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LICHTBLICK/223: "Café Rückenwind" - Ein Ort für Begegnungen?


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 372 - 3/2017

Ein Projekt der katholischen Gefängnisseelsoge: "Café Rückenwind". Ein Ort für Begegnungen?


Für (Erst-)Ausführungen und andere soziale Kontakte werden dem Inhaftierten neue Möglichkeiten eröffnet. Somit werden andere Wege aufgezeigt, die uns hoffen lassen.

Seit längerer Zeit sitzt Pfarrer Friedrichowicz an einem Projekt, das ihm sehr am Herzen liegt. In ehrenamtlicher Arbeit sollten ehemalige Insassen, aber auch Inhaftierte, an einem Ort außerhalb der Haftanstalt zur Verfügung gestellt bekommen.

Die Idee zum Betreiben des "Café Rückenwind" war einfach der Wunsch, einen Ort zu schaffen, an dem (Ex)-Inhaftierte sich treffen können. Ein Ort, an dem sie gern gesehen sind, ohne dass sie wegen ihrer Vergangenheit schräg angeschaut werden. Ein Ort, an dem man bei Kaffee und Kuchen ein Stück Heimat findet, an dem keine blöden Fragen gestellt werden und an dem man Menschen findet, die einem hilfreich zur Seite stehen.

Ehrenamtliche leisten vertrauensvolle Arbeit und auch an anderen Hilfen soll kein Mangel herrschen. Es soll sich herumsprechen und zu einem festen Treffpunkt werden. Wiedereingliederung als feste Größe und durch persönliche Erfahrung gelebt.

Der Arbeitskreis "Gefangenen-Café Rückenwind" eröffnete im Juni seine Pforten und die ersten Früchte konnten schon geerntet werden, indem zwei Insassen der JVA-Tegel ihre Ausführungen zu diesem "Anlaufpunkt" durchführen durften. Einer der beiden äußerte sich überaus zufrieden und meinte, dass das Projekt Potential hat. Lobende Erwähnung fand seiner Meinung nach auch der kurze Weg, so dass wenig wertvolle Zeit verloren geht, im Vergleich zu anderen Zielen, die von Seiten der Anstalt sonst angesteuert werden. Wie wir hören, sollen die nächsten Zusammenkünfte auch schon geplant sein, so dass wir hoffnungsfroh in die Zukunft blicken können.

Pfarrer Friedrichowcz hat uns ein paar Zeilen zukommen lassen, um die Idee des Projektes vorzustellen.

«Ein Café-Projekt als Brücke zwischen drinnen und draußen der Kath. Gefängnisseelsorge der JVA-Tegel in den Räumen der Pfarrei St. Rita in Berlin-Reinickendorf. Irgendwann fragst du dich, was kath. Gefängnisseelsorge in einem Knast wie Tegel eigentlich sein soll. Bist du lediglich ein Kiosk für kostenlosen Kaffee, Tabak, Telefon und Pfarrersprechstunden oder was?

Dieser Eindruck scheint sich jedenfalls hartnäckig in den Köpfen vieler Insassen zu halten. Meine Erfahrung mit Gefängnisseelsorge entwickelt sich ständig weiter, ist wohl nie abgeschlossen und kennt inzwischen natürlich auch viele Lebens- und Knastgeschichten und selbstverständlich viele Gesichter. Ich bin sozusagen in den Knast gekommen, weil ich nach 25 Jahren Gemeindeseelsorge, noch einmal eine neue Herausforderung gesucht hatte. Auf der alten Düsseldorfer "Ulmer Höh" machte ich ein Praktikum, dort herrschte ein strenges Regime, sowohl unter den Beamten als auch unter den Knackis. Ich traf auf völlig bekiffte Typen mit allem drum und dran und einen Sack Schulden obendrauf. Dort sprach ich auch mit einem Inhaftierten, der von zwei Mitgefangenen schwer misshandelt und vergewaltigt worden war. Ich dachte, was ist das hier für eine schreckliche und beschissene Welt!

Gemeindemitglieder haben mich gefragt "für diese Verbrecher" wollen Sie uns verlassen? Inzwischen habe ich selber fast acht Jahre Tegel hinter mir, und ja, ich bin hier vielen Männern begegnet, die scheinbar nur Tabak und Kaffee brauchten. Mich erreichten etliche Telefonate von ehemaligen Inhaftierten aus Tegel, die Hilfe suchten oder nur mal ein wenig im Pfarramt quatschen wollten. Da erwachte bei mir langsam die Erkenntnis: Die brauchen einen Treffpunkt wie jeder andere Bürger auch.

Ohne Rückfragen und ohne Misstrauen. Die brauchen dich! Und sie brauchen uns! Es soll also ein Café werden. Eine ungezwungene Anlaufstelle für Männer und Frauen in den Räumen der Pfarrei St. Rita in der General-Woyna-Straße 56, in 13403 Berlin, ca. 400m vom U-Bahnhof Scharnweberstraße der Linie 6, bzw. 1,5 Km von der JVA Tegel entfernt. Ein Kreis von Frauen und Männern aus der Gemeinde deckt die Tische, kocht Kaffee, backt Kuchen und steht für eine warme Willkommenskultur.

Vertrauen ist garantiert. Wir arbeiten rein ehrenamtlich und wollen keine Konkurrenz zu bestehenden Einrichtungen der Berliner Gefangenenhilfe sein. Und doch wollen wir mithelfen, dass Ehemalige "draußen" wieder Mut und Fuß fassen. Wir sehen zunächst zwei Arbeitsfelder.

1. Begegnungen im Café: In der Anlaufphase wird das Café jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat von 17:00 - 19:00 Uhr geöffnet sein. Die nächsten Male sind dann am 24.08. 07.09. 21.09. 05.10. und 19.10. Sollte sich der Bedarf erhöhen, treffen wir uns wöchentlich.

2. Wir bieten einen Anlaufpunkt für erste Ausführungen und für Ausführungen zu Treffen mit Familie und Freunden. Wir tun dies in dem Bewusstsein, dass Menschen nach dem Knast wieder ein möglichst geordnetes, ja normales Leben führen wollen. Insofern sind wir eine Selbsthilfegruppe oder Info-Börse. Ohne das die Gesellschaft Kopfschmerzen bekommt und ohne moralisch porös zu sein, kann der Alltag so für viele Gefangene entspannt beginnen.

Wir denken, dass das nach etlichen Haftjahren für die Insassen wichtig ist und nicht unerwähnt bleiben sollte. So kann sich Wiedereingliederung auch von seiner konstruktiven Seite zeigen, damit eine Rückfälligkeit minimiert werden kann. Ohne Hilfe von außen werden viele Inhaftierte nicht in der Lage sein, ein straffreies Leben zu führen und ihre Sozialisationsmängel zu beseitigen.»


An dieser Stelle wollen wir den ersten Besucher des "Cafés Rückenwind" zu Wort kommen lassen. "Auch wenn es ungewöhnlich ist, möchte ich mich zuerst bei den verantwortlichen Mitarbeitern der Teilanstalt V und beim Teilanstaltsleiter bedanken. Schließlich hätten sie sich auf das "Experiment" nicht einlassen müssen. Auch wenn der Termin einige Male verschoben wurde, am 31.07.2017 fand er statt, und es ging in Begleitung von zwei Beamten in Zivil zu Fuß in die General-Woyna-Straße.

Das Wetter war schön, die Beamten entspannt und mir fiel sofort auf, dass alles protokolliert wurde. Der Spaziergang dauerte exakt 23 Minuten. Bei schlechtem Wetter hätten wir die U-Bahn genutzt (Kurzstrecke). Eine Fahrt mit dem Taxi bis zur Freien Hilfe in der Brunnenstraße hätte wesentlich länger gedauert. Das spart Zeit und Geld. In der Pfarrei konnte ich feststellen, die Räumlichkeiten dort sind gut geeignet, um Ausführungen aus sozialen Gründen durchzuführen. Wer sich z.B. mit seinen Kindern treffen möchte, kann auf ein reichhaltiges Angebot an Spielen zurückgreifen. Das liegt sicherlich daran, weil der Raum auch von den Kindern der St. Rita-Kickers genutzt wird. Dadurch wirkt er nicht steril, sondern vermittelt das Gefühl, für einige Stunden am normalen Leben teilnehmen zu können. Rückwirkend betrachtet machte ich im Café eine kleine Zeitreise - und das sowohl in die Vergangenheit wie in die Zukunft.

So eine Atmosphäre wirkt sich positiv auf den Insassen und seine Familienmitglieder aus. Ein Stück gelebter Normalität, wenn auch nur für einige Stunden, aber immerhin lange genug, um neue Energie und Zuversicht tanken zu können."

Es bleibt uns zu hoffen, dass die Anstalt die Arbeit von Pfarrer Friedrichowicz unterstützt und auch die Gefangenen aus den anderen Teilanstalten die Möglichkeit erhalten, ihre (Erst-)Ausführungen dorthin zu unternehmen. Es wäre ein Gewinn für alle Beteiligte.

N. K.

*

Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 372 - 3/2017, Seite 24-25
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
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Telefon: 030/90 147-23 29
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E-Mail: gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2018

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