne auf heutige Verhältnisse nicht übertragen werden. Dem muß man lebhaft widersprechen.

Für uns bleiben Menschen wie der italienische Maurer und Kommunist Allesandro Zanconato, der am 8. Juni 1944 die durch deutsche Antifaschisten verfaßten und von ihm ins Französische übertragenen Flugblätter im Fundament des Hauses Bierbachstraße Nr. 6 versenkte, für alle Zeit unauslöschliche Vorbilder.

Gerhard Kummer, Zella-Mehlis


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Französische Soldaten im faschistischen Kriegsgefangenenlager Lohberg (1940)

Raute

Erich Heller prägte eine ganze Hennigsdorfer Metallurgen-Generation

Wie der Stahl gehärtet wurde

Im Sommer 2008 berichtete die "Märkische Allgemeine Zeitung" (MAZ), der Nachlaß des langjährigen Hennigsdorfer Werkdirektors und späteren Kombinatsdirektors Erich Heller sei dem Stadthistoriker zur Verfügung gestellt worden. Der Verfasser dieses Beitrags erhielt den Auftrag, die Unterlagen auszuwerten und ein Lebensbild Hellers zu entwerfen. Es wurde 2009 an Bürgermeister Peter Schulz mit der Bitte übergeben, die Möglichkeit der Vergabe eines Straßennamens zu prüfen.

Wer war Erich Heller? 1910 als Sohn eines Schlossers in Halle/Saale geboren, wuchs er in einer kinderreichen Familie auf. Noch im Juli 1914 nahmen die Hellers an Antikriegskundgebungen teil. Nur Wochen darauf erklärte das kaiserliche Deutschland zunächst Rußland und zwei Tage später auch Frankreich den Krieg. Erich Hellers Kindheit war durch ihn überschattet. Er erinnerte sich an die Einrichtung städtischer Volksküchen und ein "Notbrot" aus gekochten und zu Mus zerstampften Kohlrüben.

In den 20er Jahren galt das Interesse des jungen Erich dem Arbeiter-Sport-Verein "Fichte", wobei er sich besonders auf Rettungsschwimmen und Wasserball orientierte. Am 1. April 1925 nahm er die Lehre als Maschinenschlosser auf. Zugleich trat er dem Deutschen Metallarbeiterverband bei, besuchte die Fachschule und Abendkurse der Maschinenbauschule. Nach einem halben Jahr Betriebsarbeit wurde er erwerbslos. Als Kreisjugendleiter der Schwimmsparte, dann als Sekretär für Wassersport erkundete er mit seinen Freunden und Genossen in den Faltbooten "Spartakus" und "Potemkin" die Saale sowie deren Nebenflüsse.

Schon kurz nach dem Machtantritt der Faschisten wurde der Kommunist Erich Heller verhaftet, in das KZ Lichtenburg eingeliefert und im Mai 1934 wegen Hochverrats zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Im Sommer 1935 gelang ihm die Emigration in die Tschechoslowakei. Die Auslandsleitung der KPD schickte ihn nach England, wo er zunächst beim Deutschen Kulturbund tätig war. Durch die britische Polizei wurde Erich Heller 1939 von "speziellen Restriktionen gegenüber feindlichen Ausländern" freigestellt. Von 1940 bis Kriegsende arbeitete er als Werkzeugmacher in London und Leeds bei einer Firma, die feinmechanische Präzisionsgeräte, Elektro-Stereo- und Gravierfräsmaschinen herstellte. In Leeds besuchte Erich Heller Abendkurse an der Fachschule für Maschinenbau und gewann durch seine berufliche Kompetenz wie durch sein kameradschaftliches Auftreten das Vertrauen der Arbeitskollegen. 1943 organisierte er eine Solidaritätsaktion für einen Krankenhausneubau in Stalingrad. Die Familie kehrte im August 1946 nach Deutschland zurück. Bald darauf nahm Erich Heller eine Tätigkeit als Personalleiter bei den Industriewerken der Provinz Sachsen-Anhalt auf. Anfang Juni 1948 wurde er in das Fachsekretariat Industrie der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) nach Berlin berufen.

Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 waren die Stahllieferungen seitens der westlichen "Partner" im Rahmen des Interzonenhandelsabkommens von BRD-Seite drastisch herabgesetzt worden. Als Reaktion darauf erfolgte die Bildung der Gesellschaften Deutscher Außenhandel Metall und Deutsche Handelszentrale Metallurgie, Erich Heller leitete als Hauptdirektor die Handelszentrale. Von 1955 bis 1968 stand er als Werkdirektor des VEB Stahl- und Walzwerk "Wilhelm Florin" und von 1969 bis 1971 als Generaldirektor des VEB Qualitäts- und Edelstahlkombinat Hennigsdorf in vorderster Linie an der Wirtschaftsfront der DDR. Mit der Belegschaft organisierte er die Produktion sortiments- und qualitätsgerechter Baustähle, schuf er eine II. Verarbeitungsstufe für geschälten, gezogenen, geschliffenen, ölschlußvergüteten Stabstahl und Betonstahl sowie Kaltband.

Erich Heller, der ein Studium an der Deutschen Akademie für Staat und Recht in Potsdam-Babelsberg sowie eine mehrjährige Ausbildung an der Ingenieurschule für Walzwerks- und Hüttentechnik in Riesa absolviert hatte, formierte ein fähiges und stabiles Leitungskollektiv.

Nach der Berliner Grenzschließung am 13. August 1961 galt das Motto: Gründlich denken, wirtschaftlich rechnen, technisch verbessern, ehrlich arbeiten! Die Einführung der Industriepreisreform 1963, die Frauenförderung in der Blankstahlabteilung und im Rechenzentrum sowie die Gestaltung der Arbeitsplätze waren für Erich Heller eine große Herausforderung. Im Hennigsdorfer Kombinat, das im Jahr 3,6 Millionen t Rohstahl erzeugte, arbeiteten 28.000 Menschen. Erich Heller schenkte der Automatisierung der Produktionsprozesse, der Einführung neuer Technologien sowie den Großanlagengeschäften mit Belgien, der BRD und Italien besondere Aufmerksamkeit.

Der Generaldirektor engagierte sich persönlich für den Wohnungsbau, die Fernwärmeversorgung im Krankenhaus, das Schwimmbad sowie die Lehrlings- und Arbeiter-Wohnheime. Die Hennigsdorfer Betriebspoliklinik verfügte über gut ausgebildete Ärzte sowie weitere medizinische Fachkräfte. Sie besaß Abteilungen für Innere Medizin, Chirurgie, Stomatologie und Röntgendiagnostik, ein Labor, eine Physiotherapie und ein Nachtsanatorium. Erich Heller sorgte sich auch um die Aus- und Weiterbildung. Die Betriebsberufsschule sowie die Lehrwerkstätten und Kabinette für die polytechnische Bildung waren gut ausgestattet und ermöglichten eine ideenreiche Gestaltung des Unterrichtstages in der Produktion. An der Betriebsakademie wurden Facharbeiter und Meister qualifiziert, nicht zuletzt auch vietnamesische Bürger. Erich Heller unterstützte überdies die Ingenieurschule Hennigsdorf mit Rat und Tat.

Vorbildliche Arbeiterversorgung, preiswertes Betriebsessen, modern ausgestattete Kindereinrichtungen, gepflegte Sportstätten, darunter Fußball- und Volleyballplätze sowie Kegelbahnen gehörten zum betrieblichen Standard. Das Hennigsdorfer Kulturhaus bot eine Vielfalt hervorragender Veranstaltungen an, der Jugendklub und kulturelle Zirkel sprühten vor Leben. Das Kombinat unterhielt eigene Ferienheime in Lindow und Baabe, betrieb ein zentrales Kinderferienlager in Prebelow und ein Kinderferienheim in Lume.

Von 1972 bis 1975 war Erich Heller Regierungs-Sonderbeauftragter für die Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ). Wie überall zeichnete er sich auch hier durch Sachkompetenz, Aufgeschlossenheit, Willensstärke, die Paarung von Selbstbewußtsein und Bescheidenheit, Solidaritätsgefühl und Selbstbeherrschung aus. Stets beriet er herangereifte Probleme mit den Werktätigen. Er förderte und forderte besonders junge Arbeiter und Ingenieure. Gespräche unmittelbar am Arbeitsplatz waren ihm ein Bedürfnis. Erich Heller, der so viele Jahre für ein lebenswertes Dasein der Hennigsdorfer gewirkt und dort tiefe Spuren hinterlassen hat, starb am 28. März 1986.

Im vergangenen September hatten der "Freundeskreis Erich Heller", der Hennigsdorfer Geschichtsverein und der Stahlwerker-Traditionsverein zu einer Veranstaltung eingeladen, um das Lebenswerk des herausragenden Metallurgen zu würdigen. Die zahlreichen Teilnehmer bekundeten unterschriftlich den Wunsch, eine Straße in Hennigsdorf nach dem einstigen Generaldirektor zu benennen. In der Stadtverordnetenversammlung wurde ein entsprechender Antrag der Linkspartei von SPD, CDU und FDP unter fadenscheinigen Vorwänden abgelehnt.

Dr. Helmut Kinne

Raute

RF-Extra

Wie in der DDR gelebt, gearbeitet, gedacht, gestritten, gelacht und geliebt wurde

Spuren der Wahrheit

Nun liegt es endlich auf dem Tisch: unser sechstes Buch mit dem Titel "DDR - Realität und Hoffnung". Eine Mutter mit zwei Kindern, drum herum Blumen, das Ganze auf blauem Grund - so leuchtet der Ausschnitt aus Walter Womackas Mosaikbild vom Berliner Haus des Lehrers auf seiner Vorderseite. Es macht uns bei allem Schmerz um den erlittenen Verlust froh, auf diese Weise noch einmal des großen Malers zu gedenken, der uns stets mit Freundlichkeit die Nachdruckgenehmigung für einzelne seiner Bilder gewährt hat. Dafür danken wir ihm.

486 Seiten stark, ist der neue Band in der Reihe "Spuren der Wahrheit" nun etwas umfangreicher ausgefallen, als vom Autorenkreis ursprünglich geplant war. Aber wem von den 70 Beteiligten, die ihre Arbeiten einreichten, hätten wir eine Absage erteilen sollen? Wir spürten bei jedem das Herzblut, mit dem die Texte geschrieben wurden. Gerade in diesem furchtbaren Jahr des Anschluß-Geheuls brannte es den Autoren buchstäblich auf den Nägeln, sich gegen die Verteufelung unserer Deutschen Demokratischen Republik durch deren ewige Feinde zur Wehr zu setzen und Partei für jenen Staat zu ergreifen, welcher ihnen trotz so mancher Defizite und seiner Unvollkommenheit Heimat gewesen ist.

"DDR - Realität und Hoffnung" setzt die vor sieben Jahren begonnene Reihe "Als Zeitzeugen erlebt - Spuren der Wahrheit" fort. Seit Erscheinen des ersten Bandes ("Vereinnahmung der DDR") haben sich 326 Menschen in ganz unterschiedlicher Form zu Wort gemeldet. Unter ihnen befinden sich namhafte Literaten, denen der Text nur so aus der Feder fließt, aber auch viele des Schreibens Ungeübte, die um jede Zeile gerungen haben. Überwiegend sind unsere Autoren lebenserfahren, zum Teil ergraut und manche hochbetagt. Wie das so ist, wenn es um Zeitzeugnisse geht. Wir sind dankbar für die von hoher Urteilskraft geprägten Beiträge solcher "Urgesteine" wie Wilhelm Hamann, der - bis zuletzt geistig rege - 2010 im 105. Lebensjahr verstarb; der Sängerin vom Ernst-Busch-Chor, Ilse Kozialek (101), der 100jährigen Schriftstellerin Elfriede Brüning; des 95jährigen Röntgeningenieurs und brillanten Buchautors Walter Ruge oder des renommierten Historikers Dr. Kurt Gossweiler (93).

Erfreulicherweise haben sich unterdessen auch zunehmend Jüngere in unser Ringen um den Erhalt des Bewahrenswerten aus der DDR eingemischt, ihre Gedanken und Gefühle zu Papier gebracht. Gerade in dieser Vielfalt der Generationen, Autoren und Handschriften liegt der Reiz unserer Bücher. Wie bisher lockerten auch diesmal Fotos, Dokumente und Grafiken den Band auf.

Wo aber kamen und kommen unsere Schreiber, von denen bereits etliche "Wiederholungstäter" sind, eigentlich her? Ihre Zusammenführung hat eine Vorgeschichte. Sie saßen nicht alle gemeinsam in einem Beratungsraum, sondern meldeten sich einzeln als Schreibwillige an. 1998 schaltete eine politisch engagierte Frau im ND und in der "jungen Welt" Annoncen, um Zeitzeugen aus der DDR für ein Projekt zu gewinnen.

Ursula Münch hatte 1945 den Feuersturm in Dresden überstanden und nach schweren, aber glücklichen Jahren in der DDR dann 1989/90 einem weiteren furchtbaren Sturm, der ihr die Lebensperspektive und das bisherige soziale Gefüge nahm, die Stirn bieten müssen. Sie wollte nicht tatenlos zusehen, wie die Leistungen von 17 Millionen DDR-Bürgern in den Schmutz gezogen oder in Vergessenheit geraten würden. In 40 Jahren Geschehenes und selbst Wahrgenommenes mußte zu Papier gebracht werden! Etwa 30 Menschen fühlten sich sofort angesprochen. Sie schlossen sich zu der Unabhängigen Autorengemeinschaft "So habe ich das erlebt" zusammen. Bald stießen andere hinzu, und so konnte 1990 Ursula Münchs erstes Buch im GNN-Verlag Schkeuditz erscheinen. Es trug den Titel "Spurensicherung - Zeitzeugen zum 17. Juni 1953". Ihm folgten - mit wechselnden Autoren - fünf weitere Bände über die "Totgesagte". Mehr als 100 Zeitzeugen berichteten darin wahrheitsgemäß über ihr Leben, Arbeiten und Kämpfen im Zeichen von Hammer, Zirkel und Ährenkranz.

Eine inzwischen veränderte Redaktionskommission verkündete dann nach dem Erscheinen des sechsten Bandes den Abschluß der Reihe. Doch die Mehrzahl der bisherigen Autoren vertrat den Standpunkt, man könne sich angesichts der gezielten Irreführung, Abrichtung und Verdummung gerade der Heranwachsenden noch nicht zur Ruhe setzen. Es formierte sich ein neues Redaktionskollektiv, um sich dieser Aufgabe zu stellen.

Dann bekamen einige das unter dem Motto "Als Zeitzeugen erlebt - Spuren der Wahrheit" mit dem Titel "Vereinnahmung der DDR" herausgebrachte erste Buch in die Hand und machten sich - je nach Temperament und Befindlichkeit, schüchtern oder selbstbewußt - bemerkbar: "Wenn Ihr einen zweiten Band schafft, dann wollen wir mit von der Partie sein!", ließen sie die Herausgeber wissen. Schließlich spielten auch bestimmte Zusammenkünfte wie Veranstaltungen zum Thälmann-Gedenken in Ziegenhals und des Freundeskreises Palast der Republik bei der Gewinnung von Mitstreitern eine Rolle. Erfuhren wir selbst von Bewahrern des in der DDR Geschaffenen irgendwo zwischen Rügen und Suhl, dann begaben wir uns dorthin, lernten engagierte Leute kennen, gewannen sie als zum Schreiben Bereite oder interviewten sie einfach an Ort und Stelle. Mehrere unserer Autoren wurden selbst zu Multiplikatoren, indem sie Bekannte vermittelten, deren Lebensleistung und Standhaftigkeit in schwerer Zeit sie beeindruckt hatte.

Übrigens müßten wir längst bei der Post Rabatt bekommen, gehörten doch auch Hunderte Briefe hin und her zum lebhaften Gedankenaustausch. Sie führten nicht selten zur Übermittlung von Beiträgen in Wort und Bild. Besonders erfreut waren wir, wenn uns Post mit fremden Briefmarken erreichte - so aus Vietnam, China, Japan, Frankreich, Luxemburg, Gambia, Griechenland, Spanien und den USA. Die Absender äußerten ihre Meinung über unsere kleine DDR, die sie als Besucher oder zu Studienaufenthalten kennen- und schätzengelernt hatten. Bisweilen kritisch, aber häufig auch sachlich anerkennend, schrieben Bürger aus den alten Bundesländern, denen wir zufällig oder bei Kongressen und Kulturereignissen gegnet waren. Nach dem Erscheinen des Bandes "Vereinnahmung der DDR" luden wir zu einem ersten Autorentreffen ein. Es war sehr spannend, jene Menschen nun persönlich kennenzulernen, deren Gedanken wir zuvor nur schriftlich oder telefonisch erfahren hatten. Obwohl die Teilnehmer recht unterschiedlicher Herkunft waren, gab es weder Berührungsängste noch Verlegenheitspausen. Beim Auseinandergehen waren wir uns alle darin einig, unbedingt weiterzumachen. So folgten fünf Bände. Für die Umsetzung des Beschlusses, möglichst bald wieder zusammenzukommen, fehlten uns bisher leider Zeit und Mittel, zumal sich der Autorenkreis ständig vergrößerte.

Was für Leute aber sind das, die auf den rund 2700 Seiten der bisherigen sechs Bände zu Wort kamen oder sich mit Bildern vorstellten?

Die Beiträge von im Landesmaßstab völlig unbekannten Arbeitern, Bauern und Angestellten besitzen für uns denselben Rang wie die Texte von 9 namhaften Schriftstellern und 11 Künstlern - Schauspielern, Regisseuren und Malern - sowie von 14 Ingenieuren aus der Industrie, 10 Agrar- oder Forstingenieuren, 6 Gewerkschaftern und 12 Offizieren, die das Wort nahmen. 10 Diplomaten und 10 Journalisten vermittelten unseren Lesern Eindrücke von der "Außenwirkung" der DDR, wobei die beiden Piloten und der Kosmonaut einen noch weiteren Blickwinkel einbringen konnten. Daß soviel Bewahrenswertes aus unserem vor über 20 Jahren untergegangenen Staat mißachtet und in den Schmutz getreten wird, bewegte besonders die 16 Lehrer, 4 Bibliothekare, 5 Spitzensportler, 12 Gesellschafts- und Naturwissenschaftler, 10 Ärzte, 7 Juristen sowie den Psychologen, den Kriminalisten und die Sekretärin. Die Vielfalt der vermittelten Erfahrungen verdanken wir auch den an der Arbeit beteiligten 9 Theologen.

Wem fließen die Worte leichter aus der Feder, wer beherrscht die moderne Kommunikationstechnik perfekter - die Frauen oder die Männer? Gerade Frauen und Mütter, denen die Gleichberechtigung in unserer kleinen Republik zur Selbstverständlichkeit geworden war, schöpfen aus ihren Erfahrungen, bringen aber auch ihre Enttäuschung und Wut über das ihnen Geraubte mit großer Klarheit zum Ausdruck. Leider ist bisher nur jeder dritte Textverfasser weiblich. In dieser Hinsicht besteht also noch Nachholbedarf.

So verschieden wie die territorialen, beruflichen und sozialen Erlebnisse unserer Autoren sind, so unterschiedlich ist auch ihr Schreibstil. Wir sehen diese Formenvielfalt als Bereicherung an. Deshalb haben wir auch keine Veränderungen an den eingesandten Texten vorgenommen - von platzbedingten Kürzungen abgesehen. Im Grundanliegen, ein wahrheitsgetreues Bild vom Leben in der DDR zu vermitteln, stimmen wir mit allen Schreibern überein, was nicht ausschließt, daß wir zu Einzelaussagen bisweilen einen abweichenden Standpunkt vertreten.

Mancher mag meinen, daß der Humor bei uns ein wenig zu kurz kommt. Viele Texter finden die Sache, um die es geht, so gewichtig, daß sie annehmen, eine Prise Spaß oder die Tendenz zur Selbstironisierung wären da fehl am Platze, weil sie im nachhinein etwas von der Bedeutsamkeit des Geleisteten und Errungenen wegnehmen würden. Doch glücklicherweise steckt bei so manchem Autor hintergründiger Humor zwischen den Zeilen, zumal man ja den DDR-Bürgern Fröhlichsein nicht erst verordnen mußte.

Es bereitet uns immer wieder Freude, wenn ein mehr oder weniger dicker Brief, bisweilen auch eine CD eintreffen. Dann ist Spannung angesagt - aber auch Absprachen, Telefonate, Schriftverkehr sowie stundenlange Computerarbeit stehen ins Haus. Häufig bleibt dabei Persönliches auf der Strecke. Da taucht dann im Bekanntenkreis schon mal die Frage auf: Warum tut Ihr Euch das eigentlich an? Bisweilen entstehen Zweifel über das richtige Verhältnis von Aufwand und Nutzen, über die Wirkung dessen, was man tut. Sicher, wenn es wieder mal irgendwo hapert - z. B. beim Satz - oder wenn getroffene Absprachen nicht eingehalten werden, dann schleicht sich schon mal ein bißchen Mutlosigkeit ein.

Doch immerhin sechs Bände mit jeweils mehr als 400 Seiten in sieben Jahren zeigen, daß wir unser Anliegen nie aus den Augen verloren haben. Der Verächtlichmachung, Herabwürdigung, Falschdarstellung und Verleugnung des ehrlichen Bemühens der DDR-Bürger, in ihrem Staat menschenwürdige Lebensbedingungen in Frieden zu schaffen, muß immer wieder die Wahrheit entgegengestellt werden. Nicht nur die über Fünfzigjährigen, die freimütig bestätigen: Ja, so ist es gewesen! wollen wir ansprechen, nicht nur unvoreingenommene Historiker mit dem Wissen um die tatsächlichen Zusammenhänge ausstatten, sondern vor allem auch jungen Menschen den kritischen Blick weiten, damit sie der permanenten Irreführung durch die bundesdeutschen Medien und der tendenziösen Beeinflussung durch die Bildungseinrichtungen der kapitalistischen Gesellschaft etwas entgegenzusetzen haben. Wir wollen, daß nicht nur landesweit, sondern über die Grenzen der BRD hinaus erfahren wird, wie in der zweiten deutschen Republik zwischen Oder, Elbe und Werra gelebt, gearbeitet, gedacht, gestritten, gelacht und geliebt wurde, wozu auch Fehler und Irrtümer gehörten. Wir betrachten unsere Bücher als kleine Nachschlagewerke, die dem Informationsbedürfnis aller ehrlich um Erkenntniszuwachs Bemühten entgegenkommen sollen.

Gerlind Jäkel, Potsdam

Unsere Autorin war Direktorin der Salvador-Allende-Oberschule Potsdam und wurde als "Held der Arbeit" ausgezeichnet.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Walter Ulbricht - hier beim III. Deutschen Turn- und Sportfest in Leipzig (1959) - gab auch bei Leibesübungen den Ton an.
- Liebe in der DDR: Doreen und Burkhard aus Salzwedel am Strand des Ostseebades Boltenhagen (August 1986)
- Vorfreude auf die Ferien an der Hallenser Polytechnischen Oberschule "Hermann Matern" (Juli 1979)

Raute

Vom seemännischen Greenhorn zum Stabsoffizier der Volksmarine

Ein Sprung ins eiskalte Wasser

Im November 1951 begann meine "maritime" Laufbahn. Zwar wohnte ich am Elbestrom, war aber eine typische Landratte. Damals warb man mich vom Arbeitsplatz weg zur Seepolizei. Auf den Neuanfang sollten fast vier Jahrzehnte folgen, die mein Leben und das meiner späteren Familie entscheidend prägen würden.

An einem trüben Herbsttag saß ich in unserem stets überheizten "Heim" - einer im 2. Weltkrieg für Zwangsarbeiter der Faschisten hastig errichteten Holzbaracke. Sie diente als Quartier für die FDJ-Betriebsgruppen der volkseigenen Zellstoffwerke Pirna, Heidenau und Peschelmühle. Hierher hatte man mich als hauptamtlichen FDJ-Sekretär entsandt, um den Aufbau der Grundorganisationen dieser Werke voranzubringen.

Seit August 1948 besaß ich den Gesellenbrief eines Elektroinstallateurs und -mechanikers. Danach arbeitete ich bis 1950 als Autoelektriker, bis ich von der FDJ-Kreisleitung als Org.-Instrukteur eingestellt wurde. Meine Aufgabe bestand darin, in den damals noch überwiegend privaten Klein- und Mittelbetrieben der Region Betriebsgruppen des Jugendverbandes ins Leben zu rufen.

Ergänzend ist von mir zu berichten, daß ich Oberschüler mit Kriegsabitur war und aus einem Volksschullehrer-Elternhaus stammte. Das war insofern ein "Makel", als ich trotz meines handwerklichen Berufes nicht aus der Arbeiterklasse kam. So wurde ich kurzerhand in die Produktion "delegiert". In der Zellstofferzeugung, einer harten, nicht ungefährlichen und von Lärm begleiteten Arbeit, waren 1950 neben wenigen meist älteren "Stammkräften" auch zahlreiche rausgeworfene Beamte, Lehrer und Angestellte mit Nazi-Vergangenheit tätig. Hier fand ich für eine fortschrittliche Jugendarbeit neuen Stils weder offene Türen noch irgendwelches Entgegenkommen. Statt Hilfe und Unterstützung zu erhalten, mußte ich oftmals Drohungen über mich ergehen lassen. Mit Unterstützung des SED-Betriebsgruppensekretärs, eines klugen und weitsichtigen alten Kommunisten, vermochte ich nach manchen Fehlschlägen und Niederlagen auch Positives und Weiterwirkendes bei dieser Art von "Arbeiterklasse" auszurichten.

Während ich also in unserer Jugendheimbaracke über künftigen Vorhaben brütete, wurde ich plötzlich telefonisch ins Parteibüro gerufen. Der Kreis, den ich um den Sekretär versammelt sah, bestand aus mir bekannten Genossen verschiedener Altersstufen. Die Runde ergänzten zwei Fremde in blauen Uniformmänteln. Sie wurden mir als Offiziere der Seepolizei, von der ich bis dahin kaum etwas vernommen hatte, vorgestellt.

Bald darauf erfuhr ich, daß Seepolizeioberkommissar Holzmann der FDJ-Verantwortliche in der gerade erst geschaffenen Waffengattung war und die damals sehr seltene internationale Auszeichnung "Partisan des Friedens" besaß. Mit Oberkommissar Herklotz, dem Zweiten im Bunde, unterhielt ich während meiner späteren Dienstzeit in der Volksmarine noch jahrelang Kontakt.

Das Anliegen der beiden Seepolizeioffiziere, die in einem Betrieb der Grundstoffproduktion des tiefen Binnenlandes auftauchten, war offensichtlich: Nach kurzer Begrüßung fragte man mich ohne Umschweife, ob ich bereit sei, die Reihen der DDR-Seepolizei zu stärken.

Für mich war das natürlich eine Überraschung, hatte man mir doch erst vier Wochen zuvor am gleichen Ort vorgeschlagen, ein Studium zu beginnen, um nach dessen Abschluß die Aufgaben des Kulturdirektors im Werk zu übernehmen.

Das Erbitten einer Bedenkzeit, um das Für und Wider abwägen zu können, war in der allgemein herrschenden Aufbruchstimmung von der versammelten Runde nicht erwartet worden. So willigte ich ein. Persönliche Neugier sowie der Wunsch, für den Schutz der DDR-Seegrenze einzustehen, motivierten mich. Dabei hatte ich nicht zuletzt auch unser Bekenntnis vor Augen, das wir FDJler im Oktober 1949 abgelegt hatten, als wir wenige Tage nach der Staatsgründung zwischen den Ruinen der auf beiden Seiten fast völlig zerstörten einstigen Berliner Prachtstraße Unter den Linden an Präsident Wilhelm Pieck vorbeimarschiert waren.

Anfang Dezember 1951 sollte ich mich - damals gerade 22 - in der Hauptverwaltung Seepolizei vorstellen, deren Gebäudekomplex sich in Berlin-Oberschöneweide befand. Ich wurde von einem durchaus Figur machenden Seepolizeikommissar mit toll gekniffter Mütze, der eine große Pistole umgeschnallt hatte und eine rote OvD-Armbinde trug, in Empfang genommen. In der Sporthalle prüfte man uns Ankömmlinge auf verschiedenen Gebieten. Die Abfassung eines Lebenslaufs, die Ausfüllung eines Fragebogens sowie die Lösung von Aufgaben in den vier Grundrechenarten und ein kleines Diktat gehörten ebenso dazu wie Beweise sportlichen Vermögens - Klimmzüge und Pferdsprung.

Unter den Uniformierten verschiedener Dienstgrade, die ich damals noch nicht zu deuten wußte, fragte ich jemanden kurz entschlossen nach Seepolizeioberkommissar Horst Holzmann. Mit meiner Frage wandte ich mich offenbar an den Richtigen. Er telefonierte umgehend und brachte mich dann zu dem Gesuchten. Der bemühte nun ebenfalls das Telefon, und nach etwas Wartezeit begleitete er mich in das Vorzimmer des stellvertretenden Leiters für Politarbeit und Kultur (PK). Trotz meiner jugendlichen Unbekümmertheit war mir etwas mulmig zumute, als ich gedämpftes Stimmengewirr vernahm. Beklommen fragte ich mich, was mich wohl erwarten würde.

Als ich dann in das Arbeitszimmer gerufen wurde, sah ich Seepolizeichefinspekteur Erwin Bartz am Schreibtisch sitzen. Weitere Offiziere hatten sich um einen Konferenztisch versammelt. Mir wurde ein Platz an dessen Ende, dem Stellvertreter PK gegenüber, zugewiesen. Abermals mußte ich meinen Lebenslauf schildern und von bisherigen Aktivitäten berichten. Ich erhielt das Angebot, künftig als Seepolizeioffizier die Aufgaben eines Gehilfen für Jugendfragen übertragen zu bekommen.

Ich war erstaunt, daß alle Gespräche ins Russische übersetzt wurden und mich die beiden Offiziere mit geflochtenen Schulterstücken über einen anwesenden Dolmetscher eingehend nach Kenntnissen zur Geschichte der KPdSU und zu Stalins Biographie befragten. Anfänglich überrascht, konnte ich dann mehr oder weniger zufriedenstellende Auskünfte geben. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als das Ganze mit Schulterklopfen und der Feststellung des Chefs endete, man nehme mich als Gehilfen für Jugendfragen in die Reihen der Seepolizei auf. Von mir vorgebrachte persönliche Bedenken, daß ich weder mit dem maritimen Milieu vertraut sei noch über die Seefahrt generell Bescheid wisse, wurden mit der ermutigenden Formel, man könne doch "alles lernen", beiseite geschoben, ohne daß man auf meine Zweifel einging. Im Anschluß an das Gespräch erfuhr ich von Holzmann, mich hätten die sowjetischen Berater Sembritzki und Abramow "examiniert". Dem Zweitgenannten sollte ich dann im Februar 1952 beim Dienstantritt in der Seepolizeioffiziersschule Stralsund/Schwedenschanze erneut begegnen.

Für den 15. Januar 1952 wurde ich zunächst mit dem künftigen Dienstgrad Seepolizeiunterkommissar schriftlich zur Hauptverwaltung nach Berlin gerufen. Diszipliniert militärisch meldete ich mich im Vorzimmer des Kaderchefs Polit/Kultur zum Dienstantritt. Das wurde von einer kräftigen jungen Frau hinter der Schreibmaschine zur Kenntnis genommen. So begegnete ich erstmals der später souveränen "Vorzimmerlöwin" des Chefs der 4. Flottille der SSK-VM, Stabsoberfähnrich Margit Niemann, die damals noch Kootz hieß.

Der hinzukommende Kaderchef nahm mir nach kurzer Begrüßung das in seinem Auftrag versandte Schreiben ab und gab es der Sekretärin mit dem Bemerken: "Nur eine kleine Änderung ...". Diese bestand darin, daß der mir angekündigte Dienstgrad ohne weitere Erklärung in Seepolizeimeister reduziert wurde. Doch wer fragte damals schon in unserem jugendlichen Enthusiasmus, noch dazu als Unverheirateter, nach Rängen und Gehaltsstufen! Offen blieb indes die Frage nach dem Warum. So wurde ich eben als Seepolizeimeister eingekleidet.

Im Ledigenwohnheim teilte ich zunächst mit dem fast gleichzeitig eingestellten Seepolizeioberrat Kurt Kmetsch das Zimmer. Das war ein außergewöhnlicher Glücksfall. Er unterstützte meinen maritimen Lerneifer schon beim Aufstehen mit seinem seemännischen Vokabular und seinen reichen Erfahrungen bereitwillig - manchmal, ob ich wollte oder nicht - auch "handgreiflich"! (Wer mochte sich gern als dünner junger Mann schon morgens und schlaftrunken einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf stülpen lassen!) Kmetsch, der später in Peenemünde mein Flottillenchef war und oft liebevoll "Kuddel" genannt wurde, verdanke ich so manches.

In den Diensträumen der PK-Abteilung wurde mir ein einfacher Tisch samt Stuhl zugewiesen. Zunächst erhielt ich die Aufgabe, einen Vortrag zur deutschen Novemberrevolution 1918 auszuarbeiten. Mein "Erstlingswerk" wurde dann im Kollektiv beraten, zum Teil zerpflückt und ergänzt. Dennoch nutzte man es am Ende.

Während der vier Wochen in der PK-Abteilung unterzog man mich verschiedenen Tests: Von der Organisierung thematischer Veranstaltungen über Rezitationen, vorgetragen aus Majakowskis "Oktoberpoem" bei einer LLL-Feierstunde im Kinosaal, und das Einüben von Jugendliedern mit Offizieren und Mannschaften bis zu Wandzeitungsgestaltung und Bühnendekoration wurde mir etliches abgefordert. Die Zeit verging schnell. Ich wurde Mitglied der SV "Sturmvogel" und durfte mir deren Symbol auf meinen Freizeit-Sportanzug nähen. Überdies gliederte man mich in die Sektion Fechten ein.

Im Interesse des Erwerbs seemännischer Grundkenntnisse machte ich von der Bibliothek regen Gebrauch. Deren Leiterin unterstützte meine Studienbemühungen mit der Bereitstellung nicht immer reichhaltiger Marine-Literatur. Schließlich wollte ich im neuen Lebensabschnitt von Beginn an mitreden können und jede Isolierung vermeiden.

Auch für Nützliches an den Wochenenden und in der dienstfreien Zeit war gesorgt. Seit Jahresbeginn gab es im kriegszerstörten Berlin das Nationale Aufbauwerk, und mein Ehrgeiz bestand darin, 50 NAW-Halbschichten zu jeweils drei Stunden abzuleisten, um mir die Teilnahme an der Aufbaulotterie zu sichern. Mit Enthusiasmus enttrümmerten wir im khakifarbenen Bordzeug und unserem schwarzen Barett mit dem Dreieck "Seepolizei", um die Schuttberge in der Berliner Innenstadt abzutragen. Und auch auf dem Gelände der HV Seepolizei unterhalb der die Spree überquerenden Stubenrauchbrücke rückten wir nach der Dienstzeit mit Hacke, Schaufel und Spaten den Resten eines "für 1000 Jahre gebauten" Bunkers zu Leibe.

In diesen ersten vier Wochen als Seepolizist - daraus sollten dann fast vier Jahrzehnte aktiven Dienstes in der VP-See, den Seestreitkräften und der Volksmarine der DDR werden - hatte ich auch ein erstes Zusammentreffen mit einer Parteikontrollkommission, von der ich vorgeladen wurde. Das kam so: Es gehörte in der PK-Abteilung und sicher auch anderswo zum guten Ton, daß man - so wurde es zumindest kolportiert - Kenntnisse über das Buch des Seepolizeichefinspekteurs und Stellvertreters PK Erwin Bartz "999 - erlebt und aufgeschrieben" besitzen mußte.

Nachdem ich in der Bibliothek das in Broschur gefaßte Werk zu ergattern vermocht hatte, begann ich mit der aufwühlenden Lektüre. Der Weg des Genossen Bartz durch die Hölle des Strafbataillons 999 zu den Partisanen in Jugoslawien, seine Teilnahme an der Befreiung oder Wiederinbesitznahme von Dörfern und Städten an der Adriaküste nach Zerschlagung von Wehrmachtseinheiten wurden dort thematisiert. Einige Darlegungen des Verfassers erschienen mir indes recht subjektiv und etwas unrealistisch zu sein. So wurde z. B. die Einnahme einer ganzen Stadt allein durch den Autor geschildert. Das sagte ich auch, als zwei Seepolizeikommissarinnen von mir wissen wollten, wie mir das Buch des Chefs gefallen habe.

Einige Tage später wurde ich aufgefordert, bei der PKK zu erscheinen. Ernste Mienen der anwesenden Seepolizeioffiziere kontrastierten mit dem etwas freundlicheren Blick eines der Anwesenden. Nach diesem etwas frostigen Empfang wurde ich gefragt: "Nun, was hat denn der Seepolizeimeister Barth in letzter Zeit so für Bücher gelesen?" Ich wußte sofort, woher der Wind wehte.

Nach meinen zahlreichen Besuchen in der Bibliothek konnte ich mit einem recht umfangreichen Vorrat an Titeln aufwarten. Ich nannte zunächst Ashajews "Fern von Moskau", Stefan Hermlins "Erste Reihe" und Babajewskis "Ritter des goldenen Sterns". Dem fügte ich seemännische Fachliteratur hinzu, bis ich zu "999 - erlebt und aufgeschrieben" kam. Wie aus der Pistole geschossen fragte mich einer der Offiziere, wie mir denn das Werk von Erwin Bartz gefallen habe. Völlig unbekümmert und mir keiner Schuld bewußt, wiederholte ich meine bereits zuvor geäußerten Ansichten. Nun wurde mir, angefangen bei "der Rolle der Bedeutung" über den antifaschistischen Kampf bis zur Stellung und Autorität des höchsten PK-Offiziers in der Seepolizei, der noch dazu mein Vorgesetzter sei, von fast allen Anwesenden vor Augen geführt, wie klein ich doch verglichen mit ihm wäre. Wenn jemand anderer Meinung als der Autor eines Buches sei, so sollte er das dem Verfasser selbst sagen, meinte Seepolizeioberrat Kühn abschließend. Meine vorwitzige Äußerung, daß ich im Falle einer Kritik an "Fern von Moskau" dann ja in die UdSSR reisen müßte, empfand das Gremium mehrheitlich als unpassend, beließ es aber dennoch bei der Belehrung.

Nur zwei Tage nach diesem Zwischenfall wurde mir das Schreiben über meine nunmehr erfolgte Beförderung zum Seepolizeiunterkommissar überreicht. So mußte ich erneut zur Kleiderkammer, um die Schirmmütze zu tauschen, andere Schulterstücke zu empfangen und die ersten schmalen, aber immerhin schon goldenen Ärmelstreifen zu erhalten. Nun war ich ein Offizier der Seepolizei der DDR. Durch meinen Eintritt in die Polizeikräfte hatte ich einen Schritt unternommen, zu dem der Zentralrat der Freien Deutschen Jugend am 1. März 1950 vor allem junge Arbeiter aufgerufen hatte. Ich war bereit "zur Arbeit und zur Verteidigung des Friedens".

Bald darauf schleppte ich den vollen "Überseekoffer" zum Bahnhof, um den Zug in Richtung Stralsund zu besteigen. Am nächsten Tag stellte mich der "Partisan des Friedens" Horst Holzmann in der Seepolizeioffiziersschule den Leitern dieser Einrichtung als neuen Gehilfen für Jugendarbeit vor. Nun war ich zwar noch immer nicht an der Ostseeküste, doch wenigstens am Strelasund mit einem Blick auf die Insel Rügen.

Kapitän zur See a. D. Peter Barth


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Seepolizeimeister Peter Barth (1952)

RF-Extra Ende

Raute

Lulas Wunschkandidatin Dilma Rousseff triumphierte in Brasilien

Fünftgrößtes Land der Welt in starker Hand

Die Hoffnungen der inneren Reaktion und des Imperialismus, das fünftgrößte und seiner Bevölkerungszahl nach ebenfalls an 5. Stelle in der Welt liegende Land aus der Phalanx eine progressive und unabhängige Außenpolitik verfolgender Staaten Lateinamerikas durch die Entscheidung für einen rechtsgerichteten Präsidentschaftskandidaten herausbrechen zu können, mußten begraben werden. Am 31. Oktober 2010 waren 136 Millionen brasilianische Wahlberechtigte dazu aufgerufen, sich zwischen der engsten Kampfgefährtin des bisherigen Staatspräsidenten Luís Ignacio Lula da Silva (Lula) - der ehemaligen Guerilla-Kämpferin bulgarischer Abkunft Dilma Rousseff (62) - und dem früheren Gouverneur der Provinz S’o Paulo, José Serra als Bewerber der proimperialistischen und konservativen Sozialdemokratischen Partei, zu entscheiden.

Anderslautenden Prognosen zum Trotz waren die Würfel im ersten Wahlgang noch nicht gefallen, da Dilma, wie die populäre Exministerin und frühere Chefin der Präsidialkanzlei Lulas allgemein genannt wird, zwar den höchsten Stimmenanteil errang, aber 20 Millionen nach links tendierende Brasilianer für die couragiert auftretende Grünen-Kandidatin Marina Silva votierten. Im zweiten Wahlgang fiel dann die Entscheidung für Dilma um so eindeutiger aus: Während sie 56% der Stimmen erhielt, bekam ihr Gegenspieler Serra, dessen Sieg sämtliche Feinde einer unabhängigen Entwicklung Brasiliens angestrebt hatten, nur 44%.

Bereits im ersten Wahlgang hatten sich Lulas Partei und deren bisherige Koalitionspartner auf Parlamentsebene klar durchgesetzt und 78% der 513 Kammer-Mandate errungen, was den Rechten im Falle ihres Sieges bei den Präsidentschaftswahlen das Regieren außerordentlich erschwert hätte.

Die achtgrößte Wirtschaftsmacht der Welt - ein inzwischen vollentwickeltes kapitalistisches Land - dürfte also auch künftig in außenpolitischen Angelegenheiten solchen lateinamerikanischen Staaten mit fortschrittlicher Orientierung wie Kuba, Venezuela, Bolivien und Ekuador, die sich den Plänen Washingtons widersetzen und einen eigenständigen Kurs steuern, zuneigen. Schon seit einigen Jahren gehört Brasilien, das unter der achtjährigen Präsidentschaft Lulas, des Führers der linkssozialdemokratischen Partei der Arbeit (PT), in ökonomischer Hinsicht ein rasches Entwicklungstempo anschlug, mit China, Rußland und Indien zur Gruppe jener in die Weltspitze aufsteigenden großen Wirtschaftsmächte, welche längst bei vielen wichtigen Entscheidungen mit am Verhandlungstisch sitzen.

Lula, dessen Kurs seit 2002 am Ende seiner zweiten Wahlperiode 84% der Landesbürger zustimmten - ein einmaliger Vertrauensbeweis in Brasiliens Geschichte! -, konnte selbst kein drittes Mal für die Staatsspitze antreten, nachdem er 2006 bereits einmal wiedergewählt worden war.

Zur Bilanz seiner Ära, die nun unter Dilma ihren Fortgang nehmen dürfte, ist zusammenfassend folgendes festzustellen: Lulas Popularität, zu dessen Koalition auch ein Minister aus der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCdoB) gehörte, basiert in erster Linie auf seinen diversen Programmen zur Überwindung der ärgsten Not unterer Bevölkerungsschichten. Durch sie wurden etwa 30 Millionen Brasilianer krasser Armut entrissen. Allerdings muß hierzu gesagt werden, daß es sich dabei keineswegs um Maßnahmen sozialistischen Charakters handelte. Solche hätten weder dem Kräfteverhältnis im Lande und innerhalb der Regierung noch Lulas eigener Konzeption entsprochen. Auf innenpolitischer Ebene wurde eine an kapitalistischen Maßstäben orientierte Politik verfolgt. Dabei kam es sogar zur Privatisierung staatlicher Unternehmen, wodurch solche brasilianischen Monopole wie Petrobras und Brasil Foods entstehen konnten. Das ermöglichte Investitionen im Umfang von 200 Mrd. Dollar in die Wirtschaft des Landes und ein mittleres Jahreswachstum von sieben Prozent.

Im Kontrast zur Innenpolitik stand das von fortschrittlichen Positionen getragene Handeln der Lula-Regierung auf internationaler Ebene. Es trug ganz wesentlich zur Niederlage der durch Washington gesteuerten Amerikanischen Freihandelszone (ALCA) bei, mit deren Hilfe Amerikas südlicher Halbkontinent unter die kommerzielle Vormundschaft der Vereinigten Staaten gestellt werden sollte.

Von Brasilia gingen starke Impulse für die Belebung des Süd-Süd-Handels mit Afrika und Asien aus, wobei der Warenaustausch mit China und Indien besonders entwickelt werden konnte.

Für die PCdoB gab es in der Frage einer Unterstützung der Dilma-Kandidatur weder Zögern noch Schwanken. Aus Sicht der Kommunisten standen sich bei der Wahl zwei einander feindlich gesonnene Blöcke gegenüber: das Bündnis der PT Lulas und Dilmas mit heterogenen, aber auf einige gemeinsame Anliegen orientierten bisherigen Koalitionspartnern und die Serra-Gruppierung, deren politische Machteroberung das Ende einer erfolgreichen Innen- und einer unabhängigen Außenpolitik bedeutet hätte.

Dilmas Einzug in den Präsidentenpalast ist nach manchen Rückschlägen auch in Brasilien, dem rechten Wahlsieg in Chile sowie Putschversuchen reaktionärer Kräfte in Honduras, Ekuador und Paraguay ein ermutigendes Signal für Lateinamerika und alle Antiimperialisten in der Welt.

RF, gestützt auf Radio Havanna und "Solidaire", Brüssel


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dilma und Lula nehmen ein Bad in der Menge.

Raute

Attika: 14,4 Prozent für Griechenlands KKE

Aus den Regional- und Kommunalwahlen, die im November in Hellas stattfanden, ist die KKE - die traditionsreiche Partei der griechischen Kommunisten - als drittstärkste Kraft hervorgegangen. Im ersten Wahlgang errang die mit ihr und ihren Massenorganisationen identische Volkssammlung - Parteien waren als solche bei den Gemeindewahlen nicht zugelassen - in der Athen, Piräus und den Industriegürtel der Hauptstadt umfassenden Region Attika 14,4% der gültigen Stimmen. In Thessaloniki entfielen 9,5% auf diese Liste. Ihr Landesdurchschnitt lag bei 10,9%. In die Räte der 13 Regionen wurden 40, in die örtlichen Parlamente rund 500 Kommunisten gewählt. Während der KKE-Zuwachs im Vergleich mit den Parlamentswahlen 2009 bei 3,3% (+ 75.000 Stimmen) lag, mußten die regierenden Sozialdemokraten der PASOK (- 9,3%) und die rechtskonservative Opposit ionspar tei Neue Demokratie (- 0,7%), vor allem auch auf Grund der äußerst hohen Wahlabstinenz enttäuschter Anhänger, Verluste hinnehmen. 53% der stimmberechtigten Griechen blieben bei der zweiten Runde der Regional-, 51% der Kommunalwahlen den Urnen fern. 9% gaben ungültige Wahlscheine ab.

Die Generalsekretärin der KKE, Aleka Papariga, nannte das Wahlresultat ermutigend. Die hohen Verluste der beiden führenden Parteien seien die Quittung für von der EU und dem IWF erzwungene volksfeindliche Maßnahmen der Regierung Papandreou und deren Unterstützung durch das großbürgerliche Lager.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

El Salvadors unvergessener Schafik Hándal

Gedenkveranstaltung in Havanna

In den 80er Jahren traf ich als ND-Journalist mit Schafik Hándal anläßlich seines DDR-Besuchs in einem Berliner Gästehaus zusammen. Wir führten ein mehrstündiges Gespräch, aus dem ich großen politischen und menschlichen Gewinn zog. Die Zeitung berichtete darüber. Damals war Hándal, seit 1973 Generalsekretär der KP El Salvadors, zugleich Chef ihres bewaffneten Arms und in dieser Eigenschaft Mitglied des Generalkommandos der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN). Sie stand zu jener Zeit in einem erbitterten Kampf gegen das vom US-Imperialismus ausgehaltene Regime der Latifundistas und der einheimischen Kompradoren-Bourgeoisie. Später - als der Konflikt mit dem Kompromiß eines Friedensabkommens zwischen den Bürgerkriegsseiten endete - verwandelte sich die FMLN in eine legale Partei mit politisch und sozial weit auseinandergehenden Flügeln. Seit 2009 stellt sie den Präsidenten und die Regierung El Salvadors.

Während sich manche anpaßten, bl ieb Schafik Hándal seinen marxistisch-leninistischen Positionen treu.

Unlängst fand in Havanna eine Gedenkveranstaltung aus Anlaß des 80. Geburtstages des am 24. Januar 2006 verstorbenen Revolutionärs statt. Dessen persönliches Jubiläum fiel mit dem 30. Jahrestag der FMLN-Gründung zusammen. Im Beisein mehrerer Politbüromitglieder der KP Kubas wurde Schafik Hándal durch El Salvadors Botschafter als "Kampfesbruder Fidels, Raúls und des kubanischen Volkes" gewürdigt.

Auf dem Prominenten vorbehaltenen Friedhof "Los Illustres" in der Hauptstadt San Salvador ließen Kubas Führer am Grab des herausragenden zentralamerikanischen Kommunisten ein Blumengebinde niederlegen.

K. S., gestützt auf "Granma Internacional", Havanna


Raute

Leben und Freiheit für Mumia!

Wie Angela Davis, die 1972 durch weltweite Solidarität vor dem Tod in der kalifornischen Gaskammer bewahrt und freigekämpft wurde, muß auch der seit 28 Jahren unschuldig in der Todeszelle gemarterte afroamerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal gerettet werden!

Raute

Rechtskonservative Tea Party kontrolliert das US-Repräsentantenhaus

Barack Obama in der Klemme

Die Ergebnisse der USA-Zwischenwahlen vom 2. November 2010 - sie lagen am Ende der ersten Hälfte der Amtszeit des auf vier Jahre gewählten Präsidenten Barack Obama - waren Ausdruck einer fundamentalen Verschiebung des innenpolitischen Kräfteverhältnisses. Die Demokratische Partei des Amtsinhabers, in der es auf Grund des Fehlens einer eigenständigen amerikanischen Sozialdemokratie auch einen linksliberalen Flügel mit Einfluß in der Gewerkschaftsbewegung gibt, konnte ihr Übergewicht im 100 Mitglieder zählenden Senat zwar knapp behaupten, büßte aber im Repräsentantenhaus - der zweiten Kammer des Kongresses - ihre bisherige absolute Mehrheit ein. Diese ging an die Republikaner, welche die Interessen der ersten Reihe des Monopolkapitals und besonders des Militärisch-Industriellen Komplexes der USA vertreten. Sie übernahmen hier die Kontrolle, was Obamas gesetzgeberische Absichten blockieren und sogar eine Revision seiner im parlamentarischen Prozeß ohnehin bereits stark verwässerten Gesundheitsreform bedeuten dürfte. Deren Annahme war das bisher einzige innenpolitische Erfolgserlebnis des Präsidenten.

Als Obama 2008 in den Wahlkampf zog, glich seine auch von der gesamten Linken einschließlich der KP der USA unterstützte Kampagne einem Triumphzug. Als der schwarze Mann dann in das Weiße Haus einrückte, nährte das bei fortschrittlichen Menschen in den USA und in aller Welt irrationale Erwartungen. Nicht wenige Weiße, darunter auch viele junge Leute, und Teile der Arbeiterklasse, fast alle Schwarzen und die meisten Latinos hatten damals für Obama votiert. Übrigens waren ihm die Banken mit enormen Geldspenden in der Erwartung zu Hilfe gekommen, er werde sich als gewählter Präsident durch die sofortige Bereitstellung von "Rettungspaketen" für den in Bedrängnis geratenen Finanzsektor erkenntlich zeigen. In dieser Hinsicht entsprach Obama, der durch Politiker des rechten Flügels wie Außenministerin Hillary Clinton und den von Bush übernommenen republikanischen Kriegsminister John Gates umzingelt wurde, durchaus solchen Wünschen.

Im Taumel des vermeintlichen Volkssieges vom November 2008 blieb die Tatsache eher ausgeblendet, daß nur eine Minderheit der weißen USA-Bürger für den siegreichen Kandidaten gestimmt hatte, während die Mehrheit auf seiten seines Kontrahenten McCain gewesen war. Fast unmittelbar nach den Wahlen verschwand die mächtigste Volksbewegung der jüngeren amerikanischen Geschichte buchstäblich von der Bildfläche. Sie machte nicht für Obama - einen in mancher Hinsicht durchaus positiveren Präsidenten als dessen Vorgänger seit 1945 - mobil, sondern gab statt dessen die Parole aus, der Frischgewählte solle zunächst einmal "Gelegenheit zur Arbeit" erhalten.

Schon bald schwand bei vielen Anhängern Obamas der überschäumende Enthusiasmus aus Kampagne- und Wahltagszeiten. Zwar war der von Bush ins Rennen geschickte McCain, ein über Vietnam abgeschossener ehemaliger Bomberpilot, bei einem Stimmenverhältnis von 46:54 Prozent durchgefallen, doch erfüllte der Sieger nicht die von der Masse seiner Wähler in ihn gesetzten Erwartungen. Mehr noch: Obama brach fast alle Versprechen.

Unter seiner Präsidentschaft stieg die überdies frisierte offizielle Arbeitslosenzahl auf 14 Millionen (9,8 %), während die Hypothekenkrise Millionen Amerikaner, die ihre Häuser und Grundstücke verloren oder den beim Immobilienkauf in Anspruch genommenen Kredit samt Zinsen nicht mehr abzahlen konnten, ins Elend stürzte. Auch in anderer Hinsicht lichtete sich der Nebel. Die US-Folterhölle Guantánamo auf Kuba, deren Schließung durch Obama zugesagt worden war, besteht weiterhin. Der angekündigte Abzug aus Irak erfolgte nur zum Teil, den Aggressionskrieg gegen Afghanistan dehnte Washington auf Pakistan aus.

Die Scharfmacher aus der eigenen Administration setzten den Friedensnobelpreisträger an der Spitze der imperialistischen Hauptmacht unter massiven Druck. Auch sollte man beachten, daß der jetzige Präsident von noch weiter rechts stehenden Kräften in den USA frontal attackiert wird. Sie wollen die Wiederwahl Obamas - eines eloquenten Politikers mit Charisma - im Jahr 2012 verhindern und einen Strohmann der Monopole ganz anderer Art ans Ruder bringen.

Bei all dem spielt die sogenannte Tea Party eine maßgebliche Rolle. Der irreführende Name dieser neuen rechtspopulistischen, auf die besonders konservative Bevölkerung der Kleinstädte, Siedlungen und des flachen Landes abhebende Strömung bezieht sich auf die Bostoner Tea Party von 1773. Damals hatten nordamerikanische Siedler, welche über ihnen durch die Briten aufgebürdete Steuern empört waren, Tonnen von Tee ins Meer geschüttet.

Die Tea Party besteht aus fanatischen Antikommunisten, bezichtigt Obama einer "sozialistischen Durchdringung der amerikanischen Gesellschaft" und setzt auf rabiaten Anti-Islamismus. Obwohl es sich formell nicht um eine Strömung innerhalb der Republikanischen Partei (GOP) handelt, ist die vor allem von Öl- und Medienbossen finanzierte und lancierte Gruppierung binnen weniger Monate zum Machtfaktor in dieser geworden. Einer unter drei GOP-Bewerbern für das Repräsentantenhaus (129 von 435) wurde durch die Tea Party gestellt. Beim Senat, wo nur ein Drittel der Sitze neu vergeben worden ist, war das Verhältnis 9:37.

Barack Obama geht angezählt in die zweite Hälfte seiner ersten Amtszeit als Präsident. Es ist zu befürchten, daß er sich angesichts des neuen Kräfteverhältnisses in die rechte Ecke flüchten und auf eine noch aggressivere USA-Außenpolitik, z. B. gegenüber Iran, setzen könnte. Dann aber würde er endgültig den Rückhalt bei jenen linken und demokratischen Kräften in seinem Land verlieren, die ihm 2008 zu einem grandiosen Sieg verhalfen. Eine Wiederwahl erschiene so noch ungewisser.

Klaus Steiniger

Raute

BRD-"Einsatzkräfte" zwischen Todesangst und Trophäenmentalität

Feldpost vom Hindukusch:

Die in der BRD Regierenden haben ein handfestes Problem: den bereits seit neun Jahren andauernden Einsatz der Bundeswehr auf dem Kriegsschauplatz Afghanistan.

Fünf Aspekte sind in Bet racht zu ziehen: 1. Das Volk ist dagegen: Waren es 2004 nur 50%, so sind es jetzt schon 75%. 2. Es lassen sich keine echten Erfolge vom Kriegsschauplatz vermelden. 3. Inzwischen kommen Soldaten in Leichensäcken zurück. 4. Man erklärt die Gefallenen zu Helden, obwohl viele wissen, daß die Bundeswehrangehörigen mit exorbitantem "Tagegeld" eher Söldner, auf alle Fälle aber Hasardeure auf eigene Rechnung sind. 5. Die Mär vom Brunnenbohren, der Schulweg-Eskorte für Mädchen und dem flotten Straßenbau hat sich als Köder erwiesen, um daheim wie in Afghanistan Zust immung bei der Bevölkerung zu erringen. Heute sind die Soldaten nur noch aktiv, um ihren Aufenthalt dort lebend zu überstehen.

Was also tun? Wie soll man mit "dem Volk" über "unseren" Krieg in Afghanistan reden?

Man muß ganz einfach ein bißchen kecke Kritik mit aktivierenden "dynamischen" Appellen vermischen. Der TV-Beitrag "Die Afghanistanlüge - die Soldaten, die Politik und der Krieg" zeigte, wie so etwas gemacht wird. Er wurde am 20. Oktober auf 3sat übertragen, nachdem die Erstsendung bereits Monate zuvor im ARD-Mitternachtsprogramm gelaufen war.

Kritik wird freilich am besten von Leuten geübt, die schon "außen vor" sind: Volker Rühe, Peter Struck und Reinhold Robbe. Appelle ergehen dann von jenen, welche die Nebelmaschine am Laufen halten müssen: Herrn zu Guttenberg, dem Wehrbeauftragten des Bundestages, der Generalität, höheren Offizieren, auch Kompaniechefs und wirklich vor Ort befindlichen Haupt- und Unterfeldwebeln.

Die Kritik lautet in etwa: "Es wurde teilweise ein Zerrbild vermittelt, an dem sich auch Parlamentarier beteiligt haben. Hinzu kam die involvierte Medienlandschaft." So hört man es aus dem Hause Guttenberg. "Thomas D. ging in den Auslandseinsatz und landete im Krieg!", verkündete "unser Mann in Afghanistan", der ZDF-Frontberichterstatter Ulrich Gack. Zum "Partnering-Konzept" (die Bundeswehr kämpft zusammen mit der afghanischen Armee) meinte Volker Rühe: "Das ist die nächste Lebenslüge." Anklagend und fordernd hören sich die Appelle an: "Auf 800 Männer im Lager Kundus kommen nur 1 Psychologe und 1 Militärpfarrer" - also: dringend aufstocken!

"Die Verwundetenversorgung ist die Achillesferse des Einsatzes, denn es gibt zu wenig Ärzte, medizinisches Personal, Sanitäter, Krankenhelfer" - also: unbedingt erhöhen!

Wer sich in das vertieft, was die ARD so ins Land "versendet", entdeckt äußerst aufschlußreiche, unfreiwillige, sicher naive Selbstentlarvungen der Soldaten, geschuldet dem Spagat zwischen der "Angst im Feldlager und auf Patrouille" und dem "Was würde denn jetzt der Hauptmann (und das TV-Team!) am liebsten hören?": "Zweck der Patrouille ist ... sie sollen einfach nur sehen, daß wir da sind." (Sebastian D. auf Höhe 431) "Kontakte, das bedeutet Feindberührung." "Man spürt (sagt ein schwer verwundet Aufgefundener, F. S.), daß es wirklich ums Leben geht ... es ist so schwer, daß man jetzt hier sterben könnte ... Das ist einfach Angst. Nicht unbedingt Angst, zu sterben, vor dem Tod selber. Sondern, so war es bei mir, in diesem Moment, an diesem Ort; ohne noch mal seine Familie zu sehen, ohne noch mal seine Frau zu sehen." "Was befürchten Sie", fragt der Kommentator und Gerald S. antwortet: "Hinterhalte ... Man kann halt nichts dagegen tun."

Entlarvend auch der Verweis auf eine Strichliste am Helm von Hauptmann Nicolas H. "Das zeugt von erlebten Feuergefechten." Ist das nicht bereits Trophäenmentalität wie einst bei den GIs in Vietnam oder Irak?

Vielleicht macht die Sendung aber auch Hoffnung: "Ich behaupte, daß die fehlende Akzeptanz ja dazu führt, daß der Einsatz nicht durchzuhalten ist", meint Reinhold Robbe (SPD), der bis Mitte 2010 Wehrbeauftragter des Bundestages war.

Frank Schubert

Raute

Sozialistisches Fachorgan

In Nr. 49 vom 6. Dezember informierte das in Hamburg erscheinende Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" seine Leser über den Beitrag Oskar Lafontaines im "RotFuchs" Nr. 154. In der dem Politiker gewidmeten Personalie heißt es:

"Unter der Überschrift 'Der archimedische Punkt' veröffentlicht der inoffizielle Wortführer der Partei einen Aufsatz über 'Eigentum und Gesellschaft' in der Dezember-Ausgabe des sozialistischen Fachorgans 'RotFuchs' (Auflage: 20.000). Er geißelt in seinem Text 'alle Versuche', die 'klare Position der Partei Die Linke aufzuweichen'."

Raute

Australiens kommunistische Bewegung entstand vor 90 Jahren

Peter Symons tapfere Partei

Ende Oktober konnte die kommunistische Bewegung Australiens auf 90 wechselvolle Jahre zurückblicken. In dieser Zeit standen ihre Genossen ununterbrochen im Trommelfeuer übermächtiger Medien des Gegners. Diese beeinflußten das Denken auch der meisten Proletarier, deren Klassenbewußtsein schwach ausgeprägt war, so daß reformistische Ideen die Oberhand gewannen. Selbst auf dem Höhepunkt ihres Einflusses, als sie etwa 20.000 Mitglieder zählte, gelang es der CPA nicht, auch nur einen einzigen Sitz im Bundesparlament zu erringen.

Der Klassenfeind ließ keine Gelegenheit aus, die Kommunisten zu terrorisieren und sie gleichzeitig zu bezichtigen, selbst Terroristen zu sein. Dubiose Elemente, die mit den Faschisten vor der Roten Armee geflohen oder aus sozialistischen Ländern emigriert waren, überfielen Meetings und Demonstrationszüge der CPA. Zu solchen antikommunistischen Stoßtrupps gehörten dann auch frühere Anhänger des südvietnamesischen Marionettenregimes.

Umfassende geheimpolizeiliche Überwachung war die Regel. Hinzu kam die Denunziation am Arbeitsplatz, um Unternehmer, die Kommunisten beschäftigten, zu deren Entlassung zu drängen. In die Reihen der Partei wurden Spitzel und Provokateure eingeschleust. Während der 30er Jahre sah sich die CPA zur Aufstellung einer Arbeiter-Verteidigungsliga als Selbstschutz gegen ständig drohende faschistische Attacken gezwungen.

Formell wurde die Partei am 30. Oktober 1920 in Sydney gegründet. Sie war zunächst ein Zusammenschluß mit der Oktoberrevolution sympathisierender linker Gruppen. Diese traten gegen die Einbeziehung australischer Verbände in die weiße Intervention von 14 Staaten auf. Australiens damalige Labor-Regierung bekämpfte Sowjetrußland mit Vehemenz, während sich revolutionäre Strömungen der Arbeiterbewegung mit den Bolschewiki solidarisierten.

Die ideologische Situation in der CPA war während dieser frühen Phase trotz des Bekenntnisses vieler zu Lenin eher verworren. Erst nach dem Eingreifen der Kommunistischen Internationale, die einer neuen Führung den Weg bahnte, gelang es, ultralinke und anarchistische Einflüsse zurückzudrängen.

1929 wurde Australien von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen. Die Arbeitslosigkeit explodierte. Damals gewannen die Kommunisten rasch an Einfluß. In Fabriken, Bergwerken und anderswo entstanden Zellen der CPA. Jim Healy kämpfte erfolgreich für die Organisierung der Docker und Schauerleute. Kommunisten standen fast überall an der Spitze derer, welche neue Gewerkschaften ins Leben riefen: Mit ihrer Hilfe formierten sich die Unions der Seeleute, Lehrer, Bergarbeiter, Metaller, Kellnerinnen, Straßenbahner, Postler, Bauarbeiter, Krankenschwestern und etliche andere. Sogar die Schauspieler organisierten sich. Viele CPA-Mitglieder wurden in die Leitungen der Verbände gewählt.

Als Hitler und Mussolini 1936 zugunsten Francos in den spanischen Bürgerkrieg eingriffen, standen auch Australier in den Reihen der Internationalen Brigaden für die bedrohte Republik ein. Nach Hitlers Überfall auf Polen verschärfte sich in Australien der antikommunistische Kurs. Generalstaatsanwalt Robert Menzies verbot am 15. Juni 1940 die CPA. Eine Periode der faktischen Illegalität begann. Sie währte so lange, bis die Siege der Roten Armee selbst hartnäckige Gegner des Kommunismus zu Meinungskorrekturen zwangen. Gegen Kriegsende war das Prestige der CPA auf Grund ihres anerkannten Beitrags zum Kampf gegen die Achsenmächte so gewachsen, daß kommunistische Gewerkschaftsführer wie Healy sogar zu Kabinettssitzungen eingeladen wurden. Damals gab es Zellen der Partei mit bis zu 200 Mitgliedern. Ihr zunehmender Einfluß erzeugte bei manchen Genossen das Gefühl, die Revolution sei "beinahe um die Ecke".

Solchen Vorstellungen bereitete der durch Churchill in seiner berüchtigten Fulton-Rede eingeleitete Kalte Krieg ein rasches Ende. Die nun einsetzende Furcht vor einem atomaren Schlagabtausch beider Lager brachte viele zum Verstummen. In dieser Phase bildete der Kampf für die Verhinderung eines Nuklearkrieges den Hauptinhalt der Tätigkeit der CPA.

Nach dem Sturz der Labor-Regierung kam der berüchtigte Robert Menzies ans Ruder. Er blieb mehr als zwei Jahrzehnte Premier, wobei ihm der ökonomische Aufschwung jener Zeit sein Spiel erleichterte.

In den 50er Jahren geriet die CPA innerparteilich in Schwierigkeiten. Die nun an ihrer Spitze stehenden Aarons-Brüder vertraten den Standpunkt, die Arbeiterklasse könne nicht länger die führende Kraft im sozialen Befreiungskampf sein. Kurzerhand liquidierten sie die CPA-Strukturen in der Industrie - das Rückgrat der Partei. In jener Zeit gelangten auch führende Trotzkisten in deren Spitzengremien. Die Mehrheit der Mitglieder war dem ideologisch und theoretisch nicht gewachsen. Man sprach von einer "Bewegung ohne Bücher".

Zusätzliche Belastungen brachte der XX. Parteitag der KPdSU. Ein Teil der CPA mit Ted Hill an der Spitze trennte sich von der Partei und bildete eine pro-chinesische Organisation. Viele Enttäuschte erteilten dem Marxismus-Leninismus eine Absage und gingen auf sozialdemokratische Positionen über. Während die CPA geschwächt weiterbestand, trugen die 68er Ereignisse in der CSSR zusätzlichen Zündstoff in ihre Reihen. Die Aarons-Brüder verurteilten den Einmarsch sowjetischer Truppen. Dadurch kam es zu einer neuerlichen Spaltung der Partei. Der USA-Aggressionskrieg gegen Vietnam stieß in Australien auf heftigen Widerstand. Doch die CPA war außerstande, diese Chance zur Erlangung neuen Einflusses wirksam zu nutzen. Während ein Teil der Genossen aktiv an der Friedensfront kämpfte, war die Masse der Mitglieder durch interne Auseinandersetzungen gebunden. Die rechtsopportunistischen Aarons-Brüder suchten jede Opposition gegenüber ihrer Linie zu ersticken - eine Situation, die von den an Einfluß gewinnenden Trotzkisten genutzt wurde.

Anfang der 70er Jahre stand die Forderung, eine neue marxistisch-leninistische Partei zu formieren, zwingend auf der Tagesordnung. Unter dem historischen Namen von 1920 gründete sich die Sozialistische Partei Australiens. Ihr Generalsekretär war eine gute Wahl: Mit dem theoretisch gebildeten, politisch erfahrenen, menschlich integren, in Strategie und Taktik profilgebenden Peter Symon gelang der SPA die Konsolidierung. Von Beginn an durchschaute er das verräterische Spiel Gorbatschows und gab seiner Partei eine entsprechende Orientierung.

Unterdessen liquidierte sich die von Opportunisten geführte CPA Schritt für Schritt selbst. Schließlich löste sie sich auf. 1995, fünf Jahre später, beschloß ein Parteitag der SPA einstimmig deren Umbenennung in KP Australiens. Unter ihrem alten Namen fand sie breitere Akzeptanz. 2009 konnte Peter Symon feststellen, daß die Kommunisten wieder ein Teil der politischen Landschaft Australiens sind.

Nach dem Tod ihres prestigereichen Generalsekretärs übernahmen erfahrene Genossen mit Dr. Hannah Middleton - sie promovierte übrigens in der DDR - das Steuer der neuen CPA. Ihre Wochenzeitung "The Guardian" kündet vom Kampfesmut und der mit politischem Realismus gepaarten Zukunftsgewißheit der australischen Kommunisten.

RF, gestützt auf einen Artikel von Rob Gowland in "The Guardian", Sydney

Raute

Saksamaa: Für Esten sind die Deutschen alle Sachsen

Kleiner Sprach-Exkurs mit Walter Ruge

"Reformen" sind heute wie das "Amen" in der Kirche; auf Schritt und Tritt wird "reformiert": das Gesundheitswesen, das Bankenunwesen, der Arbeitsmarkt, die Bildung. Vor wenigen Jahren stopften unsere Schriftgelehrten ein oder sogar zweimal das jährliche "Sommerloch" mit einer "Reform" der deutschen Rechtschreibung. Geredet wurde viel, zu einem Volksentscheid kam es nicht; geblieben sind Un-Worte wie "Schifffahrt", "Stilllegung" oder "Schnellläufer". Im "Neuen Testament" figurieren die "Schriftgelehrten" noch als Leute von der "Partei der Pharisäer". So weit wollen wir gar nicht gehen, aber an Shakespeares "Viel Lärm um Nichts" glaubt man sich schon erinnert.

Es ist lehrreich, eine andere Sprache kurz zu erleben, die nach einfachsten Grundsätzen, lange bevor man in Deutschland an eine "Reform" auch nur dachte, Erstaunliches in die Welt gesetzt hat: Es handelt sich um Estnisch. Die Esten bauten ihre Sprache nach einer Regel auf, die absolut einleuchtend ist: So schreiben, wie gesprochen wird - so sprechen, wie es geschrieben steht.

Damit werden phonetische Erläuterungen fast überflüssig, sogenanntes Wissen um die bange Frage hinfällig: Wie wird das ausgesprochen? Bei den folgenden Beispielen steht die Betonung eindeutig fest: mööbel, veterinaarapteek, politbüroo, regaal, reptiil und pluraal. Kein Ausländer, der das Alphabet einigermaßen beherrscht, wird dabei irregeführt, jeder Politiker kann eine vorgefertigte Rede richtig ablesen. Jedes Kind weiß auch ohne Erläuterung durch den Lehrer, wie es diese Worte betonen muß. So entfallen alle Spitzfindigkeiten und Sonderfälle zur Dehnung von Vokalen (Wahl oder Wal und die unerklärliche Tatsache, daß "wir" genauso ausgesprochen wird wie "Stier"). Viele Worte werden ähnlich wie im Deutschen ausgesprochen: kämping, rütm, füüsik, staar, intervjuu, kondensaator, eetik. Zugleich stimmt dieses estnische Schriftbild mit seinen vielen "Ö" fröhlich, so ist öö Nacht, töö Arbeit. Erst mit den Tagen in Tallinn ging mir ein Licht auf: Diese unkonventionelle Schreibweise finden wir auch bei Wilhelm Busch und bei Heinrich Zille ("Milljööh") samt der drolligen Zeichnungen wieder. Darum stiftet sie auch so viel Frohsinn. Die estnischen Freunde diktierten mir einen Satz, den man für eine Chiffre halten könnte: "Kuu uurija istus jää ääres", was soviel heißen soll wie: "Der Erforscher des Mondes saß am Rande des Eises in einer Arbeitsnacht."

Der letzte Buchstabe im estnischen Alphabet ist übrigens nicht das "Z", sondern das "Y". "Z" wird durch "ts" - "distsiplin" - ersetzt. Im Russischen ist das Schlußlicht bekanntlich das "Ja", was zugleich "Ich" bedeutet; im Griechischen ist es das "Omega", also kann es durchaus mal ganz anders sein als in Deutschland.

Lustig ist zu erfahren, daß dieses schlicht Saksamaa heißt. Hat man herausgefunden, daß "maa" "Land" bedeutet, bleibt nur noch zu schlußfolgern, daß Saksamaa einfach "Sachsenland" heißt. So ist sachsaauto schlicht ein deutsches Auto, im konkreten Falle ein Volkswagen, der ja immerhin aus Niedersachsen stammt. Wir Deutschen sind einfach die Sakslane (Sachsländer). Wenn das in Deutschland erst einmal ruchbar wird, daß wir alle Sachsen sind, gibt es kein Halten mehr! Dabei haben die Esten selbst so einen kleinen Sachsen-Touch: Sie vertauschen die weichen Konsonanten gegen entsprechende harte - Pudder statt Butter. Bei den Esten wird Bank zu "Pank", also Hansepank. Oder Birne wird zu "Pirne". Wir stießen auf das Wort "Püksi", ganz einfach "Buchsen / Hosen", bei den Bayern heißt es auch nicht anders. Bämme (belegtes Brot) haben sie nicht, dafür aber "memme", was indes nicht - wie im Deutschen - "Feigling" bedeutet, sondern "Großmütterchen".

Ein "ch" kennen die armen Esten auch nicht, dafür steht einfach ein "h", was man natürlich wissen muß: also mehanik und mahorka, womit der kräftige russische Tabak gemeint ist. Oder "Hina", was für "China" steht. Das "C" ist einfach überflüssig. Aber "Rahe" wird "Rache" gesprochen und bedeutet Hagel. Da gibt es übrigens ein ganzes Stadtviertel mit Schneestraßennamen: Hala, sprich "Chala", ist Reif, Lobjaka eine große Schneeflocke, Lobiak pitschnasser Schnee und Pakase heißt Frost. Natürlich spielt Schnee in all seinen Variationen in Estland eine große Rolle.

So haben wir uns in den 17 Tagen des Aufenthalts in dem baltischen Land gerne zum Lernen einladen lassen. Am Ende hatten wir Lust, länger zu bleiben. In einer estnischen Fassung des "Faust" verabschiedet sich Martha im "aiamajake" (dem Gartenhäuschen) von Faust und Mephisto bedenkenlos mit einem unmißverständlichen "Adjöö!"

Für den Laut "sch" steht ein "S" mit einem kleinen Haken obendrauf. Ob das nun Stuttgart, Shell, Shop, Scham, Scholochow, Shakespeare oder Schaum betrifft, das Zeichen bleibt immer dasselbe, denn es ist der gleiche Laut.

Jetzt kann der Leser sicher schon beginnen, selbständig Worte wie Klaastaaraautomat zu entschlüsseln. Haben Sie's? Automatische Pfandflaschen-Rücknahme. Man steckt die Buddeln in einen Spalt und erhält mit der letzten einen Gutschein, der drei Tage für den Einkauf gültig ist. Es gibt auch vollautomatische Tankstellen, ganz ohne Personal, wo das Benzin billiger ist. Alle Achtung!

Soweit mein kleiner Sprachexkurs nach Tallinn.

Walter Ruge

Raute

Poeme Nazim Hikmets fanden endlich Eingang auch in Schulbücher der Türkei

Der lange totgeschwiegene große Sohn

Nazim Hikmet, der herausragende türkische Dichter, hatte in den Augen der Mächtigen seines Landes einen unverzeihlichen Makel: Er war Kommunist. 1902 in Salonica geboren, mußte er viele Jahre seines Lebens in Gefängnissen oder im Exil verbringen. Obwohl er als Sproß einer einflußreichen Adelsfamilie zur Welt kam und eine glanzvolle Laufbahn hätte einschlagen können, entschied sich Hikmet für die Sache des Proletariats.

Beide Großväter waren hochrangige Militärs des Osmanische Reiches, das an der Seite des kaiserlichen Deutschlands in den 1. Weltkrieg zog. Nazim besuchte zunächst eine französische Schule und anschließend die Marine-Akademie. Anfangs wurde der junge Mann von der bürgerlich-nationalistischen Bewegung Mustafa Kemals, welcher in Ankara eine Gegenregierung zur proimperialistischen türkischen Führung installiert hatte, angezogen. Kemal selbst - später als Attatürk (Vater der Türken) Begründer der modernen Türkei - empfahl Nazim "Gedichte mit einem Zweck zu schreiben".

Unter dem Eindruck weltverändernder Umwandlungen in Sowjetrußland reiste Hikmet nach Moskau, wo er mit dem Dichter Wladimir Majakowski und dem bedeutenden Theatermann Wsewolod Meyerhold zusammentraf. Er entschied sich für ein Studium an der damals durch die KPdSU eingerichteten Universität der Völker des Ostens. Als er 1924 in sein Heimatland zurückkehrte, hatte dieses bereits die Unabhängigkeit errungen. Nachdem bekannt wurde, daß Hikmet der KP der Türkei beigetreten war, wurde er sofort zur Zielscheibe rechtsgerichteter Kräfte, die nun im Land am Bosporus den Ton angaben. 1929 erstmals festgenommen, durchlief er zahlreiche Haftanstalten, bis er 1938 wegen "Aufrufs zur einer Revolte in den Streitkräften" zu 28 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde. Den Hintergrund dieses Prozesses gegen Hikmet bildete die Tatsache, daß Matrosen bei der Lektüre seiner Poeme überrascht worden waren. 1949 stellten sich der französische Schriftsteller Louis Aragon und andere bekannte Intellektuelle an die Spitze einer bald internationale Dimensionen erlangenden Kampagne für die Freilassung des türkischen Dichters und unbeugsamen Kommunisten. 1950 wurde ihm auf dem Warschauer Kongreß des Weltfriedensrates in Abwesenheit der Internationale Friedenspreis verliehen, den er gemeinsam mit Paul Robeson und Pablo Neruda erhielt.

Im selben Jahr gelangte Nazim Hikmet im Rahmen einer durch die türkischen Behörden erlassenen Generalamnestie auf freien Fuß. Schwer krank, flüchtete er in die Sowjetunion, um sich einer drohenden Einberufung zum Militär des NATOStaates zu entziehen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1963 lebte Hikmet in Moskau, von wo er - meist in Angelegenheiten des Weltfriedensrates - eine Reihe von Reisen unternahm.

Nach Jahrzehnten totaler Ächtung durch die wechselnden Machthaber der Türkei, in denen sein Name nicht einmal erwähnt werden durfte, sind die von der türkischen Linken stets in Ehren gehaltenen Werke Nazim Hikmets unterdessen auch in Buchhandlungen seines Heimatlandes zu erwerben. Zwei seiner Gedichte haben sogar Eingang in Schulbücher der Türkei gefunden. Indes bedurfte es 2001 noch einer halben Million Unterschriften, um den rechtsgerichteten Machthabern die Wiederherstellung der türkischen Staatsangehörigkeit des zum Vaterlandsverräter gestempelten Dichters aus Anlaß seines 100. Geburtstages abzuringen.

In der DDR erfreute sich Nazim Hikmet, der mit namhaften Literaten wie Anna Seghers persönlich befreundet war, großer Beliebtheit. Seine Unbeugsamkeit wurde gewürdigt, seine Poeme fanden landesweite Verbreitung, sein Name galt als Synonym für eine andere, fortschrittliche Türkei, zu deren Wegbereitern er gehörte.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", London

Raute

Pinguine

Keiner friert für sich alleine
Stein und Beine,
so berichtet es Gesine(*),
die im Tierpark Pinguine
oft bemüttert
und mit kleinen Fischen füttert.

Bei dem kalten Winter schwärmt
man für alles, was da wärmt -
Mützen, Mäntel, warme Schuhe,
Arbeit und ein wenig Ruhe!
Doch die Pinguine, sagt Gesine,
haben so was alles nicht.
Nackt und bloß in ihrem Felle
frierend in der Westerwelle
hatten sie sich ausgemacht,
solidarisch wird gedacht -
und - das ist kein Faschingsulk -
daß zusammen sie als Pulk
sich ans kühle Land begeben,
schließlich wollen alle leben!

Klug sie sich darauf besinnen:
Echte Wärme kommt von innen,
also die, die draußen stehen,
sollen wechselweise gehen
hin zur Mitte und sich wärmen,
während die nach außen schwärmen,
die bisher gut weggekommen!

Hat die Botschaft man vernommen?


(*) Gemeint ist Gesine Lötzsch, die aus Erfahrung einer Wahlperiode im Bundestag spricht. Damals erlebten die zwei Abgeordneten der PDS am Katzentisch die Kälte der Ignoranz.

Solidarität mit denen, die draußen stehen und frieren - bei den Pinguinen beobachtet - ist auch in der der menschlichen Gesellschaft dringend geboten.

Dr. Käthe Seelig
20.10.2010

Raute

Vor 100 Jahren wurde Lotte Fürnberg geboren

Erinnern an eine beherzte Frau

"... nur mit Dir werde ich etwas sein, nur mit Dir werde ich etwas leisten, nur mit Dir werde ich meine Arbeit tun und den Menschen und der Welt irgendwie weiterhelfen und ihnen wenigstens nützen ...", schreibt der 28jährige junge Dichter Louis Fürnberg aus Karlsbad (Karlovy Vary) am 9. Juli 1937 an Lotte Wertheimer in Trautenau (Trutnov). Es ist ein langer, inständiger, bekenntnishafter Brief. Seine Gefühlswelt berührt auch uns Heutige tief, weil er von inniger Liebe und starkem Verantwortungsbewußtsein gespeist ist.

Fürnberg spürt nach ersten Begegnungen mit der 1911 geborenen Tochter eines jüdischen Fabrikbesitzers, daß sie in ihren Anschauungen und Standpunkten zueinander gehören. Bereits 1934 trat Lotte Wertheimer in die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei ein und reiste noch im gleichen Jahr als Touristin, unter dem Decknamen Liese Werner, in die Sowjetunion, um sich ein eigenes Bild vom Aufbau einer neuen Gesellschaft zu machen.

Louis und Lotte sind der gleichen Sache verbunden, im tiefsten Sinn ist es ihre persönlichste Angelegenheit. Gegen den Widerstand von Lottes Eltern heiraten sie 1937. Es ist ein Bund fürs Leben, dem schwere Prüfungen bevorstehen: Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Tschechoslowakei 1938/39 müssen sie in die Illegalität gehen (Lotte vernichtet in letzter Minute Manuskripte von Louis). Flucht, Gefängnisse, Torturen, Emigration über Polen, England, Italien, Serbien, Palästina ... Sie hat darüber sehr anschaulich in Ulrike Edschmids "Verletzte Grenzen" (1992) berichtet.

Nie hat sich Lotte in den Vordergrund gedrängt. Sie schenkte unter widrigsten Bedingungen des Exils zwei Kindern das Leben: Michael (1940) und Alena (1947). Selbstverständlich hat sie Louis Fürnberg in seiner schriftstellerischen Arbeit stets unterstützt.

Mehr als die Hälfte ihres Lebens, fast 50 Jahre, hat sie in Weimar gelebt. Hierher war die Familie gezogen, nachdem der Dichter 1954 durch die Regierung der DDR zum stellvertretenden Direktor der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur berufen worden war. Ihm blieben nur noch drei Lebensjahre ­... Lotte Fürnberg baute umsichtig das Fürnberg-Archiv auf. Von der Akademie der Künste der DDR hierin unterstützt, arbeitete sie als Herausgeberin, beriet forschende Germanisten, betreute Dutzende Einrichtungen und Kollektive, die den Ehrennamen "Louis Fürnberg" trugen, führte Korrespondenzen in alle Welt. Sie wurde zu einer gefragten Jahrhundertzeugin. Erst recht nach 1989, als sie sich Demonstranten gegen den Golfkrieg und deren Forderungen "Kein Blut für Öl!" anschloß.

Was mich bei wiederholten Besuchen zunehmend in Erstaunen versetzte, war ihre enorme Belesenheit in der damals aktuellen Literatur: Bücher von Ralph Hartmann ("Die Liquidatoren"), Günter Grass, Noam Chomsky und Arundhati Roy. Auch ausländische Zeitungen las sie. Genossen fragten sie um Rat. Das tat ihr gut.

Es wird am 26. Januar - Lottes 100. Geburtstag - an ihrer letzten Ruhestätte auf dem Historischen Friedhof Weimar viele Blumen geben. Dort ist die 2004 Verstorbene neben ihrem Lebens- und Kampfgefährten Louis beigesetzt worden.

Werner Voigt, Kromsdorf

Raute

Marxistische Philosophiedozentin unerwünscht?

Fragen an Sachsens Wissenschaftsministerin

Sehr geehrte Frau von Schorlemer,

hiermit möchte ich Sie herzlich darum bitten, mich in meinem Bemühen zu unterstützen, an der TU Dresden eine Wiederanstellung, dieses Mal als Dozentin für Philosophie, zu bekommen. Am 31. Oktober 1990 wurde ich aus meiner Tätigkeit als Assistentin im Fach Philosophie, die mir viel Freude bereitet hat, und in der ich auch bei den Studenten gut angekommen bin, entlassen. Es gibt dafür keine Begründung, außer der Annahme - es wurde ja offiziell nie gesagt -, daß marxistische Philosophie nicht mehr gelehrt werden darf. Das Grundgesetz oder sonst ein anderes Gesetz der BRD sieht so etwas jedoch nicht vor, und es ist fragwürdig, wie weit es nach BRD-Recht überhaupt möglich wäre, so viele Lehrkräfte wie 1990 (damals waren es 88 Prozent) einfach aus den Hochschulen und Universitäten rauszuwerfen.

Dies ist besonders bedenklich, wenn man sich die Alternative, die dann praktiziert wurde, ansieht. Weder gibt es an der TU Dresden ein Studium generale, noch erhalten die Studenten zumindest der technischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten eine allgemeinwissenschaftliche, philosophische Ausbildung. Philosophie und philosophisches Denken, die in der DDR jedem Studenten während seiner Grundausbildung angeboten wurden, sind völlig abgeschafft, und dies nicht gerade zugunsten der Bildung moralischer und weltanschaulicher Werte.

Es ist auch nicht wahr, zumindest in meinem Falle, daß nicht auch Elemente anderer philosophischer Denkrichtungen und Strömungen gelehrt wurden wie z. B. der Hegelschen Dialektik, der Kantschen Ethik, der Philosophie Schellings. Platos, Demokrits, Epikurs, Aristoteles', Rousseaus, Feuerbachs, Sartres, Jaspers', Heideggers usw.

Seit 1991 bekommen die Studenten der TU Dresden nicht einmal in jedem Fall in fachspezifischen Disziplinen hochdotierte, hochgebildete Lehrkräfte. Statt dessen wurde ihnen z. B. eine Professorin, die nicht einmal eine Promotionsschrift verfaßt hat, vorgesetzt: die Generalbundesanwältin Monika Harms.

Ich möchte gar nicht erst von einem Vortrag der Treuhandchefin Birgit Breuel an der TU reden. Sie hat meines Wissens nicht einmal ein Studium absolviert, dafür aber die Wirtschaft der DDR an vorderster Stelle abgewickelt.

Ich sehe mich selbst durchaus dazu in der Lage, auch nach Jahren der "Abstinenz" eine hochqualifizierte, engagierte Lehre anzubieten und die Studenten mitzureißen. Ich habe die letzten 20 Jahre auch dazu genutzt, mich wesentlich weiterzuqualifizieren, so daß ich nun als Dozentin bzw. Professorin tätig sein kann. Ich bin sicher, daß ich eine bessere Lehre zu leisten vermag als die Generalbundesanwältin, die ihre Tätigkeit an der TU mit Gewißheit eher als schmückendes Beiwerk betrachtet und ihrer eigentlichen Aufgabe, den Rechtsstaat BRD wirklich herzustellen, nicht nachkommt.

Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.

Dr. Helga Helena Liebecke, Dresden

Redaktionell leicht gekürzt

Raute

Unbändiger Freiheitsdrang und Hinwendung zum Menschen

Friedrich Schillers kurzes Dichterleben

1955 fand in Weimar die "Schiller-Ehrung der deutschen Jugend" statt. Der schon 1982 gestorbene Alexander Abusch, der sich wie kaum ein anderer mit Schiller in seiner Zeit auseinandergesetzt hat, besorgte damals die Herausgabe der achtbändigen Werkausgabe des Aufbau-Verlags aus Anlaß des 150. Todestages dieses Klassikers der deutschen Nationalliteratur. Später Kulturminister und dann stellvertretender Ministerpräsident der DDR, verfaßte Abusch zugleich seine dem Anlaß gewidmete Monographie unter dem Titel "Schiller - Größe und Tragik eines deutschen Genius". Er arbeitete dort das Ringen in der Entwicklung Schillers vortrefflich heraus. Wer weiß schon, daß er Geschichtsprofessor, Kunstkritiker und Philosoph war? Hegel sah in ihm seinen unmittelbaren Vorgänger in der Ästhetik.

Mit Goethe und Schiller erreichte die bürgerliche deutsche Kultur ihren Höhepunkt. Sie stand natürlich auch unter dem Einfluß der Französischen Revolution. Übrigens wurde Schiller neben Klopstock, Pestalozzi, Washington und Kosciusko die Ehre zuteil, 1792 vom Konvent zum Ehrenbürger der Französischen Republik ernannt zu werden. Doch wie viele Intellektuelle seiner Zeit lehnte Schiller die Jakobinerherrschaft ab. Er, der die Ideen der Revolution künstlerisch beflügelte, schreckte wie einst Luther vor deren Konsequenzen zurück. Abusch schrieb in der Einleitung zur Werkausgabe: "So konnte sich in dem Dichter, wenige Monate nach seiner Auszeichnung ... ein Stimmungsumschwung vollziehen; die ganze Atmosphäre der deutschen Konterrevolution lastete durch den geistig-moralischen Druck seiner höfischen Umgebung und die entstellten Nachrichten der Presse über die französischen Ereignisse auf ihm."

Wer war diese an Lebensjahren benachteiligte, doch in seiner Lebensintensität äußerst schaffensreiche Persönlichkeit? Friedrich Schiller, am 10. November 1759 in Marbach am Neckar als Sohn eines Feldschers und einer Wirtstochter geboren, besuchte auf Befehl des württembergischen Herzogs Karl Eugen ab 1773 die Hohe Karlsschule in Stuttgart. Er empfand die militärisch straffe Abrichtung staatsergebener Beamter als Folter. Dichten, seine liebste Tätigkeit, war ihm dort unter Strafandrohung verboten. Herzogliche Willkür zwang ihn zunächst zum Studium der Rechte, bevor er zur Medizin überwechselte. Schillers 1780 verfaßtes Sturm-und-Drang-Drama "Die Räuber" war sein Erstlingswerk. In Mannheim, wohin er floh, erlebte das Stück seine Uraufführung. Im Juli 1783 fand Schiller eine Anstellung als Theaterdichter. In jener Zeit entstand das bedeutende antifeudale Trauerspiel "Kabale und Liebe", durch Friedrich Engels als das "erste deutsche politische Tendenzdrama" bezeichnet. Franz Mehring bescheinigte ihm eine "revolutionäre Höhe ... die das bürgerliche Schauspiel vordem nie erreicht hatte und nachher nie wieder erreichen sollte".

Übrigens fanden sich in Lesebüchern der DDR nicht wenige von Schillers Gedichten. Die DEFA setzte ihm mit der Verfilmung von "Kabale und Liebe" 1959 ein die Zeiten überdauerndes künstlerisches Denkmal. 1787 schrieb Schiller mit "Don Carlos" sein erstes Versdrama. Er widmete es dem Kampf um politische und gedankliche Freiheit.

Schiller traf mit Goethe am 7. September 1788 in Rudolstadt zusammen. Ihre Begegnung verlief anfangs recht kühl. Dennoch trat Schiller 1789 in Jena eine unvergütete Professur an, die ihm Goethe vermittelt hatte.

1790 heiratete Schiller Charlotte von Lengerfeld. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor.

Als Goethe mit Schiller zusammentraf, brachte der bereits an Tuberkulose Erkrankte die Zeitung "Die Horen" sowie den "Musenalmanach" heraus. Er lud neben Kant, Hölderlin und Fichte auch Goethe zur Mitarbeit ein. Dessen Zusage, ein legendäres Gespräch über Goethes "Metamorphose der Pflanzen" und Schillers kluger Brief zu Goethes 45. Geburtstag begründeten eine tiefe Freundschaft. Goethe steckte zu dieser Zeit in einer Schaffenskrise. Wie hätte er diese ohne Schiller zu bewältigen vermocht?

Alexander Abusch benannte Schiller als denjenigen, der aus der Geschichte und der Philosophie schöpfte, während sich Goethe mehr der Naturwissenschaft verschrieben hatte. In der darauf folgenden Zeit dominierte in Schillers Schaffen die Hinwendung zu Balladen. "Die Kraniche des Ibykus", "Ritter Toggenburg", "Der Taucher", "Der Handschuh" und "Die Bürgschaft" entstanden. Zu seiner Weltanschauungslyrik zählte vor allem auch "Das Lied von der Glocke", das er 1799 verfaßte.

Besonders markant an Schillers Schaffen waren sein unbändiger Freiheitsdrang und die Hinwendung zum Menschen. Er ging über das bloße Abbild, wie es der Antike zu eigen war, hinaus und strebte eine Synthese des Schönen mit dem Humanen an. Ständige Impulse, die von Goethe ausgingen, beförderten sein literarisches Werk. Goethe nahm an der Arbeit des Freundes regen Anteil. Das betraf vor allem die "Wallenstein-Trilogie", die Schiller 1796 begann und 1799 abschloß. 1801 entstand in Weimar die "Jungfrau von Orleans". 1802 wurde Schiller geadelt. Doch der Dichter bewahrte seinen geistigen Adel. So blieb das 1804 entstandene Schauspiel "Wilhelm Tell" an Volkstümlichkeit und Schwung unübertroffen. Erstmals erschien das Volk als kollektiver Held auf einer deutschen Bühne.

Am 9. Mai 1805 erfüllte sich Friedrich Schillers viel zu kurzes Dichterleben. Der Tod riß ihn aus der Arbeit an der "Demetrius"-Tragödie.

Die Bourgeoisie bewies im ausklingenden 19. und im 20. Jahrhundert, daß sie den hehren Zielen ihrer geistigen Wegbereiter nicht gerecht zu werden vermochte. Die Weimarer Republik bereitete den Nährboden für den Faschismus und den Krieg, der 55 Millionen Opfer forderte. Ein neues Weimar entstand erst mit der Selbstbefreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald und dem Sieg der Roten Armee im Jahre 1945. Die Stadt erlebte ihre Blüte in den Jahren des Aufbaus und des Bestehens der DDR. Erst der gute deutsche Staat erschloß das Werk von Goethe und Schiller dem ganzen Volk. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an den bedeutsamen Beitrag, den Walther Victor mit seinem Schiller gewidmeten "Lesebuch für unsere Zeit" geleistet hat.

In einer Periode der Niederlage und Rückläufigkeit gedenken wir Schillers und erinnern uns an seine mahnenden Worte: "Teuer ist mir der Freund, doch auch den Feind kann ich nützen: Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll."

E. Rasmus

Raute

Wie Spartakus die Römer das Fürchten lehrte

"Der famoseste Kerl der ganzen Antike" (Marx)

In den Jahren 137 und 104 v. u. Z. gab es zwei große Sklavenerhebungen auf Sizilien. Für jeweils fünf Jahre gelang es den daran Beteiligten, sich von ihrer Knechtschaft zu befreien. Um 100 v. u. Z. begann im republikanischen Rom die politische Krise. Ein Jahr später übernahmen dort die Optimaten das Ruder. Sie verfolgten eine reaktionäre Politik und vertieften die sozialen Spannungen. Aus der einst patriarchalischen Sklavenhaltung, bei der kleinere "familiae" von Sklaven überwogen, welche man einigermaßen leidlich behandelte, erwuchs nun eine "klassische Form" der antiken Massensklaverei, wo die Rechtlosigkeit der Sklaven drastisch praktiziert und ihre Ausbeutung mit rationellen Methoden - vor allem in der Landwirtschaft, in Bergwerken und großen Handwerksbetrieben - perfektioniert wurde. Die Arbeitskraft des Sklaven entwickelte sich zum wichtigsten Produktionsmittel der römischen Wirtschaft. Man betrachtete ihn als "sprechendes Werkzeug". Von zu jener Zeit in Rom lebenden 1,5 Millionen Menschen sollen etwa 600.000 Sklaven gewesen sein.

Die verarmten Massen vermehrten überdies die Schicht der städtischen Besitzlosen, der sogenannten Proletarii.

Bei besonders brutal unterdrückten Sklavengruppen, zu denen auch die Gladiatoren gehörten, wuchs so das Bewußtsein, daß es besser sei, im Kampf für die Freiheit umzukommen, als langsam dahinzuvegetieren. Der Spartakusaufstand brach zu einer Zeit aus, in der Rom durch innere Kämpfe zerrissen war und in Asien wie Spanien militärische Kräfte einsetzen mußte.

Über Spartakus selbst, sein Leben vor den Ereignissen, die sich im Jahr 74 v. u. Z. zutrugen, ist nicht sehr viel überliefert. Er stammte aus Thrakien - einem Territorium, das heute zu Bulgarien gehört. Der Name Spartakus deutet auf adlige Herkunft hin. Während des Befreiungskampfes seines Volkes gegen die römische Fremdherrschaft wurde er gefangengenommen. Man preßte ihn in römische Legionen. Er konnte aus diesen desertieren, wurde jedoch wieder eingefangen und fortan als Gladiator verwendet. Spartakus gehörte zur Gladiatoren-Schule von Capua. Als Fechtlehrer dieser Anstalt gewann er, der nicht nur körperlich, sondern auch geistig seine Leidensgefährten weit überragte, bald bestimmenden Einfluß. Mit einer Reihe Verschworener plante er einen Ausbruch, der jedoch verraten wurde. 78 Sklaven konnten dennoch entkommen und sich am Vesuv verbergen. Diesem Häuflein maß man in Rom zunächst keine Bedeutung bei. Als sich jedoch hinter Spartakus dann eine Armee von etwa 10.000 Mann versammelt hatte, allein aus Sklaven und ruinierten Bauern Kampaniens bestehend, nahm der römische Senat die Aufständischen ernst. Das erste Heer, das er zur Niederschlagung der Erhebung entsandte, umzingelte zwar die Stellungen auf dem Vesuv, verzichtete jedoch auf die Bewachung der steilen, unzugänglichen Abhänge, da dort nach menschlichem Ermessen niemand zu entkommen vermochte. Die Aufständischen ließen sich indes an Seilen herab, die sie aus Weinreben geflochten hatten. So gelangte Spartakus mit seinen Männern in den Rücken der Römer und vernichtete sie.

Dieser Erfolg stärkte das Selbstvertrauen der Aufständischen und brachte ihnen Zulauf. Als die Kämpfer des Sklavenführers auch noch ein weiteres Römer-Heer schlugen, ergriff der Aufstand den gesamten Süden Italiens.

Zwischen 60.000 und 120.000 Sklaven - genauere Zahlen sind nicht überliefert - bildeten nun die Streitmacht des Spartakus, der sich verarmte Bauern und übergelaufene Soldaten angeschlossen hatten. Er bewaffnete und schulte seine Anhänger militärisch nach römischem Vorbild. Es herrschte eine straffe Disziplin. Spartakus zeichnete sich durch hohes Geschick in Strategie und Taktik sowie ein seltenes Organisationstalent aus. Sein Ziel bestand darin, die Aufständischen aus der Sklaverei zu befreien. Deshalb brach er nach Norden auf, um über die Alpen in die eigene Heimat zu ziehen. Dieser Plan zersplitterte sein Heer. Nicht alle seine Gefährten zog es nach Griechenland, Gallien oder Thrakien. Deshalb zerfiel die Streitmacht bald in kleinere Gruppen, welche von den Römern einzeln überwältigt und vernichtet wurden. Die Hauptmasse verblieb jedoch bei Spartakus. Er stand bereits in Gallia Cisalpina, gewann dort ein weiteres Mal gegen die Römer und änderte plötzlich sein Konzept. Gründe dafür sind nicht bekannt. Die Aufständischen zogen nun erneut gen Süden, wobei es ihr Anführer vermied, Rom zu attackieren. Auf diesem Marsch gewann Spartakus mehrere Schlachten gegen die Heerscharen des Marcus Crassus. Er plante von Süditalien nach Sizilien überzusetzen. Zuvor hatte er mit Seeräubern vereinbart, daß sie die dafür notwendigen Schiffe zur Verfügung stellen sollten. Die Piraten ließen jedoch die Sklaven im Stich. Diese bauten nun einfache Flöße, um selbst die Überfahrt zu vollziehen. Crassus und Lucullus trafen unterdessen mit ihren Streitkräften ein. Jetzt stand Spartakus vor der Alternative: Verteidigung oder Durchbruch nach Norden. Die zweite Variante erschien ihm aussichtsreicher zu sein. Crassus hatte jedoch über die gesamte Breite der bruttischen Landenge einen Graben ziehen lassen. In Berichten heißt es, Spartakus habe an einer schwach besetzten Stelle den Graben mit Pferdekadavern und Körpern Gefallener auffüllen lassen. Eine andere Legende besagt, seine Truppen hätten den Graben bei starkem Schneetreiben überwinden können und seien so einer Schlacht ausgewichen. Jedenfalls klappte der Ausbruch, und die Aufständischen zogen nun zum Adriatischen Meer. Offenbar wollte Spartakus auf dem Seeweg nach Griechenland gelangen.

Crassus griff noch vor dem Eintreffen von Pompeius (71. v. u. Z.) in Lukanien am Flusse Silarus die Hauptmacht des Spartakus an. Der Sklavenaufstand wurde blutig niedergeschlagen. Spartakus selbst gehörte zu jenen, die nach heldenhafter Gegenwehr auf dem Schlachtfeld den Tod fanden. 60.000 Sklaven wurden niedergemetzelt. Nur Tage später säumten rund 6000 Kreuze die Via Appia zwischen Capua und Rom. An sie waren die Gefangenen geschlagen worden. Auf derart grausame und blutrünstige Weise hatte sich der Senat an den Aufständischen gerächt.

Die Erhebung des Spartakus scheiterte, weil er nicht die Überwindung der Sklaverei als Gesellschaftsordnung anstrebte. In diesem Sinne handelte es sich nicht um eine Revolution. Dennoch trug der Aufstand zur beschleunigten Zersetzung der römischen Sklavenhalterordnung bei. Karl Marx bemerkte in einem Brief an Friedrich Engels: "Spartakus erscheint als der famoseste Kerl, den die ganze antike Gesellschaft aufzuweisen hatte. Großer General (kein Garibaldi), nobler Charakter und wahrer Vertreter des antiken Proletariats."

Der amerikanische Schriftsteller Howard Fast setzte in seinem Roman "Spartakus" dem Führer des größten Sklavenaufstandes der Antike ein literarisches Denkmal.

In dieser Tradition der Befreiung der Menschheit von Unterdrückung und Ausbeutung entstand Anfang 1916 in Deutschland die Spartakusgruppe unter Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Aus ihr gingen am 11. November 1918 zunächst der Spartakusbund und wenige Wochen später die KPD hervor, zu deren Gründern auch Franz Mehring und Wilhelm Pieck gehörten.

Joachim Zappe, Eggersdorf

Raute

Dieter Nolls Roman "Die Abenteuer des Werner Holt" wurde Bestseller

Ein Klassiker der Antikriegsliteratur

Dieter Noll wurde 1927 in Riesa als Sohn eines Apothekers geboren. Mit 14 Jahren nahm man ihm die Mutter, die ihre "halb-arischen" Kinder nicht erziehen durfte. Als blutjungen Menschen preßte man Noll am Ende des Zweiten Weltkrieges in die Wehrmacht. Nach seiner Rückkehr aus amerikanischer Gefangenschaft folgte eine Zeit der schmerzlichen Selbstbesinnung, des Umdenkens und die Suche nach einem neuen Lebensweg. Noll studierte u. a. in Jena Germanistik und war ab 1950 als Redakteur der Kulturbundzeitschrift "Aufbau" tätig. 1952 begann er als freischaffender Schriftsteller, erste Reportagen und Erzählungen zu verfassen, so "Die Dame Perlon" (1953) und "Sonne über den Seen" (1954).

Sechs Jahre später legte Noll seinen überaus erfolgreichen Roman "Die Abenteuer des Werner Holt" vor. Viele sowjetische Leser teilten dem Autor des ins Russische übersetzten Werkes ihre Eindrücke mit. "Ihr Roman stellt seinem Genre nach eine dialektische Synthese der traditionellen Erziehungsromane, des Werdens der Persönlichkeit und der philosophischen Romane dar", hieß es in einem Brief.

Dieter Noll gelang es, den Irrweg einer jungen Generation als Massenerlebnis von einer gegenwärtigen Gestaltungsebene her zu reflektieren. Sein Roman zählte zur gern und freiwillig gelesenen Pflichtlektüre im Literaturunterricht an Polytechnischen Oberschulen der DDR. Der dreistündige DEFA-Film "Die Abenteuer des Werner Holt" (1965) mit Klaus-Peter Thiele in der Titelrolle wurde vom DDR-Fernsehen in zwei Teilen ausgestrahlt. Oft verglich man den "Holt"-Film mit Bernhard Wickis Streifen "Die Brücke", in dem das Endkampf-Elend "verheizter" Kinder vorgestellt wurde. Regisseur Joachim Kunert zeigte anschaulich und eindrucksvoll, wie junge Menschen massenhaft manipuliert und verführt wurden. Der Roman lag Anfang 1990 im Aufbau-Verlag bereits in 41. Auflage vor und erschien 2007 als Aufbau-Taschenbuch. Dem ersten Band seines Holt-Bestsellers "Roman einer Jugend" folgte der zweite mit dem Untertitel "Roman einer Heimkehr" (1963), der nicht mehr die gleiche Resonanz fand.

In "Kippenberg" (1979) erzählte Noll die Geschichte um einen Chemiker dieses Namens. Der bemühte sich, seine Forschungsergebnisse gegen Vorurteile seines bürgerlichen Chefs und ihm vom Parteiapparat errichtete Hindernisse durchzusetzen. "Kippenberg" löste in der Presse eine lebhafte Leserdiskussion aus. Zwei dramatische Fassungen brachten das Berliner Theater im Palast (TiP) und das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin heraus. 1981 wurde der zweiteilige Fernsehfilm des Regisseurs Christian Steinke gesendet. Eine Nachauflage des Romans erschien 2010.

1985 veröffentliche Dieter Noll erstmals eine Lyrik-Auswahl. Eine spätere Ausgabe enthielt neun Grafiken Willi Sittes. Die Liebesgedichte stammten aus den Jahren 1962 bis 1982. Der Autor hatte bereits unmittelbar nach Kriegsende Verse verfaßt, die er wenig später selbst vernichtete.

Dieter Noll lebte in Wernsdorf bei Berlin. Er wurde vielfach geehrt, so mit dem Heinrich-Mann-Preis und dem Nationalpreis der DDR. Der vielgelesene DDR-Literat verbrachte sein Dasein seit Ende der 80er Jahren in großer Zurückgezogenheit. Dieter Noll starb am 6. Februar 2008 - wenige Wochen nach seinem 80. Geburtstag.

Wenn auch sein Lebenswerk quantitativ recht schmal ist, dürfte er sich mit seinen Romanen um Werner Holt und Kippenberg in die Literaturgeschichte nicht nur seiner Republik eingeschrieben haben. Die Bücher des "Klassikers der Antikriegsliteratur" verkauften sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal.

Dieter Noll war einer der ersten DDR-Autoren, die in beiden deutschen Staaten Bedeutung erlangten. 1964 hatte der "Stern" den "Holt"-Roman eine Zeitlang in Fortsetzungen veröffentlicht. Auch die bei Bertelsmann erschienene Ausgabe fand ein großes Lesepublikum.

Dieter Fechner


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dieter Noll beim Signieren seines Romans "Kippenberg"

Raute

500 Jahre alte Weisheiten des Erasmus von Rotterdam

Ist niemand da, der dich lobt, so darfst du dich selber loben.


Esel hin, Esel her - sie bleiben doch immer die Leiter und Lenker der größten wie der kleinsten Geschäfte.


Je größere Stümper sie sind, desto Hervorragenderes glauben sie zu leisten, um so mehr sind sie von sich eingenommen und desto lauter verkünden sie allerorten ihr Lob.


Die Menschen sind schließlich sogar geneigt, an der Falschheit und Lüge mehr Gefallen zu finden als an der Wahrheit.


Noch besser aber verstehen ihr Geschäft diejenigen, die fremde Werke als ihre eigenen herausgeben und einen von anderen durch große Mühe erworbenen Ruhm sich anmaßen.


Wer an der Spitze eines Staates steht, darf stets nur den Interessen der Öffentlichkeit, nie seinen eigenen leben und muß Tag und Nacht auf das Gemeinwohl bedacht sein; von den Gesetzen, deren Urheber und Vollstrecker er selber ist, darf er keinen Fingerbreit abweichen; er muß jederzeit auf Unbestechlichkeit und Lauterkeit aller Diener und Beamten halten und jeden Augenblick daran denken, daß aller Augen auf ihn gerichtet sind und daß er wie ein Glücksstern durch einen reinen Lebenswandel äußerst heilbringend das Leben der Menschen beeinflussen, aber auch gleich einem verderbenbringenden Kometen das größte Unheil heraufbeschwören kann.


Was soll man von den Großen des Hofes sagen? Obwohl die meisten von ihnen die denkbar Unterwürfigsten, Verächtlichsten, Widerwärtigsten und Verworfensten sind, wollen sie trotzdem in allen Dingen als die Hauptperson angesehen werden.


Aus "Das Lob der Torheit" (1511)

Gefunden von Dr. Hans-Jürgen Audehm, Schwerin

Raute

Warum Archie die neuen "Kaiserbäder" meidet

Eigentlich fällt es Archie schwer, in Länder zu fahren, die er einst als Volksrepubliken kennengelernt hat. Es ist nicht leicht, die Revolution auf Knien zu ertragen und die Madenhacker des Kapitals beim Fleddern zu beobachten.

Eine Ausnahme bildet das nahegelegene Misdroj an der polnischen Ostseeküste. Dort fühlt er sich wohler als in den benachbarten "altdeutschen Kaiserbädern" auf Usedom, wo alles wieder so gelackt und geleckt, geschniegelt und gebügelt und vor allem teuer ist. Auch wenn die polnischen Urlauber wie die Heringe am Strand liegen, weil die Kinder alle zur gleichen Zeit Ferien haben, nehmen sie Rücksicht aufeinander, sind tolerant zu Ausländern und rücken bereitwillig ein Stückchen beiseite. Wo sie weniger großzügig denken, geht das meist auf die Kappe der katholischen Kirche und des einheimischen Klerus. Natürlich ist auch in Misdroj die Kralle des Kapitals zu spüren. Sie hat aber die Leute noch nicht zu solchen Geld-Marionetten gemacht wie auf Usedom.

All das scheint Archie so zu sein, aber Schein und Sein ist in der Welt der Bourgeoisie oft etwas sehr Verschiedenes, wie man schon bei Eugen Roth nachlesen kann: "Ein Mensch verteidigt mit viel List: Die Welt scheint anders als sie ist! Sein Gegner aber streng verneint: Die Welt ist anders als sie scheint." Wenn also Archie in der "Rzeczpospolita" im Hotel liest, die Hälfte der Polen lebe auf Kredit, und etwa zwei Millionen von ihnen seien hoffnungslos verschuldet - sogenannte Lebenslängliche, die nicht mehr von ihren Privatschulden herunterkommen -, dann ist er schon erstaunt über die vielen Edelkarossen, die er vor dem Hotel und in den Straßen sieht. Dennoch fühlt er sich an Polens Ostseestrand heutzutage weniger gestreßt als in bundesdeutschen Erholungshochburgen wie Sylt, wo sich der Geld-Adel in immer exklusiveren Gefilden verschanzt hat. Wenn man sich dazu noch leidlich im Polnischen verständigen kann, ist das um so besser. Zu DDR-Zeiten empfand Archie den Urlaub auf Rügen als durchaus angenehm, aber das ist nach der "Wende ohne Ende" leider nicht so geblieben. So kommt es zu dem recht absurden Zustand, daß er sich als gelernter DDR-Bürger anderswo, übrigens auch an der bulgarischen Schwarzmeerküste, jetzt heimischer fühlt. Dort hat er vorwiegend Albena im Sinn, denn am Goldstrand bei Warna gibt es bereits das übliche Ballermann-Ramba-Zamba-Getöse.

In den 60er Jahren entstand Albena als Bulgariens jüngster Badeort quasi am Reißbrett, großzügig und sinnvoll, mit einer guten Infrastruktur an einem sieben Kilometer langen und bis 150 Meter breiten feinsandigen Strand. Für Archies Gesundheit ist es gut, in einem der direkt am Meer stehenden Hotels die Seeluft einzuatmen. Man merkt es Albena an, daß es zu einer Zeit gebaut wurde, als kapitalistischer Profit noch nicht die Triebkraft für die Errichtung von Hotelbauten am Meer war.

Der Goldstrand bietet da ein völlig anderes Bild, wirkt beinahe abstoßend, ist hektisch, laut, ein einziger großer Basar für Touristen. Dabei sollte man nicht verkennen, daß auf Bulgarien der politisch-ökonomische Zusammenbruch des Sozialismus besonders schwer lastet. Die Privatisierungswelle sorgte dafür, daß das Leistungsvolumen der Wirtschaft bei fast allen Gütern vertikal in den Keller gerutscht ist, was zu dramatischen Einbußen der Haushalte führte. Die private Gartenwirtschaft kann dieses Defizit kaum abfedern und - gesamtgesellschaftlich gesehen - treibt das Land immer sichtbarer in fremde Abhängigkeiten. Sein heutiger Zustand erinnere an die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, als Bulgarien noch ein reines Agrarland gewesen sei, erfuhr Archie von einem einheimischen Agraringenieur, der auf der Suche nach Arbeit schließlich Taxifahrer geworden ist. In den 70er Jahren hatte er eine Weile in der DDR gearbeitet und spricht von dem dort Erlebten mit großer Achtung. Ähnliches erzählte ein älterer Kellner, der im Hotel "Borjana" bediente und in Thüringen zu DDR-Zeiten in der Gastronomie tätig war.

Inzwischen ist er froh, daß er überhaupt noch Arbeit hat. So wirbelt er bis zu 14 Stunden am Stück, wenn es von ihm verlangt wird. Archie und der Ober unterhielten sich auch über die Geschichte Bulgariens, die bisweilen recht dramatisch verl ief. Aber nicht vergessen sollte man, daß der bulgarische Zar Boris III. die 50.000 Juden des Landes 1943 unter dem Druck öffentlicher Proteste nicht an die faschistische Vernichtungsmaschinerie ausgeliefert hat.

Heutzutage kommen Bulgaren und Rumänen vorwiegend in Krimis von ARD und ZDF als finstere Balkan-Gestalten vor. Sie werden meist als Typen dargestellt, die allein auf Raubzüge im Westen aus sind. Kein Wunder, denkt Archie, sind sie doch selber Opfer eines gigantischen kapitalistischen Raubzuges geworden, der noch anhält. Man bedenke, 90% der Agrarflächen waren in Bulgarien Kollektiveigentum, nur 1,4% befanden sich in privater Hand.

Archie unterhielt sich auch mit der Zimmerfrau im Hotel, einer Bauingenieurin, die jetzt die Betten aufschüttelte und die Räume reinigte. Im Winter laufe gar nichts mehr, ließ sie durchblicken.

Der erwähnte Taxifahrer bot Archie Billigtouren nach Rumänien an. Dieser entschied sich nach einer extra preiswerten Freundschaftsofferte zur Exkursion entlang der rumänischen Schwarzmeerküste, wo er lauter fleißige Menschen antraf.

Archie und seine Begleiterin waren das letzte Mal vor 48 Jahren in Mamaia gewesen, das heute nicht wiederzuerkennen ist. Auch Mangalia und Eforie sind inzwischen Boomtowns geworden. Constan?a ist mittlerweile größer als Warna, aber dort herrscht derselbe Turbo-Kapitalismus, nur etwas bunter als in Bulgarien. Auch hier hat die Privatisierung dazu geführt, daß die inländische Produktion immer weiter absinkt.

Manfred Hocke


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Nicht nur zu Kaisers Zeiten (unser Foto) spreizten sich reiche Nichtstuer auf Usedom, das in den Jahren der DDR von den Werktätigen in Besitz genommen wurde.

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Es ist mir ein Bedürfnis, dem früheren DKP-Vorsitzenden, Genossen Herbert Mies, aufrichtig für seinen zugleich entlarvenden und ermutigenden Artikel ("Konsultation" vor der Kapitulation, RF 154) sowie der Redaktion dafür zu danken, daß sie diesen wichtigen Beitrag des bewährten Arbeiterführers zur Geschichtsdiskussion der Sozialisten und Kommunisten in Deutschland gebracht hat. Was Herbert Mies im Herbst 1989 mit Gorbatschow und Falin erlebte, offenbart einmal mehr den schändlichen Umgang der seinerzeitigen Moskauer Führung mit treuen Bundesgenossen.

Von höchst aktueller Bedeutung für den Kampf gegen die Lügen und Geschichtsfälschungen der heute in der BRD Herrschenden scheint mir der nachdrückliche Hinweis von Herbert Mies auf die systematische Hintertreibung des Potsdamer Abkommens durch die Westalliierten und die Mächtigen in der BRD, auf die verpflichtenden Prinzipien zur Demilitarisierung, Dekartellisierung, Denazifizierung und Demokratisierung zu sein. Vor Gorbatschow war die Politik der UdSSR und der DDR stets darauf gerichtet, diese Prinzipien mit aller Entschiedenheit in ganz Deutschland zu verwirklichen. Das ist in der DDR geschehen. Sie war daher im Wortsinne der rechtmäßige deutsche Staat aus politischer, völkerrechtlicher wie staatsrechtlicher Sicht. Daher sollte es uns ein besonderes Anliegen sein, die DDR nicht nur gegen die feindseligen und haltlosen Vorwürfe, ein "Unrechtsstaat" gewesen zu sein, zu verteidigen. Die BRD beförderte in all den Jahren ihres Bestehens gemeinsam mit ihren westlichen Verbündeten durch planmäßige Sabotage des Potsdamer Abkommens den Kalten Krieg, der schließlich zur Beseitigung des friedlichen und demokratischen deutschen Staates führte. Der deutsche Imperialismus ist aggressiv und expansiv wie eh und je. Die DDR war sein erstes Opfer seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Erst wenn die Potsdamer Prinzipien auch von ihr verwirklicht worden sind, kann die BRD ihren Platz in der Gemeinschaft der Völker zu Recht beanspruchen.

Dr. Hans Kaiser, Berlin


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Der Beitrag von Herbert Mies verdient besondere Beachtung, weil in diesen sachlichen Zeilen weit mehr zum Ausdruck kommt als die Niedertracht, mit der 17 Millionen DDR-Bürger hinterrücks im kaukasischen Archys von Gorbatschow für insgesamt 26 Mrd. DM verschachert wurden.

Die Zeilen von Herbert Mies sind in erster Linie programmatischer Natur. Sie haben auch für die sich schwer tuende Programmdiskussion in der Partei Die Linke Gewicht: Erweiterung der NATO oder deren Auflösung bzw. Austritt aus ihr; "Einsatztruppe" mit Interventionen rund um den Globus oder lediglich Verteidigung im Ernstfall. Es bedeutet kein Zurück, sondern ein klares Vorwärts, wenn Herbert Mies die Rückbesinnung auf Potsdam einfordert. Der Prozeß der Entwicklung Deutschlands zur hochgerüsteten Weltmacht ist noch nicht abgeschlossen. Das deutsche Establishment strebt eine "Reform" der UNO an, um so der BRD einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat zu verschaffen. So muß der antimilitaristische und antifaschistische Grundkonsens von Potsdam unverzichtbarer Bestandteil unseres Programms bleiben.

Walter Ruge, Potsdam


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Oskar Lafontaine schrieb für den Dezember-RF einen sehr beachtlichen Artikel zum Entwurf des Programms der PDL, der meine volle Zustimmung hat. Er betont, daß ohne eine antikapitalistische Grundorientierung im neuen Parteiprogramm keine sozialistische Gesellschaft anvisiert werden kann. Der archimedische Punkt ist dabei die Eigentumsfrage. Nur bei deren Lösung ist es möglich, den Finanzkapitalismus in die Schranken zu verweisen und seiner Politik ein Ende zu bereiten.

Oskar Lafontaine führt den Nachweis, daß allein ein antikapitalistischer Kurs zu einer echten Friedenspolitik zu führen vermag. Wir brauchen also eine neue Eigentumsordnung. Diese Forderung muß unbedingt im künftigen Programm enthalten sein.

Es ist aufschlußreich, daß Lafontaines Artikel im "RotFuchs", nicht aber im ND, einem der Linkspartei nahestehenden Organ, erscheint. Das läßt darauf schließen, daß der PDL-Programmentwurf tatsächlich kontrovers diskutiert wird und bislang jene Vorstandsmitglieder das Sagen haben, die eine antikapitalistische Grundhaltung z. Z. noch ablehnen.

Dr. Werner Liebig, Berlin


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"Vater unser, der Du bist im Himmel, hinter den Wolken versteckt und verborgen, kannst Du nicht sehen unsere täglichen Sorgen? Wie wir frieren und hungern, in den Ecken rumlungern. Gib uns die Kraft, zu brechen die Macht, die unsere Armut schafft, Amen!"

Dieses Vaterunser habe ich 1930 auf einer proletarischen Weihnachtsfeier bei Sagebiel in Hamburg aufgesagt. Mein Vater, der Kommunist Heinrich Schneider, hatte es mir beigebracht.

Damit habe ich das in Eurem Glückwunsch erwähnte "kommunistische Urgestein" noch untermauert. Danke für die gute Botschaft zu meinem 90. Geburtstag!

Elsa Schmidt, Hamburg


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Zu dem Leitartikel im November-RF über die Rolle der SPD möchte ich ergänzend noch folgendes berichten: Kurt Schumacher empfing Anfang der 50er Jahre führende Vertreter der Waffen-SS zu einem Gespräch. Willy Brandt schickte als Berliner Regierender Bürgermeister rote Rosen in das Kriegsverbrechergefängnis Spandau, als Hitlers "Reichsjugendführer" Baldur von Schirach 1965 entlassen wurde. Schumacher war übrigens ein begeisterter Vaterlandsverteidiger, nicht nur als Kriegsfreiwilliger von 1914. Auch in der ersten großen Wehrdebatte des Bundestags im November 1950, als man die Berufsverbote gegen unsere Genossinnen und Genossen der KPD zu verhängen begann, tat er sich in diesem Sinne hervor. Er verlangte, eine "sowjetische Aggression" müsse mit einem sofortigen Gegenangriff so beantwortet werden, daß die Entscheidungsschlacht weit östlich der deutschen Grenzen von 1937 stattfinden könne. Schließlich verkündete Herbert Wehner am 30. Juni 1960 im Bundestag die Zustimmung der SPD zur NATO. Was die SPD-Außenpolitik angeht, so ist auch bemerkenswert, daß Brandt, Erler und Wehner ihr diesbezügliches Ja gerade noch so rechtzeitig plaziert hatten, daß sie schon wenige Monate später erklären konnten, sie befänden sich in größerer Übereinstimmung mit der US-Deutschlandpolitik als Adenauer. Skandalös war auch, daß der 1963 verstorbene Erich Ollenhauer, SPD-Vorsitzender und Fraktionschef im Bundestag, von der Bundeswehr zu Grabe getragen wurde. Eine Militärkapelle spielte dabei das Lied vom "Guten Kameraden". Als sein Nachfolger sprach Willy Brandt auf dem SPD-Parteitag in der Karlsruher Schwarzwaldhalle dann vor einem Podiumshintergrund, der die BRD in den Grenzen von 1937 zeigte.

Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen-Nord


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Ich gratuliere zu dem ausgezeichneten Leitartikel der Novemberausgabe. Bleibt weiter so energisch an der Aufklärungsarbeit dran - eine phantastische Leistung!

Dr. Vera Butler, Melbourne


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Der November-"RotFuchs" hat mir Freude ins Haus gebracht. Erstmals wurde dort im Leitartikel eine Wertung der Partei Die Linke vorgenommen. Die Hoffnung der Rechten, sie möge bald wieder absterben, wird sich nicht erfüllen. Eine Partei, die ins Volk hineinzuwachsen versucht, darf ihre Bedeutung nicht verlieren.

Kurt Neukirchner, Burghardtsdorf


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Die Aussagen Klaus Steinigers im Leitartikel des RF 154 zur Rolle der SPD finden meine vollste Zustimmung. Ist es nicht pure Heuchelei, wenn sich die SPD, welche in der Schröderschen Regierungskoalition zusammen mit den Grünen den Weg für Hartz IV, Leiharbeit und 1-Euro-Jobs gebahnt hat, heute plötzlich dagegen ausspricht? Redlicher wäre es von ihr, wenn sie klipp und klar sagen würde, die damals eingeleiteten Maßnahmen, die zur Verschlechterung der Lebensverhältnisse eines großen Teils der Bevölkerung geführt haben, seien falsch gewesen. Wäre es nicht ehrlicher, wenn diese einstige Arbeiterpartei beschließen würde, bei einem Regierungswechsel zu ihren Gunsten diese arbeiterfeindlichen Beschlüsse sofort rückgängig zu machen? Anständig wäre es auch, wenn die SPD glaubwürdig versichern würde, ein durch sie geführtes Kabinett werde die BRD-Soldaten unverzüglich aus Afghanistan zurückholen, den Mindestlohn einführen und die Leiharbeit beenden. Daß sie das nicht tun wird, steht schon heute fest.

Ich stimme auch den Darlegungen des Genossen Steiniger zur Linkspartei zu. Man muß sich stets vor Augen halten, daß Die Linke keine Partei im marxistisch-leninistischen Sinne ist. Und wenn deren Basiskräfte den Rechten in der Parteiführung nicht bald Einhalt gebieten, droht die Prophezeiung Biskys bittere Realität zu werden: Eine Verschmelzung von SPD und Linkspartei zum Nachteil der deutschen Arbeiterklasse.

Klaus Schmidt, Zwickau


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Unlängst las ich in der FAZ, die uns hier stets am übernächsten Tag erreicht, eine kleine Meldung mit der Überschrift "Schwimmer gedopt". Der Deutsche Schwimmverband beschäftige sich mit "zwei Dopingfällen im Jugendbereich". Ein 13 Jahre alter Schwimmer aus Gladbeck sei bei einem positiven Test auf das verbotene Mittel Clenbuterol bei den nordrhein-westfälischen Jahrgangsmeisterschaften für ein Jahr gesperrt worden, hieß es dort. Auch eine 14jährige Wasserspringerin aus Aachen habe der Verband nach der Verweigerung eines Dopingtests für zwei Jahre gesperrt.

Als Sportarzt und Facharzt für medizinische Biochemie stelle ich mir die Frage, bei welchem Veterinär und unter welchem Vorwand sich der kleine Schwimmer aus Gladbeck ein tierärztliches Mittel besorgt hat. Wußten die Eltern des Kindes nicht, was Clenbuterol ist?

Solche Mininotiz in der renommierten FAZ läßt fast in Vergessenheit geraten, daß sich Blätter dieser Art noch vor kurzer Zeit über angeblich flächendeckendes Doping in der DDR ereiferten. Ich habe jedoch das Ansinnen der westdeutschen Sportführung, DDR-Rekorde (einschließlich errungener Weltrekorde) wegen Dopings zu streichen, noch gut im Gedächtnis. Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel hat damals Marita Koch in einer solchen Sache vertreten.

Herzliche Grüße von der südlichen Halbkugel.

Dr. med. Hans-Dieter Hoffmann, Piton-Saint-Leu, Insel Réunion


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Vielen Dank, Ingolf Hähnel, für den Artikel über die Volkssolidarität. Die dort getroffene Einschätzung finde ich ausgezeichnet. In einer Frage ist der Autor nach meiner Auffassung jedoch einem Irrtum aufgesessen. Am 17. Oktober 1945 beschloß der Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien in Dresden den Aufruf "Volkssolidarität gegen Wintersnot". Er trug die Unterschriften der KPD-Bezirksleitung Sachsen, der SPD-Landesleitung Sachsen, des LDPD-Landesverbandes Sachsen, des CDU-Landesverbandes, des Landesausschusses der FDJ, des FDGB und der Landeskirchen Sachsen. Zwei Tage später wurde er in der "Sächsischen Volkszeitung" veröffentlicht.

Am 24. Oktober 1945 tagte eine Parteiarbeiterkonferenz der KPD. Dort sprach Hermann Matern als Leiter des KPD-Bezirks Sachsen über die politische Bedeutung der Kampagne "Volkssolidarität gegen Wintersnot".

Die Geburtsurkunde der basisdemokratisch gebildeten Volkssolidarität trägt damit das Datum vom 17. Oktober 1945.

Ich freue mich sehr, daß es den RF gibt und wünsche ihm ein langes Fuchsleben.

Jürgen Scholtyssek, Dresden


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Es fällt auf, daß in den Reden Außenminister Westerwelles und anderer BRD-Offizieller aus Anlaß des 60. Jahrestages des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg das Wort "Kriegsverbrecher" tunlichst vermieden wurde. Auch viele Tageszeitungen schreiben nur von den "Nürnberger Prozessen".

Hat man Angst, spätere, noch lebende Kriegsverbrecher höchster Ebenen, z. B. in den USA, zu verärgern? Könnte man gar als Vizechef der jetzigen BRD-Regierung wegen des eigenen Tuns oder Unterlassens Gewissensbisse oder schlaflose Nächte bekommen?

Lothar Fischer, Reichenbach (Vogtland)


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Die jetzt als sensationell verkauften Enthüllungen zu Verbrechen des Auswärtigen Amtes der Nazi-Zeit bestätigen die Echtheit der schon damals von der DDR hierzu vorgelegten Materialien zu Untaten des Hauses Ribbentrop, die seinerzeit von westlicher Seite negiert wurden. Sie unterstreichen einmal mehr, daß die BRD-Geschichte nie ernsthaft aufgearbeitet worden ist.

Die Ursachen für solcherlei "Versäumnisse" liegen u. a. in der Antikommunismus-Doktrin der BRD; bei Adenauer und seiner teilweise braunen Gefolgschaft; in vorsätzlich "verdünnter" Entnazifizierung; in der Bewahrung faschistischen "Gedankengutes" sowie entsprechender Strukturen; in der bewußten Negierung des Potsdamer Abkommens.

Ganze Generationen von BRD-Bürgern wurden vom "neuen" Machtapparat und dessen Bildungseinrichtungen durch weiterbeschäftigte Ehemalige in deren Geist erzogen. Neonazismus und Rechtsextremismus, die nach 1990 auch auf den Osten überschwappten, wuchsen auf diesem Nährboden.

Gert Thiede, Suhl


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Als 91jähriger Zeitzeuge habe ich durch den Fernsehbeitrag "Hitlers Diplomaten in Bonn" meine eigenen Erinnerungen erweitern können. Dabei wurde mir erneut bewußt, daß die Aufarbeitung geschichtlicher Entwicklungen in beiden deutschen Staaten seitens der BRD ungerecht und verleumderisch gehandhabt wird.

Wie kann es sein, daß die Bewertung der DDR prinzipiell an vermeintlich unrechtsstaatlichen Maßnahmen und Handlungen des MfS und anderer Organe gemessen wird, während man zugleich "übersieht", daß schwerbelastete ehemalige Nazigrößen unter Adenauer wieder zum Zug kommen konnten? Die Verbrechen des Ribbentropschen Auswärtigen Amtes fielen dabei völlig unter den Tisch.

Wann wird endlich die Verteufelung der Deutschen Demokratischen Republik eingestellt?

Hermann Thomas, Wilsdruff


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Einen Freudenschrei gab die Bundeskanzlerin von sich: Der erneute Einzug der BRD als Nichtständiges Mitglied in den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen sei eine Ehre und Verpflichtung.

"Das ist ein großer diplomatischer Erfolg der deutschen Außenpolitik", erklärte Frau Merkel. Sie sollte allerdings wissen, daß die DDR bereits 1980/81 in gleicher Eigenschaft dem Sicherheitsrat angehörte. 1987 war DDR-Botschafter Peter Florin sogar Präsident der UN-Vollversammlung. Damit wurde dem "Unrechtsstaat" von der Völkergemeinschaft tatsächlich eine große Ehre erwiesen. Kann man sich eine höhere Form internationaler Anerkennung des deutschen Friedensstaates vorstellen?

Walter Krüger, Dudinghausen


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Der Artikel "Abzuwägendes oder Abwegiges" von Erhard Römer im RF 154 enthüllt ein wenig den Werdegang gewisser Politiker der Linken. Schon auf der PDS-Delegiertenkonferenz des Kreises Märkisch-Oderland am 9. November 2002 in Seelow hatte Kerstin Kaiser die Teilnehmer ausgerechnet mit einem Wort des seinerzeitigen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel verabschiedet: "Hoffnung ist nicht die Überzeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern die Gewißheit, daß etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht." Vielleicht wäre die Marx vermeidende und statt dessen lieber bürgerliche Politiker und Ideologen zitierende Kerstin Kaiser schon damals bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung besser aufgehoben gewesen.

Nach Seelow zogen es viele Mitglieder vor, das Handtuch zu werfen und die Partei zu verlassen. Einige gingen sogar zu anderen Parteien. Nicht wenige aber motivierte der ND-Artikel von Harry Nick über den wachsenden Einfluß der rechten Linken in der PDS zum Weitermachen.

Peter Skrabania, Strausberg


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Sucht Ihr vielleicht einen Witz über die Demokratie im Kapitalismus? Hier habt Ihr ihn:

Frage: Warum ist der deutsche Bundestag rund und nicht eckig? Antwort: Weil sich bei den vielen Lügen die Balken gebogen haben!

Ruth Schmidt, Taufkirchen


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Frau Merkel hat in der DDR eine solide gesellschaftswissenschaftliche und fachspezifische Ausbildung erhalten. Nach deren Abschluß war sie an einer führenden Akademie der DDR tätig.

Also nichts mit mäßiger Intelligenz und geringem geistigem Horizont, die manchmal auch im RF ins Gefecht geführt worden sind. Frau Merkel ist offensichtlich sehr intelligent. Sie versteht es, mit der Lobby umzugehen und dem Volk zuzulächeln. Ihre Schwachstelle besteht darin, daß sie eine beliebig austauschbare "Weltanschauung" und kein wirkliches politisches Bewußtsein besitzt. Erkannt hat sie sicherlich noch nicht, daß sie zwar an der Regierung, aber nicht an der Macht ist. Die Macht haben ganz andere. Wenn 1990 nicht die CDU den Wahlsieg errungen hätte, wer weiß, wo Angela gelandet wäre ...

Dieter Ammer, Chemnitz


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Das antikommunistische Vorurteil beschreibt Lenin als Despoten, autoritär, selbstherrlich und grausam. Wenn ich lese, worüber er sich Gedanken gemacht hat und welch ungeheure Leistung er vollbrachte, komme ich zu ganz anderen Ergebnissen: Er war ein engagierter Mann mit scharfem Verstand und einem Herz für die Verdammten dieser Erde.

Vor einiger Zeit las ich etwas, das mich in dieser Auffassung unterstützte. Sinngemäß sprach Lenin davon, daß man auch dem politischen Widersacher ruhig zuhören müsse, bevor man ihm mit Argumenten begegne. Die Informationen, die man auf diese Weise erhalte, seien durchaus verwendbar.

Leider habe ich den Artikel oder das Buch, in dem ich diese Passage fand, unauffindbar verlegt. Meine Bitte: Wenn jemandem dämmert, wo sich die Fundstelle befindet, bitte ich um Mitteilung.

Herzlichen Dank für den "RotFuchs". In Zeiten finsterster Vernebelung vermittelt er wohltuende Klarheit.

Helmut Faure, Düsseldorf


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Während der jüngsten Friedensdekade besuchte ich wieder einmal die Nikolaikirche. Ich hatte erwartet, auch junge Menschen unter den Zuhörern anzutreffen, sah aber fast nur Ältere. Ich habe 1989 des öfteren dort auf dem Eckstein einer Blumenrabatte gesessen und die Menschen beobachtet, die damals in die Kirche strömten oder aus ihr herauskamen. Ich erinnere mich, daß im Schaukasten des Gotteshauses die Namen oft nur kurzfristig Inhaftierter aushingen. Damals las ich den Satz: "Keiner werfe den ersten Stein!"

In den 80er Jahren sah ich oftmals das Symbol Schwerter zu Pflugscharen. Die Maßnahmen, welche in diesem Zusammenhang staatlicherseits ergriffen wurden, waren nicht durchdacht.

Ich denke auch an den ehemaligen Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, der im "Spiegel" 40/10 zum Herbst 1989 äußerte: "Ich antworte nicht gern darauf. Der Geist dieser Zeit ist ziemlich ermattet. Manche wählten den Freitod, viele sind richtig verzweifelt oder haben das Gefühl, überflüssig zu sein." - Als ich die Kirche verließ, standen in der Ecke neben dem Eingang diesmal nur etwa 50 Personen mit Ordnern und einigen Transparenten. "Aktionsbündnis soziale Gerechtigkeit", las ich u. a. 2004 demonstrierten von dieser Stelle aus über 10.000 Menschen für soziale Gerechtigkeit. In Leipzig gibt es 36.000 Hartz-IV-Empfänger. Sind die Helden müde geworden?

Klaus Pinkau, Leipzig


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Seit 1989/90 beschäftigt mich die Frage nach den Gründen der Niederlage des Sozialismus. Ich meine nicht die oft genannten Fehler und einzelne Mängel bei seiner Gestaltung, sondern die fundamentalen Ursachen für diese. Solange sie nicht erkannt und restlos aufgedeckt worden sind, dürfte es wohl kaum gelingen, realisierbare Ziele und Aufgaben zu fixieren oder gar in sich geschlossene Programme für die Gestaltung der Zukunft zu entwerfen.

Nun hat sich aus der Masse der Gesellschaftswissenschaftler und einstigen ML-Lehrer, die wir in der DDR hatten, mit Prof. Dr. Wolfram Triller einer gefunden, der auf die Notwendigkeit echter Geschichtsanalyse hinweist. Endlich! Dafür bin ich ihm dankbar. Sein Beitrag sollte Anstoß und Ermutigung für weitere Autoren sein, insbesondere auch jene, welche sich schon zu DDR-Zeiten mit dieser Problematik - wenn auch vielleicht nur insgeheim - beschäftigt haben, um ihre Gedanken nunmehr öffentlich darzulegen. Das häufig benutzte Wort von der Aufarbeitung der DDR-Geschichte könnte so in eine positive zukunftsweisende Bahn gelenkt werden.

Wolfgang Giensch, Neubrandenburg


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Ich beziehe mich auf den Leserbrief von Peter Gelewski aus Peckatel in Nr. 153. Den Darlegungen des Verfassers stimme ich zu und bitte RF-Leser, die dort tätig gewesen sind, in gleicher Weise über die ehemalige JVA Hoheneck im erzgebirgischen Stollberg sowie über die angeblichen Drangsalierungen und vermeintlich unmenschlichen Haftbedingungen in diesem Frauengefängnis zu berichten. Dabei wird wohl ähnliches herauskommen wie bei den Schilderungen ehemaliger DDR-Heimkinder, denen es angeblich so schlecht gegangen sein soll.

Klaus Mirus, Zwickau

Redaktionelle Bemerkung: In der Nr. 145 (Extra, S. 1) brachten wir bereits einen Beitrag "Was geschah in Hoheneck?" von Generalmajor der VP a. D. Dieter Winderlich.


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Christentum und Sozialismus - zu diesem Thema hatte die RF-Regionalgruppe Nördliches Vorpommern nach Prora auf Rügen eingeladen. Die Veranstaltung wurde von der Partei Die Linke, der örtlichen Volkssolidarität und ISOR Rügen mitgetragen. Sie war als Politischer Frühschoppen angelegt. Der Rostocker Theologe und Kirchenhistoriker Prof. Dr. Gert Wendelborn hielt den Einleitungsvortrag, unter den Gästen sah man auch Pfarrer Nieber aus der Kirchgemeinde Saßnitz/Sagard. Nach Prof. Wendelborns Darlegungen entspann sich eine konstruktive Diskussion, deren Kern die Berührungspunkte zwischen Christen und Marxisten, Erfahrungen im Umgang miteinander in der DDR sowie Möglichkeiten gemeinsamen Handelns angesichts heutiger Herausforderungen bildeten. Im Mittelpunkt des Dialogs standen Fragen der marxistischen Weltanschauung, des christlichen Glaubens und des sich aus beiden ergebenden moralischen Anspruchs.

Olaf Westphal, Saßnitz


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Seit mehreren Jahren lese ich jetzt schon den "RotFuchs". Ich würde anregen, daß sich die Zeitschrift einmal intensiver mit der ersten Kommunistenverfolgung in der BRD (1948 bis 1968) beschäftigt, da die Jagd auf Andersdenkende nach 1990 durchaus als deren zweite Welle bezeichnet werden kann, wenn sie auch nicht mit der ersten vergleichbar ist. Das antikommunistische Gezeter der Abgeordneten von CDU/CSU und FDP im Zusammenhang mit der Bundestagsdrucksache 17/2201 vom 16. Juni 2010 zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer aus den 50er und 60er Jahren hat mich nicht überrascht.

Ulrich Huse, Pirna


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Im RF-Novemberheft regte Ewa Babarnus aus Berlin an, der RF-Förderverein möge einen Leserklub gründen, der Literatur zur Ausleihe anbietet. Zweifellos ist es vielen unserer Bezieher finanziell nicht möglich, gewünschte Bücher selbst zu erwerben.

Ich möchte Ewa Babarnus unsere Erfahrungen mitteilen: Die Regionalgruppe Rostock hat Anfang 2010 ihre Mitglieder gebeten, aus eigenen Beständen Bücher zur Ausleihe bereitzustellen. Seitdem liegt bei jeder unserer Veranstaltungen eine Angebotsliste mit Autor und Eigentümer aus. Interessenten tragen sich dort ein und erhalten gegen Quittung das gewünschte Buch bei der nächsten Zusammenkunft. Manche nehmen auch direkten Kontakt zum Besitzer auf. Zurzeit bieten neun Genossen insgesamt 78 Titel an. Ich erteile gerne unter der Telefonnummer 0381-768 26 58 weitere Auskünfte.

Harry Machals, Vorsitzender RF-RG Rostock


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Als treuer Genosse längst vergangener Zeiten bin ich seit Jahren ein begeisterter Leser der Leitartikel Klaus Steinigers im RF. Jedesmal entdecke und erlebe ich im Geiste wieder etwas Neues oder werde an leider Vergangenes erinnert.

Ich bin rumänischer Staatsbürger und befinde mich seit 1996 im Strafvollzug der BRD. In der "RotFuchs"-Ausgabe Nr. 154 las ich mit Interesse den Artikel von Dr. Dieter Hillebrenner. Da ich selbst viele Erfahrungen mit dem bundesdeutschen Strafvollzug gesammelt habe, möchte ich gerne mit ihm in Verbindung treten.

Vasile Ghe. Marius, Bruchsal


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Als langjähriger aufmerksamer RF-Leser bin ich in der Novemberausgabe auch auf den Beitrag von Thomas Waldeck aus Cottbus gestoßen. Dem Autor des interessanten Artikels ist ein sachlicher Fehler unterlaufen: Der dort erwähnte Klaus Henkes war zwar Generalleutnant der DDR-Luftstreitkräfte/Luftverteidigung, aber zu keiner Zeit deren Chef. Er war bei uns ein hochgeachteter und fachlich versierter Vorgesetzter.

Oberstleutnant a. D. Gerhard Fuchs, Eggersdorf


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Mit Schmerzen sehe ich als ehemaliger Lehrer, wie es mit dem deutschen Schulwesen bergab geht. Staatliche Schulen sind dem Verfall preisgegeben, viele mußten bereits geschlossen werden. Privatschulen stellen für mich keine Alternative dar, sind sie doch durch und durch Produkt der kapitalistischen Gesellschaft.

Joachim Weise, Hohenstein-Ernstthal


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Im WDR sah ich eine Sendung unter dem Titel "Verarmt, verstorben, verscharrt". Es ging darum, wie mit Verstorbenen, die zu Lebzeiten über keine Mittel verfügten, und deren Hinterbliebenen umgegangen wird. Zwei Witwen aus Mönchengladbach (NRW) berichteten über ihren Gang zum Sozialamt. Sämtliche Einkünfte und Vermögenswerte, auch von Kindern und Kindeskindern, müssen dort offengelegt werden. Die erste Interviewte sagte, der Leichnam ihres Mannes sei nach 30 Tagen im Kühlraum eines Beerdigungsinstituts schließlich in Venlo eingeäschert worden. Man habe seine Asche ohne ihr Beisein verstreut. Die zweite Witwe schilderte vor der Kamera ähnliches.

Rechtlich betrachtet steht es sozial Schwachen zu, die Beerdigungskosten für Angehörige einzuklagen. Doch die seinerzeitige SPD-Landesregierung von NRW befürchtete, die Kommunen könnte das über Gebühr belasten. So wurde dort schon frühzeitig das Sterbegeld abgeschafft.

Ich bin erschüttert, wie man hierzulande mit Armen noch nach ihrem Tode verfährt. Dabei meinte doch Frau Merkel am 14. November 2010 in ihrer Rede auf der als CDU-Parteitag ausgegebenen Selbstbeweihräucherungsveranstaltung: "Jeder Mensch ist von der Geburt bis zum Tode etwas Besonderes."

Liesel Bauer, Dormagen


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Als 1990 Hunderttausende Ostberliner freudetrunken mit ihren eben erworbenen DM-Scheinen winkten, ahnten nur wenige, auf welche "Gegenleistung" sie sich damit eingelassen hatten. Die Rechnung kam in Form einer gigantischen Arbeitsplatzvernichtung und dem Plattmachen ganzer Industriezweige auf dem ehemaligen Staatsgebiet der DDR. Erstmals wurden deren einstige Bürger mit Kurzarbeit, Zeitarbeit, Ein-Euro-Jobs und Hartz IV konfrontiert. Sie lernten das gesamte Instrumentarium von Ausbeutung, Mobbing und Überwachung am Arbeitsplatz kennen.

In der BRD haben Industrie-Imperien und Banken ihre Schreibtische längst in den Ministerien aufgestellt und bestimmen, welche Gesetze gemacht werden und wem diese zu dienen haben. Ob nun die Atomlobby, die Arzneimittelkonzerne oder die vier Stromgiganten - sie allein entscheiden darüber, wo es langgeht.

All das haben sich jene, welche 1990 eifrig und begeistert ihre DM schwenkten, für die Aufgabe der DDR eingehandelt. War es das wert?

Hans-Peter Ackermann, Oberviechtach (Bayern)


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Es ist mir ein Anliegen, die RF-Leser auf das Internet-Radio www.ostwelle.de hinzuweisen. Anfang September 2010 bestand es bereits zwei Jahre. Es sendet täglich Kultlieder, Chansons, Jazz und Rock aus der DDR sowie Pionier-, Jugend-, Kampf- und Arbeiterlieder. Die Weiterführung und der Ausbau des Programms sind nicht nur an die Nutzung und das Einschaltverhalten der Hörer gebunden, sondern auch an die vielfältige Unterstützung des Gestalters der Sendung.

Mir liegt am Herzen, den Bekanntheitsgrad der "Ostwelle" unter Genossen und Freunden sowie in deren Familien und Bekanntenkreis zu erhöhen. Es geht darum, die erfolgreich gestartete Initiative auf eine breitere Basis zu stellen und deren uneigennützige Unterstützung auch bei Lesern des RF zu erhalten. Für nützliche Vorschläge bedanke ich mich im voraus.

Hartmut Eisold, Stuttgart


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Die Magdeburger "Volksstimme" erinnerte am 23. Oktober an den 250. Geburtstag des preußischen Heeresreformers August Neidhardt von Gneisenau, der als Stabschef Blüchers am Sieg bei Waterloo maßgeblich beteiligt war. Am selben Tag fand bei Oschersleben der jährliche "Gneisenau-Stammtisch" statt, zu dem sich ehemalige Angehörige des nach dem legendären Militär benannten NVA-Grenzregiments einfanden. Beim Treffen 2010 wurde dem langjährigen Regimentskommandeur, Oberst a. D. Bernhard Gottschlik, zu seinem 80. Geburtstag ein Ölporträt Gneisenaus überreicht.

Wir waren junge Männer, die den 2. Weltkrieg mit all seinen Schrecken als Kinder erlebt hatten und deshalb mit der Motivation "Nie wieder Krieg!" in die bewaffneten Organe der DDR eintraten. Viele von uns haben jahrzehntelang gedient. Heute beteiligen sich bundesdeutsche Soldaten in Afghanistan und anderswo ohne Skrupel wieder an Kriegen. Welche Schande!

Wilfried Linde, Halberstadt


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Wie der hiesigen Presse zu entnehmen war, soll der frühere sächsische Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) den Erich-Kästner-Preis erhalten. Offenbar hat sich der zu Ehrende ganz besondere Verdienste um Kästners Vermächtnis erworben.

Im Februar 2000 wurde in Dresden ein Erich-Kästner-Museum eingeweiht. Zum Zeitpunkt seiner Eröffnung war Herr Biedenkopf noch sächsischer Ministerpräsident. In dieser Eigenschaft hätte er Gelegenheit gehabt, sich gebührend zu engagieren. Doch damals vermeldete eine große Zeitung: "Das Museum erhielt keine finanzielle Unterstützung von staatlicher oder kommunaler Seite."

Wußten Herr Biedenkopf und die verantwortlichen Kommunalpolitiker Dresdens - der Geburtsstadt Erich Kästners - denn nicht, was sie dem großen Sohn der Elbmetropole schuldeten?

Ursula und Dr. Dieter Lehmann, Dresden


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Dr. Horst Adam hat im Oktober-RF einen ausgezeichneten Beitrag zur DDR-Pädagogik, der mir voll aus dem Herzen spricht, veröffentlicht. Ich versuche, konstruktive Elemente unter heutigen Bedingungen zu realisieren. Dabei hoffe und wünsche ich, daß dieser Aufsatz viele Leser finden wird. Allerdings: Unbelehrbare können wir nicht überzeugen, weil sie ohne Sachkenntnis und den Willen zu wirklicher historischer Analyse alles in den Schmutz treten, was bei uns geschaffen worden ist. Das bezieht sich auch auf das Bildungswesen.

Prof. Dr. Eberhard Meumann, Berlin


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Endlich ist die Konjunktur angesprungen, nachdem die Regierung zunächst die Finanzkrise gar nicht erkannt hatte, um anschließend Milliarden Euro gewissermaßen tonnenweise in das entstandene Loch zu schütten. Währenddessen kochten die Unternehmen erst mal auf Sparflamme und ließen sich mit dem Kurzarbeitergeld durchfüttern, um derweil neue Aufträge anzusammeln. Wie nach dem Lösen einer Bremse malochen jetzt wieder viele, wobei sich plötzlich herausstellt, daß angeblich ein Fachkräftemangel herrschen soll. In dieser verrückten Form der Marktwirtschaft äußert sich das immer zuerst in Gestalt eines Preisanstiegs. Doch, Hand aufs Herz: Hat jemand schon mal gehört, daß die Ware Arbeitskraft im Preis steigt? Genau das Gegenteil ist der Fall, denn im Fernsehen verkündet man, die Arbeitslosigkeit sinke rapide, während zugleich die Zahl der Hartz-IV-Empfänger zunehme. Zu erklären wäre das damit, daß es entweder immer mehr Beschäftigte gibt, welche derart schlecht bezahlt werden, daß sie außer ihrem Lohn auch noch einen Differenzausgleich nach Hartz IV in Anspruch nehmen müssen oder daß die ganze Aussage einmal mehr auf Schwindel beruht.

Die neueste Arbeitsmarkt-Kreation von Frau Merkel besteht nun darin, daß Hartz-IV-Betroffene im Sozialdienst arbeiten und damit die durch den Wegfall von Zivis entstandene Lücke schließen könnten.

Jochen Singer, Leipzig


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Inzwischen 82 Jahre alt, war ich bei den bewaffneten Organen der DDR und habe dort meine politische Bildung erfahren. Im Ergebnis dessen sehe ich mich dazu in der Lage, grundlegende Entwicklungslinien in Politik und Gesellschaft vom Klassenstandpunkt aus richtig zu bewerten. In der Frage, warum nicht nur die DDR, sondern auch die mit der Sowjetunion verbundenen sozialistischen Staaten Europas zugrunde gegangen sind, hat mir die Lektüre des RF zu einer richtigen Einordnung verholfen. Dafür danke ich allen Mitarbeitern.

Rolf Kretzschmar, Berlin


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In einer Folge der ARD-Sendung "Hart aber fair" legte Herr Plasberg dar, wie überproportional Westdeutsche die Spitzenpositionen in Wirtschaft, Bundespolitik, Medien und Verwaltungen besetzt haben, während frühere DDR-Bürger dort kaum zu finden seien. Der Moderator vergaß dabei die Länderregierungen und Städteverwaltungen im Osten. Die dortige Situation hätte den Eindruck einer Kolonie noch verstärkt.

Während Kurt Biedenkopf den Mut besaß, sich auch in dieser Sendung gegen die Anwendung des Begriffs "Unrechtsstaat" in bezug auf die DDR zu äußern, offenbarte Gregor Gysi eklatante Formschwäche. Er fühle sich außerstande, seinem 14jährigen Kind die DDR zu erklären. Ich halte das für ein Armutszeugnis, das sich der zielstrebige Aufsteiger und spätere PDS-Gründer damit ausstellt. In diesem Zusammenhang schlage ich folgende Qualifizierungsmaßnahmen vor: Raus aus dem weichen Sessel, weg von der großen Kohle! Statt dessen: Ein Jahr Ausbeutung als unterbezahlter Krankenpfleger mit Zeitarbeiterstatus und anschließend drei Jahre Hartz-IV-Empfänger. Kann Gysi dann immer noch nicht die DDR richtig erklären, ist ihm wirklich nicht zu helfen.

Joachim Spitzner, Leipzig

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Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert. Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.

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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

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CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
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Sylvia Feldbinder

Redaktionsschluß ist jeweils der erste Tag eines Monats.

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Gerhard Schmidt
Prof. Dr. Horst Schneider
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Klaus Parche, Heinrich Ruynat,
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Quelle:
RotFuchs Nr. 156, 13. Jahrgang, Januar 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2011