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MARXISTISCHE BLÄTTER/507: Gedanken zu gegenwärtigen internationalen Entwicklungstendenzen


Marxistische Blätter Heft 6-11

Gedanken zu gegenwärtigen internationalen Entwicklungstendenzen

von Anton Latzo


Veränderte Bedingungen

Gut zwei Jahrzehnte nach der Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und in den anderen osteuropäischen Staaten und der Restauration des Kapitalismus in allen Staaten Europas haben tief greifende qualitative gesellschaftliche Veränderungen in Europa und in der Welt stattgefunden.

Diese Veränderungen umfassen alle Bereiche der Ökonomie, Politik, Kultur, Ideologie, Moral usw. Sie geben Anlass für vermehrte Sorge um die Möglichkeit der Sicherung friedlicher Bedingungen für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und der sie umgebenden Umwelt unter kapitalistischen Bedingungen.

Die Hoffnungen der "Sieger" von 1989 haben sich aber auch nicht bestätigt, dass das Ende jeglicher Alternative zum kapitalistischen System erreicht ist.

Die Niederlage und ihre Folgen sind ein Rückschlag im Ringen um eine ausbeutungs- und unterdrückungsfreie Gesellschaft. Sie sind ein Rückschlag im Kampf um die Gestaltung friedlicher europäischer und internationaler Verhältnisse, die von der Souveränität und Gleichberechtigung der Staaten, von der Achtung gegenüber anderen Völkern und ihren Leistungen charakterisiert sind.

Der Sieg der Konterrevolution ist aber kein Triumph des gedeihenden , sondern des krachenden Kapitalismus, des Imperialismus, auf dessen Fahnen geschrieben steht: Klassenkampf, Konkurrenz, Krieg. Das Ringen um die Neuaufteilung der Welt ist in eine neue Phase getreten. Wir haben es mit einer veränderten Klassenkampfsituation in nationalem Rahmen und auf der internationalen Ebene zu tun.

Das Fehlen des Sozialismus als Hauptfaktor der internationalen Beziehungen hat tief greifende negative Auswirkungen auf das internationale Kräfteverhältnis und seine Entwicklung. Der aus dem Streben nach Profit und aus der ungleichmäßigen ökonomischen und politischen Entwicklung des Kapitalismus erwachsende Kampf um die Neuaufteilung der Welt wird immer offener geführt. Krieg ist zu einem international weitgehend akzeptierten Instrument der Politik der imperialistischen Großmächte geworden Die Militarisierung breitet sich auf immer neue Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in den imperialistischen Staaten und auf ihre Außenpolitik aus und verstärkt die reaktionäre Entwicklung in den Ländern und in ihrem äußeren Verhalten. Das Völkerrecht und die Internationalen Organisationen wurden zu Instrumenten der imperialistischen Politik degradiert und werden zur Rechtfertigung imperialistischer Aggressionskriege missbraucht.

Die Bestrebungen der USA, ihre Weltdominanz mit Gewalt durchzusetzen und eine neue "unipolare Weltordnung" dauerhaft zu etablieren, sind gescheitert. Eine vom Kapitalismus dominierte und vom Wirken seiner Gesetze geprägte multilaterale Weltordnung ist im Entstehen.

Die neue Lage ermöglicht den kapitalistischen Großmächten, ihre als Interessen umschriebenen expansiven und neokolonialistischen Ziele gegenüber den anderen Staaten und Völkern ungezügelt zu präsentieren und, wenn nötig, mit Krieg durchzusetzen. Sie zwingt sie, die innerimperialistischen Widersprüche mit größerem Nachdruck auszutragen. Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Produktionsweise ist auf seinen einfachsten und klarsten Ausdruck zurückgeführt worden.


Neue Akteure

Stabilisierende Wirkungen auf den Verlauf der internationalen Beziehungen gehen von den Entwicklungen aus, die sich - trotz widersprüchlichen Verlaufs - aus den dynamischen Prozessen in China, Indien, Brasilien und Südafrika ergeben. Die Stabilisierung Russlands als Weltmacht stellt ebenfalls einen Faktor dar, der geeignet ist, einen politischen Gegenpol zu den imperialistischen Erscheinungen in der Politik der kapitalistischen Großmächte zu bilden. Organisatorisch widerspiegeln sich diese Prozesse in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und im Verbund der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika).

In der Schanghaier Organisation werden die Potenziale Russlands und Chinas zusammengeführt und durch die der anderen Staaten ergänzt. China ist zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht in der Welt aufgestiegen. Von großer Bedeutung für die geostrategische Lage ist geblieben, dass Russland nach den USA führende Atommacht ist.

Die SOZ versteht sich als offenes und nicht als Blockbündnis. Eine Beistandsklausel ist weder in der Charta noch in den zwischen den Teilnehmern abgeschlossenen Freundschaftsverträgen enthalten.

Sie versteht sich als Alternative zum hegemonialen Streben der kapitalistischen Großmächte. Laut Charta der Organisation will sie "zur Errichtung einer neuen demokratischen, gerechten und rationalen politischen und wirtschaftlichen Weltordnung beitragen". Die Prinzipien, von denen sich ihre Mitglieder leiten lassen wollen, sind: "Gegenseitige Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit, territoriale Integrität der Staaten und Unverletzlichkeit ihrer Staatsgrenzen, Nichtangriff, Nichtanwendung oder Androhung von Gewalt in den internationalen Beziehungen, Verzicht auf einseitige militärische Vormachtstellung in den Grenzgebieten". Ihre praktische und anhaltende Wirksamkeit wird durch die zum Teil widersprüchlichen inneren gesellschaftlichen und politischen Prozessen begrenzt, die ihre nationalen Interessen zum Teil deformiert erscheinen lassen.

Mit der SOZ ist bisher gewissermaßen ein "Kontrapunkt" zu den Bestrebungen der USA und ihrer Partner (NATO) in der geostrategischen Region gesetzt worden.

Bisher wirkt sie vor allem durch ihre Existenz. Die Wirksamkeit ihrer gemeinsamen Aktionen bleibt abhängig davon, wie Widersprüche innerhalb des Bündnisses gelöst werden können, die sich aus zum Teil unterschiedlichen politischen Zielen aber vor allem aus unterschiedlichen sozial-ökonomischen Grundprozessen in den Ländern und daraus resultierenden Interessen ergeben.

Gegenwärtig stützt sich die Zusammenarbeit im Bündnis auf konvergierende Wachstums- und Sicherheitsideologien. Diese sind aber für die weltweite und nachhaltige Ausschaltung der imperialistischen Expansionspolitik und der Kriege auf Dauer unzureichend.

Um zu stabilem und dauerhaftem Einfluss auf die Gestaltung der internationalen Beziehungen im Sinne der UNO-Charta zu gelangen, bedarf es einer in Grundzügen übereinstimmenden komplexen Entwicklungsstrategie der Gesellschaft der einzelnen Länder, die bei allen Beteiligten den Weg für einen zum Kapitalismus alternativen Entwicklungspfad eröffnet und damit auch zu stabilen Grundlagen für miteinander harmonierenden nationalen Interessen führt. Die BRICS-Staaten formieren sich ausgehend von ihren nationalen Interessen, ihrer wachsenden wirtschaftlichen und internationalen Potenz und bilden so objektiv eine politische Gegenkraft zu den kapitalistischen Großmächten und ihrem Vormachtstreben.

Bei weiterer Stabilisierung dieser Entwicklungen auf der Grundlage des allgemein-demokratischen Völkerrechts kann eine Kraft entstehen, die Gewalt- und Hegemoniestreben sowie konfrontative Politik neutralisiert und eine Politik des friedlichen Interessenausgleichs auf der Grundlage des allgemein anerkannten Völkerrechts ermöglicht.


Die Krise und widersprüchliche Prozesse

Die widersprüchlichen Prozesse in den internationalen Beziehungen der Gegenwart werden durch die anhaltende und sich vertiefende Krise des Kapitalismus vertieft. Die Krise verstärkt die reaktionären Tendenzen und die Unberechenbarkeit der Verläufe in diesen Prozessen. Die Tendenz der Polarisierung schreitet voran und verstärkt die zu Kriegen führenden Faktoren.

Die Krise verschärft die ökonomische und politische Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten wie auch zwischen den etablierten und neu aufkommenden Mächten.

Die Verschärfung des Kampfes zwischen den imperialistischen Mächten um Märkte, Zugang zu Rohstoffquellen und um politische Einflusssphären hat zur Folge, dass Mächte wie die USA, die BRD und andere bestrebt sind, ihre jeweiligen Bündnisse - vor allem der NATO und der EU - verstärkt in die Realisierung ihrer Ziele einzubeziehen, ihre aggressive Politik unter dem Deckmantel dieser Bündnisse durchzuführen.

Gleichzeitig nehmen Widersprüche innerhalb der Bündnisse ebenfalls zu, weil die einzelnen Mächte ihre eigenen Ziele in den Vordergrund stellen und zu Ungunsten anderer Mächte und kleinerer Staaten realisieren wollen.

Auf jeden Fall führen die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus in den Ländern und die Gestaltung der Beziehungen in den Bündnissen des Großkapitals zu beträchtlichen Verschiebungen des Kräfteverhältnisses zwischen den Großmächten und ihren Allianzen. Sie führen zur Wiederbelebung alter Widersprüche und zu neuen Rivalitäten zwischen ihnen. Neue Bündnisansätze sind nicht ausgeschlossen.

Die Osterweiterung der EU und der NATO erweist sich auch in der Krise als ein wirksames Mittel zur Disziplinierung der Staaten Osteuropas im Sinne der imperialistischen Politik. Mit zunehmender Dauer führt sie jedoch zu einer Zunahme der Widersprüche zwischen den nationalen Interessen dieser Staaten und den imperialistischen Großmächten. Sie erweist sich also zugleich auch als ein wichtiges Feld der Entstehung und Austragung neuer Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten. In Wirklichkeit müssen die Staaten, die der NATO und der EU beigetreten sind, immer wieder wählen, ob sie sich von einer von den USA oder von der von Deutschland und Frankreich geführten Interessengruppe ausbeuten und international missbrauchen lassen.

Die Unsicherheitsfaktoren, die daraus für den Frieden und für die Kalkulierbarkeit des Verlaufs der internationalen Beziehungen entstehen, sind nicht zu übersehen. Damit wird auch die Aggressivität dieser Bündnisse nicht unwesentlich weiter gesteigert.


Großmächte und Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas

Die Krise verstärkt die objektiv bestehenden Widersprüche zwischen den imperialistischen Großmächten und den jungen Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas.

Die Aggressionskriege gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und andere Staaten sind Ausdruck des wieder offen zu Tage tretenden Willens der imperialistischen Mächte, ihre Ausdehnungs- und Unterwerfungspolitik länder- und kontinentübergreifend immer weiter auszubreiten. Sie sind Ausdruck des offen geführten Kampfes für die Zurückdrängung und Beseitigung des nichtkapitalistischen Entwicklungsweges in diesen Ländern und für die Politik des Neokolonialismus.

Durch die imperialistischen Mächte werden Kriege wieder als legitime Mittel zu seiner Durchsetzung betrachtet.

Das allgemeindemokratische Völkerrecht wird verletzt und sein Inhalt wird in das Gegenteil seiner ursprünglichen Bestimmung verkehrt.

Das Völkerrecht, die UNO und ihre Institutionen werden zur Rechtfertigung des Neokolonialismus und der imperialistischer Aggressions- und Ausbeutungspolitik missbraucht.

Die Verletzung der Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität durch die Politik der kapitalistischen Großmächte und durch ihre imperialistischen militärische Aggressionen, die Negierung des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung wird zu einer Konstanten der internationalen Beziehungen unter den Bedingungen der Dominanz der imperialistischen Großmächte.

Diese den Weltfrieden bedrohende Entwicklung wird dabei ergänzt, flankiert durch den Einsatz der Medien und modernen Kommunikationsmittel, durch den internationalen Einsatz von Stiftungen, "Hilfsorganisationen" und so genannten Denkfabriken, durch politische und geistige Manipulierung der eigenen Bevölkerung und der Menschen in den angegriffenen Länder. Es erfolgt eine massenhafte Verwandlung der Mittel zur Verbreitung der Kultur und der Völkerverständigung in Mittel des imperialistischen Krieges und der Zerstörung, in Mittel zur Ausweitung und Sicherung der Macht des Kapitals und des Profits.

Hauptobjekte dieser imperialistischen Politik sind die Länder, die auf dem Weg der Konsolidierung der nationalen Unabhängigkeit auf politischem und ökonomischem Gebiet am weitesten gekommen waren. Das Schicksal Jugoslawiens, Afghanistans, Iraks, Syriens, Libyens, Algeriens dürften in diesem Sinne weitere Staaten auf allen Kontinenten zu teilen haben.

Der Kampf der Völker dieser und anderer Länder besonders Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zeigen aber auch die Kraft der um ihre Selbstbestimmung und gegen die imperialistische Aggression kämpfenden Völker. Die imperialistischen Aggressoren konnten noch in keinem einzigen Fall ihre ursprünglichen Ziele vollständig erreichen. Allerdings wird auch deutlich, dass die organisierte Kraft fehlt, die in der Lage ist, die Zusammenfassung der progressiven Potenzen zu vollbringen, um sie zum wirksamen Mittel im Kampf gegen Imperialismus und Krieg werden zu lassen.

Die Kraft des Einzelnen reicht auf Seiten der Verteidiger gegenwärtig nicht aus, um erfolgreich dem Kampf der imperialistischen Großmächte gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker entgegen zu wirken. Die fehlende Solidarität unter den Betroffenen untereinander und zwischen den Betroffenen und den progressiven Kräften des Auslands erleichtert es den Aggressoren, ihr Werk zu tun.

Unter den Bedingungen des gegenwärtigen internationalen Kräfteverhältnisses nimmt der Feldzug zur Demütigung und Unterdrückung der Entwicklungsländer durch die imperialistischen Mächte weiter zu. Ihre ökonomische und kulturelle Rückständigkeit und politische Abhängigkeit sollen auf einem Niveau erhalten werden, das ihre weitere Ausbeutung auf der einen Seite möglich aber zugleich für das ausländische Kapital auch lohnend macht.

Andererseits zeigt die Entwicklung der VR China, Vietnams und Kubas, dass der Sozialismus auch für diese Länder eine Alternative bietet, aus einem einst schwachen und armen Land in kolonialem Zustand ein unabhängiges, für das Wohl des Volkes und für den Frieden erfolgreich wirkendes Land zu machen.

Die aggressive Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Markt, Profit und politischen Einfluss versprechenden arabischen und nordafrikanischen Staaten soll diese Länder von den jeweiligen imperialistischen Mächten abhängig machen, um möglichst hohe Profite und geostrategische Vorteile gegenüber dem jeweiligen Konkurrenten zu erzielen.

Sie sollen vor allem die weitere Entwicklung progressiver Bewegungen der nationalen und sozialen Befreiung in diesen geographischen Räumen und in anderen Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas verhindern.

Gleichzeitig zeigt der Verlauf der Ereignisse in den arabischen und nordafrikanischen Staaten, dass die Anstrengungen der Völker dieser Länder im Kampf um Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt massiv missbraucht werden Unter Einsatz umfangreicher ökonomischer, politischer und militärischer Mittel sowie der Medien sind die Großmächte des Kapitals dabei, fortschrittliche Prozesse in den Ländern umzufunktionieren und so in die Verfolgung der langfristigen Interessen der imperialistischen Großmächte einzubinden, sie zu verfälschen und ihr Gegenteil umzukehren.

Die demokratische und nationale Befreiungsbewegung in diesem Teil der Welt soll nun, nach der Niederlage des Sozialismus, ausgehöhlt und in eine ausschließlich pro kapitalistische, neokolonialistisch geprägte Entwicklung umgeleitet werden, die dem Kapitalismus materielle, politische und geostrategische Reserven erschließt und langfristig sichert.


Veränderte Bedingungen in den Entwicklungsländern

Dies erscheint ihnen möglich, weil im Vergleich zur Situation Ende des XX. Jahrhunderts die imperialistischen Mächte sich inzwischen auf negativ veränderte ökonomische, politische und ideologische Bedingungen in den Entwicklungsländern stützen können.

Unter aktiver Beteiligung dieser Großmächte wurden progressive, antikapitalistische Prozesse in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik dieser Länder weitgehend zum Stillstand gebracht bzw. sogar zurück gedreht.

Negative Wirkungen gehen auch von den konservativen ökonomischen Strukturen aus, deren Renaissance absichtlich von den Vertretern des kapitalistischen Entwicklungsweges betrieben wird.

In den meisten Ländern ist die Klassendifferenzierung der Bevölkerung noch bei weitem nicht vollendet, der Anteil der Zwischenschichten mit unbestimmter Klassenposition bleibt überaus groß. Überbleibsel feudaler, halbfeudaler und gänzlich archaische sozialökonomischer Formen werden von den Herrschenden in den Ländern geduldet und auch bewusst ausgenutzt, um subjektiv geprägte politische Ziele zu verfolgen, die der Erringung bzw. Erhaltung der persönlichen Macht dienlich sind.

Solche Bedingungen erschweren die Formierung der Arbeiterklasse, die Entwicklung eines klassenmäßigen antikapitalistischen Bewusstseins und die Organisiertheit der verschiedenen Schichten der werktätigen Bevölkerung.

In der Zwischenzeit haben sich vor diesem Hintergrund die Widersprüche zwischen Regierungen, die den nichtkapitalistischen Entwicklungsweg verlassen haben, und ihren Völkern in den Ländern Asien, Afrikas und Lateinamerikas selbst verschärft.

Die innenpolitische Situation wird für politisch verantwortungsbewusste Kräfte mittel- und längerfristig nur schwer kalkulierbar.

Angesichts solchen Geflechts an Widersprüchen in diesem Teil der Welt ergibt sich eine Situation, die es den imperialistischen Mächten ermöglicht, sich der demokratischen Bewegungen in den Staaten zu bemächtigen, sie in bürgerkriegsähnliche innerstaatliche politische Konflikte umzuwandeln und neue derartige Konflikte anzuzetteln, die sie dann für die Rechtfertigung ihrer neokolonialistischen Interventionspolitik ausnutzen, missbrauchen können. Ihre Aggressions- und Expansionspolitik verstecken sie dabei hinter einem Vorhang von Demagogie und Lüge, die sie hinter Losungen von "Demokratie" zu verbergen versuchen.

Die widersprüchlichen inneren Prozesse und das nach der Niederlage des Sozialismus und der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung entstandene Kräfteverhältnis nutzend mischen sich die imperialistischen Großmächte in die inneren Angelegenheiten dieser Staaten ein und betreiben den bewaffneten Export der Konterrevolution, um diese Länder erneut in kapitalistische Einflusssphäre zu pressen bzw. dort festzuhalten, sie in das System des renovierten Neokolonialismus einzugliedern. Sie entstellen und missbrauchen die wahrhaft demokratischen Bestrebungen der Völker dieser Länder.

Diese Entwicklung und ihre Zuspitzung stellen eine Gefahr für den Weltfrieden dar!

Kampf um Achtung der Selbstbestimmungsrechts der Völker wird zu einer zentralen Frage des antiimperialistischen Kampfes Die Entwicklung des Kapitalismus und der internationalen Prozesse nach der Niederlage des Sozialismus und der internationalen Arbeiterbewegung haben keinen Wandel im Wesen des Imperialismus, seiner Abenteuerlichkeit und Raubgier mit sich gebracht. Sein Expansionsdrang und seine Aggressivität sind nicht geringer geworden.

Geblieben ist das Streben nach Höchstprofiten, verstärkt hat sich die Ausbeutung und Unterdrückung im nationalen und internationalen Rahmen. Die Expansion wird wieder offen und auch mit kriegerischen Mitteln betrieben. Zunehmend erfolgt sie auch in Konkurrenz zueinander.

Die Aggressionen imperialistischer Großmächte gegen Jugoslawien und Afghanistan, über Irak und bis Algerien und Libyen weisen darauf hin, dass in den internationalen Beziehungen der Gegenwart und im Kampf der kommunistischen und Arbeiterparteien, der Friedensbewegung und der anderen progressiven Bewegungen die Frage des Kampfes um die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und Staaten nicht nur eine Frage des Völkerrechts ist. Sie tritt als zentrale Forderung des Kampfes gegen Kapitalismus und Imperialismus erneut in den Mittelpunkt des antiimperialistischen Kampfes. Diese Frage zu klären, einheitliche Standpunkte in den Grundfragen herbeizuführen und die progressiven Kräfte in ihrem Kampf um ihre Verwirklichung solidarisch zu unterstützen, schält sich als eine Hauptforderung des antiimperialistischen Kampfes heraus.

Diese Aggressionen zeigen, dass die imperialistischen Großmächte gewillt sind, alle Potenzen, die ihnen zur Verfügung stehen, einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen - einschließlich aggressiver Kriege!

Diese Aggressionen zeigen erneut, wie schon so oft in der Geschichte, dass die imperialistischen Mächte nicht bereit sind, das Recht der Völker auf selbständige staatliche Existenz bedingungslos anzuerkennen, sondern nur dann, wenn die angegriffenen Staaten, sich den Bedingungen der imperialistischen Mächte widerspruchslos beugen.

Deutlich wird, dass von ihnen nicht nur das Recht, in eigenem Staat zu leben, bekämpft wird, sondern auch der Wille der Völker, selbst die Gesellschaftsordnung zu bestimmen in der sie leben wollen, mit militärischen Mitteln niedergeschlagen wird. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und der Staaten hat für die kapitalistischen Großmächte nur dann Gültigkeit, wenn sich die überfallenen Völker für die kapitalistische Ordnung und für die imperialistische Politik entscheiden und ihre nationalen Reichtümer zur Ausbeutung durch das ausländische Kapital freigeben.

Damit wird für die Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas aber auch für die progressiven Kräfte in den anderen Teilen der Welt ein deutliches Warnsignal gesetzt: Falls die Völker dieser Länder ihren Anspruch auf die Beseitigung jeglicher Formen des Kolonialismus, auf die Errichtung eines eigenen souveränen Staates mit selbst bestimmter gesellschaftlicher Ordnung oder auf die Herstellung ihrer uneingeschränkten Verfügungsgewalt über die natürlichen Reichtümer ihres Landes geltend machen wollen, und dies den Interessen der einen oder anderen imperialistischen Großmacht widerspricht, müssen sie die Wucht des Kriegsbeils ertragen.

Die Durchsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung ist also eine zentrale Frage des Kampfes um progressive, antikapitalistische Entwicklungswege.

Die Forderung nach Selbstbestimmung ist nicht mit der Forderung nach Zerstückelung, Abtrennung, mit der Bildung kleiner Staaten gleichzusetzen. Sie ist folgerichtiger Ausdruck für den Kampf gegen jede nationale und soziale Unterdrückung.

Der Imperialismus, die imperialistischen Mächte haben mit diesen Aggressionen offensichtlich den offenen Kampf gegen die Völker der ehemaligen Kolonien und gegen den Frieden der Welt wieder aufgenommen.


Weitere widersprüchliche Entwicklungen

Anlass zur Besorgnis und ein Ergebnis der Politik der imperialistischen Mächte unter den veränderten Bedingungen ist die wachsende Zahl an regionalen Spannungs- und Konfliktsituationen, die immer öfter mit dem Einsatz militärischer Gewalt bzw. durch Krieg einer Lösung zugeführt werden sollen. Die Krise verstärkt das Aufkommen solcher Situationen.

Eine weitere Gefahrenquelle erweitert sich in Gestalt der Verstärkung neoimperialistischer Tendenzen der Anfachung ethnischer Konflikte in allen Teilen der Welt, einschließlich in Europa, die zur Kleinstaaterei durch Zerschlagung bestehender staatlicher Gebilde auf der Grundlage der Realisierung des Prinzips des teile und herrsche führen.

Der Boden für neue Gefahrenquellen bleibt auch deshalb fruchtbar, weil die Widersprüche und strukturellen Probleme, die der andauernden Krise zugrunde liegen, nicht gelöst werden konnten. Auftretende Erholungstendenzen der Weltwirtschaft bleiben zeitweilig, unausgewogen und zerbrechlich.

Unter solchen Bedingungen bleibt das internationale Wettrüsten bestehen und verstärkt die Unsicherheitsfaktoren für den Frieden in der Welt. Die kapitalistischen Großmächte, die NATO, die EU entwickeln ihre Sicherheits- und Militärstrategien ununterbrochen weiter. Laufend werden Militärreformen durchgeführt und ausgeklügelte Militärtechnologien entwickelt. Strategien für die militärische Nutzung des Weltraums werden erdacht und eingeführt. Die Mittel zur Ausführung weltweiter Militärschläge sind vorhanden und einsatzfähig. Die Militarisierung ergreift immer neue Bereiche der Gesellschaft.

Diese und zahlreiche gleichgerichtete Prozesse finden in einem Raum statt, der von idealistischen, neoliberalen, reformistischen Ideologien beherrscht wird, die bei großen Teilen der Bevölkerung und politischen Repräsentanten ideologische Desorientierung und Illusionen über Kapitalismus und gesellschaftliche Entwicklung, über Kapitalismus und die Frage von Krieg/Frieden bewirken und damit Bedingungen schaffen, die für den Antikommunismus und Rechtsextremismus, Nationalismus und Chauvinismus günstige Entfaltungsmöglichkeiten bieten.

Daraus ergibt sich: Der Weltfrieden bleibt trügerisch und gefährdet!

Eine Hauptrichtung im Wandel in der internationalen Lage kommt gegenwärtig und in absehbarer Zeit in einer Zunahme des internationalen strategischen Wettbewerbs bezüglich der weltpolitischen Rangordnung der Großmächte zum Ausdruck. Das internationale Gleichgewicht der Großmächte verändert sich und bringt ständig neue Unsicherheiten und neue Gefahren hervor!


Probleme der Alternative

Leider verfügt die Arbeiterbewegung heute weder über eine gemeinsame Strategie des Kampfes gegen den Kapitalismus/Imperialismus und seine Politik und noch weniger über gemeinsam erarbeitete Orientierungspunkte für eine gemeinsame Außenpolitik. Eine klare strategische Ausrichtung, die auf einer marxistischen Analyse der Gegebenheiten beruht, ist aber Voraussetzung für das Entstehen eines wirksamen Zusammenwirkens untereinander und mit anderen Bündnispartnern.

Im Interesse der Sicherung des akut gefährdeten Friedens in der Welt, der friedlichen Zusammenarbeit der Staaten müssen entschiedene demokratische Forderungen gemeinsam erarbeitet, vertreten und der Kampf für ihre internationale Durchsetzung organisiert werden.

Dazu gehört:

• der Kampf für Gewaltfreiheit und Ablehnung von
imperialistischen Kriegen,

• für bedingungslose Achtung und Durchsetzung des Völkerrechts, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten und für die Unverletzlichkeit der territorialen Integrität der Staaten,

• Ablehnung hegemonialer Bestrebungen der kapitalistischen Großmächte und ihrer Politik der Blockbildungen, also auch der NATO und der EU,

• Kampf für eine demokratische Weltordnung, in der Armut und Hunger, Ausbeutung und Unterdrückung und damit Wurzeln für Terror und Drogenkriminalität wirkungsvoll bekämpft werden.

• Kampf für Frieden und für stabile friedliche Bedingungen zur Entwicklung gleichberechtigter Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil.

• Kampf gegen das internationale Wettrüsten und für Abrüstung bleibt eine lebenswichtige Aufgabe. Ihre Unterschätzung und Vernachlässigung muss überwunden werden.
Die Bekämpfung der Weiterverbreitung von Atomwaffen und ihrer Existenz bleibt eine zentrale Herausforderung.
Der Kampf gegen die Atomkraftwerke ist notwendig, wichtig und richtig. Es stellt sich aber die Frage, warum von den verschiedensten Bewegungen und linken Parteien nicht berücksichtigt wird, dass der Kampf gegen die Atomwaffen von eben solcher Dringlichkeit ist.

• Das Verbot jeglicher Waffenexporte und der Rüstungsproduktion muss als wirksame Forderung ebenso durchgesetzt werden, wie die Abschaffung der Rüstungsindustrie bei sozial verträglicher Konversion. An Bedeutung gewinnen Aktionen zur Durchsetzung des Verbots neuer Militärtechnologien, neuer Strategien für den Weltraum, für den Einsatz der Systeme und Netze der Informationstechnologie und für das Verbot des Missbrauchs der polaren Regionen für militärische Zwecke. Die Mittel zur Ausführung weltweiter Militärschläge müssen verboten werden.

• Der Kampf für die allgemeine und vollständige Abrüstung muss wieder zu einem zentralen Anliegen der kommunistischen/sozialistischen Parteien und der Friedensbewegung gemacht werden.

Die Durchsetzung der demokratischen Forderungen macht es erforderlich, auch unter Berücksichtigung des Fehlens des Sozialismus als internationales Staatensystem, die Fragen der internationalen Beziehungen und des Friedenskampfes mehr als je zuvor vom Standpunkt der Interessen der Arbeiterbewegung zu stellen und zu werten.

Vor allem ist es notwendig, das einzelne Ereignis, das Äußere, das Scheinbare auf die grundlegenden Triebkräfte, auf die Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, auf ihren Klassencharakter und den Klassenkampf zurückzuführen.

Dies um so mehr als es mit der Niederlage des Sozialismus auch zu einem Verlust an Idealen des gesellschaftlichen Fortschritts, an progressiver Ideologie und zum Verlassen des Ideenguts von Marx, Engels und Lenin durch viele linke Kräfte kam Sie passten sich dem politischen Zeitgeist an, was nicht nur zur Orientierungslosigkeit in den Parteien und bei den Massen sondern auch zur Lähmung ihrer gesellschaftlichen Aktivität führte. Bei den Massen machte sich Resignation und Enttäuschung über Politik, Parteien, Parlamente, Regierungen breit. In den sozialistischen/kommunistischen Parteien kam es zu Spaltungs- und Auflösungserscheinungen. Ebenso in der Friedensbewegung.

Den genannten Aufgaben und den Erfordernissen des damit verbundenen Klassenkampfes kann jede Partei und die internationale Bewegung insgesamt nur gerecht werden, wenn sie Inhalt und Erfordernisse des sozialistischen Internationalismus zur Grundlage ihres inneren und äußeren Handelns macht und als Partei mit internationalistischem Profil antritt.

Nur stetes Ringen um antikapitalistische Lösungen, auch um Teilziele auf dem Weg zu einer gerechten ausbeutungs- und unterdrückungsfreien Gesellschaft, und nicht passives Warten auf ein plötzliches, spontanes Umschwenken von sozialen und politischen Spannungen zum aktiven Handeln der Klasse und der Massen kann zu Frieden und sozialen Fortschritt führen.

Jede Partei und die Bewegung insgesamt müssen dabei sowohl auf jähe Wendungen im Klassenkampf und in den internationalen Beziehungen, einschließlich Krieg, als auch auf einen längeren Zeitraum des Kampfes unter Bedingungen eingestellt sein, die vom Kapital und seinen Widersprüchen bestimmt werden.

Nach der Niederlage Ende des 20. Jahrhunderts, nach den Illusionen über den Kapitalismus, beginnen in der Zwischenzeit die Menschen ihren Erfahrungsschatz mit den ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnissen des Kapitalismus zu aktualisieren. Es beginnt sich die Erkenntnis erneut Bahn zu brechen, dass der Kapitalismus sich über seine Krisen und die von ihm national und international praktizierte Ausbeutung von Mensch und Natur in seinem Wesen unverändert reproduziert, dass er eine wachsende Gefahr für die menschliche Zivilisation und für Frieden bleibt.

Die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise hat offenbar ein Stadium erreicht, in dem sich die Kapitalakkumulation immer rücksichtsloser vollzieht. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte haben sich so bedrohliche Destruktivkräfte herausgebildet wie in der Gegenwart. Vor uns liegt eine Periode ernster und zerstörerischer Krisen, härtester Klassenkonflikte und neuer Kriege.

Die Verteidigung der Interessen der abhängig Beschäftigten, die Macht-, Eigentums- und Systemfrage, die Stärkung des sozialistischen Internationalismus rücken immer wieder, auch auf neue Weise in das Zentrum des Kampfes für einen Ausweg aus der zerstörerischen Logik des Kapitalismus.

Die kommunistischen/sozialistischen Parteien, alle marxistischen Kräfte sind gefordert, die marxistisch-leninistischen Erkenntnisse und die auf dieser Grundlage gemachten Erfahrungen der nationalen und internationalen Arbeiterbewegung auf diese neuen Bedingungen des Klassenkampfes anzuwenden, der entweder mit dem Sieg der Arbeiterklasse oder mit der Rückbildung der Zivilisation in die Barbarei enden kann.


Anton Latzo, Prof. Dr., Langerwisch, Historiker


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 6-11, 49. Jahrgang, S. 106-115
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2012