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LICHTBLICK/199: Vollzugshelfer - Engel des Knastes


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 353 - 4/2012

Vollzugshelfer - Engel des Knastes

von Dieter Wurm



Vollzugshelfer im Strafvollzug - das sind ehrenamtlich tätige Menschen, die sich um eine verfemte Gruppe kümmern für die der anständige Bürger nichts übrig hat, die gar gut weggeschlossen gehören: Strafgefangene!

Die gesetzlichen Grundlagen über die Vollzugshelfer finden sich im § 23 Abs. 6 und § 154 Abs. 4 StVollzG, der die Anstalten dazu anhält, mit Vollzugshelfern zum Wohle des Gefangenen zusammenzuarbeiten.

So wird diesen Helfern gestattet, die Gefangenen ohne Überwachung sprechen zu können. Der Vollzugshelfer gilt als eine Vertrauensperson des Gefangenen.

Dieses ist oft bei lang einsitzenden Häftlingen notwendig, weil viele in der Haft alle Bindungen nach draußen verloren haben.

Viele Gefangene berichten immer wieder, dass ohne Vollzugshelfer und die mit diesen geführten Gespräche der Knast noch schlimmer wäre.

Vollzugshelfer kann fast jeder Bürger werden wenn er bereit ist, sich ein fremdes Schicksal ans Bein zu binden und ehrenamtlich tätig zu werden. Volljährig muss er sein, darf keine Straf- oder Ermittlungsverfahren gegen sich laufen haben und in den letzten drei Jahren selbst nicht inhaftiert gewesen sein.


Eine dieser Vollzugshelferinnen: Helga Engel

Wir luden sie zu einem Gespräch ein und sie kam. Über eine Stunde saß sie bei uns und hatte viele interessante Details zu ihrer Arbeit und aus ihrem Leben, zu berichten.

Jetzt schon 18 Jahre besucht und betreut diese nunmehr 71 Jahre alte pensionierte Lehrerin Gefangene im Berliner und Brandenburger Strafvollzug.

Dazu hat sie mit etwa 50 Strafgefangenen Briefkontakt und schickt ihren Schützlingen Pakete in die Haftanstalten, die von der "Nothilfe Brigitta Wolf" finanziert werden.

Sie vermittelt Briefkontakte in das ganze Bundesgebiet. Dabei wundert sie sich oft darüber, mit welchen Wunschvorstellungen externe Kontaktwünschende sich ihren "Briefkontaktgefangenen" aussuchen möchten.

Außer mit Rat und persönlicher Betreuung hilft sie in Not geratenen Gefangenen sogar mit Kleidung aus.

In der Woche an zwei Tagen fährt sie 90 Minuten weit mit der Bahn in die Knäste.

Das, um ihre Gefangenen in Berliner oder Brandenburger Gefängnissen zu besuchen, die sonst niemanden haben. Dass sie als Mensch zum Menschen gehe, berichtet sie uns, und, dass sie an den Gefängnistoren nicht lange warten müsse, weil man sie schon kenne.

Hier in Tegel unterrichtet sie ausländische Gefangene in Deutsch und leitet in der Teilanstalt V zwei Freizeitgruppen.

Ihre restliche Zeit nutzt sie zu Treffen mit den von ihr betreuten Häftlingen. Ein Mörder sei darunter und ein Drogendealer und, und da wird sie resolut, ein Sexualstraftäter. Sexualstraftäter würde sie nur ablehnen, wenn diese die nötige Therapie verweigern würden. Helga Engel kümmert sich trotz aller Vorurteile um jeden.

Mit den Gefangenen spricht sie allein, lauscht Problemen, spendet Trost oder hilft manchmal dabei, zerstörte Kontakte zur Familie oder Verwandten zu heilen.

Helga Engels Weg in den Strafvollzug begann mit der Wende, vor nun rund 20 Jahren. Damals hatte ein Pfarrer in einem Zeitungsartikel von der seelischen Isolation berichtet, in der sich viele Gefängnisinsassen befinden würden. Sie las es und handelte. Sie schloss sich der Gefangenenhilfsorganisation "Nothilfe Birgitta Wolf" an. Dadurch bekam sie die ersten Adressen und besucht seitdem regelmäßig 'ihre' Gefangenen.

Ich frage sie, was man bei der Resozialisierung besser machen könne. Helga Engel antwortet: "Von Resozialisierung in Tegel sehe ich wenig, ich sehe nur den steten Abbau des Personals. Vieles wird nur noch schön geredet." Auf meine Frage, wie denn für sie diese vielen Schicksale und Sorgen über Jahre hinweg auszuhalten sind, erklärt sie lakonisch: "In der Bahn schalte ich innerlich einfach mal ab, denn sonst würden mich die Probleme erdrücken."

Eines kann man feststellen: Helga Engel ist eine respektierte und bei den Gefangenen gern gesehene Besucherin.

Letztens standen einige Gefangene ganz oben auf Dora 4 im Haus 3 und sahen herunter. Einer dieser Männer deutete auf diese kleine Frau, die mal wieder einen Knacki besuchte: "Schaut mal, der Engel ist wieder da!"

Gibt es im Knast ein noch größeres Kompliment?

*

Quelle:
der lichtblick, 45. Jahrgang, Heft Nr. 353, 4/2012, Seite 26
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2013