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POLITISCHE BERICHTE/134: Zeitschrift für linke Politik 3/10


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik

Nr. 3 am 11. März 2010


INHALT

Aktuell aus Politik und Wirtschaft
Politische Berichte im Internet
Griechenland, EWF usw.: Anleger honorieren bisherigen Kurs
Bildungspolitik: Schulkampf in Hamburg
Bremer Studie: "Duale Berufsausbildung: Qualität rechnet sich"
Baden-Württemberg: Werkrealschule produziert neue Verlierer
Auslandsnachrichten

Regionales und Gewerkschaftliches
Aktionen ... Initiativen
Kölner U-Bahn: Zuschütten - Weiterbauen und wie?
Outsourcen hoheitlicher Aufgabe ist Schuld am U-Bahn-Pfusch
Ein NS-Dokumentationszentrum für Württemberg
Kommunale Politik
IG-Metall-Strategie effektiv
Opel: Wetten auf die Zukunft
Wirtschaftspresse

Diskussion und Dokumentation
Noch leugnet die Kirche ihr strukturelles Problem
Schröder extrem
Zwangsarbeit in Südniedersachsen
Niederländische Enkel recherchieren Lebensbedingungen ihrer Großväter
In & bei der Linken

Termine

Raute

AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT

Politische Berichte im Internet: www.gnn-verlage.com


Schäuble plant Bankenabgabe und Verbot von Leerverkäufen

Presse BMF, 3.3., Wirtschaftswoche, 6.3. rül. Das Bundesfinanzministerium arbeitet derzeit an mehreren Gesetzentwürfen zur stärkeren Regulierung und Besteuerung des Finanzgewerbes. Noch bis Mai soll ein Gesetzentwurf zur Einführung einer Bankenabgabe fertig sein, kündigte der Unions-Bundestagsfraktionsvize Michael Meister gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Wirtschaftswoche" an. Mit der Sonderabgabe sollen die entstandenen Kosten für die Rettung des Bankensektors beglichen werden und gleichzeitig ein Puffer für künftige Notsituationen aufgebaut werden, erklärte er. Zwei Tage vorher hatte Bundesfinanzminister Schäuble in einer Pressemitteilung seines Ministeriums einen "Gesetzentwurf zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes" angekündigt. Ziel dabei sei es, "den Privatanlegern bessere Informationen zu ermöglichen und Aufsicht, Unternehmen und professionellen Marktteilnehmern ein zutreffendes Bild über das Marktgeschehen zu vermitteln. Weiterhin sollen Risiken aus spekulativen Geschäften verringert werden." Noch im April soll ein Diskussionsentwurf des geplanten Gesetzes vorliegen. Inhalt soll unter anderem ein stärkerer Anlegerschutz und stärkere Sanktionen bei Falschberatungen sein, zusätzliche Mitteilungspflichten, um das sogenannte "Anschleichen" von Finanzinvestoren an Unternehmen zu verhindern, sowie höhere Reservehaltungs-Vorschriften und Mindesthaltefristen, um die Spekulation zum Beispiel im Bereich sogenannter "offener Immobilienfonds" einzuschränken, sowie eine Einschränkung gedeckter und ein generelles Verbot sogenannte "ungedeckter Leerverkäufe" von Aktien und anderen Finanzpapieren.


Berlin und Brandenburg gegen Banker-Boni

Neues Deutschland, 2.3. rül. Die rot-rot regierten Bundesländer Berlin und Brandenburg haben gemeinsam mit dem rot-grün regierten Bremen und dem von SPD und FDP regierten Bundesland Rheinland-Pfalz im Bundesrat einen Antrag "gegen Spekulationen auf den Finanzmärkten und ungerechtfertigte Banker-Bonuszahlungen" eingebracht. Darin wird die Regierung aufgefordert, in die Vergütungssysteme der Banken einzugreifen. Etwa durch eine unmittelbare Abgabe auf die Bonuszahlungen der Banken und die Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Gehältern und Abfindungen. Außerdem soll die Koalition die Einführung einer allgemeinen Bankenabgabe prüfen, mit der die Institute an den Krisenkosten beteiligt werden sollen. Am Freitag, dem 5. März, wurde der Antrag in die Bundesratsausschüsse verwiesen. Bemerkenswert an dem Antrag ist auch, dass sich die vier Länder zu einer "internationalen oder zumindest EU-weiten Finanztransaktionsbesteuerung" bekennen. Sie soll nicht nur Aktien, sondern auch Währungsgeschäfte, Devisen, Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Rohstoffe und Derivate erfassen. Der brandenburgische Finanzminister Helmuth Markov (Linke) verspricht sich von der EU-weiten Einführung einer Finanztransaktionssteuer nicht nur fiskalische Effekte, sondern auch eine Abkühlung der Spekulationsfreude: "Selbst in einer minimalen Höhe von ca. 0,01 Prozent", so Markov, würde die neue Steuer "die notwendige Lenkungswirkung ausüben." Er sagte weiter, dass es eine Frage der Gerechtigkeit sei, "das Geld der Steuerzahler zu schützen" und deswegen die Banken an den Krisenkosten zu beteiligen.


Acht EU-Staaten erhöhen Mindestlöhne in der Krise

www.mindestlohn.de Acht der insgesamt 20 EU-Staaten, die über einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn verfügen, haben diesen zum Jahresbeginn 2010 angehoben. In zwei weiteren EU-Staaten wurde die gesetzliche Lohnuntergrenze bereits im Herbst 2009 erhöht. Das geht aus dem aktuellen Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervor. In den meisten EU-Ländern spiegelte die Entwicklung der Mindestlöhne die landesspezifische Reaktion auf die weltweite Wirtschaftskrise wider. Während Länder wie Großbritannien, Frankreich oder Spanien ihre Mindestlöhne, wenn auch weniger stark als in den Jahren zuvor, erhöhten, haben einige Staaten ihre Mindestlöhne eingefroren. Dazu gehören beispielsweise Belgien, Irland oder Tschechien. Polen, die Slowakei und Portugal hingegen reagierten offensiv auf die Krise und hoben ihre Lohnuntergrenzen um drei bis sechs Prozent an. Keines der 20 EU-Länder mit gesetzlichem Mindestlohn hat seine Lohnuntergrenze nominal gekürzt, obwohl eine Mindestlohnabsenkung insbesondere im krisengebeutelten Irland heftig diskutiert wurde.

Die Unterschiede machten deutlich, so der WSI-Tarifexperte Thorsten Schulten, "dass es auch unter den Bedingungen der Krise alternative politische Handlungsmöglichkeiten" bei der Gestaltung von Mindestlöhnen gibt. Während einige Länder versuchten, die Lohnkosten stabil zu halten, verfolgten andere mit der Anhebung der Lohnuntergrenzen das Ziel, die Binnennachfrage zu stärken. Die gesetzlichen Mindestlöhne in Westeuropa bewegen sich nun zwischen 9,73 Euro pro Stunde in Luxemburg und 8,41 Euro pro Stunde in Belgien. In Großbritannien liegt der Mindestlohn umgerechnet bei 6,51 Euro pro Stunde, wobei dieser niedrige Betrag auf das schwache britische Pfund gegenüber dem Euro zurückzuführen ist. In den Staaten Südeuropas liegen die Mindestlohnwerte zwischen 4,28 Euro in Griechenland und 2,86 Euro in Portugal. Am niedrigsten sind die Lohnuntergrenzen in Osteuropa. Dort verdienen die Beschäftigten zwischen 1,82 Euro pro Stunde in Tschechien und 0,71 Euro pro Stunde in Bulgarien.


Ein Toter mit Ansage - Abschiebehaft als tödliche Falle

www.b-umf.de, 9.3. Wer die Hamburger Ausländerpolitik kennt, hat es kommen sehen. Nun hat sich der schlimmste Fall von amtlicher Kindesvernachlässigung seit vielen Jahren in der Bundesrepublik ereignet. Am Sonntag, den 7. März hat sich David M., ein 17-jähriger unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, im Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt Hamburg erhängt, nachdem er über mehrere Wochen die Nahrung verweigert hatte. Dies hätte nie passieren dürfen! Unbegleitete Minderjährige sind besonders schutzbedürftige Personen, die nicht in Abschiebehaft zu nehmen sind, sondern in Obhut durch das Jugendamt. Dies ignoriert der Senat jedoch und hat noch die Dreistigkeit in einer kürzlich gestellten Anfrage nach den Abschiebebedingungen zu antworten: "Die näheren Modalitäten der Begleitung und des Empfangs der Minderjährigen in den wiederaufnehmenden Mitgliedstaaten in diesen Fällen [...] sind Hamburger Behörden nicht bekannt". Drucksache 19/5214 der Bürgerschaft vom 5.2.2010.

Jetzt kennen alle die näheren Modalitäten: Hier wurde in eklatanter Weise die staatliche Garantenpflicht für das Kindeswohl verletzt. Die Freie und Hansestadt Hamburg muss alles dafür tun, dass die grundgesetzlich verankerten Kinderrechte auch für junge Flüchtlinge gelten. Alle Kinderschutzmechanismen haben in Hamburg versagt und einem jungen Menschen das Leben gekostet. Wir fordern den Senat auf, diesen Fall lückenlos aufzudecken und nicht nur personelle Konsequenzen zu ziehen. Das System der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen muss sich in Hamburg grundlegend ändern. Sonst werden weitere Tote einer verfehlten Kinderschutzpolitik zu beklagen sein.

Wir betrauern den 17-Jährigen David M. Unsere Gedanken sind bei seinen Angehörigen und Freunden.

Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V., Nymphenburger Str. 47, 80335 München


Freibriefe für rassistische Plakate

www.bundesverfassungsgericht.de, 5.3. alk. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verurteilung des Vereins "Augsburger Bündnis - Nationale Opposition" wegen Volksverhetzung aufgehoben. Der Verein hatte im Juni 2002 ein Plakat verbreitet mit der Aufschrift: "Ausländer-Rück-Führung, Aktionswochen. Für ein lebenswertes deutsches Augsburg". Sowohl das Landgericht Augsburg als auch das Bayerische Oberste Landesgericht sahen in diesen rassistischen Äußerungen Volksverhetzung und eine Verletzung der Menschenwürde von hier lebenden Ausländern. Das Bundesverfassungsgericht dagegen meinte, dass in diesem Fall das Recht auf Meinungsfreiheit Vorrang habe. Der Kern der Begründung des Verfassungsgerichts: "Zwar macht das Plakat unmissverständlich deutlich, dass die Initiative der Beschwerdeführer Ausländer 'rückführen' will. Der Umfang und die Mittel, ob nun beispielsweise durch Anreiz oder Zwang, werden jedoch nicht benannt. Dem Plakat ist daher nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass Ausländer entrechtet oder zum Objekt gemacht werden sollen beziehungsweise als rechtlos oder Objekt angesehen werden."

Damit hat das Verfassungsgericht den rechten Parteien und Vereinen freie Bahn für ihre ausländerfeindliche und rassistische Propaganda gegeben. Sofern nicht direkt zu Gewalttaten aufgerufen wird, ist dann nahezu alles erlaubt. Auch bei anderen Gerichten ist diese Linie erkennbar. So hat das Oberlandesgericht München vor kurzem beim NPD-Plakat aus dem Landtagswahlkampf 2008 "Guten Heimflug" ebenfalls keinen Verstoß gegen den Tatbestand Volksverhetzung gesehen. Das Plakat zeigt eine Zeichnung eines fliegenden Teppichs, auf dem eine verschleierte Frau, ein Turbanträger und ein dunkelhäutiger Mann sitzen. Für den Oberstaatsanwalt war diese Entscheidung unbefriedigend: "Dieses Urteil dürfte richtungsweisend für die nächsten Wahlkämpfe sein." Die könnten "eine gewisse neue Breite in der Aussage der Plakatierung" einnehmen. Außerdem seien jetzt in ähnlichen Fällen kaum mehr Durchsuchungen und Beschlagnahme möglich.


www.iwkoeln.de, 8.3. alk. Mit einer direkten Polemik gegen die Bundestagsfraktion der Linken hat das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln eine Studie zur Entwicklung von sogenannten Normalarbeitsverhältnissen und Billigjobs vorgestellt. Die Behauptung, dass immer mehr Vollzeitarbeitsstellen in Billigjobs verwandelt wurden, träfe nicht zu. Das Institut sagt, zwar sei der Anteil von Vollzeitjobs an den Beschäftigten gesunken, wenn man aber die Zahlen auf die erwerbsfähige Bevölkerung beziehe, sehe es anders aus: demnach sei der Anteil der unbefristeten Vollzeitstellen nahezu gleichgeblieben; was abgenommen habe, sei die Zahl der Nichterwerbstätigen (Hausfrauen z.B.). und der Arbeitslosen. Dieser Personenkreis sei vor allem in die Teilzeitbeschäftigung und geringfügige Beschäftigung (Minijobs) gegangen.

Das Institut gibt allerdings zu, dass hier zum Teil deutlich geringere Entlohnung gezahlt wird. Das liege zum einen daran, dass in diesem Bereich der Anteil ohne abgeschlossene Berufsausbildung besonders hoch sei und der Akademikeranteil unterdurchschnittlich. Aber auch die geringere durchschnittliche Beschäftigungsdauer und die kleinere Betriebsgröße drücken auf den Stundenlohn.

Als Fazit meint das Institut der Wirtschaft: "Die Vermutung, dass die Hartz-Reformen die Löhne für einfache Jobs unter Druck gesetzt haben, ist zwar nicht zu beweisen - sie liegt aber nahe." Da dadurch mehr (unqualifizierte) Arbeitslose in diese Bereiche kamen, sei der Angebotsdruck gestiegen.


Beschäftigung: Vollzeit bleibt die Regel
So viel Prozent der Bundesbürger im Alter von 15 bis 64 Jahren arbeiteten ...
Jahr
1993
1998
2003
2008
abhängig, in Vollzeit, unbefristet
41
38
37
38
abhängig, in Vollzeit, befristet
3
3
3
4
abhängig, in Teilzeit, unbefristet
7
8
10
10
geringfügig beschäftigt
1
2
4
5
selbstständig, in Vollzeit
5
5
5
5
in sonstiger Beschäftigung
10
10
9
10
waren arbeitslos
7
8
9
7
waren nicht erwerbstätig (z.B. Hausfrauen)
25
26
24
20

Sonstige Beschäftigung: zum Beispiel befristet Teilzeitbeschäftigte oder Beamte in Teilzeit
Ursprungsdaten: Sozio-oekonomisches Panel

© 2010 IW Medien - iwd 10

Raute

Griechenland, EWF usw.

Anleger honorieren bisherigen Kurs

Letzte Woche hat die griechische Regierung eine zehn Jahre laufende Staatsanleihe unterbringen können. Nach Mitteilung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (5.3.) gingen die Papier überwiegend an private institutionelle Anleger wie Fondsgesellschaften, Versicherungen und Geschäftsbanken. Mehr als ein Drittel sei nach Großbritannien und Deutschland gegangen, ein Viertel in Griechenland verblieben. Der Ausgabekurs des Papiers startete bei einem Zinssatz von 6,25 Prozent mit 98,94 Prozent des Nennwerts und stand Tags darauf bei 99,4 Prozent. Für die auf 5 Milliarden Euro angesetzte Anleihe nahm die staatliche Schuldenagentur PDMA Angebote von 14,5 Milliarden Euro entgegen. Die Anleihe war bereits nach einer Stunde überzeichnet. Diese Momentaufnahme der Stimmung heißt: Die Finanzwelt erwartet, dass der griechische Staat - wir berichteten ausführlich im letzten Heft darüber - seinen internationalen Zahlungsverpflichtungen nachkommen wird. Allerdings wird das Land diesen Test auf seine Staatfinanzen in diesem Jahr noch öfter bestehen müssen.

Alleine im April und Mai werden alte Staatsanleihen im Nennwert von über 20 Milliarden Euro fällig, die an die Anleger zurückfließen. Da der griechische Staat nicht in der Lage ist, seine Verschuldung herunterzufahren, werden neue Anleihen nötig. Stellt man sich einen Anleger vor, der solche auslaufenden Papiere hat und weiterhin Rücklagen bilden muss - z.B. eine Lebensversicherung -, so muss sich dieser Anleger überlegen, ob er sein Vertrauen weiterhin auf den griechischen Staat setzen will. Das ist ein schillerndes Problem. Würden die Mitglieder einer Genossenschaft, die gerade Rücklagen bilden muss, wollen, dass dies in griechischen Staatsanleihen geschieht? Was würde ein privater Kleinanleger sagen, wenn ihm seine Bank griechische Staatsanleihen verkaufen wollte? Der griechische Staat muss unter solchen Bedingungen höhere Zinsen als andere versprechen, damit seine Papiere aus diesem Grund vorgezogen werden. Begleitend dazu muss er aber auch der Weltöffentlichkeit zeigen, dass er bereit ist, die griechische Bevölkerung zur Einhaltung der eingegangenen Verpflichtungen zu zwingen.

Diesem Zweck dienen die Bilder, die derzeit durch die Nachrichten gehen und beweisen, dass sich der griechische Staat als Haushälter von Protesten nicht beeindrucken lässt. Ob die Maßnahmen der Regierung letztlich zu einer Stabilisierung des Staatshaushaltes führen werden, ist dabei gar nicht einmal so wichtig. Denn das kann im April und Mai, wenn die neuen griechischen Anleihen im Volumen von 20 Milliarden auf den Märkten untergebracht werden müssen, noch niemand wissen. Was bis dahin aber geklärt sein wird, ist, ob die griechische Regierung den Widerstand gegen ihre Sparpläne überwältigen kann. Diese Sparpläne richten sich gegen den Massenkonsum und gegen die soziale Wohlfahrt und genau solche Maßnahmen fordern die politischen Institutionen der EU und genau diese Richtung honorierten die Anleger.


Europäischer Währungsfonds?

Eine lebhafte Diskussion ist um die Frage entbrannt, ob die Bestimmung, nach der sich die Staaten der EU nicht gegenseitig kreditieren dürfen, Bestand haben soll. Diese auf den ersten Blick widersinnige Regel hat einen traurigen Hintergrund. Wäre es anders, wäre die Verlockung für politische Abenteuer stark. Ein relativ großes Land wie Deutschland zum Beispiel könnte nämlich bei passender Gelegenheit gegen ein kleines spekulieren, gerade um ihm dann "helfen" zu können. Anderseits entstehen auch Probleme, wenn im Notfall der Internationale Währungsfonds (IWF) angerufen werden müsste. Im IWF haben die USA das Sagen. Da der IWF seine Kredite an Bedingungen knüpft, die erhebliche Folgen für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Stabilität des betroffenen Landes haben, könnten Zielkonflikte zwischen der EU-Politik und der IWF-Politik auftreten. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Vorschlag Gewicht, einen Europäischen Währungsfonds einzurichten, der ähnlich funktionieren soll wie der IWF. Der Fonds würde kreditbedürftigen Staaten gegen Auflagen beispringen. Die Gefahren der oben angedeuteten bilateralen Spekulation wären dann weniger stark und Zielkonflikte zwischen der EU und einem EWF wären weniger wahrscheinlich. Allerdings würde die Errichtung eines solchen Fonds Zeit brauchen, vielleicht wäre sogar eine Änderung des Lissabon-Vertrags erforderlich. So wird dieser Ansatz zur Bewältigung der aktuellen Schuldenkrise Griechenlands (und anderer EU-Länder) nicht eingesetzt werden können.


Unsichere Situation und der Wunsch nach Stabilität

Der aktuelle Fall Griechenland zeigt sehr deutlich die Gefahren, die von einer hohen Staatsverschuldung ausgehen. Das bewirkt, dass jeden Monat ein Teil der Schulden einlöst werden muss und neue Papiere zu neuen Bedingungen untergebracht werden müssen.

Auf einem internationalisierten Markt ist es für die Anleger nicht so schwierig, bestimmten Staaten die kalte Schulter zu zeigen. Die Staaten müssen unter solchen Umständen eine Politik machen, die der Stimmung der Anleger entgegenkommt. Um zu verstehen, dass es tatsächlich um die Stimmung geht, muss man sich die Gestalt eines einzelnen Anlegers vorstellen, der entscheidet, ob er in griechische Anleihen geht oder in US-Staatspapiere oder sonst was kauft. Der volkswirtschaftliche Diskurs, der Streit um Wirtschaftskonzepte geht in einer solchen Situation im Hintergrundrauschen unter.

Für die politischen Akteure wird sich in den kommenden Monaten die Notwendigkeit ergeben, die Botschaften wahrzunehmen, die von den Wirtschaftsdaten ausgehen. Die staatlichen Sparprogramm, die Zurückhaltung in den Lohnbewegungen, die scharfen Angriffe auf die Bezieher von Transfereinkommen, denen sich im Vorfeld von Wahlen die Vorsitzende der NRWSPD, Frau Kraft angeschlossen hat, all dies belegt eine Stimmung, die auf dem Wege von Konsumverzicht wenigstens Stabilität erreichen will oder sogar auf Prosperität hofft.

Dass eine solche Stimmung vorhanden ist, sagen die Daten, aber das bedeutet keineswegs, dass der eingeschlagene Weg zum erwünschten Ziel führt.

In einer Situation, in der die politischen Instanzen sozialpolitische Maßnahmen ergreifen, die Millionen bedrücken, lediglich weil das den Investoren gefällt, kommt viel darauf an, ob sich die Wählerinnen und Wähler das gefallen lassen.

Martin Fochler, Alfred Küstler


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

5. März in Athen: Proteste gegen Rentenkürzung und Steuererhöhungen.

Raute

Die gesetzliche Schulpflicht und staatliche Schulorganisation entstehen in Deutschland parallel zur Entwicklung der freien Lohnarbeit und der Gewerbefreiheit, seither zog noch jede Veränderung der Industriegesellschaft Anpassungsprozesse der Bildungseinrichtungen nach sich. Der gegenwärtige Umgestaltungsprozess ist dennoch ohne Beispiel. Die Neuerungen erfassen die Erziehung des Kleinkindes, die Ganztagsschule verändert die Beziehungen der Heranwachsenden zur Familie und zur Öffentlichkeit einschneidend, im beruflichen Leben ergeben sich für fast jede Person über das ganze Leben hin neue Herausforderungen. Im Zentrum des politischen Kampfes steht die Selektionsfunktion des Bildungswesens. Starke reaktionäre Kräfte sehen diese Einrichtungen als Mittel zum Zweck schichtenspezifischer Reproduktion, dagegen fordern kritische Bewegungen unter der Losung "eine Schule für Alle" Chancengerechtigkeit. Allerdings werden die umkämpften, organisatorisch tief eingreifenden Veränderungen bis jetzt kaum mit einer Kritik der Bildungsinhalte und -methoden verbunden. Das war bei der letzten großen Umgestaltung des Bildungswesens in der alten BRD der sechziger Jahre anders. Damals geriet das vorherrschende autoritäre Konzept in Verruf. Die Zielvorstellungen der am Bildungsprozess Beteiligten verschoben sich ein wenig; weg von der Idee des Erwerbs sicherer Kenntnisse und geltender Traditionen, Befähigung zur Kritik wurde zum Lern- und Erziehungsziel. Damit verschoben sich sämtliche Koordinaten im Erziehungssystem. Kinder, Schüler, Studierende konnten nicht mehr als "Material" gesehen werden, das Lehrkräfte nach Lehrplänen zu modellieren hatten. Die Auseinandersetzung entlang der Trennlinie autoritär/kritisch zeigt sich keineswegs nur im Rückblick, sie wurde seinerzeit von so gut wie sämtlichen Akteuren strapaziert und überstrapaziert. Bei allen Verkürzungen ging es letztlich um eine neue Positionierung des Menschen: im Arbeitsleben (Mitbestimmung) und in der politischen Welt (mündiger Bürger). Die gegenwärtig umkämpften Veränderungen des staatlichen Angebots der Bildung sind mit solchen umfassenderen Zielen nicht verbunden. Jedenfalls nicht auf der Seite der Kräfte, die Reformen wollen, während die andere Seite das Ziel der schichtenspezifischen Reproduktion glasklar vor Augen hat. Das ist eine gefährliche Konstellation.

Martin Fochler


Schulkampf in Hamburg

So kommt es denn nun wohl in Hamburg zum Volksentscheid im Juli. Erstmals haben Wähler das Wort, über die Richtung einer Schulreform zu entscheiden: Soll die flächendeckende Einführung der Primarschule, also das gemeinsame Lernen in einer Schule für Alle bis Klasse 6, erfolgen oder nicht.

Erforderlich wird dieser Volksentscheid durch fünf Faktoren:

• Vor Jahren, mitten im Bürgerschaftswahlkampf 2007/2008, setzte die Initiative "Eine Schule für Alle", unterstützt von DGB, GEW, Linke, GAL und Wissenschaftlern die Frage der Schulstrukturreform zur Überwindung der Dreigliedrigkeit auf die politische Agenda der Hansestadt. Man ging in die Stadtteile und sammelte Unterschriften. Die GAL führte den Wahlkampf mit "Neun macht klug", die Linke mit "Eine Schule für Alle bis Klasse 10." Die Initiative scheiterte an der letzten Hürde vor dem Volksentscheid, u.a. weil zwischenzeitlich die GAL mit der CDU den neuen Koalitionssenat bildete und sich aus der Arbeit der Initiative zurückzog.

• Die neue schwarz-grüne Landesregierung einigte sich auf einen Schulkompromiss: eben die Primarschule, ab Klasse 7 aber das Zwei-Säulen-Modell: hie Gymnasium, da Stadtteilschule (Haupt-, Real- und Gesamtschulen, Technische und Wirtschaftliche Gymnasien). Kein Sitzenbleiben und Abschulen mehr. Büchergeld und nachgelagerte Studiengebühren.

• Darob erhob sich lauter Protest bei den Gutbetuchten, vor allem in den Elbvororten und den Walddörfern. Ihre Initiative "Wir wollen Lernen (WWL)" unter Anführung des alerten Anwalts Scheuerl sah das Gymnasium und das Elternwahlrecht in Gefahr. Mit Hilfe des großen Geldes, der Springerpresse und prominenter Gutbetuchter und Adliger gelang es ihnen, die Unterschriftshürden zu nehmen und einen Volksentscheid zu erzwingen.

• Aber der CDU/GAL-Senat blieb trotz wochenlanger Verhandlungen mit der Initiative WWL und der Einschaltung des Versandhaus-Chefs Michael Otto als Schlichter bei diesem ersten Schritt einer gemeinsamen Schule für Alle, besserte aber durch Einführung des Elternwahlrechts nach. Auch der dringende Appell der einflussreichen Handelskammer in letzter Minute bewirkte nicht ihr Einknicken, steigerte aber die Unruhe im rechten Rand der CDU. Bürgermeister von Beust kritisierte öffentlich die Elite, die nur an ihre eigenen Kinder dächte. Er wolle nicht, dass erst die Vorstädte brennen wie in Paris.

Um nichts in der Welt wollte WWL die flächendeckende Einführung der Primarschule. Sie erklärten das Scheitern der Verhandlungen. Die Zeichen wurden auf Volksentscheid gestellt.

• Nun holte Ole von Beust die beiden Oppositionsparteien SPD und Linke mit ins Boot für die Primarschule. In der nächsten Woche nun ändern CDU/GAL/SPD und Linke gemeinsam das gerade beschlossenen Schulgesetz erneut: Einführung der Primarschule bis Klasse 6 jetzt mit Elternwahlrecht (also können Schüler auch entgegen der Schulempfehlung ans Gymnasium wechseln), Wiederabschaffung des Büchergeldes, Senkung der Klassenfrequenzen bis auf 19 Schüler in Problemgebieten. Zusätzlich wird ein Sonderausschuss der Bürgerschaft eingesetzt, der laufend die personellen, räumlichen und qualitativen Bedingungen evaluiert. Zusatzkosten: 25 Millionen Euro pro Jahr, Tendenz steigend. Also: CDU/GAL/SPD/Linke gegen Scheuerl, Springer und das große Geld.

Und nun ist der Schulkampf losgebrochen: Mit Tönen, die an Haider und Berlusconi erinnern, verteidigt die Elite ihr Bildungsprivileg, das ja noch nicht einmal beseitigt, sondern nur angekratzt wird. Da werden der Untergang des Abendlandes beschworen, die Zerstörung des humanistischen Gymnasiums befürchtet, der CDU-Bürgermeister als Anführer der Volksfront bezeichnet. In den Clubs an der Alster, beim Klipper Hockeyclub und Jacobs in Nienstedten rumort es. Schon stürzt die CDU in Meinungsumfragen um 14,6% ab. Die FDP, mit 4,6% seit der letzten Wahl nicht in der Bürgerschaft vertreten, steigt auf 9%. Sie unterstützt Scheuerl. Die SPD, deren Führung sich noch vor 14 Tagen gegen die Primarschule ausgesprochen hatte, schwenkt um, während andere Scheuerl unterstützen. Auch sie sackt in der Wählergunst ab: von 34% auf nun 28%.

Es geht fast schon nicht mehr um diese zwei Jahre längeren gemeinsamen Lernens, sondern darum, ob ein kleiner, nachholender Modernisierungsreformschritt von der Geldelite im Verein mit der Springerpresse verhindert werden kann. Ob Reform in Richtung mehr sozialer Gerechtigkeit möglich bleibt. Ob ein Reformbündnis aus einem aufgeklärten Teil des Bürgertums, einem Teil der Sozialdemokratie, der Mehrheit der CDU, Gewerkschaften, Wissenschaftlern, den Linken und Schüler- wie Lehrerkammer die Klugheit aufbringen, zusammenzuhalten, die Kraft entfalten, eine Mehrheit von 250.000 Wahlberechtigen in Hamburg zum Volksentscheid an die Wahlurne zu bringen und gegen Scheuerl zu stimmen. Die spannende Frage, ob der Aufstand der Elbvororte und aus dem Alstertal/den Walddörfern, wo nur 5% der Kinder unter sechs Jahren von Sozialhilfen leben, mit einem Aufstand der Hamburger Banlieus, wo 50% der unter Sechsjährigen auf öffentliche Hilfe angewiesen sind, beantwortet wird. Ob die Unterschicht und die Migrantinnen kämpfen. Die Einzigen, die in diesen Vierteln etwas tun können, sind die Linken. Die anderen haben dort wenig Einfluss. Dafür muss die Linke sich aber erst einmal daran gewöhnen, dass es Konstellationen gibt, in denen ein gesellschaftlicher Reformschritt eben auch mit einer Reform-CDU gegangen werden kann, den eben die neoliberal verkommene SPD noch verhindern wollte. 25 Millionen Euro pro Jahr mehr für Bildung, das ist was. Büchergeld mit der CDU wieder abgeschafft, wo es anderswo sogar unter Mitwirkung von Linken eingeführt wurde, hat sogar etwas Pikantes. Zwei Jahre längeren gemeinsamen Lernens für Alle als erster Schritt - dafür lohnt der Einsatz. Und wenn das jetzt in Hamburg nicht durchgesetzt werden kann, wo denn dann? In NRW und Bayern z.B. hält die CDU ja immer noch erbittert an der Dreigliedrigkeit im Schulsystem fest. Von Klassenfrequenzen mit 19 Schülern träumt man anderswo. Es lohnt also, den Schulkampf aufzunehmen und als Klassenkampf von oben einzuschätzen.

Die Frage, ob unsere Gesellschaft trotz tiefer Krisen überhaupt noch fähig zu sozialen Reformen ist, steht zur Entscheidung.

Horst Bethge (Mitglied des Landesvorstandes und des Sprecherteams der AG Bildungspolitik)    LBHH, Nr. 4, 4.3.10

Raute

Bremer Studie zur Zukunft der beruflichen Bildung:

"Duale Berufsausbildung: Qualität rechnet sich"

Unter diesem Titel beschäftigt sich Felix Rauner von der Fachgruppe Berufsbildungsforschung an der Universität Bremen mit der Zukunft der beruflichen Bildung.

Die berufliche Bildung befindet sich in einer schweren Krise. Während auf der einen Seite immer weniger Jugendliche in immer höherem Alter eine qualifizierende Ausbildung finden, finden sich immer mehr nach der Sekundarstufe I in Berufsfachschulen u.ä. Warteschleifen wieder. Im dualen System sinkt seit Jahren die Dauer und damit die Qualität der beruflichen Ausbildung in Betrieb und Schule. In Berufsfachschulen werden Bildungsgänge zunehmend gekürzt, ganz abgeschafft oder immer mehr an allgemeinbildenden Aspekten ausgerichtet.

Verknüpft ist diese Entwicklung mit der Herausbildung modularisierter Systeme, die von Beruflichkeit und längerer Ausbildung in Betrieben Abschied nehmen, um einen weitgefächerten Qualifizierungsmarkt einzuführen, auf dem vielerlei "credit points" zu erwerben seien. Ergebnis wird voraussichtlich eine (weitere) Dequalifikation von Arbeitskräften sein.

Gegenüber dieser Entwicklung weist Rauner u.a. darauf hin:

- Eine qualitativ hochwertige Ausbildung, die sich auf betriebliche wertschöpfende Prozesse fokussiert und für den Betrieb Erträge bringen kann, steigert die berufliche Identität, und das berufliche Selbstbewusstsein.

- Es gibt eine enge Verknüpfung einer hohen Ausbildungsqualität mit einer rentablen sich zumindest selbst finanzierenden Ausbildung.

- Eine Orientierung auf zunehmende Verschulung der Berufsausbildung, lehrgangsförmiges Lernen im Betrieb und die Vorbereitung auf extern definierte Prüfungen ist kontraproduktiv.

- Die Produktivität von Unternehmen in Ländern mit einer hoch entwickelten dualen Berufsausbildung liegt höher als in Ländern, die über Module oder nur schulisch ausbilden.

- Kurzausbildungen unterhalb von drei Jahren, die von vielen Seiten forciert werden, führen zu keiner ausreichenden berufsfeldweiten Qualifikation der Auszubildenden, da eine viel zu enge Spezialisierung erreicht wird. Diese Ausbildungen ermöglichen den Unternehmen auch keine echten Nettoerträge.

- Eine weitgehende Aufsplitterung von Ausbildungsberufen führt zu weiteren Problemen wie Fokussierung auf ein einzelnes Unternehmen und geringe Flexibilität.

- Die Berufsschule hat hier die Aufgabe, das in verschiedenen Anwendungsfeldern gemeinsame Wissen zu vermitteln.

- Module und Qualifikationsbausteine vermitteln kein Zusammenhangsverständnis und behindern die Entwicklung beruflicher Identität.

- Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes setzt funktionierende Facharbeitsmärkte voraus und diese erfordern berufliche Kompetenzen, die in "breitbandigen Berufen" erworben werden können.

Rauner widerspricht einer Auffassung der dualen Berufsausbildung als sozialpolitisches Projekt wie auch einer Kritik an der dualen beruflichen Ausbildung als reiner Profit- und Unterdrückungsmaschine. Diese Ansichten sind wahrscheinlich stark überholungsbedürftig.

Die FG Berufsbildungsforschung der Uni Bremen hat über längere Zeit den Zusammenhang zwischen Kosten und Nutzen von Berufsausbildung untersucht.

Am Selbstevaluationsinstrument "Qualität - Erträge - Kosten" (QEK) haben bis 2008 über 250 Unternehmen in der Bundesrepublik teilgenommen.

Zur Abschätzung der Ausbildungsqualität und -rentabilität wurde von zwei Einsichten ausgegangen:

"(A) Kosten, Nutzen und Qualität der Berufsausbildung hängen miteinander zusammen. Dieser Zusammenhang kann aufgedeckt werden.

(B) Eine hohe Ausbildungsqualität kann durch eine betriebliche Berufsausbildung erreicht werden, in deren Zentrum das Lernen in realen, wertschöpfenden und zugleich die Kompetenzentwicklung herausfordernden Arbeitsaufgaben steht." (Rauner 2007, S. 9)

Die produktive Leistung von Auszubildenden in einem dreijährigen Ausbildungsberuf nimmt erst langsam dann im zweiten Jahr schneller und im dritten Jahr wieder langsamer zu und nähert sich dann dem Niveau von Fachkräften.

Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt in einer Vier-Felder-"Qualitäts-Rentabilitätsmatrix". Grundsätzlich sind sie folgendermaßen darstellbar:

Von einem niedrigen Ausgangspunkt im ersten Ausbildungsjahr (geringe Qualität und kaum vorhandene Erträge) wird im dritten Jahr eine relativ hohe Rentabilität erreicht. Die betrieblichen Aufgaben unterfordern aber die Auszubildenden. Durch zeitaufwendige Prüfungsvorbereitung fällt im vierten Jahr die Rentabilität stark und die Qualität leicht ab.

In dieser Matrix sind dann Ergebnisse für jeden Betrieb darstellbar.

Anhand der dargestellten Ergebnisse lässt sich sagen, dass die von der Mehrheit der Parteien angestrebte Modularisierung der beruflichen Ausbildung gerade Qualitätsgesichtspunkte nicht berücksichtigt. Reformen sind aber trotzdem dringend - gerade in Anbetracht der oben dargestellten Punkte. So wären zweijährige Kurz- und auch Schmalspurausbildungen abzuschaffen und die Aufsicht der Kammern über die Berufsausbildung wäre zu diskutieren, um eine Orientierung an einer hochqualitativen sich selbst finanzierenden mindestens dreijährigen Ausbildung zu erreichen.

Warum soll ein Unternehmen dann damit keinen Gewinn machen dürfen? Die beliebte "Ausbildungsplatzabgabe" wäre dann von Unternehmen zu fordern, die diese Punkte nicht einhalten. Aber was finanziert man dann damit?    wjo


(Quellen: Felix Rauner: "Kosten, Nutzen und Qualität der beruflichen Ausbildung"; ITB-Forschungsberichte 23/2007; Felix Rauner: "Lässt sich die berufliche Bildung modularisieren?" Vortragsmanuskript/Tagung der IG Metall v. 9/10.2.2010; Rauner: "Duale Berufsausbildung: Qualität rechnet sich; Vortragsmanuskript v. 22.2.2010; z. Teil zu finden unter www.ibb.unibremen.de)

Raute

Baden-Württembergs Werkrealschulen sollen Hauptschule erhalten

Verbindung mit Berufsschule als Ausweg?

Die Fraktionsgemeinschaft SÖS und Linke im Stuttgarter Gemeinderat hatte für den 22. Februar zu einer öffentlichen Sitzung zum Thema Werkrealschulen eingeladen.

Das Thema brennt auch in Stuttgart vielen Eltern und Schülern sowie Lehrern auf den Nägeln: Welche Hauptschule wird zur Werkrealschule, welche bleibt, wie sie ist, welche wird geschlossen. Die Schulbürgermeisterin Dr. Eisenmann (CDU) hat es sich bislang einfach gemacht: Sie hat die Vorgaben des Kultusministeriums einfach eins zu eins umgesetzt - Hauptschulen, in denen es für jede Altersstufe mehrere Klassen gibt, richten ein zehntes Schuljahr als Werkrealschule ein; Hauptschulen, die nur einzügig sind, erhalten diese Möglichkeit nicht. Daher gibt es jetzt in einigen Stadtgebieten Unruhe, weil dort keine Werkrealschule entsteht: Müssen jetzt die Kinder in andere Stadtteile fahren?

Daher fand die Anhörung Interesse bei doch einigen Bezirksbeiräten von SÖS und Linke. Die Informationen, die sie erhielten, waren äußerst sachkundig. Stadträtin Ulrike Küstler, die die Veranstaltung moderierte, konnte als Referenten Erhard Korn, Rektor einer Grund- und Hauptschule in Steinheim, Kreis Ludwigsburg, vorstellen. Aus der GEW war die Stuttgarter Kreisvorsitzende Annemarie Raab anwesend, sie ist ebenfalls an einer Hauptschule tätig. Der Vertreter der Rektoren der beruflichen Schulen im Schulbeirat des Gemeinderats ergänzte die Expertenrunde auf Lehrerseite - er unterrichtet an einer Berufsaufbauschule. Eine Vertreterin des Gesamtelternbeirat brachte die Meinungen der Eltern ein.

Erhard Korn stellte eindringlich die Situation an den Hauptschulen vor dem Hintergrund insgesamt sinkender Schülerzahlen und abnehmender Übergangsquoten dar und charakterisierte die Werkrealschulen als Sackgasse baden-württembergischer Schulpolitik (siehe auch untenstehenden Artikel von Erhard Korn).

In den ergänzenden Beiträgen und der Diskussion kamen zahlreiche interessante Details zur Sprache, die vor allem deutlich machen, dass in einem so komplexen System wie dem Schulwesen, Änderungen sorgfältig bedacht werden müssen. Denn alle Umstellungen betreffen Lebenswege von vielen Menschen. Es war nicht zu überhören, dass das Kultusministerium mit den zahlreichen Umbauten, ohne am grundsätzlichen System etwas zu ändern, für erhebliche Unruhe gesorgt hat.

So mussten zum Beispiel in der Berufsaufbauschule in einer Klasse fünf verschiedene Zeugnisse ausgestellt werden, weil die Schüler entsprechend fünf verschiedenen Verordnungen ihre Schullaufbahn durchlaufen haben.

Dennoch scheint das berufliche Schulwesen in Baden-Württemberg ein gangbarer Weg für viele Schüler zu sein, die die Schullaufbahn Hauptschule durchlaufen haben. So berichtete der Rektor der Berufsaufbauschule, dass immerhin jedes dritte Abitur in Baden-Württemberg über die beruflichen Schulen erworben wird und sogar jede zweite Hochschulzugangsberechtigung - ein Fakt, der beim Umbau der Schulen in Richtung weniger soziale Auslese beachtet werden sollte.

Denn eine integrative Schulform mit allen Schulen unter einem Dach löst ja noch nicht das Problem, wie möglichst alle der unbestritten unterschiedlichen Schüler ihre Schule erfolgreich beenden können - ganz abgesehen von der Frage, was eigentlich eine erfolgreiche Schullaufbahn beinhalten soll.

Alfred Küstler


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Bildungspolitik des Landes in der Sackgasse Werkrealschule produziert neue Verlierer

Erhard Korn, in Die Linke Landesinfo Baden-Württemberg

75% der 1200 Hauptschulen in Baden-Württemberg sind inzwischen so klein, dass sie vom bevorstehenden Schülerrückgang in ihrer Existenz bedroht sind. Während andere Bundesländer die Schularten verbinden, geht Baden-Württemberg einen Sonderweg, der sich bald als Sackgasse der Schulentwicklung erweisen wird.

Neben kleinen Hauptschulen soll es nämlich ab dem Schuljahr 2010/2011 große "Werkrealschulen" geben, die mit den beruflichen Schulen verbunden werden. Die Schüler und Schülerinnen der 10. Klassen fahren dann an zwei Tagen in der Woche zu den Berufsschulen. Schon in den Klassen 8 und 9 sollen drei Wahlpflichtfächer darauf vorbereiten. Um alle drei anbieten zu können, müssen Werkrealschulen mindestens zweizügig sein. Daher ist das Konzept auch ein Schließungsprogramm für viele kleine Standorte im Land. Meist wird es zu größeren Klassen und ungünstigeren Bedingungen kommen.

Statt eine Schulentwicklungsplanung zu betreiben, sollen die verbleibenden Standorte um die Schüler und Schülerinnen konkurrieren. Anträge von Gemeinden, die auf integrative Lösungen zielen, werden vom Land rigoros abgelehnt, so in Mulfingen oder Karlsruhe.

Zusätzliche Chance nur für wenige - dafür neue Verlierer

Angeblich ist die Werkrealschule ein durchgängiger Bildungsgang, der zur Mittleren Reife führt. In Wirklichkeit gibt es zwischen den Klassen 9 und 10 weiterhin eine Notenhürde, so dass sich die Chancen der Hauptschülerinnen und Hauptschüler nicht wesentlich verbessern. Zwar wurde der verlangte Notenschnitt abgesenkt, dafür zählen aber nur noch das Profilfach und die Hauptfächer, in denen die Anforderungen erhöht werden. Die allermeisten Schülerinnen und Schüler werden weiterhin nur den Hauptschulabschluss erreichen. Sie werden künftig erst recht als diejenigen dastehen, die "es nicht geschafft haben". Ein Förderkonzept für diese Gruppe fehlt völlig. Das von der GEW schon lange geforderte 10. Schuljahr zur Chancenverbesserung für die Schwächeren wird weiterhin rigoros verweigert.

Von einem "durchgängigen Bildungsgang" kann auch deshalb nicht gesprochen werden, weil viele Werkrealschulen auf verschiedene Standorte verteilt werden und die Schüler mindestens zweimal die Schule wechseln.

Profilfächer ohne Vorbereitung, Allgemeinbildung amputiert

Neu sind in Klasse 8 und 9 die zweistündigen Wahlpflichtfächer "Natur und Technik", "Wirtschaft und Informationstechnik" und "Gesundheit und Soziales", in denen Inhalte des ersten Lehrjahrs vermittelt werden sollen. Ohne Vorbereitung der Lehrkräfte in völlig neuen Bereichen wie Fahrzeugtechnik und Bauwesen werden diese Fächer im September starten. Massive Kürzungen wird es in Klasse 10 bei Themen geben, die für die Zukunft unserer Demokratie elementar sind. Nach 1945 kommt nur noch die europäische und deutsche Einigung vor; selbst China ist nicht als Thema für Werkrealschüler vorgesehen. Fatal ist auch, dass ausgerechnet bei dieser Schülergruppe nur noch eines der Fächer Musik, Kunst oder Sport gewählt werden muss.

Demokratie mangelhaft

Vorteile für die "normalen" und schwächeren Hauptschüler sind in der Summe nicht zu erkennen. Die Unsicherheiten für die Gemeinden werden schon in wenigen Jahren erneut auftreten, da jetzt gebildete zweizügige Werkrealschulen als Folge des weiteren Schülerrückgangs nur noch einzügig sein werden. Da auch in Realschulen und Gymnasien die Schülerzahlen zurückgehen, wird eine wohnortnahe Schule auf dem Land und in den Stadtteilen oft nur durch integrative Lösungen möglich sein. Fast alle Bundesländer gehen diesen Weg, auch viele Städte in Baden-Württemberg haben beantragt, solche Wege wenigstens als Schulversuch angehen zu können.

Erlaubt wurde das allerdings nicht den demokratisch gewählten Vertretern der Bürger, sondern nur dem Milliardär Würth, der eine solche integrative Schule in Künzelsau aufbaut und sich dafür vom geschassten Kultusminister Rau loben ließ.

Raute

Iran: Vorsitzender der iranischen Zuckerarbeitergewerkschaft immer noch im Gefängnis

Während vier verurteilte Führungskräfte der unabhängigen Zuckerarbeitergewerkschaft Haft Tapeh im Iran jetzt freigelassen wurden, bleibt der Vorsitzende Ali Nejati weiter im Gefängnis, wo er wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" noch zwei Jahre oder länger zubringen könnte. Reza Rakhshan, der Kommunikationsbeauftragte der Gewerkschaft, wartet immer noch auf das endgültige Strafmaß im Zusammenhang mit seiner Verurteilung wegen ähnlicher Anklagen im vorigen Jahr.

Nejati sitzt gegenwärtig eine einjährige Strafe ab und hat eine weitere Strafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten.

Gorban Alipour und Mohammad Heidari wurden entlassen, nachdem sie ihre Strafe ganz oder zum Teil abgesessen hatten; Jali Ahmadi und Feridun Nikfar wurden bedingt auf Bewährung entlassen, nachdem sie einen Teil ihrer Strafen verbüßt hatten.

Nichts hat sich in Haft Tapeh geändert, wo die Arbeitnehmer seit der Inhaftierung der Gewerkschaftsführer immer wieder zu spontanen Kampfmaßnahmen greifen mussten, um die Zahlung ihrer Löhne zu bewirken.

Reza Rakhshan, der Kommunikationsbeauftragte der unabhängigen Zuckerarbeitergewerkschaft Haft Tapeh im südlichen Iran, wurde am 4. Januar von Sicherheitsbeamten an seinem Arbeitsplatz verhaftet und erst am 20. Januar aus dem Gefängnis Schusch entlassen, nachdem man ihn wegen seiner Gewerkschaftstätigkeit der "Gefährdung der nationalen Sicherheit" angeklagt hatte.

Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung wartete Rakhshan immer noch auf das endgültige Strafmaß für die Verurteilung im vorigen Jahr aufgrund ähnlicher Anklagen, wegen der fünf andere Gewerkschaftsführer ins Gefängnis kamen. Wie im Fall des Gewerkschaftsvorsitzenden Ali Nejati bedeuten die neuen Anklagen, dass er aufgrund von Mehrfachverurteilungen für lange Jahre ins Gefängnis kommen könnte. Der 39 Jahre alte Gewerkschaftsbeauftragte ist verheiratet, hat ein Kind und arbeitet seit fünf Jahren bei Haft Tapeh.

Rakhshans Verhaftung lässt erkennen, dass das Regime entschlossen ist, die Haft Tapeh Gewerkschaft, deren bloße Existenz die Grundlagen autokratischer Herrschaft im Iran bedroht, zu zerschlagen. Das Schicksal der inhaftierten Transportarbeiter- und Lehrergewerkschaftsaktivisten zeigt, dass die Gefangenen von Haft Tapeh mit anhaltenden physischen und psychischen Schikanen rechnen müssen. Deshalb fordert die IUL alle, die für demokratische und gewerkschaftliche Rechte eintreten, auf, zu ihrer Verteidigung mobil zu machen.

Quelle: iuf@iuf.org 17.2.2010

Raute

Beendigung des Streiks bei südafrikanischem Coca-Cola

Mit einer Einigung zwischen den Konfliktparteien konnte der siebenwöchige Streik der FAWU bei ABI, einem zu SAB gehörenden Coca-Cola Abfüller in Südafrika, am 9. Februar beendet werden. Im Rahmen der Einigung haben die FAWU und ABI vereinbart, spätestens Ende März landesweite Gespräche zu beginnen, um den Einsatz von Arbeitsvermittlern, Leiharbeitern und selbständigen Fahrern im Unternehmen zu erörtern. Die FAWU, deren grundsätzlicher Widerstand gegen den Einsatz von Leiharbeitern in der Einigung festgehalten wurde, hat deutlich gemacht, sie werde, sofern bei der Eindämmung prekärer Beschäftigungsverhältnisse bei ABI keine Fortschritte gemacht werden, diese missbräuchlichen Beschäftigungsverhältnisse auch weiterhin in die Öffentlichkeit tragen, auch während der kommenden FIFA-Weltmeisterschaften.

Nach der Vereinbarung erhalten die Arbeitnehmer von ABI eine pauschale Lohnerhöhung von 7,8% und eine höhere Ausbildungszulage sowie verbesserte Leistungen im Rahmen der SAB-Wohnungsbeihilfe. Ein bedeutender Erfolg des Streiks ist auch die Regelung der Überstundenvergütung. Ab sofort gilt die Arbeit von Montag bis Freitag als normale Arbeitszeit, während Arbeitszeiten an Wochenenden (Samstagarbeit) als Überstunden vergütet werden, was eine deutliche Einkommenssteigerung bedeutet.

Die Einigung sieht auch Maßnahmen vor, um Arbeitnehmer im Fall rechtmäßiger Streiks vor einer Bestrafung zu schützen. Alle Disziplinarmaßnahmen, die das Unternehmen wegen vorgeblicher Gewalttätigkeiten ergreifen will, unterliegen der Aufsicht durch einen unabhängigen Vermittler, um die Rechtmäßigkeit des Vorgehens zu gewährleisten. Ferner enthält die Einigung Bestimmungen, um Gelegenheitsarbeiter gegen Disziplinarmaßnahmen und Beschäftigungsverlust wegen der Beteiligung an dem Streik zu schützen.

Der FAWU-Generalsekretär Katishi Masemola gratulierte den Mitgliedern wegen ihres schwierigen siebenwöchigen Kampfes, mit dem sie ihre Forderungen als Streikposten und bei Massenversammlungen unterstützt hatten, und dankte wärmstens den Vielen, deren Solidarität und deren Botschaften an das ABI-Management dazu beigetragen hatten, die Einigung zu erzielen.

Quelle: iuf@iuf.org 17.2.2010

Raute

AUSLANDSNACHRICHTEN

Demonstration gegen Hausräumungen in Ost-Jerusalem

Am 6.3. kam es zu der bisher größten Demonstration gegen die Vertreibung palästinensischer Familien aus dem Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheik Jarrah. Bis zu 8000 Menschen, Palästinenser und linke jüdische Israelis, versammelten sich unter roten, palästinensischen und israelischen Fahnen und Parolen wie "Stoppt die Zerstörung von Häusern". Schon seit Monaten protestierten hier immer wieder Hunderte von Menschen. Im letzten Jahr hatte der Jerusalemer Gerichtshof bestimmt, dass Vertreter des sephardischen Gemeindekomitees das Recht haben, die Wohnungen der Harun- und Gawi-Familie zu übernehmen, die dort seit 1956 lebten. Die jordanische Regierung hatte damals die Häuser in Sheik Jarrah zusammen mit der UNO für palästinensische Flüchtlinge gebaut, jedoch entgegen den Zusagen die Besitzrechte nicht auf die Familien übertragen. Seit den 1970er Jahren beanspruchen jüdische Siedlerorganisationen das Land für sich, mit der Begründung, dass der Boden, auf dem die Häuser stehen, vor 1948 in jüdischem Besitz war. Im letzten Sommer erhielten die beiden Familien den Räumungsbefehl; weitere 21 Familien kämpfen zurzeit um ihren Verbleib bzw. warten auf ein entsprechendes Verfahren. Israelische Menschenrechtsorganisationen kritisieren ein doppeltes, ungleiches Rechtssystem, das zwar Juden aufgrund alter Besitzansprüche eine Rückkehr ermöglicht und dafür Palästinenser vertreibt, die alten Besitzansprüche palästinensischer Flüchtlinge umgekehrt jedoch nicht anerkennt. Deshalb sehen nicht nur Palästinenser, sondern auch viele jüdische Israelis die Auseinandersetzung als wegweisend an: Werden die Palästinenser aus Ost-Jerusalem vertrieben, um einen palästinensischen Staat mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem unmöglich zu machen? - Die bisher größte Demonstration fand unter massiver Polizeibegleitung statt. Zunächst hatte die Polizei versucht, die Demonstranten in ein kleines Stadion in einiger Entfernung zum Ort der Auseinandersetzung zu verbannen. Das Oberste Gericht hob die Entscheidung jedoch auf und ermöglichte wenigstens 300 Demonstrierenden, zum Abschluss eine Kundgebung vor den umkämpften Häusern durchzuführen.
(Quelle: Jerusalem Post, Haaretz)


Britischer Verweigerer Joe Glenton zu neun Monaten Haft verurteilt

Am 5. März 2010 wurde der britische Afghanistankriegsverweigerer Joe Glenton zu einer neunmonatigen Haftstrafe wegen "unerlaubter Abwesenheit" verurteilt. Joe Glenton verließ 2007, traumatisiert durch den siebenmonatigen Kriegseinsatz in Afghanistan, seine Einheit. Zwei Jahre später stellte er sich und machte seine Verweigerung bei einer Demonstration in London öffentlich. Das Militär reagierte harsch: Da es ihm zuvor jede öffentliche Äußerung untersagt hatte, klagte es ihn nun wegen fünfmaliger Befehlsverweigerung an und nahm ihn in Haft. Erst nach einem Monat wurde er auf Kaution mit der Auflage aus der Haft entlassen, sich nicht weiter öffentlich zu äußern. In einer Vorverhandlung im Februar 2010 wurden die Anklagen wegen Befehlsverweigerung zurückgezogen, die Anklage wegen Desertion wurde auf unerlaubte Abwesenheit reduziert. Joe Glenton wurde nun verurteilt, obwohl der Gutachter Lars Davidsson posttraumatische Störungen festgestellt hatte, die Glenton aufgrund seines Einsatzes in Afghanistan erlitten hat. Vor dem Prozess waren der britischen Regierung mehrere Tausend Unterschriften zur Unterstützung Glentons übergeben worden. Connection e.V. und andere Unterstützungsorganisationen bitten weiterhin um Solidaritätsschreiben, u.a. über die Website www.ConnectioneV.de/aktion-gb.php


Heftige Kritik an Nato-Vorgehen in Marjah

Wie die "Neue Zürcher Zeitung" jetzt meldet, wurde der afghanische Präsident Karzai bei seinem Besuch der Stadt Marjah in der Provinz Helmand mit heftiger Kritik am Vorgehen der Nato konfrontiert. Die 300 Ältesten der Stadt, die bis zur jüngsten Eroberung als "Hochburg" der Aufständischen galt, kritisierten die Rücksichtslosigkeit der Nato- und afghanischen Truppen gegenüber der Zivilbevölkerung, insbesondere die Festnahme von Zivilisten, brutale Hausdurchsuchungen und zahlreiche Plünderungen.


Italien: Hungerstreik in Abschiebehaft

Am 4.3. haben Frauen und Männer in der Abschiebehaft Via Corelli in Mailand einen Hungerstreik begonnen. Sie protestieren gegen die Zustände in der Haft und die verlängerten Haftzeiten. Außerdem gegen die Verhaftung von Unterstützern in Turin. Der Hungerstreik hat sich inzwischen ausgeweitet auf die Abschiebehaftanstalten in Bologna, Gradisca, Turin und Rom.


Auch Belgien: Nach dem DTP-Verbot wird Kurdenverfolgung weiter verschärft

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am 7.3. in Brüssel gegen eine landesweite Razzia gegen kurdische Einrichtungen, u.a. das Studio und die Büroräume des Senders Roj TV und die Europavertretung der legalen BDP, und gegen die Festnahme von zunächst 30 Kurden. Gegen acht wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Mehrere hundert vermummte Polizisten waren bei den Razzien im Einsatz, allein 300 bei Roj TV. Hier verwüsteten sie die Räume und richteten einen Sachschaden von über einer Million Euro an. Schon am 26.2. waren in Italien 76 kurdische Aktivisten festgenommen worden, danach rund 30 in Frankreich. Yekom ruft dazu auf, gegen die Repression zu protestieren und die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit zu verteidigen.

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REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES

AKTIONEN ... INITIATIVEN


Chemnitz Nazifrei für ein friedliches und tolerantes Sachsen

CHEMNITZ. Am 5. März um 16 Uhr versammelten sich rund 1500 Chemnitzer und andere Sachsen auf dem Theaterplatz in Chemnitz, um zu zeigen, dass hier kein Platz für Nazis ist und ihre geschichtsverzerrende Sicht nicht der Wahrheit entspricht. Zeitgleich fand am Bahnhof die Demonstration "Das Tränenmeer trockenlegen" statt. Oberbürgermeisterin Ludwig rief zu einer Blockade auf, und rund 1000 Gegendemonstranten sperrten auf der Georgenstraße den Weg des Gedenkmarsches ab. Die geplante Route des Naziaufmarsches wurde somit erfolgreich blockiert. In dem Aufruf für die Aktionen heißt es: "Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg begonnen. Dabei wurden europäische Städte wie Coventry, Rotterdam, Warschau und Leningrad zerstört. In Reaktion darauf wurden deutsche Städte von den Alliierten bombardiert, wie zum Beispiel Chemnitz in der Nacht vom 5. März 1945. Das Bombardement, dem beispiellose Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands an anderen Menschen vorausgegangen waren, forderte zahlreiche Tote und prägte nachhaltig das Bild unserer Stadt. Am Ende der alliierten Einsätze stand im Mai 1945 die Befreiung der Menschen vom Nationalsozialismus. Lassen Sie nicht zu, dass Nazis der Bombardierung gedenken, um ihre menschenverachtenden Ideologien zu verbreiten. Wir fordern die Menschen in unserer Stadt auf, an diesem Tag gegen Krieg und Menschenverachtung einzutreten und ein friedliches, tolerantes sowie weltoffenes Chemnitz zu repräsentieren." Das geschah dann auch ähnlich erfolgreich wie in Dresden.
http://chemnitz-nazifrei.de


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Duisburg stellt sich quer

DUISBURG. Die Vorbereitungen für die Proteste gegen den geplanten Anti-Islamisierungskongress von Pro NRW mit Sternmarsch in Duisburg laufen auf Hochtouren. Ein breites Bündnis ruft dazu auf, sich "querzustellen". Hier der Aufruf:

Am 27./28. März 2010 werden wir zusammen mit tausenden von Menschen den Naziaufmarsch von Pro NRW und NPD in Duisburg verhindern. Die rechtspopulistische Partei Pro-NRW und die faschistische NPD kündigen an, am 27. und 28.3.2010 Aufmärsche gegen die Duisburger Merkez-Moschee durchzuführen. Pro-NRW und NPD wollen wie in der Schweiz ein Minarettverbot durchsetzen. RassistInnen und NeofaschistInnen aus Deutschland und ganz Europa sind zu ihren Aufmärschen bereits eingeladen. Wir stellen uns allen RassistInnen und NeofaschistInnen entgegen, egal woher sie kommen! Die rassistische Hetze von Pro-NRW und NPD zielt darauf ab, die Vorurteile und Ängste gegenüber Menschen islamischen Glaubens für ihre Ziele zu nutzen. Dabei greifen sie eine antiislamische Debatte auf, welche aus der Mitte der Gesellschaft angestossen wird. Während die NPD offen nationalistisch und rassistisch auftritt, versucht Pro-NRW nach außen den bürgerlichen Schein zu wahren. Sie entlarven sich jedoch selbst durch Personen in der Führungsriege, die eine einschlägige faschistische Vergangenheit haben. Hinter der scheinbaren bürgerlichen Fassade versteckt sich eine tiefe Verachtung, die sich in Wirklichkeit gleichermaßen gegen Muslime, MigrantInnen und Hartz IV-Betroffene richtet. Im Jahr 2010 werden wir Duisburgerinnen und Duisburger gemeinsam mit allen antifaschistischen Kräften aus den Gewerkschaften, Parteien, Jugend- und Studierendenverbänden, der Friedens- und Umweltbewegung, der radikalen Linken, globalisierungskritischen Gruppen und anderen Aktionsgruppen aus ganz NRW den Aufmarsch der Nazis und RassistInnen verhindern. Nie wieder werden wir den AnhängerInnen des verbrecherischen Nazi-Regimes, rechtspopulistischen Parteien oder Bürgerbewegungen unsere Städte überlassen! Im Jahr 2005 haben tausende Menschen gegen den Naziaufmarsch in Duisburg Marxloh demonstriert und diesen verhindert. In diesem Jahr wollen wir uns wie in Jena, Köln und Berlin bereits erfolgreich durchgesetzt, auch in Duisburg durch Aktionen des zivilen Ungehorsam mit Massenblockaden den Nazis entgegen stellen und sie blockieren. Dieses Ziel eint uns über alle sozialen, politischen oder kulturellen Unterschiede hinweg. Wir sind bunt und wir stellen uns dem braunen Mob in den Weg. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen. Dabei sind wir solidarisch mit allen, die mit uns dieses Ziel teilen und dem Naziaufmarsch in Sicht- und Hörweite entgegen treten wollen. Wir Duisburgerinnen und Duisburger laden über unsere Stadtgrenzen hinaus alle antifaschistischen Kräfte dazu ein, jetzt gemeinsam mit uns die umfassende Aufklärung und Mobilisierung in den Stadtteilen zu beginnen! Unterstützt uns und kommt am 27./28. März 2010 in unsere Stadt - gemeinsam werden wir die Nazis stoppen! Hoch die internationale Solidarität!
www.antifaschistische-nachrichten.de


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Stadtrat: Deutliches Signal gegen Rechtsextremismus

PIRNA. "Rechtsextremismus hat in Pirna keinen Platz!", diese deutliche Botschaft vermittelten der Pirnaer Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen des Pirnaer Stadtrates während der Sondersitzung am 02. März 2010. Im Vorfeld der Stadtratssitzung unterschrieben alle Fraktionen eine Erklärung zu den Vorfällen nach dem 13. Februar in Pirna, in der sie die gewaltsamen Anschläge und Übergriffe in der Stadt Pirna auf das Schärfste verurteilen. Sie forderten darin die Stadträte der NPD auf, sich von den Vorfällen öffentlich zu distanzieren und positionierten sich entschieden gegen die geschehenen rechtsextremen Umtriebe. Damit setzten sie ein sehr deutliches Signal in der ersten Stadtratssitzung des kürzlich neugewählten OB Hanke. Der NPD-Stadtrat Mirko Liebscher verlas eine vorgefertigte persönliche Erklärung, in welcher er sich zur Koordinierung der Busse am Morgen des 13. Februar bekannte. Er sei jedoch erst am Ende der abendlichen spontanen Demonstration mit ausufernden Gewaltexzessen durch die Stadt Pirna hinzugekommen und war nicht an den Geschehnissen am Abend beteiligt. Bei den anschließenden an Herrn Liebscher gerichteten Fragen durch die Stadträte wurde er aggressiv, zeigte wenig rhetorisches Geschick und distanzierte sich sogar von der Internetseite seiner eigenen Partei, was sicherlich bei einigen anwesenden undemokratischen Verbündeten auf Unverständnis stieß. Die Lacher waren dabei auf Seiten der demokratischen Fraktionen. Die Aktion Zivilcourage e.V. freut sich, dass es im Stadtrat von Pirna gelungen ist, gemeinsam und parteiübergreifend deutlich gegen Rechtsextremismus Stellung zu beziehen.
www.aktion-zivilcourage.de


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Friedenskultur.2010 - Unsere Zukunft atomwaffenfrei!

ESSEN. Eingebunden in die Aktivitäten der Stadt Essen als Kulturhauptstadt Europas 2010 und unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, werden vom 19. bis 20. März 2010 im Vorfeld der New Yorker Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages ein internationaler Kongress "Unsere Zukunft atomwaffenfrei" mit prominenten Politikern, Völkerrechtsexperten, Publizisten und Vertretern der weltweiten nuklearen Abrüstung, sowie am 21. März eine Kulturveranstaltung "Künstler für den Frieden" stattfinden. Von der Kulturhauptstadt 2010 soll die Botschaft an die internationale Öffentlichkeit und die Nichtverbreitungskonferenz 2010 ausgehen: "Atomwaffen abschaffen - Unsere Zukunft atomwaffenfrei!". Vier Träger veranstalten die Matinee und den Kongress: Die Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Pax Christi Deutsche Sektion, die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung und das Essener Friedensforum.


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Keine Wegegebühr für Flüchtlinge

HALLE/SAALE. Flüchtlinge brauchen keine Gebühr zahlen, wenn sie einen Antrag zum Verlassen des ihnen zugewiesenen Landkreises stellen, das ist jetzt richterlich bestätigt. Ende Februar 2010 verkündete das Verwaltungsgericht Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) das Urteil. Der Richter Harms erklärte, dass es für die Erhebung einer solchen Gebühr von Flüchtlingen keine gesetzliche Grundlage gibt. Die Ausländerbehörde, die der Verhandlung fernblieb, muss Komi E. den Streitbetrag von 10 Euro zurückerstatten. Der Vizepräsident der Initiative Togo Action Plus hatte 2007 beim Verwaltungsgericht Halle/Saale gegen die Erhebung einer Gebühr von 10 Euro geklagt. Die Ausländerbehörde im Landkreis Saalekreis verlangt diese Gebühr von Flüchtlingen, die den Landkreis verlassen wollen. Die ohnehin rassistische Ausgrenzung von Flüchtlingen in Deutschland durch die Residenzpflicht wird durch diese Gebühr verschärft. Schließlich müssen Flüchtlinge in der Regel von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auskommen. Das sind 185 Euro im Monat, die meist in Sachleistungen und Gutscheinen verrechnet werden sowie ein monatliches Taschengeld von 40 Euro in bar. Da ist eine zusätzliche Wegegebühr von 10 Euro viel Geld. Hinzu kommt die diskriminierende Maßnahme, dass die Flüchtlinge noch dafür bezahlen müssen, wenn sie einen Antrag stellen, damit sie den ihnen zugewiesenen Landkreis verlassen können. Mit der Ablehnung der Gebühr hat Komi E. einen kleinen Erfolg errungen. Aber noch ist die Residenzpflicht, die einmalig in Europa das Recht auf Mobilität für eine ganze Menschengruppe massiv einschränkt, nicht abgeschafft. Die Klage sollte auch die fortdauernde Residenzpflicht anprangern. Das Urteil hat zumindest Mut gemacht, neue Ziele in Angriff zu nehmen.
http://togoactionplus.wordpress.com


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Weitere Aktionen "Wir zahlen nicht für eure Krise"

STUTTGART/ESSEN. Das bundesweite Bündnis "Wir zahlen nicht für eure Krise" hat bei der Aktionskonferenz in Stuttgart für den 12. Juni 2010 bundesweite Demonstrationen parallel in mehreren Städten (voraussichtlich Berlin und weitere, noch zu klärende, Städte) verabredet. Es wird eine Zusammenarbeit und gemeinsame Mobilisierung mit den Bildungsprotesten angestrebt. Darüber hinaus findet vom 31. Mai bis zum 11. Juni 2010 das so genannte Vorbereitungstreffen zur UN-Klimakonferenz in Mexiko Ende 2010, der Nachfolgegipfel nach Kopenhagen statt. Die Klima- und Umweltbewegung plant vielerlei Aktivitäten, u.a. eine große Demonstration am 5. Juni in Bonn. Da die Finanz- und Wirtschaftskrise mit der "Klimakrise" zusammenhängt, sollen die Mobilisierungen nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern zur gegenseitigen Verstärkung.

Zunächst aber findet am 6. März in Nürnberg eine überregionale Demonstration "Die Krise ist noch lange nicht vorbei! Zeit für eine Wende - Zeit für eine andere Welt!", am 20. März in Essen eine landesweite Demonstration "Wir zahlen nicht für Eure Krise! Zwingen wir die Profiteure zur Kasse!" und am 20. März in Stuttgart eine Protestaktion der DGB-Region Nordwürttemberg und Verdi für Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit statt.
www.kapitalismuskrise.org


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Organisationen fordern strengere Regeln beim Sponsoring

BERLIN. Gemeinsam mit Campact, LobbyControl und Transparency International fordert die Organisation "Mehr Demokratie" strengere Regeln zum Sponsoring im Parteiengesetz. Demnach sollen beim Sponsoring die gleichen Veröffentlichungspflichten gelten wie für Parteispenden. Beides soll auf maximal 50.000 Euro pro Jahr und Spender begrenzt werden. Zudem soll ein unabhängiges Gremium die Einhaltung des Parteiengesetzes kontrollieren. "Mit strengeren Transparenzregelungen wäre ein erster Schritt in Richtung einer glaubwürdigeren Politik getan", erläutert Michael Efler, Vorstandssprecher von Mehr Demokratie. "Immer mehr Bürger verlieren das Vertrauen in ihre Volksvertreter, weil die Politik käuflich erscheint." Das könne nur behoben werden, indem jeder Verdacht der Käuflichkeit ausgeräumt werde. In einem eigenen Aufruf geht Mehr Demokratie über die gemeinsamen Forderungen zum Sponsoring noch hinaus. Unter dem Motto "Verbieten Sie Firmenspenden! Für eine unabhängige Politik" können Bürger über www.mehr-demokratie.de Bundestagspräsident Lammert per Unterschrift dazu auffordern, Firmenspenden an Parteien zu verbieten und die Spendenhöhe für Privatpersonen zu begrenzen.
www.mehr-demokratie.de


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KettenreAktion: Atomkraft abschalten!

HAMBURG. Während die Bundesregierung mit den Stromkonzernen über längere AKW-Laufzeiten redet, wollen Zigtausende mit einer 120 Kilometer langen Aktions- und Menschenkette ein starkes "Atomkraftwerke-abschalten!"-Zeichen: vom Schrottreaktor Brunsbüttel an der Elbmündung quer durch Hamburg bis zum Pannen-Meiler Krümmel bilden. Diese "KettenreAktion" wird am 24. April stattfinden, zwei Tage vor dem Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe und zwei Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Um die 120 Kilometer zu füllen, müssen mehrere Zehntausend Menschen an der Aktion teilnehmen. Die Strecke ist in Abschnitte aufgeteilt, die jeweils Partnerregionen aus dem Rest der Republik zugeordnet sind. Mobilisierend wirken soll auch das längste Anti-AKW-Transparent. An allen März-Wochenenden werden aneinander genähte Transparente, die im Herbst zur Belagerung der Koalitionsverhandlungen entstanden sind, zu den vier gefährlichsten Atomkraftwerken reisen: nach Krümmel, Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel. Bei diesen vier Atomkraftwerken entscheiden die kommenden Wochen und Monate darüber, ob sie wieder bzw. weiter laufen dürfen oder nun endgültig vom Netz müssen. Alle vier gehören zu den unsichersten und störungsanfälligsten Reaktoren der Republik.
www.ausgestrahlt.de

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Kölner U-Bahn: zuschütten - weiterbauen und wie?

Die bundesweite Medienberichterstattung über den Bau der Kölner U-Bahn, der Einsturz des Stadtarchivs und die neuen Artikel über den Pfusch und die fehlenden Baukontrollen sind dem Leser der Politischen Berichte sicher bekannt. Hält sich ein Kölner außerhalb seiner Stadt auf, widerfahren ihm ernste Nachfragen und teilweise spöttische Bemerkungen.

Köln ist in aller Munde - Köln ist aber auch überall, titelte eine Zeitung und spielt auf den Pfusch am Bau und den mangelnden Baukontrollen an.

In Köln selber machen sich Wut und Ratlosigkeit breit. Ein Bürgerbegehren gegen den Abriss des Schauspielhauses hat in wenigen Wochen 30.000 Unterschriften erhalten. Praktisch ist die Stadt eine große Baustelle, die noch viele Jahre, mindestens bis 2016 den Kölnerinnen und Kölner erhalten bleiben wird. Auch wenn es sich zum Positiven werden würde.

Da titelte kürzlich das Boulevard-Blatt Express "Ein Drittel der Kölner will die U-Bahn zuschütten".

Mit dem Thema befasste sich auch die Kreismitgliederversammlung der Kölner Linken am 2. März aufgrund eines Initiativantrages von zwei Mitgliedern. In dem Antrag forderten sie die "sofortige Einstellung der Bauarbeiten", die "Aufgabe des U-Bahn-Projektes" und der federführende Konzern Bilfinger&Berger solle enteignet werden.

Vier Mitglieder der Ratsfraktion der Linken brachten einen Ersetzungsantrag ein und einen Bericht über die Arbeit der Fraktion in den letzten Wochen zu diesem Thema. In ihrem Antrag wandten sie sich gegen die Hetze, einzelne Arbeiter für den Pfusch verantwortlich zu machen: "Pfusch und niedrige Qualität haben System auf vielen Baustellen. Auch deshalb kommt den Baukontrollen eine besondere Aufgabe zu." Die Ratsfraktion hatte unmittelbar nach dem Einsturz des Stadtarchivs die Übertragung der hoheitlichen Aufgaben von der Stadt Köln an Private als den entscheidenden Fehler, als Hauptfehlerquelle gesehen.

Auf der Kreismitgliederversammlung der Kölner Linken prallten zwei Meinungen auf einander, von Debatte kann man eigentlich weniger sprechen. Da war eine Gruppe von SAV-Mitgliedern, dem Linke-Bundesvorstandsmitglied Thies Gleis, aber auch andere Mitgliedern, die das Unglück und den Pfusch beim U-Bahnbau politisieren wollen, "die Leute hätten kein Vertrauen mehr in das System".

Und die andere Gruppe, u.a. Jörg Detjen, der Fraktionssprecher, die sehr konkrete Forderungen aufstellten, was sich ändern müsste.

Dabei wurde in der Debatte eigentlich klar, das "Zuschütten" überhaupt keine Lösung ist. Unabhängig davon, dass die Stadt Köln dann die Fördermittel von Bund und Land von ca. 760 Mio. Euro zurückzahlen muss, müsste die U-Bahn rückgebaut werden. Da die U-Bahn zu Dreiviertel fertig ist, würde dies einige Jahre dauern und zusätzlich Kosten verursachen. Entscheidend ist aber, dass das Unglück gar nicht mehr aufgeklärt würde und das System der fehlenden Baukontrollen auch beim Rückbau fehlen würde. Ohne eine Änderung der Baukontrollen ist weder eine Fortsetzung noch ein Rückbau sinnvoll und sicher.

Am Ende der Debatte stellte der Sprecher des Kreisvorstandes Dr. Günter Bell fest, dass die Antragsteller keine inhaltlichen Einwände gegen den Antrag aus der Ratsfraktion erhoben hätten, dann könne man den doch einvernehmlich verabschieden. Das wollten die Antragsteller des U-Bahn-Stopps aber nicht. So wurden die beiden Anträge alternativ abgestimmt. Der Antrag aus der Ratsfraktion bekam mit 31:23 eine Mehrheit.

Jörg Detjen


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Beschluss der Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Köln der Linken

Outsourcen hoheitlicher Aufgabe ist Schuld am U-Bahn-Pfusch und nicht einzelne Arbeiter

Morgen, am 3. März, jährt sich der Einsturz des Stadtarchivs, der unmittelbare Tod von zwei jungen Menschen und der Tod einer alten verzweifelten Frau einige Tage später.

Erst jetzt - ein Jahr später - kommen einzelne Informationen von Pfusch, kriminellen Aktivitäten und schwerwiegenden Verstößen bei der Baukontrolle ans Tageslicht. Dabei wird offensichtlich, dass die ARGE Süd und insbesondere Bilfinger und Berger über Monate ihren Pfusch unter der Decke halten wollten, und dass die KVB ihren Kontrollaufgaben nicht nachgekommen ist.

Bürgerliche Medien und reaktionäre Kräfte machen nun einzelne Bauarbeiter für das Unglück verantwortlich. Dieser Hetze widersetzt sich die Linke.

Das ist keine Erklärung der flächendeckenden Schlamperei auf den Baustellen. Es gab nicht nur technische Mängel, sondern Fälschungen von Protokollen. Sowohl die Eigenkontrolle von Bilfinger Berger als auch die Bauaufsicht der KVB haben komplett versagt.

Dazu kommt, dass der Mindestlohn für das Baugewerbe systematisch unterlaufen wird und mit Billiglöhnen und Sklavenarbeit die Qualität der Arbeiten keinen eigenen Wert mehr darstellt. Pfusch und niedrige Qualität haben System auf vielen Baustellen. Auch deshalb kommt den Baukontrollen eine besondere Aufgabe zu.

Die Linke widersetzt sich dieser Hetze gegen die Bauarbeiter in unserer Stadt und fordert guten Lohn für gute, schwere Arbeit auf den Baustellen.

Die Verunsicherung, die Empörung und der Frust der Kölnerinnen und Kölner sind groß. Wir fordern die Stadt Köln und die KVB auf, alle Fakten auf den Tisch zu legen und dafür zu sorgen, dass die Sicherheit an der gesamten Baustelle gewährleistet ist.

Die Linke-Ratsfraktion hat zusammen mit den Kölner Bundestagsabgeordneten der Linken dazu beigetragen, dass es inzwischen eine bundesweite Diskussion über die Kontrollen auf den Baustellen und die Übertragung der hoheitlichen Aufgaben an Dritte gibt. Für März hat die Bundestagfraktion der Linken einen Antrag in den Ausschuss Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung eingebracht ...

­... Darüber hinaus treten wir grundsätzlich dafür ein:

Ein eigenes Tiefbau-Dezernat mit ausreichend Personal zu schaffen.
Die Bauaufsicht soll von der KVB auf die Stadt Köln übertragen werden.
Die dritte Baustufe der Nord-Süd-Stadtbahn bei der Stadt Köln zu belassen.
Die Ost-West-U-Bahn nie zu bauen. Der beschlossene Planungsstopp muss garantiert werden.
Die Übertragung hoheitlicher Aufgaben zu unterbinden und die Baukontrollen zu verbessern. Dazu wird die Ratsfraktion zusammen mit der Bundestagsfraktion für eine Änderung des § 5 der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab) eintreten.
Gemeinsam mit den Gewerkschaften und Betriebsräten dafür einzutreten, dass die Einhaltung der Mindestlöhne garantiert wird und ausreichende Löhne gezahlt werden.

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Ein NS-Dokumentationszentrum für Württemberg gehört ins "Hotel Silber"!

Die Initiative Gedenkort Hotel Silber kämpft für die Erhaltung der ehemaligen Gestapo-Zentrale und die Errichtung eines NS-Dokumentationszentrums in der Dorotheenstraße. Heute sitzt dort das Innenministerium. Das Land will das Haus und das ganze Areal zwischen dem Kaufhaus Breuninger und dem Alten Waisenhaus abreißen, die Fa. Breuninger plant dort ein Superhotel, Premium-Einkaufszentrum und Büros für das Land. Die alte bürgerliche Stadtratsmehrheit hat das Projekt vorangetrieben, am 10. März werden die Architektenentwürfe vorgestellt werden. Jetzt eilt die Sache, aber sie schien bis zu der Anhörung festgefahren. Denn das Haus ist nicht denkmalgeschützt, und Stadt wie Land behaupten, es sei "nicht authentisch", weil es bei der Bombardierung der Stuttgarter Innenstadt zerstört worden sei. Inzwischen wurden 3.000 Unterschriften gesammelt, die Initiative hat Breuninger öffentlich aufgefordert, zu seiner Vergangenheit als Gewinnler des Naziregimes zu stehen.

Als Linke im Stadtrat habe ich diesen Kampf von Anfang an unterstützt und im Mai 2009 die Errichtung eines Gedenk-, Lern- und Forschungsortes in dem Gebäude beantragt. Im Kommunalwahlkampf hatten Grüne, SPD, Linke und SÖS die Forderung der Initiative unterstützt. Danach behaupteten Grüne und SPD, der Zug sei abgefahren, das Haus nicht mehr zu retten. Ihr Vorschlag war: 100 m² Gedenkraum im Keller des neuen Einkaufszentrums.

Nun hat die Fraktionsgemeinschaft SÖS und Linke die Sache wieder in Bewegung gebracht. Am 22. Februar veranstalteten wir eine öffentliche Anhörung im Rathaus. Ziel war, das Thema im Stadtrat und öffentlich wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Eingeladen waren persönlich alle Stadtratsmitglieder und die Stuttgarter Landtagsmitglieder. Gekommen sind der kulturpolitischen Sprecher der Grünen, Dr. Kienzle, und der SPD, Stadträtin Wüst, sowie insgesamt gut ein Dutzend weitere Stadtratsmitglieder dieser Parteien. Der Saal war mit gut 160 Leuten so voll, das keine Ersatzstühle mehr rein passten und noch zahlreiche Leute stehen mussten. Schon das war ein Erfolg, weil es das große Interesse der Bevölkerung zeigt.

Was die Sache politisch in Bewegung brachte, waren die erschütternden Beiträge der angehörten Expertinnen und Experten. Die Begrüßung im Namen der Initiative kam von Janka Kluge, VVN-BdA. Damit setzten die Initiative und die Fraktionsgemeinschaft SÖS und Linke ein klares Zeichen gegen den Versuch der CDU-Fraktion, die VVN aus Veranstaltungen und dem Rathaus auszugrenzen. Caroline Hatje berichtete stellvertretend für zahlreiche Opfer und deren Angehörige vom Schicksal ihrer jüdischen Großmutter, die vom "Hotel Silber" aus den Weg bis zur Ermordung in Auschwitz gehen musste. Der Abriss des Hauses zugunsten des Da-Vinci-Projekts würde für sie "ein Versagen der Demokratie bedeuten". Der Arzt Dr. Marquart, Mitarbeiter des Stuttgarter Gesundheitsamts, berichtete über die Kindereuthanasie und die Mitwirkung der Stuttgarter Behörden an diesen Kindermorden. Er stellte dar, wie vieles noch zu erforschen und aufzuarbeiten ist und dass ehrenamtliches Arbeit dies nicht allein leisten kann. Joachim Stein vom schwul-lesbischen Zentrum Weissenburg e.V. verwies auf das Schicksal vieler Opfergruppen wie Sinti und Roma. Homosexuelle wurden im "Hotel Silber" von den Nazis gequält und nach dem Krieg im selben Haus von der Kripo verfolgt. Der Leiter des NS-Dokumentationszentrums in Köln stellte fest, dass Stadt und Land ein falsches Verständnis von Authentizität vorschieben, denn die Erinnerung der Menschen knüpft am Ort an und lässt sich nicht einfach wo anders hin verlagern. Genauso wichtig sei aber der Umgang mit der Geschichte, was sich grad am "Hotel Silber" und der bewussten Vertuschung der Bedeutung des Ortes sehr deutlich zeigt. Entscheidend war aber ein Beitrag von Prof. Ostertag, der anhand historischer Baupläne nachwies, dass das Haus tatsächlich zu 75 Prozent den Krieg überstanden hat.

Fazit von Dr. Kienzle für die anwesenden Grünen-Stadträte: "Wir wurden vom Land getäuscht. Man muss noch einmal nachdenken." Fazit der Stadträtin Wüst für die SPD: "Für uns ist wieder alles offen." Diese öffentlichen Äußerungen lassen hoffen, dass sich im Stadtrat doch noch eine Mehrheit für die Erhaltung des "Hotels Silber" zusammentut.

Ulrike Küstler

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KOMMUNALE POLITIK

Sozialticket: Grundrecht auf Mobilität. BOCHUM. Die Initiative für ein Sozialticket in Bochum gibt sich mit der Ankündigung von CDU und Grünen, dass es demnächst ein Sozialticket im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) geben soll, nicht zufrieden. "Hiermit haben wir nur einen ersten kleinen Erfolg erzielt. Wir freuen uns, dass nun auch die CDU einsieht, dass Menschen mit geringem Einkommen ein Grundrecht auf Mobilität haben", so der DGB-Regionsvorsitzende Michael Hermund. "Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung." "Unser Ziel ist es", so Rose Richter vom ev. Industriepfarramt, "dass dieses Ticket auch wirklich den Namen sozial verdient. Hierzu sind noch zwei wichtige Bedingungen zu erfüllen. Das Ticket darf nicht mehr kosten, als im Regelsatz von Hartz IV für die Kosten des Nahverkehrs vorgesehen sind. Dieser Betrag liegt um die 15 Euro. Ein Ticket, das teurer ist, können wir nicht unter dem Namen Sozialticket akzeptieren." "Die andere wichtige Bedingung ist", so Stefan Nölle vom Bochumer Sozialforum, "dass die Einführung des Tickets nicht dafür missbraucht wird, den Beschäftigten in den Nahverkehrsunternehmen weitere Belastungen aufzubürden. Sie haben in den letzten Jahren schon viel zu viel Opfer bringen müssen, um Kosten aufzufangen, die die öffentliche Hand nicht mehr übernehmen wollte." Michael Hermund: "Das Beispiel des Sozialtickets macht deutlich, dass der Nahverkehr ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge ist. Wenn Mobilität zum Luxus wird, dann bedeutet das den Ausschluss von vielen Menschen aus gesellschaftlichen Zusammenhängen. Wir fordern die BoGeStra auf, das Sozialticket in Bochum mit einer großen Werbekampagne einzuführen. Dabei soll auch deutlich werden, dass der Nahverkehr eine unverzichtbare öffentliche Funktion erfüllt, die nicht privatisiert werden darf."
www.bo-alternativ.de


Kein Stellenabbau bei der Stadt! HANNOVER. Die Linksfraktion im Rat der Landeshauptstadt spricht sich konsequent gegen den angedrohten Stellenabbau bei der Stadt aus. Hintergrund: Laut Pressemeldungen plant die Stadt den Abbau von 130 Arbeitsplätzen. "Jeder Personalabbau führt unweigerlich zu einer weiteren Arbeitsverdichtung bei den Beschäftigten und zu schlechteren Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger. Beides darf nicht sein", warnt der linke Ratsherr Oliver Förste. "Die Beschäftigten haben in den vergangenen Jahren bereits einen großen Beitrag zu den Sparmaßnahmen der Stadt beigetragen. Zum Dank zeigt ihnen die Verwaltungsspitze bei den Tarifverhandlungen jetzt die Folterwerkzeuge." Nach den Reallohnverlusten in den vergangenen Jahren müsse es auch im öffentlichen Dienst wieder ausreichende Lohnerhöhungen geben, so Förste weiter. Außerdem hätten auch die Arbeitgeber in der Kommune gesellschaftliche Verantwortung und dürften einer höheren Arbeitslosigkeit sowie dem Kaufkraftverlust nicht weiteren Vorschub leisten.
www.linksfraktion-hannover.de


Neubauinitiative auf Sparflamme: HAMBURG. Zu der Präsentation der neuen gemeinsamen Ziel für den Wohnungsneubau durch Senatorin Hajduk und Herrn Basse von der SAGA GWG erklärt Dr. Joachim Bischoff, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Fraktion die Linke: "Wenn das Thema für die betroffene Bevölkerung nicht so tragisch wäre, könnte man das Ergebnis der fast zwei Jahre dauernden Verhandlungen des Senats mit der SAGA GWG als schlechten Witz bezeichnen. Eine völlige Enttäuschung." Die SAGA GWG will innerhalb von drei Jahren 1.230 Wohnungen neu bauen. Experten bezifferten Bedarf an kostengünstigen Wohnungsneubau in Hamburg hingegen auf rund 8.000 Wohneinheiten jährlich. Insbesondere wenn man die seit 2002 von der SAGA getätigten 1300 Wohnungsverkäufe gegenrechnet wird deutlich, dass das Ganze nur Makulatur ist. Die SAGA GWG verfügt über einen Bestand von rund 130.000 Wohnungen in Hamburg, die sich vollständig im Eigentum der Stadt befinden. Trotz der Krise schreibt die SAGA schwarze Zahlen und führt an die Haushaltskasse der Stadt rund 150 Millionen jährlich ab. Für jede leerstehende SAGA GWG Wohnung gibt es inzwischen rund 120 Bewerber. Über die Mieten der neu zu bauenden Wohnungen wurde nichts gesagt. Von Sozialwohnungsbau ist keine Rede, obwohl rund 5.000 Hamburger eine Wohnung mit Mietpreisbindung benötigen. "Das zeigt uns: Die Einsicht des Senats bleibt nur ein Lippenbekenntnis ohne Konsequenzen und die Situation am Wohnungsmarkt bleibt mit diesem Senat weiterhin ein Desaster", kritisiert Joachim Bischoff abschließend.
www.die-linke-hh.de


Präventionsdienst statt Ordnungsdienst: KARLSRUHE. Am Dienstag, den 2. März hat es die CDU-Fraktion im Gemeinderat dann doch noch geschafft. Mit Unterstützung der SPD kriegt die CDU ihren lang ersehnten Kommunalen Ordnungsdienst, eine Art kommunale Polizeitruppe. Zehn hauptamtliche und zehn ehrenamtliche Kräfte sollen das Sicherheitsgefühl der KarlsruherInnen heben. Vor allem in der Innenstadt und vor allem mal wieder gegen Jugendliche. Banale Repression und banales Feindbilddenken. Die Verantwortlichkeit von Wirtschaft, Politik, Medien und erwachsenen Vorbildern für Raffgier, Sucht und Gewalt sind fein ausgeblendet. Die Linke im Stadtrat hatte dem entgegen einen Kommunalen Präventionsdienst beantragt. Weil Ursachenbekämpfung nachhaltiger ist und soziale Probleme als Grundlage anerkennt. "Die von der Stadtverwaltung angesprochenen Probleme v. a. in der Karlsruher Innenstadt können durch einen polizeilich ausgerichteten Ordnungsdienst höchstens verlagert werden. Wahrscheinlicher sind die Eskalation von Vorfällen sowie eine Gefährdung der Personen, die, nur mit einer Schmalspurausbildung versehen, im Ordnungsdienst eingesetzt werden. Die Ursachen für steigenden übermäßigen Alkohol- und Rauschgiftkonsum sowie die begleitenden einschlägigen Straftaten werden von Fachkreisen und sozialen Organisationen seit Jahren benannt: Verarmung, Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, fehlende Lebens- und Berufsperspektiven im Gefolge einer Politik sozialer und kultureller Spaltung der Gesellschaft. Ebenfalls ein gesellschaftliches Problem ist eine vielfach akzeptierte Gewaltbereitschaft vor allem von männlichen Jugendlichen und Erwachsenen."
www.die-linke-karlsruhe.de


Die Linke fordert Verzicht auf zu viel gezahltes Kindergeld: BRAUNSCHWEIG. Antrag im Sozialausschuss zu seiner Sitzung am 11. März 2010: Auf die Rückholung von in diesem Jahr zu viel gezahlten Kindergeld an Hartz-IV-Familien soll die Braunschweiger ARGE verzichten. Begründung: Hartz IV-Empfänger müssen das von der Bundesagentur für Arbeit zu viel ausgezahlte Geld nicht zwingend zurückzahlen. Das berichtet das ARD-Hauptstadtstudio am 23.1.2010 und beruft sich dabei auf den Sozialrechtsanwalt Hartmut Kilger. Nach seiner Einschätzung ist es nicht so einfach, von den betroffenen Familien die 20 Euro pro Kind zurückzufordern. Zum einen seien dagegen Bremsen im Sozialgesetzbuch und zum anderen im Bürgerlichen Gesetzbuch eingebaut. Kilger betonte, die Rechtsordnung basiere darauf, dass vorliegende Bescheide Bestand haben sollen, dass also "der Bürger drauf vertrauen kann, dass die nicht einfach zurückgenommen werden können". Zudem gebe es einen sogenannten Vertrauensschutz. Ferner stehe die Frage, ob es die Leute das zu viel ausbezahlte Geld noch haben. "Da gibt es eine Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch, die spricht von Entreicherung - ein alter Ausdruck - aber der ist ernst gemeint. Wer das Geld nicht mehr hat und drauf vertraut hat, dass es seines war, der muss nicht zurückzahlen."
www.die-linke-bs.de


Jahrelanges strukturelles Defizit führt jetzt zum Haushaltssicherungskonzept: KÖLN. Die Finanzkrise belastet die Kommunen im großen Umfang. Bundesweit fordert die Linke eine kommunale Finanzreform. Dazu kommt, dass die Stadt Köln mit Schwarz-Gelb-Grün bis 2005 und dann mit SPD und Grünen die Einnahmepolitik sträflich vernachlässigt hat. Bis dahin, dass der letzte Haushalt mit minus 100 Mio. Euro mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen beschlossen wurde. Dazu erklärt der Fraktionssprecher Jörg Detjen: "Rot-Grün will sich jetzt bis zur Landtagswahl durchmogeln und danach den großen Hammer aus der Tasche holen. Bis heute gibt es keine Vorschläge, wie soziale Strukturen und soziale Standards erhalten werden sollen. Ohne die Einnahmenseite deutlich zu erhöhen, z.B. mit der Gewerbesteuer, kann man die Kölner Finanzprobleme nicht angehen, weil wir seit 20 Jahren ein strukturelles Defizit haben." Für die Träger sozialer Projekte ist die Verschiebung der Haushaltsberatungen unerträglich. Wenn das Haushaltsicherungskonzept erst im September verabschiedet wird, sind Veränderungen im laufenden Geschäftsbetrieb 2010 überhaupt nicht mehr möglich. Dazu erklärt Jörg Detjen: "Wir treten dafür ein, dass die sozialen Träger nicht nur für das erste, sondern für alle vier Quartale 2010 die Haushaltsmittel wie im Jahre 2009 erhalten, inklusive der zusätzliche Mittel für die Lohnerhöhungen in 2009, die der Kämmerer, ohne den Rat zu fragen, für das erste Quartal 2010 den sozialen Trägern unterschlagen hatte." Die Linke im Rat der Stadt Köln tritt dafür ein, dass der Bürgerhaushalt fortgesetzt, die Projekte umgesetzt werden und dass in den kommenden Jahren, trotz Doppelhaushalt, jährliche Beteiligungsverfahren mit einem eigenen Bürgerhaushalt durchgeführt werden. Die Fraktion die Linke begrüßt, dass sich inzwischen zahlreiche Bündnisse gegen Sozial- und Kulturabbau gebildet haben. Dazu erklärt Fraktionssprecherin Gisela Stahlhofen: "Wir werden mit den Bündnissen eng zusammenarbeiten und sie unterstützen: "Vereint gegen Sozialabbau" ist unsere Devise."
www.linksfraktion-koeln.de


Kommunale Handlungsfähigkeit verbessern - Haushalte spürbar entlasten: BERLIN. Die kommunalen Spitzenverbände erhoffen sich von der Gemeindefinanzkommission konkrete Ergebnisse, um die Finanzlage der Kommunen nachhaltig zu verbessern. Das sei dringend notwendig. "Oberste Priorität für uns haben die bereits im Koalitionsvertrag formulierten Ziele: Kommunen entlasten und kommunalen Handlungsspielraum erweitern. In welchem Maß dies gelingt, daran wird sich der Erfolg der Kommission messen lassen", betonen die Präsidenten des Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Oberbürgermeisterin Petra Roth (Frankfurt am Main), Landrat Hans Jörg Duppré (Südwestpfalz) und Oberbürgermeister Christian Schramm (Bautzen) anlässlich der Gemeindefinanzkommission, die morgen in Berlin ihre Arbeit aufnimmt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat zu der Regierungskommission Vertreter verschiedener Bundesministerien, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände eingeladen. Größtes Problem sei, dass die Ausgaben und Einnahmen der Städte, Kreise und Gemeinden immer weiter auseinander driften. Deshalb müsse die Kommission auf jeden Fall beide Bereiche in den Blick nehmen und grundsätzlich analysieren. "Vor allem die Sozialausgaben steigen ständig weiter und nehmen den Kommunen die Luft zum atmen. Diese Dynamik muss gestoppt werden, sonst steht die Lebensqualität für die Menschen in den Städten, Kreisen und Gemeinden auf dem Spiel", sagten Roth, Duppré und Schramm. Die Sozialausgaben sind allein in den vergangenen zehn Jahren von 26 Milliarden auf inzwischen über 40 Milliarden gestiegen. Auf der Einnahmeseite solle die Kommission laut Kabinettsbeschluss prüfen, ob die Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer ersetzt werden kann. Dies entspräche in etwa dem Arbeitsauftrag der im Jahr 2002 eingesetzten Gemeindefinanzreformkommission. "Deshalb ist es sinnvoll, das Rad nicht mehr neu zu erfinden, sondern die Ergebnisse und Erkenntnisse von damals jetzt zum Ausgangspunkt der Arbeit in der Kommission zu machen", erklärten die drei Präsidenten. Positiv bewerten die kommunalen Spitzenverbände, dass die Gemeindefinanzkommission auch die Beteiligungsrechte der Kommunen behandeln will. Es gehe darum, dass die Städte, Kreise und Gemeinden ihre umfangreichen Erfahrungen im Gesetzesvollzug frühzeitig einbringen können und an den Kostenfolgenabschätzungen beteiligt werden, wenn kommunale Aufgaben betroffen sind.
www.staedtetag.de


DAMIT SICH ARBEIT LOHNT. Die politische Rechte instrumentalisiert den Slogan "Arbeit muss sich lohnen!", nicht etwa um Mindestlöhne zu erreichen, sondern um die Hartz-IV-Regelsätze zu senken. In diese Auseinandersetzung hat sich der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband eingeschaltet. Wir zitieren im Folgenden aus seiner aktuellen Untersuchung "Damit sich Arbeit lohnt - Expertise zum Abstand zwischen Erwerbseinkommen und Leistungen nach dem SGB II".    tja

"... Der so genannte "Lohnabstand" von Haushalten mit niedrigem Erwerbseinkommen und Beziehern der Grundsicherung für Arbeitssuchende, umgangssprachlich "Hartz IV" genannt, befindet sich aktuell heftig in der Diskussion. Von verschiedener Seite wird die meist ungeprüfte These vertreten, dass sich eine Arbeitsaufnahme für Grundsicherungsbezieher finanziell nicht lohne und somit kein Arbeitsanreiz gegeben sei. Es werden Beispielrechnungen herangezogen, die jedoch häufig fehlerhaft bzw. unvollständig sind. Die aktuelle Auseinandersetzung wird damit auf falscher Grundlage geführt ... Für die Lohnabstandsdiskussion sind Wohngeld, Kindergeld und Kinderzuschlag deshalb von besonderer Relevanz, da das Kindergeld bei Grundsicherungsbeziehern voll angerechnet wird und Wohngeld und Kinderzuschlag dieser Gruppe gar nicht zustehen. Es handelt sich somit um drei Leistungen, die ausschließlich bei den Erwerbstätigenhaushalten außerhalb des SGB II-Bezuges wirksam werden ­... Ein erster, wenig überraschender Befund: In allen Fällen existiert ein positiver Abstand zwischen dem verfügbaren Einkommen des erwerbstätigen Haushaltes gegenüber dem erwerbslosen Haushalt. Dies ist letztlich auf die Systematik des SGB II und die Freibeträge auf Erwerbseinkommen selbst zurückzuführen ... Die These, dass sich eine Arbeitsaufnahme bei einem Plus von 100 oder 200 Euro nicht lohne, trifft zumindest bei Vollzeittätigkeit in der Realität nicht zu, da die Differenzen selbst bei sehr schlecht bezahlten Tätigkeiten regelmäßig höher ausfallen..."

Die Expertise kann bestellt bzw. im Internet eingesehen werden unter:
Der Paritätische Gesamtverband, Oranienburger Str. 13-14, D-10178 Berlin, Telefon 030-24636-0, E-Mail: info@paritaet.org, Internet: www.paritaet.org

(Zusammenstellung: ulj)

Raute

IG-Metall-Strategie effektiv

Ein Tarifabschluss aus der Not geboren - aber respektabel!

Die Ausgangssituation: In der Metall- und Elektroindustrie sind im Krisenjahr 2009 die Aufträge und die Produktion um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Die Kurzarbeit hat sprunghaft zugenommen, rund ein Fünftel aller Arbeitsstunden sind entfallen. 200.000 Arbeitsplätze sind weggefallen, 220.000 Leihbeschäftigte haben ihren Job verloren. Und die Prognose lautet: Das Produktionsniveau von vor der Krise wird voraussichtlich erst 2013 wieder erreicht werden.

Sehr frühzeitig breitete sich im Funktionärskader angesichts der Lage und der kommenden Tarifbewegung das Schreckgespenst aus: Stell dir vor, es ist Streik und keiner geht hin. Folgerichtig begannen bereits im November 2009 Sondierungsgespräche in allen Tarifbezirken mit den Arbeitgeberverbänden. Anfang Februar beschloss der Vorstand der IG Metall dann die Aufnahme offizieller Verhandlungen in Baden-Württemberg und NRW, die bereits Mitte Februar zu einem Verhandlungsergebnis führten, also bevor der alte Tarif überhaupt ausgelaufen war: ein einmaliger Vorgang in der Tarifgeschichte der IG Metall.

Dennoch ist das Ergebnis durchaus passabel. 320 Euro Einmalzahlung 2010 und die 2,7% 2011 erhalten alle Beschäftigten, auch wenn sie kurzarbeiten. Statt Entlassungen rücken neue Instrumente durch neue Tarifverträge in den Fokus betrieblicher Beschäftigungssicherung. Frühestens nach zwölfmonatiger Nutzung der konjunkturellen Kurzarbeit können Betriebe über eine Betriebsvereinbarung in die neue mindestens sechsmonatige Kurzarbeit wechseln. Hierbei werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf die einzelnen Monate umgelegt und dadurch bei Kurzarbeit mitgekürzt. Der Arbeitgeber spart bei den Remanenzkosten, die ihn sonst bei Jahressonderzahlungen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld in voller Höhe entstünden. Allerdings erhöht sich durch das Umlegen auch die Bemessungsgrundlage für Kurzarbeitergeld. Das gleicht die Kürzung für die Beschäftigten zum Teil wieder aus. Kann auch damit die Beschäftigungskrise noch nicht überwunden werden, kann danach die Arbeitszeit für mindestens sechs Monate auf 28 bzw. 26 Stunden pro Woche gekürzt werden, verbunden mit einem Teillohnausgleich für die Beschäftigten. Während all dieser Zeiten bleiben Kündigungen aus betrieblichen Gründen ausgeschlossen.

Wenn Firmen, statt die neuen Instrumente zu nutzen, dennoch entlassen wollen, wird die IG Metall, werden die Betriebsräte und Belegschaften kämpfen. Die IG Metall hat erreicht, das Entlassungen als einzig probates Mittel gegen die Folgen der Krise zunehmend gesellschaftlich geächtet sind. Und das ist gut so.

Der Abschluss ist auch zustande gekommen durch das Wirken der Fraktion der mittelständisch geprägten Maschinenbaubranche in Baden-Württemberg, die nicht bereit ist, wesentliche Teile ihrer Belegschaften jetzt freizusetzen. Andererseits hat das Tarifergebnis auch prinzipielle Kritik aus dem Arbeitsgeberlager provoziert. Hierbei wird ein Bruch mit der reinen Lehre beklagt. Jene Herrschaften sehen neues Wachstum erst als Möglichkeit an, wenn durch Massenentlassungen der Markt bereinigt und die Ausgangslage dadurch neu bestimmt worden ist. Diese Herrschaften kritisieren vehement auch die Forderungen an die Politik, die der Abschluss für die Metall- und Elektroindustrie stellt. Dabei handelt es sich im Einzelnen um die folgenden Anforderungen:

Die erleichterte Kurzarbeit (§ 421 t SGB III), insbesondere die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge, soll über den 31.12.2010 hinaus für die Gesamtdauer der Kurzarbeit verlängern werden.

Der Teilentgeltausgleich bei der tariflichen Kurzarbeit ist sozialversicherungsfrei zu stellen.

Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" schrieb am 21.2.2010 auf der Seite 37 zu diesen Anforderungen: "Das wahrhaft Revolutionäre an dem Tarifabschluss ist, dass die Tarifpartner die Verteilungsmasse vergrößert haben um staatliche Zuwendungen, für die es noch keine rechtliche Grundlage gibt. Das ist die hohe Kunst der Staatserpressung. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat unterdessen signalisiert, dass sie mitzieht."

Die FAZ wittert einen "Vertrag zu Lasten Dritter." An anderer Stelle im gleichen Artikel wird noch weiter gegen die IG Metall zu Felde gezogen: "Ihr extraordinäres Talent, Staatsgeld für ihre Schäfchen lockerzumachen, hat die Gewerkschaft schon bei der Abwrackprämie bewiesen, die sie im Schulterschluss mit der Autoindustrie organisierte. Der Staat gab die nötigen fünf Milliarden Euro."

Hier trifft sich die Kritik linientreuer Kapitalvertreter mit Stimmen aus dem linken Milieu, die vor allem die Autobranche für die Wurzel allen Übels halten.

Die Mitglieder der IG Metall jedoch werten das Ergebnis nüchterner. Für sie zählt, dass mit vergleichsweise geringem Aufwand ein respektables Ergebnis erzielt werden konnte.    brr


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichte Grafik der Originalpublikation:
Die neuen Tarifverträge für die Metallindustrie

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Opel: Wetten auf die Zukunft

Gewerkschafts- und Belegschaftsvertreter des Opel/Vauxhall Konzerns aus Belgien, Deutschland, den Niederlanden, Österreich und Spanien haben sich Ende Februar in Brüssel getroffen, um über eigene Positionen im Zusammenhang mit der Umsetzung des GM Restrukturierungsprogramms, aber auch eigene Aktionen und Maßnahmen in diesem Zusammenhang zu beraten. An den Anfang ihrer Presseerklärung vom 23. Februar stellen sie dann auch die Aussage, dass sich die Belegschaften der einzelnen Länder nicht gegeneinander ausspielen lassen. Es folgt eine Liste mit Forderungen, gerichtet an die Konzernleitung:

"Die Entscheidung, Antwerpen zu schließen, muss zurückgenommen werden. Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht akzeptabel.

• Die Unternehmensleitung von Opel/Vauxhall muss eine klare und langfristige industriepolitische Strategie für das Werk in Antwerpen vorlegen.

• Es muss die vollständige Einhaltung der vereinbarten SUV-Zuteilung gewährleistet werden.

• Abhängig von der Rücknahme der Entscheidung, Antwerpen zu schließen, müssen jegliche künftige Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeiträge im Hinblick auf Kosteneinsparungen vom EMB und EEF geführt werden.

• Staatliche Beihilfen und Subventionen dürfen nicht zur Finanzierung von Schließungen und/oder betriebsbedingten Kündigungen genutzt werden.

• Die Unternehmensleitung von Opel/Vauxhall muss eine gerechte Verteilung der Kapazitäten in Europa, einschließlich der technischen Planung, sicherstellen.

• Die nationalen Tarifverträge in den einzelnen Ländern müssen respektiert und jedwede Art von Sozial- und Steuerdumping vollständig ausgeschlossen werden.

• Es sollte zu keinen Neueinstellungen kommen, solange es an anderen Standorten zu Entlassungen kommt.

• Keine Erhöhung der Arbeitszeiten."

Was sich in vielen Europäischen Betriebsräten regelmäßig als schwierig erweist, gemeinsame Interessen und Standpunkte zu formulieren und dabei auch die verschiedenen Standorte tatsächlich im Blick zu haben, scheint bei Opel zu einem gewissen Grad zu funktionieren. Schon über längere Zeiträume ist der EBR zu gemeinsamen Aktivitäten in der Lage. Es wird formuliert, dass Einschnitte bei den Arbeitsbedingungen und Löhnen nur diskutiert werden, wenn es für alle Werke eine Bestandsgarantie gegeben wird. Insbesondere für Belgien, dessen einst starke Automobilindustrie in den letzten Jahren erheblich eingeschmolzen wurde, eine wichtige Entwicklung. Die belgischen Interessenvertretungen haben jedoch ihrerseits recht schnell signalisiert, dass sie bei Beschäftigung und Arbeitsbedingungen zu Zugeständnissen bereit sind, wenn der Standort erhalten bleibt.

Auffällig ist aber auch, dass kaum unterstützende Wortmeldungen von Belegschaftsvertretungen anderer Automobilunternehmen wahrzunehmen sind. Und auch die Gewerkschaften sprechen über Opel und weniger über die Bedingungen in der Branche. Vor dem Hintergrund, dass sich Bereinigungen in der Branche, sprich der Abbau von Überkapazitäten abzeichnet bzw. im Gang ist, könnte sich die Debatte und Verhandlung von Zugeständnissen schnell von Opel auch auf andere übertragen. Die Belegschaften der Opel-Standorte gehen, verständlicherweise (vor dem Hintergrund der möglichen massenhaften Arbeitsplatzverluste), eine unsichere Wette auf die Zukunft ein. Dies zumal völlig offen ist, welche Wucht das zweite Opfer der Belegschaften haben wird, der Wettlauf um Produktivitätssteigerungen ohne echte technologische Innovationen.

Der GM-Konzern hat ein vitales Interesse an Opel, zum einen, um den Europäischen Markt nicht zu verlassen, und zum anderen, um Synergien aus den Erfahrungen in den Segmenten der kleinerer Fahrzeugtypen sowie bei technologischen Entwicklungen zu ziehen. Die Ankündigung von 9 Milliarden Euro Investitionen für die nächsten vier Jahre zeugen davon. Die allenthalben diskutierte mögliche Überschuldung dürfte damit überhaupt nicht gebannt werden, dies gelänge höchstens durch die Eroberung von Marktanteilen in der von Überkapazitäten geprägten Branche. Dem GM-Konzern bleibt jedoch nicht viel anderes, er muss darauf spekulieren, Opel halten zu können. Rationeller arbeiten ist wohl am ehesten die Stellschraube, die der Konzern selbständig bewegen kann. Zu viel mehr wird er derzeit kaum in der Lage sein, da sich keine wesentlichen technischen Umwälzungen vollziehen und in Sachen Rationalisierung durch Arbeitsorganisation dürfte Opel unter den jetzigen Rahmenbedingungen eher froh sein, wenn das Unternehmen in dieser Frage nicht von anderen abgehängt wird. Für die Belegschaften sind die Botschaften klar: Senkung der Arbeitskosten - höherer Verschleiß der Arbeitskraft.

Als mittelfristige angelegte Neuorientierung sind eher die Wortmeldungen der Entwicklungsverantwortlichen Forst zu werten, die Opel künftig unabhängiger vom Mutterkonzern sieht und das Unternehmen als "umweltfreundlichsten Volumenhersteller" etablieren möchte. Opel will jetzt auf "grüne" Technologie in den Kompakt- und Kleinwagensegmenten setzen. Auf dem Genfer Autosalon hat Opel den "Ampera" als vollwertiges Elektroauto präsentiert. 60 Kilometer reiner Batteriebetrieb und Serienstart Ende des nächsten Jahres sind die wesentlichen Daten. Der Markt ist jedoch begrenzt. Eine Einschätzung lautet, dass der Elektroanteil am Automarkt in 2020 etwa 10% ausmachen kann. Bei der Hybridtechnologie ist insbesondere Toyota ist schon viel länger in der Welt der Praxis angekommen und hat bis dato etwa 2,4 Millionen Einheiten verkauft. Alle anderen Hersteller sind in den Planungen, und die Aussicht auf einen Technologievorsprung von Opel, einer echten neuen Kombination, die Opel präsentiert, dürfte eher düster sein.

Auf der anderen Seite sind auch Einbrüche bei anderen Herstellern nicht undenkbar. Wie Toyota gezeigt hat, können kleine Details bei den Kosteneinsparorgien heftigste Auswirkungen haben. Und kaum zu kalkulieren ist, welche Rolle mittelfristig die schnell wachsenden Hersteller aus Indien oder China haben werden. Aber selbst für das Unternehmen Saab, dass jetzt vom Sportwagenhersteller Spyker übernommen wurde, wird vermutet, dass es in einer Nische des Premiumbereichs mit jährlich 100-150.000 Einheiten überleben könne. Vor diesem Hintergrund laufen also derzeit parallel eine ganze Reihe von Wetten auf die Zukunft des Unternehmens Opel und die gesamte Branche.

Rolf Gehring

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WIRTSCHAFTSPRESSE

5000 Ärzte fehlen in deutschen Krankenhäusern. FAZ, Do. 16./22.2.10. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) stellt eine Rekordhöhe unbesetzter Arztstellen in Kliniken fest. Die Lücken seien kaum noch zu kompensieren. Gegenüber 2006 habe sich die Zahl der freien Stellen in ganz Deutschland vervierfacht. Weiter habe sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser weiter verschlechtert. Jedes vierte Krankenhaus werden für 2009 einen Verlust ausweisen. 42% aller Krankenhäuser rechnen für 2010 mit einer Verschlechterung. Bundesgesundheitsminister P. Rösler appelliert an die Kliniken, die Arbeitsbedingungen für Ärzte zu verbessern. Mit J.-D. Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer tritt er für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein und für eine Entlastung von bürokratischen Pflichten.


BDI kritisiert Bundesregierung. FAZ, Do. 4.3.10. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) bekräftigte seine Kritik an dem für die deutsche Industrie enttäuschenden Start der schwarz-gelben Koalition. Bei der in der Krise hoch getriebenen Verschuldung wären die öffentlichen Haushalte noch über Jahre hinaus nicht in der Lage, die erforderlichen Infrastrukturinvestitionen z.B. in den Telekommunikations- und Stromnetzen oder im Verkehrswegebau zu finanzieren. In der Privatwirtschaft gebe es dafür aber die Mittel. Die Wachstumsbremsen zu lösen sei im Interesse aller. Ohne Wirtschaftswachstum gebe es auch keine Haushaltskonsolidierung.


Die Greencard hat den Fachkräftemangel nicht behoben. FAZ, Mo. 1.3.10. "Die Greencard war ein Erfolg" so B. Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Hightech-Branchenverbandes Bitcom. Den strukturellen Fachkräftemangel hat die Arbeitserlaubnis aber nicht im Ansatz lösen können. Selbst im Krisenjahr 2009 waren ca. 20.000 Stellen nicht besetzt. Deutschland wirke neben anderen europäischen Ländern nicht sehr anziehend auf die produktivsten Kräfte aus Schwellen- und Entwicklungsländern, mahnt H.-W. Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. "Angesichts des aktuellen Konjunkturtiefs an Abschottung zu denken, wäre kurzsichtig und für den Arbeitsmarkt nicht hilfreich", warnt Arbeitgeberpräsident D. Hundt. Bitkom-Geschäftsführer B. Rohleder sagt: "Deutschland hat immer noch ein Imageproblem". Im Ausland denke man eher an das Oktoberfest als an einen Hochleistungsstandort. "Einem indischen IT-Fachmann müsse man erst mal erklären, dass es keine Strafversetzung ist, wenn ihn sein Konzern nach Deutschland schickt."

Zusammenstellung: rst

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DISKUSSION UND DOKUMENTATION

Sexuelle Gewalt in katholischen Einrichtungen:

Noch leugnet die Kirche ihr strukturelles Problem

Ob Opfer oder Täter: Die von allen möglichen Seiten formulierten Empörungen über sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in katholischen Einrichtungen sind kaum zu überbieten. Die Autorität der Hierarchie der katholischen Weltkirche hat nach den aufgedeckten Missbrauchsskandalen in den USA jetzt auch in Europa einen heftigen Knacks bekommen. Ihr allerhöchster moralischer Anspruch verbunden mit ihrer einzigartige Monopolstellung in karitativen und pädagogischen Einrichtungen lassen sie tief fallen: Einfach so weitermachen, das wird nicht gehen. Zwei Argumente werden allerdings nur sehr leise vorgetragen: Die nach massiver Entschädigung der Opfer und nach Verlängerung der Verjährungsfristen, die nur in "juristisch schweren Fällen" bei zwanzig Jahren, gerechnet vom 18. Lebensjahr an, liegen. Noch leugnet der kirchliche Apparat das strukturelle Problem, das die Kirche mit ihrer Sexualmoral hat: Das Dogma, dass sich durch die Lust an der Sexualität seit Adam und Eva die Erbsünde fortpflanzt und daher mönchisches, zölibatäres Leben Gott wohlgefälliger sei als zu heiraten. Inhaltlich, so der Eindruck des etwas distanzierten Beobachters, ist in den Medien schon alles wesentliche gesagt - nur eben noch nicht von allen ...

Deshalb beschreiten wir heute folgenden Weg: Wir dokumentieren in Auszügen die wesentlichen Äußerungen und Argumente der wichtigsten theologischen und journalistischen Stimmen zu diesem brisanten Thema.

Karl-Helmut Lechner


"Überarbeitung der Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz"

Forderungen der "Kirchen-Volks-Bewegung"

Die Kirchen-Volks-Bewegung "Wir sind Kirche" ist aus dem 1995 in Österreich gestarteten Kirchenvolks-Begehren hervorgegangen und setzt sich ein für die Erneuerung der römisch-katholischen Kirche auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) sowie der darauf aufbauenden theologischen Forschung und pastoralen Praxis.

"1. Einrichtung einer niederschwelligen unabhängigen bundesweiten Ombudsstelle für Opfer (und auch Täter). Es kann nicht sein, dass in einzelnen Diözesen ranghohe Geistliche, denen die notwendige Distanz zu möglichen Tatverdächtigen fehlt, immer noch als Ansprechpartner genannt werden.

2. Beschleunigung kirchenrechtlicher Voruntersuchungen, damit nicht Verjährungsfristen verstreichen. Außerdem sollte der Gesetzgeber prüfen, ob nicht die Verjährungsfristen für Fälle sexueller Gewalt zu verlängern sind, da diese erfahrungsgemäß den Opfern erst nach vielen Jahren bewusst werden.

3. Aktive Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. Es reicht nicht aus, dem Verdächtigten zur Selbstanzeige zu raten.

4. Entschuldigung bei den Opfern für die erfahrene Gewalt und Demütigung, unabhängig von der Finanzierung von Therapien und anderen Schadensersatzleistungen.

5. Verdächtige und überführte Täter dürfen in keiner Weise mehr in der Seelsorge eingesetzt werden.

6. Einheitliches und abgestimmtes Vorgehen aller Diözesen und Ordensoberen, um ein verschleierndes Versetzen ehemaliger und möglicher Täter zu unterbinden.

7. Aktives Recherchieren von Altfällen durch eine unabhängige Untersuchungskommission, wie dies in Irland geschah. "Wir sind Kirche" unterstützt den Vorschlag der Bundesjustizministerin zur Einrichtung eines bundesweiten kirchenunabhängigen Runden Tisches, da sich gezeigt hat, dass kircheninternes Handeln immer wieder an strukturelle Grenzen stößt. ..."

Pressemitteilung München/Freiburg, 21. Februar 2010,
http://www.wir-sind-kirche.de/


Hinweis der Redaktion Schattenblick:
Die folgenden Zitate wurden von der Redaktion Schattenblick gekürzt.
Die vollständige Fassung dieses Beitrags ist in der Printausgabe zu finden oder kann als PDF-Datei heruntergeladen werden unter:
http://www.gnn-verlage.com/PolBer/Auswahl.html


"Jetzt ist es an der Zeit, das Zölibatsgesetz zu diskutieren"

Von Hans Küng, 81, emeritierter Professor für ökumenische Theologie an der Universität in Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos. Ihm hatte Ratzinger die Lehrerlaubnis entzogen.

"... Zollitschs Stellungnahme weist freilich schwerwiegende Fehleinschätzungen auf, denen widersprochen werden muss. Erste Behauptung: Sexueller Missbrauch durch Kleriker hat nichts mit dem Zölibat zu tun."
[...]

Süddeutsche Zeitung, 27.2.2010,
http://www.sueddeutsche.de/politik/309/504521/text/




Das römisch-katholische Priestergesetz

"Codex Iuris Canonici", (CIC), ist das weltweit geltende Gesetzbuch der katholischen Kirche,
Canon 277
§ 1. Die Kleriker sind gehalten, vollkommene ...
[...]

www.vatican.va/archive/DEU003


Prozesse dieser Art unterliegen der päpstlichen Geheimhaltung

Ratzingers Brief von 2001 zur Geheimhaltung, dem "secretum pontificium". Der damalige Joseph Kardinal Ratzinger ist der jetzige Papst Benedikt XVI.
"Die der Glaubenskongregation vorbehaltenen schweren Straftaten, die bei der Feier der Sakramente oder gegen die Sittlichkeit begangen werden, sind:
- Straftaten gegen die Heiligkeit des hochheiligen eucharistischen Opfers und Sakramentes, ...
- Straftaten gegen die Heiligkeit des Bußsakramentes, ...
- Straftat gegen die Sittlichkeit, nämlich: Die von einem Priester begangene Straftat gegen das sechste Gebot des Dekalogs mit einem noch nicht 18-jährigen minderjährigen Menschen.
[...]

http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20010518_epistula_graviora%20delicta_lt.html



"Wir sind rechtstreu"

Der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, befürchtet massive Auswirkungen für die zukünftige Kinder- und Jugendarbeit der katholischen Kirche. Bischof Ackermann wurde auf der jüngsten Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Freiburg zum "Besonderen Beauftragten für alle Fragen im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich" berufen.

Aus dem Interview im rheinischen Merkur vom 4.3.10

Rheinischer Merkur: Die 2002 verabschiedeten Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch an Minderjährigen durch Geistliche sollen überprüft werden. Wo muss etwas geändert werden?

Stephan Ackermann: [...]

http://www.rheinischermerkur.de/index.php?id=40595, Rheinischer Merkur, 04.03.2010



"Es wird eine verinnerlichte Kirche sein"

Vorahnung des heutigen Papst Benedikt XVI. aus dem Jahre 1970

Die Kirche der Zukunft wird klein werden, weithin ganz von vorn anfangen müssen. Sie wird viele der Bauten nicht mehr füllen können, die in der Hochkonjunktur geschaffen wurden. Sie wird mit der Zahl der Anhänger viele ihrer Privilegien verlieren. Sie wird als Freiwilligengemeinschaft sehr viel stärker die Initiative ihrer einzelnen Mitglieder beanspruchen. Sie wird neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen die im Beruf stehen, zu Priestern weihen. Die Seelsorge wird in vielen kleineren Gemeinden, in zusammengehörigen sozialen Gruppen erfüllt werden. Es wird eine verinnerlichte Kirche sein...

Josef Kardinal Ratzinger, in "Glaube und Zukunft", Kösel Verlag, München 1970, S. 110.

Raute

Schröder extrem

Kristina Schröder macht Tempo: Das Bundesfamilienministerium finanziert ab sofort "Pilotprojekte gegen Linksextremismus und Islamismus" mit zwei Millionen Euro ungenutzter Haushaltsmittel aus 2009. Für die Auseinandersetzung mit neonazistischen Gruppen stehen wie im vergangenen Jahr 24 Millionen Euro zur Verfügung - was Schröder aber ändern will: Für die Förderung 2011 sollen die Programme "neu geordnet werden".

Ein Gespenst geht um - es singt "linksextrem und Spaß dabei" und hat einen leichten Benzingeruch. Ein auf einen Reifen gelegter Grillanzünder und ein Feuerzeug - mehr braucht es nicht, um ein Auto anzuzünden, war letztes Jahr in "Spiegel" und "Hamburger Morgenpost" zu lesen. Die gestiegene Zahl abgebrannter parkender Autos war Anlass für viele Medien, eine Zunahme "vermutlich linksextremistischer Anschläge in Berlin und Hamburg" zu berichten. Auf der Innenministerkonferenz war bereits im Mai letzten Jahres infolge der Auseinandersetzungen am 1. Mai in Berlin und Hamburg erregt über eine angebliche gestiegene Gewalt von links gegenüber Polizisten diskutiert worden. In den Landesparlamenten von Hamburg und Berlin gab es Anfragen und Aktuelle Stunden - über die korrekte Wahl der Mittel bei der Bekämpfung der militanten radikalen Linken wurde sich echauffiert, als ob diese eine reale Gefahr für den Parlamentarismus wäre. Allein in Hamburg stieg die registrierte "politisch motivierte Gewalt Links" um 40 Prozent auf 669 Delikte. Mehr als 500 ausgebrannte Autos wurden in beiden Städten gezählt - mit einem leichten Vorsprung für Berlin. Die Innensenatoren Christoph Ahlhaus (Hamburg, CDU) und Ehrhart Körting (Berlin, SPD) haben dagegen eine enge Zusammenarbeit vereinbart. Gegen den Linksextremismus müsse eingeschritten werden, bevor er "außer Kontrolle gerät", warnte der Sprecher der CSU im Bundestag, Hans-Peter Friedrich. "Dazu müssen wir den Ungeist bekämpfen, der dahinter steckt", sagte er. Ende des Jahres war die Rede von einem "drastischen Anstieg linksextremer Straftaten und besonders von Gewalttaten". Letztere seien um beinahe 50 Prozent gestiegen. Besonders herausgestrichen wurden Angriffe auf Polizeibeamte: Von Januar bis September wurden 315 Körperverletzungen und mehrere vermeintliche Tötungsversuche registriert, im gesamten Jahr 2008 wurden 215 Körperverletzungen gezählt. Aus den "Einzeldelikten von hoher Gewaltintensität wie dem Brandanschlag auf eine Polizeiwache in Hamburg Anfang Dezember sowie der immer höheren Zahl von Brandanschlägen ergibt sich das Bild eines eskalierenden linksextremistischen Gewaltpotentials, das sich terroristischen Vorgehensweisen annähert", so etwa der stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union, Jörg Rotter im Dezember. Er forderte, mit "Präventionskampagnen und Aussteigerprogrammen gegen den Linksextremismus ebenso tätig zu werden, wie es bereits im Bereich des Rechtsextremismus geschieht."

Ins gleiche Horn blies die neue Bundesfamilienministerin, Kristina Schröder, zu deren Ressort auch die Aufsicht über die Programme zur Bekämpfung der Neonazis gehört: "Wir haben uns im Koalitionsvertrag geeinigt, künftig die Programme gegen den Rechts- und Linksextremismus und ebenso gegen den islamischen Extremismus auszurichten", erklärte sie gegenüber der Welt im Dezember: "Das werde ich umsetzen." Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend trägt das Programm für Demokratie, Vielfalt und Toleranz mit. Seit 2001 wurden durch das Programm unterschiedliche Initiativen beim Einsatz für Demokratie und gegen Neonazis unterstützt. Derzeit fließen jährlich rund 24 Millionen Euro in Anti-Nazi-Projekte. Es gab aus allen Oppositionsparteien massive Kritik daran, bei den Anti-Nazi-Projekten zu kürzen. Am 18. Januar erklärte Ministerin Schröder, dass die 24 Millionen Euro weiterhin für Programme gegen Rechtsextremismus vorgesehen seien. Eine Kürzung bei den Programmen gegen die Neonazis wäre wohl selbst der schwarzgelben Bundesregierung ein zu klares Signal der Bagatellisierung rechter Gewalt gewesen. Schröder hatte einen anderen Weg gefunden, die ihr so wichtige Bekämpfung radikaler Linker erstmal im kleinen Rahmen zu etablieren: Bereits einen Tag später meldete die Financial Times, dass Schröder nun doch insgesamt 2 Millionen Euro zur Bekämpfung linker und islamistischer Gewalt bereit stellen wolle. Die Gelder würden aus nicht verbrauchten Mitteln des Haushaltsjahres 2009 stammen.

Am 27. Januar ging Ministerin Schröder, die zu diesem Zeitpunkt vor ihrer Hochzeit im Februar mit dem Staatssekretär des Bundesinnenministeriums Ole Schröder, ebenfalls CDU, noch Köhler hiess, in der Sitzung des Haushaltsausschusses noch einen Schritt weiter: Laut den Angaben von Abgeordneten aller Oppositionsparteien plant die Ministerin jetzt für die neue Förderperiode ab 2011 Gespräche mit dem Bundesinnenministerium und Verfassungsschutz über eine Regelüberprüfung aller Anti-Nazi-Initiativen zu führen. "In der Beratung hat Ministerin Köhler sich eine Regelüberprüfung durch den Verfassungsschutz bei jeglichen Initiativen, die staatliche Fördergelder bekommen, ausdrücklich vorbehalten", berichtet Sven-Christian Kindler, Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Schröders Ministerium bestreitet dass: "Bundesministerin Köhler hat nicht von einer Regelfall-Prüfung aller sich gegen Rechtsextremismus einsetzenden Initiativen durch den Verfassungsschutz gesprochen", so Marc Kinnert, Pressesprecher des Bundesfamilienministeriums gegenüber dieser Zeitung: "Vielmehr wurde durch unser Haus erläutert, dass selbstverständlich mit öffentlichen Geldern sorgfältig umgegangen wird und daher gegebenenfalls geprüft werden muss, welche Initiativen, und nicht nur solche gegen Rechtsextremismus, für eine Förderung in Frage kommen."

Laut Ministerium soll es also keine Regelanfrage geben, aber eine Einzelfallprüfung. So hat das Ministerium gegenüber dieser Zeitung die Möglichkeit von Überprüfungen eingeräumt. Aber die Oppositionsabgeordneten wollen mehr gehört haben: "Die Ministerin erklärte auf unsere Nachfragen, eine Regelanfrage anzustreben" so der Grünen-MdB Kindler. Die Maßnahme passe in die Extremismuslogik der Ministerin, "Linksextreme und Rechtsextreme auf eine Stufe zu stellen". Steffen Bockhohn, Abgeordneter der Linken, kritisierte: "Eine Kriminalisierung von Antifa-Gruppen und anderer Organisatoren bestärkt die Rechte-Szene in Ihrer Intoleranz und in Ihrem Hass gegen Minderheiten". Zu den Plänen von Bundesfamilienministerin Schröder, ab 2011 alle Anträge auf Bundesmittel durch Initiativen gegen Rechtsextremismus automatisch durch den Verfassungsschutz überprüfen zu lassen, erklärte seine Fraktionskollegin Ulla Jelpcke: "Wer Nazis so ermutigt, darf mit Recht als geistige Brandstifterin bezeichnet werden".

Irritierend findet Sebastian Edathy, Sprecher Rechtsextremismus und Gewalt der SPD-Bundestagsfraktion, die Aussagen von Schröder: Es sei gängige Praxis, dass Projekte und Initiativen im Falle einer staatlichen Förderung oder Auszeichnung vom Verfassungsschutz des Bundes und der Länder überprüft würden. "In der Ankündigung von Frau Schröder klingt aber mit an, dass bei den Förderprogrammen bisher massiv Linksextremisten gefördert worden seien. "Das stimmt aber nicht", rechtfertigt sich Edathy defensiv. Dass es einen Radikalenerlass bei der Förderung von Anti-Nazi-Initiativen gibt, stellt Edathy aber nicht in Frage.

Zur Offensive von Kristina Schröder gegen ihr Lieblingsgespenst Linksextremismus äußerten sich Funktionäre der Unionsparteien zustimmend wie der Innenpolitiker der Berliner CDU-Fraktion, Kurt Wansner: "Angesichts der erstarkten militanten Linken in Berlin und Hamburg hat die Bundesregierung die Zeichen der Zeit erkannt", denn: "Die meist von Linksextremisten verübten Brandanschläge auf Autos und Attacken auf Wohnobjekte sind menschenverachtend." Der Nürnberger CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Frieser paraphrasierte gar eine beliebte Floskel gegen rechtsaußen: "Wir dürfen auf dem linken Auge nicht blind sein. Statistiken besagen, dass linksextrem und islamistisch evozierte Gewalt dramatischer zunimmt als die von Rechts. Es ist sinnvoll, die Sensibilität hierfür zu wecken." Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, erklärte gegenüber dem "Hamburger Abendblatt": "Wir unternehmen bereits jetzt schon viel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus - jetzt sollten wir die Aussteiger- und Streetworkerprogramme auch auf den Linksextremismus ausdehnen". Interessant bei vielen Stellungnahmen aus der Union ist die Betonung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Friederich: "Wir dürfen auf dem linken Auge nicht blind sein. Vor dem Hintergrund dessen, was in Hamburg und Berlin passiert, ist es höchste Zeit, den Linksextremismus zivilgesellschaftlich ernst zu nehmen." Zustimmung gibt es aus der Polizei, so von Frank Jansen, dem Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter: "Wenn man die Brandserien in Berlin und Hamburg sieht, dann ist es nur vernünftig, in beide Richtungen politischer Extreme identische Möglichkeiten für Aussteigewillige anzubieten". Gegenüber dem "Hamburger Abendblatt" sicherte er sich ab: "Ob das von Erfolg geprägt ist, kann man ja immer erst sehen, wenn man es macht." Jansen schweben Aussteigertelefone für unzufriedene Linke vor. Aber auch Berlins SPD-Innensenator Körting ist gegenüber dem CSU-Vorschlag der Aussteigerprogramme aufgeschlossen: "Ich schließe kein Instrument aus. Alles, was Extremisten vom Weg abbringt, sollte man überprüfen", sagte er dem "Abendblatt". Aber dann kommt bei Körting doch die Sachkenntnis durch: "Ob allerdings mit Aussteigerprogrammen bei Linksextremisten nennenswert Potenzial abgezogen werden kann, erscheint aus Sicht der Berliner Szene eher fraglich." Körting setzt auf klassisches sozialdemokratisches Vorgehen gegen radikale Linke, auf die Isolation militanter Linker: Mit "Manpower in die linksextremistische Szene zu kommen und eine klare Trennung der Kriminellen- von Sympathisantenszene zu erreichen."

Flankiert wird die Debatte über Linksextremismus vom polizeilichen Ermittlungsdruck und einem Trend zu härteren Urteilen. Für Autoanzünder gab es früher Bewährungsstrafen, 2009 aber wurde in Berlin ein 34-Jähriger, der einen VW Golf abgefackelt haben soll, zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Und nach dem Angriff auf die Lerchenrevierwache im Hamburger Schanzenviertel vom 3. Dezember 2009 nimmt der Staatsschutz des Hamburger LKA jetzt die ganze autonome Szene ins Visier: Die Staatsschutz-Operation "Koukoulofori" ist laut Informationen des Hamburger Polizeireporters Kai von Appen von der Hamburger "Taz" angelaufen. Bei der Attacke waren zwei Streifenwagen in Flammen aufgegangen. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (BAW) hat dem Staatsschutz des Hamburger Landeskriminalamts nach Ausweitung der Vorwürfe auf versuchten Mord umfassende Kompetenzen eingeräumt. Das hat die von Appen aus Polizeikreisen erfahren. "Den Ermittlern steht nahezu das gesamte Terrorismus-Fahndungsprogramm zur Verfügung", berichtete ihm ein Insider.

Personen können observiert werden, Telefone überwacht, E-Mails kontrolliert, Handys abgehört und Verbindungsdaten gesichert - sowie Wohnungen verwanzt. Nach "Taz"-Informationen konzentrieren sich die Ermittler darauf, durch Handy-Ortungen Aufenthaltsorte von Personen zu rekonstruieren und Verbindungsdaten sicherzustellen. Dabei wird auch auf Handy-Ortungen per "stiller SMS" gesetzt.

Die Aktion, wegen der hier eine terroristische Gefährdung der BRD behauptet wird, war offensichtlich gut geplant, hat aber mit Tötungsabsichten oder Terror nichts zu tun - umso mehr mit symbolischer Gewalt gegen eine berüchtigte Polizeiwache. Am Abend des 3. Dezember 2009 griff eine Gruppe von laut Polizei bis zu 15 Vermummten die Lerchenwache an, In einem in der Januarausgabe des Infos der Roten Flora, der Zeck, dokumentierten Bekennerschreiben bekannten sich die "Koukoulofori" zu dem Angriff, was im Griechischen "Die Vermummten" bedeutet, zur Erinnerung an den ein Jahr zuvor bei einer Polizeikontrolle erschossenen, unbewaffneten Alexandros Grigoropoulus und anknüpfend an die auf seine Erschießung folgende Revolte in Athen und anderswo, die sie treffend als "Wochen der Selbstermächtigung, voller Wut und Freude" beschrieben. Zu ihrem Vorgehen erklärten sie: "Wir haben die Fenster des Gebäudes eingeschmissen, die Eingangstür versperrt und die Garagen mit brennenden Mülltonnen zugemacht. Die vor der Wache abgestellten Polizeifahrzeuge fackelten ab und Farbflaschen flogen an die Wände. An einigen Zufahrtswegen haben FreundInnen Barrikaden errichtet und Krähenfüsse verstreut. Das galt den zu Hilfe eilenden Beamten."

Sie versperrten mit einem Fahrradschloss die Eingangstür und setzten zwei Streifenwagen in Brand. Mit Steinen wurden einige, nicht alle Scheiben des Gebäudes eingeworfen. In der Garage und im Eingangsbereich hielt sich je ein Polizist auf, die beide auch beworfen wurden - deshalb wird jetzt wegen "Tötungsabsicht" gefahndet. Verletzt wurde niemand, was im ebenfalls in der Zeck dokumentierten Kommentar einer Gruppe "Immer Ärger im Revier" betont wird: "Wer aus mehreren Metern Entfernung wirft, um zu verletzen oder sogar töten zu wollen, trifft auch oder wählt von vornherein andere Mittel. Die beiden auftauchenden Bullen sollten eingeschüchtert und vertrieben, ganz sicher aber nicht schwer verletzt oder gar getötet werden. Und dies ist auch ohne Verletzungen gelungen!"

Die Polizeiversion des Geschehens, welche eine Tötungsabsicht behauptet, stützt sich neben ihrer Darstellung nach zum einen auf die angeblich beabsichtigte Steinigung, zum anderen darauf, dass das Blockieren des Haupteinganges und der Garageneinfahrt bei gleichzeitigem Anzünden der beiden angezündeten Streifenwagen der Versuch gewesen sei, die PolizistInnen im Gebäude durch den Brand zu töten. Hierbei wird von der Polizei verschwiegen, dass die Lerchenwache über zwei weitere Ausgänge verfügt, die nicht versperrt waren.

In den Medien nicht nur Hamburgs, wird der Angriff auf die Lerchenwache zur beinahe terroristischen Bedrohung aufgebauscht. Fatalerweise geben alle JournalistInnen bis auf die "Taz" nahezu unhinterfragt die Polizeiversion wieder. So gab es auch Erstaunen darüber, dass die für die Verfolgung terroristischer Bedrohungen zuständige Generalbundesanwältin Monika Harms den an sich lokalen Fall an sich gezogen hat. "Aus der Übernahmebestätigung ist zu entnehmen, dass sich das Verfahren gegen eine noch nicht feststehende Anzahl unbekannter Personen wegen des Verdachts des versuchten Mordes und der versuchten besonders schweren Brandstiftung richtet", geht aus einer Antwort des Hamburger Senates auf eine Anfrage der Linken-Innenpolitikerin Christiane Schneider hervor. Die Informationen des "Taz"-Polizeireporters sind das einzige, was derzeit über die vermutlich umfassenden Ermittlungen bekannt ist.

Gaston Kirsche

Raute

Internationale Projektgruppe stellt Wanderausstellung vor

Zwangsarbeit in Südniedersachsen

Angehörige aus mindestens 16 Nationen leisteten während des Zweiten Weltkriegs in Südniedersachsen Zwangsarbeit. Im Mai 1944 befanden sich offiziell 8.091 ausländische Arbeitskräfte im Bereich des Arbeitsamtes Göttingen und 17.314 im Bereich des Arbeitsamtes Northeim. Der Göttinger Kulturwissenschaftler Günther Siedbürger geht sogar von 50.000 bis 60.000 Zwangsarbeitenden im Gebiet der heutigen Landkreise Northeim und Göttingen aus.

"Die ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter arbeiteten in nahezu allen denkbaren Wirtschaftsbereichen", erläutert Siedbürger. "Sie wurden in Gaststätten und Hotels, Bäckereien, kirchlichen Einrichtungen, Kommunen und Privathaushalten eingesetzt." Zwangsarbeiter wirkten in der Mühle, im Krankenhaus oder in der Munitionsfabrik. Sie waren sowohl in der Forst- und Landwirtschaft, als auch im Friseurgewerbe oder als Molkereiwagenfahrer anzutreffen.

Siedbürger hat in den vergangenen Jahren zur Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen geforscht. Seine Recherchen sind als Dokumentation im Mecke Verlag, Duderstadt, erschienen. Als Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt Duderstadt gehört er zu einer internationalen Projektgruppe, die die Ausstellung "Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit - Südniedersachsen 1939-1945" vorbereitet hat.

Die Ausstellung zeigt in 13 thematischen Stationen das Ausmaß und die Vielfältigkeit von Zwangsarbeit am regionalen Beispiel Südniedersachsen. Im Mittelpunkt stehen die Biografien ehemaliger Zwangsarbeitender aus fünf europäischen Ländern. Um den Stellenwert dieser Erfahrung im Leben der Betroffenen kenntlich zu machen, werden ihre gesamten Lebensläufe, weit über den Abschnitt der Zwangsarbeit in Deutschland hinaus, dargestellt. Die Spur der Lebensgeschichten ermöglicht einen Blick auf die europäische Dimension der NS-Zwangsarbeit.

Die Ausstellung ist interaktiv und multimedial. Neben Texten, Bildern und historischen Dokumenten zeigt sie in Schubladen und Vitrinenfenstern Objekte, die mit dem Thema verbunden sind. Multimediastationen stellen weitere Dokumente zur Verfügung. In zahlreichen lebensgeschichtlichen Filminterviews berichten ehemalige Zwangsarbeitende anschaulich von ihren Erfahrungen.

Auch Lisa Grow, Historikerin der Göttinger Geschichtswerkstatt, gehört zum Vorbereitungskreis. "Während der einjährigen Vorbereitungszeit haben wir intensiv mit Partnern aus Polen, Italien und den Niederlanden zusammengearbeitet", erklärt Grow. Auch die Fachhochschule Hannover und die Universitäten Hannover und Erlangen-Nürnberg beteiligten sich an den Vorbereitungen. Grow freut sich besonders, "dass es uns gelungen ist, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zum Tag der Eröffnung einzulanden." - Die Exponate und Schautafeln waren bis zum 14. Februar zu besichtigen.    kfb

Informationsmaterial: Als Begleitmaterial zur Ausstellung ist ein Katalog in Form einer Kartenbox mit Lebensgeschichten von Zwangsarbeitenden und Hintergrundmaterialien erschienen. Die Webseite www.zwangsarbeit-in-niedersachsen.eu dient als Anlaufstelle und informiert über weitere Details.

Raute

Zur Jugend ihres Großvaters

Niederländische Enkel recherchieren Lebensbedingungen und Aufenthaltsort

Annähernd 250 Interessierte kamen vor einigen Tagen zur Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung "Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit - Südniedersachsen 1939-1945" in die Göttinger Lokhalle. Die Organisatoren, die Geschichtswerkstätten Göttingen und Duderstadt, dankten den Betreibern des heutigen Veranstaltungszentrum, die es ermöglicht hatten, die Ausstellung an diesem historischen Ort zu präsentieren. Auf dem Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks mussten während des Zweiten Weltkriegs über 1.000 Zwangsarbeiter harte Knochenarbeit verrichten.

Einer der ersten Ausstellungsbesucher war der Niederländer Jan Janssen. Janssen lebt in der kleinen Ortschaft Grashoek in der niederländischen Provinz Limburg. Durch die dortige Lokalzeitung hatte er von der Göttinger Ausstellung erfahren. Am Morgen des ersten Eröffnungstages setzte sich Janssen mit seinen beiden jugendlichen Söhnen ins Auto, um in einer mehrstündigen Fahrt in die südniedersächsische Universitätsstadt zu reisen. Im Handschuhfach hatten sie ein interessantes Dokument: den Ausweis ihres Vaters und Großvaters Gerrit Janssen; im Februar 1945 ausgestellt vom Landrat des Kreises Duderstadt.

Gerrit und sein Bruder Andreas Janssen waren zwei von rund einhundert Männern jeden Alters, die aus der Provinz Limburg verschleppt wurden, um in Rhumspringe Zwangsarbeit zu verrichten. Die Enkel der Familie Janssen erhofften sich von dem Ausstellungsbesuch nähere Informationen über den Aufenthaltsort, die Lebensumstände und Arbeitsbedingungen ihres Großvaters.

Der Kulturwissenschaftler und Hauptinitiator der Ausstellung, Günther Siedbürger, konnte ihnen weiter helfen. Laut Siedbürgers Recherchen wurde Gerrit Janssen auf der Baustelle der Otto-Schickert-Werke in Rhumspringe eingesetzt. "Das war eine Baustelle für ein Chemiewerk, in dem Treibstoff für Flugzeuge und Raketen - unter anderem die V2 - produziert werden sollte", erklärt Siedbürger. Gerrit Janssen war dort, um Leitungen zu verlegen und Maschinen zu bedienen. Vermutlich - aber das ist nicht gesichert - war er zuvor wie viele seiner Leidensgenossen auch für einige Wochen zum Anlernen im Hauptwerk in Bad Lauterberg.

Zur Produktion von Treibstoffen in Rhumspringe kam es nicht mehr. Kurz vor der Fertigstellung der Anlage trafen amerikanische Truppen bei den kasernierten Zwangsarbeitern ein. "Unmittelbar nach ihrer Befreiung demolierten Zwangsarbeiter große Teile des Werkes in einer Art Freudenfest", weiß der Kulturwissenschaftler zu berichten.

Siedbürger ist mit den Besucherzahlen der ersten Tage sehr zufrieden. Zur Eröffnungsveranstaltung war mit 150 Besuchern gerechnet worden. Es kamen weit mehr. "Kurzfristig haben wir noch Stühle und Sektgläser ordern müssen", sagt Siedbürger. Das Eröffnungsprogramm, eine Mischung aus Ansprachen und Musik, stieß auf große Resonanz. Besondere Anerkennung fand der bewegende Auftritt des niederländischen Liedermachers Johan Meijer.

Die Ehrengäste, ehemalige polnische und niederländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, sind inzwischen wieder abgereist. Gemeinsam unternahmen sie eine Rundfahrt zu den Stätten ihrer Zwangsarbeit in Rhumspringe, Ebergötzen und Stockhausen/Obernjesa. Die Zeitzeugen waren sehr gerührt und fühlten sich geehrt von der Eröffnungsveranstaltung, den offiziellen Reden und der Ausstellung.  • kfb

Raute

TERMINE

Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation: Jahrestagung 2010

Schwerpunktthemen:
• Linke Reformpolitik heute
• Militarisierung der Außenpolitik und linke Gegenstrategien

Samstag und Sonntag, 27./28. März in Hannover

Naturfreundehaus in der Eilenriede, Hermann-Bahlsen-Allee 8, 30655 Hannover

Samstag, 27. März

1. 12.30 Uhr, Einlass, Registrierung

2. 13.00 Uhr, Begrüßung, Eröffnung

3. 13.15 bis 16.00 Uhr, Vorträge und Diskussion "Linke Reformpolitik heute"
   a) Einleitung Martin Fochler, Rückgriff auf "Gesetze" der gesellschaftlichen Entwicklung bei Marx und unsere Rezeption
   b) Lutz Brangsch, Rosa Luxemburg-Stiftung, Referat zum Thema "Evolution - wie sich die Gesellschaft verändert"
   c) Christiane Schneider, Luhmann und die Systemtheorie und ihr Nutzen aus linker Perspektive

4. Kaffeepause

5. 17.00 Uhr Neuwahl des Vorstands

6. Beschluß zum Kassenbericht und Bericht der Finanzprüfung, Beschluss über den Haushalt 2010

7. Politische Berichte: Satzung, Neuwahl der Redaktion

Sonntag, 28. März

10 Uhr. Militarisierung der Außenpolitik und linke Gegenstrategien.
Referent: Helmut Scholz, Abgeordneter im Europaparlament für die Linke, mit anschließender Diskussion.

Anreise mit der Bahn:
U-Bahnzugang in Höhe Gleis 13/14 (Rolltreppe). U-Bahn-Linien: Stadtbahn 9 (Richtung Fasanenkrug), Stadtbahn 3 (Altwarmbüchen) oder Stadtbahn 7 (Paracelsusweg).
An der sechsten Haltestelle Spannhagengarten aussteigen, Fahrtzeit vom Bahnhof acht Minuten.
In die Hermann-Bahlsen-Allee gehen (Merkmal Esso-Tankstelle) bei der Biegung der Straße weiter links gehen (immer noch Hermann-Bahlsen-Alle) bis zur Fußgängerampel, direkt gegenüber der Fußgängerampel ist der Weg (kleines Hinweisschild: Naturfreundehaus) zum Naturfreundehaus, den dritten Weg links (Zum Luftbad) einbiegen.


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Die nächste Ausgabe der Politischen Berichte erscheint am 8. April.

Redaktionsschluss: Freitag, 2. April. Artikelvorschläge und Absprachen über pb@gnn-verlage.de.
Tel: 0711/3040595, freitags von 7-12 h.

Die nächsten Erscheinungstermine, jeweils donnerstags: 6. Mai, 4. Juni, 1. Juli, 29. Juli

Raute

IMPRESSUM

Politische Berichte

ZEITUNG FÜR LINKE POLITIK - ERSCHEINT ZWÖLFMAL IM JAHR

Herausgegeben vom: Verein politische Bildung,
linke Kritik und Kommunikation,
Venloer Str. 440, 50825 Köln
Herausgeber: Barbara Burkhardt, Christoph Cornides,
Ulrike Detjen, Emil Hruska, Claus-Udo Monica,
Brigitte Wolf.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsanschriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft;
Auslandsberichterstattung:
Christiane Schneider, (verantwortlich),
GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg,
Tel. 040/43 18 88 20, Fax: 040/43 18 88 21.
E-mail: gnn-hamburg@freenet.de - Alfred Küstler,
GNN-Verlag, Postfach 60 02 30, 70302 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32.
E-mail: stuttgart@gnn-verlage.com

Regionales / Gewerkschaftliches: Martin Fochler,
GNN Verlag, Stubaier Straße 2, 70327 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32,
E-mail: pb@gnn-verlage.de

Diskussion / Dokumentation: Rüdiger Lötzer,
Postfach 210 112, 10501 Berlin,
E-mail: gnn-berlin@onlinehome.de

In & bei der Linken: Jörg Detjen,
GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
50825 Köln, Venloer Str. 440, Tel. 0221/21 16 58,
Fax: 0221/21 53 73. E-mail: gnn-koeln@netcologne.de

Termine: Alfred Küstler, Anschrift s. Aktuelles.

Die Mitteilungen der "Bundesarbeitsgemeinschaft der
Partei die Linke Konkrete Demokratie - Soziale Befreiung"
werden in den Politischen Berichten veröffentlicht.
Adresse GNN Hamburg

Verlag: GNN-Verlagsgesellschaft Politische
Berichte mbH, 50825 Köln, Venloer Str. 440
und GNN Verlag Süd GmbH, Stubaier Str. 2,
70327 Stuttgart, Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32
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Bezugsbedingungen: Einzelpreis 4,00 Euro. Ein
Halbjahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo
42,90 Euro), ein Jahresabonnement kostet 59,80 Euro
(Förderabo 85,80 Euro). Ein Jahresabo für Bezieher
aus den neuen Bundesländern: 54,60 Euro,
Sozialabo: 46,80 Euro. Ausland: + 6,50 Euro
Porto. Buchläden und andere Weiterverkäufer erhalten
30 % Rabatt.

Druck: GNN Verlag Süd GmbH Stuttgart

Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 3, 11. März 2010
Herausgegeben vom: Verein politische Bildung, linke Kritik und
Kommunikation
Venloer Str. 440, 50825 Köln
E-Mail: gnn-koeln@netcologne.de
Internet: www.gnn-verlage.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2010