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LICHTBLICK/160: "Neues" Berliner Vollzugskonzept


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 340 - 3/2009

"Neues" Berliner Vollzugskonzept
Alter Wein in neuen Schläuchen - oder Rückfall in den Verwahrvollzug?

Von H. Tmarzizet


Seit einiger Zeit sind emsige "Verschönerungs-" und Baumaßnahmen in unserem kleinen Dorf festzustellen. Dies hat allerdings nichts damit zu tun, dass die JVA Tegel an der Wahl zum schönsten Dorf Deutschlands teilnehmen will, sondern mit der neuen Rahmenkonzeption für den geschlossenen Männervollzug und die damit verbundene Umstrukturierung der Hafthäuser.

Wie sieht nun das neue Konzept aus und was bedeutet es für den einzelnen Gefangenen?

Um es vorweg zu sagen, es gibt weder eine verbindliche Aussage seitens der Anstaltsleitung noch vom Senat für Justiz. Gesichert ist nur der Einführungsbeginn, er soll Anfang 2010 sein. Und es gibt die Aussage der Vollzugsleitung auf die Anfrage der GIV, ob "der Wohngruppenvollzug sich in absehbarer Zeit verändert oder gänzlich auflöst?" Die Antwort auf diese wichtige Frage lautet:

"In der Tat nimmt die neue Berliner Rahmenkonzeption für den geschlossenen Männervollzug allmählich Form an. Den Wohngruppenvollzug, wie er bisher in der JVA Tegel bekannt war, wird es wohl zukünftig nicht mehr geben. Betroffen sind die Haftanstalten Charlottenburg, Moabit, Plötzensee und Tegel. Zwar lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt auch weiterhin nichts Konkretes sagen, es sieht jedoch danach aus, dass unter anderem die Einweisungskriterien für einen Inhaftierten künftig von der EWA geringer differenziert werden. Damit stehen auch die Behandlungskonzepte der jeweiligen Teilanstalten auf dem Prüfstand. Wenn auf - bisherige - Behandlungsansätze wenig Rücksicht genommen werden muss, können Haftplatzkapazitäten effizienter genutzt werden, was auch einem Abbau von Wartelisten zu Gute kommt."

Diese eher harmlos klingende, unverbindliche Aussage lässt tief blicken und gibt zu großer Besorgnis Anlass.

Denn zum einen ist es erschreckend festzustellen, dass es immer noch keine klare Vorstellung gibt, wie die neue Konzeption aussehen noch wie sie umgesetzt werden soll.

Wenn wir davon ausgehen, dass geringere Differenzierung bedeutet, alle Gefangenen werden von der EWA "gleich" behandelt, so heißt dies: Belegung nach Kapazität. Der neue Haftteilnehmer wird direkt aus der U-Haft Moabit in ein beliebiges Haus eingewiesen, in dem gerade ein Haftraum frei ist, ungeachtet seiner Tat und seiner Vorgeschichte. Die zugewiesene Zelle bleibt ihm dann bis zum Ende seiner Haftzeit erhalten. Und schon haben wir ein Problem.

Denn alle, die die vollzugstechnischen und baulichen Gegebenheiten in der JVA Tegel kennen, wissen dass es nicht egal ist, ob man im Haus II oder III landet anstatt im Haus V oder VI. Von Haus I möchte ich hier erst gar nicht reden. Einzig die beiden Häuser der SothA werden ihren Sonderstatus behalten und nach altem Konzept belegt.

Selbst wenn das Kunststück gelingt, alle Häuser vollzugstechnisch anzugleichen, bleibt immer noch der bauliche Unterschied, und dieser wird wohl niemals aufgehoben werden. Als Beispiel sei nur genannt, dass die Hafträume in den älteren Gebäuden über kein Warmwasser und keine abgetrennte Toilette verfügen. Allein diese beiden Punkte lassen eine Klageflut vermuten.

Aber auch die Umsetzung des Rahmenkonzeptes dürfte schwierig werden. Erfahrungsgemäß kann man davon ausgehen, dass dabei eher eine Angleichung nach unten stattfinden wird. Die Konsequenz daraus: in den Häusern, in denen es etwas gelockerter zugeht, werden wohl einige gravierende Einschnitte (z. B. bei den Freistundenregelungen, Einschlusszeiten) stattfinden. Da stellt sich ohnehin die Frage, warum überhaupt ein neues Vollzugskonzept nötig ist? Und wenn ja, weshalb dann eines, dass weg von dem mehr oder weniger bewährten Wohngruppenvollzug hin zum alten Verwahrvollzug führt? Veränderungen sollten im Detail erfolgen, um eine Verbesserung der aktuellen Missstände zu erreichen. Stattdessen wird es wohl einen Rückschritt geben.

Wenn wir uns einmal vor Augen führen, wie es überhaupt zu diesem "Umstrukturierungsvorhaben im Vollzug" gekommen ist, wird einem klar, welche Chance hier vertan wurde. Ausgangspunkt dafür, dass über eine Vollzugsreform nachgedacht wird, sind nicht etwa die momentanen Missstände, sondern das Bemühen, den Vollzug so kosteneffizient wie möglich zu betreiben, ungeachtet dessen, dass dabei bewährte und sogar gesetzlich bestimmte Vollzugsformen (z. B. Wohngruppenunterbringung) abgebaut werden oder ganz verschwinden. Die gesetzliche Regelvollzugsform des "Offenen Vollzuges" als "Kostenkiller" wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Dabei böte doch gerade die Umstrukturierung die Möglichkeit, Fehler und Versäumnisse zu beheben und dem eigentlichen Ziel des modernen Strafvollzugs, der Resozialisierung, näherzukommen. Leider gibt es bundesweit keine Vergleichsstudie zum Thema "Vorteile und Nachteile bestehender Vollzugskonzeptionen" und somit wird es schwer, das neue Konzept in seinen Auswirkungen im Vorfeld zu beurteilen.

Sicher ist, dass für den einzelnen Gefangenen weniger Zeit zu Verfügung steht, um mit ihm an dem Vollzugsziel, Rückführung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft, zu arbeiten. Auch die Möglichkeit zu entlassungsvorbereitenden Maßnahmen und zweckgebundenen Ausgängen werden wohl mit Verweis auf Personalmangel und die neue Konzeption, auf ein Minimum beschränkt werden. Und da ist sie wieder die alte, fast schon ausgediente Verwahranstalt, nur mit modernem Aussehen und neuem Namen. Sicher gibt es da "draußen" viele, die dem Verwahrvollzug positiv gegenüber stehen, da er ihren Vorstellungen von Strafe eher entspricht. Denen sei aber gesagt, dass damit die Chance, auf den Gefangenen positiv einzuwirken, ungenutzt vergeudet wird. Derselbe Mensch wird eines Tages wieder inmitten der Gesellschaft leben, nur dass dann seine Aggressionen und Frustrationen nochmal gesteigert wurden.

Eine weitere Frage, die sich stellt: Was geschieht eigentlich mit den Insassen, die noch von der EWA in den Wohngruppenvollzug eingeteilt wurden, und was ist mit den Lebenslänglichen und Sicherheitsverwahrten?

Es steht zu befürchten, dass die im Wohngruppenvollzug untergebrachten Gefangenen die größten Einschnitte hinnehmen müssen, da für diese Art von Strafvollzug demnächst kaum noch die räumlichen und personellen Kapazitäten vorhanden sein dürften. Sie werden wohl zu "Auslaufmodellen", oder schlimmer noch, als "Kollateralschäden" abgewickelt. Ein bisschen Verlust gibt's halt immer.

Bessere Perspektiven haben die LL'er und SV'er. Für diese Gruppe wird es wohl weiterhin noch eigene Stationen geben mit sogenannten "Ausnahmeregelungen".

Aber da es zurzeit keine präzise Aussage zu dem Rahmenkonzept gibt, sind dessen Auswirkungen noch gar nicht konkret abzusehen. Meiner Meinung nach wird es unvermeidlich doch wieder auf eine Zweiklassengesellschaft hinauslaufen und eher einen Rückschritt bedeuten. Somit ist dieses "neue" Konzept nur ein weiteres Experiment auf dem Planeten Tegel.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass mal wieder nichts sicher ist und unschöne Veränderungen in unserer kleinen, trostlosen Welt anstehen. Bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung ähnlich lange braucht, wie die vielen "Reformen" zuvor.

Doch es ist wohl zu befürchten, dass es ausnahmsweise diesmal anders läuft oder, um es mit dem Leitspruch eines untergegangenen Gesellschaftskonzeptes, das auch "geringere Differenzierung", sprich Gleichbehandlung aller, zum Ziel hatte, zu sagen:

"Nimmt die Bürokratie erstmal ihren Lauf, hält sie weder Ochs noch Esel auf."


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Quelle:
der lichtblick, 40. Jahrgang, Heft Nr. 340, 3/2009, Seite 22-23
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2009