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KAZ/275: Wofür der Acht-Stunden-Tag dran glauben soll


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 361, Dezember 2017
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Wofür der Acht-Stunden-Tag dran glauben soll

von Ludwig Jost


Es ist ja nichts Neues mehr, dass die Kapitalisten auch die IGM-Tarifrunde dafür nutzen wollen, den 8-Stunden-Tag möglicherweise im Tauschgeschäft gegen "Arbeitszeiten, die zum Leben passen" los zu werden. Dafür will der CDU-Innenminister von Baden-Württemberg nach einer Meldung aus den sogenannten Sondierungsgesprächen gleich das ganze Arbeitszeitgesetz beseitigen (01.11.17 MOZ, Märkische Oderzeitung). In ähnlichem Sinne sind die sogenannten 5 "Wirtschaftsweisen" - wie aus den Medien bekannt - dem Kapital an die Seite gesprungen. In ihrem "Sachverständigengutachten" fordern sie eine Lockerung des Arbeitszeitgesetzes. "Die Vorstellung, dass man morgens im Büro den Arbeitstag beginne und er mit dem Verlassen der Firma beendet sei, wäre veraltet", hat ihr Vorsitzender, Volkswirt Christoph M. Schmidt, festgestellt (Quelle: pixabay.com). Wie das dann aussieht, wird in einem Beitrag vom 28.08.2017 im Deutschlandfunk erklärt. Die für die Sendung zuständigen Redakteure haben eine Aussage von DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach aufgegriffen, in dem sie sagte: "Die Stärke der deutschen Wirtschaft geht seit Jahren auf die Knochen der Beschäftigten. Und das kann nicht lange gut gehen. Wir brauchen eine neue Initiative für eine Humanisierung der Arbeit."

"Die Initiative hat in der Praxis schon begonnen", erklären die Deutschlandfunkredakteure und stellen dazu Nicole Smit und Elmira Schmidt vor. Beide arbeiten bei Daimler in Untertürkheim. "Die Arbeit, das Leben, das Arbeitsleben. Alles unter einen Hut zu bekommen, ist oft nicht leicht. Die Daimler AG ermöglicht ihren Mitarbeitenden deshalb vielfältige Arbeitszeitmodelle, die eben das individuell ermöglichen ..." - so der Imagespot der Daimler AG. Von Nicole Smit heißt es: "Von wo aus sie ihren Job macht, spielt keine Rolle mehr". Sie hat zwei kleine Kinder und "arbeitet in Teilzeit 25 Stunden in der Woche, die meiste Zeit davon von zuhause aus." Dazu erklärt sie: "Mein Büro ist eigentlich mein Rollkoffer, der steht neben mir. Da ist dann alles drin, was ich brauche, vom Ladekabel bis hin zum Laptop, hin zu einer kleinen Schreibtischunterlage, hin zu meiner Funkmaus. Das ist mein Schreibtisch, den habe ich immer und überall dabei. Und umgekehrt, meinen eigentlichen Schreibtisch hier im Büro, den können auch die anderen benutzen."

Als weiteres Beispiel für die begonnene Humanisierungsinitiative wird in der Sendung Elmira Schmidt präsentiert. Auch sie hat eine kleine Tochter und arbeitet mobil an zentraler Stelle. Sie ist 35 Jahre und mitverantwortlich für das Daimler-Projekt "Leadership 2020". Dahinter verbirgt sich jenes Programm, das "den Paradigmenwechsel im Bereich der Arbeitskultur" bei einem der größten deutschen Autobauer begleitet und reflektiert. "Elmira entscheidet jeden Morgen neu, wo sie arbeitet", erklären die Redakteure und Elmira sagt: "Das größte Entscheidungskriterium ist derzeit noch meine kleine Tochter. Natürlich gibt es ein paar Anforderungen oder auch ein paar Themen, wo ich dann auch ins Büro muss, aber meistens ist es tatsächlich so, dass ich es spontan situativ entscheide und dann auch sehr oft von zuhause aus arbeite. Ich habe Arbeitsplätze, die fangen an, tatsächlich von morgens einfach im Bad, Spielplatz, bis hin zum Frisör, also nach dem Prinzip: Überall und nirgends."

Unterwegs, erzählt sie, arbeite sie ohnehin effektiver und schneller als in einem Büro.

"Bei mir ist es tatsächlich so, dass ich die Arbeit und auch das Leben außerhalb der Arbeit gar nicht mehr so trenne. Da werden Grenzen verschmolzen. Das passt für mich in meiner derzeitigen Situation hervorragend."

In der Satiresendung die "Heute Show" wurden die Kolleginnen mit der Darstellung ergänzt: Auch auf der Toilette und beim Geschlechtsverkehr ist das Arbeiten mit dem Tablet und Versenden von E-Mails möglich. Ist doch klar, dass die Kapitalisten nichts gegen diese "humane Arbeitsweise" einzuwenden haben. Abgesehen von Anderem, können sie sich dabei demnächst auch noch die Büros und die Gebäude dafür gleich mit sparen.

Überall ist diese Arbeitsweise allerdings noch nicht möglich. Dementsprechend heißt es im Beitrag weiter: "Diese Flexibilität ist jedoch den Angestellten bei Daimler vorbehalten. Am Band gelten nach wie vor die herkömmlichen Arbeitszeitregelungen. Doch auch das wollen die Arbeitnehmervertreter nun ändern: Die Beschäftigten in der Produktion sollen ebenfalls flexibler arbeiten können - auch im Schichtbetrieb. Wolfgang Nieke, IG Metall-Betriebsratschef in Untertürkheim:" "Genau darum geht es, dass wir den Menschen dort auch eine Chance geben, zumindest ein Stück weit in der Zeit flexibel zu sein. Aber sie können natürlich nicht in einer Montagelinie für Motoren, den Motor nicht zuhause oder woanders montieren, den müssen sie in der Fabrik montieren. Da geht es eher um eine individuelle Flexibilität, mal ein Stückchen früher zu gehen oder ein bisschen später anzufangen. Da haben wir aber eine Baustelle, die mit dem Unternehmen im Moment schwer zu regeln ist."

Eine Baustelle hat der Kollege Betriebsratsvorsitzende bestimmt auch bei der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Wie soll denn bei den oben geschilderten Arbeitszeiten im Angestelltenbereich noch eine Kontrolle dieser Zeiten möglich sein. Das gilt im Übrigen für alle diese Zeiten, die unter dem Begriff Selbstbestimmung verkauft und gegen Kollektivrechte hochgejubelt werden. In der Regel ist damit eine Selbstentmachtung der Betriebsräte aber auch der Gewerkschaften verbunden, die sagen, wir schaffen dir den Rahmen und dann musst du sehen, wie du fertig wirst.

"Es gehört zum Arbeitsleben von morgen, dass die Menschen auch selbst über ihre Arbeitszeit bestimmen können." (Jörg Hofmann IGM-Vorsitzender)

Aber das nur am Rande und zurück zu dem, was die Kapitalisten in der Tarifbewegung noch besser für sich regeln wollen. Dazu hat der oben bereits zitierte Präsident vom NRW-Metall-Kapitalverband am 16.10.2017 im Handelsblatt erklärt: "... wir wollen Regeln, dass die Arbeitszeit einfacher um die 35-Stunden herum pendeln kann. Wenn mehr anfällt, muss mehr gearbeitet werden, wenn weniger da ist, kann weniger gearbeitet werden. Die IG Metall klammert die Mehr-Arbeit bei ihrer Forderung bewusst aus und will stattdessen, dass wir für nicht geleistete Arbeit bezahlen. Das aber verletzt das Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Und das geht nicht.

Rund um die Uhr und rund um die 35-Stundenwoche pendeln

Das geht jetzt schon jahrelang so, das wissen die Kapitalisten ganz genau. Im DGB-Faktencheck heißt es am 17.07.2017 z.B.: "1,8 Milliarden Überstunden machen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland - jedes Jahr. Umgerechnet entspricht das 45 Millionen 40-Stunden-Wochen. Das Problem: Die Mehrheit dieser Überstunden wird nicht bezahlt. Dadurch sind den Beschäftigten allein im letzten Jahr mehr als 20 Milliarden Lohn und Gehalt entgangen."

Ganz offensichtlich geht das Kapital davon aus, einen Rechtsanspruch auf die "Verletzung des Prinzips von Leistung und Gegenleistung" zu haben. Und das lohnt sich allemal. Dabei sind seit dem Jahr 2000 bis 2016, also in 17 Jahren jedes Jahr im Schnitt 1.062 Milliarden nicht entlohnter Überstunden rausgesprungen. Bleiben wir bei der o. a. Rechnung macht das die Kleinigkeit von rd. 340 Milliarden Euro für einfach nur gestohlene Arbeitskraft, gestohlenen Lohn (es handelt sich um schlichten Diebstahl zusätzlich zu den vielen Milliarden, die sie durch "normale" Ausbeutung der Arbeiter kassieren).

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 361, Dezember 2017, S. 22-23
Herausgeber und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2018

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