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IZ3W/208: Interview - "Der Obama-Effekt untergräbt die Linke"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 317 - März / April 2010

"Der Obama-Effekt untergräbt die Linke"

Interview mit Peter Hudis and Kevin Anderson über US-Außenpolitik


Simon Birnbaum: Welche Erwartungen hatten Sie an Obamas Außenpolitik?

Peter Hudis: Ich habe keine großen Hoffnungen gehegt. Man muss immer in Erinnerung behalten, dass Obama sich als Politiker noch nie mit progressiven oder linken Positionen identifiziert hat. Es wäre sogar falsch, ihn als "liberal" zu bezeichnen. In seiner politischen Karriere hat er immer wieder die Tendenz offenbart, sich zur politischen Mitte hin zu orientieren. Es stimmt, dass er im Vergleich zu Bush frischen Wind in die Politik gebracht hat und seine Wahl einen bedeutenden Wandel in den race relations darstellt, angesichts des Rassismus, der lange die amerikanische Gesellschaft bestimmt hat. Allerdings ist Obamas gesamte Karriere von dem Versuch geprägt, sich in die Mitte der amerikanischen Gesellschaft zu integrieren und von ihr akzeptiert zu werden, nicht sie herauszufordern. Er machte auch bei seiner Opposition zum Irakkrieg kein Geheimnis daraus. Er unternahm nichts gegen die traditionelle US-Politik hinsichtlich Afghanistan, Israel-Palästina, der Beziehungen mit Lateinamerika oder der Homosexuellen beim Militär. Selbst bei den Mitteln der USA zur Bekämpfung von AIDS in Übersee hat er wesentlich weniger zugesagt, als sogar Bush zugesichert hatte.

Eine andere Haltung Obamas in der Außenpolitik würde verlangen, dass er auf direkte Konfrontation zum Establishment in der amerikanischen Sicherheitspolitik geht. Der Irak ist längst nicht mehr das entscheidende Thema innerhalb des Establishments. Der dort vorherrschende Konsens (wie auch in großen Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit) ist, dass der Truppeneinsatz ein Erfolg war und der Krieg von selbst aufhören wird. Allerdings bedeutet dies keinesfalls, dass das sicherheitspolitische Establishment nun ein geringeres Interesse an der Durchsetzung des amerikanischen Drangs nach der alleinigen globalen Dominanz hat, als während der Bush-Jahre. General McCrystal, der zum großen Teil die amerikanischen Einsätze in Afghanistan leitet, hat große Anstrengungen unternommen, um öffentlich für einen Ausbau der Truppen in Afghanistan zu werben. Er ging dabei sogar so weit, in Gesprächen mit der NATO eine Ausweitung des Truppenkontingents zu fordern, noch bevor er dieses Thema überhaupt mit Obama besprochen hatte. Das US-Militär hat sich im Irak nicht mit großem Aufwand bemüht, einen Umschwung herbeizuführen, um jetzt in Afghanistan eine Niederlage einzugestehen. Es ist vor allem eine Frage von Macht und Prestige, die erklärt, wieso mehr als 30.000 weitere amerikanische SoldatInnen in ein Land geschickt werden, in dem sich nach den eigenen Schätzungen des Militärs weniger als hundert Al Kaida-Kämpfer aufhalten. Um die Forderungen des Militärs nach einer deutlichen Aufstockung der amerikanischen Truppen in Afghanistan abzulehnen, hätte sich Obama der Agenda eines sehr mächtigen Teils des amerikanischen Establishments direkt entgegenstellen müssen. Allerdings weist alles in seiner Biographie sowohl vor als auch nach der Wahl darauf hin, dass diese Herangehensweise ihm zuwider läuft. Er ist jemand, der den Ausgleich und den Kompromiss sucht, nicht die Auseinandersetzung - selbst nicht für die Prinzipien, für die er so inbrünstig eintritt, ganz zu schweigen von denen, die er nicht vertritt.

Es gibt eine weitere objektive Komponente, die Obamas Handlungsmöglichkeiten in der Außenpolitik einschränkt: das Ausmaß der Wirtschaftskrise. Seine Reise nach Peking Ende 2009 war aus zwei Gründen verblüffend: zum einen aufgrund seiner unterwürfigen Versuche, sich bei der chinesischen Führung einzuschmeicheln, zum anderen durch das Weglassen jeglicher substantiellen Forderung an die chinesische Regierung, politische Gefangene freizulassen und die Menschenrechte zu achten. Man vergleiche Obamas Vorgehen mit dem von Bush, der es ja sogar ablehnte, Hu Jintao ein offizielles Staatsbankett zu gewähren, als dieser ihn während seiner zweiten Amtszeit in Washington besuchte, und der auch nicht zögerte, von Zeit zu Zeit die chinesische Regierung öffentlich zu kritisieren. Angesichts der Abhängigkeit von der chinesischen Finanzierung des sich aufblähenden Haushalts- und Handeldefizits glaubt Obama, es sich nicht leisten zu können, die chinesische Führung auf diese Art und Weise zu behandeln.

All dies soll jedoch nicht verleugnen, dass Obama viel zur Wiedergutmachung für die unilaterale und hasserfüllte Rhetorik der Bush-Administration beigetragen hat. Eine Tatsache, die großen Anteil daran hat, dass viele Menschen auf der Welt besonders große Hoffnungen an Obama und seine Administration knüpfen. Allerdings spiegelt seine Herangehensweise aus meiner Sicht lediglich die Erkenntnis eines bedeutenden Teils der herrschenden Elite wider, dass das von Bush und Cheney bemühte Bild "wer nicht für uns ist, ist gegen uns" sich bei der Durchsetzung US-amerikanischer Interessen als kontraproduktiv erwiesen hat. Genauso wie es der Widerstand des militärischen Establishments und der moderaten Republikaner war, der die antikommunistische Hexenjagd des Joseph McCarthy in den 1950ern beendete, hat nun ein großer Teil der herrschenden Klasse in den USA entschieden, dass die Vorgehensweisen von Bush und Cheney ihre eigenen Interessen unterminierten. Dennoch, so wichtig der Wandel hinsichtlich der Sprache und Verlautbarungen auch ist, es gibt wenig Indizien dafür, dass Obama jemals mit den grundlegenden Zielen jenes Establishments im Konflikt stand, dessen Anführer er jetzt ist.

Die wirkliche Herausforderung für die Linke in den USA heute ist es, eine gut begründete Haltung gegen Obamas Politik zu entwickeln und dabei gleichzeitig zu verdeutlichen, dass die größte Bedrohung für das Land heute die wachsende Macht der rassistischen Rechten ist, die der Republikanischen Partei eine populistische und reaktionäre Agenda verpasst. Ihre Versuche, Obama als Teil einer "liberalen" Elite darzustellen, die keinen Bezug zu den Interessen des "einfachen Mannes" hat, ist äußert bedrohlich, gerade im Hinblick auf den Zustand der Wirtschaft und die extreme hohe Arbeitslosenquote. Ganz egal was Obama in seiner Außenpolitik macht, er wird sich einer wachsenden und sich stärker mobilisierenden Rechten ausgesetzt sehen. Die sind derzeit besser organisiert und vereinter als die "Liberals" oder die Linken.

Simon Birnbaum: Sie behaupten, dass es in der US-Außenpolitik seit Bush bisher nur einen Wandel der Rhetorik gegeben hat. Hat die Obama-Administration nicht letztlich das Ziel, die neokonservative Außenpolitik abzulösen, die der Welt eine Ideologie der Freiheit und Demokratie vermittelte, aber in der Praxis Kriege in vielen Teilen der Welt führte?

Peter Hudis: Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass Obama nur Veränderungen der Rhetorik in der amerikanischen Außenpolitik bewirkt hat. In einigen Reden hat er versucht, die muslimische Welt auf sehr respektvolle Art und Weise anzusprechen - das ist etwas für einen amerikanischen Präsidenten ziemlich Einmaliges. Obwohl solche Fortschritte hauptsächlich verbal geblieben sind, haben Worte dennoch Gewicht, wenn es darum geht, ein weniger angespanntes globales Umfeld zu erzeugen.

Ich glaube schon, dass Obama von den wichtigsten Aspekten der neokonservativen Außenpolitik abrücken möchte, da er viel weniger Unilateralist als Bush ist und auch gomerit hat, dass die US-Macht viel vorsichtiger ausgeübt werden muss. Allerdings glaube ich nicht, dass der Welt "Freiheit und Demokratie" zu bringen jemals ein Teil des neokonservativen Projekts war. Solche Behauptungen aus ihren Reihen waren reine Rhetorik ohne jegliche Substanz. Wenn Bush ein Interesse daran gehabt hätte, der Welt "Freiheit und Demokratie" zu bringen, dann hätte er nicht Musharrafs Diktatur in Pakistan oder die saudische Monarchie so eindringlich unterstützen können, wie er es getan hat. Die Neocons haben sich der Rhetorik von "Demokratie und Freiheit" erst relativ spät bedient, nachdem sich ihre Behauptung, der Irak besitze "Massenvernichtungswaffen", als Trugbild erwiesen hatte. Außerdem gab es schon gegen Ende der Amtszeit von Bush erste Anzeichen, dass seine Administration erkannt hatte, wie sehr die Durchsetzung ihrer Ziele im Alleingang sich als kontraproduktiv erwiesen hatte. Obamas Außenpolitik stellt eine weitere Distanzierung vom plumpen Unilateralismus des anfänglichen Bush-Ansatzes dar, ohne jedoch einen grundlegenden Wandel in den Zielvorgaben durchzuführen.

Kevin Anderson: Obama repräsentiert einige Veränderungen im Hinblick auf die herrschenden Klassen der USA und ihres Imperiums. Grundsätzlich gehört er einem pragmatischeren, realistischen Flügel der herrschenden Klassen an. Viele aus dieser Klasse glaubten, dass seine Ethnizität und seine familiären Beziehungen zu Afrika für einen positiven Einfluss nach den Jahren unter Bush sorgen könnten, der selbst Verbündete der USA gegen sich aufbrachte und den Widersachern der USA viele "Angriffsflächen" lieferte.

Die Ergebnisse waren bisher jedoch sehr mager. Das wahrscheinlich beste Beispiel für den marginalen Wandel unter Obama stellt seine Rede an die muslimische Welt in Kairo dar, als er zwar einen anderen Ton als Bush anschlug, aber nur wenige kritische Bemerkungen an Israel richtete. Letzten Endes hat er absolut gar nichts gegen Netanjahu unternommen, als der seine Forderung nach dem Stopp des Siedlungsausbaus unterlief. Obama ist zwar in Israel weiterhin sehr unbeliebt, war aber bisher nicht besonders kritisch gegenüber Israel. So schwieg er beispielsweise während des Kriegs in Gaza.

Zudem hat er den Krieg in Afghanistan stark ausgeweitet und die Zahl der Angriffe in Pakistan auf Al Quaida und Taliban erhöht. Auch wenn einige auf Seiten der Linken sich darüber schockiert oder enttäuscht geben, sollte dies niemanden überraschen. Seine Kampagne, aus dem Irak abzuziehen, entwickelte Obama nicht aus einer pazifistischen Position heraus, sondern um sich dem "richtigen" Krieg in Afghanistan und Pakistan widmen zu können. Nichtsdestotrotz hegten viele auf Seite der Linken Illusionen über Obama. Versagt hat er in seinem eher kleinen Wahlversprechen, von der aggressiven Kriegsführung im Irak während der Bush-Ära abzukehren. Es gibt keinerlei Anzeichen für einen ernst gemeinten Rückzug, und es ist bemerkenswert, dass Obama mit Robert Gates den Verteidigungsminister der Bush-Ära - der eigentlich ein Kriegsminister ist - beibehalten hat.

In Bezug auf Lateinamerika gab es ebenfalls ein paar kleinere Veränderungen, insbesondere eine leichte Abschwächung des Konfrontationskurses gegenüber Kuba. Allerdings hat sich hieraus wenig ergeben, da Obamas Außenpolitik sich nicht allzu sehr von der amerikanischen Außenpolitik der vergangenen fünfzig Jahre unterscheidet. Die tragischen Ereignisse in Honduras zeigen, dass es keinen grundlegenden Wandel gegenüber Bush gegeben hat. Während Obama die Putschregierung pro forma kritisierte, wurde nichts ernsthaft unternommen, um sie aufzuhalten. Im Gegenteil hat er die Bemühungen des vereinten Lateinamerikas unterminiert, der Putschregierung entgegen zu treten, indem er verkündete, dass die USA die Ergebnisse der von der Putschregierung ausgerufenen Wahl nicht ablehnen würden. Diese Wahl hat nun stattgefunden, obwohl schon ein mahnender Telefonanruf der US-Regierung genügt hätte, um in einem so kleinen, von US-Interessen abhängigen Land wie Honduras zu einem Kompromiss zu kommen. Schließlich war es Honduras, das in den 1980er Jahren als Basis für Reagans Contra-Krieg gegen das revolutionäre Nicaragua fungierte und damals als "gigantischer amerikanischer Flugzeugträger" bezeichnet wurde.

Obama repräsentiert ein etwas gütigeres Gesicht des amerikanischen Imperiums, es gibt jedoch keinen grundlegenden Wandel und auch nur ein paar wenige kleinere Veränderungen. Er ist zu einer Zeit ins Amt gekommen, in der die USA international geschwächt da standen, nicht nur aufgrund der desaströsen Kriege, sondern auch weil die globale Wirtschaftskrise ihren Kern in den USA hat und diese China und anderen Mächten zu neuer Macht verhalf.

Der Friedensnobelpreis repräsentiert die etwas illusorische Hoffnung, dass Obama wirklich für den Frieden arbeiten würde. Doch er demonstriert auch, wie sehr die Welt darauf bedacht war, sich von der Bush-Administration zu lösen. Gleichzeitig hat der Obama-Effekt die amerikanische und globale Linke untergraben, indem er ihr eine weniger klare Angriffsfläche bietet, insbesondere im Hinblick auf die Kriege im Irak und in Afghanistan. Die Linke ist auch weiterhin verwirrt darüber, wie sie sich einerseits dem Krieg in Afghanistan widersetzen kann und sich auf der anderen Seite gleichzeitig dem reaktionären Fundamentalismus der Taliban oder Al Kaida widersetzen soll. Die Linke hat sich hauptsächlich darauf beschränkt, allgemeine Aussagen zum Ende des Krieges zu verkünden, ohne sich jedoch damit auseinanderzusetzen, dass sich mit der Rückkehr der Taliban das Leben der Menschen in Afghanistan mit Sicherheit nicht verbessern würde. Diese Tatsache, zusammen mit dem Obama-Effekt, scheint bei der globalen Linken einen Stillstand bewirkt zu haben, wie man an dem überraschenden Fehlen von Antikriegs-Demonstrationen im gesamten Jahr 2009 sehen kann. Die einzige Ausnahme war der Krieg im Gaza vor einem Jahr, allerdings haben sich die damaligen Demonstrationen nicht mit dem Irak oder Afghanistan auseinandergesetzt.

Simon Birnbaum: Gibt es nicht sogar einen Wandel in der amerikanischen Außenpolitik, der vollständig im Widerspruch zur euphorischen Sicht großer Teile der globalen Öffentlichkeit steht? Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise scheint die Obama-Regierung einen Schulterschluss mit China zu suchen und nicht so sehr auf Menschenrechte zu beharren. Desweiteren steht ökonomischer Protektionismus auf der Agenda - "Buy American". Und der globale Umweltschutz scheint weitaus unbedeutender zu sein als unter dem republikanischen Gouverneur Schwarzenegger in Kalifornien.

Kevin Anderson: Die US-amerikanische Außenpolitik hat sich von den großen Illusionen der Jahre 2001 bis 2003 etwas wegbewegt, laut derer die USA den Nahen Osten (und eventuell auch Nordkorea) durch Regimewechsel mit militärischen Mitteln hätte neu gestalten können. Aber diese Entwicklung hat nicht mit Obama begonnen. Schon in den letzten Jahren war die Bush-Regierung dazu gezwungen, im Irak eine zum Teil fundamentalistische schiitische Regierungskoalition zu akzeptieren, die feindlich gegenüber Israel und keineswegs neoliberal eingestellt ist. Dies rührt aus der Tatsache, dass der Irakkrieg - trotz eines partiellen Umschwungs im letzten Jahr - das größte militärische Desaster für die USA seit dem Vietnamkrieg darstellt. Der Wandel wurde durch die Ablösung des oft großspurig militaristisch auftretenden Verteidigungsministers Donald Rumsfeld durch den trägen und bürokratischen Robert Gates eingeleitet.

Natürlich hängt all dies mit der Tatsache zusammen, dass neben der Isolation der USA im Ausland, die schon früher entstanden war, nun auch die amerikanische Öffentlichkeit von den militärischen Abenteuern genug hatte. Und in wirtschaftlicher Hinsicht sind die USA sowohl durch Krieg als auch durch die Wirtschaftskrise angeschlagen. Obama hat die Entwicklung zum Ende der Bush-Administration fortgeführt und sich an einigen Fronten noch etwas weiter zurückgezogen. Einer der deutlichsten Veränderungen gegenüber der Bush-Ära liegt darin, dass Obama eine "realistischere" Position zum Iran eingenommen hat, indem er die Androhung eines Angriffs durch die USA oder die Ermunterung eines israelischen abgemildert hat.

Peter Hudis: Politiker haben oft die Angewohnheit, gegen Menschenrechtsverletzungen zu protestieren und andere Probleme in China anzusprechen, wenn sie für ein Amt kandidieren. Sobald sie jedoch im Amt sind, verwerfen sie dies schnell und versuchen dann noch nicht einmal den Anschein zu wecken, sie würden Druck auf China ausüben. In dieser Hinsicht ist Obama nicht viel anders als seine Vorgänger, wie etwa Clinton. Man muss bedenken, dass fast sein gesamter außenpolitischer Stab schon der Clinton-Administration gedient hat. Es gibt jedoch derzeit einige neue Entwicklungen in den Beziehungen der USA zu China, da China im letzten Jahrzehnt deutlich mächtiger geworden ist und die USA noch nie so abhängig von der Finanzierung seiner Verschuldung durch China war.

Aus diesem Grund möchte Obama es um jeden Preis vermeiden, China vor den Kopf zu stoßen. Diejenigen, die hiervon überrascht sind, haben sich wahrscheinlich von Anfang an Illusionen über Obama gemacht. Gleichzeitig hat Obama jedoch seine Bereitschaft signalisiert, die nationalökonomischen Interessen der USA im Hinblick auf die ökologischen Fragen gegenüber China zu verteidigen. Eine Ursache für das weitgehende Scheitern der Kopenhagener Klimakonferenz war, dass die USA sich weigerten, Chinas Forderung zuzustimmen, von den CO2-Reduktionen ausgenommen zu werden. Die Obama-Administration weist Chinas Behauptung zurück, es sei immer noch ein Entwicklungsland und müsse daher noch unter besonderen Vorzeichen behandelt werden. Diese Position war jedoch zum größten Teil von Obamas Wunsch geprägt, keine Schwäche im Angesicht einer ausländischen Großmacht zu zeigen. Er behält dabei die republikanische Opposition in den USA im Auge, die ihn sofort attackieren würde, sobald er irgendetwas unternimmt, das auch nur im Ansatz konträr zu den Interessen der amerikanischen Wirtschaft stehen mag. Seine Haltung hat aber nichts mit der ernsthaften Absicht seinerseits zu tun, China generell herauszufordern.

Ich würde auch das Ausmaß der aktuellen protektionistischen Tendenzen in den USA nicht überbetonen. Obama ist genauso ein Anhänger des "freien Marktes" wie seine Vorgänger, und er weiß ganz genau, dass einer der wenigen Lichtblicke der amerikanischen Wirtschaft im vergangenen Jahr das Wachstum der US-Exporte war. Da die amerikanischen KonsumentInnen nicht mehr alleine in der Lage sind, die amerikanische Wirtschaft zu tragen, ganz zu schweigen von der Weltwirtschaft, machen protektionistische Maßnahmen aus einer bürgerlichen Sicht keinen Sinn.

Simon Birnbaum: In den Bush-Jahren haben sich viele linke Gruppierungen, auch in den USA, auf einen simplen Anti-Bushismus beschränkt, oft in Kombination mit Antiamerikanismus, kulturellem Relativismus und sogar Antisemitismus. Ideologien werden zwar nicht mit einem neuen Präsidenten beseitigt, aber können Sie dennoch eine objektivere Debatte innerhalb der Linken feststellen? Gerade auch vor dem Hintergrund einer Desillusionierung über Obama?

Kevin Anderson: Ich habe bisher noch kein großes Umdenken in Bezug auf Afghanistan oder Irak beobachten können. Die meisten Menschen in der Linken haben ihre Positionen vor fünf oder mehr Jahren entwickelt und bleiben ihnen verhaftet. Einige haben sich dem erwähnten vereinfachenden Typ des Antiimperialismus verschrieben. Andere dagegen haben innerhalb ihrer antiimperialistischen Position eine viel kritischere Haltung gegenüber den Taliban, dem fundamentalistischen irakischen Widerstand usw. eingenommen. Zu den letzteren zählen Organisationen wie Campaign for Peace and Democracy, ZNet, Bill Weinbergs World War 4 Report und die US Marxist-Humanists. Die Desillusionierung über Obama wird bedeuten, dass beide Seiten der Linken ihre Kritik stärker auf Obama fokussieren werden. Allerdings führt dies nicht zwangsläufig zu einer kritischeren Form des Antiimperialismus.

Es hat jedoch in den letzten sechs Monaten einige hitzige Debatten über die iranische Demokratiebewegung gegeben. Von Beginn der massenhaften Proteste gegen das Wahlergebnis an haben einige plumpe Antiimperialisten die Bewegung abgetan, weil sie aus einer Minderheit der Mittelklasse oder einer westlich gebildeten Elite bestehe. Zugleich behaupteten sie, dass Ahmadinejad die Wahl tatsächlich gewonnen hatte. Den unverhohlensten Versuch dieser Art unternahm James Petras, ein bekannter lateinamerikanischer Soziologe. Viele andere wurden von der Umarmung Ahmadinejads durch Hugo Chávez beeinflusst. Selbst die geachtete Monthly Review hat solchen Positionen viel Platz auf ihrer Internetseite eingeräumt, was dann zum Rücktritt von Barbara Epstein führte, einer der bekanntesten RedakteurInnen des Journals. In der Debatte um den Iran waren jedoch die kritischeren Elemente der amerikanischen Linken in einer stärkeren Position. Nahezu alle linken iranischen Intellektuellen - sowohl im Land selbst wie auch im Ausland - unterstützen die Protestbewegung. Und selbst Intellektuelle wie Noam Chomsky, der nach dem 11. September 2001 seine Kritik an den Taliban und Al Kaida heruntergespielt hatte, unterschrieben Stellungnahmen, die entweder die iranischen Proteste unterstützten oder zumindest ein Ende ihrer brutalen Unterdrückung forderten. Umfassendere Unterstützungsbekundungen und Analysen kamen aus den oben erwähnten kritischen antiimperialistischen Kreisen. Dies kann beispielsweise in unserem Statement vom letzten Herbst, "Support the Iranian People's Movement against the Repressive Regime!" nachgelesen werden. Oder auf Frieda Afarys blog "Iranian Progressives in Translation", einer der vielen Quellen aus der iranischen Community, die die amerikanische Linke beeinflussen.

Simon Birnbaum: Wie steht es um die Friedensbewegung hinsichtlich des "Kriegs gegen den Terror"? Zu Beginn des Irakkrieges war sie in den USA eine Massenbewegung, allerdings genauso wie sonst auch auf der Welt hauptsächlich von den oben genannten Ideologien geprägt. Viele Menschen aus dem Spektrum der Demokratischen Partei waren Teil dieser Bewegung und machten ihre ersten Erfahrungen mit staatlicher Gewalt. Findet man noch irgendetwas von dem Geist dieser Bewegung in der gesellschaftlichen Mitte?

Peter Hudis: Die massive, jedoch kurzlebige Antikriegsbewegung, die 2002 und 2003 in Opposition zu Bushs Plänen im Irak entstanden war, hat tatsächlich die verschiedensten Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammengeführt. Als jedoch klar wurde, dass Bush überhaupt kein Ohr für die KritikerInnen seines Irak-Abenteuers hatte, schrumpften die Proteste dramatisch. In den letzten Jahren gab es in den USA so gut wie gar keine linke Antikriegsbewegung mehr, obwohl es hin und wieder zu Aufmärschen und Kundgebungen durch Gruppierungen der traditionellen Linken kam. In der Zwischenzeit bewirkte die Obama-Kampagne, dass viele KriegsgegnerInnen ihr Vertrauen in seine Wahl legten, statt den Versuch zu unternehmen, die Antikriegsproteste zu revitalisieren. Allerdings gab es in den vergangenen Monaten Anzeichen einer Erneuerung von Antikriegsaktivitäten. Viele AnhängerInnen Obamas waren schockiert von seiner Ausweitung des Afghanistankriegs, und eine ganze Reihe von Kundgebungen sind für diesen Frühling angekündigt. Allerdings bleibt weiterhin das Problem, dass es notwendig ist, den Widerstand gegen die Aufrüstung des US-Militärs so auszudrücken, dass dabei keine Entschuldigung der Taliban oder eine Verharmlosung der wirklich sehr realen Bedrohung durch terroristische Attacken auf die USA stattfindet. Die Antikriegslinke hat zum großen Teil noch kein Mittel gefunden, um sich mit beiden Seiten dieses Widerspruchs auseinanderzusetzen.

Simon Birnbaum: Gibt es Anzeichen einer "alternativen Außenpolitik" durch die proletarische Bewegung? Etwa durch die Wobblies auf der einen, radikaleren Seite und die offiziellen Gewerkschaften auf der anderen, reformistischeren Seite?

Kevin Anderson: Es hat einige Versuche gegeben, wobei diese eine Minderheitenposition innerhalb der linken und der Antikriegsbewegungen einnehmen. Gruppierungen wie die US Labor Against the War haben sich sowohl gegen den Krieg und die Besatzung im Irak gestellt, als auch irakische Gewerkschaften unterstützt. Sie haben diese neuen unabhängigen Gewerkschaften einerseits gegen Repressionen durch die US-gestützte irakische Regierung unterstützt, andererseits auch gegen fundamentalistische Gruppierungen.

Im Hinblick auf Afghanistan, wo die Arbeiterbewegung nicht sehr entwickelt ist, hat es seit Jahren ähnliche Versuche gegeben, säkulare feministische Gruppen wie die Revolutionary Association of the Women of Afghanistan (RAWA) zu unterstützen und sich gleichzeitig dem Krieg zu widersetzen. Diese Themen treten nun aufgrund der Ausweitung des Kriegs in Afghanistan durch sowohl US/NATO-Truppen und die Taliban als auch durch des Übergreifens des Konflikts auf Pakistan wieder stärker hervor.

Die Campaign for Peace and Democracy wird demnächst eine Stellungnahme veröffentlichen, die die amerikanischen Drohnenangriffe in Pakistan kritisiert. Sie hat schon vorher Erklärungen veröffentlicht, die stark auf die Gefahren durch die Taliban hinweisen
(siehe http://www.cpdweb.org/stmts/1014/stmt.shtml).

Peter Hudis: Es hat Bemühungen in der amerikanischen Arbeiterbewegung gegeben, einen höheren Grad der internationalen Zusammenarbeit zu entwickeln. Ein Beispiel hierfür ist die Verbindung, welche die UE (United Electrical workers' union) mit der unabhängigen Gewerkschaft FAT in Mexiko eingegangen ist. Ein anderes Beispiel ist die von amerikanischen ArbeiterInnen geäußerte Absicht, die Gründung unabhängiger Gewerkschaften im Irak und Iran zu unterstützen, etwa im Rahmen von US Labor Against the War. Allerdings sind diese Anstrengungen weiterhin relativ marginal und der jüngste wirtschaftliche Abschwung hat das Schmieden solcher Verbindungen nur noch schwieriger gemacht. Die meisten Gewerkschaften in den USA sehen ArbeiterInnen im Ausland als KonkurrentInnen der amerikanischen ArbeiterInnen. Die etwas progressiveren Gewerkschaften sehen sich in den USA vor eine ganze Reihe schwieriger Herausforderungen gestellt. Es stimmt, dass die aktuelle Krise prinzipiell einen guten Grund für ArbeiterInnen darstellt, "einen globalen Kampf wieder aufzunehmen". Aber wenn die Gewerkschaften sich unmittelbaren Problemen wie Einschränkungen ihrer Organisationsmöglichkeiten (welche die Obama-Administration nicht aufgehoben hat, trotzt ihrer früheren Versprechen) und einer sinkenden Mitgliederanzahl durch Entlassungen ausgesetzt sehen, dann scheinen die materiellen Bedingungen für einen solchen Internationalismus nicht gegeben zu sein. Es wäre leichter, die Ausweitung internationaler Verbindungen zu einem Zeitpunkt zu thematisieren, wenn die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften am Wachsen ist. Dies ist jedoch heute in den USA nicht der Fall. Umso wichtiger ist es allerdings, dass kleinere Gruppen radikaler AktivistInnen und DenkerInnen wenigstens die Idee einer solchen internationalen Solidarität am Leben erhalten.


Peter Hudis ist Dozent für Philosophie am Oakton Community College.
Kevin Anderson ist Professor für politische Wissenschaft an der University of California in Santa Barbara. Beide sind Mitgründer der Gruppe U.S. Marxists Humanists, eine der verschiedenen Organisationen in der Tradition des US-amerikanischen marxistischen Humanismus.

Das Interview führte Simon Birnbaum.
Übersetzung: David Jüngst


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 317 - März / April 2010


Themenschwerpunkt:
No he can't - US-Außenpolitik in alten Mustern


INHALTSÜBERSICHT

Hefteditorial: Ein harter Winter


Politik und Ökonomie

Entwicklungspolitik: Ein zufälliger Treppenwitz
Unter liberaler Führung macht sich das BMZ unwichtig
von Paul Freude

Kuba: Reis und Bohnen
Wohin führen Raúl Castros Reformen den kubanischen Sozialismus?
von Sören Scholvin

Klimapolitik: No Gender
Der Klimagipfel versagte auch bei der Geschlechtergerechtigkeit
von Ulrike Röhr

Guinea: Ein militärischer Ohnmachtsbeweis Guinea zwischen Furcht vor Gewalt und Hoffnung auf Demokratisierung
von Joschka Philipps

Antisemitismus: Völkische Projektionen
Antisemitismus in der ethnologischen Afrikaforschung
von Florian Eisheuer


Schwerpunkt: US-Außenpolitik

Editorial: US-Außenpolitik

Quicker on the Trigger
Obamas Außenpolitik oszilliert zwischen Dialog und Drohnen
von Richard Gebhardt und Jannis Kompsopoulos

Immer auf der Kippe
Die USA und ihr wechselhaftes Verhältnis zu Israel
von Michael Hahn

Ein smarter Hinterhof
Lateinamerika hegt gegenüber Obamas Politik keine großen Hoffnungen mehr
von Tobias Lambert

Yes we might
Obamas Entwicklungs- und Afrikapolitik verharrt in Warteposition
von Jan Bachmann

Vereint gegeneinander
Konkurrenz und Kooperation der Weltmächte USA und China
von Sören Scholvin

»Der Obama-Effekt untergräbt die Linke«
Interview mit Peter Hudis und Kevin Anderson über US-Außenpolitik


Kultur und Debatte

Debatte: So einfach ist es nicht
Eine Replik auf die Kritik der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«
von Christian Stock und Udo Wolter

Kunst: Ich bin wer
Das postkoloniale Fotoprojekt Stagings Made in Namibia
von Dag Henrichsen

Rassismus: Tatortbesichtigung
Postkoloniales und Rassistisches in der sonntäglichen Krimiserie
von Stephan Cohrs

Gender: Trans-Formiert!
Das erste Festival für Transgender-Identitäten in Buenos Aires
von Daphne Ebner

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 317 - März / April 2010, S. 33-35
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2010