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LICHTBLICK/197: Die JVA Heidering - ein Gefängnis des letzten Jahrhunderts


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 353 - 4/2012

Die JVA Heidering - ein Gefängnis des letzten Jahrhunderts

Ein Bericht von Murat Gercek



Der Justizvollzugsanstaltsneubau vor den Toren Berlins steht seit jeher in der Kritik - wenige Wochen vor seiner Fertigstellung versucht der lichtblick einen Blick ins Innere - wurden die fast 120 Millionen Euro für einen modernen, humanen Resozialisierungvollzug investiert, oder droht mit Heidering ein antiquierter Verwahr-Knast?

Das Fazit vorab: Neu heißt nicht modern, hell heißt nicht offen, teuer heißt nicht gut - die JVA Heidering könnte ein Gefängnis sein, dass wissensbasierten, rechts- und sozialstattlichen Resozialisierungsvollzug betreibt, jedoch wird diese Chance dem ersten Anschein nach vertan.

So schlimm, wie befürchtet, wird es jedoch wohl nicht werden.


Letztes Jahr (der lichtblick 4|2011, S. 12 ff.) konnten wir nur die äußere Hülle der JVA Heidering betrachten - die baulichen Gegebenheiten - und formulierten bezüglich der konkreten Binnenwelt diverse Befürchtungen, nämlich: "Es bleibt abzuwarten, wie oft die vorhandenen Sportanlagen tatsächlich von den Insassen genutzt werden dürfen und wie viele Sportangebote tatsächlich vorgehalten werden. Dies besonders auch vor dem Hintergrund, dass die Freizeitgestaltung privatisiert werden soll!

Es bleibt abzuwarten, wie oft die urban gestalteten Höfe von Insassen nicht nur durch vergitterte Fenster betrachtet werden können, sondern tatsächlich begangen und "befreizeitet" werden dürfen. Dabei sind die Fenster so gestaltet, dass sich eventuell nur ein kleines, engmaschig vergittertes Fenster öffnen lässt.

Es bleibt abzuwarten, ob ein Justizvollzugsbediensteter eine "Wohngruppe" betreut (...).

Es bleibt abzuwarten, wie oft die Loggia tatsächlich benutzt werden kann - oder anders: werden die Aufschlusszeiten großzügig oder mickrig sein?

Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitsplätze in ausreichender Zahl tatsächlich qualifizierende (resozialisierenden) sind, oder nur Privatfirmen Arbeit zur Verfügung stellen und mit Häftlingen als billigen Arbeitskräften produzieren wollen (...)"

Manche dieser Befürchtungen haben sich bewahrheitet, andere jedoch in Wohlgefallen aufgelöst - so gefällt es uns, dass in der JVA Heidering keine Privatisierung stattfindet. Ursprünglich sollten etliche 'Gewerke' privatisiert werden (wie Freizeit, Medizinische Versorgung, Arbeit etc.) - diese Pläne sind vom Tisch. Zwar nicht, weil die Erkenntnis Berücksichtigung fand, dass Privatisierungen im Knast fast ausnahmslos der Zielerreichung weniger dienlich sind, als wenn der Staat diese Aufgaben selbst übernimmt (s. hierzu: der lichtblick 3 | 2012, S. 41), sondern weil die Berliner Justiz keine Firma gefunden hat, die die Gewerke günstig anbietet. Dieses späte Ergebnis führt jedoch dazu, dass die JVA Heidering bisher beispielsweise keine Arbeits- und Ausbildungsbetriebe besitzt und dass die personelle Ausstattung der 'Gewerke' der Vollzug nun selbst wuppen muss - und dass die Justiz-Mühlen langsam mahlen, lässt für die erste Zeit nach der Inbetriebnahme wenig Gutes hoffen. Also: frühes Kommen sichert nicht die besten Plätze.

Kommen übrigens werden die ersten Knackis ab April 2013 - jeden Monat circa 70. Zeitgleich mit diesen werden nach und nach dann auch die Mitarbeiter des Allgemeinen Vollzugsdienstes und die Sozialarbeiter kommen: insgesamt 18, und das bedeutet, dass für 36 Gefangene je ein Sozialarbeiter vorgesehen ist. Und ein Justizvollzugsbediensteter wird zwei 'Wohngruppen' á 18 Insassen betreuen.

Diesen Betreuungs- und Behandlungsschlüssel begrüßen wir zwar - verabschieden jedoch würden wir gerne den ein oder anderen bekannten und bekennenden Hardliner aus der JVA Moabit und der JVA Tegel, der zukünftig in Heidering seinen Dienst versehen wird. Obwohl es - deutschlandweit betrachtet - keine Selbstverständlichkeit ist, dass Sozialarbeiter als Gruppenleiter auf den Stationen behandlerisch tätig sind, wäre ein Schlüssel von 1:15 wünschenswert - denn ohne Behandler keine Behandlung; und betreut ein Sozialarbeiter 36 Gefangene, bleibt je Knacki bestenfalls Zeit für ein, zwei Gespräche im Monat.

Soll nun die Befürchtung, dass in Heidering mehr Verwahrung als Behandlung praktiziert wird, nicht wahr werden, steht die Anstaltsleitung vor Herausforderungen.

Anke Stein aber, der bisherigen Projektleiterin des Bauvorhabens und neuen Anstaltsleiterin, trauen wir dies ohne weiteres zu - resolut und kompetent stand Sie uns im Interview Rede und Antwort:

lichtblick: Frau Stein, herzlichen Glückwunsch zur Ernennung zur Anstaltsleiterin der JVA Heidering. Neuer Knast - wird alles besser?

Anke Stein: Ja, denn ein Gefängnis-Neubau bietet auf jeden Fall bessere bauliche Voraussetzungen als Gebäude aus dem vorletzten Jahrhundert. Grundsätzlich orientieren wir uns am 'Berliner Standard', und werden nicht unter diesen Standard zurückfallen.

lichtblick: Das heißt konkret - wie groß sind die Zellen?

Anke Stein: 10 qm, natürlich mit einem abgetrennten Nassbereich. Und Doppelbelegung gehört endgültig der Vergangenheit an.

lichtblick: Warmes Wasser aber gibt es nicht ... und werden Sie nun gestatten, dass der große Fensterflügel geöffnet werden kann?

Anke Stein: Sehen Sie - die Schlüsselübergabe ist für den Januar 2013 geplant, erst dann werden mein Team und ich uns an die konkrete Ausgestaltung des Vollzuges begeben. Zudem ist es mir ein großen Anliegen, bei möglichst vielen Fragen die Gefangenen zu beteiligen.

lichtblick: Die Gefangenen werden ohne Frage öffenbare Fenster nicht nur begrüßen, sondern es scheint kaum vorstellbar, dass ein Knast-Neubau nur kleine, fast zugeschweißte Schießscharten als einzige Fenster mit vollem Funktionsumfang installiert.

Anke Stein: Pendeln und Müllhinauswürfe jedenfalls werde ich nicht dulden - und wenn das Verschließen der Fenster die einzige wirksame Maßnahme darstellt -

lichtblick: Pendeln? Sind die Zellen denn stets verschlossen, gibt es keinen Stationsaufschluss Denn bei großzügigem Aufschluss braucht niemand zu Pendeln, weil er sich mit Mitgefangenen auf dem Flur, in Küchen und Gruppenräumen austauschen kann. Ohnehin könnte allenfalls in Untersuchungshaft Pendeln beanstandet werden - Heidering ist aber doch keine U-Haft-Anstalt, oder?

Anke Stein: In der JVA Heidering werden Gefangene mit normalem Behandlungsbedarf ihre Strafe verbüßen - also keine Sicherungsverwahrten und keine LLer; vom Sicherheitsstandard her ist Heidering zwischen der JVA Charlottenburg und der JVA Tegel angesiedelt.

lichtblick: Die in der Bauplanung als Wohngruppen titulierten Stationen - wird das nun der Wohngruppenvollzug, den auch der Entwurf des neuen Landesstrafvollzugsgesetzes vorsieht?

Anke Stein: Nein. Aber allein durch die baulichen Gegebenheiten wird eine Art Wohngruppenvollzug unterstützt und gefördert, denn zwei kleine Einheiten mit je 18 Gefangenen werden von einem Gruppenleiter (Sozialarbeiter) und einem Gruppenbetreuer (Justizvollzugsbedienster) betreut.

lichtblick: Das heißt, sie setzen auf Behandlungsvollzug.

Anke Stein: Selbstverständlich!

lichtblick: Wie werden die Aufschlusszeiten sein?

Anke Stein: Tagsüber werden wir für Nicht-Arbeiter die Aufschlusszeiten begrenzt halten - wir werden unsere Bediensteten da einsetzen, wo die Gefangenen sind, tagsüber also überwiegend in den Arbeitsbetrieben und Ausbildungsstätten. Am Nachmittag aber werden wir bis zum späten Abend (ca. 21.30 Uhr) Freistunden anbieten und durchgängig Aufschluss praktizieren.

lichtblick: Wir loben immer wieder, dass Berlin hinsichtlich der Lebensverhältnisse bemüht ist, dem Gesetz Geltung zu verschaffen - prima, dass auch Heidering dies so praktizieren wird.

Anke Stein: Berlin geht bundesweit mit Beispiel voran, und auch Heidering wird diesbezüglich den Berliner Standard mindestes halten, häufig jedoch übertreffen.

lichtblick: Wie sieht es aus mit den Freizeitmöglichkeiten in der neuen Anstalt aus, gibt es nun endlich Table-Dance, Whirlpool und Cocktail-Bar?

Anke Stein: (lacht...) Nein, das gibt es nicht und die wird es im Vollzug auch nie geben, aber ich kann Ihnen sagen, dass die Freizeitanlagen und somit die -möglichkeiten quantitativ und qualitativ großzügig und hochwertig sind. Es gibt eine Multifunktionshalle, die sowohl für Sport, als auch für Veranstaltungen dient, ein großes und zwei kleine Spielfelder, ein zentraler Kraftsportraum und eine 400m-Laufstrecke. Zudem gibt es in jeder Teilanstalt einen Fitnessraum. Die Freistundenhöfe sind weitläufig und gut beleuchtet, so dass auch in den Wintermonaten ein langer Aufenthalt möglich ist.

lichtblick: Ein Kraftsportraum für 648 Gefangene?

Anke Stein: Kraftsport ist doch antiquiert - wir haben zusätzlich in jedem der drei Hafthäuser einen Fitnessraum, in dem die Gefangenen Ausdauertraining betreiben können.

lichtblick: Es gibt ein Thema was allen Gefangenen sehr wichtig ist, und zwar der Besuch, der ja auch zu den Resozialisierungsmaßnahmen par excellence zählt. Wieviel Besuch bekommen die Gefangenen in Heidering, wird es halbtätige Langzeitbesuche, auch über Nacht geben, wird es mehrmals pro Woche Besuch geben?

Anke Stein: Es gibt zwei Gemeinschafts- und zwei Langzeitsprechräume. In der JVA Heidering werden wir die im Gesetz festgeschriebenen Besuchszeiten ermöglichen. Langzeitbesuche werden wir auch anbieten.

lichtblick: Die gesetzlichen Besuchs-Zeiten tituliert selbst das Gesetz aber als Mindestmaß und diese Zeiten gelten als zu gering ...

Anke Stein: Es wird zwei Stunden Besuchszeit im Monat geben, so wie es Berliner Standard ist. Die werden wir definitiv auch einhalten. Wir wollen zudem dafür sorgen, dass das Sprechzentrum stets ausgelastet ist und wollen außerdem in Zusammenarbeit mit der Insassenvertretung gemeinsam über die Besuchsmodalitäten entscheiden.

lichtblick: Wie sollen eigentlich Angehörige, Rechtsanwälte, Vollzugshelfer und alle anderen nach Heidering kommen, die Anstalt ist ja im Niemandsland, mitten in der Pampa.

Anke Stein: Die Verkehrsanbindung an das ÖPNV-Netz muss noch hergestellt werden. Aktuell laufen die Verhandlungen, um bestehende Buslinien zu erweitern und um die Fahrfrequenz zu erhöhen, die Anbindungszeiten sollten sich den Gegebenheiten der neuen Anstalt anpassen. Wir streben eine Taktfrequenz von 20 - 45 Minuten an.

Anke Stein berichtet uns weiter darüber, dass Sie die Zellentelefonie will - eine entsprechende Ausschreibung sei erfolgt und da die Kabel alle bereits gelegt seien, könne man mit günstigen Preisen rechnen. Klasse!

Der Einkauf wird in Heidering als Sichteinkauf, also Einkaufsladen, erfolgen - einen Anbieter suche man; den 'langen Riegel' (Ruhetag am 'Tag des Herrn') wird es auch in Heidering geben; Privatkleidung sei selbstverständlich gestattet; eine Sonderlösung bezüglich Spielkonsolen jedoch gäbe es nicht - im Berliner Vollzug sind Spielkonsolen nicht gestattet; Lockerungen werden - wie in Berlin üblich, also großzügig - gewährt werden, prima!

Anke Stein trägt vor, dass ihr Team und sie ab Januar ein Beschäftigungs- und Bildungskonzept entwickeln würden: in Heidering werde man vielfältige Ausbildungsmöglichkeiten - in modularen System und marktgängig - vorhalten.


Fazit

Anke Stein schätzen wir als glaubwürdige, engagierte und kompetente Gesprächspartnerin und Anstaltsleiterin und wünschen ihr für ihre Tätigkeit alles Gute.

Das kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die JVA Heidering zwar ein Neubau ist, jedoch mit Zellen und Vollzugskonzepten, die dem Stand von vor 40 Jahren entsprechen - verglaste Loggien helfen da nix.

Auch beim Besuch werden Chancen vertan: anstatt den Gefangenen ausgiebige Besuche anzubieten (mehrmals pro Woche, mehrere Stunden, auch Langzeitbesuche über Nacht), bleibt man auch hier hinter modernen und sozialen Erkenntnissen zurück.

Dass kein Wohngruppenvollzug installiert wird, dass Sozialarbeiterische Betreuung zwar vorhanden, aber allenfalls Grundbetreuung gewährleistet, dass Sicherheit & Ordnung der Behandlung vorgehen, ist anachronistisch.

Kurzum: die JVA Heidering ist normaler Berliner Standard - und das heißt: der Vollzug erfüllt die Vorgaben des bald 40 Jahre alten Strafvollzugsgesetzes. Nicht mehr - aber auch nicht weniger!

*

Quelle:
der lichtblick, 45. Jahrgang, Heft Nr. 353, 4/2012, Seite 9-11
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2013