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LICHTBLICK/157: Aufschub - Eine Reise in den Süden


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 339 - 2/2009

LESERBRIEFE
Aufschub
Eine Reise in den Süden

Erfahrungsbericht von Heiko Rapp


Nachdem ein Verfahren im Februar 2007 zum Abschluss gekommen war, ist meine Zeit in der JVA Oldenburg zu Ende gegangen und ich bin auf die Reise in den Süden, wohin ich wegen einer heimatnahen Verlegung eigentlich auch gerne wollte, geschickt worden. Hier nun mein Bericht in Form von Briefen an die Redaktion der Tr§tzdem über eine Reise in den Süden:

Brief vom 20.02.2007 aus Ulm

Hallo, bin am "Ziel" - naja, vorerst einmal; es kann sein, dass ich nochmals verlegt werden soll. Die Wege der Justiz sind unergründlich: Habe verschiedene Anstalten durch die "Glanzleistung" der Justizfahrbereitschaft kennen gelernt. Es waren "solche" als auch "solche" dabei; kurz gesagt: Unterschiede wie Tag und Nacht. Hier Beispiele:

JVA Hamm - Transportzellen? - Ein Fremdwort - man wird untergebracht, wo Platz ist. Ich war in einer 4-Mann Zelle, 2 Strafer und 1 U-Häftling bilden den Stamm. Ausgestattet war die Zelle mit Wasserkocher und TV mit Videotext, dafür war die Toilette per Spanischer Wand abgeteilt. Als Abendessen gab es 200 gr. Wurst, Brot und 1 Liter Milch. Eine Einkaufsliste aus Hamm liegt zum Vergleich bei. Abends war duschen angesagt! (Und das auf Schub!)

JVA Köln - Transportzelle bzw. Warteraum für 60 Leute, darunter 4 Nichtraucher, wie ich - Geräuchertes soll ja länger halten! Hier machten wir Zwischenstation und bekamen die "gute Kölner Suppe" vorgesetzt.

JVA Rohrbach - Wenn es ein Alcatraz gibt, dann liegt es hier in Rohrbach! Alle haben Paranoia. Sämtliche Sachen, auch das Handgepäck wurden verwahrt, so konnte man nicht mal 'nen Kaffee trinken. Der erste Knast seit Oldenburg, wo angefragt wird, ob man raucht oder nicht. Unterbringung in Transportzellen, die so steril sind, dass man meint, in einem Schlachterbetrieb zu sein - Fliesen bis unter die Decke. Mein Zellenkamerad kam aus Mönchengladbach und es stellte sich heraus, dass wir dort in dieselben Kneipen gehen und seine Frau und meine Freundin zusammen auf dem "Gym" waren. (Die Welt ist klein.) Wieder duschen!

JVA Heimsheim - Erste Frage: "Rauchen Sie?", zweite Frage: "Waren Sie duschen auf Schub?" Antwort zu 1: "Nein!", Antwort zu 2: "Nein!" (So was muss man doch ausnutzen!) Transportzellen wie in Rohrbach - 2-Mann Belegung oder auch 4-Mann. (Hier schwätze'se schwäbisch und keiner sagt "moin"...!)

JVA Ulm/Frauenrraben - Alter Bau, wird im Juni 07 nach den EU-Normen komplett saniert - als Nichtraucher bin ich alleine. Zellen sind alt, aber alle mit Radio, das in der Ampelanlage eingebaut ist, ausgestattet. Vorerst muss man sich mit dem zufrieden geben, was hier ist - nach dem Umbau wird "alles" besser. Das Problem ist nur mal wieder der Denkmalschutz.

Wir haben noch viele andere Anstalten angefahren, doch waren es nur kurze Stopps zum Pinkeln oder für Raucherpausen und da kann man nichts dazu sagen.

Bei mir wird geprüft, ob ich in Ulm bleibe oder nach Heimsheim bzw. Rottenburg verlegt werde.

Warum die Niedersachsen mich "Hals über Kopf" auf Schub gebracht haben, versteht hier in Ulm keiner. Es ist schlecht Platz hier und es kommen täglich neue Leute. Das Essen ist nicht schlecht und reichlich, selbst Dieter hätte seine Freude daran.

Entweder gibt es Salat oder Obst zum Mittag, abends meist schwäbische Hausmannskost. Ich melde mich; wenn ich einen "End-Knast" habe.


Brief vom 28.02.2007 aus Rottenburg am Neckar

JVA Ulm - Ein Tag mehr oder weniger - je nach Betrachtungsweise: jedenfalls ist das hier ein "Camp" wie 1939 - 1945 irgendwo in Großdeutschland. Um 7:00, 11:00 und 15:00 Uhr geht die Tür auf, es gibt "Futter" in 'nem Edelstahltopf; ein Liter angeblich "heißes" Wasser und dann Türe zu.

Ich schreibe hier nicht von einem Knast irgendwo in Osteuropa oder Russland, nein, dieser Knast ist im "Vorzeigeländle" der Bundesrepublik Deutschland, in Baden-Württemberg. Das Fenster dreifach vergittert, doch richtig schließen tut es nicht. Notdürftig mit einer alten Decke so gut es geht abgedichtet, die Heizung in der Zelle scheint auf Minimalbetrieb zu laufen, von warmem Wasser am Waschbecken ganz zu schweigen. Wären wir keine Knackis, sondern Tiere, wäre die Tierrettung längst schon vor Ort aber so? Meistens im Bett liegend, eingemümmelt in zwei alte Decken der "Justiz" vor 1978, die nicht mal halb soviel wärmen wie sie stinken, verbringt man seinen Tag in der Außenstelle der JVA Ulm. Hygiene ist ein Wort, das im Sprachgebrauch nicht vorzukommen scheint. Wo andere Anstalten Wäschebeutel für die Privatkleidung oder Waschmaschinen und Trockner haben, bekommt man "gute" Ratschläge: Die Familie soll doch die Wäsche abholen oder man soll Anstaltswäsche tragen. Toll, es soll 90 Kilometer gefahren werden um dreckige Wäsche abzuholen? Und die 90 Kilometer sind einfache Fahrt! Zudem wäre ja beim Besuch die Möglichkeit, diese mitzunehmen Besuchszeiten: alle 14 Tage ne halbe Stunde! Na wunder bar, in Niedersachsen ist es wöchentlich 'ne Stunde! Oder man kann zusammenfassen lassen. Und dort gibt es Waschmaschinen auf jeder Station. Irgendwie können wir Baden-Württemberger doch nicht alles außer hochdeutsch; vieles gäbe es anderen "ärmeren" Bundesländern nachzumachen, was den Strafvollzug angeht. Vom "Verwahrvollzug" sollte man endlich abkommen und sich mit den Menschen in den Zellen beschäftigen, denn es sind Menschen, egal, was sie gemacht eben. Dafür "darf" man ja 3-mal die Woche duschen, in anderen Anstalten "kann" man 7-mal die Woche duschen und dann, wenn man es möchte. Und man geht nicht in ganzen Horden zum duschen, sondern hat abgetrennte Duschkabinen. Hygiene ist etwas Intimes, und die Menschen anderer Religionen werden förmlich vor Anderen zwangsentblößt. Aber wie schon erwähnt, in Ulm darf man duschen und in Oldenburg zum Beispiel kann man duschen. Im juristischen Sprachgebrauch hört sich "darf" viel besser als "kann" an. Dann sind noch die Preise für das Verplomben von Geräten sowie für eine Dreifachsteckdose. Die Siegel in Niedersachsen schienen nur aus "Altpapier zu sein, während die Siegel in Baden-Württemberg aus handgeschöpftem Papier sind. Für die Verplombung eines TV-Gerätes zahlt man in Oldenburg 7,50 EUR, für die eines Wasserkocher (der in Ulm nicht funktioniert, da die Stromleitung diesen nicht aushält) 5,00 EUR. In Ulm kostet die Verplombung 23,00 EUR! Ein TV über die Oldenburger Anstalt bezieht man bei Quelle für 82,00 EUR, in Ulm über einen "Elektrofachhandel" für 160,00 EUR. Ein Kabel mit 'ner 3-fach Steckdose kostet in Hamm 1,70 EUR und in Ulm "stolze" 3,60 EUR plus Verplombung! Eine derartige "legalisierte" Abzockerei gehört angezeigt, es kann nicht sein, dass ein Häftling doppelte bzw. 6-fache Preise zahlen muss als anderswo in einer anderen Anstalt. Wieso soll man eigentlich für die Verplombung nochmals zahlen, wenn man aus einem anderen Gefängnis verlegt wird und kein Siegelbruch vorliegt? Trauen die Anstalten sich gegenseitig nicht, oder soll der "Elektrofachhandel" vor dem Ruin bewahrt werden? Vielleicht liegt es auch an der berühmten schwäbischen "Vetterleswirtschaft", wo jeder jeden kennt und auch was dafür tut, damit er was abbekommt?

Auch wird die Post im "Ländle" durch die Bediensteten zensiert und die Briefe müssen in deutscher Sprache sein, ansonsten wird ein Übersetzer beauftragt. Nein, das ist kein Witz, das ist die Realität in Ulm. Telefonieren ist ein Kapitel für sich; als Strafer: "kann in begründeten Fällen auf Antrag seitens der Anstaltsleitung gestattet werden, auf eigene Kosten und in Anwesenheit eines Anstaltsbediensteten ein Telefonat zu führen". Das Gespräch wird in vollem Wortlaut mitgehört. Sofern das Telefonat nicht in deutscher Sprache geführt werden kann, ist von einem selbst ein beim LG Ulm zugelassener Dolmetscher beizuziehen. Die Kosten muss man selber tragen. Jetzt der Hammer: "Ein begründeter Ausnahmefall liegt nur dann vor, wenn die dem Gespräch zugrunde liegende Angelegenheit nicht auf sonstige Weise, z.B. schriftlich oder bei Besuchen, erledigt werden kann. Und in Oldenburg "schimpft" man, weil man 5 Gespräche á 10 Minuten ohne "Lauscher" hat: verrückte Justizsache in Deutschland. (Anrufen bei besonderen Anlässen ist nicht drin, jedenfalls nicht kurzfristig.). Meint man doch, das Post- und Telekommunikationsgeheimnis ist bindend und kann nur auf richterliche Anordnung außer Kraft gesetzt werden, in baden-württembergischen Ulm gilt dies anscheinend nicht. Europa - Deutschland als "Vorzeigeland" - in Sachen Strafvollzug jedoch sind wir nicht die Lokomotive, sondern der Schlusswaggon mit dem Bremserhäuschen und der roten Laterne. Jedes Bundesland hat sein angebliches "Idealsystem" ge- oder erfunden; in Wahrheit ist der Süden der Republik auf den Stand von vor 1950 gefallen, und wenn die Länder völlige "Strafvollzugsgewalt" haben, nimmt man uns im Süden noch das letzte bisschen "Normalität".

Man fragt sich, was und wo das "Strafvollzugsziel" liegen soll? Vielleicht setzt der Süden ja auch wieder den Artikel 102 (?) in Kraft, natürlich mit der Begründung des Landesvollzugsgesetzes.


Persönliches

Heiko Rapp, 35, in Reutlingen geboren, ist mit einer Ungarin verheiratet, jedoch getrennt lebend, und hat 2 eheliche Kinder und ein Kind aus einer früheren Verbindung.

Über seine Erfahrungen aus seiner Zeit in Dänemark mit den dortigen Haftanstalten hat er schon in seinem Artikel "Knast in Dänemark", im lichtblick 4/2008, Seite 10, berichtet.

Der Autor ist zurzeit Insasse der JVA Rottenburg.


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Quelle:
der lichtblick, 41. Jahrgang, Heft Nr. 339, 2/2009, S. 40-41
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2009