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MARXISTISCHE BLÄTTER/499: Protest, Demagogie und Querfront


Marxistische Blätter Heft 5-11

Protest, Demagogie und Querfront - Begriffsklärungen für die antifaschistische Strategie

von Jürgen Lloyd


"manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum"
(Ernst Jandl: "Lichtung")


Da kommt ein Nazi daher und schreit: "Nieder mit der Lohnsklaverei! - Enteignet die internationalen Großkonzerne! - Überwindet den Kapitalismus!" Wie können Antifaschistinnen und Antifaschisten darauf reagieren?

Die Erfahrung, dass Antifaschisten in der praktischen Auseinandersetzung mit einem solchen Auftreten recht souverän umgehen - nämlich den Faschisten, egal mit welcher Demagogie sie auftreten, entgegenzutreten und deutlich zu machen, dass es keine Legitimation für öffentliche Propaganda von Faschisten gibt - diese zum Glück vorhandene praktische Erfahrung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Souveränität im Umgang mit faschistischer Demagogie schnell ihre Grenzen hat, sobald der Nazi nicht mehr offen als solcher zu erkennen ist.

Zumindest für den Bereich des antifaschistischen Spektrums, der sich auch als antikapitalistisch versteht, dürfte eine Kritik auf Basis solcher Parolen eines Nazis schwer fallen. Und das ist nun keineswegs ein Problem, das erst mit neueren Entwicklungen faschistischer Bewegungen entstanden ist. Demagogie gehörte - und zwar mit unterschiedlicher zielgruppengerechter Ansprache - von je her in die Werkzeugkiste der Faschisten(1). Aber genau hier zeigt sich die Nützlichkeit und Tragfähigkeit marxistischer Theorie, nämlich beim Verständnis der Funktion von faschistischer Demagogie und bei der Frage, welche Aufgabe hierbei für die antifaschistische Praxis entsteht. Ein Autor, der für die Erarbeitung und Formulierung dieser Theorie unverzichtbare Leistungen erbracht hat, ist der vor 25 Jahren verstorbene marxistische Sozialwissenschaftler und Faschismusforscher Reinhard Opitz(2). Die Erkenntnisse, die Opitz' Analysen zu diesen Fragen und im Besonderen zu Querfront-Strategien und zur Bündnisarbeit bietet, seien im Folgenden kurz dargestellt.

Der Ausgangspunkt von Opitz' Analyse ist die Leninsche Imperialismustheorie(3) und die Erkenntnis, dass im Monopolkapitalismus der Kampf um die Durchsetzung der monopolkapitalistischen Interessen gegen die Interessen der überwiegenden Mehrheit aller anderen Bevölkerungsgruppen (bis hin zu Teilen der kapitalistischen Klasse, nämlich eben derer nicht-monopolistischer Teile) zum maßgeblichen Inhalt der Politik wird.


Das Missverständnis des "Ökonomismus"

Hier setzt auch in Teilen der Linken oft ein Missverständnis ein, das dann zum Vorwurf führt, Opitz (und mit ihm Dimitroff und mehr oder weniger große Teile der gesamten marxistischen Faschismustheorie) würden die politische Erscheinung des Faschismus auf ökonomische Klasseninteressen reduzieren(4) Das Missverständnis, das auszuräumen ist, weil sonst die weitere Argumentation nicht verständlich ist, basiert auf einer falschen Trennung von "Politik" und "Ökonomie". Es waren Marx und Engels, die mit der Beschreibung der Geschichte aller bisherigen (Klassen-)Gesellschaften als "Geschichte von Klassenkämpfen"(5) die Geschichtsschreibung auf einen materialistischen Boden stellten. Wenn Engels begründet, dass der Staat als Ergebnis des Klassenantagonismus als "scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nötig geworden"(6) ist und beschreibt, wie sich der Staat als "erste ideologische Macht über den Menschen"(7) darstellt, dann ist das eben keine undialektische Reduktion des Staates auf eine Funktion der Klassengesellschaft, sondern die dialektische Erklärung des Staates aus den inneren Widersprüchen einer antagonistischen Klassengesellschaft. Die von Engels beschriebene Ideologie des notwendig als neutral und über den widerstreitenden Interessen der Gesellschaft stehend erscheinenden Staates wiederholt sich in der undialektischen Entgegensetzung von "Politik" und "Ökonomie". Es ist lediglich der bürgerliche Begriff von "Ökonomie", der darunter ausschließlich die unmittelbar wirtschaftlichen Interessen verstehen will. Und das gleiche gilt zum dazu komplementären Begriff einer "reinen" (nämlich von der "Ökonomie unabhängigen) "Politik". Als Gegenentwurf dazu hat Marx unter Ökonomie immer die Gesamtheit der gesellschaftlichen Beziehungen verstanden, die die Menschen in der Produktion und Reproduktion ihres Lebens eingehen. Deswegen konnte Marx im Vorwort zum "Kapital" als Zweck seines Werks nennen, "das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen". Dieser marxistische Begriff von Ökonomie, der die dialektische Beziehung von Ökonomie, Politik und Ideologie als Einheit versteht und erklärt, liegt der von Opitz ausgearbeiteten Analyse zu Grunde. Den Vorwurf des "Ökonomismus" gibt Opitz folgerichtig auch an seine Kritiker zurück: "Es stehen sich (...) also - genau umgekehrt. als Haug es darstellt - nicht ein 'ökonomistischer' marxistischer und 'politizistische' bürgerliche Ansätze gegenüber, sondern der ökonomistische bürgerliche Begriff des sozialen Interesses samt seinem bloßen Schatten, der politizistischen Geschichtsdeutung (...), dem auf der Einheit von Ökonomie, Politik und Ideologie basierenden marxistischen Interessen- und Geschichtsbegriff."(8)


Das Massenbasisproblem des Monopolkapitalismus

Ausgehend von dem im Imperialismus vorherrschenden Gegensatz zwischen den Interessen des Monopolkapitals und den (durchaus untereinander divergierenden) Interessen aller anderen Bevölkerungsteile beschreibt Opitz nun den für das Monopolkapital notwendigen Bedarf einer zur Absicherung der eigenen Herrschaft ausreichenden Massenbasis. Die Schwierigkeit, eine solche Basis herzustellen, ist dabei im Monopolkapitalismus eine andere als in der Phase des Kapitalismus der freien Konkurrenz. Zum einen erfordert die Durchsetzung der Interessen des Monopolkapitals nämlich nicht nur die Negierung der Interessen der arbeitenden Bevölkerungsmehrheit, sondern die Negierung der Interessen jeder nicht-monopolistischen Schicht einschließlich bedeutender Teile des Kapitals selbst. Und zum anderen wird es gleichzeitig zunehmend schwieriger, das Profitinteresse der Monopolkapitalisten in der Gesellschaft zu legitimieren, weil sie naturgemäß immer weniger einen erkennbaren Anteil an der Schaffung des gesellschaftlichen Reichtums haben: Der "Couponschneider" lebt offensichtlich parasitär von den Erträgen seines Besitzes an Produktionsmitteln und ist ja selbst nicht mal als Lenker und Chef noch tätig. Beispiele für diesen - von Lenin auch als verfaulenden, parasitären Kapitalismus bezeichneten - Charakter des imperialistisch gewordenen Kapitalismus sind heute leicht anhand von Banker-Boni in Millionenhöhe, bei Frau Schäffler, beim Bankenrettungsschirm etc. aufzeigbar.

Wenn die Durchsetzung der Interessen des Monopolkapitals aber nicht dauerhaft auf Gewaltanwendung beruhen soll, wird also eine Massenbasis zur Absicherung der eigenen Herrschaft benötigt. Diese Massenbasis kann nicht aus den eigenen Reihen des Monopolkapitals gestellt werden.(9) Es bedarf also der massenhaften Beeinflussung des Bewusstseins großer Bevölkerungsteile mit dem Ziel, die Inhalte der monopolkapitalistischen Interessen als das eigene Interesse dieser Bevölkerungsteile erscheinen zu lassen. Hierzu entstand eine weit verzweigte Industrie zur Herstellung falschen Bewusstseins. Die Vielfalt sowohl der dafür eingesetzten Institutionen (Schule, Medien, Wissenschaft, Parteien, Kirchen) als auch der ideologischen Formen (Nationalismus, Sozialimperialismus, Antisemitismus, Antikommunismus, Reformismus, Volksgemeinschaftsideologie) entwickelte sich je nach Bedarf und Möglichkeit und entwickelt sich auch heute weiter.(10) Die Vielfalt von Institutionen und ideologischen Formen darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass all dem die gleichbleibende Notwendigkeit zu Grunde liegt, eine ausreichend große Massenbasis in der Bevölkerung bereitzustellen. Für die Träger dieser Massenbasis muss gelten, dass ihr Interessenbewusstsein nicht die Erkenntnis der eigenen objektiven Interessen zum Inhalt hat, sondern die Klasseninteressen des Monopolkapitals.


Die "Formierung"

Der Vorgang, mit dem die nicht-monopolistischen Teile der Bevölkerung von einem zutreffenden Bewusstsein ihrer eigenen Interessen abgehalten und ihnen statt dessen die Interessen des Monopolkapitals als vermeintlich eigene untergeschoben werden, nennt Opitz in Übernahme einer Vokabel von Ludwig Erhard (bzw. dessen Redenschreiber, Rüdiger Altmann), "Formierung". Das Ziel der Formierung ist aus Sicht des Monopolkapitals die Sammlung eines für die Durchsetzung der eigenen Interessen hinreichend großen Teils der Bevölkerung hinter der eigenen Fahne. Nicht zufällig betrachten die Formierungsstrategen den 4. August 1914 als erfolgreiches Idealbild, also den Tag der Zustimmung der Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten. Es war das Eindringen bürgerlicher Ideologie in die Köpfe der politischen Repräsentanten der Arbeiterklasse, also der Revisionismus, der dies ermöglichte. Revisionismus ist erfolgreich in die Arbeiterklasse getragene (und diese damit ohnmächtig machende) Formierung.

Der aus Sicht des Monopolkapitals ideal erscheinende Zustand einer dauerhaft und zuverlässig auf die Durchsetzung der jeweiligen Interessen des Monopolkapitals ausgerichteten Bevölkerung kann aber nie erreicht werden. Es sind die Gesetze der Kapitalverwertung, also der Drang nach erweitertem Profit und der Druck der zunehmenden Monopolisierung, der unweigerlich dazu führt, dass die Verletzung der objektiven Interessen der nichtmonopolistischen Bevölkerungsteile immer wieder über die Grenze des von den Betroffenen als zumutbar Empfundenen hinausgeht. An diesen Stellen entsteht ein Protestpotential in der Bevölkerung, das sich zutreffend - wie derzeit in Spanien - als "die Empörten" titulieren lässt.


Von den "Empörten" zum demokratischen Oppositionspotential

Mit der "Empörung" ist aber jetzt noch keineswegs ein zutreffendes Bewusstsein dieses Protestpotentials von ihren eigenen objektiven Interessen verbunden. Das Scheitern der weiteren Formierung, die Empörung gegen die durch die Herrschaft des Monopolkapitals hergestellten Zustände, kann zur Erkenntnis der wirklichen eigenen Interessen führen. Das ganze Geflecht der Formierungsindustrie hat aber seine Wirksamkeit nicht automatisch mit der Auflehnung gegen die herrschenden Zustände verloren. Es ist auch jetzt noch in der Lage, ein wirkliches Verständnis der Zusammenhänge und Hintergründe dieser herrschenden Zustände zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Deswegen gibt es immer auch Tendenzen, dass sich Protestpotential von einem zutreffenden Interessenbewusstsein. (und mithin einer Zuwendung nach links, zum demokratischen Potential) abhalten lässt und statt dessen als rechtes Potential organisieren lässt. Der Protest gegen die vom Monopolkapital hervorgerufene Wirklichkeit kann sich also als linker oder rechter Protest äußern. Hier setzt dann das Klagen der Bürgerlichen über den Zerfall der "staatstragenden Mitte" ein. Diese Vokabel bezeichnet dabei nichts anderes, als den Bevölkerungsteil. bei dem die Formierung erfolgreich funktioniert, der sich also "freiwillig" in die Herrschaft des Monopolkapitals einfügt. Diese Erklärung der politischen Richtungspotentiale durch Opitz macht erkenntlich, wie der Prozess der Rechtsentwicklung tatsächlich verläuft - nämlich nicht, wie die Totalitarismus-Ideologen behaupten, als Zerreiben der "demokratischen Mitte" zwischen den "Feinden von rechts und links", sondern als Folge der unter der Herrschaft des Monopolkapitals gesetzmäßig zunehmenden Negierung der objektiven Interessen immer größerer Bevölkerungsteile. Weil dadurch die Formierung der Bevölkerung zwecks Sicherung der Massenbasis immer ungenügender gelingt, wächst tendenziell das Protestpotential. Dieses Protestpotential. wenn es denn schon für die liberale, bürgerliche Form der Formierung verloren ist, von einer Zuwendung zur wirklichen Opposition von Links abzuhalten, muss nun zwingendes Interesse des Monopolkapitals werden.


Die Funktion von Demagogie und Querfront

Dies ist der Punkt bei dem sowohl die antikapitalistische Demagogie der Faschisten ansetzt als auch die Querfrontstrategie von Faschisten ins Spiel kommt. Als Paradebeispiel für antikapitalistische Demagogie kann das "Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft"(11) von Gottfried Feder gelten. Der Versammlungsredner und Wirtschaftstheoretiker der frühen NSDAP bemüht sich darin. antikapitalistische Stimmungen aufzugreifen und nach rechts zu wenden. Auf dem in Rot gehaltenen Titelblatt des "Manifests" steht die aus dem ersten Funkspruch der siegreichen Oktoberrevolution entlehnte Ansprache "An Alle, Alle!" und es endet mit dem Aufruf "Werktätige aller Länder, vereinigt euch!". Baustein dieser ideologischen Umleitung nach rechts ist die Erklärung des auf geliehenes Kapital zu entrichtenden Zinses (und nicht die auf Basis des privaten Besitzes an Produktionsmitteln erfolgende private Aneignung des geschaffenen Mehrwerts) als Ursache der Ausbeutung von Menschen. "Wer den Kapitalismus bekämpfen will, muss die Zinsknechtschaft brechen."(12) Mit dieser Umdeutung der wirklichen Zusammenhänge war der Weg eröffnet, vom realen Gegensatz zwischen den Interessen des Monopolkapitals und den Interessen aller anderen Bevölkerungsteile abzulenken. "Wir erkennen klar, dass nicht die kapitalistische Wirtschaftsordnung an sich, nicht das Kapital als solches die Geißel der Menschheit ist. Das unersättliche Zinsbedürfnis des Groß-Leihkapitals ist der Fluch der gesamten arbeitenden Menschheit!"(13) Und mit der daran anschließenden Erklärung, im Wesentlichen sei es ja das "jüdische" oder "ausländische" Leihkapital, wovon die Probleme ausgehen, konnte dann - wie bekannt - der Protest gegen die vom Monopolkapital hervorgerufenen herrschenden Zustände umgelenkt werden auf ein Feindbild, mit dem sich statt dessen gegen die inneren und äußeren Feinde des Monopolkapitals mobilisieren ließ.

Die Umdeutung des Zinses zur Ursache von Ausbeutung oder auch zur Ursache von Kapitalakkumulation(14) ist mit Feder und seiner Partei nicht aus der Mode gekommen, sondern lebt auch heute noch in Anlehnung an die "Freiwirtschaftslehre" von Silvio Gesell bis in Kreise der Grünen, bei Attac und selbst Teile der Linkspartei fort.

Verschwörungstheorien sind ein anderes Vehikel, mit dem die Proteste gegen die monopolkapitalistischen Zustände in für das Monopolkapital nützliche oder zumindest ungefährliche Kanäle umgelenkt werden. Die Bilderberg-Konferenzen z. B. sind informelle Treffen von Vertretern des Monopolkapitals und deren Sachwaltern aus Politik, Militär und Medien und haben in der Tat den Charakter einer Verschwörung(15). Aber diese (oder analoge) Verschwörungen sind nicht die Ursache der monopolkapitalistischen Herrschaft, sondern höchstens deren Mittel. Basis der monopolkapitalistischen Herrschaft ist die Existenz der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und eben nicht die Machtausübung einzelner Menschen oder Menschengruppen.

Während die antikapitalistische Demagogie gezielt auf die Ableitung des Protests gegen die Zustände nach rechts zielt, versuchten die Querfrontstrategen in der Weimarer Republik quer durch alle bestehenden Parteien, Organisationen und politischen Richtungen ein Potential für eine Rechtsentwicklung zu sammeln. In diesen Bestrebungen fanden sich dann neben General Kurt von Schleicher und seine Ideologen aus dem "jung-konservativen" Tat-Kreis, die Brüder Otto und Gregor Strasser von der NSDAP zusammen mit Teilen der ADGB-Gewerkschaftsführung und Reichsbanner-Führer Karl Höltermann. Auch solche Querfrontstrategien sind im Neofaschismus weiter existent und - in Verknüpfung mit der antikapitalistischen Demagogie - eine Herausforderung für den Antifaschismus. Bereits 1982 wurde in einem neofaschistischen Strategieblatt die Losung ausgegeben: "Das Oppositionspotential nationalisieren. Die Antikriegsbewegung nationalisieren. Die wertkonservative Bewegung nationalisieren. Die neue Linke nationalisieren ... mit einem Wort: Die Anti-System-Bewegung mit nationaler Identität impfen, mit nationalistischem Befreiungselan anreichern, mit nationalrevolutionärem Bewusstsein aufladen, mit deutschem Fundamentalismus indoktrinieren, mit antikapitalistischem und antikommunistischem Geist erfüllen, für deutsche Alternativen begeistern ..."(16) Der bedeutendste Vertreter der als "Neue Rechte" titulierten Verjüngung des Neofaschismus, Henning Eichberg, konnte es mit seiner nationalrevolutionären Ideologie schaffen, vom sozialdemokratischen "Vordenker" Peter Glotz als Autor in die SPD-nahe Zeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" geholt zu werden.(17) Und 2010 ließen die Macher der von den JuSos Mecklenburg-Vorpommern herausgegebenen Internetseite "Endstation Rechts", Eichberg als angeblich inzwischen "Linken" in einem Interview auftreten(18). Dort erklärt er dann den Unterschied zwischen einem legitimen "Radikalen" und einem gewalttätigen "Extremisten" als vorrangig gegenüber dem Unterschied von "rechts" und "links". Und wenn er dann anschließt, dass "Rechts" bedeutet, von der Macht her zu denken, während "Links" das ist, was vom Volk ausgehe, ist der Weg bereitet, auch das rechte Protestpotential (alleine weil es ja "Protest" sei) als links auszugeben. Mehr noch - das tatsächlich linke, demokratische Potential wird delegitimiert, weil es auf Basis des Verständnisses der wirklichen Zusammenhänge und Interessen entschlossen sein muss, die Machtfrage zu stellen.


Folgerungen für die antifaschistische Strategie

Was ergibt sich aus Opitz' Erklärungen für die antifaschistische Strategie also insbesondere für die Fragen "Gegen was?", "Mit wem?" und "Wie?" Die erste Frage klärt sich mit der Bestimmung des sozialen Inhalts faschistischer Herrschaft: Faschismus ist eine Herrschaftsform des Monopolkapitalismus. Dessen Macht zu beschränken und ihn daran zu hindern, den Übergang von der "freiwilligen" Form der Formierung zur gewaltsam herbeigeführten Formierung zu vollziehen, ist der soziale Gehalt des antifaschistischen Kampfes.

Die Frage nach den möglichen Verbündeten beantwortet sich ebenso aus Opitz' Analyse: Alle nicht-monopolistischen Bevölkerungsteile haben objektiv ein Interesse daran, die ihnen entgegengesetzten Interessen des Monopolkapitals nicht oktroyiert zu bekommen. Es ist die Aufgabe von AntifaschistInnen, diese Bevölkerungsteile als Bündnispartner im antifaschistischen Kampf zu gewinnen. Und diese Aufgabe existiert unabhängig vom Stand des subjektiven Interessenbewusstseins dieser Bevölkerungsteile denn sie besteht inhaltlich gerade darin, das Entstehen zutreffenden Bewusstseins über die jeweils eigenen Interessen zu befördern.

Damit ist dann auch die dritte Frage beantwortet: Eine antifaschistische Strategie kann auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn sie darauf abzielt, bei mehr und mehr Menschen die Fähigkeit zu entwickeln, die eigenen Interessen zu erkennen und sich der wirklichen Zusammenhänge und Konfliktlinien der widerstreitenden Interessen in einer monopolkapitalistischen Gesellschaft bewusst zu werden.


Das Verhältnis von antifaschistischem Bündnis und ideologischer Auseinandersetzung

Bedeutet das, nur an Marx, Engels und Lenin geschulte Kommunisten taugen zum Antifaschismus? Natürlich nicht! Für alle nichtmonopolistischen Teile der Bevölkerung gilt, dass sie objektiv das Interesse teilen, Faschismus zu verhindern. Und auch wenn sie nicht zu einem klaren Bewusstsein ihrer Interessen durchgedrungen sind, kann sich dieses Interesse auch in der Form der Betonung liberaler demokratischer Grundsätze zum Ausdruck bringen oder in der religiös vermittelten Überzeugung, die Menschen nicht als des Menschen Wolf sehen zu wollen, oder in dem Anspruch, das Recht behalten zu wollen, das Leben der Menschen durch kleine oder größere Reformen Schritt für Schritt zu verbessern.(19) Wichtig für den antifaschistischen Kampf und die antifaschistische Bündnisarbeit bleibt es, die verschiedensten Zugänge zu einem zutreffenden Interessenbewusstsein zu fördern und zu entwickeln. Aber gerade deswegen ist es auch notwendig, die Verkleisterungen dieses Bewusstseins durch Antikommunismus, Nationalismus, Verschwörungstheorien, Antisemitismus zurückzuweisen und dem fatalen Fehler entgegenzutreten, den Querfrontstrategen dadurch auf den Leim zu gehen, solche Ansätze zum legitimen Ausdruck des Protests oder Widerstands zu erklären. Sie sind im Gegenteil Hindernisse für ein zutreffendes Verständnis der Interessenlagen und als solche zu bekämpfen. Zentrale Aufgabe des antifaschistischen Kampfes ist und bleibt es, die Inhalte des subjektiven Bewusstseins der Menschen differenzieren zu können: Es gibt auf der einen Seite die auf verschiedenen Pfaden vermittelten Ausdrücke objektiver Interessen. Sie gehören alle gemeinsam zum demokratischen Oppositionspotential. Und es gibt auf der anderen Seite die von der Formierungsindustrie des Monopolkapitals beeinflussten Ideologien, die - weil sie Hürden für ein zutreffendes Bewusstsein der eigenen Interessen darstellen - Werkzeuge des Gegners sind, die dem Kampf um die Geltendmachung unserer eigenen Interessen schaden.

Das ist allerdings keine neue Erkenntnis, sondern hiermit bringt Opitz lediglich die Forderung auf den Begriff, die Dimitroff bereits in seinem berühmten Referat auf dem 7. Weltkongress der Kommunistischen Internationale und in Bezug auf die Einheitsfront mit der opportunistischen Sozialdemokratie klar stellte. Er forderte gerade jetzt die verstärkte ideologische Auseinandersetzung mit dem Opportunismus, "unter Beachtung dessen, dass seine Gefährlichkeit mit der Entfaltung der breiten Einheitsfront zunehmen wird. Es bestehen bereits jetzt Tendenzen, die Bedeutung der Rolle der Kommunistischen Partei in den Reihen der Einheitsfront herabzusetzen und sich mit der sozialdemokratischen Ideologie zu versöhnen. Man darf nicht aus den Augen lassen, dass die Einheitsfronttaktik die Methode ist, die sozialdemokratischen Arbeiter tatsächlich von der Richtigkeit der kommunistischen und der Unrichtigkeit der reformistischen Politik zu überzeugen, nicht aber sich mit der sozialdemokratischen Ideologie und Praxis zu versöhnen. Der erfolgreiche Kampf für die Bildung der Einheitsfront erfordert unbedingt einen ständigen Kampf innerhalb unserer Reihen gegen die Tendenz, die Rolle der Partei herabzusetzen, gegen die legalistischen Illusionen, gegen die Orientierung auf Spontaneität und Automatismus (...) gegen das geringste Schwanken im Augenblick des entscheidenden Handelns."(20)


Jürgen Lloyd, Krefeld, IT-Berater, Mitglied des Vorstandes der Marx-Engels-Stiftung



Anmerkungen:

(1) Zur Funktion und Ausgestaltung der Demagogie der NSDAP siehe Joachim Petzold: "Die Demagogie des Hitlerfaschismus", Berlin 1982; zur antikapitalistischen Demagogie aktueller faschistischer Bewegungen siehe Richard Gebhardt/Dominik Clemens (Hrsg.): "Volksgemeinschaft statt Kapitalismus? Zur sozialen Demagogie der Neonazis.", Köln, 2009.

(2) Die Marx-Engels-Stiftung und die VVN-Bund der AntifaschistInnen NRW veranstalten im November in Köln eine Konferenz zu Opitz: "Demokratische Politikwissenschaft - Konferenz zum marxistischen Sozialwissenschaftler und Faschismusforscher Reinhard Opitz (1934-1986)". Das Programm findet sich unter
http://www.marx-engels-stiftung.de/Texte/flyer-view.pdf

(3) Zu deren Bedeutung für die Formulierung aktueller marxistischer Politik siehe Hans-Peter Brenner: "Die Aktualität der Leninschen Imperialismustheorie für revolutionär-marxistische Politik und Programmatik" in Marxistische Blätter 2-11, April 2011.

(4) Beispielhaft zeigt sich die auf diesem Missverständnis fußende Kritik in einem Aufsatz von Karin Priester in der Zeitschrift DAS ARGUMENT: "Faschismus und Massenbewegung. Kritik an Opitz" in DAS ARGUMENT 117, September/Oktober 1979. Die Antwort hierauf gibt Opitz in: "Über vermeidbare Irrtümer. Zum Themenschwerpunkt 'Faschismus und Ideologie' in Argument 117" in DAS ARGUMENT 121, Mai/Juni 1980.

(5) Karl Marx/Friedrich Engels: "Manifest der Kommunistischen Partei", MEW 4, S. 462

(6) Friedrich Engels: "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats", MEW 21, S. 165

(7) F. Engels: "Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie", MEW 21, S. 302

(8) R. Opitz: "Über vermeidbare Irrtümer...", a.a.O., S. 359

(9) Diese Problematik für das Monopolkapital zeigte sich deutlich und auch ganz praktisch mit dem Wegfall des Drei-Klassen-Wahlrechts, also der Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts.

(10) Letzter Anknüpfungspunkt und Bedingung der Wirksamkeit aller dieser ideologischen Bemühungen ist die verkehrte Form, in der die Menschen im Kapitalismus ihre Gesellschaftlichkeit erleben. Auf dieser Basis analysiert Thomas Lühr das Entstehen nationalistisch-ausgrenzender Orientierungen bei Lohnabhängigen in: "Prekarisierung und "Rechtspopulismus". Lohnarbeit und Klassensubjektivität in der Krise.", Köln, 2011.

(11) Gottfried Feder: "Das Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes", Diessen, 1919.

(12) Ebd. S. 6

(13) Ebd. S. 18

(14) So zum Beispiel in einer von der Partei Die Linke, Neuss beworbenen Veranstaltung von Attac im Mai 2011. Siehe
http://www.dielinke-kreistag-rhein-kreis-neuss.de/filead-min/lcmsktneuss/Semirah_Kenawi(1).pdf (abgerufen am 08.08.2011)

(15) Eine kurze Schilderung und Einschätzung gibt Volker Bräutigam in "Kein Wort, kein Bild vom Bilderberg" in Ossietzky, Ausgabe 12/2010.

(16) "Neue Zeit", 5/1982, zitiert nach Arno Klönne: "'Linke Leute von rechts' und 'rechte Leute von links' damals und heute" in Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/83, Januar 1983, S. 121

(17) Siehe Peter Kratz: "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD", Berlin, 1995, S. 154

(18) http://www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=itemlist&task=user&id=340%3Ahenningeichberg&Itemid=840 (abgerufen am 15.08.2011)

(19) Siehe R. Opitz: "Gründe gegen den Faschismus zu sein." in "Liberalismus - Faschismus - Integration" Edition in drei Bänden, Marburg 1999, Bd. 2, S. 413

(20) Georgi Dimitroff: "Bericht auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale am 2.8.1935", in Ausgewählte Werke, Bd. 2, Frankfurt/Main 1976, S. 85 f.


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 5-11, 49. Jahrgang, S. 79-85
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2011