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KAZ/156: Die deutsche Interventionspolitik


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 332, Oktober 2010
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Die deutsche Interventionspolitik

Von Jörg Kronauer


7.315 deutsche Soldaten sind zur Zeit - Stand: 24. September 2010 - in acht Staaten auf drei Kontinenten im Einsatz. Damit gehört die Bundesrepublik zu den größten Truppenstellern für multinationale Militärinterventionen; in den vergangenen Jahren war sie dabei zeitweise nach den Vereinigten Staaten die globale Nummer zwei. Mein Referat soll die Fakten bereitstellen und die Hintergründe beleuchten: Wo interveniert das deutsche Militär? Welche konkreten Interessen stecken dahinter? Welche strategischen Ziele werden mit den Einsätzen verfolgt? Eingehen möchte ich neben den Militärinterventionen wenigstens kurz auf die aktuellen polizeilichen und zivilen Interventionen, die häufig die Militäreinsätze begleiten. Kurz erwähnen möchte ich schließlich noch einige Besonderheiten der militärischen Ausbildung in der Bundeswehr, die sich wohl auf die künftigen weltweiten Einsätze deutscher Soldaten auswirken werden.


Afghanistan

Zentraler Schwerpunkt der aktuellen deutschen Militärinterventionen ist der Einsatz in Afghanistan, der unter anderem über den deutschen Stützpunkt in Termez (Usbekistan) versorgt wird. In Afghanistan und Usbekistan sind zur Zeit - Stand: 24. September 2010 - 4.765 Soldaten im Rahmen von ISAF stationiert. Das aktuelle Mandat erlaubt gut 500 Soldaten mehr; dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bundeswehr es sich durchaus zugesteht, bei Kontingentwechseln die Mandatsobergrenze auch kurzzeitig zu überschreiten. Dadurch können punktuell etwas mehr Soldaten im Einsatz sein, als das Mandat es zulässt. Unter den aktuell 4.765 Soldaten befinden sich laut Angaben der Bundeswehr 210 Frauen, 340 Reservisten und 120 freiwillig Wehrdienstleistende; freiwillig Wehrdienstleistende sind Soldaten, die sich über die allgemeine Grundwehrdienstzeit hinaus zum Militärdienst verpflichtet haben, ohne aber feste Zeitsoldaten zu werden. Einfache Grundwehrdienstleistende können prinzipiell nicht in Kriegsgebieten eingesetzt werden. Bei der Herkunft der Soldaten im Einsatz gibt es ein eklatantes Ost-West-Gefälle - dazu später mehr. Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass es neben ISAF auch noch eine UN-Mission in Afghanistan gibt (UNAMA), zu der ein einzelner deutscher Soldat abkommandiert worden ist. Das muss durchaus festgehalten werden: Auch bei Einsätzen, denen man kein besonderes Gewicht beimisst, ist es wichtig, zumindest in geringem Umfang beteiligt zu sein, um über die aktuellen Vorgänge auf dem Laufenden zu bleiben und nicht in einen politisch schädlichen Informationsrückstand zu geraten. Das trifft eben auch auf die UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) zu.

Afghanistan liegt mitten in einer heiß umkämpften Region - in Zentralasien -, und es hat eine gemeinsame Landgrenze mit China. Wer sich in Afghanistan festgesetzt hat, befindet sich nicht nur in einem strategisch wichtigen Gebiet zwischen Russland und dem Indischen Ozean, zwischen Iran und Ostasien, sondern zugleich auch an der Grenze zur Volksrepublik China. Genauer: Afghanistan grenzt an die chinesische Autonome Region Xinjiang, in der es immer wieder separatistische Unruhen gibt; Xinjiang gilt deshalb in Beijing als sensibel. Dies zeigt, dass der Afghanistan-Einsatz eine erhebliche geostrategische Bedeutung hat: China ist im Aufstieg begriffen, wird immer stärker; in einer weltpolitisch zentralen Region und zudem auch noch an den Grenzen des großen Rivalen militärisch Präsenz zu zeigen, ist ein recht deutliches Signal.

Aus Sicht der Militärs steht es um den Afghanistan-Einsatz nicht gut. Die Aufstände gegen die Besatzungstruppen nehmen seit Jahren kontinuierlich zu; die Frage steht schon lange im Raum, wie man sie am besten bekämpft. Unlängst ist offiziell ein Strategiewechsel eingeleitet worden: Eine deutliche Truppenaufstockung soll dafür sorgen, dass der Westen mit gebauter Personalstärke operieren kann und sich weniger auf Luftschläge stützen muss, die stets viele zivile Opfer fordern wie etwa der von einem deutschen Oberst angeforderte Luftschlag bei Kunduz vom September 2009. Allein bei diesem kamen bis zu 140 Zivilpersonen zu Tode. Zivile Opfer rufen stets Protest und Widerstand hervor; deshalb sollen jetzt mehr Soldaten intervenieren, damit sie bei der Aufstandsbekämpfung auf blanke Masse setzen können und nicht mehr auf riskante Luftschläge angewiesen sind. Der Erfolg dieser Strategie ist zumindest zweifelhaft; manche Militärexperten erklären sie inzwischen offen für gescheitert. Es finden weiterhin lebhafte Debatten unter Militärs über das am besten geeignete Vorgehen statt. Wichtige Hinweise auf die Hintergründe hat der Journalist Marc Thörner in seinem Buch "Afghanistan-Code" gegeben.

Thörner bereiste Afghanistan als "embedded journalist"; er hielt sich also (auch) bei ISAF-Truppen auf und ließ sich von ihnen zu kleineren Operationen mitnehmen. Thörner hat bei den Militärs insbesondere nach den Konzeptionen gefragt, die ihrer Kriegsführung zugrunde liegen. Er hat Antworten erhalten, unter anderem von französischen Truppen in Afghanistan. Demnach unterscheide sich die Aufstandsbekämpfung in Afghanistan im Grundsatz gar nicht so sehr von der Aufstandsbekämpfung im Algerien der 1950er Jahre, in einer Zeit also, als Algerien noch unter französischer Kolonialherrschaft stand. Von einem Presseoffizier erhielt Thörner zum besseren Verständnis der ISAF-Strategie mehrere Bücher, unter anderem das Hauptwerk des französischen Offiziers Roger Trinquier mit dem Titel "La guerre moderne". Trinquier war im französischen Algerienkrieg für Einheiten zuständig, die sich im Rahmen der Aufstandsbekämpfung auch massenhafter Folter schuldig machten; er hat seine Erfahrungen in der Aufstandsbekämpfung in "La guerre moderne" ausgewertet.

Ein zweites Buch, das der Presseoffizier Thörner zum besseren Verständnis des Krieges in Afghanistan überreichte, war eine Schrift über den französischen Marschall Hubert Lyautey. Lyautey schlug zu Beginn des 20. Jahrhunderts Aufstände in Marokko nieder und sicherte so die französische Herrschaft über das Land. Vereinfacht gesagt bestand seine Methode laut Thörner darin, das Land über einheimische Statthalter zu kontrollieren. Als Statthalter aber wählte er mit Vorliebe die reaktionärsten Kräfte aus. Lyautey selbst erklärte, er sei fasziniert von den alten marokkanischen Traditionen. Sein Vorgehen hat jedoch auch einen simplen machtpolitischen Aspekt: Die reaktionärsten Kräfte sind sehr häufig diejenigen, die am wirkungsvollsten zuschlagen und sich mit blanker Gewalt an der Macht halten können. Thörner zitiert einen französischen Offizier mit den Worten: "Lyautey kommt zurück". In der Tat zeigen sich in Afghanistan Parallelen zur früheren Herrschaft Frankreichs über Marokko: Hier findet ebenfalls eine Kooperation mit höchst reaktionären Kräften statt, nämlich mit den afghanischen Warlords der 1980er und 1990er Jahre. Auch bei diesem Rückgriff auf alte Kolonialtechniken geht es schlicht und einfach darum, dass nicht städtisch-intellektuelle Milieus, sondern brutale Milizionäre über ausreichend Gewaltmittel verfügen, um das Land unter Kontrolle zu halten.

Ein Merkmal der aktuellen westlichen Aufstandsbekämpfung in Afghanistan ist die Nutzung von Todeslisten. Dabei handelt es sich um Aufstellungen, in denen Personen - mutmaßliche Aufständische - verzeichnet sind, einschließlich eines Vermerks, ob sie gefangen genommen (markiert mit "c" wie "capture") oder getötet werden sollen (markiert mit "k" wie "kill"). Die Listen, die keiner juristischen Kontrolle unterliegen, werden auch von der Bundeswehr mit Informationen gefüllt; und auch wenn die Bundeswehr angibt, selbst nicht Tötungsaktionen, sondern nur Gefangennahmen durchzuführen - nachvollziehbar kontrollieren lässt sich dies nicht, zumal derlei Operationen häufig von geheim kämpfenden Sondereinheiten wie dem deutschen Kommando Spezialkräfte (KSK) durchgeführt werden. Inzwischen hat die Bundesregierung zugegeben, dass mehrere mutmaßliche Aufständische, die von deutschen Kräften auf eine Capture/Kill-Liste gesetzt wurden, getötet worden sind. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass zumindest ein auf einer solchen Liste verzeichneter Aufständischer im September 2009 am Ort des Massakers von Kunduz vermutet wurde, als der deutsche Oberst den fatalen Luftschlag dort befahl.

Die Alltagsoperationen der Bundeswehr hat Thörner allerdings als eher merkwürdig erlebt. Einmal fuhr er bei einer Patrouille mit. Vor der Abfahrt gab es detaillierte Absprachen; unter anderem wurde die Blutgruppe aller Soldaten für den Fall der Fälle genau festgehalten. Nur die Blutgruppe des afghanischen Dolmetschers wurde vergessen; als jemand darauf hinwies, gab es Gelächter. "Sobald es um die eigene Sicherheit geht, hört der Spaß auf und weicht der rauhe Ton rasch einem sensiblen Einfühlungsvermögen", berichtet Thörner über die Truppe.

"Also: Wenn irgendjemand sich bedroht, 'wenn irgendjemand sich auch nur nicht wohlfühlt, Beklemmungen hat', sagt der Hauptfeldwebel mit bedeutsamem Blick, 'wenn er aus irgendeinem Grund mit der Patrouille nicht weitermachen will ... einfach mir Bescheid sagen, und wir brechen das ganze Ding ab."

Solche Geschichten prägen in Afghanistan den Ruf der Bundeswehr und sorgen dafür, dass viele Soldaten selbst eine härtere Gangart befürworten. Der Luftschlag von Kunduz vom September 2009 war, so scheint es, ein Versuch, über den eigenen Schatten zu springen und eine solche härtere Gangart durchzusetzen.


Bosnien-Herzegowina, Kosovo

Ein zweites Einsatzgebiet der Bundeswehr ist bis heute das ehemalige Jugoslawien. Bei der KFOR im Kosovo sind im Moment noch 1.490 deutsche Soldaten stationiert, davon 110 Frauen, 135 Reservisten und 90 freiwillig Wehrdienstleistende. Der EU-Einheit EUFOR in Bosnien-Herzegowina gehören nur noch 125 deutsche Soldaten an, davon 7 Frauen, 9 Reservisten und 3 freiwillig Wehrdienstleistende. Die deutsche Militärpräsenz im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina wird tendenziell abgewickelt. Das Entscheidende ist im einstigen Jugoslawien schon längst geschehen - in den 1990er Jahren. Die damaligen Bundeswehr-Einsätze hatten eine wirklich große Bedeutung für die deutsche Außen- und insbesondere auch für die deutsche Militärpolitik. Die Interventionen im ehemaligen Jugoslawien hatten mehrere Aspekte. Einer bestand darin, dass mit der Zerschlagung Jugoslawiens, die Anfang der 1990er Jahre begann und von der Bundesrepublik Deutschland stark forciert wurde, erstmals ein Staat in Trümmer ging, der einst unter anderem als Bollwerk gegen die deutsche Südosteuropa-Expansion gegründet wurde - und von dem man in Bonn annahm, er habe immer noch genug Gewicht, um sich deutschen Expansionsplänen zu widersetzen. Die Beseitigung dieses Staates wurde damals von Bonn erzwungen - gegen anfänglich noch starke Widerstände aus Großbritannien und Frankreich, die beide keinerlei Interesse an einer neuen deutschen Südosteuropa-Expansion hatten. Die Zerschlagung Jugoslawiens mit Hilfe der NATO - unter Beteiligung deutscher Soldaten - war insofern ein erheblicher Erfolg für die Bundesrepublik Deutschland nicht nur gegen Belgrad, sondern auch gegen ihre beiden stärksten Konkurrenten in Westeuropa. Dies ließ schon damals erkennen, dass Deutschland auf bestem Wege war, die Hegemonie in Europa zu erlangen. Dabei wurde die Bundesrepublik Deutschland übrigens von den Vereinigten Staaten unterstützt, die militärisch in den Kriegen gegen Jugoslawien die entscheidende Rolle spielten. Ein wichtiges Ergebnis der Kriege ist aus US-Sicht unter anderem Camp Bondsteel, eine riesige US-Militärbasis im Kosovo, die Washington auf Dauer behalten will.

Von Bedeutung war ebenfalls, dass der Kosovo-Krieg 1999 ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrates geführt wurde. Das hat deutlich gezeigt: Die Bundesrepublik setzt einen Krieg, den sie führen will, notfalls auch gegen die Vereinten Nationen durch. Es zählt eben letztlich allein das deutsche Interesse. Dabei hat zwar Washington mit Berlin kooperiert; es werden aber seitdem immer mehr Vollmachten von der NATO an die EU übertragen. So ist die Besatzungstruppe in Bosnien-Herzegowina heute eine EU-Streitmacht. Im Kosovo wird das Militär noch von der NATO gestellt; entscheidende Teile der zivilen Verwaltung sind aber inzwischen an die EU übergeben worden. Der deutsche Einfluss wächst damit.

Festhalten muss man schließlich noch einen weiteren Aspekt: Sämtliche Interventionen im ehemaligen Jugoslawien, insbesondere auch der Kosovokrieg, ließen chaotische Verhältnisse zurück. Die sozialen Verhältnisse etwa im Kosovo sind katastrophal. Die Mafia hat zum Teil Herrschaftsfunktionen inne, ist de facto an der Regierung beteiligt. Die ökonomische Lage ist desolat, das beinahe einzige Exportgut ist Brennholz - und auf diesem Niveau spielt sich das gesamte wirtschaftliche Leben im Kosovo ab. Vieles war vorher absehbar, spätestens zu dem Zeitpunkt, als Deutschland seine Kontakte zur UÇK in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ausbaute, um die Herrschaft Belgrads über das Kosovo zu brechen. Bedenken deswegen gab es jedoch nicht: Es ging bei der endgültigen Zerschlagung Jugoslawiens um ein für Berlin wichtiges geostrategisches Ziel, das mit Hilfe der NATO herbeigebombt wurde. Das soziale Desaster, das Krieg und Besatzung hervorriefen, spielte für die Bundesregierung nur eine untergeordnete Rolle.


Sudan

Ein weiteres Interventionsgebiet der Bundeswehr ist der Sudan. Dort steht Anfang 2011 ein Referendum über die Sezession des südlichen Landesteils an. Der Südsudan wird dabei aller Voraussicht nach seine Unabhängigkeit erklären - oder jedenfalls das, was man gemeinhin "Unabhängigkeit" nennt. Eine echte Unabhängigkeit wird dabei natürlich nicht entstehen, vielmehr eine neue Abhängigkeit von einem anderen Machtzentrum, in diesem Falle wohl eine Abhängigkeit von den westlichen Mächten. Im Sudan sind deutsche Militärs im Rahmen von gleich zwei Einsätzen präsent: 32 Soldaten im Rahmen von UNMIS, der United Nations Mission in Sudan, und 5 Soldaten im Rahmen der UNAMID, der United Nations and African Union Mission in Darfur. Die Anzahl ist nicht hoch; es geht vor allem darum, präsent zu sein und die Entwicklung genau zu beobachten, um bei wichtigen Entscheidungen mitreden zu können. Die Entscheidungen, die im Sudan bevorstehen, sind tatsächlich sehr weitreichend.

Im Sudan gibt es umfangreiche Rohstoffvorkommen, ganz besonders im Süden, der sich bald abspalten dürfte. Die Regierung in Khartum repräsentiert vor allem den arabischsprachigen, islamisch geprägten Norden. Das hat in den 1990er Jahren vor allem die USA, aber auch die Bundesrepublik dazu gebracht, gegenüber der sudanesischen Regierung auf Konfrontation zu gehen. Ein sinnfälliges Beispiel: Osama bin Laden lebte eine Weile lang im Sudan. Seit der ersten Hälfte der 1990er Jahre bemühen sich die USA, die arabischen Kräfte im Sudan zu schwächen und als Gegengewicht die schwarzafrikanisch und zum Teil auch christlich geprägten Kräfte aus dem Südsudan zu stärken. Die deutsche Politik vollzog zum selben Zeitpunkt denselben Schwenk. Zur Zeit der Systemkonfrontation hatte die Bundesrepublik lange mit der arabisch dominierten Regierung im Nordsudan kooperiert, auch Waffen nach Khartum geliefert. 1993 änderte sich das in Übereinstimmung mit der US-amerikanischen Afrika-Politik.

Insbesondere zielen Washington und Berlin darauf ab, der arabisch orientierten Regierung in Khartum die Kontrolle über die sudanesischen Rohstoffe zu entziehen, um die arabisch-islamische Welt insgesamt zu schwächen. Dazu müssen die Rohstoffe eigentlich auf einem anderen Weg als bisher abtransportiert werden, denn die traditionellen Handelsrouten verlaufen über nordsudanesisches Territorium. Es gibt unterschiedliche Pläne dafür. Der Hauptplan ist, die Rohstoffe über Kenia abzutransportieren und sie über die kenianische Hafenstadt Mombasa zu verschiffen. Die Pläne werden nur aufgehen, wenn der Südsudan seine Sezession erklärt und sich vom Norden des Landes löst. Die Bundeswehrsoldaten im Sudan begleiten de facto diesen Prozess. Die Bedeutung ihrer Stationierung lässt die Tatsache erkennen, dass seit einiger Zeit umfangreiche Waffenlieferungen in den Südsudan gebracht werden, um die Sezessionisten aufzurüsten. Das Gebiet starrt nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg ohnehin schon vor Waffen; jetzt werden auch noch Panzer und andere Waffen geliefert.

Ein Beispiel: Vor nicht allzu langer Zeit kaperten Piraten vor der somalischen Küste ein Schiff mit Panzern. Die Panzerlieferung war ordnungsgemäß deklariert; auf den Unterlagen war als Empfänger "GOSS" angegeben. "GOSS" heißt schlicht und einfach "Government of South Sudan", und dabei handelt es sich um die südsudanesische Sezessionistenregierung. Es war also klar, dass eine Panzerlieferung an die südsudanesischen Separatisten unterwegs war, und wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Panzer in einem Gebiet ankommen sollten - und später auch tatsächlich ankamen -, in dem die UNMIS die Einhaltung des Waffenstillstands kontrollieren soll, dann kann man keinen anderen Schluss ziehen als den, dass die südsudanesische Regierung ihre Truppen unter den Augen der UNMIS und damit auch unter den Augen der Bundeswehr mit Panzern aufrüstet. An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig es für die Bundesrepublik ist, bei UNMIS präsent zu sein. Ein kleines Detail am Rande: Im Fall der erwähnten Kaperung einer Panzerlieferung durch Piraten sprang die kenianische Regierung mit einem originellen Versuch ein, der ganzen Affäre den Anschein von Legalität zu verleihen. Sie behauptete, "GOSS" heiße nicht "Government of South Sudan" (tatsächlich ist diese Abkürzung international gebräuchlich), sondern der neue Name einer Abteilung aus dem kenianischen Verteidigungsministerium. Von dieser hat man allerdings weder vorher noch nachher jemals wieder etwas gehört.

Das Thema Sudan hat nebenbei einen interessanten innereuropäischen Aspekt: Der Einsatz entspricht deutschen, aber nicht wirklich französischen Interessen. Das hat mit der speziellen französischen Interessenlage in Afrika zu tun, die sehr eng an die Frankophonie, die früheren französischen Kolonien, geknüpft ist. Ein Versuch Frankreichs, die westliche Politik stärker in seine Richtung zu lenken, waren die Kongo-Interventionen der EU in den Jahren 2003 und 2006. Beide wurden vor allem von Paris vorangetrieben, das in der Demokratischen Republik Kongo viel stärkere Interessen hat als im Südsudan - die DR Kongo gehört zur Frankophonie, auch wenn das Land früher keine französische, sondern eine belgische Kolonie war. Es ist deshalb alles andere als ein Zufall, dass die Bundesregierung 2006 ein pünktliches Ende des Einsatzes im Kongo durchsetzte. Die beiden EU-Kongo-Interventionen sind denn auch die mit Abstand kürzesten großen Interventionen der vergangenen Jahre gewesen. Und als Paris im Jahr 2008 eine EU-Battlegroup in die DR Kongo entsenden wollte, verhinderte Berlin dies ganz.

Frankreich hätte nicht nur weitere Interventionen im Kongo vorgezogen; seine Interessen im Sudan sind auch anders gelagert als die deutschen. Paris versuchte deshalb, in Sachen Sudan eine alternative Intervention zu organisieren. Es unterhält sehr enge Kontakte zur Regierung des Tschad und hat dort großen Einfluss. Im März 2008 startete auf Drängen Frankreichs die EU-Intervention EUFOR Tchad, die via Tschad in Darfur und damit im Sudan mitmischen sollte. Berlin hat EUFOR Tchad von Anfang an nicht nur boykottiert, sondern auch sabotiert - es gab keine deutsche Truppenbeteiligung, und die Bundesregierung bekämpfte den Einsatz auch auf diplomatischer Ebene. Paris musste nachgeben und in die Beendigung von EUFOR Tchad nach nur einem Jahr, im März 2009, einwilligen. Auch diese Intervention gehört damit zu den kurzen der großen Interventionen der letzten Jahre. Man kann am Beispiel Sudan gut sehen, wie die französischen Interessen in Afrika mit den deutschen Interessen kollidieren - und wer sich eben letztlich als der Stärkere erweist und seine Interessen durchsetzen kann.

Im Sudan geht es außerdem natürlich auch um China. China spielt in dem Land eine relativ starke Rolle, insbesondere in der sudanesischen Ölbranche; es bezieht große Mengen Öl von dort. Die Rivalität gegenüber der Volksrepublik spielt für die westliche Politik eine immer größere Rolle, und sie ist auch im Sudan zu spüren. Die westlichen Planungen laufen darauf hinaus, den Südsudan abzuspalten und ihn an den Staatenbund East African Community - Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda und Burundi - anzubinden. Zu Ländern der East African Community unterhalten vor allem die USA, Großbritannien und auch Deutschland enge Beziehungen, China ist dort schwächer aufgestellt als in Khartum. Allerdings zeigt sich, dass chinesische Unternehmen inzwischen auch im Südsudan zunehmend Fuß fassen - sie arbeiten oft sehr schnell und sehr gut, außerdem legt Beijing den Ländern Afrikas keine politischen Daumenschrauben an, wie es der Westen gewöhnlich tut. Ob es dem Westen gelingt, per Abspaltung des Südsudan China von den dortigen Rohstoffvorkommen zu verdrängen, scheint zur Zeit zumindest unklar.


Libanon

Zu den aktuellen Einsätzen der Bundeswehr gehört weiterhin die Intervention vor der Küste des Libanon. 300 Soldaten sind dort zur Zeit auf Schiffen der Bundesmarine präsent; auch hier sind freiwillig Wehrdienstleistende dabei. Offizieller Auftrag der UNIFIL, in deren Rahmen die deutsche Kriegsmarine operiert, ist es, Waffenschmuggel in den Libanon zu verhindern, der tendenziell antiwestliche Kräfte stärken könnte. Nebenbei beteiligt sich die deutsche Marine daran, die libanesische Marine aufzurüsten; auch dies dient vor allem dem Ziel, die Anbindung des Libanon und seiner Streitkräfte an den Westen zu intensivieren. Es gibt jedoch darüber hinaus zwei Ziele des Marineeinsatzes vor der Küste des Libanon, denen erhebliche Bedeutung zukommt, auch wenn sie öffentlich gewöhnlich ungenannt bleiben.

Das erste Ziel war eigentlich schon mit dem Beginn des Einsatzes erreicht. Nach 1945 gab es ein Tabu, das noch stärker war als das Verbot neuer deutscher Angriffskriege: Es war das Tabu, dass deutsche Soldaten nach der Shoah grundsätzlich nie in Israel oder in unmittelbarer Nachbarschaft Israels eingesetzt werden sollten. Dieses Tabu ist mit dem Libanon-Einsatz zu einem erheblichen Teil gefallen. Tabuisiert ist damit allenfalls noch eine direkte Intervention der Bundeswehr in Israel selbst. Zu Militärtrainings können deutsche Soldaten mittlerweile jedoch in das Land einreisen; auch über weitere Schritte wurde zumindest schon diskutiert. Der Marineeinsatz im Rahmen von UNIFIL hat dies deutlich erleichtert.

Ein zweiter Grund ist geostrategischer Natur. Eine Marinepräsenz im Osten des Mittelmeeres ist nicht zuletzt auch deswegen von Bedeutung, weil sie deutsche Kriegsschiffe in die Nähe des Suez-Kanals bringt - und damit in die Nähe einer Wasserstraße, die für den gesamten Schiffsverkehr mit Asien von höchster Bedeutung ist. Das gilt nicht nur für die Passage westlicher Kriegsschiffe in Richtung Mittlerer Osten, sondern auch für den boomenden Handel mit Ostasien, insbesondere mit China. Dafür ist der Suez-Kanal und die an ihn anschließende Passage durch das Rote Meer in den Golf von Aden von ganz entscheidender Wichtigkeit. Deutsche Kriegsschiffe sind ja schon längst am Horn von Afrika präsent - dazu gleich mehr; der Libanon-Einsatz nähert sie auch von Norden an die entscheidende Seeroute an. Nebenbei - er ermöglicht es auch, weitere Erfahrungen mit Marineoperationen in warmen Gefilden zu sammeln. Die deutsche Kriegsmarine, nach 1945 vor allem mit Einsatzszenarien in Nord- und Ostsee befasst, hatte hier lange Zeit Nachholbedarf.


Horn von Afrika

Der Einsatz am Horn von Afrika ist sicherlich eine der wichtigsten unter den aktuellen deutschen Auslandsinterventionen. Er begann Anfang 2002 im Rahmen von OEF, des US-geführten sogenannten Anti-Terror-Krieges. Im Dezember 2008 kam dann der EU-Einsatz gegen die Piraterie hinzu, die Operation ATALANTA. Die deutsche Beteiligung an OEF ist im Juni 2010 zu Ende gegangen. Das ist insofern bedeutsam, als die deutsche Kriegsmarine ihre Aktivitäten vor dem Horn von Afrika unter US-Führung begann, jetzt aber im Rahmen einer EU-Operation dort auftritt und den US-geführten Einsatz inzwischen beendet hat. Das Mandatsgebiet von ATALANTA reicht bis zu 500 Seemeilen vor die somalische Küste, das Seegebiet um die Seychellen kommt noch hinzu. Das OEF-Mandatsgebiet erstreckte sich im Norden noch weiter, es reichte bis vor die Küste Pakistans und Irans inklusive der Straße von Hormuz - der Einfahrt zum Persischen Golf, durch die sämtliche Erdöl- und Erdgastanker aus dem Ressourcengebiet am Golf hindurch müssen. An ATALANTA beteiligen sich heute 330 deutsche Soldaten.

Die Interventionen der Bundesrepublik am Horn von Afrika haben eine lange Geschichte. Sie reichen bis in die 1990er Jahre zurück. Damals führte die Bundeswehr einen ihrer ersten Einsätze überhaupt durch, den Einsatz im Rahmen der UN-Intervention in Somalia. Die Intervention scheiterte, aber sie öffnete der Bundeswehr gleichsam das Tor zur Welt. Das Horn von Afrika ist geostrategisch außergewöhnlich bedeutend. Hellsichtigen Strategen war schon in den 1990er Jahren klar, dass China sich im Aufstieg befand und sehr rasch an Bedeutung gewinnen würde - insbesondere auch der Handel mit China. Nun wird der Handel mit China nur zum geringsten Teil nicht mit dem Flugzeug abgewickelt - das wäre viel zu teuer. Der größte Teil des Handels wird über See abgewickelt. Wenn die Transportschiffe dabei nicht den weiten Umweg über Südafrika nehmen sollen, müssen sie am Horn von Afrika entlangfahren, also genau da, wo die deutsche Marine heute stationiert ist. Nach dem Passieren des Roten Meers und des Suezkanals treffen die Handelsschiffe übrigens fast noch auf die Marineschiffe vor der Küste des Libanon. Dies zeigt: Hier wird ein maritimes Gebiet kontrolliert, das immense Bedeutung für den Seehandel und damit natürlich auch eine große geostrategische Bedeutung hat.

Interessant sind vor diesem Hintergrund die jeweiligen Begleitumstände der deutschen Interventionen. In den 1990er Jahren zerfiel Somalia; für die Handelsschiffe, die das Horn von Afrika passierten, brachte das keine wirkliche Bedrohung mit sich, und insofern konnten die westlichen Mächte nach ihrer gescheiterten Intervention des Jahres 1993 einfach wieder aus Somalia abziehen, ohne sich weiter um das Land zu kümmern. Das blutige Chaos dort störte nicht weiter. Nach dem 11. September 2001 begann dann der Einsatz im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF), der die Kontrolle über das Meer herstellte, trotzdem aber Ende 2008 um diverse Anti-Piraten-Einsätze, darunter ATALANTA, erweitert werden musste, weil sich aus dem Chaos im zerfallenen Somalia etwas für die Schiffe Bedrohliches entwickelt hatte: Im Rahmen eigenständiger Versuche, staatliche Strukturen in Somalia wieder herzustellen, hatte es auch Bemühungen gegeben, eine Küstenwache aufzubauen, um - unter anderem westliche - Fischfangflotten zu verjagen, die das Meer vor Somalia leer fischten und damit die Existenzgrundlage der somalischen Fischer zerstörten. Der Versuch scheiterte, doch blieben modernste Gerate und zumindest rudimentär ausgebildetes somalisches Personal zurück; diese Kombination ermöglichte es einigen somalischen Clans, auf die recht lukrative Piraterie umzusteigen. Seitdem bedrohen immer wieder Piraten die westlichen Handelsschiffe - und der Westen versucht gelegentlich wieder, erneut in Somalia zu intervenieren, allerdings nicht mit eigenen Truppen, sondern mit somalischen Einheiten, die seit kurzem auch von der Bundeswehr trainiert werden. Unlängst hat eine neue EU-Mission mit diesem Ziel begonnen. Zusätzlich nutzt der Westen die Hilfe vor allem der Afrikanischen Union, die Soldaten aus Uganda und Burundi in Mogadischu stationiert hat, aber auch die Hilfe Äthiopiens, das in Absprache mit den westlichen Mächten zeitweise Teile Somalias besetzt hielt. Man kann hier sehen, wie die Kriegsfront sich praktisch wieder an Land verlagert. Plötzlich interessiert das blutige Chaos in Somalia den Westen doch wieder: Genau dann nämlich, wenn es Aktivitäten hervorbringt, die westliche Interessen, in diesem Falle die Handelsschifffahrt, stören.

Bei alledem springt mittlerweile auch die Konkurrenz zu China ins Auge. China, das seinen Handel ebenfalls zu schützen sucht, hat inzwischen selbst Marineschiffe zur Bekämpfung der Piraterie an das Horn von Afrika entsandt. Für China ist es - abgesehen von der Beteiligung an UN-Einsätzen - das erste Mal, dass es weit entfernt vom eigenen Territorium militärisch Präsenz zeigt. Die Konkurrenz zu China verweist auf ein weiteres Moment. Der Indische Ozean gilt Militärs als Schlüsselregion für das neue Jahrhundert, insbesondere wegen der Seewege aus Europa nach China, die durch ihn verlaufen. Wer den Indischen Ozean kontrolliert, der kontrolliert diese Seewege und damit die Lebensadern Chinas nach Westen. Die Volksrepublik bemüht sich daher schon seit geraumer Zeit, im Indischen Ozean ein Netz von sicheren Handelsstützpunkten zu errichten, indem sie sich am Bau großer Häfen beteiligt, etwa in Gwadar (Pakistan), Hambantota (Sri Lanka) oder Chittagong (Bangladesh). Mit den Anti-Piraten-Operationen setzt sich auf der anderen Seite die deutsche Marine im westlichen Indischen Ozean fest; zumindest im Rahmen von Manövern hat sie sich inzwischen zeitweise auch schon weiter in Richtung Osten vorangearbeitet.


Kongo, Mittelmeer

Der Vollständigkeit halber sollen noch zwei kleinere deutsche Auslandseinsätze erwähnt werden. Der eine findet im Rahmen einer EU-Mission in der Demokratischen Republik Kongo statt. Die EU will sich dort am Aufbau eines Systems innerer Repression beteiligen, auch am Aufbau des Militärs. Zur Zeit sind drei deutsche Soldaten daran beteiligt. Die sehr geringe Zahl weist darauf hin, dass in Berlin vor allem das Interesse besteht, präsent zu sein, Bescheid zu wissen und mitreden zu können. Daneben gibt es bis heute noch die Operation Active Endeavour im Mittelmeer. Sie ist offiziell dazu da, das Mittelmeer gegen Terroristen zu sichern, also die Seewege von Nordafrika nach Europa zu kontrollieren. Schließlich hält die Bundeswehr rund um die Uhr ein Sanitätsflugzeug bereit, das einsatzbereit ist und unter der Bezeichnung STRATAIRMEDEVAC überall intervenieren kann, sobald Bedarf besteht.


Golf von Guinea

Aufmerksamkeit verdient über die aktuellen Einsätze hinaus noch der Golf von Guinea in Westafrika. Dort gibt es keinen Bundeswehreinsatz, aber die deutsche Kriegsmarine war dort mehrfach zu Manövern präsent. Im Golf von Guinea, ganz besonders in Nigeria, liegen große Erdölvorkommen. Vor allem die USA wollen ihr Erdöl zunehmend aus Westafrika beziehen, insbesondere aus Nigeria. Deutschland bemüht sich vor allem um das bei der Erdölförderung anfallende Erdgas. Für die Deutschen ist dementsprechend Eon in Nigeria tätig, inzwischen auch in Aquato-rial-Guinea und in Zukunft womöglich auch in Angola. Auch im Golf von Guinea nimmt übrigens die Konkurrenz zur Volksrepublik China deutlich zu, da China sich ebenfalls um das dortige Erdöl bemüht.


Georgien

Abgeschlossen ist inzwischen der Bundeswehreinsatz in Georgien. Dort waren deutsche Soldaten im Rahmen einer UN-Beobachtermission präsent. Sie sollten dort dafür sorgen, dass der Waffenstillstand zwischen Georgien und seiner Sezessionsprovinz Abchasien eingehalten wurde. Im Kern ging es den Deutschen darum, die Abspaltung Abchasiens, die inzwischen ja bekanntlich vollzogen wurde, zu verhindern. Der Kaukasus ist ein geostrategisch äußerst wichtiges Gebiet, weil er als Transportbrücke aus dem rohstoffreichen Kaspischen Becken nach Westen dienen kann. Der Westen will den russischen Einfluss dort möglichst gering halten, und deswegen bemüht er sich darum, die südkaukasischen Staaten - also Georgien, Armenien und Aserbaidschan - möglichst in Gegensatz zu Russland zu bringen. In Georgien führte dies in zwei Provinzen - Abchasien und Südossetien - zu Gegenreaktionen an Russland orientierter Kräfte, die schon in den 1990er Jahren recht erfolgreiche Sezessionsbewegungen initiierten. Um eine tatsächliche Sezession dieser beiden Provinzen - und damit eine Stärkung Russlands im Kaukasus - zu verhindern, beteiligte sich die Bundeswehr seit Mitte der 1990er Jahre an einer UN-Beobachtermission in Georgien. Wie man heute weiß, hatte sie letztlich keinen Erfolg.


Vorbild Wehrmacht

In gewissem Maß für die aktuellen, vor allem aber für die künftigen Einsätze der Bundeswehr ist es von Bedeutung, dass die Ausbildung von Soldaten zunehmend am Vorbild Wehrmacht ausgerichtet wird. Es gibt Ausbildungshandbücher, die beschreiben, wie man die Ausbildung der Soldaten vorzunehmen hat. Einige dieser Handbücher hat kürzlich der Militärhistoriker Detlef Bald analysiert, und aus seiner Analyse, die im Dezember 2009 in Heft Nr. 153 der Hamburger Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik erschienen sind, möchte ich ein paar Passagen zitieren. Detlef Bald schreibt:

"Die beiden 'Ausbildungshilfen' - 'Einsatznah ausbilden' und 'Üben und schießen' - wurden in der Grundausbildung bereits seit vielen Jahren verwendet und ebenso 2006 empfohlen. Es handelt sich dabei um gedruckte Bücher, um bemerkenswerte Konvolute im Umfang von 218 und 174 Seiten. Sie werden für diese Auswertung heran gezogen. (...)    

Die Armee der Berliner Republik ist bestrebt, an ihre Vorgänger-Institution anzuknüpfen. Einzelne Beispiele können diese Erkenntnis vor Augen führen. Von herausragender Bedeutung für die 'Ausbildungshilfe' mit dem Titel 'Üben und schießen' sind Vorschriften der Wehrmacht. Vor allem die 'Leitsätze für Erziehung und Ausbildung' von 1936 und 1938 oder die 'Richtlinien für die Ausbildung im Ersatzheer' von 1940, 1942 und 1943 dienen als Richtschnur (...). So der Satz: 'Wo auch nur zwei Soldaten beisammen sind, ist einer der Führer.' Das wird weiter ausgerollt. Ein 'hoher erzieherischer Anspruch' verlange, alle 'Führer' in den Aufgaben der nächsthöheren Führungsebene weiterzubilden und die Stetigkeit der Führung zu sichern, um 'jederzeit kleine Kampfgemeinschaften' einsetzen zu können. Dieser 'strenge Maßstab (...) war Tradition' der deutschen Militärgeschichte. Allein auf dieser Seite der 'Ausbildungshilfe' wird fünfmal auf Vorschriften der Wehrmacht verwiesen, daneben zweimal auf das Exerzier-Reglement für die Infanterie von 1906. (...)   

Die militärpolitische Instrumentalisierung der Wehrmacht wird (...) bis zum Abstrusen getrieben. Dafür einige Beispiele: Was im Dienst geübt wird, müsse im Unterricht vorbereitet werden; das geistige Durchdringen des Unterrichtsstoffs durch den Lehrer sei Voraussetzung eines guten Unterrichts. Diese didaktischen Einsichten sind sicherlich nicht unzutreffend, aber warum sie aus einer Vorschrift von 1938 ('Ausbildungsziele für die Einzelausbildung der Panzertruppe') wörtlich zitiert werden, erschließt sich kaum aus der Sache."

Weitere Details lassen sich der zutreffenden Schilderung von Detlef Bald entnehmen. Die Bundeswehr behauptet, sie arbeite daran, die genannten "Ausbildungshilfen" zu ersetzen, und verwende sie in der Praxis nicht mehr. Experten äußern Zweifel an dieser Behauptung.



Ost und West

Interessant ist weiterhin, wer alles - zugespitzt formuliert - in die neuen Kolonialkriege mit dem Vorbild Wehrmacht hineingeschickt wird. Die Bundeswehr hat 2009 eine Statistik veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass es hinsichtlich der in die Auslandseinsätze geschickten Soldaten einen erheblichen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland gibt. Von den Generälen und Admiralen im Auslandseinsatz kamen 2009 vier aus dem Westen und kein einziger aus dem Osten. Bei den Stabsoffizieren belief sich das Verhältnis auf 356 (West) zu 59 (Ost), bei den Offizieren auf 586 (West) zu 214 (Ost). Bei den einfachen Mannschaften kehrt sich das Ganze deutlich um: von 1.828 Soldaten kamen 1.142 aus Ostdeutschland. Über die Ursache für dieses Phänomen schreibt das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr:

"Je höher die Arbeitslosigkeit, desto größer ist das Interesse an einer beruflichen Tätigkeit bei der Bundeswehr."

Bei alledem muss man zusätzlich berücksichtigen, dass nur vielleicht 20 bis 25 Prozent der relevanten Altersgruppe aus dem Osten kommen.



Rüstung

Selbstverständlich werden die Auslandseinsätze der Bundeswehr von umfangreichen Rüstungsprogrammen begleitet. Ein Beispiel: Der Transportpanzer "Boxer" von Rheinmetall. Er bringt dem Konzern dreistellige Millionenbeträge, denn er soll - er ist gegen Sprengstofffallen gut gerüstet - in Afghanistan in hoher Zahl verwendet werden. In Afghanistan wird in Zukunft auch die Panzerhaubitze 2000 eingesetzt, ein Gerät, das 40 Kilometer weit schießen kann - angeblich sehr präzise, allerdings sind Fehlschüsse und damit viele zivile Todesopfer auf eine solche Entfernung kaum sicher zu vermeiden. Aufgerüstet wird selbstverständlich nicht nur für Afghanistan, sondern auch für weitere Kriege, die erst noch kommen. Erwähnen könnte man den Eurofighter oder auch den großen dritten Einsatzgruppenversorger, den die Bundesmarine 2011 erhalten wird - ein sehr teures Schiff, das weit weg von den Heimatgewässern umfangreiche Truppenkontingente unterhalten kann.

Eine Waffengattung, die hierzulande noch kaum beachtet wird, sind die sogenannten Unmanned Vehicles, in ihrer fliegenden Variante auch "Drohnen" genannt. Die Drohne Heron 1 wird inzwischen in Afghanistan verwendet. Sie wird von der israelischen Rüstungsfirma IAI gemeinsam mit Rheinmetall vertrieben und ist eine Aufklärungsdrohne. Die Bundeswehr soll demnächst eine weitere Drohne bekommen ("Eurohawk"), ebenfalls eine sogenannte Aufklärungsdrohne. Grundsätzlich ist der Schritt von den Aufklärungs- zu den Kampf- oder Killerdrohnen nicht weit; eine Art Einweg-Killerdrohnen, auch "Kamikazedrohnen" genannt, wird die Bundeswehr in drei bis vier Jahren erhalten. Die Luftschläge mit Killerdrohnen, wie sie vor allem die USA in Pakistan durchführen, haben regelmäßig viele zivile Tote zur Folge - es lässt sich aus der Luft eben nicht zuverlässig feststellen, wer sich am Boden gerade bewegt und ins Visier der Drohne gerät. Mit den Drohnen beginnt eine weitere Brutalisierung der Kriegsführung.

Die ferngesteuerte Kriegsführung per Unmanned Aerial Vehicles hat darüber hinaus weitreichende Folgen, über die in Deutschland überhaupt noch nicht gesprochen wird. Die Drohnen werden von Personen gesteuert, die weit weg vom realen Kriegsschauplatz vor dem Computer sitzen und beinahe wie mit einem Computerspiel hantieren - nur dass im Ergebnis eben irgendjemand ganz weit weg tatsächlich erschossen wird. Manche fürchten, dass Krieg in Zukunft mehr oder weniger als Kriegsspiel ausgeübt wird; andere meinen, man könne auf dem Bildschirm die Leichen und die zerfetzten Körper viel deutlicher und schockierender erkennen als auf dem realen Schlachtfeld, was eine klare Zunahme von Traumata erwarten lasse. Absurde Situationen wie etwa diejenige sind zu erwarten, dass ein Drohnenpilot seinen Acht-Stunden-Tag am PC absitzt, dabei zahlreiche Menschen tötet und anschließend nicht in seiner Einheit über den Einsatz redet, sondern sein Kind von der Schule abholt und mit seinen grausigen Erfahrungen beim gemeinsamen Abendessen mit der Familie klarkommen muss. In den USA werden inzwischen ganze Bücher über solche Themen geschrieben; in Deutschland hinkt die Debatte um Jahre hinterher.


Polizeieinsätze und zivile "Missionen"

Nicht selten werden Bundeswehreinsätze von Polizeieinsätzen begleitet, etwa im ehemaligen Jugoslawien oder auch in Afghanistan. Ziel ist es, bestimmte Aufgaben der Polizei zu übertragen, um das Militär zu entlasten und es letztlich für Kampfeinsätze freizustellen. Polizeieinsätze haben einen großen Vorteil und einen großen Nachteil. Der Vorteil ist, dass sie nicht vom Bundestag genehmigt werden müssen, deshalb flexibler genutzt werden können und in der Öffentlichkeit nur geringere Aufmerksamkeit hervorrufen. Sogar einzelne Bundesländer können ihre Polizisten ohne Parlamentsbeschluss ins Ausland schicken. Der Nachteil ist, dass man Polizisten nicht so leicht dienstverpflichten kann. Bundeswehrsoldaten können per Befehl in ein Einsatzgebiet abkommandiert werden, ohne dass sie sich weigern können; bei Polizisten ist das nicht möglich. Das ist die Ursache dafür, dass es immer wieder Schwierigkeiten gibt, genügend Polizisten nach Afghanistan zu entsenden.

Daneben gibt es noch zivile "Missionen". Diese können ganz unterschiedliche Inhalte haben. Es kann sich etwa um Wahlbeobachtung handeln oder um zivile Begleitung von Polizei- und Militäreinsätzen. Selbst so niedrigschwellige Maßnahmen wie Wahlbeobachtungen können eine erhebliche Einflussnahme ermöglichen. Ein kleines Beispiel: Vor einigen Jahren erklärten Wahlbeobachter in Belarus den Wahlablauf für unzulänglich und ermöglichten es damit der EU und den USA, starken Druck auf das Land auszuüben. Dabei taten sich zeitweise eklatante Widersprüche zwischen den Einschätzungen der offiziellen deutschen Wahlbeobachter - unter ihnen ein ehemaliger Präsident des BND - und den Einschätzungen unabhängiger Experten auf, die ihrerseits von relativ korrekten Wahlen sprachen.

In Deutschland werden Zivilisten für solche Interventionen in aller Regel vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF) ausgewählt, einer gemeinnützigen GmbH, deren einziger Gesellschafter die Bundesrepublik Deutschland ist, vertreten durch das Auswärtige Amt. Wer sich beim ZIF bewerben will, muss Auslandserfahrung und Sprachkenntnisse haben. Wenn man ausgewählt wird, bekommt man Vorbereitungstrainings, kann an Kursen teilnehmen, bei denen es etwa um "mine awareness" oder auch Erste Hilfe geht. Nur vom ZIF ausgebildete Personen werden der UNO oder der OSZE vom Auswärtigen Amt für Einsätze empfohlen, und nur wer vom Auswärtigen Amt empfohlen wird, bekommt den Job dann auch - alles andere verstieße gegen die diplomatischen Gepflogenheiten. Wer aus einem zivilen Auslandseinsatz zurückkommt, bleibt mit dem ZIF in Kontakt und steht für die Auswertung des Einsatzes - sprich: für die Übermittlung exklusiver Informationen aus den Erfahrungen vor Ort - zur Verfügung. Auf diese Weise gelangen wertvolle Erkenntnisse aus UNO- oder OSZE-Missionen unmittelbar zum deutschen Staat.


Dies Grundlage des Artikels ist ein Referat der II. Konferenz "Der Hauptfeind steht im eigenen Land!" in Göttingen.


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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 332, Oktober 2010, S. 4-11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2011