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IZ3W/284: Editorial von Ausgabe 333 - Whitewashing


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 333 - November/Dezember 2012

Hefteditorial
Whitewashing



Große weiße Flächen können etwas sehr Schönes sein. Jedes Designerherz schlägt höher, wenn eine bedruckte Seite nicht bis auf den letzten Quadratzentimeter mit Buchstaben ausgefüllt ist. (Unser hochgeschätztes Grafikbüro kann davon ein Liedchen singen.) Doch als die jüngste Ausgabe der entwicklungspolitischen Zeitschrift Südlink mit zwei weißen Seiten erschien, lagen dem keine ästhetischen Überlegungen zugrunde.

Was war geschehen? Fangen wir ganz von vorne an: In einem Dossier nahm sich der Südlink des Themas »Corporate Social Responsibility« (CSR) an. Das ist neudeutsch für »Unternehmensverantwortung« und meint, dass Unternehmen sich freiwillig verpflichten sollen, soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten. Im entwicklungspolitischen Kontext heißt das: Konzerne aus dem Norden zahlen den ArbeiterInnen in den Weltmarktfabriken des Globalen Südens halbwegs anständige Löhne, bieten einigermaßen faire Arbeitsbedingungen und zerstören die Umwelt nicht vollständig. Weil sich ein Image als sozial und ökologisch vorbildliches Unternehmen heutzutage zumindest teilweise in barer Münze auszahlt, liegt die Versuchung nahe, Greenwashing zu betreiben und die Unternehmensaktivitäten etwas zu beschönigen.

Wer sich journalistisch mit CSR befasst, kann also gar nicht anders, als Anspruch und Realität abzugleichen. Genau das tat Südlink-Redakteurin Christina Felschen in ihrem Beitrag über Greenwashing. Sie kritisierte dabei auch einige Konzerne, namentlich den Bergbaukonzern Vale, den Surf- und Outdoorhersteller Quiksilver und die Drogeriekette dm. Sie alle würden sich mit Nachhaltigkeit und gelungener Unternehmensverantwortung schmücken, de facto aber kaum Transparenz bei Arbeitsbedingungen und Umweltauswirkungen ihrer Produkte herstellen. »Verantwortung sieht anders aus«, so das enttäuschte Fazit von Felschen.

Der Beitrag gefiel dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gar nicht. Das ist sein gutes Recht. Und es ist nach drei Jahren FDP-Führung auch keine Überraschung mehr, dass das BMZ seiner sozialen Verantwortung in Sachen Unternehmensfreundlichkeit immer wieder gerne nachkommt. Doch beim Südlink ging das BMZ einen entscheidenden Schritt weiter, als es mit einer liberalen Haltung vereinbar ist: Es drohte, den zugesagten Zuschuss für das 28-seitige Dossier zurückzuziehen, sollte der Beitrag erscheinen. Unternehmen würden darin einseitig kritisiert und an den Pranger gestellt.

Wer die finanziellen Verhältnisse kleiner entwicklungspolitischer Zeitschriften kennt, weiß, dass eine solche Drohung drastisch ist. Ohnehin nehmen die Zuschussnehmer schon allerhand Zumutungen in Kauf, etwa dass seit zwei Jahren gemäß Fördervertrag alle Beiträge einer Publikation vor Erscheinen dem BMZ zur Prüfung vorlegt werden müssen. Große Worte wie »Zensur« muss man für dieses Vorgehen nicht in den Mund nehmen. Das würde die Situation in Ländern verharmlosen, in denen sie wirklich herrscht und mit Gefängnisstrafen und schlimmerem durchgesetzt wird. Aber zu unterschätzen ist die Schere im Kopf nicht, die solche Auflagen wie die des BMZ hervorbringen. Die Macht der Verhältnisse denkt und schreibt immer mit.

Die KollegInnen von Südlink haben in dieser verzwickten Situation das Richtige getan. Sie verzichteten in der Printversion des Dossiers auf den inkriminierten Beitrag und behielten den Zuschuss. Zugleich aber legten sie ein Begleitschreiben bei, in dem sie den gesamten Vorgang transparent machten: »Wir standen vor der Entscheidung: Artikel umschreiben, Artikel weglassen oder den Zuschuss verlieren? Das Umschreiben kam für uns unter keinen Umständen infrage.« Die elegante Lösung des Problems war ein auf eigene Kosten produziertes Extrablatt mit dem Artikel. Kaum ein Beitrag des Dossiers dürfte so intensiv gelesen werden wie dieser... Ziel erreicht: Pressefreiheit gerettet und das Überschreiten einer Grenze durch das BMZ öffentlich gemacht.

Der Fall Südlink ist nicht der erste seiner Art. Bereits bei einer Publikation des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlages (BER) mit dem Titel »Wer anderen einen Brunnen gräbt... Rassismuskritik?/?Empowerment?/?Globaler Kontext« lehnte das BMZ kritische Beiträge als »einseitige Darstellung« ab und stellte die Förderung in Frage. Eine Projektgruppe des BER hatte Rassismus in Freiwilligendiensten und in der Entwicklungszusammenarbeit thematisiert. Die Broschüre konnte nur deshalb vollständig erscheinen, weil die Redaktion in einem »Hinweis« zugestand, keinen Anspruch auf »eine vollständige Abbildung aller Aspekte entwicklungspolitischer Freiwilligendienste und Aktivitäten« zu erheben. Man könne sich unter anderem auf der Webseite des BMZ einen »Überblick« über »andere Aspekte« verschaffen.

In der Vergangenheit hat sich das BMZ durch Gelassenheit gegenüber kritischen Positionen ausgezeichnet, selbst in Bezug auf die eigene Politik, die von der entwicklungspolitischen Szene oft und gerne aufs Korn genommen wurde. Dass die Meinungsfreiheit nun praktisch zurückgedrängt wird und weiße Flächen immer öfter aus anderen als ästhetischen Gründen eingesetzt werden, dem widersetzt sich

die redaktion

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 333 - November/Dezember 2012


Die Krise des Kapitalismus
Ohne Notausgang

Seit 2008 bilden sie selbst in der breiten Öffentlichkeit ein unzertrennliches Begriffspaar: Krise & Kapitalismus. Eine Krise reiht sich an die andere, sie gehen in einander über und sind kaum noch voneinander unterscheidbar: Verschuldungskrise, New Economy-Krise, Immobilienkrise, Finanzkrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise, Ernährungskrise, Eurokrise...

Unser Themenschwerpunkt fragt, inwieweit die Krise des Kapitalismus unausweichlich war und wohin sie noch führen wird. Wir fragen nach den Krisenauswirkungen in Afrika und Lateinamerika und untersuchen die Rolle von Rating-Agenturen als Krisenverstärker. Eines wird in allen Beiträgen deutlich: Krise bedeutet Zuspitzung des Bestehenden. Und sie bedeutet immer Umverteilung, wenn auch nicht zwangsläufig von Süd nach Nord, sondern innerhalb der Gesellschaften.


Hefteditorial

POLITIK UND ÖKONOMIE

Ägypten: »Das Militär ist eine zerstörerische Kraft«
Interview mit dem Kriegsdienstverweigerer Emad el Defrawi (Langfassung)

Jemen: Armee gegen Armee
Nach Salehs Abgang schwelen die alten Konflikte weiter
von Franziska Strasser

Simbabwe: Die Macht aussitzen.
Warum die Wahlen ausstehen
von Lisa Ott

Südafrika I: Das Ende einer Illusion.
Ein Kommentar zu den Bergarbeiterkämpfen
von Leonard Gentle
Streiks im Stollen
von Shawn Hattingh

Südafrika II: Einhundert Jahre ANC.
Zwischen Befreiungsbewegung und Regierungspartei
von Korbinian Böck

Südafrika III: »Von heroischen Führern befreien«
Interview mit der ANC-Kritikerin Mamphela Ramphele

Südasien I: Wunsch nach Zugehörigkeit.
Frauen beteiligen sich in Indien verstärkt am Hindu-Nationalismus
von Laura Eger

Südasien II: Ober- und Unterlieger.
Indiens Staudämme führen in Bangladesch zu Dürren und Fluten
von Dunja Smaoui


SCHWERPUNKT: KRISE & KAPITALISMUS

Editorial des Dossiers

Konjunktur der Schuldenfallen.
Die Krisen des Finanzmarktkapitalismus sind noch lange nicht vorbei
von Joachim Bischoff

Krisenverstärker.
Ratingagenturen greifen massiv in die Politik von Ländern des Südens ein
von Franziska Richter

Nichts ist anders.
Wie Verschuldungskrise und Finanzkrise ineinander greifen
von Jürgen Kaiser

Neues Selbstbewusstsein.
Afrika behauptet sich in der globalen Wirtschaftskrise
von Jörg Goldberg

Verringerte Verletzlichkeit.
Lateinamerika entgeht der Krise durch das Einschlagen eigener Wege
von Dieter Boris


KULTUR UND DEBATTE

Occupy: Verhaltenskommunismus.
»Inside Occupy« gibt Aufschluss über Bewegung in Zeiten der Krise
von Gerhard Hanloser

Kunstmarkt: ... und zum Dritten!
Auktionshäuser im Kontext weltweiter Kulturgüterplünderungen
von Romina Pistor

Ausstellung: Permanent Error.
»Afrika, hin und zurück« verweist auf Europas kolonialen Blick
von Katja Behrens

Oper: »Wir haben da nichts verloren«
Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso
von Jan Niermann

Rezensionen

Szene/Tagungen

Impressum

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Quelle:
iz3w Nr. 333 - November/Dezember 2012, S. 3
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2012