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POLITISCHE BERICHTE/137: Zeitschrift für linke Politik 6/10


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik

Nr. 6 am 4. Juni 2010


INHALT

Aktuell aus Politik und Wirtschaft
- Politische Berichte im Internet
- Nach der Landtagswahl in NRW
- Gesucht: ein EU-Wachstumsprogramm
- Auslandsnachrichten

Regionales und Gewerkschaftliches
- Aktionen ... Initiativen
- Pro und kontra Optionskommunen
- Kommunale Politik
- DGB-Bundeskongress: "Umdenken für eine neue Ordnung"
- Neuauflage: Revision der europäischen Arbeitszeitlinie
- Wirtschaftspresse
- Linkspartei: Neue Parteispitze gewählt - Programmdebatte steht aus

Diskussion und Dokumentation
- Arbeitspolitik - Probleme aktueller Gewerkschaftspolitik
- Rezensiert: IG-Metall-Vorsitzender fordert Richtungswechsel

Termine

Raute

AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT

Politische Berichte im Internet: www.gnn-verlage.com


"Köhlers Rücktritt vertieft Krise der Bundesregierung"

Die Vorsitzenden von Partei und Fraktion Die Linke erklären zum Rücktritt des Bundespräsidenten:

Parteivorsitzende Gesine Lötzsch: "Horst Köhler hat mit seinen Äußerungen zum Einsatz militärischer Gewalt zur Sicherung von deutschen Wirtschaftsinteressen die wirklichen Hintergründe für die Auslandseinsätze der Bundeswehr offengelegt.

Insofern sollte sein Rücktritt Anlass für die Bundeskanzlerin sein, die deutsche Außenpolitik grundlegend zu überdenken und die Bundeswehr aus allen Kriegseinsätzen, insbesondere aber aus Afghanistan zurückzuziehen."

Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi: "Der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler verdient Respekt, zumal er als erster Repräsentant die wahren Gründe für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan genannt hat. Dennoch erscheint seine Reaktion auf Kritik an seinen diesbezüglichen Äußerungen überzogen. Auch der höchste Repräsentant der Bundesrepublik muss sich öffentlicher Kritik stellen. Man merkt, dass er vorher kein Politiker war, sonst hätte er das ausgehalten.

Horst Köhler war der Kandidat von CDU/CSU und FDP. Mit seinem Rücktritt vertieft sich die Krise der Regierung Merkel-Westerwelle. In der grundgesetzlich festgelegten kurzen Zeit bis zur Neuwahl wird sich zeigen, ob die SPD nun wie in NRW sich eher auf Union und FDP orientiert oder auf Die Linke zugeht."


Israel erstürmt Schiffe mit Hilfsgütern für Gaza

Noch sind die Details der Aktion nicht bekannt, aber ein großer Teil der internationalen Öffentlichkeit ist empört und bezweifelt die Darstellung der israelischen Armee. Auch der Boykott des Gazastreifens durch Israel steht seit langem in der Kritik von UN und EU. Im folgenden die Stellungnahme der Linkspartei und ein Blick auf Reaktionen in Israel.

Zur Erstürmung der Flottille mit Hilfsgütern für den Gazastreifen durch israelische Soldaten erklärt Gregor Gysi, Vorsitzender der Fraktion Die Linke: "Israel versucht seit geraumer Zeit den Gazastreifen, in dem es seine Besatzung aufgegeben hat, abzuriegeln. Dazu hat Israel kein Recht. Es gibt keine einzige völkerrechtliche Norm, auf die Israel eine solche Abriegelung stützen kann. Deshalb ist sie mehrfach und von einer Vielzahl von Staaten verurteilt worden. Mehrere Schiffe waren unterwegs, um Hilfsgüter an die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen zu liefern. Die israelische Armee wollte dies rechtswidrig nicht zulassen und die Schiffe besetzen. Ohne im Einzelnen beurteilen zu können, was bei der Besetzung geschah, ist es niemals und durch nichts zu rechtfertigen und deshalb verbrecherisch, dass einseitig das Feuer eröffnet wird und friedliche Menschen getötet oder verletzt werden. Unter den Passagieren befinden sich auch die Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger, beide Mitglieder der Fraktion DIE LINKE sowie der ehemalige Abgeordnete der Linksfraktion, der 72-jährige Norman Paech. Ich erwarte vom Bundespräsidenten, vom Bundestagspräsidenten, von der Bundeskanzlerin und vom Bundesaußenminister, dass sie sich unverzüglich gegenüber der israelischen Regierung für das Ende der Gewalt gegenüber den Besatzungen der Schiffe, für die unverzügliche Freilassung sämtlicher friedlicher Besatzungsmitglieder, für die Bildung einer internationalen Untersuchungskommission zur Klärung der Vorgänge und für das Ende der rechtswidrigen Abriegelung des Gazastreifens einsetzen."

Wie reagiert die israelische Zivilgesellschaft auf die militärische Aktion gegen die Schiffe? Stellt sie sich gegen die weitere Gewalteskalation oder bleiben die Proteste auf den linken Rand beschränkt?

Bekannte Friedensaktivisten wie Uri Avnery und einige Politiker der Linken kritisierten die gewaltsame Enterung scharf. Dov Khenin, Knessetabgeordneter von Hadash (einer Listenverbindung verschiedener sozialistischer Parteien) und Gründer der Basisbewegung Ir Lekulanu in Tel Aviv, warnte: "Die rechte und abenteuerliche Politik der Regierung kann einen Großbrand in der ganzen Region entfachen." Der ehemalige Knessetabgeordnete Mossi Raz aus der linksliberalen Partei Meretz sagte: "Es hätten keine Soldaten geschickt werden dürfen, um Menschen zu verletzen und selbst verletzt zu werden. Die Fortsetzung der Blockade Gazas stärkt nur die Hamas; sie muss unverzüglich beendet werden."

Noch am gleichen Tag fanden Mahnwachen, kleinere Kundgebungen und Demonstrationen in der Hafenstadt Ashdod, in Haifa und Jerusalem (unter der Überschrift: "Nein zur Brandstifter-Regierung, die die Region in Brand setzt! Nein zum nächsten Krieg! Ja zu Gesprächen und zur Lösung: Zwei Jerusalem - ein Frieden!") und vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv statt. Für Samstag ruft ein Bündnis von Peace Now, Yesh Gvul, Meretz, Hadash, Gush Shalom, Fighters for Peace, Kommunistischer Partei und vielen anderen zu einer Demonstration im Zentrum von Tel Aviv auf.


Jobcenter-Reform weiter strittig

Süddeutsche Zeitung, 25.5., rül Der Erhalt der Jobcenter für die etwa 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger ist wieder fraglich. Vor allem die unionsgeführten Länder verlangen zahlreiche Änderungen an dem von Regierungskoalition und SPD mühsam ausgehandelten Kompromiss zur Absicherung der Agenturen. Der sieht vor, das Grundgesetz zu ändern, um die derzeitige Struktur der Jobcenter als gemeinsame Einrichtung der Agentur für Arbeit und der jeweiligen Kommune beizuhalten. Etwa 40 Änderungswünsche sollen von unionsgeführten Bundesländern in der Länderkammer auf den Tisch gebracht worden sein. Zusätzliche Probleme bereitet die FDP, die die geplante Entfristung von 3200 Vermittlerstellen der Bundesagentur für Arbeit für die Jobcenter verhindern will. Diese Entfristung war von vielen Kommunen und Jobcentern schon lange gewünscht und wurde in den Verhandlungen mit der Bundesregierung von der SPD als Bedingung für ihre Zustimmung zur Grundgesetzänderung genannt. Die Entfristung stünde im Gegensatz zu den Sparmaßnahmen der Bundesregierung, verkündet nun die FDP. Damit steht der gesamte Zeitplan für die geplante Grundgesetzänderung wieder in Frage. Bis zur letzten Sitzung des Bundesrats vor der Sommerpause am 9. Juli muss die Reform unter Dach und Fach sein, wenn die Jobcenter nicht völlig ins Chaos geraten sollen. Die fast 350 Jobcenter hängen derzeit in der Luft, weil die Unionsfraktion im Bundestag, geführt von Fraktionschef Kauder, vor der letzten Bundestagswahl einen zwischen NRW-Ministerpräsident Rüttgers, Hessens Ministerpräsident Koch und dem damaligen SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz ausgehandelten Kompromiss in letzter Minute torpediert hatte. Wenn bis Ende 2010 keine Lösung gefunden ist, müssten alle Jobcenter aufgelöst werden und die alte Ämtertrennung in Arbeitsverwaltung und Sozialbehörden würde wieder aufleben.


"Bürgerarbeit" - vor allem billig

BMAS-Presse, rül Bundesarbeitsministerin von der Leyen hat ein neues Beschäftigungsprogramm auf den Weg gebracht. 30.000 Jobs für Langzeitarbeitslose sollen bundesweit eingerichtet werden. Ende April wurde das Projekt im Bundesanzeiger ausgeschrieben, bis 27. Mai konnten sich Job-Center im Rahmen eines bundesweiten "Interessenbekundungsverfahren" für die Teilnahme an dem "bundesweiten Modellprojekt" bewerben. Die Mittel für das Programm kommen etwa zur Hälfte aus dem ESF, d.h. von der EU, die andere Hälfte steuert die Bundesregierung aus ihrem Etat bei. "Bürgerarbeit" soll es nur für Langzeitarbeitslose geben, die Hartz-IV beziehen und bei denen keine Aussicht besteht, sie in den nächsten sechs Monaten in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Sie sollen bis zu drei Jahre lang "zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten" leisten und dafür bei 30 Stunden Arbeit pro Woche monatlich maximal 900 Euro erhalten. Das ergibt einen Stundenlohn von etwa 6,90 Euro brutto, liegt also unterhalb aller derzeit gehandelten Mindestlöhne. "Bürgerarbeit" ist deshalb vor allem der Versuch, Langzeitarbeitslose unter Ausnutzung ihrer Notlage in weitere Billigstjobs zu pressen.


Gesundheitsreform: Vorbereitung in den Stäben

www.bmg-bund.de, alk. Inzwischen haben einige Sitzungen der Regierungskommission zur Gesundheitsreform stattgefunden; in einer dürren Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums heißt es zu den Ergebnissen: "In der dritten Sitzung der Regierungskommission wurden drei wissenschaftliche Konzepte vorgestellt, welche die ordnungspolitische Idee des Prämienmodells erläuterten. Die Vorteile dieses Modells bestünden aus der fehlenden Konjunkturanfälligkeit und der größeren sozialen Gerechtigkeit, fasste Bundesgesundheitsminister Dr. Rösler die Ergebnisse zusammen. Der Minister betonte, dass die Familienmitversicherung in jedem Fall erhalten bleibe. Die Notwendigkeit zur Veränderung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe unverändert fort. Andernfalls müsste das Defizit im nächsten Jahr, das theoretisch zwischen 6 und 15 Milliarden betragen könnte, über Zusatzbeiträge finanziert werden. Nachteilig sei dabei, dass diese keinen sozialen Ausgleich vorsehen." Der Streit zwischen dem FDP-Minister und der CSU ist nicht beigelegt. Die CSU will an der Subventionierung des nichtarbeitenden Ehegatten über die Krankenversicherung festhalten; die Prämienlösung, wie sie Minister Rössler anstrebt (die sogenannte Kopfpauschale), wäre aber der Einstieg, die Mitversicherung von Ehegatten zu beenden.


Bremen: Disziplinarverfahren gegen Lehrer überwiegend eingestellt

wjo. Im August 2009 hatte Bildungssenatorin Jürgens-Pieper gegen 756 beamtete Lehrer wegen Beteiligung an der Tarifauseinandersetzung im Februar 2009 Disziplinarverfahren einleiten lassen (s. PB 9/2009, S. 16). Im März dieses Jahres wurden die Bescheide an alle Teilnehmer zugestellt. In über 550 Fällen, in denen eine Streikteilnahme auf den 13.2.2009 beschränkt blieb, wurden die Verfahren eingestellt. Begründet wurde das Vorgehen vom zuständigen Staatsrat wie folgt: "Die Einstellung des Disziplinarverfahrens ... ist aber noch vertretbar, weil ich zu Ihren Gunsten einräume, dass (es) bei vorangegangenen Streikaktionen ... auch nach Inkrafttreten des Bremischen Disziplinargesetzes am 1.1.2003 ... bei Streikaktionen in der Regel nicht zur Einleitung von Disziplinarmaßnahmen (kam), so dass sich deshalb der Eindruck verfestigen konnte, dass auch dieses Mal außer über einen Gehaltsabzug ... über keine weiteren Maßnahmen nachgedacht werde." Alle übrigen Lehrer, die zusätzlich auch oder nur am 25.2.2009 gestreikt hatten, erhielten einen Verweis, der von der GEW so eingeschätzt wird: "Der erteilte Verweis stellt die nach dem Disziplinargesetz geringste Disziplinarmaßnahme dar. Sie ist nach zwei Jahren ab Rechtskraft aus den Akten zu löschen und zu vernichten".

Die GEW will hiervon einige Fälle auswählen und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte das Beamtenrecht auf Streik durchklagen. Etwas aus dem Blick geraten ist dabei die Lage für die mit einem Verweis disziplinierten Lehrer bei erneuten Arbeitskämpfen. Sie können innerhalb von 3 oder 3 ½ Jahren nicht oder nur unter erhöhten disziplinarischen Androhungen an Arbeitskämpfen teilnehmen.

Raute

Landtagswahlen in NRW

Schwarz-Gelb abgewählt - Die Linke zieht erstmals ein

Die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen haben in der Geschichte der Bundesrepublik mehrfach neue politische Konstellationen eingeleitet. In den 60er Jahren waren sie Vorreiter für eine große Koalition und Rot-Gelb, 2005 leiteten sie das Ende von Rot-Grün ein. Auch die Landtagswahl am 9. Mai 2010 hat neue Konstellationen eingeleitet. Die deutliche CDU-FDPMehrheit ist nach nur fünf Jahren abgewählt worden. Bei einer niedrigeren Wahlbeteiligung verlor die CDU über 10 % der Wählerstimmen und erhielt 34,6 %. Die FDP legte zwar um 0,5 % auf 6,7 % zu, blieb aber weit hinter ihrem Bundestagsergebnis zurück und zählte für viele zu den Wahlverlierern.

Auch die SPD, die nach dem erdrutschartigen Einbruch 2005 landauf landab als "gefühlter" Wahlsieger auftritt, hat deutlich Stimmen verloren und verzeichnet wie die CDU das schlechteste Ergebnis seit Mitte der 50er Jahre. Sie verlor fast 400.000 Stimmen bzw. 2,6 % und hat mit 34,5 % der Stimmen genauso viele Abgeordnete, wie die CDU. Gewonnen haben nur die kleineren Parteien. Die Grünen erzielten das Rekordergebnis von 12,1 % (+ 5,9 %). Die Linke kam mit 5,6 % einigermaßen sicher in den Landtag (+ 2,5 % gegenüber PDS und WASG 2005). In ihren Hochburgen im Ruhrgebiet verlor die SPD im Schnitt sogar 4 %, die CDU etwas unterdurchschnittlich.

Die Landtagswahl von NRW dürfte das Fünfparteiensystem im ganzen Land endgültig etabliert haben. Daran wird sich wahrscheinlich nicht so schnell etwas ändern. Nur in den süddeutschen Bundesländern ist Die Linke noch nicht in den Landtagen vertreten. Die nächsten Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg könnten dies schon ändern. Im Ruhrgebiet, wo die CDU nur in 6 von 38 Wahlkreisen die 30 %-Marke kratzte, erhielt sie im Schnitt sogar 6,6% und war deutlich vor der FDP viertstärkste Partei.

Diesen Sprung hat Die Linke geschafft, obwohl sie erst seit der Kommunalwahl im letzten Jahr flächendeckend zumindest in den kreisfreien Städten und allen Landkreisen in NRW vertreten ist und wenig landespolitische Kompetenz vorzuweisen hat. Das Landtagswahlprogramm ist von den anderen Landtagsparteien und der Tagespresse heftig angegriffen worden. Vor allem die WAZ-Mediengruppe hat sich mit "Stories" hervorgetan, die vor allem die Zerstrittenheit und Politikunfähigkeit des Landesverbandes NRW der Partei Die Linke belegen sollten. Allerdings sind im Vorfeld der Wahlen mit einer Ausnahme alle Umfragen und entsprechend die Medien immer davon ausgegangen, dass Die Linke die Fünf-Prozent-Hürde schafft.

Deutlich wird am Wahlergebnis, dass Die Linke vor allem in den Städten und Stadtteilen mit großen sozialen Problemen inzwischen eine kleine Stammwählerschaft hat. Die Erst- und Zweitstimmen liegen oft relativ dicht beieinander, bei Grünen und FDP ist die Erststimme deutlich mehr taktisch vergeben worden. Dass das Potential der Bundestagswahl nicht erreicht wurde, ist vor allem damit zu erklären, dass Die Linke nach wie vor vor allem als Bundespartei wahrgenommen wird und etliche Wählerinnen und Wähler die Kommunal- und Landespolitik als auch die Europapolitik weniger interessiert. Bei den Bundestagswahlen erhielt Die Linke in NRW bei einer höheren Wahlbeteiligung 789.814 Zweitstimmen (8,4 %), bei der Landtagswahl nur 55 % davon.


Landtagswahl NRW 9.5. 2010 - Endergebnis Zweitstimmen
Landtagswahl

­2010
Stimmen
 2010
 %
­2005
Stimmen
 2005
 %
Differenz
%-Punkte
Wahlberechtigte
Wähler/-innen
Ungültige Stimmen
Gültige Stimmen
13.267.052
7.870.412
109.866
7.760.546
100,0
59,3
1,4
100,0
13.230.366
8.333.363
89.349
8.244.014
100,0
63,0
1,1
100,0
-
-
-
-
CDU
SPD
GRÜNE
FDP
DIE LINKE(1)
2.681.700
2.675.818
941.162
522.229
435.627
34,6
34,5
12,1
6,7
5,6
3.696.506
3.058.988
509.293
508.266
254.977
44,8
37,1
6,2
6,2
3,1
-10,3
- 2,6
+ 5,9
+ 0,6
+ 2,5
NPD
REP
pro NRW
55.400
23.330
107.476
0,7
0,3
1,4
73.969
67.220
-
0,9
0,8
-
- 0,2
- 0,5
+ 1,4
PIRATEN
Sonstige
121.046
196.758
1,6
2,5
-
256.783
-
3,1
+ 1,6

(1) 2005: PDS und WASG zusammen. Die PDS erhielt damals 0,9 %, die WASG 2,2 %.


Rot-Grün-Rot nicht gewollt

Auch wenn Schwarz-Gelb eindeutig abgewählt wurde. Die Regierungsbildung in NRW ist zurzeit völlig unübersichtlich. Hannelore Kraft hat es als Spitzenkandidatin der SPD im Wahlkampf zwar nie ausgeschlossen, eine Regierung mit der Partei Die Linke zu bilden. Sie hat aber stets betont, dass sie Die Linke nicht für regierungsfähig und -willig hält. Ihre Wunschkonstellation Rot-Grün scheiterte an einer Stimme im Landtag, die beiden Partein haben zusammen 90 der 181 Landtagsmandate. Rot-Grün-Gelb wurde von der FDP nach einigen Querelen abgesagt, ist inzwischen aber wieder eine leichte Option, falls die derzeitigen Verhandlungen über eine große Koalition scheitern.

Rot-Grün-Rot ist über ein fünfstündiges Sondierungsgespräch nicht hinausgekommen, obwohl der Wahlkampf in den letzten Wochen so sehr wie lange nicht mehr ein Lagerwahlkampf war. Bei den landespolitischen Fragen gibt es in den Wahlprogrammen bei der Bildungspolitik (Streichung der Studiengebühren, "Eine Schule für alle"), der dringend notwendigen Entlastung der Kommunen (Entschuldungsfonds des Landes), der Wiedereinführung von stärkeren Mitbestimmungsrechten für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und in sozialpolitischen Fragen (Einführung eines Sozialtickets) durchaus viel Übereinstimmung bei Rot-Grün-Rot. Trotzdem erklärten SPD und Grüne nach dem Gespräch, sie sähen keine Möglichkeit zur Zusammenarbeit.

Gut die Hälfte des Gespräches war nach übereinstimmenden Berichten von Teilnehmern aus allen drei Parteien mit Diskussionen um die Beurteilung der DDR gefüllt. Abgebrochen wurde das Gespräch, als die Delegation der Partei Die Linke erklärte, eine gemeinsame Koalitionsregierung müsse auch mit von der Partei Die Linke organisierten Protesten rechnen, soweit es um unsoziale Maßnahmen wie Entlassungen im Landesdienst ginge. SPD und Grünen ist es ein Stück weit gelungen, der Partei Die Linke in der Öffentlichkeit den "Schwarzen Peter" zuzuschieben.

Tatsächlich ist der Wille, sich an einer Koalitionsregierung zu beteiligen, innerhalb der Partei Die Linke NRW nicht groß. "Veränderung durch Opposition" war eine der Aussagen, auf die sich der Landesparteitag am 22.5.2010, nach Scheitern der Sondierungsgespräche, gut verständigen konnte. Vor allem bei Neuwahlen könnt es ein Problem werden, dass nach unterschiedlichen Umfragen mindestens die Hälfte der Wählerinnen und Wähler der Partei Die Linke Rot-Grün-Rot wollte.

Schamhaft verschwiegen wird in der Öffentlichkeit allerdings, dass zehn Abgeordnete der eigenen Landtagsfraktion Hannelore Kraft vor den Sondierungsgesprächen angekündigt haben, sie nicht zur Ministerpräsidentin einer rot-grün-roten Koalition zu wählen. Das gesellschaftliche Projekt, die Ziele, die mit einer Mehrheit links von der Mitte durchgesetzt werden könnten, sind offensichtlich nicht so fest in den Parteien verankert, dass sie zurzeit in NRW auch umgesetzt werden könnten.

Wolfgang Freye

Raute

Auszug aus: Beschluss des Landesparteitags Die Linke. NRW vom 22.5.2010

Den Politikwechsel in NRW jetzt durchsetzen!

Die Linke ist mit zwei zentralen Forderungen in den Landtagswahlkampf gegangen: Rüttgers muss weg! Jede Stimme für Die Linke ist eine Stimme gegen Rüttgers!

Wir wollen einen Politikwechsel für mehr Demokratie, freie Bildung und soziale Gerechtigkeit.

Die schwarz-gelbe Landesregierung unter Ministerpräsident Rüttgers hat keine Mehrheit mehr, weder bei den Wählerinnen und Wählern noch im Parlament ... Die Menschen in NRW haben den Politikwechsel gewählt, doch SPD und Grüne wollen diesen nicht umsetzen ... SPD und Grüne haben Scheinverhandlungen aus taktischem Kalkül heraus geführt. Ihr Ziel ist offenbar, einen Teil der eigenen Mitgliedschaft ruhig zu stellen und öffentlich den schwarzen Peter den Linken zuzuschieben ...

Nach einem offenbar nur vorgegaukelten Lagerwahlkampf sollen die käuflichen Politiker von der CDU nun Partner der SPD werden. Der Traum von gebührenfreier Bildung, von längerem gemeinsamem Lernen, von der Entmachtung der Energieriesen zugunsten von kommunaler bezahlbarer Energieversorgung ist in weite Ferne gerückt.

SPD und Grünen behaupten, die Sondierungsgespräche seien an unserem ungeklärten Verhältnis zu Demokratie und DDR gescheitert. Das ist eine Verdrehung der Tatsachen: Vielmehr hat Die Linke in dem Sondierungsgespräch ohne Wenn und Aber deutlich gemacht, dass die DDR für sie kein demokratischer Rechtsstaat, sondern eine Diktatur war. Die Linke war auch bereit, eine gemeinsame Erklärung als Präambel zu einem Koalitionsvertrag zu vereinbaren, in der analog des SPD-Linken-Koalitionsvertrages in Brandenburg diese Haltung unmissverständlich klargestellt wird ...

SPD und Grüne wollen mit ihrer Lüge davon ablenken, dass sie gar nicht bereit waren, mit der Linken in ernsthafte Gespräche über einen Richtungswechsel für NRW einzutreten.

Offensichtlich wollen SPD und Grüne landespolitisch dort weitermachen, wo sie 2005 aufgehört haben: Die Politik der von 1995 bis 2005 amtierenden SPD-Grünen-Landesregierung, insbesondere des "Düsseldorfer Signal", war neoliberal geprägt, gegen die Arbeitnehmer/innen in NRW gerichtet und diente in vielen Bereichen für Schwarz-Gelb als "Einfallstor" für später von der Regierung Rüttgers noch drastisch verschlechterte Regelungen und Gesetze ...

In dem Sondierungsgespräch ließen SPD und Grüne entgegen ihren Programmen erkennen, dass sie die West-LB privatisieren wollen. Zudem haben sie beharrlich unsere Bereitschaft eingefordert, bis zu 8.700 Stellen im Landesdienst zu streichen, obwohl sie selbst insbesondere für den Bildungsbereich noch im Wahlkampf den deutlichen Ausbau von Stellen versprochen haben ... Beide wollen kein wirkliches Investitionsprogramm zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in NRW auflegen ­...

Fest steht: Die Linke wird keine Regierung unterstützen, die Privatisierungen, Personal- und Sozialabbau vornimmt und die nicht die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen deutlich verbessert ... Die Linke steht für den Politikwechsel in NRW und streitet für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie und der nachhaltigen ökologischen Gestaltung.

Zentraler Bestandteil eines Politikwechsels in NRW sind für Die Linke die Einführung eines landesweiten Sozialtickets im öffentlichen Nahverkehr, die Einführung eines Tariftreuegesetzes, die sofortige Abschaffung der Studiengebühren, die Einführung "Einer Schule für Alle", die Wiederherstellung der finanziellen Handlungsfähigkeit von Städten und Gemeinden unter anderem durch die Einrichtung eines Landesfonds zur Entschuldung strukturschwacher Kommunen sowie eine Bundesratsinitiative für einen solide finanzierten Politikwechsel durch eine andere Steuerpolitik zu Lasten von Millionären und Konzernen.

Gleichzeitig geht es uns darum, den Sozialabbau in Deutschland verbindlich im Bundesrat zu stoppen. Wir streiten für eine Politik, die die internationalen Finanzmärkte kontrolliert ... Nicht die Mehrheit der Bevölkerung, sondern private Banken, Spekulanten und Finanzprofiteure, die die Krise verursacht haben, müssen zahlen.

Für die Einleitung eines grundlegenden Politikwechsels im Interesse der Mehrheit der Menschen in unserem Land sind wir auch nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grünen und der Linken zu Gesprächen bereit. Ein Politikwechsel wird an uns nicht scheitern, aber wir biedern uns nicht an. Entscheidend ist, was dabei an positiven Veränderungen für die Menschen in NRW herauskommt. Und das werden wir mit eigenen Anträgen und Initiativen im NRW-Landtag unter Beweis stellen.

Wir hoffen nach wie vor auf die Vernunft und eine kritische Basis von SPD und Grünen. Wir appellieren an die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften, der Sozial- und Umweltverbände und der Erwerbslosenbewegung, der SchülerInnen- und Studierendenbewegung: Übt Druck auf Sozialdemokrat/innen und Grüne aus, damit sie sich einem Politikwechsel nicht mehr verweigern ...

Als Teil der sozialen Bewegungen suchen wir den Rat und die Kritik der Gewerkschaften, der außerparlamentarischen Initiativen und Bewegungen, der Kirchen, der Bürgerinitiativen, der Menschen in NRW. Um dies zu unterstreichen, werden wir demnächst diese Organisationen zu einem Ratschlag über unsere gemeinsamen Ziele und Aufgaben einladen: um alle Ansätze für eine Fortführung einer Politik des Sozialabbaus gemeinsam wirksam bekämpfen zu können.

Nur gemeinsam mit außerparlamentarischen Kräften kann Die Linke im Parlament Erfolg haben und der Widerstand gegen den Abbau sozialer und demokratischer Rechte und für Alternativen letztlich erfolgreich sein ­...

NRW braucht endlich einen Politikwechsel - dafür steht Die Linke jederzeit bereit!

Raute

Gesucht: Ein EU-Wachstumsprogramm

Bundestag verabschiedet "Euro-Rettungsschirm"

Was genau die Gründe waren, die die EU-Finanzminister bewogen, unmittelbar nach Verabschiedung des Rettungspakets für Griechenland auf einer Sondersitzung mit EZB, EU-Kommission und Vertretern des IWF einen zusätzlichen "EU-Rettungsschirm" mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro zu beschließen, ist noch dunkel. Offenbar fürchteten viele, darunter der französische Staatspräsident Sarkozy, die EZB und der IWF, eine Großattacke auf den Euro und eine neue "Schockstarre" an den Geldmärkten wie nach der Lehman-Pleite.

Glücklicherweise hatte die Politik, selbst unsere Regierung und ihre Kanzlerin, zu dem Zeitpunkt begriffen, dass das System Politik nicht in einer gemütlichen Plauderei mit den Finanzmärkten war, sondern in einer Kampfsituation. Folglich holte die Politik die große Kanone heraus und beschloss den Rettungsschirm (nachzulesen unter www.bundestag.de, Drucksache 17/1685), dem eine Woche später im Eilverfahren auch der Bundestag und Bundesrat zustimmten. Sein Inhalt ist schlicht: EU-Kommission und EZB werden ermächtigt, zur Abwehr einer drohenden Zahlungsunfähigkeit einzelner EU-Staaten

a) mit 60 Milliarden Euro Krediten zu helfen,

b) eine EU-weite Zweckgesellschaft zu gründen, die mit am Kapitalmarkt aufgenommenen Mitteln weitere 440 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, für die die einzelnen EU-Staaten bürgen.

Diese Bürgschaft haben Bundestag und Bundesrat bewilligt. Zusätzlich sagte der IWF zu, diesen Kreditrahmen notfalls mit weiteren 250 Milliarden Euro aus seinen Mitteln zu ergänzen.

Den Akteuren an den Finanzmärkten wurde damit unmissverständlich verdeutlicht, dass sie mit 750 Milliarden Euro "gegnerischen Mitteln" fertig werden müssen, wenn sie noch einmal versuchen, ein EU-Mitgliedsland in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben.

Diese Drohung und die Tatsache, dass die EZB unmittelbar danach begann, Staatsanleihen von allen EU-Staaten zu kaufen - die US-Zentralbank verfährt schon seit Jahrzehnten so - hat gewirkt. Auch wenn die Zweckgesellschaft noch gar nicht gegründet ist, ist wieder eine gespannte "Normalität" an den Geld- und Devisenmärkten eingekehrt.

Zusätzlich hat die Politik begonnen, sich das Thema "Regulierung der Finanzmärkte" endlich ernsthaft vorzunehmen. Angefangen von der "Bankenabgabe" (der IWF schlägt eine Sondersteuer für das Bankgewerbe für eine "Notreserve" in Höhe von 2 bis 4% des BIP vor, das wären in der EU 250 bis 500 Milliarden Euro), über Sondersteuern auf Manager-Boni und Bank-Dividenden (in Großbritannien schon eingeführt), Millionärsteuern (in Spanien auf der Agenda) bis hin zur Finanztransaktionssteuer ist auf einmal alles denkbar, was noch vor kurzem als "Teufelszeug" galt. Ungedeckte Leerverkäufe sollen eingeschränkt, wenn nicht verboten werden, ebenso der Handel mit Kreditausfallversicherungen durch Leute, die gar keinen Kredit aufgenommen haben, deshalb auch keine Versicherung brauchen, usw. usf.

Gleichzeitig hat in der EU die Debatte um die Rückführung der öffentlichen Defizite an Fahrt gewonnen. Problem dabei: Die überlegten und vielfach schon beschlossenen Pakete greifen meist Leuten mit geringen und mittleren Einkommen in die Tasche oder schränken öffentliche Investitionen ein. Das ist nicht nur unsozial. Es dämpft auch das ohnehin geringe Wachstum in der EU. "Europa wird abgehängt", hört man schon Warnungen. Tatsächlich dürfte die EU durch solche "Spar-Pakete" gegenüber den USA, Japan, ganz zu schweigen von den BRIC-Staaten und anderen Schwellenländern, wirtschaftlich weiter fallen.

Gesucht wird deshalb in Wirklichkeit ein Bündel von Maßnahmen, die zusammen vier Ziele erfüllen: Die Finanzbranche regulieren, die öffentlichen Haushalte sanieren, sozial ausgewogen und fair sein und zu mehr Binnenwachstum in der EU führen.

rül

Raute

Bankenkrise, Bankenabgabe, Bankenregulierung - Anregungen aus der Finanzwissenschaft

In der Griechenlandkrise wurden erneut die Banken geschont, die mit der Staatsfinanzierung einträgliche Geschäfte gemacht haben, ihre Eigentümer und Gläubiger erneut von der Haftung entbunden. Stattdessen haften wieder die Steuerzahler. Die Bundestagsfraktion der Linken stimmte zwar gegen das Gesetz zur Griechenlandhilfe wegen der damit verbundenen unerträglichen Auflagen für die griechische Bevölkerung und wegen der Nichtbeteiligung der Banken; eine Umschuldung Griechenlands zu Lasten der griechischen und europäischen Banken, Versicherungen und Pensionsfonds hat aber auch die Linke nicht gefordert. Aufgrund der hohen Vernetzung der Banken sind die Auswirkungen von Bankpleiten nicht absehbar, die Furcht vor einem Stillstand der wirtschaftlichen Aktivität ist nicht unbegründet.

Auf der Suche nach wirksamen Regulierungskonzepten ist ein Blick auf die Wissenschaft vielleicht nicht schädlich. Die Goethe-Universität Frankfurt hat seit einiger Zeit ihre Forschungs-, Ausbildungs- und Beratungsinstitutionen zu verschiedenen Finanzthemen im "House of Finance" zusammengefasst. Ihre Online-"Policy Platform"(1) hat den Anspruch, Politiker und Marktteilnehmer auf "nicht-technische Weise" über Finanzmarktangelegenheiten und ihre Regulierung, über die Geldpolitik der Zentralbanken, über Bankrecht und öffentliche Finanzen zu informieren. Man findet dort auch etliche deutschsprachige Publikationen, aus denen im Folgenden zwei zusammengefasst werden.   gst


Erpressbarkeit der Politik durch das "Systemrisiko" - unvermeidlich?

Ist es vertretbar, dass Banken mit Milliardenhilfen am Leben gehalten und ihre Aktionäre und Gläubiger vor Verlusten bewahrt werden, während namhafte Industriebetriebe reihenweise in Konkurs gehen? Um diese Frage kreist der Vortrag von Prof. Roman Inderst.(2) Das magische Wort "systemisches Risiko", von der Bankenaufsicht dem Finanzminister zugeflüstert, begründet das öffentliche Interesse an der Bankenrettung und damit die hohe Erpressbarkeit der Politik durch Unternehmen, die gemessen an ihrer Beschäftigten- und Zuliefererzahl nicht mit einem Automobilkonzern wie z.B. Opel vergleichbar sind. Bei einem Verschwinden von Opel würden aber vermutlich nicht weniger Autos gebaut und verkauft, bei Bankinsolvenzen steht das Banksystem und damit die Finanzierung der "Realwirtschaft" in Frage.

Die Ansteckung kann als "Dominoeffekt" erfolgen, indem "gesunde" Banken Forderungen an die insolvente Bank soweit abschreiben müssen, dass sie selbst in Schieflage geraten. Die Ausweitung ist dann nur noch abhängig vom Grad der Vernetzung. Bereits reine "Informationseffekte" können diese Wirkung haben, weil oft zu Recht vermutet wird, dass andere Banken mit ähnlichem Geschäftsmodell und Investitionen in ähnlichen Bereichen ähnliche Risiken eingegangen sind und ebenfalls schlechte Geschäfte gemacht haben. Die Notwendigkeit, schnell Wertpapiere abzustoßen - auch weil Eigenkapitalvorschriften dies aufgrund deren Wertverlustes das erfordern - führt zu "Schlussverkaufspreisen" und damit zu Verlusten anderer Institute.

Die Konkurrenz ist in einer "systemischen Krise", also nicht in der Lage, für die Kreditvergabe der insolventen Bank einzuspringen, sondern steckt selbst in Schwierigkeiten. Die latente Bedrohung jeder Bank belastet ihre Geschäftsbeziehungen, der Interbankenmarkt bricht zusammen - im Zusammenhang mit der Griechenlandund Eurokrise jetzt fast zum zweiten Mal nach der Hypothekenkrise 2007.

Jedem Beteiligten auf dem Finanzmarkt müsse nach den großangelegten Rettungsaktionen sonnenklar sein: "Sofern man nur tunlichst darauf achtet, nicht alleine in eine Schieflage zu geraten, kann man auf ein sattes staatliches Engagement wetten: Kopf - ich gewinne; Zahl - der Staat zahlt." Der Wetteinsatz ist von den Regulierungsbehörden sogar gesenkt worden: Vom ersten Basler Abkommen 1988 ("Basel I") - Eigenkapitalanforderung 8% der Kreditrisiken - hin zu "Basel II", wonach die Institute durch Verwendung eigener Risikomodelle ihr Eigenkapital oft auf nur 2% absenken konnten! Zweckgesellschaften konnten noch bis Ende 2007 außerhalb der Bankbilanz die gigantische Hypothekenblase finanzieren - unter den weltweit "Top Fünf", die sich bezogen auf Bilanzgröße und Eigenkapital verhoben hatten, die Landesbank Sachsen und die Hypo Real Estate!

Statt mit Eigenkapital wurde massiv mit Fremdkapital "gehebelt" und maßlose Wachstums- und Renditeziele verfolgt. Das Risiko der Aktionäre stieg, ihre Rendite auch, und damit ihr Interesse, das Risiko der eingegangenen Geschäfte zu erhöhen.

Durch die Verwendung von Ratings zur Risikobewertung auf Grundlage von Basel II könne die Aufsicht sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Papiers mag "geratet" werden können, nicht aber die Wahrscheinlichkeit eines "systemischen" Ausfalls zusammen mit anderen Papieren oder Krediten. Trotz "Gourmetführern zu Triple-A Restaurants" ist immer noch eine "Hygieneaufsicht" erforderlich.

Wie kann die Erpressbarkeit der Politik vermindert werden? Das derzeit praktizierte Regulierungssystem charakterisiert Inderst so: Es existieren detaillierte und komplexe Regeln für den "Normalfall" und wenig detaillierte oder gar erprobte Regeln für den Krisenfall. Er schlägt vor, das umzudrehen. Für den Krisenfall muss ein detailliertes Regime einer "geordneten Abwicklung" entwickelt werden, wofür die Juristen sich anstrengen müssten. Der Normalbetrieb des Finanzmarktes muss mit einfachen Regeln so gestaltet werden, dass das Risiko einer systemischen Krise verringert wird - zwei Schwerpunkte: systemische Ansteckungseffekte verhindern und Eigenkapital massiv erhöhen.

Skeptisch ist er gegen Versuche, durch (finanzielle) Bestrafung die Finanzinstitute daran zu hindern, systemrelevant zu werden, also zu groß und zu stark vernetzt zu werden und sich in gleichen Geschäftsbereichen zu engagieren, und dafür alle Risikofaktoren zu bewerten, die in dieser Krise schlagend wurden. Sind die gleichen Risiken in der nächsten Krise auch ausschlaggebend? Wird die Regulierung nicht noch komplexer, intransparenter und modellgläubiger? Die Vernetzung der Banken untereinander könne man vielleicht auf einfachere Art verringern. Dazu sei aber noch eine genauere Analyse nötig, warum Banken mittel- oder langfristige Verbindlichkeiten untereinander eingehen und ob das für ihre eigentlichen Funktionen wie Fristentransformation und Kreditvergabe notwendig ist.

Ziemlich sicher ist sich Inderst, dass das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanzsumme der Banken massiv erhöht werden muss, um die Finanzinstitute für eine Krise wie die jetzige zu wappnen. Es wird eingewandt, Eigenkapital sei teuer und seine Erhöhung gefährde die Kreditversorgung der Wirtschaft. Die Banken nehmen über das normale Einlagengeschäft mit den Sparern und der Realwirtschaft in erheblichem Ausmaß weiteres Fremdkapital - oft auch von anderen Finanzinstituten, insbesondere auch Versicherern auf. Solange diese Gläubiger wissen, dass sie bei Schieflage des Finanzsystems vorrangig von Staatshilfe profitieren, ist Fremdkapital tatsächlich billiger als Eigenkapital. Würde diese implizite Subventionierung von Fremdkapital durch den Steuerzahler vermieden, wäre Fremdkapital automatisch teurer. Und die Kreditversorgung der Wirtschaft wäre auch bei erhöhter Eigenkapitalquote nicht gefährdet, wenn man auf Milliardenfinanzierung von Immobilienhalden in USA und Spanien verzichtet.


Bankenabgabe als Beitrag zur Krisenvermeidung

Die Professoren Jan Pieter Krahnen und Helmut Siekmann gehen ebenfalls davon aus, dass "systemische Risiken" in einem hochgradig vernetzten Finanzsystem eine reale Bedrohung darstellen. Sie skizzieren in ihrem Papier(3) ein Gesamtkonzept zur künftigen Bankkrisenvermeidung und zur Abwicklung im Krisenfall, welches Anreize für Fehlverhalten ("moral hazard") der Bankeigner und -vorstände in Erwartung sicherer staatlicher Rettung vermeiden soll.

Die Überwachung von Eigenkapital und Liquidität der einzelnen Banken war zur Krisenvorbeugung offenbar unzureichend, notwendig ist ein Gesamtüberwachungskonzept. In diesem Zusammenhang machen sie darauf aufmerksam, dass die gegenwärtige Einlagensicherung erheblich zu wünschen übrig lässt. Derzeit ist diese zersplittert auf Privatbanken, Wertpapierhandelsunternehmen, Sparkassen, öffentliche Banken, Genossenschaftsbanken und Bausparkassen. Die Absicherung ist uneinheitlich: bei den Sparkassen und Geno-Banken sind das komplette Institut und damit auch Gläubiger von Schuldverschreibungen abgesichert, bei den Privatbanken nur die Einlagen. Über die gesetzliche Mindestverpflichtung von derzeit 50.000 Euro hinaus existieren keine Rechtsansprüche - auch nicht durch die Regierungserklärung aus dem Herbst 2008. Kapitalstock und Nachschusspflichten sind zumindest bei den Privatbanken und Wertpapierhandelsbanken völlig unzureichend. Eine Einlagensicherung schützt aber vor einem "Run" der Anleger auf die Bank und vermindert das "Ansteckungsrisiko". Ihre Forderung daher: Einführung einer zusätzlichen, staatlichen Einlagensicherung mit risikoadäquaten Prämien, deren Höhe von einer Aufsicht festgelegt werden müsse.

An Stelle eines allumfassenden Rettungsversprechens fordern sie die Einführung eines speziellen Insolvenzverfahrens für taumelnde Banken, plakativ "Einweisung in ein Bankenhospital". Träger könnte die neu gegründete Finanzmarktstabilisierungsanstalt werden. Im Krisenfall würden durch die Anstalt die "systemisch relevanten Finanzbeziehungen" gesichert und die nicht systemrelevanten Teile abgewickelt. Die verbleibenden Verluste werden zunächst den Eigentümern, sodann den nicht-systemischen Gläubigern von Bankanleihen, und zuletzt den Einlegern angelastet, soweit deren Einlagen die gesetzlich gesicherte Höhe übersteigen. Der Bankkunde ist daher ab einer bestimmten Einlagenhöhe gezwungen, selbst die Risikogeneigtheit der Bank zu beobachten.

Um zu verhindern, dass eine Bank ausschließlich "systemische Verpflichtungen" eingeht, und so doch in Gänze aufgefangen wird, muss gesetzlich sicher gestellt werden, dass jederzeit ausreichende "nicht-systemische Verbindlichkeiten" vorhanden sind.

"Systemische Forderungen", deren Erfüllung durch die staatliche Anstalt gewährleistet werden, definieren sie als solche, "deren Erfüllung für die Stabilität des Gesamtsystems entscheidend" sind. Diese Beurteilung müsse Aufgabe des Staates sein. Den Vorwurf, dass mit einer Staatsgarantie für systemrelevantes Geschäft einer Bank das "moralische Risiko" ihrer Geschäftspartner verstärkt wird - statt selbständiger Bonitätsprüfung sogar Risikosteigerung -, beantworten sie mit dem Vorschlag eines Ermessensspielraums der Aufsichtsinstitution bei Festlegung der Höhe der gesicherten Ausfallquote. Präzise Regeln über Zeitpunkt und Ausmaß der staatlichen Rettung dürfe es nicht geben - wichtig sei vor allem, dass schnell Klarheit über das Ausmaß der Verluste für die Geschäftspartner geschaffen wird.(4)

Wenn das Finanzsystem als Netzwerk verflochtener, von einander abhängiger Finanzinstitute betrachtet wird - was wohl auch bei öffentlicher Eigentümerstruktur gilt -, dann ergibt sich "systemisches Risiko", "wenn (a) mit der Krise einzelner Institute, (b) durch von gegenseitigen Abhängigkeiten ausgelöste Insolvenzen oder (c) durch hohe Ausfälle in Produktklassen, in die ein Großteil der Finanzinstitute investiert hat, ein signifikanter Teil des Finanzsystems in den Konkurs getrieben zu werden droht."(5) Dieses Verflechtungsrisiko soll durch eine Bankenabgabe "internalisiert", d.h. verteuert werden. Entweder verringert die Bank aufgrund der Abgabe das systemische Risiko oder es werden durch die Abgabe Rücklagen für den Ausfall getroffen. Für die Begründung einer derartigen "Lenkungs- oder Ausgleichsabgabe" ziehen Krahnen und Siekmann Parallelen zu Abgaben aus dem Umweltrecht zur Verringerung umweltschädlichen Verhaltens. Die Höhe soll nach dem Beitrag der Aktiva (ausgegebene Kredite etc.) zum gesamten Systemrisiko der Bank bemessen werden. Dass dies eine nicht gerade einfache Aufgabe ist, bestreiten sie nicht und verweisen auf das Konzept der "Risikolandkarte", das Krahnen im Rahmen der "Issing-Kommission" für die G20-Gipfel mitentwickelt hat.(6)

Die Bankenabgabe soll durch den Staat bei den dadurch belasteten Instituten in Form von "Wandelanleihen" wieder angelegt werden. Das sind Anleihen, die unter bestimmten Umständen in haftendes Eigenkapital umzuwandeln sind. Das Wandlungsrecht soll der Aufsichtsbehörde im Krisenfall ermöglichen, unmittelbar das Eigenkapital des Instituts zu steigern und seine Zinsverpflichtung zu verringern. Im Normalbetrieb sollen die Wandelanleihen "risikoadäquat und marktgerecht" verzinst werden. Wenn man sich auf die marktwirtschaftliche Intention der Autoren einlässt, hat der Vorschlag seine Logik. Es wird auch klar, dass die zurzeit diskutierten bescheidenen Beträge eine hohe Hebelwirkung haben können. Die Belastung von Versicherungen, Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit dieser Abgabe wird entsprechend dem geringeren Systemrisiko geringer, aber aufgrund Geschäftsbeziehungen zu systemrelevanten Instituten bzw. Beteiligung an systemrelevanten Geschäften nicht gleich Null sein.

Die Umsetzung solcher Forderungen setzt auch nach Auffassung von Krahnen/Siekmann voraus, dass die Aufsicht von jeglichem Einfluss der Banklobby befreit wird. Zur Zeit ist genau das Gegenteil der Fall: der Fachbeirat der BaFin ist vor allem von Interessenvertretern der Finanzinstitute besetzt, der Betrieb der BaFin wird über Abgaben und Umlagen der Finanzinstitute finanziert, die der Aufsicht Unterworfenen sind im Verwaltungsrat vertreten und entscheiden über die der Behörde zugebilligten Ressourcen mit!


Anmerkungen

1) http://www.hof.uni-frankfurt.de/de/Policy-Platform/All-White-Papers-and-Policy-Letters.html
2) http://www.hof.uni-frankfurt.de/images/Inderst_Systemische_Risiken_im_Finanzsektor_-_Lehren_aus_der_Krise.pdf
3) http://www.hof.uni-frankfurt.de/images/policy_platform/krahnen_siekmann_rettungsstrategie_ohne_moral_hazard_versuch_eines_gesamtkonzepts_zur_bankkrisenvermeidung.pdf
4) Günter Franke, Jan Pieter Krahnen, "Ein staatliches Hospital für kranke Banken", FAZ 27.02.2010
5) Jan Pieter Krahnen, Marcel Bluhm "Nationale Souveränität in Aufsichtsfragen überdenken", Börsenzeitung 21.11.2009
6) siehe https://www.ifk-cfs.de/fileadmin/downloads/publications/white_paper/White_Paper_No_2_2009_Final.pdf.
Prof. Roman Inderst (siehe Artikel oben) befürchtet, dass eine Aufsicht durch dieses Verfahren noch komplexer, intransparenter und modellgläubiger wird. Prof. Markus Brunnermeier hat vorgeschlagen, zur Messung des Systemrisikos einer Bank die Korrelation ihres Aktienkurses mit dem anderer Banken zu verwenden (s. Financial Times Deutschland, 20.04.10, "Versicherer gegen den Systemabsturz"). Auf dem letzten G20-Gipfel in Washington kam noch keine Einigung zustande, der IWF wurde mit einer Überarbeitung seiner Vorschläge bis Juni beauftragt.

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AUSLANDSNACHRICHTEN

Honduras: Drei Gewerkschaftsverbände schließen sich zusammen

Während die bürgerlichen Kräfte insbesondere Mittelamerikas nach der US-geprüften Wahl so tun, als sei in Honduras alles normal, hört der Widerstand keineswegs auf - der Widerstand all jener, die nicht nur den Putsch ablehnen und sich gegen die stille, aber blutige Repression zur Wehr setzen, sondern auch weiterhin einfordern, das Volk solle ein Recht auf eine verfassungsgebende Versammlung haben, um so Grundlagen für eine soziale und demokratische Entwicklung zu legen. Die drei Gewerkschaftsföderationen CUT, CGT und CTH haben auf den gemeinsamen Maikundgebungen, die zusammen mit der Nationalen Widerstandsfront organisiert wurden, eine Erklärung verabschiedet, die sowohl die Absicht, sich zusammen zu schließen bekundet als auch ein Zehn-Punkte-Programm umfasst, das die wesentlichen sozialen und demokratischen Grundforderungen des honduranischen Widerstandes zusammenfasst.
www.labournet.de/internationales


Gewerkschaftssolidarität stärkt den Kampf schwedischer Hotelarbeitnehmer

Mit dem Abschluss einer neuen über zwei Jahre laufenden Tarifvereinbarung zwischen der schwedischen Gewerkschaft der Hotel- und Restaurantarbeitnehmer (HRF) und dem Arbeitgeberverband wurde ein Streik, der am frühen Morgen des 17. Mai in 19 Hotels der drei größten Städte Schwedens beginnen sollte, vermieden. Der Konflikt war in eine Vermittlungsphase getreten, als der Streiktermin näherrückte und andere Gewerkschaften aktive Unterstützungsmaßnahmen angekündigt hatten. Die schwedischen Lebensmittelarbeiter hatten erklärt, dass die Auslieferungen sämtlicher Getränke sowie die von den großen Brauereien organisierten Leergutabfuhren vom 24. Mai an unterbunden würden. Ihnen schlossen sich die Elektriker an, die in einigen der bestreikten Hotels Unterstützungsaktionen ankündigten und die Arbeit dort zu verweigern drohten, sowie die Transportarbeiter, die die Müllbehälter der Hotels nicht leeren wollten.

Die Verhandlungen über eine neue Tarifvereinbarung waren aufgrund von zwei strittigen Fragen gescheitert: der Forderung der Arbeitgeber nach Erweiterung und Verstärkung der in dieser Branche bereits weitverbreiteten prekären Beschäftigung und ihre Ablehnung des Gewerkschaftsvorschlags einer Erhöhung der Monatslöhne um 1028 Schwedenkronen (etwas über 100 US-Dollar). Die HRF konnte diesem Lohnziel sehr nahe kommen, indem sie den Vorschlag des Vermittlers einer Erhöhung um 980 Schwedenkronen über eine Laufzeit von 25 Monaten annahm, nämlich 400 Schwedenkronen ab 1. Mai 2010 und weitere 580 Schwedenkronen ab 1. Mai 2011. Damit liegen die Löhne im Hotelgewerbe immer noch unter jenen anderer Branchen, decken aber doch fast die Lebenshaltungskosten. Die neue Vereinbarung sieht auch strengere Beschränkungen der prekären Beschäftigung vor.
Quelle: http://cms.iuf.org, 19.5.2010


Niederlande: Reinigungskräfte erstreiken Tarifvertrag

Am 22. April haben Arbeitgeber und Gewerkschaften für die 150.000 Beschäftigten des Reinigungssektors einen Tarifvertrag abgeschlossen. Vorausgegangen war ein neunwöchiger Streik der Beschäftigten, der längste Streik seit 1933. Verschiedene Aspekte dieser Tarifauseinandersetzung sind interessant. Die Gewerkschaften konnten in erheblichem Maß Zeitarbeitskräfte in die Auseinandersetzung einbeziehen. Jeden Tag wurden etwa 1000 Beschäftigte in den Streik einbezogen. Bestreikt wurden unter anderem Flughäfen, Bahnhöfe und Regierungeeinrichtungen. Während der Auseinandersetzung gekündigte Zeitarbeitnehmer werden wieder eingestellt. Neben einer Lohnerhöhung von 3,5% über eine Laufzeit von zwei Jahren enthält der neue Tarifvertrag einen Passus, der die Auftragnehmer verpflichtet, auf die Arbeitbedingungen der Beschäftigten zu achten. Hintergrund hierfür waren zunehmende Klagen über Arbeitsverdichtung. Neueingestellte erhalten einen dreimonatigen Sprachkurs und diejenigen, die ihn abschließen, einen Bonus von 750 Euro. Ron Meyer, ein Verantwortlicher der Gewerkschaft FNV Bondgenoten: "Der längst Streik in den Niederlanden seit 1933 hat den Menschen in den ganzen Niederlanden die Augen geöffnet für das Schicksal der schlecht Bezahlten. Das ist der Erfolg der Reinigungskräfte, die nicht länger unsichtbar sind."
rog,Quelle: http://hesa.etui-resh.org


Sammelklage: 1,5 Millionen Frauen machen Wal-Mart Angst

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]


"Herr Obermann, sorgen Sie für Ordnung bei T-Mobile USA!"

Diesen Appell hat Gewerkschaftsratsmitglied Kornelia Dubbel an die Aktionäre der Hauptversammlung der Deutschen Telekom gerichtet, die am 3. Mai in Köln stattfand. Angeprangert wurde das antigewerkschaftliche Verhalten der US-Tochter T-Mobile USA. Im Gegensatz zur Telekom-Führung in Deutschland wird der Schwestergewerkschaft CWA (Communications Workers of America) der Zugang zu den Beschäftigten kategorisch verwehrt. Die Beschäftigten werden massiv eingeschüchtert. Ed Mooney, Vizepräsident der CWA, war mit einer Delegation angereist, um gemeinsam mit 50 Verdi-Aktivisten Flugblätter an die Aktionäre zu verteilen (Bild). Vor dem Hintergrund der neu gegründeten Gewerkschaft TU betonte er, dass der Druck nun durch die gemeinsame Kooperation von Verdi und CWA entscheidend verstärkt werden kann. Als Vertreterin der deutschen Belegschaftsaktionäre rief Kornelia Dubbel den Vorsitzenden der Deutschen Telekom AG, René Obermann, dazu auf, Gespräche mit der CWA zuzulassen, "denn nur so können sich die Mitarbeiter auch nach amerikanischem Recht entscheiden, ob sie Gewerkschaftsmitglied werden wollen". Auch US-Investor Greg Kinczewski forderte den Vorstand auf, die schädlichen anti-gewerkschaftlichen Praktiken einzustellen. Die T-Mobile USA könne nur davon nur profitieren. Bei der US-Tocher T-Mobile USA sind 36.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Sie sorgen für 25 Prozent der Einnahmen der Deutschen Telekom AG.
(https://tk-it.verdi.de/weltweit)


Spaniens Gewerkschaften drohen mit Generalstreik

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES

AKTIONEN ... INITIATIVEN


Brandenburger Aufruf zum Bildungsstreik 2010

POTSDAM. Das deutsche Schulsystem ist weltweit zum Symbol für Ausgrenzung und Selektion geworden, genauso wie die Bologna-Reform europaweit ein Schreckgespenst für viele Studierende ... Die soziale Selektion hat stark zugenommen. Prüfungsdruck und Stress führen dazu, dass laut Studien des Deutschen Studentenwerkes immer mehr Studierende unter dem Burn-Out-Syndrom leiden und psychologische Beratung benötigen. Auch können Studierende immer weniger ihre eigenen Interessen verwirklichen, da die Studiengänge zunehmend auf den Arbeitsmarkt hin orientiert werden ... Doch "Bologna" ist nur die Spitze des Eisberges der sozialen Selektion im Bildungssystem, denn diese beginnt hierzulande bereits im Kindergarten - nur wer genügend verdient, kann einen Platz für sein oder ihr Kind bezahlen. Im mehrgliedrigen Schulsystem wird die Auslese verstärkt. Durch Verfahren wie das Turbo-Abitur werden die soziale Selektion und Verwertbarkeit des Humankapitals optimiert ... Sowohl die SPD wie auch Die Linke haben vor der Wahl in Brandenburg versprochen etwas gegen soziale Selektion und Entdemokratisierung zu tun. Selbst von ihren eigenen Forderungen wurde bisher nur das Schülerinnen-BAföG umgesetzt. Weiterhin gibt es zu hohe Verwaltungsgebühren, einen viel zu kleinen Bildungsetat, zu wenige Erzieherinnen in den Kitas und insgesamt noch immer ein neoliberales Konzept für die Bildungspolitik ... Dem Einfluss der maßgeblichen politischen und ökonomischen Interessen im Bildungsbereich setzen wir unsere Alternativen entgegen:

• selbstbestimmtes Lernen und Leben statt starrem Zeitrahmen, Leistungs- und Konkurrenzdruck,

• freier Bildungszugang und Abschaffung von Bildungsgebühren wie Studiengebühren, Ausbildungsgebühren und Kita-Gebühren,

• höhere Löhne und Tarifverträge für Auszubildende, studentische Hilfskräfte, Lehrbeauftragte, Praktikantinnen, Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen,

• öffentliche Ausfinanzierung des Bildungssystems ohne Einflussnahme der Wirtschaft unter anderem auf Lehrinhalte, Studienstrukturen und Stellenvergabe, auch Werbung und die Bundeswehr haben an Bildungseinrichtungen nichts zu suchen,

• Abschaffung von Repressionsmöglichkeiten wie der zentralen Schülerdatei (§ 65a des Schulgesetzes)

• Wenn Bachelor, dann Rechtsanspruch auf einen Masterstudienplatz, Abschaffung von Zulassungsbeschränkungen und Zwangsexmatrikulation,

• eine Schule für alle

• Demokratisierung und Stärkung der Mit- und Selbstverwaltung in allen Bildungseinrichtungen.

Wir rufen euch auf an den Protestaktionen teilzunehmen. Ein anderes Bildungssystem ist möglich - und dringend nötig! ... Tragen wir am 9. Juni unsere Unzufriedenheit und unseren Willen zum Widerstand auf die Straße! Nur gemeinsam können wir etwas erreichen.
www.bildungsstreik.net/


Revival! Aktionswochenende in Gorleben

GORLEBEN. Am 4./5./6. Juni 2010 feiert die Widerstandsrepublik Freies Wendland ihr 30 jähriges Bestehen. Wir nehmen das zum Anlass zu Protesten gegen die Weitererkundung des Salzstocks in Gorleben für ein Atommüllendlager ... Vor 30 Jahren wurde das Hüttendorf "1004" von einem Großaufgebot Polizei und BGS gewaltsam geräumt. Es war aus Protest gegen die Probebohrungen zur Erforschung des Bergwerkes auf einem Gelände unweit der Endlagerbaustelle errichtet worden. Tausende beteiligten sich damals am Protest im Wendland, in dessen Kontext die "Freie Republik Wendland" ausgerufen wurde. Bis heute steht dieser Begriff für den Widerstand gegen Atomanlagen und Staatswillkür. Die schwarz-gelbe Bundesregierung will Gorleben nun zur Atommülldeponie der Nation machen. Der Antrag auf Weiterbau ist bereits gestellt. "Ergebnisoffen" soll der Salzstock, dem Wissenschaftler schon vor 30 Jahren absolute Untauglichkeit bescheinigten, erkundet werden, um weitere Milliarden Euro zu versenken. So soll ein Sachzwang entstehen, Gorleben zum Endlager für hochradioaktiven Abfall zu machen ... Im kommenden November wird der Konflikt um die Atomenergienutzung in Deutschland ein weiteres Mal eskalieren: Zehntausende werden gegen den nächsten Castor-Transport auf die Straße gehen. Blockaden wurden bereits angekündigt. Die Behälter mit hochradioaktiven Abfällen sind Symbolik für die Misere der Endlagerung: 40 Jahre dürfen sollen sie im Gorlebener Forst stehen, bislang ohne Perspektive auf weiteren Verbleib - weltweit.
www.contratom.de/2.0/


Bürger mitsparen lassen - Initiative fordert Mitsprache in Finanzfragen

KÖLN. Die Initiative Mehr Demokratie hat den Landtag aufgefordert, angesichts von globaler wie kommunaler Finanzkrise die Bürger stärker in Ausgaben- und Kürzungsentscheidungen mit einzubeziehen. "Die Menschen haben gute Ideen, wo man sparen könnte und sind auch bereit, Steuererhöhungen und Kürzungen sozialer Leistungen mitzutragen, wenn dabei nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden wird", sagte Landesgeschäftsführer Alexander Slonka am Mittwoch in Köln. Ein gutes Beispiel für die Sparbereitschaft der Bürger sei der aktuell in Solingen laufende Bürgerhaushalt. Die "Klingenstadt" muss bis 2013 ihr Defizit um 45 Millionen Euro reduzieren. Im März konnten alle Bürger Sparvorschläge der Verwaltung bewerten, kommentieren und deutlich machen, an welcher Stelle zuerst gespart werden sollte. Auch zusätzliche Anregungen waren willkommen. Für viele Politiker überraschend: Eine Mehrheit der Teilnehmer am Bürgerhaushalt sprach sich für die Schließung von Veranstaltungshäusern und eines Stadions aus. Zustimmung gab es auch zur Erhöhung der Hundesteuer, zur Aufgabe von Schulstandorten und zur Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung. "Die Bürger sollten aber nicht wie in Solingen erst ins Boot geholt werden, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist", meint Slonka. Das Recht auf Mitsprache in Finanzfragen müsse vielmehr generell geregelt werden. Als Vorbild sieht der Geschäftsführer hier die Schweiz mit ihren Finanzreferenden in Kantonen und Gemeinden. Ab einer bestimmten Höhe müssen Ausgaben und Kreditaufnahmen hier von den Bürgern genehmigt werden. So haben die Wähler in der Landeshauptstadt Bern bei Neuausgaben von mehr als sieben Millionen Franken das letzte Wort. Obligatorisch abgestimmt wird außerdem über den Haushalt und die Höhe der kommunalen Steuern. "Die Bürger selber über Ausgaben und Steuern entscheiden zu lassen ist das beste Mittel gegen die viel kritisierte Versorgungsmentalität", folgert der Geschäftsführer aus den positiven Erfahrungen der Eidgenossen. Wer hierdurch die direkte Verantwortung für die Folgekosten von Ausgabenentscheidungen übernehme, werde auch nicht mehr staatliche Leistungen einfordern, als er durch Steuern und Abgaben zu bezahlen bereit sei. Im nordrhein-westfälischen Innenministerium hat man sich hierzu bereits einmal Gedanken gemacht. In einer Stellungnahme für den Landtag hatte das Ministerium angeregt, den Bürgern die Möglichkeit zu eröffnen, über die Höhe der Einkommensteuer mitentscheiden zu können.
demokratie.mine.nu/


Pflegezeit: Paritätischer enttäuscht von Familienministerin

BERLIN. Als enttäuschend bezeichnet der Paritätische Wohlfahrtsverband das von Bundesfamilienministerin Schröder vorgestellte Modell für eine Familienpflegezeit. Der vorliegende Vorschlag gehe vollständig zu Lasten der pflegenden Angehörigen und werde den realen Herausforderungen an die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht gerecht. Der Verband fordert die Einrichtung einer Expertenkommission. "So richtig es war, dass die Ministerin dieses wichtige Thema in Angriff genommen hat, so falsch ist die Richtung, in die sie jetzt vorprescht. Es ist nicht einsehbar, wieso pflegende Angehörige deutlich schlechter gestellt werden als Erziehende in der Elternzeit", kritisiert Eberhard Jüttner, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes. "Was pflegende Angehörige brauchen ist dreierlei: einen klaren einklagbaren Rechtsanspruch, Zeit und materielle Absicherung", erklärt der Pflegeexperte. Das vorliegende Konzept klammere die Tatsache aus, dass Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und der Einzelne eine Unterstützung durch die Solidargemeinschaft erwarten kann - so wie bei der Erziehung. Zweieinhalb Monate nach dem ersten Vorstoß der Ministerin zur Pflegezeit hätte man mehr erwarten können, klagt Jüttner. "Die Zeit wurde offenbar vor allem dazu genutzt, der Wirtschaft weiter entgegen zu kommen, nicht aber den Vorstellungen der Betroffenen und Pflegeexperten." Der Verband fordert die Einsetzung einer Expertenkommission aus Wohlfahrt, Wissenschaft und Wirtschaft, um ein geeignetes Modell zu erarbeiten. Eine maximale Flexibilität für den Pflegenden, seine soziale Absicherung, aber auch Planungssicherheit für den Arbeitgeber seien die Messlatten für ein solches Konzept.
www.der-paritaetische.de


Wir zahlen nicht für Eure Krise - Auf die Straße am 12. Juni in Berlin und Stuttgart!

Griechenland war erst der Anfang. In der gesamten EU wollen Regierungen und Unternehmerverbände eine radikale Kürzungspolitik durchsetzen, schon werden auch in Italien und Spanien verheerende Kürzungspläne verabschiedet. Und bereits einen Tag nach der Wahl in NRW hat die Bundesregierung einen drastischen Sparkurs angekündigt: Die durch Krise und Bankenrettung gestiegene Staatsverschuldung soll auf Kosten der Beschäftigten und Erwerbslosen, der Gesundheitsversorgung, der Bildung und der Kommunen abgebaut werden! Aber in Griechenland, Italien und an anderen Orten in der EU gehen Menschen auf die Straße, protestieren gegen diese Umverteilung von unten nach oben, organisieren Streiks und Demonstrationen. Ihr Widerstand kann uns ein Vorbild sein. Die Politik zu Gunsten von Banken und Konzernen können wir nur durch europaweiten Widerstand und Solidarität stoppen! Deswegen heißt es auch hier: Heraus auf die Straße am 12. Juni in Berlin und Stuttgart - Von Athen bis Berlin - Banken und Konzerne sollen für die Krise zahlen! Für soziale und ökologische Alternativen zum Kapitalismus!
www.erwerbslosenforum.de/


Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

KÖLN. Am Donnerstag ist im spanischen Sevilla die internationale Konferenz der Agrartreibstoffindustrie "World Biofuels 2010" zu Ende gegangenen. Dort wurden die Ausbaupläne der Agrartreibstoff-Befürworter mit schockierenden Zahlen untermauert. 480 Millionen Hektar Land sollen bis 2045 für den Anbau von Energiepflanzen genutzt werden. Die Menschenrechtsorganisation FIAN ist entsetzt über diese angeblich nachhaltigen Zielsetzungen, die sogar mit der Umweltorganisation WWF einen Fürsprecher findet. Laut FIAN werden solche Pläne massive Vertreibung ländlicher Gruppen mit sich bringen und den Hunger weltweit verschärfen. Seit 2008 wird wieder intensiv darüber debattiert, wie eine stetig wachsende Weltbevölkerung in Zukunft ernährt werden kann. Ein Kernthema dort sind die begrenzten Ressourcen Land und Wasser. "Es ist mir schleierhaft, wie vor diesem Hintergrund zusätzlich eine halbe Milliarde Hektar Land für die Agrartreibstoffproduktion zur Verfügung gestellt werden kann", so Roman Herre, Agrarreferent von FIAN Deutschland. "Diese Pläne sind ohne eine massive Zunahme von Landkonflikten, bei denen die Ärmsten immer als Verlierer hervorgehen, nicht umsetzbar." Schon heute werden Indigenengruppen und Bauernfamilien vertrieben und verlieren den lebenswichtigen Zugang zu Land und Wasser durch riesige Agrartreibstoff-Projekte. Neben den sozialen Folgen sieht FIAN auch in den Umweltauswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen, wie Zuckerrohr, Jatropha oder der Ölpalme, große Probleme. "Bis heute ist der Nutzen der Agrartreibstoffe zur Bekämpfung des Klimawandels unklar. Zudem werden die Pflanzen durch eine industrielle Landwirtschaft auf riesigen Flächen angebaut, was Umweltzerstörungen mit sich bringen." Gerade vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass die Umweltorganisation WWF solche Ziele in Sevilla als Teil einer Nachhaltigkeitsstrategie präsentiert.
www.fian.de/online/


Karawane-Festival

JENA. Vom 4. bis 6. Juni 2010 findet in Jena ein politisches Kunst- und Kulturfestival der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant/innen statt. Es ist ein Festival für die Würde und das Leben der Opfer und in Gedenken an die Toten der Festung Europa.
www.karawane-festival.org


Friedenskultur Potsdam.2010

POTSDAM. Kurz nach der UN-Abrüstungskonferenz in New York werden in der Landeshauptstadt Potsdam eine Konferenz der Mayors for Peace und eine Friedenswerkstatt. Hier werden im Stadthaus Potsdam am 11. und 12. Juni 2010 erstmals öffentlich die Ergebnisse von New York ausgewertet und Schlussfolgerungen für die Friedensarbeit gezogen. Themen und Fragestellungen stehen im Mittelpunkt der Friedenswerkstatt im Potsdamer Rathaus, z.B. Atomkraft - Nein Danke, sowohl bei Atomwaffen, als auch bei Atomkraftwerken; Prävention von Konflikten; Alltag und Militär; Erinnerungskultur und Hoffnung, oder gar Alibi; Jugend- und Friedenskulturen in Deutschland und Japan. Sowohl die Konferenz als auch die Friedenswerkstatt ist Teil der Kampagne "Unsere Zukunft - atomwaffenfrei" und wird vom Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen!" unterstützt.
www.atomwaffenfrei.de/

Raute

Verwaltung Langzeitarbeitsloser

Pro und Kontra Optionskommunen

Noch ist das Gesetz, wie künftig die Verwaltung von Langzeitarbeitslosen organisiert werden soll, nicht verabschiedet; es gibt nur eine Grundsatzvereinbarung zwischen den Regierungsparteien und der SPD, die eine dafür nötige Grundgesetzänderung ermöglichen soll (s.a. Seite 3). In der Gewerkschaft Verdi und auch der Linkspartei ist umstritten, ob die sogenannten Optionskommunen positiv zu bewerten sind oder nicht; da deren Zahl um mehr als vierzig Städte oder Landkreise ausgeweitet werden soll, stehen außer der Abstimmung im Bundestag auch in einigen Städten und Landkreisen entsprechende Beschlussfassungen aus. Da nur solche Kommunen zum Zuge kommen, in denen eine Zweidrittelmehrheit des Gremiums zustimmt, spielt das Abstimmungsverhalten der Linken eine Rolle.

Wir dokumentieren im Folgenden eine Pro- und eine Kontra-Position aus der Linkspartei. Für die jeweilige Entscheidung der Linken-Stadträte spielen aber immer die örtlichen oder regionalen Besonderheiten eine Rolle; so war z.B. in München die Ablehnung der Optionskommune durch die Stadträte der Linken unter anderem damit begründet, dass das Land als Aufsichtsbehörde eine kommunale Selbständigkeit gar nicht ermögliche. Schließlich spielen unterschiedliche Einschätzung der künftigen Entwicklung eine Rolle: Geht man davon aus, dass höhere Mobilität mehr Menschen in Beschäftigung bringt, dann bewirkt eine bundesweit gesteuerte Arbeitsvermittlung vermutlich mehr. Geht man dagegen davon aus, dass ein großer Teil der Langzeitarbeitslosen gar nicht mobil gemacht werden kann, dann sind Lösungen in enger Verbindung mit den örtlichen Wirtschaftssubjekten eher erfolgreicher.    Alfred Küstler


Jobcenter-Kompromiss ist Einigung auf dem Rücken der Erwerbslosen

Katja Kipping, Abgeordnete Die Linke, sprach sich in der Debatte im Bundestag gegen den Jobcenter-Kompromiß und die Optionskommunen aus:

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht eine Ausweitung der Optionskommunen vor, also jener Gemeinden, die die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in Eigenregie übernommen haben. Diese Ausweitung ist zu kritisieren und wird von den Linken so nicht mitgetragen. Mir ist bewusst, dass in mancher Kommune die Auffassung herrscht, die Sache lieber vor Ort selber in die Hand zu nehmen, um nicht der Spitze der Bundesagentur in Nürnberg ausgeliefert zu sein. Angesichts der real existierenden Verhältnisse in der Bundesagentur ist eine solche Einstellung sogar nachvollziehbar. Diese Kritik bezieht sich ausdrücklich nicht auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Linke kritisiert vielmehr, dass im Zuge der Hartz-Gesetze die Bundesagentur allein auf einen betriebswirtschaftlichen Auftrag verpflichtet worden ist und dass dabei der sozialpolitische Auftrag und die innerbetriebliche Demokratie auf der Strecke geblieben sind. Deswegen sagen wir ganz deutlich - egal, wie wir heute entscheiden -: Die Bundesagentur kann nicht so weiteragieren wie bisher.

So verständlich der Ärger in mancher Kommune über die Bundesagentur ist, so wenig ist die Ausweitung der Optionskommunen die Lösung dieses Problems. Wir alle sollten uns vielmehr fragen: Droht nicht bei einer weiteren Kommunalisierung eine noch stärkere Kannibalisierung, das heißt ein Überbietungswettbewerb zwischen den Kommunen? Droht nicht am Ende sogar eine finanzielle Mehrbelastung für die Kommunen, weil sie innerhalb der Argen nur einen kleinen Teil der Verwaltungskosten tragen mussten? Ist es wirklich sachgerecht, dass wir im Fall der Optionskommunen zwar als Bund zahlen, aber weder die Fach- noch die Rechtsaufsicht haben, also im Klartext nichts zu sagen haben? Ich meine, Erwerbslosigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht auf die Kommunen abgewälzt werden darf. Sie können doch nicht ernsthaft wollen, dass in der Arbeitsmarktpolitik das Prinzip Flickenteppich herrscht.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Kipping, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der Kollege Grund würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Katja Kipping: Ich freue mich immer über eine Verlängerung meiner Redezeit. Bitte schön.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Grund, bitte schön.

Manfred Grund (CDU/CSU): Vielleicht ist es nicht nur eine Verlängerung Ihrer Redezeit, sondern auch eine Klarstellung, Frau Kollegin. Sie sprechen sich für Ihre Fraktion und damit für die Linke gegen eine Ausweitung der Kommunalisierung aus, wie sie im Gesetzentwurf angelegt ist. Können Sie bestätigen, dass es Kreistage gibt, in denen sich die Fraktion Die Linke ausdrücklich dafür ausgesprochen hat, dass ihr Landkreis, der bisher einer Arbeitsgemeinschaft angehört hat, aus sehr nachvollziehbaren Gründen zur Optionskommune wird? Können Sie bestätigen, dass die Linke, die Sie hier vertreten, bei weitem nicht die Linke ist, die sich für die Kommunalisierung ausgesprochen hat?

Katja Kipping: Danke schön. Das gibt mir die Gelegenheit, näher auf den Punkt einzugehen, den ich gerade angesprochen hatte. Die Kommunalpolitiker vor Ort sind in der misslichen Situation, die Suppe auslöffeln zu müssen, die ihnen zum Beispiel im Zuge der Hartz-Gesetze eingebrockt worden ist und die dazu geführt hat, dass wir mit einer Bundesagentur konfrontiert sind, die nur noch nach irgendwelchen betriebswirtschaftlichen Zahlen funktioniert und eine Arbeitsmarktpolitik macht, von der so manche Kommunalpolitiker glauben, dass sie das besser machen könnten. Dass man das vor Ort so sieht, finde ich zutiefst verständlich.

Aber wir als Bundespolitiker haben die Verantwortung, das, was wir wollen, auch konzeptionell umzusetzen. Wir als Bund hätten im Gegensatz zu den Kommunalpolitikern die Möglichkeit, der Bundesagentur endlich wieder einen sozialpolitischen Auftrag zu geben. Wir als Bund hätten die Möglichkeit, ein repressives Arbeitslosengeld II durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung zu ersetzen. Wenn wir das so durchgesetzt hätten, dann könnten die Kommunalpolitiker vor Ort möglicherweise anders entscheiden.

Es gibt aus ganz verschiedenen Richtungen Kritik an den Optionskommunen. Im Beschluss des DGB-Vorstandes beispielsweise heißt es: Der einheitliche Arbeitsmarkt darf nicht aus dem Blick geraten ... Eine Ausweitung des Optionsmodells ist problematisch und würde die Strukturprobleme weiter verschärfen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen lehnt ebenfalls die Kommunalisierung ab mit der Begründung, eine Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik verstärke die Rechtsunsicherheit der Betroffenen, was wiederum die Rechtsposition von Erwerbslosen verschlechtere. Auch der Bundesrechnungshof kritisiert: Mit der ... Erweiterung des kommunalen Optionsmodells wird ein mögliches einheitliches System der Grundsicherung dauerhaft aufgegeben. Dies führt zu heterogenen Strukturen im Bereich der Grundsicherung und birgt das Risiko der Entstehung zweier Klassen erwerbsfähiger Hilfebedürftiger. Fassen wir zusammen: Erwerbslose, Gewerkschaften und der Bundesrechnungshof kritisieren die Optionskommunen. Deswegen mein Appell an Sie: Überlegen Sie sich noch einmal, ob wir nicht die Erweiterung der Optionskommunen aus dem Gesetzentwurf herausstreichen können.


Ja zum Modell Optionskommune, Ja zur Stärkung kommunaler Verantwortung bei der Betreuung Langzeitarbeitsloser und Bedürftiger

Von Frank Heinze, Stadtrat der Erlanger Linke, gibt es eine Darstellung der rechtlichen Hintergründe, wie es zu dem gegenwärtigen Zuständigkeitswirrwarr zwischen Bundesagentur für Arbeit einerseits und den Kommunen andererseits kam.

Hartz IV: Abschaffung der Arbeitslosenhilfe

Hartz IV wird häufig als Zusammenführung der früheren Arbeitslosenhilfe und der früheren Sozialhilfe bezeichnet. Tatsächlich aber handelte es sich um die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, um die Überführung der früheren Arbeitslosenhilfeempfänger in die Sozialhilfe und um die Umbenennung der Sozialhilfe in "Grundsicherung". Beide früheren Systeme waren zwar steuerfinanziert - die frühere Arbeitslosenhilfe hatte jedoch zum Ziel eine Sicherung des bisherigen Lebensstandards (die Höhe der Arbeitslosenhilfe war abhängig von der Höhe des vorher bezogenen Erwerbseinkommens). Demgegenüber hatte die frühere Sozialhilfe das Ziel nur das Existenzminimum abzusichern. Was die Grundsicherung von der alten Sozialhilfe unterscheidet ist lediglich die Tatsache, dass die Instrumente der Arbeitsmarktförderung jetzt zu Gunsten aller Grundsicherungsempfänger, also auch der früheren Sozialhilfeempfänger erbracht werden.

Bundesagentur ist nur für Arbeitslosenversicherung zuständig

Die Bundesagentur für Arbeit (abgekürzt BA) ist eine reine Sozialversicherungsbehörde mit dem Aufgabengebiet Arbeitslosenversicherung. Sie verwaltet die Gelder der Beitragszahler mit den entsprechenden Formen der Selbstverwaltung. Nur in dieser Funktion hat die BA als Bundesbehörde eine rechtliche Grundlage im Art. 87 Abs. 2 GG. Dass die BA früher auch für die ehemalige Arbeitslosenhilfe zuständig war (die nicht beitrags-, sondern steuerfinanziert war und somit nicht dem Sozialversicherungsrecht, sondern dem allgemeinen Fürsorgerecht zuzuordnen war), lag schlicht und einfach an der Tatsache, dass das Recht der Arbeitslosenhilfe nicht in einem eigenen Gesetz geregelt war, sondern vielmehr nur als unselbstständiges Anhängsel in das SGB III (Arbeitslosenversicherungsrecht) eingefügt war.

Die frühere Sozialhilfe war dagegen ein ganz normales, steuerfinanziertes Bundesgesetz im Bereich der öffentlichen Fürsorge. Die Ausführungszuständigkeit regelte sich nach den allgemeinen Vorschriften, die das Grundgesetz für die Ausführung von Bundesgesetzen vorsieht (Art. 83f. GG) - und zwar völlig unabhängig davon, wer die Kosten für diese gesetzlichen Leistungen aufzubringen hat. Nach Art. 83 gilt dabei die allgemeine Grundregel, dass Bundesgesetze (egal wer die Kosten zu tragen hat) von den Ländern ausgeführt werden, die sich ihrerseits dazu ihrer Kommunen bedienen (deshalb obliegt die Aufsicht über die Kommunen auch den Ländern).

Grundsicherung ist originär kommunale Aufgabe

Unter Beachtung dieser verfassungsrechtlichen Regeln ist klar: Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist ein eigenständiges, steuerfinanziertes Bundesgesetz auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und hat nichts mit Sozialversicherung zu tun. Dass dabei auch Leistungen der Arbeitsförderung zu gewähren sind, ändert daran nichts. Nach den Regeln des Grundgesetzes ist der Vollzug dieses Bundesgesetzes also eindeutig Aufgabe der Länder, bzw. ihrer Kommunen. Eine eventuelle Zuständigkeit der BA kann auch nicht aus der Nachfolge zur früheren Arbeitslosenhilfe konstruiert werden, denn die frühere Arbeitslosenhilfe ist mit Inkrafttreten des Hartz IV-Gesetzes ersatzlos entfallen.

Dass diese, eigentlich völlig klare verfassungsrechtliche Situation bisher nicht dazu geführt hat, dass allein die Kommunen flächendeckend für den Vollzug des SGB II zuständig sind, liegt schlicht daran, dass die Länder davor Angst haben und es nicht wollen. Dass die Länder davor Angst haben liegt daran, dass die Länder es dauerhaft nicht selbst in der Hand haben, wieviel Geld im Bundeshaushalt für die Hartz IV-Leistungen bereitgestellt werden. Wenn die Länder jedoch ihre Kommunen mit der Umsetzung des SGB II beauftragen, könnte ihnen dann die sogenannte Konnexitätsfalle Probleme bereiten: In fast allen Länderverfassungen gibt es Konnexitätsregeln zwischen Land und Kommune: die beauftragte Kommune hat einen Rechtsanspruch auf volle Refinanzierung durch das Land, soweit es Aufgaben im Auftrag des Landes ausgeführt hat. Sollte also irgendwann einmal im Bundeshaushalt weniger Geld bereitstehen, als tatsächlich für die Umsetzung der staatlichen Hartz IV-Aufgaben angefallen ist, so könnten wegen dieser Konnexitätsregeln die Kommunen ihren Landeshaushalt in Haftung nehmen. Dieses Risiko wollen die Länder unbedingt vermeiden, denken über die vom Grundgesetz eigentlich als Regelform vorgesehene Ausführungsverantwortung der Länder, bzw. der Kommunen gar nicht erst nach und beharren vielmehr auf einer unmittelbaren Bundesverantwortung "für die Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit".

Kein Grund für eine zentralstaatliche Regelung

Weder die Tatsache dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelt, noch die Frage von welcher staatlichen Ebene die nötigen Mittel aufzubringen sind, noch das Problem des Auseinanderfallens von Finanzierung und Durchführung, noch die Tatsache, dass vergleichbare Lebensverhältnisse im ganzen Land sichergestellt werden müssen, noch das Ziel des gleichwertigen Standard bei der Leistungserbringung, noch das Ziel einer bundesweiten Steuerung können irgendwelche Gründe dafür bieten, von der vom Grundgesetz vorgesehenen Verwaltungsordnung und dem grundgesetzlich vorgeschriebenen Verwaltungsaufbau abzuweichen. Es gibt eine ganze Reihe vom Bund finanzierter Bundesgesetze, die über die Länder von den Kommunen vollzogen werden, ohne dass eines dieser genannten "Argumente" irgendjemand stört (z. B. Bafög, Wohngeld, Unterhaltssicherungsgesetz, Unterhaltsvorschussgesetz, usw.). Bei all diesen Gesetzen handelt es sich um gesamtgesellschaftliche Probleme, für die Bundesmittel eingesetzt werden und die Durchführung bei den Kommunen liegt. Bei all diesen Gesetzes muss auch in der Umsetzung auf vergleichbare Lebensverhältnisse im ganzen Land, auch gleichwertige Standards bei der Leistungserbringung geachtet werden und der Bundesgesetzgeber kann mit seinen Möglichkeiten jederzeit eine bundesweite Steuerung der Gesetzesdurchführung vornehmen.

Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind all diese Argumente nur vorgeschoben. Die Weisungsmöglichkeit gegenüber der BA (gesetzt den Fall, man erhält eine Regierungsbeteiligung im Bund) erscheint zentralen Planwirtschaftlern viel attraktiver als die Aussicht, ca. 350 Städten und Landkreisen gegenüberzustehen, die unter Umständen eigene Vorstellungen über eine möglichst effektive Umsetzung vor Ort entwickeln könnten. Neben der Problematik der Konnexitätsfalle ist dies meines Erachtens der zweite wichtige Grund, warum eine kommunale Ausführungszuständigkeit im SGB II ständig so negativ dargestellt wird.

Kommunale Zuständigkeit kann besser auf die Probleme eingehen

Ein abgestimmtes Tätigwerden von Schulen, Bildungseinrichtungen, Obdachlosenverwaltung, Jugendhilfeträgern, Stadtplanung und Wirtschaftsförderung in Kooperation miteinander vor Ort ist für eine effektive Hilfe viel, viel wichtiger, als "ein Jobcenter für alle Erwerbslose", das als zentralistisch gesteuerte Mammutbehörde des Bundes (Bundessozialamt) nur nach Schema F vorgeht und alle fallen lässt, die da nicht hineinpassen.

Direkte Wege und alternative, teilweise sogar individuelle, Lösungsmöglichkeiten sind problemlos möglich. Dies ist durch die flexible Struktur gegeben, da die Optionskommune Ermessenspielräume nutzen bzw. ausfüllen kann.

Wie eine Optionskommune bereit ist dies umzusetzen, liegt jedoch an der Umsetzung (Motivation und finanziellen Lage, etc.) der Kommune. Wie in jedem Amt hängt der Erfolg, und zwar der qualitative, von den Mitarbeitern auf jeder Ebene ab.

Manko der momentanen Verfahrensweise ist, dass die Kommunen der BA bzw. dem Bundesarbeitsministerium berichtspflichtig ist - d.h. eine Abhängigkeit von Statistik-Interpretationen besteht, die zur Bewertung der Optionskommunen herangezogen wird. Somit entsteht eine Konkurrenzsituation, die viele Mitarbeiter der Optionskommunen auf Führungsebene dazu veranlasst, ähnliche Kriterien anzusetzen und gleichen Umgang mit Klienten zu pflegen, wie die BA-Abkömmlinge ARGEn und Jobcenter.

• Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung von SGB II/III durch Optionskommunen, bzw. eines Hartz IV-Nachfolgegesetzes ist ein rechtsgültiger Anspruch des Klientels auf Menschlichkeit, Individualität und ressourcenorientierte Arbeitsplatzvermittlung. Und nicht statistikorientiert, arbeitsmarktbezogen und durch Amigo-Mauschelei zwischen Arbeitsvermittlung und Zeitarbeitsfirmen gekennzeichnet.

• Weiter verbesserungsfähig ist die Praxis, dass Arbeitsgelegenheiten und Weiterbildungen kritiklos angeboten werden. Dies produziert Gewissenskonflikte, da werden Fallmanager und Arbeitsvermittler subtil "gezwungen" arbeitsfähige - im ersten Arbeitsmarkt eingliederbare - Klienten in "hauseigene" Arbeitsgelegenheiten und Weiterbildungen zu "stecken", um die offenen Plätze zu besetzen.

Frank Heinze, Stadtrat, Fraktion Erlanger Linke

Raute

KOMMUNALE POLITIK

Elena: Keine Datenweitergabe bis zum BVerfG-Urteil: FRANKFURT a.M. Die Fraktion der Linken im Römer hat beantragt: Die Stadt Frankfurt am Main verzichtet auf die Weitergabe der Daten von städtischen Beschäftigten an die zentrale Speicherstelle (ZSS) für Einkommensdaten im Rahmen des Elena-Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerde. Der Magistrat setzt sich dafür ein, dass Unternehmen, an denen die Stadt Frankfurt beteiligt ist, ebenfalls auf die Übermittlung oben genannter Daten verzichten. Der Magistrat setzt sich über den Städtetag für eine Aufhebung des Elena Verfahrensgesetzes ein. (...) Inzwischen liegt eine Sammelbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen Elena vor. Über 20.000 Bundesbürger haben gegen die Datensammelwut des Staates Beschwerde beim höchsten deutschen Gericht eingelegt. Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Alexander Dix, hat in einem Interview Elena als "eine unverhältnismäßige Vorratsdatenspeicherung" bezeichnet. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 2. März 2010 die Vorratsdatenspeicherung für nicht verfassungsgemäß erklärt. Bundesweit unterstützen Politiker die Verfassungsbeschwerde ...
dielinke-im-roemer.de


Kein Antrag für das Moon-Light-Shopping (Nachtschwärmer) durch die LH München: Die Fraktion der Linken im Stadtrat beantragt: "Der Stadtrat möge beschließen: Die Landeshauptstadt München und alle zuständigen Referate treten nicht mehr als Antragstellerin beim zuständigen Bayerischen Staatsministerium für die Spätöffnung (bis 24 Uhr) in der Münchner Innenstadt auf. Die Landeshauptstadt München bekennt sich klar und eindeutig mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für den Erhalt des bestehenden Ladenschlussgesetzes in Bayern und lehnt damit jede Ausdehnung und Durchlöcherung des Gesetzes ab. Begründung: Hintergrund ist laut Informationen aus dem KVR, dass das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen seit letztem Jahr Anträge auf Sonderöffnungen wohl nicht mehr von Privatträgern und Einzelpersonen annimmt. Unseren Infos zur Folge wurde die Einkaufsnacht im September unter dem Deckmantel "Kulturveranstaltung Nachtschwärmer" von "Citypartner e.V." ins Leben gerufen und bis zu der Änderung der oben genannten Antragsbedingung auch von diesem Verein beantragt. "Citypartner e.V." ist ein Verein, der seine Aufgaben selbst darin sieht, sich neben dem Standortmarketing um alle Belange des Wirtschaftsstandortes Innenstadt zu kümmern und diese erfolgreich gegenüber Politik und Öffentlichkeit zu vertreten. Diese Einkaufsnacht dient lediglich dazu das bestehende Ladenschlussgesetz zu umgehen. Dies widerspricht den Interessen der Beschäftigten in den betroffenen Einzelhandelsunternehmen in der Münchner Innenstadt. Die Bestimmungen des Ladenschlussgesetzes dienen dem Schutz der Beschäftigten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein Recht auf einen geregelten Feierabend. Die Ausdehnung der Öffnungszeiten der Verkaufsstellen hat Auswirkungen auf die Beschäftigten (in der Branche arbeiten weit über 70 Prozent Frauen) und deren Familien. Dies sollte auch die LH München, die sich "soziale Stadt" auf die Fahnen geschrieben hat, interessieren. Außerdem führt die Umgehung des Landeschlussgesetzes zu einer Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten der Unternehmen (meist klein und mittelständische Unternehmen), die sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten. Somit verschärfen die Sonderöffnungen die Konkurrenzsituation in der Branche. Diese fällt zu Lasten der kleinen und mittelständischen Betriebe aus und führt zu verstärkter Konzentration im Einzelhandel. Als Folge dessen gibt es immer mehr Insolvenzen, verbunden mit der Vernichtung tausender Arbeitsplätze in der Branche.
www.dielinke-muenchen-stadtrat.de


Bundeswehr soll draußen bleiben: BOCHUM. Am 16. und 17. September findet wieder die Berufsbildungsmesse "was geht" im RuhrCongress statt. In den letzten beiden Jahren war dort auch die Bundeswehr mit einem großen Stand vertreten. Für Die Linke ist Soldat / Soldatin aber kein Beruf wie jeder andere. Aus diesem Grund beantragt die Linksfraktion zur Sitzung des Jugendhilfeausschusses am kommenden Donnerstag, dass der Bundeswehr auf der Berufsbildungsmesse keine Möglichkeit gegeben wird, sich mit einem Informationsstand zu präsentieren. Dazu erklärt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Mitglied des Jugendhilfeausschusses Anna-Lena Orlowski: "Bereits in den vergangenen Jahren hatte Die Linke den Auftritt bei der Berufsbildungsmesse scharf kritisiert. In der derzeit schwierigen Ausbildungssituation jungen Menschen spannende Berufsperspektiven bei der Bundeswehr anzupreisen, halten wir für absolut zynisch. Aktuell wird die Bundeswehr immer stärker in völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen im Ausland eingesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass die Stadt ihr auf der Ausbildungsmesse die Möglichkeit bietet, sich zu präsentieren und für Ausbildungsplätze zu werben, die gegebenenfalls mit Auslandseinsätzen verbunden sind, wie zuletzt bei der Berufsbildungsmesse 2008 und 2009. Vielmehr sollten verstärkt Bemühungen in Richtung Erhöhung der eigenen Ausbildungsquote gemacht werden und Kontakte mit diversen Interessenverbänden gepflegt werden, um über diesen Hebel gegebenenfalls zukunftsfähige Ausbildungsplätze zu schaffen. Für uns gibt es keine Gewöhnung an den Krieg, für uns ist das Militärische nicht normal, für uns kommt Werbung für die Bundeswehr auf der Berufsbildungsmesse nicht in Frage."
www.linksfraktion-bochum.de


Senat sagt ab jetzt die Wahrheit über die Haushaltslage: HAMBURG. Der erste Bürgermeister der Stadt Ole von Beust und sein Finanzsenator haben am Donnerstag wegen der dramatischen Finanzsituation der Stadt einen radikalen Sparkurs angekündigt. Konkrete Sparvorschläge sollen auf einer Haushaltsklausur im Juni vereinbart werden. In den nächsten drei Jahren sollen pro Jahr 550 Mio. Euro eingespart werden, ab 2014 1 Mrd. Euro. Die Linke fordert statt konzeptionsloser Sparpolitik der sozialen Kälte, wie sie der Senat z.B. mit der Erhöhung der Kitagebühren schon jetzt exekutiert, neue Prioritäten bei den Ausgaben. Dazu gehört die Überprüfung aller Investitionsvorhaben, insbesondere der für Leuchtturmprojekte. Durch Umschichtung lassen sich Mittel freisetzen für strukturpolitische Maßnahmen, um die Hamburger Wirtschaft in Richtung einer solidarischen Dienstleistungsökonomie umzubauen. Durch einen solchen Umbau werden die regionalen Wirtschaftskreisläufe gestärkt, was wiederum auch zu steigenden Steuereinnahmen führt. Kurzfristig kann Hamburg seine Einnahmesituation z.B. durch mehr Steuerprüfer verbessern. Der Ausweg aus der Schuldenfalle ist eine drastische Veränderung der Steuergesetzgebung auf Bundesebene. Allein durch die Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer könnten die Einnahmen der Stadt jährlich um 1 Mrd. Euro verbessert werden.
www.die-linke-hh.de


Umfrage bei Erwerbslosen widerlegt offizielles Ergebnis der Bundesagentur für Arbeit: WUPPERTAL. Die vom Erwerbslosenverein Tacheles e.V. durchgeführte "Kundenzufriedenheitsumfrage" offenbart schwerwiegende Mängel an der Arbeit der Wuppertaler ARGE. Bei der Bewertung der Gesamtzufriedenheit mit der Arbeit der ARGE lag die Durchschnittsnote aller Befragten bei 4,6. Das schlechteste Ergebnis bei dieser Frage erzielte die Geschäftsstelle 7 der ARGE in Oberbarmen (Schwarzbach) mit dem Notendurchschnitt 5,4. Schlechte Noten gab es auch für den Umgangston und die telefonische Erreichbarkeit der ARGE-Mitarbeiter/innen, die fachliche Beratung oder die Bearbeitungsdauer der Anträge. Weiter brachte die Umfrage zutage, dass zwei Drittel der Befragten bei der ARGE Wuppertal bereits Erfahrungen mit verloren gegangen Unterlagen gemacht hatten und dass über die Hälfte der Befragten die Wartezeit bis zur Ausstellung einer Eingangsbestätigung mit mangelhaft und ungenügend bewerteten. Die durch die Befragung ermittelten Missstände betreffen sowohl die allgemeine Situation in den Wuppertaler ARGE-Geschäftsstellen (z.B. Umgang und Wartezeit) als auch den Bereich der materiellen Existenzsicherung (z.B. Beratung/Unterstützung und Bearbeitungsdauer von Anliegen). "Die Befragung legt insgesamt grundlegende strukturelle Mängel bei der Verwaltung der 46.500 Wuppertaler Hartz IV-Bezieher/innen offen, die für eine Sozialverwaltung untragbar sind und dringend beseitigt werden müssen," äußert Frank Jäger, der die Untersuchung von Tacheles leitete. "Dem kann man nur mit einer ausreichenden personellen Ausstattung mit unbefristet eingestellten Mitarbeiter/innen und einer besseren, kontinuierlicheren Schulung des Personals beikommen." Des Weiteren sei die verzögerte Auszahlung der Leistung und der Schwund von eingereichten Schreiben einzudämmen. "Außerdem bleiben wir bei unserer langjährigen Forderung, dass endlich Poststellen geschaffen werden, in denen schnell und unbürokratisch Schreiben und Belege entgegengenommen und entsprechende Eingangsbestätigungen ausgestellt werden können. Das wäre ein bedeutender Zugewinn an Rechtssicherheit für Erwerbslose", erläutert Jäger.
www.tacheles.de


Deutscher Städtetag zu Ergebnissen der Steuerschätzung: BERLIN. Der Deutsche Städtetag mahnt angesichts der Steuerschätzung ein wirksames Maßnahmenpaket von Bund und Ländern an, um die Einnahmen der Kommunen zu stärken und das ungebremste Wachstum der kommunalen Sozialausgaben zu stoppen. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, erklärte nach Abschluss der Steuerschätzung, an der der Deutsche Städtetag für die Kommunen beteiligt ist: "Die Steuerschätzung trifft die Kommunen noch härter als Bund und Länder. Das Loch in den kommunalen Kassen wird immer größer. Die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden werden in diesem Jahr weiter deutlich sinken - um voraussichtlich 2,9 Milliarden Euro gegenüber 2009. Angesichts der dramatischen Finanzlage der Städte sehen wir absolut keinen Spielraum für weitere Steuersenkungen, die die Kommunen belasten. Unser Land kann es sich nicht leisten, dass seine Städte handlungsunfähig werden und die Angebote vor Ort immer stärker mit dem Rotstift zusammenstreichen müssen." Nach der Steuerschätzung müssen die Kommunen in den Jahren 2010 bis 2013 mit etwa 12 Milliarden Euro weniger Einnahmen auskommen als bisher erwartet. Die Verschlechterung gegenüber der Schätzung vom November fällt damit für die Kommunen überproportional hoch aus. Um die zahlreichen kommunalen Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger zu sichern - wie etwa den Ausbau der Kinderbetreuung, die soziale Fürsorge und eine gute Infrastruktur - benötigten die Städte eine Finanzausstattung, die diesen Aufgaben gerecht wird, sagte Städtetagspräsidentin Roth: "Die Gemeindefinanzkommission muss wirksame Schritte vorschlagen, um Einnahmen und Ausgaben der Kommunen wieder ins Lot zu bringen. Denn jahrelange angestrengte Haushaltskonsolidierung hat die Städte vor der jetzigen Notlage nicht schützen können." Nach den Schätzergebnissen gehen die bundesweiten kommunalen Steuereinnahmen netto in 2010 von 68,4 Milliarden im Vorjahr um 2,9 Milliarden auf 65,5 Milliarden Euro zurück. Das entspricht einem Minus von 4,2 Prozent. Das bundesweite Gewerbesteueraufkommen, die wichtigste Steuerquelle der Kommunen, erreicht auch 2010 nur ein niedriges Niveau und sinkt gegenüber dem Vorjahr von brutto 32,4 Milliarden Euro um 1,2 Milliarden Euro, das heißt um 3,7 Prozent, auf 31,2 Milliarden Euro. In den kommenden Jahren schränken die Folgen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die Erholung der Gewerbesteuer ein. Das Gesetz schmälert das Ergebnis Jahr für Jahr um durchschnittlich knapp 1 Milliarde Euro. Im guten Steuerjahr 2008 betrug das Gewerbesteueraufkommen 41 Milliarden Euro. Die Städte und Gemeinden können nach den Annahmen der Steuerschätzung erst 2014 wieder mit Gewerbesteuereinnahmen wie vor der Krise rechnen.
www.städtetag.de


(Zusammenstellung: ulj)

Raute

Bundeskongress des DGB

"Umdenken - Kampf für eine neue Ordnung"

"Arbeit. Gerechtigkeit. Solidarität." Unter diesem Motto fand vom 16. bis 20. Mai in Berlin der 19. ordentliche Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) statt. An diesem "Parlament der Arbeit" nahmen 400 Delegierte aus acht Gewerkschaften und rund 600 in- und ausländische Gäste aus Wirtschaft und Politik, Kultur und Gewerkschaften teil.

"Umkehr" und "Kampf um eine neue Ordnung" waren die Leitbegriffe dieses Kongresses. Sie beziehen sich vor allem auf den Arbeitsmarkt, das Steuersystem und die Regulierung der völlig aus dem Ruder gelaufenen Finanzmärkte. In seiner Grundsatzrede sagte der mit über 94% zum DGB-Bundesvorsitzenden wiedergewählte Michael Sommer: "Wir haben verhängnisvolle Jahre von Deregulierung, Privatisierung und zügelloser Globalisierung erlebt. Unsere Werte von guter Arbeit, Gerechtigkeit und Solidarität wurden erst verhöhnt und dann ausgehöhlt. Unsere Gesellschaft muss in eine gute, in eine soziale, in eine solidarische - eine neue - Ordnung gebracht werden."

Für faire und gute Arbeit

Gewerkschaften haben lange vor amerikanischen Verhältnissen auf unseren Arbeitsmärkten gewarnt. Heute haben wir sie. Für eine soziale Neuordnung am Arbeitsmarkt wurden eine Reihe von Anträgen angenommen, in denen konkrete Forderungen aufgestellt werden: Für einen Mindestlohn von 8,50 €, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, für Männer und Frauen, kein Missbrauch der Zeitarbeit, also gleiche Arbeitsbedingungen und gleiche Bezahlung für Stammbelegschaften und Leihbeschäftigte und mehr Mitbestimmung der Betriebsräte, ein Ende der Tarifflucht, mehr Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen, die Stärkung von sicheren, unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Arbeitsverhältnisse sollen von der ersten Stunde an sozialversicherungspflichtig sein.

Für die Regulierung der enthemmten Finanzmärkte

Deregulierung auf den Finanzmärkten und die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben waren wesentliche Gründe für die Finanzmarktkrise. Gerade die Krise hat verdeutlicht, wohin es führt, wenn Aktionärs- und Gesellschafterinteressen Vorrang haben vor den Interessen der Beschäftigten und des Allgemeinwohls. Die Gewerkschaften wollen den sozialen Fortschritt durch mehr Mitbestimmung und Wirtschaftsdemokratie.

Dass es der Regierung eineinhalb Jahre nach dem Lehman-Crash immer noch nicht gelungen ist, wenigstens gefährliche Leerverkäufe wirksam zu unterbinden, Ratingagenturen an die Kette zu legen oder einen TÜV für neue Finanzprodukte einzuführen, kritisierte der Kongress scharf. Um einen neuen Zusammenbruch zu verhindern, brauchen wir ausgesprochen restriktive Regelungen bei der Verbriefung von Forderungen. Wir brauchen ein Verbot von Leerverkäufen und ein Ende des Handels mit Kreditausfallversicherungen. Wir brauchen endlich ein Verbot, Risiken aus den Bilanzen auszulagern, ohne sie angemessen mit Eigenkapital zu hinterlegen.

Eine besondere Rolle spielte die Forderung für eine Finanzmarkttransaktionssteuer. Bei ihrem persönlichen Grußwort auf dem Kongress hatte Bundeskanzlerin Merkel diese Forderung noch unter Protest der Delegierten zurück gewiesen - um vier Tage später im Bundestag doch ihre Unterstützung zu signalisieren.

Gegen die soziale Spaltung

Der Kongress erklärte seine Solidarität mit den griechischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Scharfe Kritik richteten einige Redner wie z.B. Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der IG BAU, an die Berichterstattung der Bild-Zeitung (z.B. "Wir müssen malochen und die verprassen den Euro") über die Griechenland-Krise. Die Berichterstattung ziele darauf, die Arbeitnehmerschaft in Deutschland darauf einzuschwören, dass es sich nicht gehöre, zu demonstrieren und dagegen zu sein, wenn im Sozialbereich gespart würde. Das gleiche Ziel verfolgten auch Verunglimpfungen des Sozialstaats als "römisch dekadent".

Wenn sich diese Gesellschaft immer weiter spaltet, dann laufen wir Gefahr, mitten in eine Gesellschafts- und Staatskrise hineinzuschliddern - und deren Folgen für Demokratie, Stabilität und auch für den Frieden können wir gar nicht ermessen.

Nicht Einkommensverzicht, sondern eine massive Ankurbelung der Binnennachfrage ist das Gebot der Vernunft. Soziale Balance wird es auf Dauer nur geben, wenn wir wieder ein gerechtes, solidarisches Steuersystem haben - mit einem vernünftigen Spitzensteuersatz für die, die wirklich vermögend sind, mit passgenauen Abstufungen für jene, die weniger haben und mit Hilfen für die, die Hilfe brauchen.

Das "Parlament der Arbeit" kritisierte die immer dreistere Aufkündigung der sozialen Sicherungssysteme. Die Gewerkschaften wehren sich gegen die Rente mit 67. Denn so lange es keine Arbeitsplätze für die Älteren gibt, so lange jemand mit über 50 zum alten Eisen gehört, ist die Rente mit 67 nur ein Rentenkürzungsprogramm. Ein anderes Thema ist die Kopfpauschale: Da soll das Kapital endgültig aus der Mitverantwortung für die Gesundheit der Beschäftigten entlassen werden. Wer das will, der muss wissen: Das gibt Ärger. Der DGB wird dieser Herausforderung nicht ausweichen!

Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik

Von der Bundesregierung forderte der Kongress eine vorausschauende Industrie- und Dienstleistungspolitik. So müssten eine ökologische Wirtschaftspolitik und eine "grüne Industrie" dazu beitragen, dass wir künftig die natürlichen Ressourcen effizienter nutzen und Treibhausgas-Emissionen reduzieren. Was wir brauchen ist, ein sozial gerechtes und gesamtwirtschaftlich stabiles Wirtschaftsmodell. Und wenn der Staat seinem gesamtgesellschaftlichen Gestaltungsanspruch in Zukunft nachkommen will, müssen die Steuereinnahmen wieder steigen. Wer ein gerechtes Steuersystem will, der muss dafür sorgen, dass die Starken mehr schultern als die Schwachen.

Die Gewerkschaften ergreifen Partei für die Schwachen. Aber sie sind keine Partei. Das ist die Stärke der Einheitsgewerkschaft. Und ihre Begrenzung zugleich. Das Streikrecht, die Wahrnehmung des Widerstandsrechts nach Artikel 20 unseres Grundgesetzes, aber auch unsere politischen Rechte einschließlich des Demonstrationsrechtes innerhalb und außerhalb des Betriebes leiten wir aus diesem Grundverständnis ab. Und so schöpfen wir unsere Kraft aus der Einheit. Aus der Fähigkeit, Vielfalt zu gemeinsamer Stärke zu bündeln.

Neue Satzung für den DGB

Mit einer sehr deutlichen Mehrheit mit wenigen Gegenstimmen haben die Delegierten des 19. Ordentlichen DGB-Bundeskongresses in Berlin eine neue Satzung für den DGB beschlossen. Die neue Satzung tritt am 1. Juni 2010 an die Stelle der bisherigen Satzung, die seit 1971 in Kraft ist.

Zukünftig wird es auf drei Ebenen Wahlmandate geben. Auf der Ebene des Bundes und der Bezirke werden diese Mandate hauptamtlich besetzt sein und in den Stadt- und Kreisverbänden ab 2014 ehrenamtlich wahrgenommen. Zukünftig werden Regionalgeschäftsführer/innen mit ihren Teams für den Aufbau und Unterstützung der ehrenamtlichen DGB-Stadt- und Kreisverbände verantwortlich sein. Sie sind damit die Repräsentanten der DGB-Bezirke gegenüber den Stadt- und Kreisverbänden.

Alle Anträge, Diskussionsbeiträge von Delegierten und Gästen und Informationen zu den weiteren z.T. bemerkenswerten Ereignissen wie z.B. der Eröffnungsveranstaltung "Mut gegen Rechts", dem Besuch der Streikenden der Betonbaufirma Westerwelle (nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem FDP-Vorsitzenden und Bundesaußenminister) aus Herford auf dem Kongress können nachgelesen werden auf der Kongressseite auf www.dgb.de.

Karl August

Raute

Neuauflage: Revision der europäischen Arbeitszeitrichtlinie

Am 24. März startete die Europäische Kommission einen neuen Anlauf zur Revision der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Das Dokument(1) ist die Basis für die erste Anhörung der Sozialpartner nach Artikel 154 (alt 138) der Verträge. Dabei geht es um die Frage, ob eine neue Richtlinie erwünscht ist und welche Richtung sie haben könnte. In der zweiten Phase der Konsultation wird die Kommission dann Vorschläge für konkrete Inhalte vorlegen.

Zur Erinnerung: April letzten Jahres war die geplante Revision der Arbeitszeitrichtlinie im Vermittlungsverfahren zwischen Rat und Parlament gescheitert. Drei Streitpunkte standen im Zentrum. Bereitschaftszeiten: Der Europäische Gerichtshof hatte in der Vergangenheit entschieden, dass Bereitschaftszeiten grundsätzlich als Arbeitszeiten zu betrachten sind. Optout: Der Ministerrat hat sich in den Verhandlungen nicht bereit erklärt, die von verschiedenen Mitgliedsstaaten genutzte Möglichkeit aufzuheben, wonach die Grenze für die Höchstarbeitszeit (48 Stunden) bei individuellem Einverständnis des Beschäftigten entfällt. Mehrfache Beschäftigungsverträge: Das EP wollte, dass die maximale Arbeitszeit pro Arbeitnehmer gelten sollte - nicht pro Arbeitsvertrag.

Die Europäische Kommission hat jetzt einen neuen Ansatz gewählt, wohl auch, um die offen liegenden Konflikte in ein breiteres Netz von Gegenständen einzuhegen. Das Kommissionsdokument wirft die Frage auf ob eine umfassende Revision gewünscht wird, die die Veränderungen in den Arbeitbeziehungen der letzten zwanzig Jahre berücksichtigt.

Die Kommission wirbt für diesen zweiten Ansatz und zählt einige Trends der letzten zwanzig Jahre auf:

• Reduzierung der Gesamtarbeitzeit von durchschnittlich 39 auf 37,8 Stunden die Woche • Polarisierung der Arbeitzeiten zwischen Teilzeitarbeit und überlangen Arbeitszeiten • Zunahme und neue Formen flexibler Arbeitszeitregime • Kombination von Flexibilisierung und Qualifikation (Kurzarbeit) • Voranschreitende Entstandardisierung der Arbeitszeit • Steigende Gesundheitsbelastungen in entstandardisierten Arbeitszeitformen.

Die Kommission benennt auch dahinter liegende Gründe:

• Übergang von Produktion zu Dienstleistung • Technologiebedingter Anstieg der Produktion • Stärkere Wettbewerbsorientierung der Geschäftswelt • Höhere Frauenerwerbsquote • Wachsende Individualisierung • Wandel in den Tätigkeitsstrukturen • Demographischer Wandel.

Die Bandbreite der angesprochenen Themen macht sofort die Schwierigkeit deutlich, dass hier die Arbeitszeit in Zusammenhang mit anderen Politik- und somit auch anderen Rechtsbereichen verbunden wird. Neben der höheren Komplexität liegt eine Gefahr darin, dass die Vielschichtigkeit der Thematik zu einer Richtlinie mit sehr allgemeinen Anforderungen an die Mitgliedsstaaten führt, Konkretes aber fehlen wird. Die Stärke der geltenden Arbeitszeitrichtlinie sind vor allem ihre konkreten Anforderungen.

Das absehbare Dilemma der Gewerkschaften ergibt sich auch aus dem möglichen Zeitplan. Nach der ersten Konsultation kann die Kommission relativ schnell die zweite Phase der Konsultation einleiten. Die dann anstehende Diskussion der Inhalte müsste mit Aktivitäten begleitet werden. Die bisherigen Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit haben aber echte Probleme der Gewerkschaften offenbart. Die konkreten Positionen sind klar, aber eine entfaltete praktische Politik, in der die so verschiedenen konkreten Probleme der Arbeitszeitgestaltung und die Ebenen Gesetz, Tarif und betriebliche Ausgestaltung verbunden werden, liegt nicht vor. Sie wäre aber nötig, um in der Frage schnell mobilisierungsfähig zu werden.

Rolf Gehring

(1) KOM(2010)106: http://eurlex.europa.eu

Raute

WIRTSCHAFTSPRESSE

Wirtschaftsverbände wehren sich gegen Klimapolitik der Bundesregierung. FAZ, Mo. 17.5.10. "Ohne energieintensiv hergestellte Grundstoffe gibt es weder Windräder noch Elektroautos oder Niedriglohnhäuser", schreiben die Präsidenten der energieintensiven Branchenverbände sowie der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, H.-P. Keitel. Wenn sich die Produktion solcher Stoffe in Deutschland wegen "immer weiter steigender einseitiger Belastungen" nicht mehr lohne, bedrohe das alle weiteren Wertschöpfungsketten. Mehr als 800.000 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Bundesumweltminister Röttgen hatte davor gewarnt, durch ein zu enges Verständnis von Wettbewerbsfähigkeit Zukunftsmärkte aufs Spiel zu setzen.

Pharmazeutische Industrie fühlt sich überdurchschnittlich belastet. Weil Gesundheitsminister Ph. Rösler nicht nur den Abschlag auf den Herstellerpreis von 6 auf 16 Prozent steigern wolle, sondern zudem den parallelen Stopp der Preiserhöhungen auf August 2009 zurückdatieren wolle, komme es bei einigen Unternehmen zu existenzgefährdenden Umsatzeinbrüchen, besonders beim Mittelstand, beklagt der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH).


Großbankenverband fordert internationale Koordinierung für die Finanzstabilität. FAZ, Die. 25.5.10. Die im Institute of International Finance (IIF) vertretenen globalen Großbanken fordern einen international koordinierten Rahmenplan zur Krisenprävention. Damit sollen Banken, Märkte und rechtliche Vorschriften zukünftig so ausgestaltet werden, dass "Steuerzahler nicht noch einmal so dramatisch von der Bankenkrise getroffen werden können wie jetzt", betont das IIF. Eine hochrangige Kommission sei zu bilden, die einen internationalen Regulierungsplan koordinieren solle. Zwar könne das Systemrisiko nie komplett ausgeschaltet werden, aber beispielsweise könne eine umfangreiche Eigenkapitalunterlegung die Wahrscheinlichkeit vermindern, dass Bankgeschäfte aus dem Ruder liefen. Im Rechtssystem aller Staaten müsse ein Verfahren eingerichtet werden, dass jede auch noch so große Bank mit Verlusten für die Aktionäre, unbesicherten Gläubigern und im Zweifel für die Branche untergehen könne, ohne für die Marktteilnehmer zur Gefahr und für den Steuerzahler zur Belastung zu werden. Gerade weil dann die Gefahr bestünde, dass Institute nicht vom Staat gerettet werden würden, werde sich damit auch das Verhalten der Aktionäre, Gläubiger, des Managements und der Marktteilnehmer ändern.

Zusammenstellung: rst

Raute

Bundesparteitag Die Linke

Neue Parteispitze gewählt - Programmdebatte steht aus

Den Personalwechsel an der Parteispitze möglichst geräuschlos hinzukriegen - das war die wichtigste Aufgabe des Bundesparteitages Die Linke am 15./16. Mai 2010 in Rostock. Lothar Bisky, langjähriger Vorsitzender der PDS, der der Partei mehrfach aus der "Klemme" geholfen hat, hatte seinen Rückzug schon lange angekündigt, Oskar Lafontaine erst vor wenigen Monaten. Etliche andere Vorstandsmitglieder hatten ihren Rückzug angekündigt - gewollt und ungewollt. Der Parteitag stand vor allem in den ersten Stunden ganz im Schatten ihres Abschiedes und im Lichte des Einzuges der Partei Die Linke in den Landtag von NRW. Dieser Wahlerfolg hat das Fünf-Partein-System etabliert, darin waren sich alle einig, die darüber sprachen.

Lothar Bisky machte in seiner Rede deutlich, dass er sich als Vorsitzender der Fraktion GUE/GNL im Europäischen Parlament und der Europäischen Linken auf die dringend notwendige Kooperation der Linken in der EU konzentrieren will. "In der EU werden zur Zeit nicht die Armut und die soziale Ausgrenzung bekämpft, sondern die Zocker und Spekulanten bedient", hieß es in seiner Rede. "An der Griechenlandhilfe wird die Aufgabe, die sich uns Linken stellt, besonders deutlich. Natürlich haben wir kein Interesse an einem Staatsbankrott Griechenlands ... Doch einer Hilfe, die die Aushebelung sozialer Standards zur Bedingung macht, werden wir nicht zustimmen können. Unsere Sache ist es, soziale Standards in Europa zu verteidigen und nach oben anzugleichen ..."


Lothar Biky: "Die Spekulanten leben von den wirtschaftlichen Ungleichgewichten in der EU. Die deutschen Bankhäuser verdienen prächtig ... Der Wohlstandschauvinismus mit nationalistischem Einschlag, den BILD und andere eingeschlagen haben, wird zunehmen. Wir haben eine enorme Verantwortung, dass diese Demagogie nicht weiter in alle Poren der Gesellschaft eindringt! Und ich bin es allmählich leid: Die korrupteste Firma in Griechenland heißt immer noch Siemens. Das ist ja wirklich ein sehr griechischer Name. Grad steht die Deutsche Bank in den USA vor Gericht ... Bild & Co. sollten anstatt ihrer Überheblichkeit gegenüber anderen erst mal hier an die eigene Nase fassen."


Auch Oskar Lafontaine will sich nicht aufs "Altenteil" beschränken. Er bleibt Vorsitzender der Fraktion Die Linke im saarländischen Landtag und hielt eine eher programmatische Rede. "Demokratischer Sozialismus meint eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. So einfach ist da. Damit steht er nicht nur in der Tradition der Arbeiterbewegung ­... Für mich war der demokratische Sozialismus immer eine Bewegung hin zur menschlichen Freiheit, hin zur Freiheit eines jeden Einzelnen ..." Etwas später in seiner Rede klang das Ziel der "Freiheit des Einzelnen" so gar nicht mehr an, als er ausführte: "Unser Programm lässt sich in drei Buchstaben zusammenfassen: KFW ... Damit ist gemeint Keynesianismus, Finanzmarktregulierung und Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene." Diese "drei Säulen unserer Wirtschaftspolitik" stehen für Staatssozialismus, und das ist nicht so ganz neu.

Doch während die Reden der beiden scheidenden Vorsitzenden und die von Gregor Gysi vorgetragenen Verabschiedungen - auch die von Dietmar Bartsch als Bundesgeschäftsführer - mit viel Beifall aufgenommen wurden, hatte es im Vorfeld umso heftigere Diskussionen um den künftigen Parteivorstand gegeben. Sie wurden im März zwar gestoppt durch ein von Gregor Gysi vorgelegtes und mit den Landesvorsitzenden abgestimmtes Personaltableau für den kompletten Geschäftsführenden Vorstand. Der Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion hatte sich mit diesem Vorgehen jedoch viel Kritik eingetragen, nicht zuletzt weil er vorher entscheidend zum Sturz des Bundesgeschäftsführers beigetragen hatte.


Hauen und Stechen bei den Wahlen

Die Frage einer quotierten Doppelspitze bei Vorsitzenden und Geschäftsführung war im Vorfeld durch einen von mehreren Landesverbänden beantragten Mitgliederentscheid entschärft worden. Die Mitglieder des neuen geschäftsführenden Vorstandes wurden alle im ersten Wahlgang gewählt, allerdings mit recht unterschiedlichen Ergebnissen. Gesine Lötzsch (Berlin) erhielt als neue Parteivorsitzende ausgezeichnete 92,8 % der Stimmen, Klaus Ernst (Bayern) erhielt bei einem Gegenkandidaten 74,9 %. Die stellvertretenden Vorsitzenden erhielten alle deutlich über 70 % der Stimmen, mit Ausnahme von Halina Wawzyniak (Berlin), die die internen Auseinandersetzungen in ihrer Vorstellungsrede mutig angesprochen hatte. Mit den bereits genannten sowie Katja Kipping (Sachsen), Sahra Wagenknecht (sie kandidierte interessanterweise als Vertreterin des Landesverbandes NRW), Heinz Bierbaum (Saarland), Caren Lay (Sachsen), Werner Dreibus (Hessen), Raju Sharma (Schleswig-Holstein) und Ulrich Maurer (Baden-Württemberg) ist der zehnköpfige geschäftsführende Parteivorstand nach Geschlechtern, nach Ost und West, nach Quellparteien und nach Strömungen sorgfältig austariert.

Bei den weiteren 34 Mitgliedern des Parteivorstandes gab es erheblich mehr Hauen und Stechen. Im Ergebnis sind zwar auch hier die genannten Quotierungen in etwa gewahrt. Doch im ersten Wahlgang wurden nur zehn der weiteren Vorstandsmitglieder gewählt, darunter ganze zwei aus den neuen Bundesländern. Rosemarie Hein (Sachsen-Anhalt), Katina Schubert (Berlin), der langjährige stellvertretende PDS-Vorsitzende Wolfgang Methling (Mecklenburg-Vorpommern), Matthias Höhn (Sachsen-Anhalt) und Steffen Harzer (Thüringen) als einziger aktiver Kommunalpolitiker im Parteivorstand wurden erst im zweiten Wahlgang gewählt. Das gleiche galt allerdings auch für die Sprecherin der Mitglieder der Partei Die Linke im Europäischen Parlament, Sabine Wils, und den frischgewählten Landtagsfraktionsvorsitzenden aus NRW, Wolfgang Zimmermann. Helmuth Scholz (Berlin), Mitglied des Europaparlamentes, erhielt zwar mehr Stimmen als andere, wurde jedoch wegen der in der Satzung vorgesehenen Begrenzung der Anzahl der Mandatsträger im Vorstand gestrichen.


Widersprüche nicht geklärt

Die Widersprüche, die sich immer noch an Ost und West, an den beiden Quellparteien der Partei Die Linke, an Strömungen, unterschiedlichen politischen Positionen und einer unterschiedlichen politischen Kultur festmachen, sind tief. Wie schon auf dem Parteitag zuvor, sprach Gregor Gysi die Probleme am offensten an und warb eindringlich für Kooperation und Pluralismus. Erschreckend ist, mit welchem unbedingten Willen zum "Sieg" manche Auseinandersetzung ausgetragen wird, ohne die oft sehr unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen der Partei zu berücksichtigen.

So hatten die vor allem im Westen verankerten Strömungen Sozialistische Linke und Antikapitalistische Linke sich für den erweiterten Vorstand auf die Unterstützung von 24 Kandidatinnen und Kandidaten geeinigt und sie auf Spickzetteln verbreitet. Darunter war gerade ein Mitglied aus den neuen Bundesländern. Immerhin 19 dieser Kandidatinnen und Kandidaten konnten sich durchsetzen, nicht zuletzt weil die Landesverbände im Westen laut Übergangsregelung der Satzung ein überproportionales Gewicht haben.

In dem verabschiedeten Leitantrag ruft der Parteitag dazu auf, in den nächsten Monaten bis ins nächste Jahr an den Erfolgen der Linken anzuknüpfen und die Programmdebatte zu führen. In der Programmdebatte soll versucht werden, die vorhandenen politischen Widersprüche zu klären. Sie soll mit dem Parteitag 2011 und einem Mitgliederentscheid abgeschlossen werden. Durch einen angenommen Ergänzungsantrag aus dem Umfeld des Forum demokratischer Sozialismus (fds) richtet sich der Leitantrag deutlicher als im Entwurf gegen die schwarz-gelbe Bundesregierung und das "bürgerlich-neoliberale Lager". Betont wird, dass es der Partei Die Linke um einen "gesellschaftlichen Diskurs" zwischen Parteien, Gewerkschaften, Wissenschaft, Künstlerinnen und Künstlern und anderen gehen muss, um gesellschaftliche und politische Mehrheiten für konkrete Veränderungen zu erreichen.

Der Leitantrag wirbt dafür, die politische Bildung zu stärken, Beteiligung zu ermöglichen und die Kultur einer "modernen, emanzipatorischen, inklusiven und solidarischen Gesellschaft" in der Partei vorzuleben. Auch das sind wichtige Ziele, nicht zuletzt deshalb, weil die Partei allein zwischen 2007 und 2009 25.500 neue Mitglieder gewonnen hat. Das entspricht fast einem Drittel der Parteimitglieder.

Wolfgang Freye

Raute

Klare Botschaften in die Gesellschaft

Der Parteitag in Rostock war erfolgreich. Er hat seine Aufgabe, den Führungswechsel in der Partei Die Linke zu realisieren, erfolgreich umgesetzt. Die Führungskrise vom Januar 2010 ist damit beendet.

Wir haben mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst zwei Vorsitzende, die neben der Geschlechterquotierung die beiden Quellparteien präsentieren.

Das gilt mit Karen Ley und Werner Dreibus auch für die Ebene der Bundesgeschäftsführer, mit Halina Wawzyniak und Ulrich Maurer für die Parteibildungsbeauftragten und natürlich ebenso für die deutlich strömungsübergreifenden stellvertretenden Vorsitzenden Katja Kipping (EmaLi), Sahra Wagenknecht (KPF), Halina Wawzyniak (FdS) und Heinz Bierbaum.

Es war ein Parteitag, der von den Menschen erzählte, die diese neue Partei und darüber hinaus die politische Linke in den letzten Jahren, seit 1989 maßgeblich mit geprägt haben: Lothar Bisky, Dietmar Bartsch, Oskar Lafontaine. Und dies ist wichtig, denn Politik wird von Menschen gemacht, die sich pragmatisch und streitbar, aufrüttelnd und mitreißend oder eher sachlich moderierend einbringen und gebraucht werden, die oft über das normale Maß politischer Mehrarbeit hinaus und immer irgendwie im Rampenlicht stehen, zumindest dann, wenn sich medial etwas ausschlachten lässt. Alle drei haben in unterschiedlicher Weise den Weg der Partei überhaupt ermöglicht. Das bleibt ihr Verdienst.

Nun müssen die "Neuen" ran, die so neu gar nicht sind und nicht so jung, als dass man von einem Generationswechsel sprechen könnte. Auch sie wurden von Gregor Gysi präsentiert, wie es dies selten bei der Linken gibt - mit all ihren Stärken.

Es ging schließlich auch um den Umgang mit der oder dem Einzelnen in der Partei, eine in letzten Monaten oft vernachlässigte Größe, um die Kultur in einer Partei, die den Anspruch erhebt, emanzipatorisch zu sein. Nicht die schon immer gepflegten Vorurteile prägten diesen Teil des Parteitages, sondern die Frage, was könnte der andere, dessen Positionen frau oder man im Einzelnen nicht teilt, einbringen und was könnte möglicherweise von diesen Positionen, die die Breite der Linken beschreiben, für einen selbst wichtig sein. Denn es lohnt sich auch unter Linken einander zuzuhören - eine Eigenschaft, die überlagert von innerparteilichen Machtkämpfen selten als linke Kompetenz geschätzt wird.

Aber nicht nur Abschied und Neuwahlen bestimmten die Grundstimmungen des Parteitages.

Die Anwesenden dürsteten danach, die kämpferischen Stimmen der Linken zu erheben gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Schultern vor allem jener in der Gesellschaft, die schon jetzt zu den sozial Schwachen, den sozial und demokratisch Ausgegrenzten zählen. Es geht vor allem um die, für die es keine Arbeit gibt oder die von ihrer Arbeit nicht leben können. Dazu gehören auch jene, die sich seit Monaten am Rettungsanker Kurzarbeit festhalten müssen.

Oskar Lafontaine forderte deshalb in seiner Rede, dass ein linkes Programm in der Krise Keynsianismus, Finanzmarktregulierung und eine Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene zusammenbinden muss. "Der Keynsianismus kann nur funktionieren, wenn die Finanzmärkte reguliert werden." Eine europäische Wirtschaftsregierung, die die Linke fordert, werde dringend gebraucht, um die immer weiter auseinanderdriftenden Entwicklungen der Lohn-, Steuer- und Wirtschaftspolitiken der EU-Länder entgegenzuwirken und auszugleichen. "Jeder kehre vor seiner eigenen Tür" sei ein Rückfall in den Nationalismus, vor dem auch Lothar Bisky in seiner Rede warnte.

Lothar Bisky sprach von der verbrannten Erde, die der internationale Währungsfonds bereits in Ungarn hinterlassen hat, das dort mit einer rechtspopulistischen Regierung quittiert wurde. Mit Verweis auf bisherige Entwicklungen in den Ländern der Dritten Welt erklärt er: dass "unter dem Diktat des IWF [...] alle Hoffnungen auf Überwindung der Armut zerbrochen sind". Bereits jetzt leben 80 Mio. Menschen in Europa in Armut, weitere 80 Mio. Menschen sind von Armut bedroht. Klar ist, dass die Politik des sozialen Kahlschlags in Griechenland für künftige europäische Entwicklungen stehen kann. Deshalb ist die Solidarität mit den Griechen und die Handlungsfähigkeit der Linken in Europa so wichtig: Linke Parteien müssen zusammen mit Gewerkschaften, mit sozialen Bewegungen zu einer europäisch wirksamen Kraft werden, die sich einer solchen Politik zur Wehr setzt. Die Ideologie des entfesselten Marktes blockiert Europa im weltweiten Kampf gegen Klimakrise und Hunger. Diese herrschende Politik - so Bisky - blockiert die Solidarität und Verantwortung in einer multipolaren Welt. Sache der Linken sei es, soziale Standards in Europa zu verteidigen und nach oben anzugleichen. "Als Europäische Linke müssen wir für ein europäisches Regelwerk kämpfen!"

Es war ein Parteitag, der seine Aufgaben erfüllte: Neuformierung der Führung der Partei, klare Botschaften in die Gesellschaft.

Der Parteitag war ein Spiegel der Partei, ihres gegenwärtigen weiterhin notwendigen Zusammenwachsens, ein Spiegel der Fähigkeit, mit klaren Botschaften und Forderungen das Profil der Partei sichtbar zu machen. Es war ein Parteitag, der seinen Vorstand letztlich strömungsübergreifend wählte, und auch die Fähigkeit besaß, sich vor Ort zu korrigieren.

Es war kein Parteitag der Debatten, kein Parteitag über offene Fragen, vor denen auch Die Linke in den gegenwärtigen Krisen steht.

Die im Vorfeld getroffenen Vereinbarungen wurden zu Entscheidungen der Delegierten des Parteitages, deren Souveränität durch diese, durch den Mitgliederentscheid und auch durch die Regie des Parteitages bestimmt wurde. Es war ein Parteitag der Würdigungen, Danksagungen und Wahlen. Es gab viel Beifall und es gab viele Beiträge mit richtigen Losungen und vielen Antworten.

Vielleicht musste dies in Rostock so sein. Dennoch sei daran erinnert, dass die erfolgreichen Linken in Lateinamerika noch immer an ihrer Losung festhalten: Fragend gehen wir voran.

Cornelia Hildebrandt

Raute

DISKUSSION UND DOKUMENTATION

Sprockhöveler Treffen Arbeitspolitik

Arbeitspolitik - Probleme aktueller Gewerkschaftspolitik

Unter dem Titel "Arbeitspolitik - Probleme aktueller Gewerkschaftspolitik" fand Ende April im Bildungszentrum Sprockhövel der IG Metall zum wiederholten Male ein Treffen von in der Gewerkschaftsbewegung Tätigen statt. Vier Themenkomplexe standen auf der Tagesordnung.

Die Neue Lissabon-Strategie für 2010 bis 2020; die EuGH-Urteile zur Entsenderichtlinie und zum Streikrecht; Strukturwandel und Industriegesellschaft - Strukturdebatte in der IG Metall; Tarifbewegungen 2010; der Komplex Arbeitszeit und Europäische Arbeitszeitrichtlinie.

Der folgende Bericht gibt Gesichtspunkte der Diskussionen wieder, wobei das Schwergewicht auf die "europäischen" Themen gelegt wird. Der Bericht über die Diskussion zu Strukturwandel und Industriegesellschaft und damit verbunden zur aktuellen Strukturdebatte in der IG Metall - letzteres wurde kontrovers diskutiert - muss leider entfallen.


EU-Strategie 2020

Zu diesem Titel hatten wir einen kompetenten Gast als Referenten gewonnen: Klaus Dräger, seit vielen Jahren Mitarbeiter der Fraktion der Linken und linksgrünen Parteien im Europaparlament.

Er begann mit einer knappen Skizze der Ziele der neuen EU-Strategie. Diese setzt drei Schwerpunkte und fünf Ziele. Die drei Schwerpunkte sind:

- intelligentes Wachstum, - nachhaltiges Wachstum und - integratives Wachstum (und damit nicht primär eine Strategie des "Exportweltmeisters")

Die fünf Ziele sind: - Anhebung der Beschäftigungsquote (75% der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter), - Anhebung der Forschungs- und Entwicklungs-Ausgaben auf 3% des Bruttoinlandprodukts (derzeit im EU-Durchschnitt 1,9%), - Klimaziele wie in Kopenhagen, - Senkung der Armutsquote in der Bevölkerung der EU-Staaten um 25% (faktisch hieße das 20 Millionen Menschen weniger unter der Armutsschwelle) - Bildungsziele (Senkung der Schulabbrecherquote auf weniger als 10%, die Erhöhung des Anteils der Jugendlichen mit Hochschulausbildung auf 40%).

Gegen die Ziele selbst eine Polemik zu entwickeln, macht wenig Sinn, zumal diese Ziele vermutlich von vielen Menschen geteilt werden. Problem ist eher, wie solche Ziele realistisch erreicht werden sollen. Denn ihre sog. "Lissabon-Ziele", die sie bis 2010 erreichen wollte, hat die EU deutlich verfehlt. Statt sich nun aber zu fragen, warum die alten Ziele nicht erreicht wurden, und nach einer solchen Fehleranalyse eine neue, korrigierte Strategie zu entwickeln, hat die EU-Kommission gemeinsam mit den Staats- und Regierungschefs einfach neue Ziele für den neuen Zeitraum 2010 bis 2020 aufgestellt. Plausibel und vertrauenerweckend ist das nicht.


Alternativen des EGB

In der Diskussion haben wir uns dann auch damit befasst, welche Anti-Krisenstrategien es auf linker bzw. gewerkschaftlicher Seite in der EU derzeit gibt. Als einzig erkennbare Alternative nannte Klaus Dräger die Vorschläge des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB). Dieser fordert u.a. eine antizyklische und europäische Anleihepolitik, d.h. die Ausgabe sogenannter "Euro-Bonds", mit denen vor allem europäische Investitionsvorhaben finanziert werden sollten, also Ausgaben in europäische Netze (Stromnetze, Datennetze, Verkehrsnetze), die die Mobilität von Daten, Gütern und Menschen in Europa erhöhen, in Infrastruktur und ähnliche Bereiche. Tatsächlich scheint dies das einzige einigermaßen plausible Gegenkonzept gegen die derzeitige dilettantische Handwerkelei von EU-Kommission und Einzelstaaten im Angesicht der Krise. Solche mit Eurobonds finanzierten großen Investitionsvorhaben würden nicht nur die Integration der EU vertiefen helfen, sie würden auch gegen die konjunkturelle Krise in Teilen der Wirtschaft (Bau, Telekommunikation usw.) gegensteuern und diese wieder ankurbeln helfen.

Nachgefragt, welche Fraktionen im EU-Parlament solche Vorschläge unterstützen, antwortete Klaus Dräger: Nur die linke Fraktion unterstützt den EGB offen. SPD und Grüne wackeln, übernehmen nur Teile der gewerkschaftlichen Forderungen, während die Bundesregierung und auch die Fraktionen der Konservativen und Christdemokraten eher nationalistische Sparkonzepte à la Brüning favorisieren, d.h. Sozial- und Lohnabbau als "Anti-Krisen-Strategie".

In unseren Augen, das ergab die Diskussion, ist das eine hochgefährliche, bizarre und eher deprimierende Situation. Leider ist die Aufmerksamkeit für solche Alternativen auf europäischer Ebene selbst in den Gewerkschaften aktuell nicht sehr groß.


EuGH-Urteile zu Entsenderichtlinie und Streikrecht: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort"

Der Vertrag zur Europäischen Union sieht im Titel 10 (Sozialpolitik) ausdrücklich vor, die Arbeitsbeziehungen auszugestalten. Implementiert wurde diese Zuständigkeit beim Arbeitsrecht wesentlich 1993 mit dem Sozialabkommen von Maastricht. Allerdings sind Gegenstände wie das Koalitionsrecht oder das Streikrecht ausdrücklich ausgenommen. Dennoch hat das EuGH zuletzt mit einer Reihe von vier Urteilen teils direkt, teils mittelbar auf diese Gegenstände eingewirkt und europäische Rechtsfortbildung betrieben, teils offensichtlich im Widerspruch zu der betroffenen Entsenderichtlinie bzw. deren bisheriger Interpretation. Die betreffenden Fälle sind die Urteile zu "Viking", "Laval" "Rüffert" und "Kommission versus Luxemburg". Worum ging es jeweils?

Viking:
Es ging um ein finnisches Schifffahrtsunternehmen, das u.a. zwischen Finnland und den baltischen Staaten Fährverkehr betreibt. Ziel des Unternehmens war es, Tätigkeiten auszuflaggen und unter baltischen Tarifen weiterzuführen. Die finnischen Gewerkschaften, zusammen mit der internationalen Transportarbeitergewerkschaft ITF, führten Aktionen durch und drohten Streikmaßnahmen an. Im EuGH-Urteil wird das Streikrecht als Grundrecht bestätigt, aber es wird auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit herangezogen. Streikaktionen seien nicht zulässig, wenn sie unangemessen das Recht auf Niederlassungsfreiheit einschränken. Dies sei hier der Fall gewesen.

Laval:
Eine öffentliche Ausschreibung der schwedischen Gemeinde Vaxholm ging an eine lettische Firma (Laval). Diese beschäftigte lettische Arbeiter und weigerte sich, in die von den schwedischen Gewerkschaften geforderten Tarifverhandlungen einzutreten, mit denen gleiche Bedingungen für die lettischen Beschäftigten durchgesetzt werden sollten, wie sie für schwedische Baubeschäftigte gelten.

Das EuGH urteilte, dass die Streik-/Blockadeaktionen unzulässig waren, da sie in unangemessener Weise die Dienstleistungsfreiheit einschränken würden. Bezüglich der Entsenderichtlinie interpretierte das Gericht deren Bestimmungen so, dass für entsandte Arbeitnehmer lediglich die jeweiligen Mindest-Arbeitsbedingungen verlangt werden dürften. Damit werden diese für entsandte Arbeitnehmer zu Maximalbedingungen umgedeutet.

Mittlerweile haben die schwedischen Gerichte, die die Aktion in einem ersten Urteil für zulässig erklärt hatten, aufgrund des EuGH-Urteils die schwedischen Gewerkschaften zur Zahlung der Gerichtskosten verurteilt.

Rüffert:
Das Land Niedersachen hatte im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung Bautätigkeiten an ein Unternehmen vergeben, das für Teile dieser Tätigkeiten ein polnisches Subunternehmen anheuerte. Dieses zahlte den Beschäftigten Löhne von weniger als 50% des (allgemeinverbindlichen) Baumindestlohns. Da Niedersachsen in seinem Vergabegesetz Tariftreue verlangt, kündigte es den Werkvertrag mit dem Generalunternehmen. Dieses zog vor das OLG Celle, welches an den EuGH verwies, und der urteilte, das niedersächsische Vergabegesetz verstoße gegen die Dienstleistungsfreiheit.

Kommission gegen Luxemburg:
Das Herzogtum Luxemburg hatte sehr konkrete Anforderungen bezüglich der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten aus dem EU-Ausland gestellt. Diese bezogen sich unter anderem auf die Forderung eines schriftlichen Arbeitsvertrags, Kontrollen bezüglich der korrekten Entsendung von Beschäftigten, der Lohnhöhe und zur Einhaltung der luxemburgischen Bestimmungen zu Teilzeitarbeit und zu zeitbefristeten Arbeitsverträgen.

Die Europäische Kommission sah hierin eine Praxis, die nicht durch die Entsenderichtlinie gedeckt sei.

Diskussion:
Koalitionsrecht und Streikrecht sind kein Gegenstand der Verträge. Das Streikrecht ist aber Teil der europäischen Grundrechtecharta (Artikel 28). Im Viking-Urteil wird jedoch argumentiert, die Ausübung von Grundrechten müsse in Einklang gebracht werden mit den durch den Vertrag geschützten Rechten - Grundfreiheiten. Es wird befürchtet, Marktfreiheit werde über soziale Grundrechte gestellt, ein Vorrang europäischen Sekundärrechts, wie der Niederlassungsfreiheit, vor nationalen Grundrechten wie der Koalitionsfreiheit etabliert.

Etwas irreführend ist in diesem Zusammenhang das verbreitete Argumentationsmuster, die EuGH-Urteile würden das Streikrecht torpedieren. In einer vom EGB herausgegebenen Publikation, in der die nationalen Rechtsgrundlagen zum Streikrecht verglichen werden, wird deutlich, dass national durchaus beträchtliche Unterschied vorliegen. Von Frankreich, wo das Streikrecht als persönliches Grundrecht verankert ist, bis zur Bundesrepublik, wo sich das Streikrecht lediglich aus der Koalitionsfreiheit ableitet. Alle Länder kennen jedoch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, und vielfach liegen spezifische Einschränkungen des Streikrechts bzw. Anforderungen an Streikaktionen vor.

Ein nächster Gesichtspunkt der Urteile ist die Neuinterpretation der europäischen Entsenderichtlinie von 1996. Sie verlangt die Einhaltung von Mindestbedingungen bei Lohn, Arbeitszeit, Pausen, Urlaub und Arbeitsschutz für entsandte Arbeitnehmer. Das Verständnis war bisher, dass an einem Ort die dort geltenden Bedingungen zur Anwendung kommen bzw. die geltenden Mindestbedingungen Standards sind, die auch überschritten werden können. Dies ist auch durch die Richtlinie gedeckt, die aussagt, dass die Mitgliedsstaaten für entsandte Arbeitnehmer günstigere Bedingungen als die Mindestbedingungen festlegen können. Das EuGH hat diese Sichtweise auf den Kopf gestellt und die Mindestarbeitsbedingungen zu Höchstnormen erklärt (Laval-Urteil).

Die Argumentation des EuGH ist jedoch nicht konsistent und kann auch mit den Europäischen Verträgen kritisiert werden, die in Artikel 45 (neu) die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer in Bezug auf "Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen" vorschreiben.

Das EuGH setzt auf Verschärfung der Lohnkonkurrenz mittels Aushebelung der tariflichen Standards durch unbeschränkte Durchsetzung der Dienstleistungsfreiheit. Die Interpretation, dass hierdurch die gewerkschaftliche Rolle bei der Aushandlung der Arbeitsbeziehungen und ihre Durchsetzungskraft geschwächt werden soll, ist sicher richtig. Folgen dieser Entwicklung sind heute schon zu besichtigen. Nicht nur die Löhne sinken, auch alle anderen Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, ebenso die Arbeitsschutzstandards oder die Qualität der Produkte.

Mit Bezug auf die Entsenderichtlinie ist Kritik von vielen Seiten gekommen, auch aus der Europäischen Kommission und vom Europäischen Parlament. Gleichwohl sind viele Akteure skeptisch, ob sich im Rahmen einer Revision der Entsenderichtlinie eine Verbesserung der Regelbestände erreichen ließe. Viele befürchten, dass bei den jetzigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament und der Zusammensetzung der Europäischen Kommission eher eine Verschlechterung auf der vom EuGH vorgegebenen Linie herauskommen würde. Die Kommission hat mittlerweile angekündigt, einen Entwurf für die bessere Anwendung der Entsenderichtlinie vorzulegen, ohne die Richtlinie zu revidieren. Damit kann noch in diesem Jahr gerechnet werden.

Als Antwort auf die gesamte Problematik haben die europäischen Gewerkschaften sich darauf verständigt, den Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" verstärkt zu verfolgen und durchzusetzen. Es wird gefordert, dieses Prinzip als fünften Grundsatz neben die vier Freiheiten der Verträge zu stellen.

Die Debatte führte auch zu der Frage, ob der Weg der Verteidigung der nationalen Rechtsbestände und ein Zurückdrängen der europäischen Einflüsse, der in manchen Wortmeldungen aus den Gewerkschaften vorgeschlagen oder doch mindestens angedeutet wird, eine angemessene Reaktion ist. Verschiedenes spricht dagegen. Wie schon angedeutet, ist die nationale Rechtslage oft nicht besser. Die Errungenschaft der Freizügigkeit kann wohl nur europäisch und durch Ausgestaltung der Rahmenbedingungen gefestigt werden. Andernfalls sind fortwährende Kollisionen zwischen Binnenmarktregelungen und Arbeitsbeziehungen nicht zu verhindern. Zu bedenken ist auch, dass die Arbeitsbeziehungen zu einem wesentlichen Teil heute schon von den Verträgen erfasst werden und dies von den europäischen Institutionen (auch den Gewerkschaften) genutzt wird. Die EU ist beispielsweise für die Bildung nicht zuständig, greift aber über die Themen Mobilität und Lebenslanges Lernen direkt in dieses Feld ein. Heute schon nutzen Konzerne europäische Budgetlinien, um in den Betrieben Veränderungen zu initiieren und greifen damit direkt in Hoheitsfelder ein, die in vielen Ländern institutionell von den Gewerkschaften mit gestaltet werden. In Europäischen Betriebsräten werden heute zu allen Themen, bis hin zu Fragen des Entgeltes, Vereinbarungen abgeschlossen.

Neben der politischen und rechtlichen Konstruktion des Binnenmarktes, der Angleichung von technischen Niveaus und dem Ausbau eines europäischen Arbeitmarktes entsteht so immer deutlicher eine europäische Ebene in den Arbeitsbeziehungen, die nur teils rechtlich fundiert ist. Der Ansatz des EGB, "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort", ist wohl richtig, und auch die Forderung, den Gleichbehandlungsgrundsatz gleichberechtigt neben die Binnenmarktfreiheiten zu stellen ist angemessen, um die Ausgestaltung des Binnenmarktes voranzubringen. Ein Rückzug auf die nationale Ebene würde die Gewerkschaften gegenüber den angedeuteten materiellen Veränderungen gänzlich entwaffnen.

Ein weiterer Bericht zur Europäischen Arbeitszeitrichtlinie und den Tarifbewegungen 2010 erfolgt in der nächsten Ausgabe der Politischen Berichte.

brr, har, rog, rül


Raute

Rezensiert: Berthold Huber "Kurswechsel für Deutschland"

IG-Metall-Vorsitzender fordert Richtungswechsel

Der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, hat ein Buch herausgegeben, in dem er und neun weitere Autoren über Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise nachdenken und darüber, welche Ziele sich die Gewerkschaften und alle diejenigen stellen sollten, die sich, so Huber, "gegen die Politik der Marktradikalen stellen". "Wir haben das Ziel, erst die gesellschaftliche Debatte und dann die Politik in diesem Land in eine neue Richtung zu schieben," so der IG Metall-Vorsitzende.

"Neuer Zukunftsvertrag"

Huber plädiert für einen "neuen Zukunftsvertrag, der demokratische, soziale und ökologische Ziele vereint". Dazu gehöre ein Abbau der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft, um zu einer neuen wirtschaftlichen Balance zu kommen. Huber: "Die Abhängigkeit vom Export wird andauern, wenn die Verteilungsfrage nicht besser gelöst wird und so die Binnenwirtschaft auf stabilere Beine gestellt werden kann."

Das Aktienrecht soll geändert werden, "Vorstand und Aufsichtsrat künftig auch auf das Wohl der Beschäftigten und der Allgemeinheit verpflichtet werden. Betriebsschließungen, Standortverlegungen oder Massenentlassungen können künftig nur noch mit Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat beschlossen werden." Hinzukommen müssten stärkere Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte. Der Industriesoziologe Prof. Schumann nennt das in seinem Aufsatz in dem Buch den Versuch einer Übertragung des "Modells VW" auf die gesamte Großindustrie.

Zu einer neuen Wohlfahrtsgesellschaft müsse gehören, zwischen den Systemen Arbeit und Bildung Brücken zu bauen, um die Übergänge vom Schulsystem zur Arbeit, von Arbeit zu (Weiter)-Bildung und zurück leichter zu machen.

Öffentliche Güter, so Huber, müssten effizient sein und in öffentlicher Hand bleiben. Dazu gehöre "die Versorgung mit Wasser und Energie, große Teile des öffentlichen Personennah- und Fernverkehrs, der soziale Wohnungsbau, die Infrastruktur für Erziehung, Bildung, Gesundheit und Arbeitsvermittlung."

Im Dienstleistungsbereich müsse mit der Devise "billiger statt besser" gebrochen werden. "Das Beispiel Schweden zeigt, dass es eine Alternative gibt."

"Der Arbeitsmarkt muss so geordnet werden, dass normal gesicherte und fair entlohnte Beschäftigung wieder die Regel und Niedriglohnsektor, prekäre und Leiharbeit zur Ausnahme werden". Dazu gehöre ein gesetzlicher Mindestlohn.

Die IG Metall, so Huber, sei eine "Wertegemeinschaft", die für ein gutes, gelungenes Leben eintrete, wie es von der US-Philosophin Martha Nussbaum und dem Nobelpreisträger für Wirtschaft Amartya Sen beschrieben werde. Für diese Ziele suche die IG Metall Verbündete.

Das alles ist nicht neu. Wer die Diskussionen in den Gewerkschaften verfolgt, wird das meiste kennen. Trotzdem ist das Buch lesenswert. Zum einen, weil es Positionen der IG Metall in komprimierter Form beschreibt. Das macht auch Schwächen sichtbar. Zur Frage etwa, wie ein soziales, solidarisches Europa aussehen solle, findet sich in dem Aufsatz von Huber fast nichts. Eine Leerstelle ist auch das Thema Modernisierung der sozialen Sicherung in einer älter werdenden Gesellschaft.

"Pluralisierung der Wirtschaftswissenschaft"

Dafür finden sich in den Beiträgen der anderen Autorinnen und Autoren weitere Anregungen. Gesine Schwan, zweimal SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, bekräftigt die Kritik des IG Metall-Vorsitzenden am dürftigen Niveau der deutschen Wirtschaftswissenschaft. Sie fordert eine Pluralisierung: "Die Vielfalt der Ansätze und Betrachtungsperspektiven, welche die Ökonomie einst ausgezeichnet hat, muss sich auch bei der Besetzung von Lehrstühlen widerspiegeln." Gemeint ist eine Wirtschaftswissenschaft, die nicht nur Glaubenssätze der Gleichgewichts- und Angebotstheorie anbetet, sondern auch Ansätze von Keynes, Marx und der klassischen politischen Ökonomie aufgreift und weiter entwickelt.

Abbau von "Übergangsschwellen" zwischen Bildung und Arbeit

Martin Baethge, Präsident des Soziologischen Forschungsinstituts an der Uni Göttingen, analysiert "das doppelte Bildungs-Schisma", das er in der Trennung von "höherer" und "niederer" Allgemeinbildung und der beruflichen von der allgemeinen Bildung sieht und "das die extreme soziale Selektivität im Bildungswesen bis heute begründet." Diese Spaltung werde von den Gewerkschaften schon lange kritisiert. Versuche, sie zu überwinden, seien bisher gescheitert. In der Folge verengte sich "gewerkschaftspolitische Berufsbildungspolitik ... zur Fach- und Klientelpolitik für Fachkräfte", mit der Folge, dass die Gewerkschaften "zentrale Probleme aktueller Bildungspolitik ausblenden". Dazu gehöre, dass "etwa ein Sechstel der Jugendlichen in Deutschland ohne abgeschlossene Ausbildung bleibt". Reformbedürftig seien auch die Übergänge von beruflicher Bildung zu Hochschulen. "Aktuell gelingt der Zugang zur Hochschule nur sehr wenigen Berufstätigen ohne formale Hochschulreife" - nur ein Prozent der Studienanfänger hat kein Abitur. Die Gewerkschaften müssten sich entscheiden, ob sie "eine strukturkonservative Klientelpolitik für Fachkräfte oder eine Bildungspolitik für die junge Generation betreiben wollen", fordert er. Dazu gehört für Baethge, "die beiden großen Übergangsschwellen" abzubauen: den "Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die Berufsausbildung am Ende der Sekundarstufe I und von der Berufsausbildung in den Hochschulbereich."

Leerstellen im Parteiensystem?

Anregend sind auch Hinweise des britischen Soziologie-Professors Colin Crouch. Crouch diagnostiziert, dass erhebliche Teile der Gesellschaft nicht mehr vom Parteiensystem repräsentiert werden. Dazu gehören für ihn unund angelernte Arbeitskräfte im industriellen Bereich und gering bezahlte Beschäftigte, vor allem Frauen, im Dienstleistungssektor. Die neoliberale Umgestaltung habe das "Inflationsproblem des Keynesianismus" durch Entfesselung der Marktkräfte gelöst, gleichzeitig aber die Gesellschaft "von den Führungsschichten des Finanzsektors abhängig" gemacht. Die damit verbundene Job-Unsicherheit und der Rückbau des Wohlfahrtsstaates habe eine neue Unsicherheit geschaffen, deren Opfer vom traditionellen Parteiensystem nicht mehr repräsentiert würden. "Es mangelt an einer Neuordnung des Parteiensystems, das die Interessen der neuen sozialen Schichten vertritt". Junge Menschen engagierten sich heute eher in NGOs für konzernkritische und globale Themen als in traditionellen Parteien. Seine Aufforderung, die Gewerkschaften sollten "in neue Schichten der postindustriellen Gesellschaft vorstoßen, etwa zu den Beschäftigten in den privaten Dienstleistungsunternehmen", ist nur vordergründig ein Appell an Verdi. Mit ihrer Kampagne zur Organisierung von Beschäftigten in Leiharbeit ist auch die IG Metall in diesem Feld unterwegs. "Leerstellen" im Parteiensystem sind nicht immer auch Leerstellen gewerkschaftlicher Politik.

"Neue Arbeitsversicherung"?

Wenig erhellend sind andere Beiträge. Erhard Eppler etwa kritisiert, die 68er-Bewegung habe den Staat "nur noch als 'repressiven' Apparat" wahrgenommen, so dass manche 68er später bei der neoliberalen Rechten gelandet seien, die auch "dem Staat ans Leder wollte". Dass Staat und Bürgerrechte Gegensätze sein können, scheint für ihn "altes Denken" zu sein. Also schwadroniert er: "Der Staat ist dazu da, zu regulieren", der Staat habe für sozialen Ausgleich zu sorgen und der föderale Staat ist sogar ein "Gesamtkunstwerk". Bürgerschaftliches Engagement, Selbstorganisation und andere Formen ziviler Betätigung finden in diesem Weltbild kaum Platz.

Burkart Lutz, Forschungsdirektor des Zentrums für Sozialforschung in Halle, skizziert systemische "Herausforderungen der Zukunft". Seine Kernthese ist, dass "die meisten hochentwickelten Gesellschaften ... die Schwelle (von) ... einer zunehmend zerfallenden Prosperität in eine Übergangsphase unbekannter Dauer und wachsender Krisenanfälligkeit" überschritten haben. Seine pessimistische Erwartung lautet, kurz gesagt: Es wird kritisch und geht in Zukunft eher abwärts. Einen neuen Produktivitätszyklus à la Schumpeter und Kondratieff erwartet Lutz nicht. Er plädiert für "neue Räume der Reflexion" und sieht "Störungen im Verhältnis zur Natur" und die "Beherrschung von gesellschaftlichen Ungleichgewichten systemischer Art" als Herausforderungen. Was daraus für Gewerkschaften und Politik folgt, bleibt unklar.

Erfrischend praktisch ist dagegen Günther Schmid. Der langjährige Direktor der Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung am Wissenschaftszentrum Berlin plädiert für den Umbau der "Arbeitslosenversicherung" zu einer "Arbeitsversicherung". Gemeint ist nicht nur die Ausweitung des Sozialversicherungsschutzes auf Beamte, Selbständige und prekär Beschäftigte. Schmid schlägt vor, 1% des Bruttoeinkommens in einen "Weiterbildungsfonds" zu zahlen. So sollen individuelle "Ziehungsrechte" der Beitragszahler entstehen, um persönliche Weiterbildung zu finanzieren - ein interessanter Ansatz.    rül

Berthold Huber. Kurswechsel für Deutschland,
255 Seiten, Campus Verlag 2010, 24,90 Euro.

Raute

Neu erschienen: Studienreihe "Zivilgesellschaftlichen Bewegungen - institutionalisierte Politik" Nr. 16. Kurt Eisner Verein, Westendstr. 19, 80339 München. www.kurt-eisnerverein.de

Mehr direkte Demokratie im Parteienstaat?

(Aus den einleitenden Bemerkungen von Dr. Harald Pätzolt)

Weit über linke Kreise hinaus gilt heute als selbstverständlich, dass wir mehr direkte Demokratie brauchen. In Deutschland, aber eigentlich überall in der Welt. Direkte Demokratie ist etwas fraglos Gutes, während die repräsentative Demokratie mit ihren Parteien und Parlamenten, gewählten Abgeordneten und Amtsträgern (Politikern) den denkbar schlechtesten Ruf hat.

Was politisch aus einer solchen Gewissheit folgt, scheint ebenso klar zu sein: Wenn man mehr direkte Demokratie will, dann muss man erstens die Bedingungen dafür verbessern, also die Höhe der Quoren verringern, die Zulassung erleichtern, Zulässigkeiten (d.i. die Gegenstände, über die befunden werden darf) erweitern, die Kosten verringern und die Fristen verlängern. Zweitens wären weitere politisch-administrative Ebenen für Formen direkter Demokratie (Gesetzes- und Verfassungsinitiativen) zu erschließen - bis hin zur völligen Volksgesetzgebung.

Soweit scheint die Sache recht klar und für die jüngste Vergangenheit werden ja in diesem Sinne, wenigstens auf "unteren Ebenen", tendenzielle Fortschritte berichtet. So vollziehe sich seit Anfang der 90er Jahre ein schleichender Siegeszug der direkten Demokratie in Deutschland. Allerdings löst sich viel abstrakte Selbstverständlichkeit rasch auf, wenn es um konkrete Fragen geht. So mag man schon Grenzen ziehen und nicht über alles abstimmen lassen, etwa über die Todesstrafe und man findet z.B. die sogen. Beteiligungsquoren wegen der damit möglichen Gegenstrategie der Demobilisierung der eigenen Parteigänger problematisch. Aber darüber will ich hier nicht reden. Vielmehr will ich einige Annahmen, die quasi als Gründe für die Selbstverständlichkeit, dass direkte Demokratie gut und mehr davon besser sei, angeführt werden, thematisieren.

Die erste Annahme betrifft das Menschenbild des mündigen Bürgers. (...) Eine zweite Annahme ist die, dass wir in Deutschland ein grundlegendes Demokratiedefizit haben, weil relevante Teile des Volkes eben parlamentarisch nicht repräsentiert werden. (...) Eine dritte Annahme ist die, dass das Demokratiedefizit in der Entartung der Parteien, der Politiker und des Parlaments selbst begründet ist. (...) Eine vierte Annahme ist die, dass es zweckmäßig wäre, Sachfragen gelegentlich unmittelbar, direkt, zu entscheiden. (...)

Meine Absicht war es zu zeigen, dass die Forderung nach mehr direkter Demokratie eine richtige ist, man sich damit jedoch nicht so rasch der Notwendigkeit der Arbeit an der repräsentativen Demokratie entledigen sollte. Es geht eben um mehr Demokratie, da liegen in beidem die Chancen.

Raute

TERMINE

Sommerschule der Bundesarbeitsgemeinschaft Konkrete Demokratie - Soziale Befreiung (ArGe) - 5. bis 8. August in Erfurt

• Kurs Philosophie/Kulturwissenschaft. Thema: "Normenkonflikte"
• Kurs Wirtschaft - Thema: Die Finanzierung der öffentlichen Hand, Steuern und Staatsschuld
• Kurs Internationale Politik - Thema: Die EU: staatlich/zwischenstaatliche Organisationsform "eigener Art" (Bundesverfassungsgericht) - Theoreme für die weitere Entwicklung - auf der Rechten und in der Linken

Detailliertere Angaben siehe Politische Berichte Nr. 4/2010.

Anmeldungen unbedingt bis zum 15. Juli und nur bei hanne-reiner@onlinehome.de oder telefonisch 030-39808805.

Raute

Die nächste Ausgabe der Politischen Berichte erscheint am 1. Juli.

Redaktionsschluss: Freitag, 25. Juni. Artikelvorschläge und Absprachen über pb@gnn-verlage.de. Tel: 0711/3040595, freitags von 7-12 h.

Die nächsten Erscheinungstermine, jeweils donnerstags: 29. Juli, 9. Sept., 7. Okt., 4. Nov.

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IMPRESSUM

Politische Berichte

ZEITUNG FÜR LINKE POLITIK - ERSCHEINT ZWÖLFMAL IM JAHR

Herausgegeben vom: Verein politische Bildung,
linke Kritik und Kommunikation,
Venloer Str. 440, 50825 Köln
Herausgeber: Barbara Burkhardt, Christoph Cornides,
Ulrike Detjen, Emil Hruska, Claus-Udo Monica,
Christiane Schneider, Brigitte Wolf.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsanschriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft;
Auslandsberichterstattung:
Rüdiger Lötzer,
Postfach 210112, 10501 Berlin, E-Mail: gnn-berlin@onlinehome.de
- Alfred Küstler, GNN-Verlag, Postfach 60 02 30,
70302 Stuttgart, Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32.
E-mail: stuttgart@gnn-verlage.com

Regionales / Gewerkschaftliches:
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oder 0178/287 75 71, E-mail: t.jannoff@web.de

Diskussion / Dokumentation: Martin Fochler,
GNN Verlag, Stubaier Straße 2, 70327 Stuttgart,
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In & bei der Linken: Jörg Detjen,
GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
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Termine: Alfred Küstler, Anschrift s. Aktuelles.

Die Mitteilungen der "Bundesarbeitsgemeinschaft der Partei
Die Linke Konkrete Demokratie - Soziale Befreiung" werden
in den Politischen Berichten veröffentlicht.

Verlag: GNN-Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
Venloer Str. 440, 50825 Köln, und GNN Verlag Süd GmbH,
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42,90 Euro), ein Jahresabonnement kostet 59,80 Euro
(Förderabo 85,80 Euro). Ein Jahresabo für Bezieher
aus den neuen Bundesländern: 54,60 Euro,
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Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 6, 4. Juni 2010
Herausgegeben vom: Verein politische Bildung,
linke Kritik und Kommunikation
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2010