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MARXISTISCHE BLÄTTER/491: Wachstum und Wachstumskritik


Marxistische Blätter Heft 4-11

Wachstum und Wachstumskritik

von Robert Steigerwald


Weltweit auftretende Probleme, solche, die sogar die Existenz der Gattung gefährden, kann man nicht vom Niveau lediglich der Wahrnehmung der "Fakten", der empirischen "Daten" aus verstehen und behandeln. Die "Fakten" der globalen Krise treten, so unterschiedlich die konkreten Lebensverhältnisse zwischen den beiden Polen sind, davon unabhängig gleichartig auf, bedrohen die Menschen in gemäßigten Zonen ebenso wie in tropischen und in polaren. Folglich muss ein "Etwas" hinter dem empirisch Gegebenen vorhanden sein und nur dann, wenn wir dieses "Etwas" erkennen, können wir uns auch ernsthaft mit der Frage befassen, wie man dieser Bedrohung Herr werden könnte. Das aber bedeutet, theoretische Erkenntnismittel einzusetzen. Was ist das Gemeinsame, das sich in all dem Konkreten "versteckt"?

I. Physikalisch betrachtet ist der Mensch eine Maschine, die, um ihre Bewegungsprozesse - die doch ihre Lebensprozesse sind - aufrechtzuerhalten sich mit Energie aus der Umwelt versorgen muss. Dieser Prozess, ein Kreislauf, wird damit abgeschlossen, dass die aufgebrauchte Energie als Exkremente (Entropie) wieder in die Natur zurückgegeben wird, und das heißt bekanntlich Stoffwechsel. Beim Menschen treten jedoch Besonderheiten des Stoffwechsels auf, die es so in der übrigen Natur nicht gibt. Sie waren dennoch während Hunderttausenden von Jahren von der Art, dass die Natur diese Exkremente aufnehmen und wieder in ihren Kreislauf einfügen konnte. Das bedeutet nicht, dass in diesen Zeiten der Umgang des Menschen mit der Natur keine Probleme geschaffen hätte, die abgeholzten Wälder oder die von Ziegen kahlgefressenen Berghänge, die dadurch geschaffenen Wüsten und Steppengebiete zeigen das Gegenteil. Doch die Natur bot immer noch genügend Ausweichmöglichkeiten, die Gattung war keineswegs gefährdet.

Das ist jetzt anders geworden. Warum ist das so? Was hat sich denn so dramatisch verändert in dem Prozess der Energiegewinnung des Menschen aus der Natur? Um das zu verstehen müssen wir zunächst auf die Besonderheit dieses Energieversorgungsprozesses durch den Menschen eingehen.

Die erste und wichtigste Besonderheit, die den Menschen von allen anderen Lebensformen unterscheidet, besteht darin, dass er seine "Energie" durch Arbeit gewinnt, und die ist etwas prinzipiell anderes als das bloße Sammeln, Jagen, Rauben. Arbeit bedeutet - wegen der "mangelhaften" Naturausstattung des Menschen, die ihn jedem seiner natürlichen Feinde unterlegen machte -, dass der Mensch (zusammen mit anderen Menschen, aber auch Tiere jagen im Rudel, das also ist noch nicht das Besondere) zwischen sich und die Natur aus der Natur selbst entnommene und für bestimmte Zwecke zurechtgemachte Dinge, Werkzeuge - sie sind auch seine Waffen - (im weiteren Verlauf Technik, Industrie) einfügt, dass er seine Arbeitsmittel erst selbst noch erarbeiten muss. Wir haben ein dreigliedriges Verhältnis vor uns: Das Subjekt und sein Objekt, zwischen das er vermittelnde Glieder einfügt. Deren Bedeutung ist im historischen Prozess ständig wirksamer, bedeutender geworden.

In diesem Arbeitsprozess gelingt es dem Menschen schon seit Tausenden von Jahren, mehr zu erarbeiten, mehr zu erzeugen, als für die unmittelbare Fristung des Lebens nötig ist: ein Mehrprodukt. Das ließ er nicht einfach sich selbst überlassen in der Natur liegen, sondern er eignete es sich an. Damit beginnt das Eigentumsproblem als ein solches der Aneignung und der darum geführten Kämpfe mit der Folge, dass Klassen, Klassenkampf und damit Staat, Gesetze und andere "Anhängsel" des Prozesses entstehen.

Die heutigen globalen Probleme entspringen in dieser komplexen Besonderheit menschlicher Existenz, darin, wie diese geordnet ist. Daraus ergeben sich die globalen Probleme der Gegenwart und sie müssen darum auch hier einer Lösung zugeführt werden. Das ist die prinzipielle Seite der Sache, es geht um den Charakter des Mensch-Natur-Verhältnisses, des Subjekt-Objekt-Problems unter den Bedingungen der spezifischen heutigen Art unserer Versorgung mit Energie.

Während es in der Natur für jeden Stoffwechselprozess Kreisläufe gibt, die zur Folge haben, dass es nicht zur Herausbildung von "Abfällen" kommt, die Natur gleichsam in solchen Kreisläufen alles wieder zur weiteren Verwendung aufsaugt, ist dies beim Menschen seit einiger Zeit anders. War es noch bis vor wenigen Jahrhunderten so, dass die Exkremente des Menschen (und seines Viehs) als biologischer Müll (Mist) der Natur zurückgegeben wurden und diese den Müll wieder in ihre Kreisläufe aufnehmen konnte, so sind seitdem die wissenschaftlich-technischen Exkremente - sich ständig und rapid vermehrend - von der Natur nicht mehr zu nutzen, zu verarbeiten. Auf heutiger Art und beim heutigen - kapitalistischen - "Niveau" unserer Energieversorgung durch Anwendung der wissenschaftlich-technischen Umwälzungen bildet sich ein gefährlicher Widerspruch im Mensch-Natur-Verhältnis heraus.

Dass es dieses Problem auch in den sozialistischen Ländern gab beweist: Es genügt nicht, nur den Kapitalismus, seinen Umgang mit den modernen Produktivkräften verantwortlich zu machen. Selbst nach der Überwindung des Kapitalismus wäre die Aufgabe noch zu lösen, wie ein Sozialismus mit dem oben angedeuteten Problem fertig werden könnte und welche Aufgaben dazu erst noch zu bewältigen wären.

Dass die "sich selbst überlassene Natur" mit den angedeuteten Problemen fertig geworden ist und auch in Zukunft werden würde, heißt dies, dass die Natur "gut" ist und der Mensch sich nur an der Natur zu orientieren brauche, um mit seinen heutigen globalen Krisenprozessen fertig zu werden, wie es manche Ratgeber in Sachen globale Krise verkünden? Die Natur ist weder gut noch böse, sie ist völlig unmoralisch, Moral und Ethik sind Menschenwerk. Aber gab und gibt es nicht doch auch ohne das Dazutun des Menschen Naturkatastrophen? Der Globus, seine "Lebensbedingungen", ließen immer Möglichkeiten zu, Katastrophen zu entkommen, die auch die Natur für uns "bereit" hält, solchen Katastrophen auszuweichen oder ihre Folgen im Lauf der Zeit zu beseitigen. Mit der gegenwärtigen globalen Krise ist das völlig anders. Sie entwickelt sich in der Tat global und wir können nicht auf den einen oder anderen Planeten ausweichen, es gibt kein Entkommen, wir müssen auf unserer wohlgerundeten Erde die Lösungen finden oder wir gehen als Gattung zu Grund.

II. Das Thema ist keineswegs völlig neu, neu ist seine Qualität, das Ausmaß, seine Globalität, und darum gibt es seit einigen Jahrzehnten eine ausgedehnte Debatte zu diesem Thema. Es ist ein Komplex von Problemen, die man auch nur im Komplex behandeln kann, wofür es aber ein entscheidendes "Kettenglied" gibt, das Aneignungsproblem, das deutete ich bereits im Abschnitt 1. an.

Zur ökologischen Problematik und ihrer Globalität finden sich doch schon in den Arbeiten und Briefen von Marx und Engels grundlegende Texte. Hier die wohl wichtigsten:

Engels betonte, "... dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie der Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen, dass unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können." (K. Marx/F. Engels, Werke, Band 20/453)

"Die Tiere, wie schon angedeutet, verändern durch ihre Tätigkeit die äußere Natur ebenso gut, wenn auch nicht in dem Maße wie der Mensch, und diese durch diese vollzogenen Änderungen ihrer Umgebung wirken ... wieder verändert auf ihre Urheber zurück. In der Natur geschieht nichts vereinzelt. Jedes wirkt auf andere und umgekehrt ... wieder verändernd auf ihre Urheber zurück. Denn in der Natur geschieht nichts vereinzelt. Jedes wirkt aufs andere und umgekehrt, und es ist meist das Vergessen dieser allseitigen Bewegung und Wechselwirkung, das unsere Naturforscher verhindert, in den einfachsten Dingen klar zu sehen. Wir sahen, wie die Ziegen die Wiederbewaldung von Griechenland verhindern; in Sankt Helena haben die von den ersten Aussiedlern ans Land gesetzten Ziegen und Schweine es fertiggebracht, die alte Vegetation der Insel fast ganz auszurotten und so den Boden bereitet, auf denen die von späteren Schiffern und Kolonisten zugeführten Pflanzen sich ausbreiten konnten. Aber wenn die Tiere eine dauernde Einwirkung auf ihre Umgebung ausüben, so geschieht dies unabsichtlich und ist, für diese Tiere selbst, etwas Zufälliges. Je mehr die Menschen sich aber vom Tier entfernen, desto mehr nimmt ihre Einwirkung auf die Natur den Charakter vorbedachter, planmäßiger, auf bestimmte, vorher bekannte Ziele gerichtete Handlungen an. Das Tier vernichtet die Vegetation eines Landstrichs, ohne zu wissen was es tut. Der Mensch vernichtet sie, um in den freigewordenen Boden Feldfrüchte zu säen oder Bäume und Reben zu pflanzen, von denen er weiß, dass sie ein Vielfaches der Aussaat einbringen werden. Er versetzt Nutzpflanzen und Haustiere von einem Land ins andere und ändert so die Vegetation und das Tierleben ganzer Weltteile ... Kurz, das Tier benutzt die äußere Natur bloß und bringt Änderungen in ihr einfach durch seine Anwesenheit zustande; der Mensch macht sie durch seine Änderungen seinen Zwecken dienstbar, beherrscht sie. Und das ist der letzte, wirkliche Unterschied des Menschen von den übrigen Tieren, und es ist wieder die Arbeit, die diesen Unterschied bewirkt." (ebenda, 20/451 f.)

"Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andere, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, dass sie damit den Grund zur jetzigen Verwüstung jener Ländern legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen." (ebenda, 20/453)

"Das Fazit ist, dass die Kultur - wenn naturwüchsig fortschreitend und nicht bewusst beherrscht ... - Wüsten hinter sich zurücklässt." (ebenda, 35/150)

"Gegenüber der Natur wie der Gesellschaft kommt bei der heutigen Produktionsweise vorwiegend nur der erste, handgreiflichste Erfolg in Betracht, und dann wundert man sich noch, dass die entferntesten Nachwirkungen der hierauf gerichteten Handlungen ganz andere, meist ganz entgegengesetzte sind." (ebenda, 20/455)

Infolge der Jagd nach Profit ist "jeder Fortschritt kapitalistischer Agrikultur nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika zum Beispiel, von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozess. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: der Erde und den Arbeiter ..." (ebenda, 23/529 f.)

Fassen wir die Substanz dieser Texte zusammen:

Der Mensch steht nicht außerhalb der Natur, ist aus ihr hervorgegangen, ist selbst auch Natur, und braucht sie als Lebensgrundlage, muss diese aber so benutzen, dass er sie und damit seine eigene Grundlage nicht zerstört.

III. Es geht weder um das Außerachtlassen jenes Allgemeinen (der theoretische Aspekt), das sich in den globalen Problemen auswirkt, noch um eine von den konkreten Problemen, Prozessen, Aspekten des Mensch-Natur-Verhältnisses absehende Wachstumsdiskussion. Es gibt Gebiete, Arbeitsfelder, auf denen Wachstum nötig ist - man denke an die vielfältigen Probleme in der dritten Welt, an die dort etwa eine Milliarde an Hunger leidenden Menschen mit den millionenfachen Hunger- und Seuchentoten pro Jahr, an die Unterentwicklung des Bildungs- und Gesundheitswesens dort, - um die Fortentwicklung der Gesellschaft zu sichern - Nullwachstum dort würde die Verlängerung qualvollster Prozesse für Hunderte Millionen Menschen bedeuten! - und es gibt solche Bereiche, auf denen es genau umgekehrt darauf ankommt, Wachstum zu verhindern, ja sogar das gesamte Arbeitsgebiet zu beseitigen. Nehmen wir nur die Problematik des Rüstens, dieser größten Umweltzerstörung und Ressourcenvergeudung, deren Einstellung gewaltige Mittel für die Lösung der oben angesprochenen Menschheitsprobleme sofort ermöglichen würde. Oder man nehme die gewaltigen Mittel, die für den Vergeudungskapitalismus eingesetzt werden müssen (z. B. für die irrsinnige Werbungsindustrie, ebenso unsinniger Konkurrenzdruck zur Herstellung etwa von immer mehr neuen Autos, ebenfalls ein riesiger Bereich von Energie- und Ressourcenverbrauch.)

IV. Warum und wie bildete sich der heutige globale Krisenprozess heraus?

Ausgangspunkt ist ein zusammenhängender Komplex: Die Entstehung des Bürgertums und des Kapitalismus, einmündend in die erste industrielle Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die revolutionierende Bedeutung dieser Vorgänge wurde lange nicht in ihrer ganzen Bedeutung und Schärfe erkannt, dazu musste es erst zur Zuspitzung bestimmter Prozesse kommen. Aber der Boden, auf dem sich dies entwickeln sollte, war der Kapitalismus, mit seinen Antriebskräften, der konkurrenzgetriebenen Jagd nach Profit. Der Kapitalismus zwingt seine "Agenten", die Kapitalisten, jeden einzelnen von ihnen, um im Konkurrenzkampf nicht unterzugehen, einen möglichst hohen Profit zu erzielen, Mensch und Natur in größtmöglichem Maße auszunutzen, die dazu eingesetzten produktionstechnischen Instrumente qualitativ immer weiter auszubauen, zu verbessern und damit deren Eingriffe in die Natur - im Sinne der Profiterzielung - immer intensiver werden zu lassen. Wir haben es also mit gesellschaftlichen, nicht mit Naturproblemen zu tun. Schließlich wird doch die Technik, ihre Anwendung, ihre Nutzung dem Konkurrenz- und Profitprinzip unterworfen eingesetzt. Darum können diese Probleme nur als solche gesellschaftlich-historisch, durch eine grundlegende soziale Umgestaltung gelöst werden.

Um ein wenig zu verdeutlichen, wohin das führt, zitiere ich aus meinem Buch "Protestbewegung. Streitfragen und Gemeinsamkeiten" aus dem Jahre 1982 - und danach ging die zerstörerische Wirkung des kapitalistischen Umweltverhältnisses ja noch weiter, beschleunigte sich sogar noch:

"Zur Zeit werden jährlich Tausende km² Boden bewegt, Milliarden Tonnen aus der Erde geholt, weitere Milliarden Tonnen Brennstoff verfeuert, 21 bis 24 Milliarden Tonnen Kohlendioxyd in die Luft geschleudert, Hunderte Milliarden Tonnen Abwässer in die Gewässer geleitet, 10 Millionen Tonnen Erdöl und Erdölprodukte ins Meer geleitet z. Zt. nutzen wir nur 3-4 Prozent dessen, was wir der Erde entnehmen. Der 'Rest' geht als Abfall und/oder Gift in die Natur zurück." (S. 116) Solche Bilanzen wurden und werden immer wieder angestellt und sie sind erschreckender Natur.

V. Welche Auswege und Strategien werden angeboten, um mit diesen menschheitsbedrohenden Problemen fertig zu werden? Zu dieser Frage gibt es schon seit Jahrzehnten Debatten, Kongresse, Buchveröffentlichungen (Forrester, Commoner, Meadows, Mesarowvic, Pestel, Tinbergen u. a.). Gemeinsam ist ihnen, dass sie uns auf eine Katastrophe zusteuernd sehen und dass sie Vorschläge entwickeln, ihr zu entgehen. Dazu gibt es Modellvarianten. Mal geht es um den angeblich unbegrenzten Rohstoffvorrat der Natur, dann wird auf die Umweltverschmutzung eingegangen, auf die Problematik des Industriewachstums mit seinem Ressourcenverbrauch, auf das Verhältnis von Bevölkerungswachstum und Agrarproduktion. Auch wird angenommen, dass man die negativ wirkenden Faktoren durch ethische Faktoren, moralische Appelle (gegen die "Gier" der Banker beispielsweise, durch "vernünftigere Lebensweise") beeinflussen könne. Bei aller Kritik, die ich dazu üben möchte: Gegen die "Gier" der Banker zu sensibilisieren ist nicht verkehrt und "vernünftiger" zu leben wäre gut (wenn man das nur so leicht klären könnte!). Und was die vielen einzelnen Reformvorschläge angeht ist doch anzuerkennen, dass gar manche solche konkrete Maßnahme, auch wenn das Grundproblem m. E. nicht gesehen wird, dennoch in Angriff genommen werden sollte, denn das ist allemal besser als das bloße Abwarten auf die Katastrophe.

In der Diskussion finden wir jene des "Nullwachstums", eine technokratische Illusion, die bedeutet, die Entwicklung beim heutigen Niveau (und mit den heutigen Problemen, Stichwort: eine Milliarde Hungernder) einzufrieren - sofern das überhaupt ginge. Sodann eine Konzeption des "organischen Wachstums", sie ist ebenfalls ein technokratisches Programm. Es geht nicht um Wachstum "an sich", sondern darum, was wachsen soll, damit die Gattungsprobleme in Übereinstimmung mit der Natur lösbar werden. Es gibt technikdeterministische Vorschläge, und zwar solche optimistischer und solche pessimistischer Art. (Hier gibt es verwandtschaftliche Züge zur den philosophischen Auffassungen Heideggers, der Lebensphilosophie insgesamt.) Eine Rolle spielen - schon angedeutet - ideologische Auffassungen: Danach entsprängen die Probleme der Bedürfnis-Struktur der heutigen Menschen, der "Missachtung der Natur" u. ä.

Reformistische Programme sind dies alles insofern, dass sie alle nicht an die Wurzeln des Problems gehen. Dass ihnen allen gemeinsam ist, die Konsequenzen nicht zu ziehen, die sich aus den eingangs genannten Besonderheiten des menschlichen Stoffwechsels ergeben, aus dem Aneignungsproblem, das sich bis hin zum konkurrenz- und profitgetriebenen "Stoffwechsel-Prozess" aus dem kapitalistischen Umgang mit Mensch und Natur "entwickelte".

Der Marxismus stellt die Fragen auf dem Boden der eingangs genannten Besonderheiten und sieht als den letztlich entscheidenden Hebel die Eigentumsfrage.

Gehen wir etwas näher auf diese Probleme ein.

• Zu dem angesprochenen Technikdeterminismus.
Von den eingangs benannten Besonderheiten des menschlichen Stoffwechselprozesses mit der Natur kann die Technik (das vom Menschen zum Zweck des Stoffwechsels immer wieder geschaffene "Werkzeug) als wesentliches Instrument eine segensreiche oder aber auch vernichtende Rolle spielen. Darum ist eine abstrakte positive oder negative Einstellung zur Technik sinnlos. Technikdeterministisch, gleichgültig, ob in "optimistischer" Art - die Probleme sind technisch beherrsch- oder behebbar - oder in "pessimistischer" Weise: dem unheilvollen Wirken der Technik können wir nicht entkommen. Es muss stets auf den Zusammenhang der Techniknutzung und auf die Kraft geachtet werden, die das Instrument nutzt. Technik ist ein Mittel, das man ebenso wie ein Messer (zum Bart- oder Halsabschneiden) ganz unterschiedlich benutzen kann, also sowohl als schädigendes Mittel wie auch als notwendiges zur Beseitigung oder Minderung von Schäden. Das hängt von dem bzw. der Kraft ab, die das Mittel benutzt, zu welchem Zweck sie es benutzt. Technikdeterminismus ändert ebenfalls nichts am Grundproblem, obwohl es auf dem Weg zur Lösung des grundlegenden Problems auch technischer Entwicklungen bedarf.

• Zur Manipulations-These (Ideologie-Thematik).
Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich mit dem sehr komplexen Problem der Bedürfnisse nicht befassen, sie für - positiv oder negativ - manipulierbar halten! Bedürfnisse entstehen auf gesellschaftlichem Boden, ihre ideelle Natur darf nicht zu dem Schluss verleiten, ihre konkreten gesellschaftlichen Grundprozessen zu missachten. Letztlich entstehen Bedürfnisse, reale und manipulierte, erst auf diesem Boden. Wer andere Bedürfnisse wünscht, bedenke, dass es mit Wünschen nicht getan ist. Er befasse sich mit diesem "Boden", den sich daraus ergebenden Bedingungen und Möglichkeiten, was möglich ist, dort, an diesem Boden zu ändern, nicht aber an dem, was daraus abgeleitet ist. Nehmen wir die auch unter Linken, auch unter Marxisten weit verbreitete Konzeption, Bedürfnisse unter dem Aspekt der Manipulation zu sehen. Ja, es gibt massenhaft manipulierte, Pseudobedürfnisse. Aber man kann auf Dauer nicht ohne materielle Grundlage manipulieren. Dem, der im Elend steckt, dem kann man nicht unbefriedigte Bedürfnisse wegmanipulieren. Das gilt auch umgekehrt. Bedürfnisse und Bedürfnisse sind nicht dasselbe. Die - bisweilen auch von Marxisten - verfochtene Meinung, man könne die Bedürfnisstruktur durch ideologische (Werte-)Diskussion lenken, ist sowohl richtig als auch falsch. Falsch, insoweit sie nicht beachtet, dass bestimmte Bedürfnisse sich aus dem "Lebensprozess", aus den objektiven gesellschaftliche Verhältnissen ergeben, mit ihnen gegeben sind, richtig, wenn sie auf die manipulative Rolle etwa der Medien, der Werbung u. dgl. verweisen. Die "Gier" der Manager usw. ist - da sie gewissermaßen "Berufsspezifikum" der Manager usw. ist - keine Charaktereigenschaft, sondern gesellschaftlich bedingt. Der Grundfehler dieser "Strategie" besteht darin, die Bedürfnisse nur aus bloßer Bewusstseinsmanipulation hervorgehen zu lassen. Als manche Marxisten meinten (und das auch noch für eine Kritik an Chruschtschow hielten!), man hätte in der Sowjetunion ein Wertesystem entwickeln müssen, das sich prinzipiell, qualitativ von jenem des "Westens" unterschied, gingen sie nicht materialistisch, sondern voluntaristisch das Problem an. Bei aller Kritik an Fehlern, Versäumnissen in der sowjetischen Politik dieser Periode, Werte sind nicht allein oder vorrangig ideologischer Natur, losgelöst von den materiell-gesellschaftlichen Bedingungen. Auch mache Debatte auf dem Kulturgebiet ging von der Meinung aus, man könne kulturelle Bedürfnisse allein durch kulturelle Bildungsarbeit entwickeln. Da werden stets die materiell-gesellschaftlichen Verhältnisse und Bedingungen ausgeblendet.

• Zu den Reform-Konzepten.
Und wie steht es um die nicht wenigen Reformvorschläge? Viele davon sind zwar kein Weg zur Lösung des Grundproblems, enthalten aber dennoch wichtige Vorschläge zur Milderung von Teilproblemen, was ja auch besser als Nichtstun ist. Doch da letztlich die ganze Gesellschaft des Kapitalismus auf dem Klassenverhältnis von Kapitalisten und ausgebeuteten Produzenten beruht, kann eine Reform dieses Verhältnisses - etwa längere oder kürzere Arbeitszeit, niedrigerer oder höherer Lohn usw. - dieses grundlegende Verhältnis nicht ändern. Wenn es zutrifft, dass der letzte Grund das Aneignungsverhältnis und solche gesellschaftlichen Bedingungen sind, die dieses Verhältnis ermöglichen, "nötig" machen, so müssen qualitativ andere als nur reformerische, eben revolutionäre Initiativen entwickelt werden. Reformen können also bestimmte Wirkungen abbremsen, aber das Grundlegende, die aus dem Konkurrenzprinzip, aus dem Profitprinzip sich ergebenden gesellschaftlichen und globalen (ökologischen) Probleme nicht beseitigen. Schon die Reduzierung oder gar Beseitigung der wahnsinnigen Rüstungsproduktion - dieses Sektors größten Missbrauchs der Ressourcen der Natur - würde gewaltige Mittel zur Lösung globaler Probleme frei machen!

Nötig ist die Beseitigung des Kapitalismus, die Überführung der Mittel und Bedingungen des "Stoffwechselprozesses" der Menschen aus den Händen weniger Besitzer dieser Mittel in das gemeinschaftliche, gesellschaftliche Eigentum und (!) auf dieser Grundlage eine Änderung des Mensch-Natur-Verhältnisses, das sich nicht automatisch aus dem gesellschaftlichen Eigentum der Stoffwechsel-Bedingungen ergibt. Halten wir fest: Die globalen Probleme wurden und werden durch zwei zusammenhängende Komponenten erzeugt: Durch den Kapitalismus und durch die heutigen wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten, die - das ist der Zusammenhang - kapitalistisch eingesetzt werden. Folglich eröffnet sich die Möglichkeit, nach Beseitigung des Kapitalismus das wissenschaftlich-technische Potential anders, nicht mehr kapitalistisch einzusetzen. Aber diese Möglichkeit kann nur wirklich werden, wenn es zumindest gleichzeitig mit der Bemühung verbunden ist, dem "solidarischen" Umgang des Menschen mit der Natur ein solidarisches Verhältnis der Menschen untereinander vorauszusetzen. Denn wie sollen Menschen, die durch gesellschaftliche Bedingungen dazu gelangt sind, im Mitmenschen einen Wolf zu sehen, ein besseres Verhältnis zur Natur herstellen? Also ebenso, wie es für die Herausbildung der globalen Probleme des Zusammenwirkens von zwei Komponenten bedurfte, so wird es auch bei der Abwendung der globalen Gefahren eines solchen Zusammenwirkens von zwei Komponenten bedürfen: Der Gestaltung sozialistischer zwischenmenschlicher Beziehungen und auf dieser Grundlage eine völlige Neuorientierung des Mensch-Natur-Verhältnisses.

Zu den Aspekten, die mit der Lösung solcher Aufgaben verbunden sind, gehört die Weiterentwicklung unseres Wissens von Natur und Gesellschaft. Wissenschafts- (oder Technik-) Feindschaft wäre - wie man neudeutsch sagt - "kontraproduktiv". Nötig sind deren Entwicklung in Verantwortung gegenüber Mensch und Natur. Die sich hier stellenden Aufgaben sind von weittragender Bedeutung und erfordern qualitative Veränderungen des Bildungssystems, der Lebensweise und Kultur, der Wissenschaftspolitik - und das sind notwendige Wachstumsbereiche, deren Meisterung nötig ist, um Eingriffe in die Natur und Nutzung dessen, was diese uns zu bieten hat, so sparsam und schonend wie möglich zu gestalten!

VII. Gibt es marxistische Konzeptionen?

Ja, es gibt solche theoretischer Art, aber es gab ja auch viele Jahre konkreter (darunter auch verfehlter) Politik in der Sowjetunion und in der DDR -, um nur diese beiden Staaten zu erwähnen. Eine sehr gute Informationsmöglichkeit lag in deutscher Sprache vor mit dem Buch des sowjetischen Futurologen Bestuschew-Lada, von Gernot Erler im Freiburger Dreisam-Verlag 1984 herausgeben: "Die Welt im Jahre 2000." Gewiss ist darin - wir haben das Jahr 2000 ja schon hinter uns gebracht - "Schnee von gestern". Und manches kommt uns auch heute noch, dreißig Jahre später, reichlich utopisch vor - doch hat es sich in der Geschichte schon oft gezeigt, das, was als ein Gedanke das Licht der Welt erblickte, als utopisch abgetan wurde, dann doch Realität wurde. Das Studium dieser Materialien, wie sie Bestuschew-Lada darstellt, zeigt auch, dass die Voraussetzung, die Überwindung des Kapitalismus, nicht schon die Lösung der Probleme ist. Und es dürfte sich auch hier herausstellen, dass gar manche aus der Sowjetunion in die Welt geschickte Information der Überprüfung an der Realität nicht standhält. Das würde sich auch erweisen, könnten wir das sehr informative Material prüfen, das als Schlussteil dem Buche angehängt wurde. Es ist ein Material der Agentur Nowosti (also nicht Bestuschew-Ladas) über sowjetische theoretische und politische Konzeptionen bzw. Aktivitäten.

Meine Erfahrung auf diesem Gebiet führt dazu, dass man wenigstens zwei Dinge prüfen müsste: Erstens wie war es um den "guten Willen" einerseits, um dessen Vorhaben und andererseits um die Realisierungsmöglichkeiten bestellt? Und zweitens - das hängt damit zusammen: Inwiefern enthalten diese Materialien zwar Ausarbeitungen von Wissenschaftlern, aber wurden diese von der Politik auch aufgegriffen, umzusetzen versucht? Wie also war das Wechselverhältnis von Politik und Wissenschaft? Das ist ja auch ein brennendes Thema unserer Tage!

Im Einzelnen wären etwa solche Vorschläge, Konzeptionen, Maßnahmen zu untersuchen:

Welche Vorschläge, Überlegungen, Aktivitäten gab oder gibt es, um die Wirtschafts- und Biosphäre in Einklang zu bringen, also die Biosphäre anders als bisher zu behandeln? Könnten solche Zielsetzungen marktwirtschaftlich angegangen werden oder wären sie dann nicht darum ungeeignet, weil sogar tödliche Gefahren erzeugend? Denn jeder Einzelne marktwirtschaftliche Akteur hat nur seine eigenen Interessen und Bedürfnisse im Auge, gesamtgesellschaftlich verantwortliches Handeln kann von ihm gar nicht erwartet werden. Die klassisch-liberale Erwartung auf eine sich von selbst einstellende Harmonie zwischen Mensch und Natur wäre angesichts der gewaltigen Probleme von geradezu verbrecherischer Naivität. Ökologie, das Wort stammt ja aus dem Griechischen, ist vom Wort Haus abgeleitet, bedeutet haushälterischen Umgang mit dem Naturgegebenen, wozu marktwirtschaftliche Orientierung nicht befähigt. Der Sozialismus, indem er diesem privatorientierten Umgang des Menschen mit dem Menschen und mit der Natur ein Ende setzt, kann und muss grundsätzlich haushälterisch umsteuern. In gesamtgesellschaftlicher Verantwortung kann er solche Aufgaben in Angriff nehmen wie die Entwicklung abfallfreier Technologien. Und er kann, er muss für all diese Bemühungen auch die bestmögliche Art internationaler Beziehungen herzustellen versuchen, denn globale Probleme sind letztlich nicht regional lösbar.


Robert Steigerwald, Dr. sc., Eschborn, MB-Redaktion


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 4-11, 49. Jahrgang, S. 23-30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2011