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LICHTBLICK/162: Alter(n) im Knast


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 340 - 3/2009

Alter(n) im Knast
Anstaltsleitung plant "Altenstation" in der JVA-Tegel

Von H. Tmarzizet


Alt werden fällt keinem Menschen leicht, umso mehr wenn er sich in einer extremen Ausnahmesituation wie Inhaftierung befindet. Auf den ersten Blick könnte man glauben, dass es gar nicht so tragisch ist, denn viele Probleme, die draußen eine große Rolle spielen, wie Vereinsamung, kaum soziale Kontakte und fehlender Kontakt zu jüngeren Menschen scheinen vordergründig im Gefängnis wie von selbst gelöst. Auch die Angst vieler älteren Menschen nach einem Unfall oder dem Tod wochenlang unentdeckt in der Wohnung zu liegen ist hier nicht möglich. Die Ernährung, wenn auch nicht gerade altengerecht, zumindest aber kalorienreich, und die medizinische Grundversorgung sind gesichert. So gesehen also alles in Ordnung, denn wir wissen ja, der Knast ist kein Ponyhof und soll auch auf keinen Fall einer werden.

Doch beschäftigt man sich näher mit dem Problem Alter und den tatsächlichen Problemen älterer Inhaftierter, so merkt man schnell, dass durchaus nicht alles zum Besten steht.

Dies hat wohl auch die Anstaltsleitung erkannt und ist zu dem Entschluss gekommen, sich auf zukünftig zu erwartende Situationen vorzubereiten. Konkret bedeutet es den Rat von Experten einzuholen, sprich AltenpflegerInnen und Geronthologen (Altersforscher). Das Vorhaben ist schon soweit gereift, dass Herr Adam in einem Artikel in der Berliner Zeitung, vom 3. März 2009, sich wie folgt dazu äußerte: »Wir müssen uns auf neue Bedingungen einstellen und haben das Bezirksamt Reinickendorf gebeten, uns Fachleute aus der Altenpflege zu vermitteln. Wir haben ja keine Erfahrung auf diesem Gebiet." und weiter "...auch in einem Gefängnis müssen Menschen in Würde altern können«. Dafür gebührt ihm ausdrückliches Lob. Allein ob es auch tatsächlich eine Veränderung bewirkt und vor allen Dingen wann, lässt bei uns erfahreneren Knackis leichte Zweifel aufkommen. Denn bis zur Umsetzung sind noch viele Entscheidungsträger zu überzeugen. Bis dahin müssen die in Berlin inhaftierten 114 Männer und 10 Frauen, die älter als 60 Jahre sind, den "normalen" Haftalltag bewältigen. Und der ist alles andere als altengerecht. Nun muss man aus Fairness sagen, dass die Anstalt auf dieses Problem nicht vorbereitet ist. Die rasante Entwicklung ist am Besten durch die Belegungszahlen zu verdeutlichen. So waren 2004 in der JVA Tegel, Deutschlands größtem Gefängnis, erst 14 Gefangene älter als 60 Jahre. 2009 sind es schon 52, davon wiederum sind 15 Männer älter als 70 Jahre. Der älteste Gefangene ist zurzeit 82 und wurde mit 76 Jahren das erste Mal verurteilt. Damit ist die vielbeschworene Alterspyramide auch im Knast angekommen. Obwohl hier der weitaus überwiegende Teil jüngere Täter sind, ist eine Tendenz zu erkennen. Auch das Einstiegsalter wird höher. Als Beispiel sei der Rentner genannt, der aus Altersarmut zum Drogenschmuggler wird, selbst aber keinerlei Drogen konsumiert, und dann zu einer extrem hohen Haftstrafe verurteilt wird.

Die andere Gruppe stellen die 34 Sicherungsverwahrten, für die es heute meist schon klar ist, dass sie entweder im Gefängnis sterben oder mit schwerster Krankheit eine Verlegung in eine Pflegeeinrichtung genehmigt wird, wenn von mehreren Ärzten die Diagnose vorliegt, dass zeitnah der Tod zu erwarten ist. In den letzten Jahren wurde kein Sicherungsverwahrter entlassen. Mit dieser Perspektive ist es nachvollziehbar, daß viele von diesen Inhaftierten komplett resignieren, sich in ihre Zellen zurückziehen, den ganzen Tag fernsehen und für äußere Anreize kaum noch zu gewinnen sind. Im Grunde die gleiche Situation wie bei manchen alten Menschen draußen, nur dass hier niemand ist, der sich, wie in einem Altenheim um sie kümmert. Die Gruppe der SV'er und Lebenslänglichen wird in Zukunft einen immer größeren Anteil einnehmen, da die gesetzlichen Regelungen und richterlichen Entscheidungen dies so wollen. An dieser Stelle soll auch mit dem Irrglauben aufgeräumt werden, ein Lebenslänglicher wird in Deutschland nach 15 Jahren entlassen. Dem ist nicht so. Nach 15 Jahren kann er das erste Mal einen Antrag auf Prüfung zur Entlassung auf Bewährung beantragen. Die durchschnittliche Haftdauer eines LL'er beträgt 18,5 Jahre, in vielen Einzelfällen ist sie deutlich höher.

Deshalb wird das Vorhaben, Altenpfleger zu beschäftigen, immer dringlicher, denn alte Menschen brauchen, soweit sie an altersbedingten Krankheiten, wie Rücken- und Gelenkproblemen, Diabetes etc. leiden, nunmal eine andere Betreuung. Dies kann natürlich von den Bediensteten nicht erwartet werden, da es nicht zu ihrer Ausbildung gehört und sich auch nicht jeder, wie im richtigen Leben, als Pflegekraft eignet bzw. dazu bereit erklärt. Das ist ein weiterer Grund für die Entscheidung Verstärkung von außerhalb zu holen und nur konsequent.

Wichtig wäre dabei nur, dass keine Ghettoisierung eintritt und aus dieser guten Idee eine Art Isolationsstation entsteht und die Eingangs erwähnten Vorteile verlorengehen.

Zusammen fassend lässt sich sagen, dass die Anstaltsleitung mit ihrem Vorhaben auf dem richtigen Weg ist und hoffentlich mit ihrem innovativen Vorhaben auf verständnisvolle Ohren trifft. Allein der allgemeine Einsparungskurs der öffentlichen Haushalte lässt bei uns große Zweifel aufkommen. Wir hoffen jedoch das Beste und werden sicherlich bald wieder darüber berichten.


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Quelle:
der lichtblick, 40. Jahrgang, Heft Nr. 340, 3/2009, Seite 26-27
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2009