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MARXISTISCHE BLÄTTER/634: Der Ausverkauf der Daseinsvorsorge


Marxistische Blätter Heft 1-17

Der Ausverkauf der Daseinsvorsorge

von Wolfgang Albers


Im Jahr 1972 hatte die damalige sozialliberale Koalition ein Krankenhausfinanzierungsgesetz verabschiedet, das die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung in der Fläche mit "leistungsfähigen und eigenverantwortlich wirtschaftenden" Krankenhäusern zukünftig gewährleisten sollte. Mit diesem Gesetz machten SPD und FDP die Krankenhausplanung in diesem Land zu einer öffentlichen Aufgabe, die dementsprechend auch gesamtgesellschaftlich zu finanzieren war. Sie reagierten damit auf den Umstand, dass viele der in den 1960er Jahren existierenden Krankenhäuser sowohl baulich als auch medizintechnisch einen erheblichen Sanierungsbedarf hatten, den sie aus eigener Kraft nicht bewerkstelligen konnten. Ein Drittel der Häuser war überaltert und ein großer Teil von ihnen verfügte über weniger als 150 Betten.

Finanzieren mussten sie sich in der Regel allein aus den individuell mit den Krankenkassen ausgehandelten Tagespflegesätzen, die sie für die Behandlung ihrer Patienten gezahlt bekamen. Das führte in der Konsequenz zu medizinisch völlig unbegründet langen Verweildauern, die die Behandlungskosten für die Krankenkassen in die Höhe trieben. Verlängerte Liegezeiten auf den Stationen waren an der Tagesordnung, denn jeder Tag Aufenthaltsdauer brachte den Kliniken Geld. Dennoch reichten die Einnahmen aus der Krankenversorgung für die notwendigen Investitionen bei weitem nicht aus.

Mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz wurde dieses Finanzierungssystem grundlegend umgestellt. Die öffentliche Hand übernahm die Investitionskosten für die Bereitstellung und die Unterhaltung der entsprechenden Versorgungsstrukturen, für die Gebäude und die notwendigen Großgeräte und finanzierte diese aus Steuermitteln. Die Krankenkassen waren für die laufenden Betriebs- und Behandlungskosten verantwortlich und zahlten dafür aus ihren Budgets. Durch diese "duale Finanzierung" sollte die ökonomische Basis der Krankenversorgung in der Fläche langfristig gesichert werden. Um die Krankenhäuser gleichzeitig aber auch zu einer wirtschaftlichen Betriebsführung zu zwingen, sah das Gesetz nicht die volle Finanzierung des jeweiligen Strukturbedarfs vor, sondern die Häuser mussten stets auch einen "Eigenanteil" an der Finanzierung der Kosten für die Errichtung und Unterhaltung sowie für die benötigten Großgeräte leisten.

Das Gesetz ist bis heute geltendes Recht und die duale Finanzierung ist nach wie vor ein sinnvolles Prinzip, an dem, trotz aller damit verbundenen Probleme, unbedingt festzuhalten wäre. Die danach ausgereichten Fördermittel haben aufgrund dieser Gesetzeslage im haushaltsrechtlichen Sinne keinen Zuwendungscharakter, das bedeutet, sie sind keineswegs freiwillige Leistungen der öffentlichen Hand, über die je nach Kassenlage zu entscheiden wäre und die grundsätzlich im Verwaltungsermessen stünden. Die Länder haben eine gesetzliche Pflicht zur Krankenhausförderung, aus der sich ein Anspruch der Krankenhäuser auf eine ausreichende Investitionsförderung herleitet. "Die Vorhaltung von Krankenhäusern als ein wesentliches Element der Daseinsvorsorge ist also keineswegs ein Gnadenakt des Staates, der zur politischen Disposition steht oder etwa wirtschaftlichen Nützlichkeitserwägungen unterliegen könnte." Dennoch kommen die einzelnen Bundesländer ihrer gesetzlichen Verpflichtung schon seit Jahren nur noch unzureichend nach.

In der aktuellen politischen Debatte wird deshalb immer wieder der Ruf nach dem Ausstieg aus diesem Finanzierungssystem und dem Einstieg in eine sogenannte "monistische" Finanzierung laut. Ein solcher Umstieg hätte zur Folge, dass sich der Staat vollständig aus der Finanzierung dieses wichtigen Sektors der Daseinsvorsorge zurückzöge und stattdessen die Krankenkassen nicht nur für die laufenden Behandlungskosten, sondern für die gesamte Krankenhausfinanzierung, einschließlich aller notwendigen Investitionen, aufzukommen hätten. Die Versicherten allein müssten dann die Kosten für Bau, Instandhaltung, Sanierung und Betrieb der Krankenhäuser tragen. Der Staat entzöge sich damit, im Widerspruch zum Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes, seiner staatlichen Aufgabe zur Daseinsvorsorge. Ein solcher Ausstieg aus jeder öffentlichen Krankenhausplanung wäre eine grundsätzliche Abkehr von der Intention der Gesetzgebung des Jahres 1972.

Insgesamt flossen infolge dieses Gesetzes zwischen den Jahren 1972 und 2006 bundesweit zunächst Investitionen in Höhe von 92,4 Milliarden Euro in die Krankenhäuser. Seit 1991 jedoch reduzierte sich diese Förderung spürbar. Sie sank um mehr als 25 Prozent. Die fatale Steuersenkungspolitik des Bundes zu Lasten der Länder zeigte Wirkung. Vor allem der Wegfall der Vermögenssteuer im Jahr 1996 wirkte sich auf die Investitionstätigkeit der Länder aus. War doch die Vermögenssteuer eine Ländersteuer und brachte diesen zuletzt jährliche Einnahmen immerhin in Höhe von umgerechnet rund 4,6 Milliarden Euro.

Mit der Schwächung der öffentlichen Einnahmen verkehrte sich der Fortschritt der dualen Finanzierung in einen massiven Nachteil für die Krankenhäuser. Seit Jahren werden ihnen Investitionen in einem Umfang von vier bis fünf Prozent ihres Umsatzes finanziert.

Nötig wäre das Doppelte. Für das Jahr 2013 stellten die Bundesländer insgesamt nur noch 2,7 Milliarden Euro für Krankenhausinvestitionen zur Verfügung. Benötigt hätten die Häuser aber mindestens 5,3 Milliarden Euro. Die Folgen waren absehbar. Städte und Gemeinden hatten ihre finanziellen Probleme direkt an die Krankenhäuser durchgereicht und ließen ihre Kliniken zumeist im Regen stehen. Dringlichst notwendige Sanierungsmaßnahmen mussten von den Krankenhäusern zunehmend aus eigener Kraft geschultert werden. Vorhandene Rücklagen waren dadurch schnell aufgebraucht. Ein tödlicher Kreislauf, weil notwendige effizienzverbessernde Maßnahmen mangels Investitionskraft einfach nicht umzusetzen waren. "2013 standen vor allem viele öffentlich-rechtliche Krankenhäuser mit dem Rücken zur Wand."

Die Insolvenzwahrscheinlichkeit für ein öffentliches Krankenhaus lag 2013 bei 29 Prozent und war damit fast sechsmal höher als bei einem privaten. Das eigentliche Problem der fehlenden öffentlichen Einnahmen wurde so zu einem Ausgabeproblem umdefiniert. Die kommunalen Kliniken wurden nun zum Kostenfaktor und die entsprechenden Ausgaben zu Verlusten, welche die öffentlichen Haushalte belasten und die deshalb durch rigide Einsparmaßnahmen in den Häusern zu kompensieren seien. Die Ouvertüre, mit der der Weg in die Privatisierung kommunaler Krankenhäuser eingeleitet wird, war und ist nahezu überall dieselbe. Der Versorgungsauftrag der Kliniken als Einrichtungen der Daseinsvorsorge gerät dabei semantisch völlig in den Hintergrund. Verbunden mit dem Vorwurf, die Häuser arbeiteten unwirtschaftlich, tauchen in dieser Phase zumeist die ersten externen Berater auf, die dann durch betriebliche "Umstrukturierungen" zunächst eine Verbetriebswirtschaftlichung aller logistischen, pflegerischen, aber auch medizinischen Abläufe einleiten. Doch so sehr sich die Häuser auch um eine Reduzierung ihrer Kosten mühen mochten und mühen mögen, die dauerhaft mangelnde volkswirtschaftliche Bereitstellung auch nur der notwendigsten Ressourcen ist betriebswirtschaftlich auf Dauer nicht aufzufangen. Während der ökonomische Druck auf die Krankenhäuser wuchs, hielt sich die politische Unterstützung zur Sicherung der medizinischen Daseinsvorsorge in öffentlichem Eigentum in Grenzen. So stellt der Bremer Gesundheitssenators Schulte-Sasse im Hinblick auf verschuldete Kliniken fest: "Jeder Defizitausgleich durch die Kommunen ist verschwendetes Geld." An der gleichen Stelle konstatiert der Vorstandsvorsitzende der Sana Kliniken AG, Michael Philippi: "Wenn kommunale Krankenhäuser den Umbruch nicht bewältigen können, gibt es auch keine Begründung, dieses Defizit aus Steuermitteln abzumildern." Die Bastion der kommunalen Daseinsvorsorge wird so sturmreif geschossen.

Es sei nicht nur realitätsfremd, sondern rechtlich auch nicht haltbar, die Krankenhausversorgung weiterhin als eine kommunale Pflichtaufgabe anzusehen, die eine materielle Privatisierung durch den Verkauf kommunaler Häuser aus rechtlichen Gründen nicht zulasse, argumentiert ein ehemaliger Syndicus großer Klinikkonzerne im Zentralblatt der "Deutschen Krankenhausgesellschaft". Der Versuch allerdings, Städten und Gemeinden gerichtlich zu untersagen, ihre defizitären Krankenhäuser finanziell zu stützen, ist zunächst gescheitert. Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken hatte vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen die Landkreise Calw und Nagold geklagt, die ihre Kreiskliniken 2012 mit rund sechs Millionen Euro unterstützt hatten. Ein solcher Ausgleich von Defiziten durch Steuergelder sei ein inakzeptabler Wettbewerbsnachteil und verstoße gegen die Regeln des EU-Binnenmarktes.

Die Privaten wollten mit der Klage erreichen, dass Krankenhäuser als kommerzielle Wirtschaftsbetriebe zu betrachten sind und damit dem Wettbewerbsrecht der EU unterliegen.

Sie beriefen sich in ihrer Argumentation dabei unter anderem auf das Vergütungssystem der diagnosebezogenen Fallpauschalen, das ja nicht zuletzt eine Strukturbereinigung der Krankenhauslandschaft zum Ziel hat, indem es darauf angelegt ist, unwirtschaftlich arbeitende Kliniken in den betriebswirtschaftlichen Ruin zu zwingen. Die Richter in Stuttgart befanden jedoch, dass Krankenhäuser "mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind". Deshalb fielen staatliche Beihilfen für kommunale Krankenhäuser nicht unter das EU-Wettbewerbsrecht. Sie seien vom EU-Vertrag ausdrücklich ausgenommen.

Unabhängig von der Stuttgarter Entscheidung, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung sicher noch vom Bundesgerichtshof geklärt werden dürfte, traten viele Gemeinden angesichts des über die Jahre aufgelaufenen Investitionsstaus, der ihnen auch in absehbarer Zeit über ihre öffentlichen Ressourcen nicht auflösbar erschien, die vermeintliche Flucht nach vorn an und trennten sich von ihren Kliniken, die so nicht selten bei der ersten günstigen Gelegenheit einfach nur noch billig abgestoßen wurden. Derweil betrachteten die Strategen in den Vorstandsetagen der privaten Krankenhausunternehmen die Entwicklung der finanziellen Misere der öffentlichen Hand mit abwartendem Kalkül, wie der folgende Auszug aus dem Konzernlagebericht der Rhön-AG deutlich macht: "Alte Denkmuster und ein mittlerweile existenzbedrohender Investitionsstau lähmen den Öffentlichen Krankenhaussektor in einem schneller und härter werdenden Markt. Anders als in der Vergangenheit, als die Kapitalbeschaffung über die duale Finanzierung noch ausreichte, haben die auf schlaffe Staatssäckel angewiesenen Krankenhäuser geringe Chancen, den Veränderungsprozess in einem wettbewerbsgetriebenen Markt auch nur annähernd mit der notwendigen Geschwindigkeit nachzuvollziehen. Ihrem erhöhten Kapitalbedarf wird nicht Rechnung getragen, im Gegenteil. Die aktuelle gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland - gekennzeichnet durch weniger Investitionstätigkeit, weniger Beschäftigung und damit weniger Beiträge in das gesetzliche Sozialversicherungssystem und rückläufige Steuereinnahmen - lässt die Lücken in den öffentlichen Haushalten weiter wachsen. Die verschärfte Finanzsituation und andere soziale Prioritäten, etwa Arbeitslosigkeit, zwingen den Staat zu Einschnitten bei der Finanzierung des Gesundheitswesens. Die Folge ist Desinvestment, das neben der Wettbewerbsfähigkeit der Häuser auch die Attraktivität der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft aushöhlt. Die vermeintliche Sicherheit des öffentlich-rechtlichen Bereichs geht in Unbeweglichkeit über. Er wird zum Verlierer des einsetzenden Verdrängungswettbewerbs. Die beste Ausgangsposition in diesem Wettbewerb haben Marktteilnehmer, die in der Lage sind, Leistung erhöhendes Kapital zu beschaffen."

Das Gewinnprinzip löst in der Logik der Konzerne das Bedarfsdeckungsprinzip ab. In der betriebswirtschaftlichen Konsequenz der Minimierung wirtschaftlicher Risiken gerät die Bedarfsdeckung zum untergeordneten Sekundäreffekt. "Privates Kapital wird im sich verändernden Krankenhausmarkt mit seinen immer höheren Anforderungen an langfristig potente Wachstumsfinanzierung künftig mehr denn je gefragt sein." "Ihre Kapitalstärke wird die Zukunft des Krankenhauses gestalten."

Und die Prognose der Privaten geht auf. An die Stelle des öffentlichen Trägers traten zunehmend große Klinikketten, die zum Teil als Aktiengesellschaften organisiert sind. Dementsprechend positionierten sich die großen Krankenhausunternehmen. "Die privaten Klinikketten stehen auf jeden Fall in den Startlöchern: Seit Jahren legen sie Geld für Übernahmen zurück, 2009 hatte Rhön eine Kapitalerhöhung um 460 Millionen Euro, 2011 Sana eine um 160 Millionen Euro beschlossen, um zusätzliches Geld für den Ausbau ihrer Klinikketten zu haben."

Mittlerweile ist der Anteil der Krankenhäuser in privater Trägerschaft, der 1991 mit 330 Häusern bei 14 Prozent lag, auf 695 Häuser angestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die Gesamtzahl der Krankenhäuser von 2164 auf 2017 gesunken, so dass der Anteil der Privaten nun fast 35 Prozent erreicht und damit höher liegt als der Anteil der öffentlich betriebenen Häuser.

Da die privaten Klinikketten in der Vergangenheit jedoch überwiegend die kleineren kommunalen Krankenhäuser aufgekauft haben, überwiegt beim Vergleich der Bettenzahl immer noch die Anzahl der in den öffentlichen Häusern betrieben Krankenhausbetten. Aber auch hier hat sich der Anteil der privaten Betten in den letzten Jahren deutlich erhöht. Er wuchs von 24.000 auf 75.000 Betten um 200 Prozent. Die Zahl der Patienten, die sich in den privaten Kliniken behandeln ließen, stieg ebenfalls. Zwischen 1991 und 2014 verdreifachte sich ihre Zahl auf über 16 Prozent.

Die ökonomische Voraussetzung für die rasante Entwicklung bei der Privatisierung von Klinikbetten war 1992 von der Regierungskoalition aus CDU und FDP durch die Ablösung des Selbstkostendeckungsprinzips geschaffen worden. Mit ihrem Gesundheitsstrukturgesetz, das am 1. Januar 1993 in Kraft trat, wurde das Finanzierungssystem für die Krankenhäuser noch einmal grundlegend geändert. Es brachte eine Abkehr von dem alten Finanzierungsprinzip, nach dem die Häuser als "sparsam wirtschaftende und leistungsfähige Krankenhäuser" einen Anspruch darauf hatten, dass ihre Selbstkosten durch die von den Krankenkassen zu zahlenden Tages- bzw. Pflegesätze und durch die Investitionskostenfinanzierung der öffentlichen Hand vollständig gedeckt werden mussten. Begründet wurde die Abkehr mit den im alten Finanzierungssystem fehlenden Anreizen zu Rationalisierungsbemühungen und sparsamem Wirtschaften, der Notwendigkeit der "Ausgabenstabilisierung" und einem dringend erforderlichen Bettenabbau. Zukünftig sollten im Vorhinein festzulegende Budgets zur Finanzierung der laufenden Kosten vereinbart werden, die "leistungsgerecht" waren. Für die Praxis bedeutete das, dass den Klinikbetreibern damit erstmals die Möglichkeit eingeräumt wurde, mit dem Betrieb eines Krankenhauses auch Gewinne zu erzielen. Für die großen Kapitalgesellschaften wurde die Gesundheitsversorgung so schnell zu einem lukrativen Geschäftszweig, der konjunkturunabhängig erfolgreich mit anderen Verwertungsmöglichkeiten privaten Kapitals konkurrierte.

Asklepios, Helios, Rhön und Sana, die großen vier der Branche, haben ihren Umsatz seit 2005 auf 11,9 Milliarden Euro um das 2,6-Fache erhöht. Zuletzt nahm er in den Jahren 2013 und 2014 jeweils um fünf Prozent zu. "Marktführer" ist dabei das Unternehmen Fresenius-Helios mit einem Umsatz von 5,2 Milliarden Euro. Es folgt Asklepios mit rund 3 Milliarden. Der Rhön-Konzern erzielte mit seinen Kliniken im Jahr 2014 einen Gewinn von 1,23 Milliarden Euro. Die Quelle, aus der sich dieser Profit schöpft, bleibt dabei zunächst einmal das staatlich regulierte Budget der gesetzlichen Krankenkassen. Zunehmend setzen die Privaten jedoch auch auf den Bau von Privatkliniken, die an die jeweiligen Budgetkrankenhäuser angedockt werden, um zusätzliche Erlöse außerhalb dieser Kassen-Budgetierung zu erzielen. Perspektivisch setzt man in den Vorstandsetagen darauf, dass die steigenden Gesundheitskosten letztlich die allgemeine Rationierung von Gesundheitsleistungen zur Folge haben werden und dass diese Leistungen dann von den Patienten auf dem freien Markt einzukaufen sind.

Wenn private Krankenhausunternehmen Eigenkapital-Renditen in einer Größenordnung von 18 Prozent und mehr "erwirtschaften" können, dann zeigt das nicht deren besondere Effizienz und Wirtschaftlichkeit, sondern einzig das Ausmaß der Dreistigkeit, mit dem sich hier die Anteilseigner aus den Geldern bedienen, die eigentlich in Gänze für die Versorgung und die Behandlung der Patienten eingezahlt wurden. "Struktur, Kalkulation und Höhe der Benutzerentgelte für die Krankenhäuser sehen keine Refinanzierung des eingesetzten Kapitals eines privaten Krankenhausträgers vor. [...] Soll das Eigenkapital refinanziert werden, müssen zwingend die Aufwendungen für die reine Krankenversorgung reduziert werden, weil keine Alternative verfügbar ist." Dazu passt das Ergebnis einer Studie des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen, die der Deutsche Städtetag veröffentlicht hat. Diese belegt, dass die Versorgungsqualität in kommunalen Krankenhäusern besser ist als in privaten Häusern. Bei den privaten sei im Beobachtungszeitraum 2002-2005 durchgängig eine signifikante Verschlechterung in der Versorgungsqualität erkennbar. "Kostenoptimierung" ist dabei das Stichwort. Angesichts dieser "Gefahr des zunehmenden Primats der Ökonomie gegenüber der Medizin" in Folge der Privatisierung von Krankenhäusern beauftragte die Bundesärztekammer eine Arbeitsgruppe ihres Vorstands mit einer Untersuchung zu den möglichen Auswirkungen. Darin kommt die Arbeitsgruppe zu dem Schluss: "Die Situation der Krankenhausversorgung ist durch einen zunehmenden ökonomischen Druck gekennzeichnet, der, ausgelöst durch die politischen Rahmenbedingungen der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen, mehr und mehr dazu zwingt, medizinisches Vorgehen, ärztliches Handeln und organisatorische Abläufe in den Krankenhäusern ökonomischen Anfragen gegenüber zu begründen. [...] Eine besondere Akzentuierung erfährt dies dann, wenn ein Wechsel des Krankenhausträgers z.B. vom kommunalen Träger zum privaten Krankenhausträger zu einer Situation der völligen Revision aller Prozesse im Krankenhaus und zu einer Reorganisation durch den neuen Krankenhausträger führt.

Die damit verbundene häufige Konfrontation zwischen ökonomischer Argumentation und medizinischer Sichtweise macht es vielfach schwierig, sich auf ein gemeinsames Ziel und einheitliches Vorgehen zu verständigen. Viele Ärztinnen und Ärzte erleben derartige Situationen als einen Widerspruch zwischen hippokratischem Eid und ökonomischen Anforderungen."

"Es wäre eine grundsätzliche Debatte wert, ob es zu verantworten ist, ein System, das immer noch der Daseinsvorsorge verpflichtet ist, der Gier von Shareholder-Value-Vertretern auszuliefern. In einem solidarisch finanzierten Sozialsystem gilt die Art des Umgangs mit leidenden Menschen immer noch als Kriterium für den Wert einer Gesellschaft." "Wo ein Krankenhaus durch privates Kapital betrieben wird, das eine Rendite abwerfen muss, da ist ein Interessenkonflikt zwischen bester Patientenversorgung und Gewinninteresse der Eigentümer programmiert." Zur vermeintlich größeren "Wirtschaftlichkeit" der Krankenhäuser nach einer Privatisierung wird festgestellt: "Die zunehmende ökonomiezentrierte Umstrukturierung des deutschen Gesundheitswesens geht einher mit der verstärkten Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente durch die Träger, um im verstärkten Wettbewerb bestehen zu können. Neben wiederholten Struktur- und Prozessänderungen wird insbesondere auch eine Änderung (Senkung) des Personalbudgets in Kliniken angestrebt. Die Nichtbesetzung von Stellen der aus Altergründen ausscheidenden Mitarbeiter, das Outsourcing und die damit verbundene neue, niedrigere Tarifeinstufung von Servicebereichen (z. B. Catering, Reinigung, Service etc.), die Verkürzung von Vertragslaufzeiten, aber auch die gezielte Ausgliederung ökonomisch nicht interessanter personalintensiver Fachbereiche sind nur einige der Konsequenzen, die daraus folgen." Natürlich hat eine solche "Strategie" auch die konsekutive Verschlechterung der Arbeits- und Tarifsituation in den kommunalen Häusern zur Folge. "Ein markanter Unterschied zwischen privaten Krankenhausträgern sowie kommunalen und freigemeinnützigen Krankenhausträgern besteht darin, dass der private Krankenhausträger seine betrieblichen Ziele ohne 'politisches Widerlager' unmittelbar durchsetzen kann, während kommunale und freigemeinnützige Träger, eingebettet in das jeweilige Gefüge politischer oder kirchlicher Instanzen, gegenüber diesen Instanzen für ihr Vorgehen begründungspflichtig sind." "Vor diesem Hintergrund haben die privaten Krankenhausträger früher als andere ein Gespür für die ökonomischen Möglichkeiten einer dem industriellen Bereich entlehnten Erstellung von Dienstleistungsprodukten entwickelt. Zu nennen sind hierbei die Erstellung von Dienstleistungen in Serie, die Nutzung der Ökonomie der großen Zahl, das Operieren mit Schemata bzw. Behandlungspfaden, der den menschlichen Einsatz ersetzende Gebrauch von Technik und die Reduktion des eigenen Interessengebietes auf im Vergleich unter Umständen verkürzte Sach- und Zeitkontexte einer umschriebenen Aufgabe, so dass auch bei Patienten mit mehreren Erkrankungen oder sozialen Begleitproblemen die Monodimensionalität der im Vordergrund stehenden Diagnose stark ausgeprägt sein kann." Die Arbeitsgruppe sieht sich angesichts dieser Entwicklung genötigt, die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung im Sinne der Wahrung der Therapiefreiheit als "unverzichtbare Voraussetzung" einzufordern. Und sie warnt gleichzeitig vor einer "substantiellen Gefährdung" der Medizin durch "Standardisierung und Schematisierung" als Folge der eindimensionalen ökonomischen Ausrichtung und der Gefahr einer ökonomisch bedingten Selektion von Patienten. Bereits 1999 wird mit Blick in die USA im New England Journal of Medicine darauf hingewiesen, dass die Profitorientierung der Gesundheitsversorgung weder ein besseres noch ein billigeres Gesundheitswesen garantiert. Im Gegenteil. Die staatlich finanzierte Medicare-Krankenversicherung weist für jene Regionen, in denen ausschließlich profitorientierte Kliniken die Versorgung der Bevölkerung übernommen haben, nach, dass die Ausgaben für den einzelnen Versicherten dort um rund 14 Prozent höher liegen als dort, wo es ausschließlich Non-Profit-Kliniken gibt.


Wolfgang Albers
, Dr. med., Berlin. Mitglied des Abgeordnetenhauses, gesundheits- und wissenschaftspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke

Mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
Kurze Leseprobe aus: Wolfgang Albers, Zur Kasse Bitte! - Gesundheit als Geschäftsmodell", Das Neue Berlin, 2016, 220 Seiten. Die umfangreichen Fußnoten wurden nicht übernommen.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-17, 54. Jahrgang, S. 46-53
Redaktion: Marxistische Blätter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2017

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