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KAZ/325: Der 3. Anlauf des deutschen Imperialismus zur militärischen Weltmacht im Windschatten von NATO und EU


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 371, April 2020
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Täuschen und Tarnen im Spagat:
Der 3. Anlauf des deutschen Imperialismus zur militärischen Weltmacht im Windschatten von NATO und EU


Während im Manöver Defender 2020 die NATO wieder zum Ausbau der deutschen Strukturen für den Aufbau der EU-Armee genutzt wird, nutzt der deutsche Imperialismus auf der anderen Seite die EU, um im Bündnis mit Frankreich eine eigene Weltmachtrolle in Konkurrenz zu den USA und zu China aufzubauen. Merkel sucht weiter einen Weg für den militärisch vergleichsweise schwachen deutschen Imperialismus aus dem Dilemma: In der derzeitigen Situation der militärischen Übermacht der USA ist an offene Konkurrenz nicht zu denken. Für die tonangebenden deutschen Finanzoligarchen gibt es aber mittelfristig keine Alternative zur technologischen Unabhängigkeit von den USA, zur digitalen Souveränität. Dabei geht es nicht etwa um die Unabhängigkeit der europäischen Völker vom US-Imperialismus, der derzeit das Internet in der EU und damit die Basis der Entwicklung der Produktivkräfte kontrolliert und dominiert. Es geht um die militärische Weltmachtposition. In aller Deutlichkeit hat das Lühr Henken[1] dargestellt auf dem Antikriegskongress in München am 1. Februar. Er geht dabei auf die bereits in der EU vereinbarte ständige Militärzusammenarbeit "PESCO" ein, vor allem aber auf die deutsch-französische Rüstungskooperation, deren Größenordnung so ungeheuer ist, dass wir sie hier im Zitat noch mal ausführlich darstellen, auch wegen der Rolle, die die Digitaltechnik dabei spielt. Henkens Ausführungen sind auch deshalb besonders ernst zu nehmen, weil sie durch seine Zusammenarbeit mit der bekannt gut informierten Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) untermauert werden.

Lühr Henken: "Außerhalb von Pesco gibt es drei deutsch-französische Rüstungsprojekte, die 2017 zwischen Emmanuel Macron und Angela Merkel in einer Regierungserklärung vereinbart wurden: Das sind neue Generationen von Kampfpanzern, von Artilleriesystemen und von Kampfflugzeugen.

Bis 2035 sollen neue Kampfpanzer (Hervorhebungen im Zitat KAZ) produktionsreif sein und die 'Leopard 2' der Bundeswehr sowie die Leclerc-Panzer der französischen Armee ersetzen. Bei diesem 'Main Ground Combat System' (MGCS) gilt es, 'ein Hightechsystem zu entwickeln, bei dem Robotik und Waffen wie Hochgeschwindigkeitsraketen eine entscheidende Rolle spielen'. Das neue Waffensystem soll zum Standardpanzer in Europa werden, um die Vielzahl der Panzerypen - von 17 ist die Rede - abzuschaffen. Der Geschäftsführer der Münchner Panzerschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW), Frank Haun, rechnet laut Handelsblatt vom 26. April 2018 in den nächsten 25 bis 30 Jahren in Europa mit einem Bedarf von 5.000 Kampfpanzern im Wert von 75 Milliarden Euro. ...

Für die Entwicklung der neuen Generation von Artilleriesystemen ist eine Projektstudie in Arbeit. Ziel ist es, ein Artilleriesystem herzustellen, das bis 2040 die Mörser und Mehrfachraketenwerfer der Bundeswehr ablösen soll. KMW-Geschäftsführer Haun schätzt das Umsatzvolumen für Artilleriesysteme in Europa bis 2050 auf 25 Milliarden Euro. ...

Französische 'Rafale'-Kampfflugzeuge und 'Eurofighter' werden in 20 Jahren ausgedient haben. Sie sollen dann durch eine Neuentwicklung abgelöst werden, die als 'System der Systeme' bezeichnet wird. Dabei sollen ein bemanntes oder unbemanntes Kampfflugzeug, Kampfdrohnen, ein bewaffneter Drohnenschwarm, Aufklärungs-, Transport- und Tankflugzeuge, Satelliten, AWACS-Maschinen und Schiffe zusammengeführt werden; verbunden werden also Systeme in Weltraum, Luft, Wasser, Land und dem Cyberraum. Deshalb wurde dafür der umfassende Name 'Future Combat Air System' (FCAS) gewählt, also Luftkampfsystem der Zukunft. Der 'Rafale'-Hersteller Dassault soll das Kampfflugzeug produzieren. Für das Gesamtsystem einschließlich geplanter Drohnenschwärme, Satelliten und Bodenstationen ist dagegen Airbus zuständig. Die Drohnenschwärme testete Airbus bereits 2018 über der Ostsee. Sie sollen bewaffnet sein und 'unter Umständen schon Mitte des kommenden Jahrzehnts Einsatz finden', berichtete die FAZ am 7. Februar 2019. Drohnenschwärme werden - folgt man der Einschätzung von Fachleuten - künftig kriegsentscheidend sein. Die USA und China sind bei dieser Entwicklung führend.

Auch Drohnen, die kleiner als Tennisbälle oder über einen Meter groß sind, sollen dabei Verwendung finden. Sie fliegen in Formationen zu Hunderten oder zu Tausenden. Die Anwendung künstlicher Intelligenz dient dazu, die Schwärme autonom handeln zu lassen: als Punktaufklärer, um Angriffsziele zu markieren; zum Sperren eines Raumes mit automatischer Überwachung der Sperre und für den Einsatz von Bomben oder Raketen gegen Gegner und zum Einsickern in gegnerisches Gebiet, um so Angriffe in mehreren Wellen im Kamikazemodus ausführen zu können.

Der Chef der Airbus-stungssparte Dirk Hoke erklärt den FCAS-Verbund so: 'Es geht um die Schaffung einer europäischen Cloud-Lösung mit Standardisierung der militärischen Kommunikation und Konnektivität. Dadurch sollen die Informationen aller Land-, See-, und Luftsysteme zusammenlaufen, in Echtzeit analysiert werden und Auswertungen situationsbedingt zurückgespielt werden. (...) Wir sprechen hier von dem prägendsten Hochtechnologieprojekt in der europäischen Verteidigung der nächsten fünf Jahrzehnte'. Hoke übertreibt nicht. Das Projekt wird 'nach Schätzungen aus der Branche', so das Handelsblatt am 26. November 2018, 'einen Umsatz von 500 Milliarden Euro bringen'. Das ist das Fünffache des bisher größten europäischen Rüstungsprojekts - des 'Eurofighters'. Allein für die FCAS-Entwicklung werden Kosten von 80 bis 100 Milliarden Euro genannt. Wenn man sich vor Augen führt, dass Airbus und Dassault zurzeit zusammen jährlich zwölf bis 13 Milliarden Euro mit Rüstung umsetzen, wird klar, welches enorme Wachstum sich die Rüstungskonzerne mit dem FCAS-Projekt versprechen.

Das FCAS ist wegen der angestrebten umfassenden echtzeitlichen Integration aller Teilstreitkräfte und des Weltraums geeignet, weltweit die technologische Führung zu erlangen. Die militarisierte EU wäre Weltmacht unter deutsch-französischem Kommando. Im Juni des vergangenen Jahres ist Spanien als Unterzeichner eines Rahmenabkommens dazugekommen. Bis Anfang 2021 soll eine Konzeptstudie fertig sein. 30 Millionen Euro hat der Bundestag dafür bereits bewilligt.

In zehn Jahren wird die Bundesrepublik dank ihrer ökonomischen Stärke in Europa auch militärisch die Nummer eins sein. Künstliche Intelligenz und Killerrobotik, verbaut in neuen Generationen von Kampfflugsystemen, Kampfpanzern und Artilleriesystemen, soll Deutschland zur europäischen Führungsnation machen, um so seine Weltmachtambitionen zu realisieren."

Soweit Lühr Henken am 1. Februar in München. Das Ziel ist also hinreichend klar formuliert, die Millionen für die Planungsphase fließen bereits, die Milliarden für die nächste Phase sind bereits genehmigt, wie wir unten sehen werden. In der NATO werden europäische Strukturen aufgebaut, die neuen EU-Rüstungssysteme sollen bis ca. 2040 einsatzbereit sein, die USA sollen nicht vorzeitig herausgefordert werden (siehe dazu auch KAZ 355 und 369 zur Kriegsfähigkeit des deutschen Imperialismus).

Die heranrollende Krise wird dabei genutzt, um die immensen Kosten der Aufrüstung und die die davon untrennbaren Kosten der gesamten technologischen Umstellung von den Konzernen auf die Bevölkerung abzuwälzen unter dem Titel "Transformation". (siehe dazu auch KAZ 369 "Krise 2019: Die zweite Attacke.." und KAZ 355 und 369 zur Kriegsfähigkeit des deutschen Imperialismus).

Das militärische Weltmachtbündnis EU

Welche Rolle spielt dabei konkret die EU?

Die IMI (Informationsstelle Militarisierung) stellte ihren Jahreskongress 2019 unter den Titel "Rüstung digital". Dort wurden neben Airbus als wichtigste digitale Rüstungskonzerne der EU die französischen Firmen Thales und Atos benannt. (s.a. KAZ 370, S. 34ff) Beide verdanken ihre Größe dem neuen EU-missar Breton, der eine zentrale Rolle im deutsch-französischen Rüstungsprogramm spielt.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte bei der Wahl von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin zur Bedingung gemacht, dass Frankreich das Kommissariat für den Binnenmarkt bekommen würde, erweitert um die Zuständigkeit für "Verteidigung und Raumfahrt". Von der Leyen gelang es nicht, die von Frankreich nominierte ehemalige Armeeministerin Sylvie Goulard im an sich machtlosen EU-Parlament durchzusetzen. Der Streit brachte den von Frankreich nachnominierten Thierry Breton, der das Amt dann auch bekam, ins Scheinwerferlicht, nur kurz, unverdienterweise: Breton und sein Amt sind entscheidend für die Weiterentwicklung der EU als von BRD und Frankreich dominiertes Militär- und Rüstungsbündnis in Kooperation und Konkurrenz zur NATO.

Bevor wir Bretons Rolle bei Atos beleuchten, sehen wir uns seinen Weg an die Spitze dieser Firma an, ohne den das Ganze nicht gut zu verstehen ist. Thierry Breton ging nach dem Abitur auf eine der "grandes écoles", wo die französische Bourgeoisie ihre Kader heranzieht, die École supérieure d'électricité. Nach dem Abschluss dort bekam er Aufgaben in einigen staatlichen Projekten, wo es um die Rolle der Elektronik für die Zukunft Frankreichs ging.

1993 wurde er im Staatsauftrag "Strategiedirektor" bei Bull, einer der ältesten französischen Computerfirmen, die nach der staatsmonopolistischen Verstaatlichung 1982 und Fusion mit dem Rest der französischen Computerindustrie in Schwierigkeiten steckte. Breton wurde, um die Problematik besser zu verstehen, zur Weiterbildung auf das Institut des hautes études de défense nationale (IHEDN, Institut der hohen Studien der nationalen Verteidigung) geschickt. Das Institut ist dem französischen Premierminister direkt unterstellt, es dient zur Ausbildung von Nicht-Militärs in Rüstungsfragen.

Als Bull aus der Gefahrenzone war, blieb Breton dort im Aufsichtsrat und übernahm den nächsten Fall: Thomson. Die Elektronikfirma war als Auffangbecken im staatsmonopolistischen Nationalisierungsprogramm von 1982 zum Gemischtwarenladen vom Fernseher bis zur Militärkommunikation geworden und an den Rand der Pleite geraten. Breton wurde 1997 als Chef der Thomson Gruppe mit der Sanierung beauftragt. Er privatisierte den nicht-militärischen Teil und fusionierte den rüstungsrelevanten Teil mit den Rüstungselektroniksparten von Alcatel und Dassault zu Thales. Nach weiteren Fusionen ist Thales heute einer der weltgrößten Cyberrüstungskonzerne. Hauptaktionäre sind mit ca. 25% der französische Staat, und mit ebenfalls 25% Dassault, d.h. die Familie Dassault als Mehrheitseigner der Dassault-Gruppe, die v.a. Militärflugzeuge wie Mirage und Rafale herstellt und die entsprechende Elektronik. Durch Überkreuzbeteiligung mit Airbus ist Dassault in der französischen Finanzoligarchie ziemlich weit oben.

2002 wurde Thierry Breton dann zur Privatisierung der France Telecom eingesetzt. In drei Jahren schaffte er es, den Fernsehmarkt zu privatisieren, einen ebenfalls privaten Internet-Markt durchzusetzen und aus der staatlichen France Telecom mit Massenentlassungen die private Fernseh- und Internetfirma Orange zu machen. Und das, wie die von Dassault kontrollierte Zeitung "Le Figaro" lobend erwähnt, ohne die staatliche Kontrolle über die Rüstungsinteressen in der Telekommunikation außer Acht zu lassen.

In seiner nächsten Etappe zeigt sich Bretons politische Ausrichtung innerhalb der französischen Oligarchie.

Präsident Chirac hatte 2005 Chaos in der Regierung seines Ministerpräsidenten Raffarin. Dort stritten bereits die Minister de Villepin und Sarkozy um die Nachfolge von Chirac, als Exponenten der Flügel der französischen Finanzoligarchie, die ihre Weltmachtrolle bewahren will. Um die Weltmachtrolle zu bewahren braucht man einerseits die EU und die BRD, um aus der Position der Unterordnung unter die USA herauszukommen. Andererseits riskiert man so, Juniorpartner der deutschen Finanzoligarchie zu werden. Mit dem Euro glaubte man, die BRD im Griff zu haben. Dominique de Villepin hatte als Außenminister die Gelegenheit einer Rede in der UNO ergriffen, sich gegen die USA zu positionieren. Sarkozy dagegen hatte sich in der Frage der deutsch-französischen Wirtschaftszusammenarbeit gegen die deutsche Dominanz positioniert. Der Konflikt eskalierte in eine Schlammschlacht. 2005 war zum Überfluss der Wirtschafts- und Finanzminister Gaymard über eine Korruptionsaffäre gestolpert, ein Nachfolger musste schnell und geräuschlos her. Der effiziente "Kosten-Killer", so wurde Thierry Breton genannt, wurde rasch zum Superminister für Wirtschaft, Finanzen und Industrie ernannt für den kurzen Rest der Regierungsperiode Raffarin. Er blieb es aber auch in der folgenden Regierung unter de Villepin, der sich zunächst gegen Sarkozy als Ministerpräsident durchgesetzt hatte. Zwei Jahre später, 2007, hatte die BRD aber Frankreich mit der Agendapolitik abgehängt, Sarkozy sollte gegenhalten, wurde Präsident und Breton trat zurück. Die Bank Rothschild & Cie. beschäftigt ihn als "Senior Adviser", bis sein neuer Auftrag stand: Frankreich brauchte einen IT-Champion.

Thierry Breton wurde 2008 Chef der Firma Atos, einer Gruppe von IT-Dienstleistern und Beratern, die im Wachstumsmarkt des IT-Outsourcing durch Fusionen zu einem Milliardenunternehmen mit 50.000 Beschäftigten geworden war. Beim Wachstum von Atos zum französischen IT-Champion half Rothschild, die eine der führenden Banken für Handel mit ganzen Unternehmen (Mergers & Acquisitions) in Frankreich ist. Siemens hatte Probleme mit seiner chronisch defizitären IT-Sparte. Die Hardwareproduktion hatte Siemens an Fujitsu abgegeben. Dienstleister, Forscher, Programmierer und Entwickler wurden in der SIS (Siemens IT Solutions and Services) zusammengefasst, um die SIS irgendwie auszugliedern. Rothschild & Cie brachte nun den Siemens Finanzchef Kaeser mit Breton zusammen und überließ die Verhandlungsdiplomatie seinem damaligen Angestellten Emmanuel Macron. Atos übernahm dann im Sommer 2011 SIS, Siemens wurde mit 15% größter Aktionär an einem der nun größten IT-Dienstleister Europas, Breton schwadronierte von einem Airbus der IT und Macron freute sich über die Prämie und seinen Aufstieg zum Partner in der Bank.

Breton richtete Atos auf Cloud Computing aus und als Vertriebsplattform für "Software as a Service". Das brachte ihn in Kontakt mit dem Marktführer auf diesem Gebiet, SAP. Bretons gaullistische Freunde um de Villepin, die sich um die digitale Unabhängigkeit des französischen Kapitals und der EU sorgten, manövrierten ihn 2012 in den Lenkungsausschuss der 'EU-Cloud-Partnerschaft' von Politik und Industrie. Dort traf er nicht nur Bekannte von Dassault, sondern, wichtig für seine Zukunft, auch Jim Hagemann-Snabe, damals Co-Chef von SAP. In der 'EU-Cloud-Partnership' wurde 2012 die Strategie diskutiert, die jetzt im Frühjahr 2020 in den Pilotprojekten der EU-Cloud mit dem Projektnamen Gaia-X konkretisiert wird.

Mit Siemens im Rücken fühlten sich Breton und Atos stark genug, 2014 einen Übernahmeversuch bei Bull zu machen. Man fragte sich, was Atos mit einem Hardwareproduzenten will. Bretons Antwort: Frankreich und Europa brauchen einen Champion in Quantencomputing, Cloudtechnologie und Cybersecurity.

Atos war jetzt mit rund 100.000 Beschäftigten in diesen rüstungsrelevanten Technologien am Ziel, ist europäischer Champion in IT - Dienstleistungen und auf Augenhöhe mit Siemens und SAP. Jetzt wurde Breton auch politisch wieder aktiv. 2015 wurde er Präsident der ANRT (Association Nationale de la Recherche et de la Technologie-Nationaler Verband für Forschung und Technologie), wo, ähnlich wie bei Acatech in Deutschland, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenkommen. Anfang 2016 gab er der französischen Wirtschaftszeitung "Les Echos" und der FAZ Interviews, in denen er einen europäischen Verteidigungsfonds (EVF) forderte mit dem Ziel Finanzausgleich der Rüstungsausgaben und Vereinheitlichung der EU-Rüstung. In den Diskussionen, die seinem Vorschlag folgten, lernte Breton die damalige "Verteidigungs"-Ministerin von der Leyen kennen.

Seit Mai 2017 ist Emmanuel Macron nun Präsident der Republik. Seiner Bewegung EM (nicht etwa seine Initialen, sondern Abkürzung für "en marche", zu deutsch etwa 'Vorwärts', als Partei jetzt 'LaREM', 'La République en marche') war es gelungen, rechte Sozialdemokraten und gaullistische Konservative mit Blick auf eine Modernisierung der Industrie für den "Standort" bzw. die Weltmachtposition hinter sich zu bringen. Bruno Le Maire, Macrons Minister für Finanzen, Wirtschaft und Industrie, ist ein langjähriger enger Mitarbeiter von de Villepin.

Thierry Breton Rüstungskommissar der EU-Kommission unter von der Leyen

Als Binnenmarktkommissar ist Bretons Hauptaufgabe die "Vereinheitlichung des gemeinsamen Marktes", das heißt im Sinn der von Macron geforderten digitalen Souveränität Europas konkret, die Zusammenarbeit zunächst der BRD und Frankreichs im Aufbau der EU-Cloud mit dem Projekt Gaia-X zu fördern. Das ist das Projekt, das Breton 2012 mit Hagemann Snabe von SAP und mit Dassault auf den Weg gebracht hatte, das 2019 vom deutsch-französischen Ministerrat beschlossen und von Bundeswirtschaftsminister Altmaier zusammen mit seinem Kollegen Bruno Le Maire auf dem Digitalgipfel im vergangenen Oktober vorgestellt wurde. Le Maire kommentierte: "Wir wollen eine sichere und souveräne europäische Dateninfrastruktur aufbauen", heißt: Die anderen Europäer sollen sich dem deutsch-französischen Projekt anschließen. Wir erinnern uns an den oben von Lühr Henken zitierten Kommentar des Airbus-Rüstungschefs Hoke: "Es geht um die Schaffung einer europäischen Cloud-Lösung mit Standardisierung der militärischen Kommunikation und Konnektivität. Dadurch sollen die Informationen aller Land-, See-, und Luftsysteme zusammenlaufen, in Echtzeit analysiert werden und Auswertungen situationsbedingt zurückgespielt werden. (...) Wir sprechen hier von dem prägendsten Hochtechnologieprojekt in der europäischen Verteidigung der nächsten fünf Jahrzehnte".

Für das Ziel der deutschen wie der französischen Finanzoligarchie, aus der Vorherrschaft der US-Amerikaner herauszukommen und Weltmacht in Konkurrenz zu den USA und China zu werden, sind die derzeit tonangebenden Teile der deutschen wie die französischen Finanzoligarchie bereit, das Risiko einzugehen, vom jeweils anderen dominiert zu werden.

Das Problem, das Macron, Merkel (noch), von der Leyen und Breton im Dienst ihrer Oligarchen lösen müssen ist, die erdrückende militärische Überlegenheit der USA aufzuholen, vor allem eben im Bereich der digitalen Rüstung.

Von Breton wird erwartet, dass er die Firmenkonzentration im Rüstungsbereich weiter vorantreibt, besonders mit Hilfe des "Europäischen Verteidigungsfonds" (EVF), der auf seinen Vorschlag von 2016 zurückgeht. Die neue EU-"Generaldirektion für Verteidigung und Weltraum", die Bretons Binnenmarktkommissariat unterstellt ist, hat zunächst Zugriff auf die 13 Milliarden Euro, die dem EVF für die Vereinheitlichung der EU-Rüstungsindustrie zur Verfügung stehen. Breton: "Gemeinsam mit Ursula von der Leyen werde ich in einer immer unsichereren Welt für ein souveräneres und stärkeres Europa kämpfen".

Macron wäre, wie oben erwähnt, Goulard auf dem Posten lieber gewesen. Breton hätte dann bei Atos und ANRT weiter die Fäden in der französisch-deutschen Rüstungszusammenarbeit ziehen können. Mit Airbus Dassault, Thales und Atos soll in Zusammenarbeit mit Siemens und SAP ein Netzwerk im Bereich der KI (Künstliche Intelligenz) entstehen. Nach der Reorganisation von Siemens mit der Konzentration der auf Digitalisierung ausgerichteten Firmenteile in der Siemens AG wird dort wohl Roland Busch, die derzeitige Nr. 2, die Leitung übernehmen. Er ist im Auftrag des Großaktionärs Siemens Aufsichtsratschef bei Atos. Ebenso gut trifft es sich für Bretons Aufgaben, dass der Ex-SAP-Mann Hagemann Snabe, den er von Atos und den Anfängen des EU-Cloud-Projekts kennt, jetzt Aufsichtsratschef von Siemens ist.

Wo sind die Gegenkräfte?

Die Gegenkräfte in der deutschen und der französischen Bourgeoisie, die das Übergewicht der jeweils anderen Seite befürchten, sind derzeit nicht am Zug. Im oben von Lühr Henken dargestellten deutsch-französischen 3-er Projekt wurde die Zustimmung Frankreichs "gekauft" hauptsächlich durch die Einbindung Dassaults in das im Zentrum der Technologieentwicklung stehende FCAS Flugzeug-Projekt, das mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 500 Milliarden Euro auch 5-mal so profitträchtig gesehen wird wie das MGCS Panzer-Projekt, das von Deutschland geführt werden soll. Die Familie und Firma Dassault steht für die rüstungstechnische Unabhängigkeit Frankreichs in der (stockkonservativen) Tradition des gaullistischen Widerstands. Das industrielle Übergewicht der Franzosen gibt wieder dem Teil der deutschen Bourgeoisie Argumente, für die die militärische Ebenbürtigkeit gegenüber den USA keine entscheidende Zukunftsfrage ist, und die dafür nicht so viel riskieren wollen wie z.B. Siemens. Die Gegner der EU-Souveränitätsbestrebungen werden auf beiden Seiten, in Frankreich und in der BRD, aber natürlich auch in den anderen EU-Ländern aus den USA gepflegt.

Der EU-Kommission, von der Leyen, Breton und dem Handelskommissar Hogan bläst der kalte Wind auch direkt aus den USA ins Gesicht, ziemlich unabhängig vom gegenwärtigen Präsidenten und seiner Partei. Trumps BRD-Botschafter Grenell, der die Reaktionen des deutschen Politpersonals auf Drohungen der USA eine Zeit lang aus der Nähe testen durfte, ist Koordinator der US-Geheimdienste geworden, dürfte aber schon vorher über die deutsch-französischen Rüstungsprojekte und das dazugehörige Rüstungs-Netzwerk ausreichend informiert gewesen sein.

In der gegenwärtigen Merkeldämmerung positioniert sich der bekennende Transatlantiker Röttgen, um zumindest Freund und Feind etwas aus der Reserve zu locken. Die USA versuchen den Aufbau des europäischen Internet-Netzes der 5. Generation (5G), das die Voraussetzung für eine europäische Cloud ist, zumindest solange zu verzögern, bis sie auf technologischem Gebiet das an Huawei verlorene Terrain wieder zurückgewonnen haben.

Und die Arbeiterbewegung?

Im Imperialismus wächst gesetzmäßig auf dem Boden der Extraprofite des Monopolkapitalismus der Opportunismus in der Arbeiterklasse. In den bessergestellten Schichten der Werktätigen entsteht die Illusion, die kapitalistische Krise könne am besten an der Seite der Stärksten, der exportstarken Großindustrie überlebt werden. Beim derzeitigen Stand der Klassenkräfte spiegelt sich das in den DGB Gewerkschaften im kaum verhüllten Sozialchauvinismus der Standort- und Exportquotenverteidiger der rechten SPD. Der Vorsitzende der IGBCE, Vassiliadis, ist Präsident der "Stiftung Neue Verantwortung" im Schlepptau seines stellvertretenden Vorsitzenden Wolfgang Ischinger, des Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz. Jürgen Kerner, IG Metall Vorstand und Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums der Siemens AG ist in der IGM für die Streikkasse, Siemens, aber auch für die Rüstungsindustrie insgesamt zuständig. Die klassenbewussten Kräfte in der Gewerkschaft sind schlecht organisiert, aber vor allem mangelt es an Klarheit: Während die NATO weitgehend als US-dominiertes Kriegsbündnis verstanden wird, gilt die EU immer noch bei vielen als der "Garant von 70 Jahren Frieden in Europa", wie der verlogene Werbespruch lautete.

Es wird Zeit, dass diesen Sprüchen nicht nur die Realität der Geschichte (s. KAZ 366) sondern auch die gegenwärtige Realität der EU-Rüstung entgegengehalten wird.


AG Antimilitarismus


Anmerkung

[1] Lühr Henken, Berlin, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Herausgeber der Kasseler Schriften zur Friedenspolitik, arbeitet mit in der Berliner Friedenskoordination und ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung: Die Explosion der Militärausgaben Deutschlands, die deutsch-französischen Großwaffenprogramme und Rüstungsexporte, Vortrag im Rahmen des Antikriegskongresses "Auf dem Weg zur Weltmacht - Deutschlands globale Interessen und Machtansprüche" am 1. Februar 2020 im DGB-Haus in München. Zitiert nach "junge Welt" vom 17.02.2020, S. 12/13.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 371, April 2020, S. 24 - 28
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2020

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