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IMI/900: Europa und der neoliberale Extraktivismus in Südafrika


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Studie 2018/08 vom 26. Oktober 2018

Europa und der neoliberale Extraktivismus in Südafrika
Ungleiche Entwicklung und die Externalisierung von Gewalt

von Simon Lang


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung
2. Neoliberaler Extraktivismus
2.1. Die neoliberale Wende
2.2. Mechanismen neoliberaler Rohstoffaneignung
3. Die Handels- und Rohstoffpolitik der Europäischen Union
4. Südafrika und der Handel mit der Europäischen Union
4.1. Die Neoliberalisierung Südafrikas
4.2. Südafrikas Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union
5. Die Gewaltförmigkeit des neoliberalen Extraktivismus
6. Die Remilitarisierung Südafrikas
6.1. Südafrika als eigenständiger Sicherheitsakteur
6.2. Die Paramilitarisierung der südafrikanischen Polizei
7. Das Massaker von Marikana
7.1. Vorgeschichte, Verlauf und Aufarbeitung
7.2. Der Bezug zu Europa
8. Die Externalisierung extraktivistischer Gewalt
Anmerkungen


1. Einleitung

Unser gegenwärtiges Weltwirtschaftssystem zeichnet sich durch eine immense Ressourcenintensität aus. Aktuell beanspruchen die Produktions- und Konsummuster des globalen Kapitalismus jährlich etwa 80 Milliarden Tonnen natürlicher Rohstoffe (die üblicherweise in vier Kategorien unterteilt werden: Biomasse, Mineralien, fossile Energieträger und Metalle). Monika Dittrich und KollegInnen beziffern einen nachhaltigen Ressourcenverbrauch in einer Studie aus dem Jahr 2012 auf jährlich 50 Milliarden Tonnen. Gleichzeitig schätzt das AutorInnenteam, dass eine Fortführung gegenwärtiger Akkumulationsmuster bereits 2050 einen Rohstoffbedarf von ca. 180 Milliarden Tonnen im Jahr aufweisen würde (1).

Viele BeobachterInnen fordern deshalb einen Umstieg auf "grünes Wachstum". Damit ist die Vorstellung verbunden, Umweltschäden und Ressourcenverbrauch über politische und technologische Innovationen bei Beibehaltung kapitalistischer, wachstumsfokussierter Produktionsverhältnisse hinreichend reduzieren zu können. Aktuelle Studien - unter anderem der Vereinten Nationen - zeigen jedoch, dass eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs unter das momentane Level bei gleichzeitiger Wachstumsausrichtung selbst unter optimistischen Annahmen wie hohen globalen Kohlenstoff- und Extraktionssteuern sowie rasanten technologischen Effizienzgewinnen bis zum Jahr 2050 nicht zu bewerkstelligen ist. Im Gegenteil: Auch in solchen Szenarien ist von einem weiteren Anstieg des weltweiten Rohstoffbedarfs auszugehen (2).

Neben dem steigenden Verbrauch, der mit immer deutlicher zu Tage tretenden ökologischen Verwerfungen einhergeht, sind kapitalistischen Verwertungsprozessen auch chronische Unterschiede regionaler Produktions-, Verarbeitungs- und Konsummuster von Rohstoffen inhärent. Nachdem hochentwickelte, insbesondere westliche Industrienationen trotz zunehmender Verlagerung verarbeitender Wirtschaftsbranchen in aufstrebende Schwellenländer weiterhin überproportional viele Ressourcen - mitunter in weiterverarbeiteter Form - zur industriellen Produktion sowie zum Endverbrauch importieren, beschränken sich die Wirtschaftstätigkeiten vieler Entwicklungsländer nach wie vor größtenteils auf die Förderung und den Export von Rohstoffen. Die Verfestigung dieser Tendenzen ist zu einem nicht unerheblichen Teil auch auf die weltwirtschaftlichen Entwicklungen seit den 1970er Jahren zurückzuführen. Die mit der neoliberalen Wende einhergegangene wirtschaftspolitische Öffnung vieler unterentwickelter Staaten erschwerte es diesen zunehmend, eine unabhängige Industrialisierung voranzutreiben. Im Windschatten der USA pochten vor allem auch die (west-)europäischen Länder auf die Durchsetzung neoliberaler Spielregeln globaler Handels- und Investitionspolitiken.

Die dadurch initiierten neoliberalen Vergesellschaftungsprozesse befeuerten in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern soziale Konfliktsituationen. Insbesondere in den exportorientierten Rohstoffsektoren treten diese oftmals deutlich zu Tage. Proteste, Demonstrationen und Streiks marginalisierter ArbeiterInnen und anderer Bevölkerungsgruppen werden dabei nicht selten von staatlicher Seite gewaltvoll niedergeschlagen. Dass staatliche Repression in (semi-)peripheren Ländern dabei jedoch nicht losgelöst von politökonomisch vermittelten globalen Herrschafts- und Machtasymmetrien zugunsten politischer und wirtschaftlicher Eliten, ja mitunter auch großer Teile der Mittelschichtsbevölkerungen des globalen Nordens zu verstehen ist, wird in diesem Zusammenhang oftmals nur unzulänglich reflektiert. Einen Grund, weshalb diese Relationen häufig nicht weiter berücksichtigt werden, stellt wohl die Tatsache dar, dass sich (westliche) Industrienationen aufgrund fehlender sicherheitspolitischer Kooperationsprojekte mit den entsprechenden Entwick lungsländern im öffentlichen Diskurs vermeintlich glaubhaft von der ausgeübten Gewalt distanzieren können. Die subtileren Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse der internationalen politischen Ökonomie, die mitunter blutige Repressionsbemühungen in der (Semi-)Peripherie bedingen, werden ausgeblendet.

Ein eindrückliches Beispiel hierfür ist das sogenannte "Massaker von Marikana" vom 16. August 2012. Marikana ist eine Ortschaft in einer südafrikanischen Bergbauregion, in der unter anderem große Mengen an wertvollen Platingruppenmetallen abgebaut werden. Als am 10. August 2012 MinenarbeiterInnen des dort ansässigen südafrikanisch-britischen Bergbaukonzerns Lonmin in einen "ungeschützten" Streik traten, um gegen niedrige Löhne und Arbeitsbedingungen zu protestieren, schoss die südafrikanische Polizei nach mehreren Tagen gewaltvoller Auseinandersetzungen am 16. August 2012 insgesamt 34 streikende ArbeiterInnen nieder. Innerhalb Europas, das der wichtigste Importeur südafrikanischer Rohstoffexporte ist, wurde das Ereignis in der nachfolgenden Berichterstattung lange Zeit als das Ergebnis rein innergesellschaftlicher Problemlagen Südafrikas interpretiert. Dass die extraktiven neoliberalisierten Wirtschaftsstrukturen sowie die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen in Südafrika auch Folge weltwirtschaftlicher Strukturzwänge sind, fand im öffentlichen Diskurs wenig Raum. So ließen sich beispielsweise in der deutschen Berichterstattung zunächst keine Hinweise darauf finden, dass der deutsche Chemiekonzern BASF zum Zeitpunkt des Massakers kaufkräftigster Kunde des Bergbauunternehmens Lonmin war.

In der vorliegenden Arbeit soll nun der bereits skizzierte Zusammenhang zwischen neoliberalem Extraktivismus, ungleicher und abhängiger globaler Entwicklungspfade und der Externalisierung von Gewalt in rohstoffreiche Schwellen- und Entwicklungsländer am Beispiel der Relation zwischen dem Massaker von Marikana und der europäischen Handels- und Rohstoffpolitik näher ausgeführt werden. Dazu werden zunächst der historische Kontext und die spezifischen Charakteristika der extraktivistischen Neoliberalisierung der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten beleuchtet. Inwiefern die Europäische Union als eine maßgebliche Profiteurin dieser ungleichen Entwicklungen mittels ihrer aktuellen Handels- und Rohstoffpolitik dazu beiträgt, dass (semi-)periphere Länder auch weiterhin in ihren Abhängigkeitsverhältnissen verhaftet bleiben, soll im daran anschließenden Kapitel dargestellt werden. Darauf folgt ein Abschnitt zu den historischen Umständen der Neoliberalisierung Südafrikas seit dem Ende der Apartheid sowie der Bedeutung südafrikanischer Rohstoffexporte für die Europäische Union. Im anschließenden Kapitel wird der Zusammenhang zwischen neoliberalem Extraktivismus und gewaltförmiger Repression in der (Semi-)Peripherie erörtert. Dieser Zusammenhang wird daraufhin am Beispiel der Remilitarisierung Südafrikas seit Anfang der 2000er Jahre sowie des vorläufigen Höhepunkts dieser Entwicklung beim Massaker von Marikana im August 2012 veranschaulicht. Die Arbeit schließt mit einem Fazit.


2. Neoliberaler Extraktivismus

2.1. Die neoliberale Wende

Die unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkrieges verfolgte Wirtschafts- und Außenpolitik westlicher kapitalistischer Demokratien war maßgeblich durch den zu dieser Zeit vorherrschenden Klassenkompromiss zwischen Kapital und Arbeit geprägt. Aufgrund der noch lebhaften Erinnerungen an die verheerenden Folgen der Weltwirtschaftskrise sowie die Schrecken des Krieges verständigte man sich auf eine internationale Nachkriegsarchitektur, die vergangene Exzesse kapitalistischer Akkumulationsdynamiken und interimperialistischer Rivalitäten in Zukunft verhindern sollte (3).

Dies schien auch vor allem vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Systemkonkurrenz zwischen dem von den USA dominierten kapitalistischen Westen und dem staatskommunistischen Osten unter der Führung der Sowjetunion geboten zu sein, um politische Auseinandersetzungen zumindest ein Stück weit über supranational institutionalisierte Rahmenbedingungen zu regulieren. Zu diesem Zweck wurden eine Reihe von internationalen Organisationen geschaffen: darunter die Vereinten Nationen sowie die Bretton-Woods-Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF). Der zwischenstaatliche Handel war in ein währungspolitisches Regime fester Wechselkurse unter der Dominanz des durch Gold gedeckten US-Dollars eingebunden. In diesem Rahmen war es möglich, ja sogar nötig, transnationale Kapitalströme streng zu regulieren, was eine gewisse nationale Unabhängigkeit sozial- und wirtschaftspolitischer Entscheidungen zuließ. Infolgedessen verfolgten die meisten westlichen Industrienationen nachfrageseitige keynesianische Wirtschaftspolitiken, die eine starke Ausrichtung auf Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum und sozialem Ausgleich erkennen ließen.

Ende der 1960er Jahre stürzte dieses Akkumulationsregime jedoch in eine tiefe Krise (4). Arbeitslosigkeit und Inflationsratenstiegen rasant an. Gleichzeitig brachen weltweit die Wachstumsraten ein. Aufgrund dieses spezifischen Charakteristikums - galoppierende Inflation bei stagnierendem Wachstum - wird zur Beschreibung dieses wirtschaftshistorischen Einschnitts heute auch der Begriff der "Stagflationskrise" benutzt. Die Symptome der Krise sollten jedoch nicht mit dem eigentlichen Grund dieser verwechselt werden: Die tiefer liegende Ursache der Stagflation war eine Krise der Profitabilität (5). Nach keynesianischer Lesart sollte in Zeiten wirtschaftlicher Rezession eine expansive Fiskalpolitik dazu beitragen, privatwirtschaftliche Innovationen und damit Wachstumsimpulse auszulösen. Da bei tendenziell sinkenden Profitraten allerdings auch die Reinvestitionsmöglichkeiten privater Unternehmen geschmälert werden, kann eine allzu freigiebige Fiskalpolitik dazu führen, dass überschüssige Kaufkraft inflationär wirkt. Bei weiterhin stagnierendem Wirtschaftswachstum folgen daraus die typischen Merkmale der Stagflationskrise: hohe Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Inflationssteigerung.

Ferner trug auch das während des Vietnamkriegs massiv angestiegene Außenhandelsdefizit der USA und der damit einhergehende Abwertungsdruck auf den US-Dollar dazu bei, dass dessen fixe Goldkonvertibilität zunehmend in Frage gestellt wurde. Dieser Umstand mündete letztendlich in der unilateralen Aufhebung des Goldstandards seitens der USA im Jahr 1971 und dem Übergang zu einem internationalen System flexibler Wechselkurse. In den darauf folgenden Jahren setzte sich im Verlauf anfangs stark umkämpfter Auseinandersetzungen um mögliche wirtschaftspolitische Alternativen eine politökonomische Praxis durch, die heute von vielen (insbesondere kritischen) BeobachterInnen als Neoliberalismus bezeichnet wird (6).

Der Neoliberalismus beschreibt dabei ein Wirtschaftssystem, das spätestens mit dem Zerfall der Sowjetunion und der kapitalistischen Umstrukturierung der daraus hervorgehenden postsozialistischen Staaten globale Hegemonie erreicht hat und diese zumindest in westlichen Industrienationen 7 trotz der in Folge der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2007/8 vielerorts wiederaufkommenden Fundamentalkritik an neoliberal-kapitalistischen Verwerfungen weiterhin aufrecht erhält. Die zentralen Merkmale neoliberaler Politik leiten sich von einer Ideologie universaler Nützlichkeit freier Marktprozesse ab (8). Demnach ist menschlichem Wohlstand und gesellschaftlicher Prosperität bestmöglich dadurch gedient, dass individuelles Unternehmertum und der dafür erforderliche institutionelle Rahmen privater Eigentumsrechte, offener Märkte und Handelsbeziehungen gefördert werden (9). Die konkreten Folgen dieser Weltanschauung waren weitreichende Deregulierungen von Güter- und Dienstleistungs-, Arbeits- sowie Kapitalmärkten, Privatisierungen ehemaliger Staatsunternehmen (mitunter auch in Schlüsselindustrien) und die Senkung internationaler Handels- und Investitionshemmnisse. Der Staat sollte nunmehr lediglich dafür sorgen, dass günstige Rahmenbedingungen privatwirtschaftlicher Akkumulation gewährleistet werden und interventionistische Industrie- und Fiskalpolitiken möglichst unterlassen. Dies ging einher mit einer angebotsseitigen Wirtschaftspolitik, die über den Weg unternehmensfreundlicher Anreize wie Steuersenkungen gesamtgesellschaftliche Entwicklungsimpulse zu setzen versuchte. Oberste Priorität staatlicher Geldpolitik war nun die frühzeitige Unterbindung inflationärer Schübe.

Die neoliberale Wende bewirkte eine signifikante Stärkung des (transnational ausgerichteten) Kapitals, was sich nicht zuletzt in der Erholung der Nettoprofitabilität US-amerikanischer Firmen niederschlug (10). Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die umfassenden Liberalisierungen globaler Kapitalströme multinational tätigen Unternehmen die Möglichkeit gaben, weltweit unterschiedliche Lohnniveaus (11) und Produktionsbedingungen auszunutzen und damit Staaten über die Androhung von Produktionsverlagerungen oder Investitionsstreiks dazu zu veranlassen, in einen internationalen Standortwettbewerb zueinander zu treten.

Die neoliberale Globalisierung vereinnahmte in den 1980er und insbesondere seit den 1990er Jahren auch zunehmend Entwicklungs- und Schwellenländer. Viele davon mussten sich aufgrund von Schuldenkrisen dem Diktat des IWF beugen und ihre nationalen Ökonomien im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen nach neoliberalen Maßstäben umstrukturieren. Entgegen orthodoxen Dogmen, vor allem der prominenten Freihandelstheorie komparativer Kostenvorteile des Ökonomen David Ricardo, wonach ein liberalisierter Handel im Interesse aller Staaten - egal welches Entwicklungsstandes - ist, zeigte die Realität ein anderes Bild (12). So stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Südamerika und der Karibik zwischen 1960 und 1980, als die meisten Länder dieser Region eine importsubstituierende, vergleichsweise protektionistische Wirtschaftspolitik verfolgten, noch um 75%, während es in den darauf folgenden zwei Dekaden neoliberaler Umstrukturierung um lediglich 7% zunahm. In Afrika ließ sich Ähnliches - wenn auch weitaus dramatischer - beobachten: Die erste Periode verzeichnete einen Anstieg des BIP pro Kopf um 34%. In der zweiten Periode kehrte sich dieser positive Trend um und es folgte ein Abfall des Pro-Kopf-BIP um 15% (13). Diejenigen Entwicklungs- und Schwellenländer, welchen es zu dieser Zeit gelang, der Unterentwicklung erfolgreich zu entkommen, taten dies größtenteils, indem sie sich explizit nicht an neoliberalen Dogmen orientierten (14). Letztendlich bewirkten die ersten beiden Jahrzehnte neoliberaler Politik einen enormen Anstieg globaler Ungleichheit: Besaßen die reichsten Nationen der Welt 1980 noch ein Medianeinkommen, das das 77-fache der ärmsten Länder betrug, so hatte sich diese ohnehin schon immense Ungleichheit 1999 auf das 122-fache erhöht (15).

Die neoliberale Umgestaltung des globalen Kapitalismus hat demnach die geographisch stets ungleichen Entwicklungsdynamiken kapitalistischer Akkumulation weiter polarisiert. Primärer Profiteure dieser Entwicklung waren und sind die bereits industrialisierten (vor allem westlichen) Länder (16) und deren (transnationale) Kapitalfraktionen. Die Abschaffung bis dato ausgeprägter Handels- und Investitionshemmnisse in vielen unterentwickelten Ländern ermöglichte u.a. die Erschließung neuer Absatzmärkte (über Exporte oder Direktinvestitionen), die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte durch Produktionsverlagerungen sowie die Aneignung günstiger Rohstoffe (über Importe und Direktinvestitionen). Die PolitikwissenschaftlerInnen Utsa und Prabhat Patnaik weisen darauf hin, dass die neoliberale Eingliederung von rohstoffexportierenden Entwicklungsländern in einen von Machtasymmetrien geprägten Weltmarkt dazu beigetragen hat, dass die BewohnerInnen dieser Länder aufgrund der konstant niedrigen Löhne (17) keine Möglichkeit haben, die eigenen Rohstoffe kaufkräftig nachzufragen, was einer Rohstoffpreisinflation entgegenwirkt und somit zur Stabilität internationaler Zahlungsmittel beiträgt sowie billige Exportrohstoffe gewährleistet: beides im Sinne kapitalistischer Metropolen (18).


2.2. Mechanismen neoliberaler Rohstoffaneignung

Nachdem freihandelspolitische Maßnahmen eine unabhängige Industrialisierung von unterentwickelten rohstoffexportierenden Ländern immens erschweren, da ohne protektionistische Vorkehrungen lokale im Entstehen begriffene Industrien auf dem Weltmarkt gegenüber hocheffizienten, kapitalintensiven Konkurrenzunternehmen nicht bestehen können, werben viele Entwicklungsländer stattdessen um ausländische Direktinvestitionen, um die eigene Wirtschaft zu modernisieren. Diese können im besten Falle Arbeitsplätze vor Ort schaffen, Wissenstransfers auslösen und lokale vor- oder nachgelagerte Industrien fördern. In vielen Entwicklungsländern lassen sich derartige positive Synergieeffekte jedoch nicht beobachten. So konnten beispielweise afrikanische Staaten bislang nur sehr eingeschränkt ausländische Direktinvestitionen anziehen, die eine förderliche Wirkung auf Diversifikationsbemühungen hatten. Vielmehr fließt nach wie vor der Großteil der Investitionen in den extraktiven Sektor (19). Dabei ist gerade diese Investitionsform problematisch, da sie oftmals nur unzureichende Technologietransfers bewirkt, im Rahmen von Sondersteuerabkommen geringe Steuereinkünfte generiert, wenig lokale Arbeitsplätze schafft und mitunter auch mit Umweltbelastungen und Menschenrechtsverletzungen assoziiert ist (20). Des Weiteren gibt es einige Belege dafür, dass ausländische Direktinvestitionen eher Folge von Wirtschaftswachstum sind, als dieses zu verursachen (21).

Vieles deutet also darauf hin, dass eine neoliberale Handels- und Investitionspolitik die Unterentwicklung rohstoffexportierender armer Länder perpetuiert, ja sogar verstärkt. Demnach sollte es nicht verwundern, dass heute immer noch für zwei Drittel der Länder des Globalen Südens - darunter praktisch alle Staaten des subsaharischen Afrikas - Rohstoffe die Hauptexportgüter darstellen (22). Dabei hat die Liberalisierung internationaler Wirtschaftsbeziehungen den Zugriff auf natürliche Ressourcen von Entwicklungsländern stark intensiviert. So stieg beispielsweise Afrikas physisches Rohstoffhandelsvolumen zwischen 1980 und 2008 von etwa 260 Millionen auf 506 Millionen Tonnen an (23). Dieser Trend ist auch auf globaler Ebene zu beobachten: In den vier Dekaden nach 1970 hat sich der weltweite Handel mit Rohstoffen vervierfacht und lag 2010 bei über 10 Milliarden Tonnen (24). Damit stieg das internationale Handelsvolumen schneller an als die diesem zugrundeliegenden Extraktionsmengen, die sich im gleichen Zeitraum von 22 Milliarden auf 70 Milliarden Tonnen verdreifachten (25). Da sich die Weltbevölkerung in dieser Periode knapp verdoppelte, impliziert dies einen signifikanten Pro-Kopf-Anstieg an extrahierten und gehandelten Rohstoffen. Der letztendliche Konsum dieser Rohstoffe fällt allerdings aufgrund der asymmetrischen neoliberal-kapitalistischen Akkumulations- und Distributionsdynamiken höchst ungleich aus. Der jährliche Pro-Kopf-Konsum lag im Jahr 2010 in den Regionen Asien und Pazifik, Lateinamerika und der Karibik sowie Westasien zwischen 9 und 10 Tonnen. Europa und Nordamerika verzeichneten mit jeweils etwa 20 und 25 Tonnen den höchsten Verbrauch. Die BewohnerInnen der Länder Osteuropas, des Kaukasus und Mittelasiens konsumierten pro Kopf circa 7,5 Tonnen. Afrika lag bei lediglich knapp 3 Tonnen (26). Es ist davon auszugehen, dass der Ressourcenkonsum auch innerhalb der Regionen und deren jeweiligen Ländern sehr ungleich verteilt ist. Inwiefern die Europäische Union dazu beiträgt, dass sich dieses Verteilungsmuster auch in Zukunft in ihrem Sinne entwickelt, wird im folgenden Kapitel näher untersucht.


3. Die Handels- und Rohstoffpolitik der Europäischen Union

Europa ist der größte Nettorohstoffimporteur (nach Gewicht) der Welt (27). Insgesamt zwei Drittel aller EU-Importe entfallen auf Rohstoffe, Halbfabrikate und Komponenten (28). Im Jahr 2013 importierte die EU allein Rohstoffe im Wert von 410 Milliarden Euro (29). Nachdem die EU die heimische Nachfrage nach vielen Industriemineralien durch eigene Produktionsstätten decken kann (30), sind es insbesondere energetische Rohstoffe (Erdöl und -gas) sowie einige wichtige Metalle, die importiert werden müssen. Eine Vielzahl kapitalintensiver europäischer Industriesektoren ist darauf angewiesen, dass diese Bestandteile kostengünstig geliefert werden können. Dabei konzentriert sich der Großteil des Bedarfs an Rohstoffimporten in wenigen wirtschaftsstarken Ländern. Deutschland ist hier mit mehr als der Hälfte der Nettoimporte sicherlich der relevanteste Industriestandort. Weitere wichtige Destinationen sind Italien, Großbritannien, Belgien und Spanien (31).

Da in den 1970er Jahren aufgrund eines chronischen Überangebots auf den Weltmärkten eine lange Phase vergleichsweise niedriger Rohstoffpreise einsetzte, die bis zur Jahrtausendwende andauerte, sahen die meisten Industrienationen keinen Anlass, ihren Importhandel rohstoffpolitisch zu flankieren. Dies änderte sich jedoch, als 2003 ein anhaltender Rohstoffboom vielerorts die Befürchtung aufkommen ließ, dass - auch vor dem Hintergrund neuer rohstoffimportierender Rivalen wie China - eine zukünftige Versorgung mit kostengünstigen Ressourcen gefährdet sein könnte (32). Um die Politik dazu zu veranlassen, Maßnahmen zur effektiven Vorbeugung dieser Gefahr einzuleiten, starteten zur selben Zeit einige europäische Industrieverbände koordinierte Lobbykampagnen (33). 2003 entwickelte Eurometaux, der Verband der europäischen Nichteisen-Metallindustrie, einen auf zwei Jahre ausgelegten Aktionsplan zur Bewusstseins- und Allianzbildung auf EU- und nationaler Ebene, um auf 'Verzerrungen' beim Zugang zu Rohstoffen aufmerksam zu machen. Zwei Jahre darauf reichte der Verband Vorschläge für WTO-Verhandlungen über neue Vorschriften für Ausfuhrsteuern ein. Gleichzeitig beriet dieser die Generaldirektion Handel und die Generaldirektion Unternehmen zu Themen wie Ausfuhrbeschränkungen und anderen 'Wettbewerbsverzerrungen' (34). Auch der größte ArbeitgeberInnenverband Europas BusinessEurope (ehemals UNICE) versuchte u.a. über mehrere Positionspapiere, die EU zu einem energischeren Vorgehen gegen rohstoffbezogene 'Handelsbeschränkungen' von Drittstaaten zu bewegen (35). Auch aufgrund der Auswirkungen der intensiven Lobbyarbeit der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), auf die deutsche Bundesregierung (36) kulminierten diese Bemühungen im Jahr 2008 letztendlich in der Verabschiedung der EU-Rohstoffinitiative (37).

In diesem Strategiepapier sowie einer Reihe weiterer in den darauf folgenden Jahren veröffentlichter Anschlussberichte (38) übernimmt die Europäische Kommission weite Teile der von der europäischen Industrie zuvor formulierten Problemanalyse. So warnt das Dokument nicht nur vor den aufgrund ansteigender Rohstoffpreise drohenden Zulieferungsengpässen und negativen wirtschaftlichen Entwicklungen, sondern kritisiert vor allem die zunehmenden Exportrestriktionen und andere "wettbewerbsverzerrende" Maßnahmen von Schwellen- und Entwicklungsländern - insbesondere Russland und China -, die damit versuchen, ihre weiterverarbeitenden Industrien zu stärken. Auch die expandierenden, rohstoffpolitisch relevanten Handels- und Investitionsbeziehungen dieser Länder mit geopolitisch und geoökonomisch umkämpften Regionen z.B. in Afrika sieht die Europäische Kommission als potentielle Bedrohung. Vor diesem Hintergrund identifiziert die Initiative drei grundlegende Säulen einer zukünftigen EU-Rohstoffpolitik: erstens die Verbesserung des Zugangs zu Rohstoffen auf den Weltmärkten für europäische Unternehmen, zweitens eine optimierte Versorgung mit Rohstoffen aus europäischen Quellen und drittens die Steigerung der Ressourceneffizienz über technologische Innovationen (insbesondere beim Recycling) (39). Die erste Säule ist nicht nur im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit, sondern auch im Rahmen der Rohstoffinitiative selbst die relevanteste. Sie nimmt den weitaus größten Umfang innerhalb der Strategie ein und weist die meisten Unterkapitel auf. Unter dem Stichwort "aktive Rohstoffdiplomatie" plädiert die Europäische Kommission dabei für den koordinierten Einsatz des gesamten außenpolitischen Instrumentariums (Außenbeziehungen, Handel, Entwicklung, Sicherheit etc.) der EU zur Absicherung eines ungehinderten Ressourcenzugangs.

Um eine langfristige Planungsfähigkeit hinsichtlich der Versorgungssicherheit einzelner Rohstoffe gewährleisten zu können, sieht die Initiative zudem vor, in regelmäßigen Abständen Listen kritischer Rohstoffe zu erarbeiten. Die Kritikalität eines Rohstoffes wird dabei mithilfe einer stetig weiterentwickelten Methodik anhand der Parameter wirtschaftliche Bedeutung und Versorgungsrisiko beurteilt. Die Liste wird mindestens alle drei Jahre überarbeitet und liegt seit 2017 in ihrer aktuellen Version vor (40). Zählte die erste Liste aus dem Jahr 2011 noch 14 kritische Rohstoffe, so stieg die Anzahl dieser mit jeder weiteren Überarbeitung an: 2014 wurden 20 Rohstoffe als kritisch erachtet, 2017 erweiterte sich die Liste nochmals auf 27 (41).

Obwohl die Europäische Kommission zur Durchsetzung eines ungehinderten Zugriffs auf kritische und andere Rohstoffe einen ressortübergreifenden Ansatz verfolgt, fokussiert der Schwerpunkt dieser Strategie auf außenwirtschaftspolitische Maßnahmen. Dies ist wenig verwunderlich, stellt doch der Außenhandelskomplex den ältesten und am stärksten vergemeinschafteten Politikbereich der Europäischen Union dar und damit den "eigentliche[n] Kern ihres Außenhandelns" (42) - auch wenn die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in jüngster Zeit mehr und mehr an Bedeutung zu gewinnen scheint. Insbesondere seit der Veröffentlichung der Handelsstrategie "Global Europe" (43) im Jahr 2006 berücksichtigen außenwirtschaftspolitische Dokumente der EU auch vermehrt rohstoffpolitische Handelsaspekte (44). Auch hier räumt die Europäische Kommission europäischen Unternehmen eine prominente Stellung im Konsultationsprozess ein: "Die Unternehmen haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie aktiver an der Beseitigung von Hemmnissen mitwirken wollen. Die Kommission hält es daher für sinnvoll, sich häufiger mit den europäischen Unternehmen und den Mitgliedsstaaten zu trilateralen Gesprächen zu treffen und schlägt hierfür die Einrichtung eines eigenen Forums vor" (45). Der privilegierte Einfluss europäischer Kapitalinteressen auf die (Außen-) Wirtschaftspolitik der EU zeigte sich auch in den 1980er/1990er Jahren, als primär transnational orientierte Kapitalfraktionen in Form des European Round Table of Industrialists (ERT), einer Lobbyorganisation von rund 50 der größten europäischen multinationalen Unternehmen, den aufkommenden Diskurs um die Notwendigkeit internationaler "Wettbewerbsfähigkeit" der EU und die dafür erforderlichen neoliberalen Politiken maßgeblich in ihrem Sinne beeinflussen konnten (46).

Die neoliberale Ausrichtung der EU-Außenwirtschaftspolitik besteht auch heute noch, wie nicht zuletzt der handels- und investitionsliberalisierende Ansatz der Rohstoffinitiative aufzeigt. Dabei konzentriert sich die EU aufgrund der Stagnation multilateraler Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) seit geraumer Zeit vermehrt auf bilaterale Abkommen. Der Abbau von rohstoffrelevanten Exportrestriktionen ist wichtiger Bestandteil in all diesen Verträgen. Bislang hat die EU eine Reihe von Abkommen mit rohstoffreichen Ländern und Regionen (z.B. Südkorea, Vietnam, Kolumbien, Peru und Zentralamerika) geschlossen oder befindet sich noch in Verhandlungen (z.B. mit Australien, Malaysia, Thailand, Indonesien und Mercosur). Zudem wurden mit einigen europäischen rohstoffreichen Ländern (Georgien, Armenien und Ukraine) Assoziationsabkommen vereinbart (47). Auch die Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) mit den AKP-Staaten, eine Gruppe von 79 Entwicklungsländern aus Afrika, Karibik und dem Pazifik - viele davon ehemalige europäische Kolonien -, sind in diesem Kontext zu betrachten, da die EU - teilweise unter dem Einsatz erheblicher Druckmittel - versucht, diese Länder rohstoff- und handelspolitisch zu öffnen. Dies kritisierte auch der ehemalige stellvertretende Generaldirektor der WTO Ablassé Ouédraogo, als er 2010 feststellte: "Nach sieben Jahren vergeblicher Diskussionen versucht Europa nun, die [WPA] mit Zwang statt Dialog durchzusetzen. Wenn die Abkommen in ihrer derzeitigen Form endgültig in Kraft treten würden, würden sie den AKP-Staaten die wichtigsten politischen Instrumente, die sie für ihre Entwicklung benötigten, verwehren. Das Ergebnis stünde im völligen Widerspruch zu den ursprünglichen Zielen, darunter die Förderung der regionalen Integration und die Bekämpfung der Armut. Die Länder würden gehindert, ihre Produktion zu diversifizieren und sich aus der Abhängigkeit von einigen wenigen Exportgütern zu befreien" (48). Das erste afrikanische WPA wurde 2016 mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (englisch: Southern African Development Community; SADC) geschlossen, der u.a. auch Südafrika angehört. Bevor jedoch darauf sowie die Handelsbeziehungen zwischen der EU und Südafrika näher eingegangen wird, soll im Folgenden zunächst der Neoliberalisierungsprozess Südafrikas und dessen Auswirkungen auf die gegenwärtige Situation des Landes dargestellt werden.


4. Südafrika und der Handel mit der Europäischen Union


4.1. Die Neoliberalisierung Südafrikas

Am 26. April 1994 wurden die ersten freien und demokratischen Wahlen in der Geschichte Südafrikas abgehalten. Der Afrikanische Nationalkongress (englisch: African National Congress; ANC), eine politische Partei, die aufgrund ihres aktiven Engagements in der Anti-Apartheidbewegung bereits in der Vergangenheit weite Teile der schwarzen südafrikanischen Bevölkerung für sich gewinnen konnte, ging dabei als klarer Wahlsieger hervor. Am 10. Mai folgte die Vereidigung von Nelson Mandela, der zuvor wegen seines politischen Aktivismus 27 Jahre vom Apartheidregime inhaftiert worden war, als Staatspräsident. Nicht nur in Südafrika setzten Menschen immense Hoffnungen in den dadurch in Aussicht gestellten Demokratisierungsprozess. Doch obwohl dieser bedeutsame politische und verfassungsrechtliche Verbesserungen mit sich brachte, blieben die erwarteten positiven sozioökonomischen Transformationen weitgehend aus. "Viele der einstigen Hoffnungen, die mit dem Jahr 1994 assoziiert wurden, sind bis heute [...] für eine Mehrheit der Bevölkerung nicht Realität geworden" (49).

Dieser Umstand ist zu einem nicht unerheblichen Teil auf die letzten Jahrzehnte neoliberaler Politik des ANC (50) zurückzuführen. So gab es zwar seit dem Ende der Apartheid mitunter auch weitreichende sozialstaatliche Reformen, allerdings konnten diese Errungenschaften im Kontext der südafrikanischen Wirtschaftspolitik keine fundamentalen Verbesserungen im Bereich der Armutsbekämpfung, der sozialen Ungleichheit sowie der Arbeitslosigkeit bewirken. Dabei gab es viele Anhaltspunkte, die hoffen ließen, dass der ANC eine gerechtigkeitsorientierte Politik verfolgen würde. So forderte beispielsweise die Freiheitscharta aus dem Jahr 1955 (englisch: Freedom Charter), der wohl berühmteste konzeptionelle Gegenentwurf zur Apartheidgesellschaft, neben Bekenntnissen zu Demokratie, Gleichberechtigung und der Achtung von Menschenrechten auch radikale wirtschaftspolitische Maßnahmen wie die teilweise Nationalisierung/Kollektivierung von Schlüsselindustrien, Banken und Bodenschätzen. Obwohl die Charta eine herausragende Stellung innerhalb der Geschichte des ANC einnimmt, setzten sich ab 1994 letztlich andere Vorstellungen durch.

Der ehemalige Kabinettsminister Ronnie Kasrils datiert den entscheidenden Moment der neoliberalen Wende Südafrikas auf den Vorabend der ersten demokratischen Wahlen, als die ANC-Führungsriege einen IWF-Kredit zur Abzahlung der Schulden des Apartheidregimes annahm - gepaart mit den obligatorischen Strukturanpassungen (51). Kasrils schlussfolgert dazu: "Zwischen 1991 und 1996 entbrannte ein Kampf um die Seele des ANC, der letztendlich von der Macht der Unternehmen gewonnen wurde: Wir wurden von der neoliberalen Ökonomie vereinnahmt - oder, wie heute einige beklagen, wir 'haben unsere Bevölkerung den Bach runtergehen lassen'" (52). Im Jahr 1996 verabschiedete der ANC unter der Präsidentschaft Mandelas die makroökonomische Strategie "Growth, Employment and Redistribution" (GEAR), deren neoliberale Orthodoxie fortan richtungsweisend sein sollte (53).

Diese Entwicklungen blieben natürlich nicht ohne Folgen für die südafrikanische Wirtschaft, deren zentrales Element traditionell der Bergbausektor ist. In diesem Zusammenhang sprechen einige Autoren auch von einem mineralisch-energetischen Komplex (englisch: Minerals-Energy Complex; MEC) (54) , der für die weitläufigen Abhängigkeitsverhältnisse vieler Zulieferer- und Versorgungsindustrien zu den südafrikanischen Bergbaukonglomeraten steht (55). Der Bergbausektor an sich hat dabei in den letzten Jahrzehnten viele Veränderungen erfahren. Zunächst ist sein relativer Anteil am südafrikanischen BIP stetig gesunken: 1980 lag dieser noch bei 22,2%, 2014 nur noch bei 7,6% (56). Der Beitrag von Bergbauprodukten und (leicht verarbeiteten) Mineralien zur Gesamtheit an exportierten Gütern ist allerdings mit 40,1% nach wie vor hoch (57). Was die Zusammensetzung der geförderten Bergbauprodukte betrifft, so lässt sich ein relativer Bedeutungsverlust von Gold zugunsten von Metallen der Platingruppe feststellen (58).

Im Zuge der zunehmenden Liberalisierung der südafrikanischen Wirtschaft entschieden sich viele der großen nationalen Bergbauunternehmen (die prominentesten darunter sind wohl Anglo American und Gencor), ihren Hauptsitz und ihre Börsennotierung ins Ausland zu verlagern. Wurde anfangs noch argumentiert, dies würde aufgrund der günstigeren Positionierung auf den (Kapital-)Märkten auch Südafrikas Wirtschaft zugutekommen, zeigte sich bald ein gegenteiliger Effekt. Die globalisierten Konzerne stellten von nun an ihre internationalen Profitinteressen offener über diejenigen der südafrikanischen Bevölkerung. Die Folgen waren massive Desinvestitionen aus dem Bergbausektor, einhergehend mit dem Verlust finanzieller und technologischer Kapazitäten (59). Auch generell lässt sich feststellen, dass ehemals nationale Unternehmen nach ihrer Auslandsverlagerung keine höheren Direktinvestitionsraten aufweisen. Vielmehr übersteigen die Direktinvestitionen im Ausland kontinuierlich diejenigen im südafrikanischen Inland, welche zudem, statt produktive Tätigkeiten zu fördern, vermehrt auf den Erwerb von Finanzanlagen unter der Kontrolle der Bergbaukonglomerate gerichtet sind (60).

Trotz des relativen Bedeutungsverlusts des Bergbausektors bleibt die südafrikanische Wirtschaft weiterhin von den großen Wirtschaftskonglomeraten des MEC bestimmt (61). Aufgrund der neoliberalen Wirtschaftspolitik nach dem Ende der Apartheid ist diese auch zunehmend in die transnationalisierten Akkumulationsdynamiken des globalen Kapitalismus integriert, was u.a. in massiver Kapitalflucht resultiert (62). Da der ANC trotz anders lautender Rhetorik (63) keine Politik inklusiver Entwicklung verfolgt, sondern vielmehr neoliberale Orthodoxie, ist es nicht verwunderlich, dass große Teile der südafrikanischen Bevölkerung nach wie vor unter ärmsten Bedingungen leben. So ist die Situation vieler EinwohnerInnen mit den Lebensumständen in weitaus ärmeren subsaharischen Staaten vergleichbar, obwohl Südafrika zu den Ländern mit gehobenem mittleren Einkommen zählt. Dies ist maßgeblich auf die immense soziale Ungleichheit in Südafrika zurückzuführen, die seit 1994 weiter angestiegen und mittlerweile die höchste der Welt ist (64). Auch die Arbeitslosigkeit stieg mit dem Ende der Apartheid an und liegt nach offiziellen Zahlen aktuell bei 24,5%, kalkuliert man Erwerblose, die nicht auf der Suche nach Arbeit sind, mit ein, ergibt sich eine Quote von 33,8% (65). Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass das - vergleichsweise niedrige - südafrikanische Wirtschaftswachstum der letzten zwei Jahrzehnte nicht etwa zu einem Absinken der Armut beitrug, sondern diese sogar vertiefte. So lebten zwischen 2007 und 2012 13,77% der südafrikanischen Bevölkerung von 1,25 Dollar oder weniger pro Tag, während 31,33% mit 2 Dollar oder weniger pro Tag auskommen mussten (66).


4.2. Südafrikas Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union

Diese und andere sozioökonomische Missstände werden wohl auch in absehbarer Zukunft nicht behoben werden, da der ANC weiterhin eine Politik neoliberaler Weltmarktintegration verfolgt, wie nicht zuletzt das seit 2016 angewandte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen Südafrika und fünf weiteren Ländern (67) der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika auf der einen und der Europäischen Union auf der anderen Seite verdeutlicht (68). Das WPA ergänzt dabei das seit 2004 bestehende Abkommen über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit (englisch: Trade, Development and Cooperation Agreement; TDCA) zwischen der EU und Südafrika, indem es weitere Liberalisierungen der Handelsbeziehungen vorsieht. So legt das WPA fest, dass Südafrika fortan 84,9% seiner Zolllinien vollständig und 12,9% teilweise für EU-Importe liberalisiert, während die EU 94,9% ihrer Linien vollständig und 3,2% teilweise für sudafrikanische Importe öffnet (69). Außerdem dürfen beide Handelsblöcke neue Ausfuhrsteuern in Zukunft nur unter sehr restriktiven Bedingungen erheben (70).

Obwohl die EU lediglich 1,3% ihres weltweiten Handels mit Südafrika betreibt (die EU ist hingegen mit einem Anteil von 27,1% der wichtigste Handelspartner Südafrikas) (71), hat sie dennoch ein gesondertes Interesse an gewissen Rohstoffen des Landes. Insbesondere einige der aktuell gelisteten kritischen Rohstoffe sind hier von Belang. So bezieht die EU 15% des importierten Flussspats, 13% des Vanadiums und 31% der Metalle der Platingruppe aus südafrikanischen Quellen (72). Vor diesem Hintergrund ist das WPA auch als ein Instrument zur Perpetuierung ungleicher Handelsbeziehungen zum Zweck der billigen Ressourcenaneignung durch die EU zu sehen. Inwiefern das Freihandelsabkommen dabei auch Auswirkungen auf die Wachstumsraten der EU-Rohstoffimporte aus Südafrika haben wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sicher zu prognostizieren. Betrachtet man die in Tabelle 1 aufgelisteten Daten, fällt zunächst auf, dass sowohl der Wert (in Euro) als auch das physische Volumen (in kg) der Rohstoffeinfuhren in die EU aus Südafrika zwischen 2003 und dem Ausbruch der Rezession 2007/8 stark anstiegen. Dieser positive Trend kehrte sich allerdings in den folgenden Jahren mit dem Aufkommen der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise schlagartig um, was insbesondere die Importeinbrüche von 2008/9 und 2013 verdeutlichen. Seit wenigen Jahren lassen sich jedoch wieder (überwiegend) ansteigende Wachstumsraten beobachten, wenn auch das Importvolumen der Vorkrisenjahre 2007/8 weiterhin unerreicht bleibt (73).

BU: Tabelle 1: EU-Rohstoffimporte aus Südafrika
(bitte aus PFD ausschneiden

BUBL: Tabelle 1: EU-Rohstoffimporte aus Südafrika

Ganz ungeachtet der Tatsache, welches quantitative Ausmaß die Rohstoffimporte letztendlich annehmen werden, steht fest, dass das WPA keine gleichberechtigte Entwicklungsperspektive bereithält. Da auch einflussreiche Kapitalfraktionen Südafrikas den Liberalisierungsschub des Abkommens keineswegs ablehnen (74), ist abzusehen, dass dessen Umsetzung die asymmetrischen Macht- und Ausbeutungsbeziehungen neoliberaler Globalisierungsformen, deren größte Verlierer in diesem Kontext ohne Zweifel weite Teile der südafrikanischen Bevölkerung sind, weiter fortführen wird. Demnach ist es sicherlich nicht allzu abwegig, den ANC im Hinblick auf die südafrikanische Politik der letzten zwei Jahrzehnte als einen "Geschäftsführer in Unternehmen des Westens" zu verstehen, der eher als "Transmissionsriemen" im Interesse transnationaler Kapitalien agiert, statt sich um eine radikale Entkolonialisierung und Überwindung des Apartheiderbes zu bemühen (75). Diese Funktion beinhaltet auch die Anwendung direkter Gewalt zur Unterdrückung missliebiger Bevölkerungsschichten, wie in den folgenden Abschnitten näher ausgeführt werden soll.


5. Die Gewaltförmigkeit des neoliberalen Extraktivismus

Die überproportionale Aneignung von natürlichen Ressourcen (semi-)peripherer Länder durch hochentwickelte Industrienationen basiert auf mehreren miteinander verwobenen Mechanismen. Dabei spielen insbesondere die drei internationalen Organisationen Weltbank, IWF und WTO eine prominente Rolle. Die WTO ist das vorrangige Gremium zur multilateralen Aushandlung einer neoliberalen Weltwirtschaftsordnung. Weltbank und IWF haben in der Vergangenheit vor allem über Kreditgewährungen und daran gekoppelte Strukturanpassungsprogramme weitläufige neoliberale Reformen in vielen in Zahlungsnot geratenen Schwellen- und Entwicklungsländern bewirkt (76). Obwohl die dadurch veranlassten außenwirtschaftspolitischen Öffnungsprozesse der betroffenen Länder oftmals einen deutlichen Zwangscharakter erkennen ließen, gab und gibt es auch viele Fälle, in denen die politischen und wirtschaftlichen Eliten von unterentwickelten Staaten Neoliberalisierungsstrategien proaktiv verfolg(t)en (77).

Der asymmetrische Zugang zu Rohstoffen ist neben (außen-) wirtschaftspolitischen Aspekten darüber hinaus auch mit einer Reihe von sicherheitspolitischen Implikationen verbunden. So schätzt beispielsweise das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), dass in 40 Prozent aller innerstaatlichen Konflikte der letzten 60 Jahre eine kausale Verbindung zum Abbau von natürlichen Ressourcen bestand (78). Einem Bericht des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung zufolge wiesen alleine im Jahr 2016 98 Konflikte einen Bezug zu Wasser, Metallen, Mineralien oder anbaufähigem Land auf. 67 Prozent dieser Konflikte gingen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen einher, wobei neun Fälle als Kriege eingestuft wurden. Auch tendierten Rohstoffkonflikte, so die Studie weiter, dazu, in ihrem Verlauf gewaltsamer zu werden (79). Darüber hinaus ist in vielen Ländern auch zivilgesellschaftliches Engagement gegen Ressourcenextraktivismus und andere ökologische Verwerfungen nicht ungefährlich. Nach Recherchen der britischen Nichtregierungsorgansition Global Witness wurden im Jahr 2016 200 UmweltaktivistInnen in 24 Staaten aufgrund ihrer Arbeit umgebracht. Im Vorjahr belief sich die Anzahl der Opfer noch auf 186. Viele der Getöteten stammen dabei aus indigenen Gemeinschaften. Insbesondere die in den Ländern Brasilien (49 dokumentierte ermordete AktivistInnen), Kolumbien (37), den Philippinen (28), Indien (16), Honduras (14), Nicaragua (11) sowie der Demokratischen Republik Kongo (10) wurde 2016 umweltaktivistisches Engagement gewaltsam unterdrückt (80). Auch auf wirtschaftlicher Ebene können im Bereich des Ressourcenabbaus immer wieder menschenrechtswidrige Verstöße beobachtet werden. So konzentriert sich laut einer Studie für den UN-Menschenrechtsrat knapp ein Drittel aller weltweiten Angaben zu unternehmensbezogenen Menschenrechtsverletzungen im extraktiven Sektor. Das ist mehr als in jedem anderen Wirtschaftsbereich (81).

Ferner konnte die Geographin Jessica Steinberg nachweisen, dass - zumindest auf dem afrikanischen Kontinent - niedrigschwellige Konfliktsituationen wie organisierte Demonstrationen, Streiks oder Aufstände mit höherer Wahrscheinlichkeit (gewaltsam) niedergeschlagen werden, wenn sie in der Nähe von Bergbauanlagen (und zeitgleich möglichst weit entfernt von Hauptstädten) stattfinden (82). Steinberg führt diesen Zusammenhang vor allem auf die politökonomischen Implikationen extraktiver Wirtschaftsaktivitäten zurück: "Die starre Infrastruktur für die Extraktion natürlicher Ressourcen und die begrenzten Ausstiegsmöglichkeiten machen diese Einkommensquelle besonders und unmittelbar verwundbar. Und die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass Regierungen sogar Konfliktsituationen geringer Intensität wie Demonstrationen eher einhegen, wenn diese das Potential haben, diese Einkommensquelle zu bedrohen. Es sind jedoch nicht die natürlichen Ressourcen an sich, die solche Szenarien befördern, sondern vielmehr die spezifischen Eigenschaften ortsgebundener Fixiertheit, versunkener Kosten und die Aussicht auf hohe Staatseinnahmen." (83)

Da die gewaltförmige Absicherung von Ressourcenabbau und -handel zumeist nicht nur im Interesse skrupelloser Eliten rohstoffreicher Schwellen- und Entwicklungsländer liegt, sondern auch Voraussetzung der wirtschaftlichen Prosperität von kapitalistischen Industrienationen ist, sind diese in der Regel darauf bedacht, die ungleichen Entwicklungsdynamiken globaler Rohstoffaneignung auch durch eigene sicherheitspolitische Instrumente zu flankieren. Dies kann neben finanziellen Zuwendungen in Form von geheimdienstlicher, rüstungs- oder anderweitiger militärpolitischer Unterstützung verbündeter Regierungen rohstoffexportierender Länder geschehen. Die Entsendung multilateraler (zivil-)militärischer Stabilisierungseinsätze - wie sie in den letzten Jahrzehnten üblich geworden sind - ist dabei nur das augenscheinlichste Beispiel derartiger Interessenspolitik. Darüber hinaus wird auch die militärische Absicherung zentraler maritimer Handelsrouten für wichtige Rohstoffe in vielen Sicherheitsstrategien hochentwickelter Industrienationen als außenpolitisches Aufgabenfeld verstanden. Das wohl kontroverseste Mittel sicherheitspolitischer Beeinflussung internationaler rohstoffbedingter Investitions- und Handelsbeziehungen sind dabei allerdings geheimdienstliche und militärische Interventionen zur Destabilisierung - bis hin zum Sturz - unliebsamer Regierungen.

Auch die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben in der Vergangenheit auf viele dieser Instrumente zurückgegriffen, um wirtschaftliche wie geopolitische Interessen durchzusetzen (84). An dieser Stelle sei nur auf zwei Beispiele verwiesen: die EU-Operation EUFOR RD Congo im Jahr 2006 in der Demokratischen Republik Kongo sowie die seit 2008 andauernde Marinemission ATALANTA der EU vor der Küste Somalias. In beiden Fällen ist zumindest teilweise von rohstoffpolitischen Beweggründen auszugehen. Der EU-Einsatz im Kongo 2006 sollte laut offizieller Angaben dazu beitragen, einen friedlichen Verlauf der bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu gewährleisten. Wie Lühr Henken anmerkt, wurde dieses Mandat jedoch nicht lediglich als Selbstzweck verstanden: "Ein weiterer Grund für das Eingreifen der EU ist der Griff nach dem Rohstoff- und Wasserreichtum des Landes. Es ist nicht daran gedacht, mittels dieser EU-Truppen direkt auf Rohstoffressourcen zuzugreifen. Aktuell geht es darum, die hergebrachte korrupte Machtstruktur im Kongo, die den transnationalen Konzernen einen preiswerten Zugriff auf die reichhaltigen Ressourcen des Landes sichert, mittels der Wahlen zu konservieren und vor allem zu legitimieren." (85)

Auch die maritime EU-Mission ATALANTA vor der Küste Somalias hat einen rohstoffpolitischen Bezug. Obwohl der Einsatz zu Beginn mit der Begründung, man wolle dafür sorgen, dass die Schiffe des Welternährungsprogramms die hungernde somalische Bevölkerung erreichten, legitimiert wurde, war schnell klar, dass das Engagement der EU vor allem dem Schutz der wichtigen küstennahen Tankerroute vor der lokalen Piraterie galt (86). Dieses Kausalverhältnis wurde zuletzt auch in der EU-Globalstrategie aus dem Jahr 2016 offen benannt: "Im Zusammenhang mit dem Interesse der EU an einem offenen und fairen Wirtschaftssystem besteht die Notwendigkeit von weltweitem Wachstum und weltweiter Sicherheit im Seeverkehr, wodurch offene und geschützte Wege auf Ozeanen und Meeren, die für den Handel von entscheidender Bedeutung sind, und der Zugang zu den natürlichen Ressourcen sichergestellt werden. Die EU wird zur weltweiten maritimen Sicherheit beitragen und dabei auf ihre Erfahrungen im Indischen Ozean und im Mittelmeer zurückgreifen und die Möglichkeiten für den Golf von Guinea, das Südchinesische Meer und die Straße von Malakka prüfen." (87)

Die Sicherheitspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten leistet also einen direkten Beitrag zur gewaltvollen Aufrechterhaltung der bestehenden Muster globaler Rohstoffproduktion und -konsumption. Allerdings profitiert die EU in vielen Fällen auch von der gewaltförmigen innerstaatlichen Repression von Bevölkerungsschichten in neoliberalisierten rohstoffexportierenden Schwellen- und Entwicklungsländern, ohne dabei einen proaktiven sicherheitspolitischen Beitrag zu leisten. Südafrika ist hierfür ein eindrückliches Beispiel.


6. Die Remilitarisierung Südafrikas

6.1. Südafrika als eigenständiger Sicherheitsakteur

Im Jahr 2007 gingen die EU und Südafrika eine Strategische Partnerschaft ein (88). Südafrika ist damit unter den insgesamt 10 Staaten, mit denen die EU ein solches Verhältnis pflegt, das bislang einzige afrikanische Land. Die EU verspricht sich davon eine Intensivierung politikfeldübergreifender Kooperation und Dialogbereitschaft. Die Partnerschaft zwischen der EU und Südafrika konzentriert sich dabei vor allem auf gemeinsame Themenschwerpunkte vergangener bilateraler Beziehungen wie Handel, Entwicklung sowie Wissenschaft und technologischer Fortschritt. Die Bereiche Frieden und Sicherheit wurden und werden in öffentlichen Verlautbarungen gemeinsamer Kooperationsbestrebungen zwar durchaus berücksichtigt, allerdings konzentriert sich die Zusammenarbeit hierbei auf regionale und kontinentale Sicherheitspolitik (89). Die mitunter gewaltgestützte sicherheitspolitische Ordnung innerhalb Südafrikas spielt in diesem Kontext keine explizite Rolle.

Dies ist nicht weiter verwunderlich, ist Südafrika doch ein Land, das nicht zuletzt aufgrund seiner blutigen Geschichte über eine 'robuste' staatliche Sicherheitsarchitektur verfügt (90). Entsprechende Rüstungsgüter bezieht der südafrikanische Staat zu einem großen Teil aus nationaler Produktion (91), die seit ihrem Ausbau in den frühen 1960er Jahren - auch vor dem Hintergrund des von 1977 bis zum Ende des Apartheidregimes anhaltenden internationalen Waffenembargos - ein hohes Niveau erreicht hat (92). Auch sind viele verwendete Waffensysteme selbst durchgeführte 'Kampfwertsteigerungen' älterer ausländischer - zumeist westlicher - Modelle (93). Darüber hinaus erforderliche Rüstungswaren werden importiert. Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) lag Südafrika zwischen 2012 und 2016 auf dem 68. Platz der weltweiten Waffenimporteure (94). Die wichtigsten Waffenlieferanten waren dabei in den letzten Jahren Schweden, Deutschland, einige weitere EU-Mitgliedsstaaten und die USA (95). Berücksichtigt man auch Destinationen innerhalb Europas, so nahm Südafrika im Zeitraum zwischen 1998 und 2016 die 20. Stelle unter den wichtigsten Empfängerländern von EU-Rüstungsexporten ein (96). Von 2001 bis 2016 betrug das Exportvolumen europäischer Rüstungsgüter nach Südafrika insgesamt 2,9 Milliarden Euro. Unter den exportierten Waren befanden sich unter anderem Fluggeräte, Kriegsschiffe, Sprengkörper, Fahrzeuge und Panzer, diverse Munition, Schutzgeräte sowie Kleinwaffen (97).

Nachdem mit dem Ende der Apartheid die südafrikanischen Sicherheitsbehörden zunächst umfassenden Reformen unterzogen wurden, um demokratisch-rechtsstaatlichen Mindeststandards zu genügen, lassen sich seit Beginn der 2000er Jahre und insbesondere mit dem Präsidentschaftsantritt Jacob Zumas im Jahr 2009 wieder vermehrt Militarisierungstendenzen und damit einhergehende staatliche Repressionen beobachten. Vor allem das Militär, die Polizeibehörden sowie die Nachrichtendienste sind davon betroffen (98). Ein zentraler Grund für die mit der Jahrtausendwende eingesetzte Versicherheitlichung südafrikanischer Politik war der unter der damaligen Präsidentschaft Thabo Mbekis stark umkämpfte Charakter des ANCs. Vor dem Hintergrund der umstrittenen neoliberalen Wirtschaftspolitik Mbekis, dem steigenden Einfluss einer neuen schwarzen KapitalistInnenklasse und einigen Korruptionsskandalen, die bis in die höchsten Ebenen der Politik reichten, wuchs die Bedeutung der mit der Kontrolle über die Sicherheits- und Strafjustizbehörden verbundenen parteipolitischen Macht an (99). Mit der Ablösung Mbekis durch dessen Rivalen Zuma, der zu diesem Zeitpunkt selbst mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert war, intensivierte sich dieser Prozess weiter (100).

Wie die südafrikanische Sozialwissenschaftlerin Jane Duncan anmerkt, sind die zu beobachtenden Remilitarisierungstendenzen der letzten Jahre jedoch nicht lediglich auf Zumas machtpolitische Interessen zurückzuführen: "Die Sachlage deutet auf eine sehr viel größere Agenda hin, nämlich eine der Stärkung des Sicherheitsclusters, um auf diesem Wege die soziale Kontrolle über Südafrikas höchst ungleiche und extraktive sozioökonomische Gesellschaftsverhältnisse zu steigern. Niemand sollte sich über diese Entwicklungen wundern; immerhin sind sie auch andernorts zu beobachten und berufen sich auf ähnliche Methoden der sozialen Einhegung, wie sie in anderen Ländern auch gegen widerspenstige Bevölkerungen eingesetzt werden." (101)


6.2. Die Paramilitarisierung der südafrikanischen Polizei

Zur Absicherung des sozio- und politökonomischen Status quo greifen südafrikanische Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang mitunter auch auf massive physische Gewalt zurück. Traditionell kommt dem Südafrikanischen Polizeidienst (englisch: South African Police Service; SAPS) hier eine besondere Rolle zu. Noch zu Zeiten der Apartheid bestanden dessen Aufgaben vor allem in der gewaltförmigen Kontrolle der schwarzen Bevölkerung, der Bekämpfung politischer Oppositionsbewegungen sowie dem Schutz des weißen Regierungsapparats und der weißen Bevölkerung vor Verbrechen und politischen Unruhen. Dieses Aufgabenprofil erforderte keine polizeilichen Fähigkeiten im traditionellen Sinn, belohnte stattdessen politische Loyalität und produzierte nicht selten erschütternde Machtmissbrauchsfälle (102). Ein besonders gravierendes Beispiel dafür war das Massaker von Sharpeville vom 21. März 1960, als die südafrikanische Polizei das Feuer auf eine Gruppe von DemonstrantInnen eröffnete und dabei 69 Menschen tötete sowie über 300 verletzte (103).

Nach der Überwindung des Apartheidsystems investierte der ANC zunächst viel Energie in die Reform der Polizeibehörden. Neue Ausbildungs- und Trainingsstandards wurden eingeführt, sowie gesetzliche Richtlinien verabschiedet. Außerdem bemühte man sich vermehrt um vertrauensbildende Maßnahmen und Kriminalitätsprävention in armen Gemeinden. Obwohl derartige Vorhaben oftmals positive Effekte mit sich brachten, konnten sie keine nachhaltigen Verbesserungen der sicherheitspolitischen Lage Südafrikas bewirken (104). So sinkt zwar seit 1997 die Anzahl der polizeilichen Tötungen, jedoch ist Polizeigewalt nach wie vor sehr präsent (105), wie auch dem Länderbericht 2017/18 zu Südafrika von Amnesty International zu entnehmen ist: "Die unabhängige Polizeiaufsichtsbehörde (Independent Police Investigative Directorate - IPID) meldete, dass die Fälle von Machtmissbrauch durch die Polizei zugenommen hatten. Für den Zeitraum 2016/17 verzeichnete die Behörde 394 Todesfälle im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen und 302 Todesfälle in Polizeigewahrsam. Beide Zahlen lagen höher als 2015/16. Die IPID registrierte außerdem 173 Fälle von Folter, 112 Vergewaltigungen durch Polizisten (davon waren 35 von Beamten im Dienst verübt worden) und 3827 Fälle von tätlichen Übergriffen durch Polizisten (106)."

Auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene blieb die Anzahl der Gewaltverbrechen weiterhin enorm. Gegen Ende der 1990er Jahre wies Südafrika die weltweit höchste Mordrate, die höchste Rate versuchter Morde und die meisten verzeichneten Körperverletzungen unter allen Entwicklungsländern auf (107). Heute steht Südafrika mit jährlich 33,97 Morden pro 100.000 EinwohnerInnen immer noch an 10. Stelle der Weltrangliste (108).

Nachdem also der erhöhte Fokus auf Rechenschaftspflicht und Legitimität der polizeibehördlichen Reformen während Mandelas Amtszeit (1994-1999) keine signifikante Reduktion gewalttätiger Verbrechen herbeiführen konnte, setzten mit dem Austausch der bis dato gültigen auf Kriminalitätsprävention ausgelegten nationalen Strategie durch eine neue Strategie der Kriminalitätsbekämpfung Anfang der 2000er Jahre auch deutliche liche Militarisierungstendenzen ein (109). Die unter Mbeki eingeführte Nulltoleranzpolitik ging dabei unter anderem mit einer allgemeinen Verrohung des öffentlichen Diskurses einher, im Rahmen dessen Kriminelle von Seiten hochrangiger PolitikerInnen gelegentlich auch als "Untermenschen" oder "Bastarde" bezeichnet wurden (110). Nach Duncan lässt sich der polizeiliche Militarisierungsprozess anhand materieller, kultureller, organisatorischer und operationeller Indikatoren festmachen. Die materiellen Indikatoren sind dabei der erhöhte Einsatz militärischer Waffenarsenale und der graduelle Übergang von Tränengas und Wasserkanonen zu Gummigeschossen, die aus nächster Nähe durchaus tödlich sein können, und scharfer Munition. Die kulturellen Indikatoren bestehen in der Wiedereinführung militärischer Ränge innerhalb der Polizeieinheiten und den Kriegsanalogien in öffentlichen Verlautbarungen zur Kriminalitätsbekämpfung. In organisatorischer Hinsicht lassen sich vor allem der Bedeutungszuwachs paramilitärischer Polizeieinheiten und die zunehmende Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen anführen. Die operationellen Indikatoren sieht Duncan in dem Wandel weg von reaktiver, hin zu proaktiver erkenntnisgestützter Polizeiarbeit und dem allgemein aggressiveren Vorgehen - auch in Hinblick auf die Durchsetzung öffentlicher Ordnung (111).

Das zentrale Symptom dieses Militarisierungstrends ist wohl der neue Stellenwert der paramilitärischen Polizeieinheiten, von denen einige erst im Laufe der 2000er Jahre gegründet wurden. Die älteste dieser Einheiten ist die Special Task Force (STF), die bereits während der Apartheid entstand und traditionell im Bereich der Terror- und Aufstandsbekämpfung tätig war. Innerhalb des SAPS ist sie für Einsätze in strategischen und hochriskanten Bedrohungssituationen, die in der Regel spezielle Kompetenzen oder Ausrüstung erfordern, zuständig. Sie ist die einzige Polizeieinheit, die Tarnuniformen trägt (112). Eine weitere paramilitärische Eliteeinheit ist die National Intervention Unit (NIU). Sie wurde 2002/3 für Situationen mit mittlerem bis hohem Risikoprofil, die von regulären Polizeieinheiten nicht unter Kontrolle gebracht werden können, ins Leben gerufen und konzentriert sich auf Einsätze zur Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere in Fällen öffentlicher Gewaltausbrüche. Bei Bedarf wird sie auch zur operationellen Unterstützung anderer Einheiten (wie beispielsweise der STF) abgerufen (113). Das im Jahr 2009 gegründete Tactical Response Team (TRT) stellt die jüngste paramilitärische Einheit des SAPS dar und ist auf erkenntnisgestützte Dienstleistungen für andere Polizeieinheiten in mittel- bis hochriskanten Einsatzgebieten spezialisiert. Das TRT konzentriert sich dabei auf Kriminalitätsbekämpfung und den Umgang mit großen Menschenmengen (114). Seit 2011 sind die STF, die NIU und das TRT gemeinsam mit regulären Einheiten der Ordnungspolizei innerhalb der SAPS-Division Operational Response Services (ORS) organisiert (115). Die ORS sind dabei insbesondere für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Einhegung grenzübergreifender Kriminalität, luftgestützte Hilfeleistungen für diverse Polizeiarbeiten und die Ausführung mittel- bis hochriskanter Operationen zuständig (116).

Um diesem Aufgabenspektrum gerecht zu werden, verfügen die Polizeieinheiten der ORS über ein umfangreiches Waffenarsenal, das mitunter auch Importwaren aus der EU und nationale Produkte europäischer Lizenzen enthält. So gehört zur Standardausrüstung der südafrikanischen Ordnungspolizei neben Pfefferspray und dem Sturmgewehr R5 auch die Pistole Z88, ein südafrikanischer Lizenzbau der italienischen Beretta Modell 92 (117). Die Einheiten der STF verwenden unter anderem einige (Maschinen-)Pistolen des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch wie die USP, die USP Compact sowie die MP5-N. Die von der STF eingesetzten südafrikanischen Sturmgewehre R1, R2 und R3 sind Lizenzbauten des belgischen FN FAL Para. Auch Scharfschützengewehre des britischen Waffenherstellers Accuracy International sowie der österreichischen Firma Steyr Mannlicher sind im Gebrauch. Zudem setzt die STF die italienischen Schrotflintenmodelle RS-200 und RS-202 M1 ein. Das verwendete Maschinengewehr FN MAG kommt aus Belgien. Des Weiteren verfügt die STF über einige gepanzerte Fahrzeuge wie den Casspir, den RG-12 "Nyala" und den RG-31, die von OMC Land Systems hergestellt werden, einer südafrikanischen Tochterfirma des britischen Rüstungskonzerns BAE Systems (118). Zum Waffenarsenal der NIU-Einheiten gehören neben der Maschinenpistole USP und den Sturmgewehren R1 und R5 auch die italienische Beretta Px4 Storm sowie Betäubungsgranaten aus dem Vereinigten Königreich (119). Diese (sehr wahrscheinlich unvollständige (120) ) Auflistung zeigt, dass der SAPS zu einem doch nicht unerheblichen Teil mit Rüstungswaren und Lizenz-Produktionen aus der EU ausgerüstet ist.

Die unter anderem auf diese Weise erworbene Ausrüstung setzt die südafrikanische Polizei seit der Jahrtausendwende neben der Kriminalitätsbekämpfung immer häufiger auch wieder gegen streikende ArbeiterInnen und DemonstrantInnen ein. Diese Entwicklungen sind dabei nicht ohne deren Einbettung in die neoliberalen Herrschafts- und Machtverhältnisse innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft zu verstehen. Sowohl die Militarisierungsprozesse als auch die sozialen Phänomene, die der SAPS dadurch zu bekämpfen versucht, sind Folgen gegebener sozio- und politökonomischer Strukturen (121). So weisen etwa zahlreiche kriminologische Studien nach, dass wirtschaftliche Ungleichheit der weitaus beste Prädiktor für lokale Mordraten ist. Eine gängige Erklärung hierfür verweist auf den in ungleichen Gesellschaften vorherrschenden gesteigerten Wettbewerb um materielle wie immaterielle Statussymbole und die vornehmlich unter deprivierten jungen Männern zu beobachtende Tendenz, diesen gewaltsam auszutragen (122). Da Südafrika heute das Land mit der weltweit größten Ungleichheit ist und diese aufgrund der neoliberalen Politik des ANC auch weiter ansteigt, ist folglich die hohe Anzahl an Gewaltverbrechen nicht verwunderlich.

Eine weitere Reaktion auf die sozialen und politischen Missstände im Land stellt die seit 2004 zu beobachtende Zunahme von (mitunter militanten) Demonstrationen und Streiks dar (123). Der Ärger vieler DemonstrantInnen richtet sich dabei insbesondere gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen sowie korrupte LokalpolitikerInnen. Dem Soziologen Peter Alexander zufolge liegen deren Ursachen in der nationalen Politik der letzten zwei Jahrzehnte: "Viele Probleme können auf die 'neoliberale' Regierungspolitik der Post-Apartheid zurückgeführt werden. Die Privatisierung lokaler Dienstleistungen eröffnete Ratsmitgliedern und deren Günstlingen neue Möglichkeiten privater Akkumulation. Unzureichende Investitionen in öffentliche Güter haben einen Mangel an Personal mit den nötigen Fähigkeiten zur Administration lokaler Verwaltungsstrukturen und Aufrechterhaltung kommunaler Dienstleistungen (insbesondere außerhalb der Metropolregionen) entstehen lassen." (124) Obwohl dadurch vielerorts so grundlegende Leistungen wie die Bereitstellung der Wasser-, Elektrizitäts- oder Sanitärversorgung nicht mehr adäquat zur Verfügung gestellt werden konnten, konzentrierten sich die Proteste dagegen hauptsächlich auf kommunaler Ebene. Überregional vernetzte Protestformen zur Bekämpfung neoliberaler Austeritätsmaßnahmen sind bislang eher selten (125).

Neben anhaltenden politischen Demonstrationen lässt sich in Südafrika auch ein hohes Streikniveau über alle Wirtschaftssektoren beobachten (126). Mit einer durchschnittlichen jährlichen Anzahl von 65 Streiks in den Jahren von 2007 bis 2012 und steigender Tendenz ist Südafrika womöglich sogar das Land mit den intensivsten Arbeitskämpfen der Welt (127). Die Gründe für die Streikwellen sind oftmals in niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und den generell als ungerecht empfundenen sozioökonomischen Strukturen zu finden (128).

Das repressive Vorgehen des SAPS ist vor diesem Hintergrund nicht schlicht als fehlgeleitetes polizeiliches Reaktionsmuster zu deuten, sondern vielmehr in seiner Logik innerhalb einer zutiefst ungleichen Klassengesellschaft zu verstehen. Die südafrikanischen Polizeibehörden sind keine apolitische Instanz, deren primäre Aufgabe der Schutz eines wie auch immer definierten Allgemeinwohls ist. Im Gegenteil: Wie auch in anderen kapitalistischen Demokratien dient die gewaltförmige Repression marginalisierter und aufbegehrender Bevölkerungsschichten vor allem der Perpetuierung eines neoliberalen Akkumulationsregimes im Interesse dominanter Eliten und Klassen (129). Dieser Zusammenhang trat in der jüngeren Geschichte Südafrikas nirgends so deutlich zu Tage wie beim Massaker von Marikana im August 2012.


7. Das Massaker von Marikana 7.1. Vorgeschichte, Verlauf und Aufarbeitung

Als am 16. August 2012 34 streikende MinenarbeiterInnen in Marikana von der südafrikanischen Polizei getötet wurden, sprachen viele von einem historischen Wendepunkt (130). Das Ausmaß zur Schau gestellter (polizei-)staatlicher Gewalt erweckte vielfach Erinnerungen an vergangene, längst als überwunden geglaubte Erfahrungen aus Zeiten der Apartheid. Die damit einhergegangene allgemeine Desillusion über den demokratisch-rechtsstaatlichen Charakter Südafrikas wirkt bis heute nach. Um verstehen zu können, wie es dazu kam, ist es zunächst hilfreich, die konkreten Umstände der Gewalteskalation zu rekonstruieren.

Marikana befindet sich im sogenannten Bushveld-Komplex, einer Region, die etwa 95 Prozent der weltweit bekannten Lagerstätten von Platingruppenmetallen beherbergt (131). In diesem Gebiet ist unter anderem auch der britisch-südafrikanische Bergbaukonzern Lonmin tätig, dessen streikende Arbeiter bei den gewalttätigen Ausschreitungen vom August 2012 ums Leben kamen. Lonmin ist der drittgrößte Platinproduzent der Welt (132) und mit Gewinnmargen von 30 Prozent in den letzten 20 Jahren deutlich profitabler als der weltweite Durchschnitt (Margen von 8 Prozent) gewesen (133). Das Unternehmen beschäftigt in Marikana rund 25000 Festangestellte und 8000 Vertrags- und Zeitbedienstete, die täglich im Schnitt 26000 Tonnen Gestein an die Oberfläche befördern, aus denen etwa 3500 Unzen an Platingruppenmetallen gewonnen werden (134). Im Jahr 2012 erwirtschaftete der Konzern einen durchschnittlichen Tagesumsatz von fünf Millionen Euro. Die MinenarbeiterInnen Lonmins erhielten im selben Jahr allerdings lediglich ein Durchschnittsgehalt von monatlich 400 Euro und lagen damit nahe an der Armutsgrenze. Hinzu kommt, dass sie mit diesem Lohn im Schnitt acht weitere Menschen ernähren mussten (135).

Neben dem niedrigen Einkommen waren und sind auch die Arbeits- und Lebensbedingungen im südafrikanischen Platinbergbau äußerst schlecht. Die Mehrheit der ArbeiterInnen in den Abbauregionen lebt in Wellblechhütten und muss ohne gesicherten Zugang zu fließendem Wasser, Strom oder Kanalisationsanlagen auskommen. Der Platinabbau findet in Tiefen von bis zu 1400 Metern statt und ist dabei ausgesprochen risikoreich. Alleine im Jahr 2016 kamen in den Platinminen Südafrikas 27 Menschen ums Leben. Die Anzahl der Arbeitsunfälle nimmt jährlich zu (136). Eine weitaus häufigere berufsbezogene Todesursache stellt jedoch die Lungenerkrankung Silicosis dar, die durch die in den Lüftungsschächten zirkulierenden Partikel verursacht wird. Laut einer aktuellen Studie sind 36 Prozent aller ArbeiterInnen davon betroffen. Aufgrund der Emissionen der angegliederten Fabriken ist darüber hinaus auch die Luft im nahen Umfeld der Bergbauanlagen belastet (137).

Die Widrigkeiten, denen die Platinminenarbeiter ausgesetzt sind, verweisen auf bis heute andauernde Kontinuitäten des kolonialen Apartheidregimes, die sich sowohl klassistisch, rassistisch als auch sexistisch artikulieren (138). Die neoliberale Arbeitsmarktpolitik der letzten beiden Jahrzehnte trug dabei zu einer anhaltenden Fragmentation und Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse bei, die vor dem Hintergrund flexibilisierter Arbeitsverträge und dem traditionell hohen Anteil migrantischer ArbeiterInnen im Bergbausektor solidarisches Handeln oftmals erschwer(t)en (139).

Trotzdem gelingt es Südafrikas MinenarbeiterInnen immer wieder kollektive Arbeitskämpfe zu organisieren. So auch am 10. August 2012, als etwa 3000 Minenarbeiter aus Lonmins Platinminen in Marikana in einen "ungeschützten" Streik (140) traten, um höhere Löhne durchzusetzen. Da sich das Verhältnis zwischen den streikenden ArbeiterInnen und der bis dato größten Bergbaugewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) in den Monaten zuvor sehr verschlechtert hatte und viele der Meinung waren, dass es der NUM dem Lonmin-Management gegenüber an kritischer Distanz fehlte, entschieden sich die ArbeiterInnen, die üblichen über GewerkschaftsfunktionärInnen vermittelten Verhandlungsprozesse zu umgehen und stattdessen direkte Gespräche mit der Unternehmensführung zu fordern (141). Nachdem sich Lonmin weigerte, mit den Streikenden zu verhandeln und mit Entlassungen drohte, kam es in den folgenden Tagen zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen sowohl BergarbeiterInnen als auch PolizistInnen zu Tode kamen (142). Die Gewalteskalation resultierte letztendlich in dem Massaker vom 16. August 2012, das 34 streikenden ArbeiterInnen das Leben kostete.

Auf eine detaillierte Darstellung der Ereignisse vom 10. bis 16. August 2012 wird an dieser Stelle verzichtet (143). Analog zu den Ausführungen von Maren Grimm und Jakob Krameritsch soll es hier vielmehr um "de[n] Status quo der Aufarbeitung und damit die Frage, wie es zu dem Massaker kommen konnte und wer dafür in welchem Ausmaß zur Verantwortung zu ziehen ist (144)", gehen. Obwohl die Gründe und die Verantwortlichkeit für den Gewaltexzess bis heute kontrovers diskutiert werden, lassen sich aus kritischer Perspektive diesbezüglich einige klare Schlüsse ziehen, die jedoch im öffentlichen Diskurs dazu nur selten nachvollzogen werden. So folgte die mediale Berichterstattung Südafrikas in den ersten Wochen nach dem Massaker weitestgehend dem offiziellen Narrativ der Polizei, der Regierung und des Lonmin-Managements, wonach die Polizeikräfte lediglich aus Notwehr gehandelt hätten, um sich gegen gewaltbereite ArbeiterInnen zu verteidigen. Dabei wurde alternativen Darstellungen der betroffenen ArbeiterInnen in der Regel keine Aufmerksamkeit geschenkt. Stattdessen kriminalisierten und illegalisierten die Medien deren Handeln oftmals (145).

Erst nachdem sorgfältige Recherchen engagierter JournalistInnen, AktivistInnen, WissenschaftlerInnen und FilmemacherInnen auf inhaltliche Ungereimtheiten des dominanten Narrativs hingewiesen hatten, wurde dessen Glaubwürdigkeit vereinzelt in Frage gestellt. Auch die nach ihrem leitenden Richter benannte Farlam-Kommission (146) zur nationalen Untersuchung der Vorfälle konnte Lücken der polizeilichen Selbstverteidigungsthese aufzeigen: "Die Polizei, so wurde detailliert festgestellt, hatte Beweise unterschlagen, Dokumente gefälscht, Absprachen zu Falschaussagen getroffen, Aussagen verweigert, sich des Meineids schuldig gemacht und potenzielle BelastungszeugInnen unter Druck gesetzt, manche auch gefoltert. (147)" Wie Grimm und Krameritsch zudem anmerken, lässt die tatsächliche Beweislage gänzlich andere Schlüsse zu als die öffentlichen Verlautbarungen der Polizei: "Vieles spricht dafür, dass die mit tödlicher Munition ausgestattete Polizei schon am ersten Schauplatz des Massakers - einem Steinhügel, der den Arbeitern als Versammlungsort diente - nicht aus Notwehr handelte. Die 328 Kugeln, die die 45 Polizisten innerhalb von elf Sekunden auf die Streikenden abfeuerten und damit 17 von ihnen töteten, wurden nicht auf angreifende, sondern auf flüchtende Menschen geschossen. Etwa 200 Meter entfernt, an der sogenannten 'zweiten Stelle' des Massakers, wurden weitere 17 Menschen von der Polizei getötet. Mittlerweile bestreitet niemand mehr, dass hier Morde begangen worden sind. Es war keineswegs polizeiliche Notwehr, es handelte sich vielmehr um Exekutionen. Aus unmittelbarer Nähe sind Menschen, die sich stellten und ihre Hände erhoben, von Polizisten erschossen worden. Andere wurden von hinten getroffen, als sie versuchten zu fliehen." (148)

Dieser Einsatz "maximaler Gewalt", wie es an mancher Stelle genannt wird (149), war auch deshalb überhaupt möglich, weil in Marikana eine "toxische Kollusion" einflussreicher Akteure daran interessiert war, den Streik der MinenarbeiterInnen zu einem möglichst schnellen und hinsichtlich der Lohnforderungen erfolglosen Ende zu bringen (150). Das Lonmin-Management wollte unter keinen Umständen die geregelten Lohnverhandlungsverfahren über die unternehmensnahe NUM-Gewerkschaft delegitimieren und verweigerte sich deshalb allen direkten Gesprächen mit der streikenden ArbeiterInnenschaft. Die NUM wiederum fürchtete, dass ein erfolgreicher Ausgang des Streiks die Mitgliederzahlen der Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU), einer Konkurrenzgewerkschaft, die in den Monaten vor dem Massaker mehr und mehr an Popularität gewonnen hatte und die streikenden ArbeiterInnen ausdrücklich unterstützte, in neue Höhen schnellen lassen könnte. Auch der ANC hatte ein Interesse an der fortdauernden gewerkschaftlichen Dominanz der NUM im Bergbausektor, da diese ein wichtiger Bestandteil des nationalen Gewerkschaftsdachverbandes Congress of South African Trade Unions (COSATU) war. Der ANC bildet zusammen mit dem COSATU und der South African Communist Party (SACP) seit 1994 die Regierungsallianz. Darüber hinaus wollte der ANC verhindern, dass Julius Malema, ein populäres ehemaliges Parteimitglied, die aufrührerische Stimmung für eine neue Parteigründung nutzte (151).

Die Verflechtungen unternehmerischer, gewerkschaftlicher und staatlicher Repressionsbestrebungen in Marikana lassen sich wohl am deutlichsten anhand der Rolle Cyril Ramaphosas aufzeigen. Ramaphosa ist mehrfach inhaftierter Anti-Apartheid-Aktivist, Mitbegründer der NUM und war außerdem ANC-Chefverhandler während der Transitionsgespräche in den frühen 1990er Jahren. Infolge des Post-Apartheid-Wandels erwirtschaftete Ramaphosa als Privatunternehmer in unterschiedlichen Positionen große Reichtümer, sodass er heute als einer der wohlhabendsten Menschen Südafrikas gilt. Als die MinenarbeiterInnen von Lonmin im August 2012 in den Streik traten, hielt Ramaphosa über ein eigenes Investitionsunternehmen 9,1 Prozent der Aktienanteile an dem Bergbaukonzern und war gleichzeitig Vorstandsmitglied. Seinen großen Einfluss innerhalb des ANCs nutzte er, um das Polizei- und das Bergbauministerium dazu zu drängen, entschiedener gegen die Streikenden vorzugehen (152). Hätte Ramaphosa deeskalierender eingewirkt, so behaupten KritikerInnen, wären die getöteten 34 ArbeiterInnen womöglich noch am Leben (153). Derartige Einwände schadeten seinem öffentlichen Ansehen jedoch nicht. Ramaphosa ist seit dem 15. Februar 2018 amtierender Präsident Südafrikas.

Trotz dieser und anderer Hinweise auf einen klaren Machtmissbrauch seitens polizeilicher, politischer und wirtschaftlicher Institutionen und Einzelpersonen bleibt der Endbericht der Untersuchungskommission in seinen Schlussfolgerungen unbestimmt. Es werden weder Schuldige benannt, noch verbindliche Konsequenzen eingefordert. Auch ist mittlerweile bekannt, dass während des Untersuchungszeitraums teils unsauber gearbeitet wurde und beispielsweise vereinzelte wichtige ZeugInnen gar nicht erst angehört wurden (154). Folglich wurde bis heute niemand der für das Massaker Verantwortlichen verurteilt. Auch Reparationszahlungen an Geschädigte und Hinterbliebene sind bislang nicht erfolgt.


7.2. Der Bezug zu Europa

Das Massaker von Marikana sorgte auch in den Medien europäischer Länder für Aufmerksamkeit, was vor dem Hintergrund, dass afrikanische Themen und Entwicklungen dort nicht selten eher ein randständiges Phänomen sind, keine Selbstverständlichkeit ist. Wie der Journalist Stefan Buchen aufzeigt, maß auch die deutsche Berichterstattung dem Ereignis einen hohen Bedeutungswert bei (155). Die frühen Analysen konzentrierten sich dabei vor allem auf Fragen nach der Schuld an der Gewalt sowie dem krisenhaften Charakter südafrikanischer Politik. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit ließen sich sowohl Beiträge finden, die die Sicherheitskräfte der Eskalation beschuldigten, als auch solche, die eher die streikenden ArbeiterInnen in der Verantwortung sahen. Was jedoch alle Analysen vereinte, so Buchen, war ihr interpretativer Referenzrahmen: "Die deutschen ReporterInnen sehen das Blutbad von Marikana als innenpolitisches Problem. So unterschiedlich die Erklärungsansätze auch sein mögen - korrupte Regierung, schlecht ausgebildete Polizei, gewaltbereite Arbeiter, schlechte Arbeitsbedingungen -, die Ursachen des Ereignisses werden allein in Südafrika gesucht." (156) Symptomatisch dafür steht die in allen Fernsehnachrichten und den meisten Zeitungsberichten vorgefundene Charakterisierung Lonmins als "südafrikanischer" Bergbaukonzern. Die multinationale Ausrichtung des südafrikanisch-britischen Unternehmens mit Sitz in London wird dadurch unkenntlich gemacht (157).

Ein schwerwiegenderes Versäumnis der frühen medialen Berichterstattung in Deutschland ist allerdings in dem Umstand zu sehen, dass der deutsche Chemiekonzern BASF an keiner Stelle als wichtigster Kunde Lonmins benannt wurde. Buchen schreibt hierzu: "Den deutschen KorrespondentInnen soll nicht unterstellt werden, sie hätten im August 2012 den Bezug der BASF zum Massaker von Marikana bewusst verschwiegen. Das wäre dumme Verschwörungstheorie. Was hingegen naheliegt, ist der Verdacht, dass sie in der Krisensituation davor zurückschreckten, das große Ganze in den Blick zu nehmen. Das große Ganze sind hier die Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse, die die europäischen Eroberer und Kolonialisten über die Jahrhunderte zwischen Europa und Afrika etabliert haben." (158) Und ein Teil dieses "großen Ganzen" ist heute ohne Zweifel auch der Konzern BASF. Das 1865 bei Ludwigshafen gegründete Unternehmen ist mit einem jährlichen Umsatz zwischen 60 und 75 Milliarden Euro der größte Chemiekonzern der Welt. Als globaler Akteur beschäftigt dieser etwa 114000 Angestellte in über 80 Ländern. BASF bietet eine weite Palette an Konsumartikeln an und ist in beinahe jeder Industriebranche Produktlieferant. Ungefähr 14 Prozent des jährlichen Umsatzes erwirtschaftet das Unternehmen als Automobilzulieferer, vor allem durch den Verkauf von Katalysatoren. Als weltgrößter Hersteller benötigt BASF dafür große Mengen an südafrikanischen Platingruppenmetallen. Daher bezieht der Konzern für jährlich etwa 650 Millionen Euro Metalle aus den Lonmin-Minen in Marikana. Das sind über 50 Prozent der örtlichen Jahresproduktion. Die Geschäftsbeziehungen zwischen BASF und Lonmin bestehen dabei seit mittlerweile mehr als 30 Jahren und reichen bis in die Apartheid zurück (159).

Laut eigenen Angaben versteht sich BASF als verantwortungsvolles Unternehmen, das sich in all seinen wirtschaftlichen Betätigungsfeldern der Achtung menschenrechtlicher Grundsätze verpflichtet. Diesem Anspruch möchte der deutsche Großkonzern auch als Gründungsmitglied der Global-Compact-Initiative der Vereinten Nationen und öffentlicher Bekenner zu den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte nachkommen. Zudem sieht sich BASF im Bereich der "freiwilligen Lieferkettenverantwortung" in einer Vorreiterrolle und proklamiert, großen Wert auf Nachhaltigkeitsaspekte zu legen. Das Unternehmen wirbt folglich damit, menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei seinen Zulieferern einzufordern (160). Hält man sich jedoch die lokalen Arbeits- und Lebensbedingungen der Lonmin-ArbeiterInnen sowie das Massaker an diesen im August 2012 vor Augen, fällt es reichlich schwer, den Verlautbarungen des deutschen Chemiekonzerns Glauben zu schenken. Die Tatsache, dass BASF auch vor dem Hintergrund einer anhaltenden gegen das Unternehmen gerichteten transnationalen Kampagne mitunter südafrikanischer AktivistInnen sowie Geschädigter und Hinterbliebener des Massakers in Marikana bis heute keine Reparationszahlungen geleistet hat, nährt diesen Argwohn nur weiter (161). Dass multinational tätige Konzerne sich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung (entlang der Lieferkette) nach wie vor ohne große Mühen entziehen können, liegt nicht zuletzt auch an dem Widerstand westlicher Staaten gegen Vorstöße zur Aushandlung international verbindlicher Abkommen. Zwar einigten sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Jahr 2011 auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, allerdings stellen diese kein rechtlich bindendes Vertragswerk dar. Die konkrete Umsetzung wie Achtung der inhaltlichen Empfehlungen bleibt den nationalen Regierungen überlassen. Eine zentrale Instanz zur Kontrolle und Ahndung von Verstößen existiert nicht. Aus diesem Grund stimmten die Mitglieder des UN-Menschenrechtsrats auf Drängen vieler Schwellen- und Entwicklungsländer - darunter auch Südafrika - am 26. Juni 2014 mehrheitlich für die Einrichtung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zur Entwicklung verbindlicher Menschenrechtsstandards für multinationale Unternehmen. Die europäischen Staaten, Japan, die USA und Kanada stimmten gegen den Antrag und blieben der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe fern (162). Dem zweiten und dritten Treffen im Oktober 2016 und 2017 wohnten die EU und ihre Mitgliedsländer zwar bei, plädierten jedoch für die Beibehaltung unverbindlicher Regelungen und zeigten sich auch ansonsten eher unkooperativ (163). Berichten der niederländischen Nichtregierungsorganisation Transnational Institute zufolge "plant die europäische Delegation sogar, sich gegen eine weitere Finanzierung der Arbeitsgruppe im Verwaltungs- und Haushaltsausschuss der Generalversammlung auszusprechen" (164).

Wie der Menschenrechtsexperte Armin Paasch 2016 mit Bezug auf Deutschland feststellte, steht dieses Verhalten im deutlichen Kontrast zu den Bemühungen um internationalen Investitionsschutz: "Befremdlich ist daran auch, dass Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im internationalen Investitionsrecht die Prinzipien der Verbindlichkeit und Einklagbarkeit gerade nicht in Frage stellen, sondern vehement verteidigen. Wenn Auslandsinvestoren eine 'unfaire Behandlung' oder 'indirekte Enteignung' wittern, können sie Staaten vor internationalen Schiedsgerichten auf mitunter milliardenschweren Schadensersatz verklagen. Auch Regulierungen zu Landrechten, Wasserversorgung oder Gesundheit, die der Umsetzung von Menschenrechten dienen, werden dadurch angreifbar. (165)"

All dies verdeutlicht, dass das Massaker von Marikana nicht nur als südafrikanisches Ereignis, sondern vielmehr im Kontext globaler durch internationale Machtasymmetrien geprägte Kapitalverwertungslogiken zu betrachten ist. Vor diesem Hintergrund tragen die EU und ihre Mitgliedsstaaten eine klare Mitschuld an den gewalttätigen Geschehnissen.


8. Die Externalisierung extraktivistischer Gewalt

Obwohl das Blutvergießen vom 16. August 2012 die lokalen ArbeiterInnen zutiefst schockierte, brach der Streik entgegen den Annahmen des Lonmin-Managements, der Polizei und der NUM nicht ab. Nach über einem Monat anhaltender Proteste zeigte sich das Unternehmen schließlich zu Gesprächen bereit und bewilligte letztendlich am 18. September 2012 Lohnerhöhungen zwischen 11 und 22 Prozent sowie einmalige Bonuszahlungen für die Wiederaufnahme der Arbeit. Der siegreiche - wenn auch blutig erkaufte - Arbeitskampf inspirierte in den folgenden Wochen weitere Streikwellen, die den gesamten südafrikanischen Bergbausektor erfassten und stellenweise sogar darüber hinaus fortwirkten (166). Trotz vereinzelter Erfolge sind die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Bergbauindustrie - und nicht nur dort - heute jedoch nach wie vor miserabel.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, aufzuzeigen, dass die prekäre Situation der (Minen-)Arbeiter in Südafrika - und anderen Schwellen- und Entwicklungsländern - sowie die angewandte Staatsgewalt zur Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse ohne die Berücksichtigung globaler Abhängigkeitsstrukturen im Zeitalter eines hyperextraktivistischen Neoliberalismus nicht zu verstehen sind. Liam Downey und KollegInnen beschreiben diesen Zusammenhang wie folgt: "Natürlich haben Entwicklungsländer ganz andere Interessen als Kernländer. Sie haben außerdem sehr viel weniger Macht als Kernländer. Daraus ergibt sich, dass Entscheidungen über den Einsatz oder die Androhung von Gewalt zum Schutz von ressourcenextraktiven Aktivitäten in Entwicklungsländern vermutlich stark durch strukturelle Zwänge, die von vermögenden Regierungen, Konzernen oder internationalen Institutionen ausgehen, bedingt sind. [...] Das hohe Schuldenaufkommen von Entwicklungsnationen und deren resultierende Abhängigkeit von reichen Staaten, der Weltbank, dem IWF und Investitionen ausländischer Unternehmen zwingen die Regierungen von Entwicklungsländern zudem, zu berücksichtigen, wie diese Organisationen und Staaten deren Handlungen beurteilen. Folglich könnten sich die Regierungen von Entwicklungsländern dazu veranlasst fühlen, ungeachtet ihrer eigenen Motive und Interessen alle nötigen Mittel zur Sicherung ressourcenfördernder Unternehmungen einsetzen zu müssen, um ihren Schuldverpflichtungen nachzukommen, fortdauernde ausländische Investitionen sicherzustellen und Konflikte mit mächtigeren Nationen und Institutionen zu minimieren." (167)

Neben externen Zwängen spielen darüber hinaus oftmals auch die Interessen nationaler Kapitalfraktionen und neoliberal ideologisierter politischer Eliten eine wichtige Rolle bei der politökonomischen Absicherung extravertierter, ressourcenintensiver Akkumulationsregime. Da die gewaltförmige Stabilisierung dieser Regime in (semi-)peripheren Ländern wie Südafrika bis auf Rüstungsimporte in vielen Fällen keine engeren sicherpolitischen Kooperationen mit (westlichen) Industrienationen erfordert, können sich diese leicht von der ausgeübten Gewalt distanzieren: "[...] obwohl reiche Nationen, Konzerne und die Institutionen, die sie kontrollieren, wahrscheinlich die Bedingungen [der Gewaltanwendung] [...] formen, sind diese mächtigen Akteure oftmals in der Lage, sich von diesen Entscheidungen abzugrenzen und dadurch zu behaupten, (a) sie seien für die Gewalt nicht zu verantworten und (b) ihre Kontrolle über natürliche Ressourcen sei das Resultat des rationalen und gerechten Waltens des Weltmarktes." (168)

Der Soziologe Stephan Lessenich umschreibt unter anderem dieses Phänomen mit dem Begriff der "Externalisierungsgesellschaft" (169). Externalisierungsgesellschaften sind demnach hochentwickelte kapitalistische Industrienationen, die die sozioökologischen Kosten ihrer Reproduktion auf Menschen außerhalb ihrer geografischen Grenzen externalisieren. Nach Lessenich zeichnen sich solche Gesellschaften durch die drei Momente der Ausbeutung, Auslagerung und Ausblendung aus. Ausbeutung ereignet sich dort, wo überproportional menschliche Arbeitskraft und Natur aus peripheren Gebieten vereinnahmt wird. Gleichzeitig werden sowohl unliebsame Arbeitsprozesse, Umweltschäden als auch - wie in Marikana ersichtlich - exzessive Gewalt in eben jene Regionen ausgelagert. Damit diese Produktions- und Lebensweisen in den entsprechenden Externalisierungsgesellschaften fortbestehen können, müssen sie letztlich "der Mehrheit der Menschen legitim erscheinen, das heißt, Ausbeutung und Auslagerung müssen umgedeutet, verdrängt oder ausgeblendet werden. Die Einsicht in die systematische Verursachung von Ungerechtigkeit, Leid und Gewalt darf keinen Platz im kollektiven Bewusstsein finden." (170)

Diese Externalisierungsstrategien scheinen heute jedoch an Grenzen zu stoßen. Die durch kapitalistische Verwertungsprozesse verursachten sozioökologischen Verwerfungen lassen sich nicht länger nur auf (semi-)periphere Regionen begrenzen (171). Vielmehr stellen diese mittlerweile die gesamte kapitalistische Produktionsweise - auch im globalen Norden - radikal in Frage. Die Auswirkungen des Klimawandels sind hier nur das virulenteste Beispiel.

Doch nicht nur die durch kapitalistisches Wirtschaften bedingten natürlichen Verwerfungen drohen, Akkumulationsdynamiken zu untergraben, auch der seit mehreren Jahrhunderten bestehende sozioökologische Metabolismus kapitalistischer Verwertung scheint ins Stocken zu geraten. Der Geograf Jason W. Moore sieht den Grund hierfür in dem sich abzeichnenden Ende billiger Natur, insbesondere billiger Arbeitskraft, Nahrungsmittel, Energie und Rohmaterialien (172). Im historischen Verlauf kapitalistischer Reproduktion war das Kapital, so Moore, auf immer neue billige Quellen dieser vier Faktoren angewiesen, um Kosten zu senken und akkumulationsförderliche Profitraten zu gewährleisten. Mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert zeichnet sich allerdings das Ende neuer Grenzgebiete zur Ausbeutung und Aneignung billiger Natur ab - auch die jüngeren kapitalistischen Erschließungen Afrikas scheinen diesen Trend nicht aufhalten zu können. Das deutlichste Indiz hierfür ist wohl der seit 2003 trotz vereinzelter Kurseinbrüche anhaltende Rohstoffpreisboom, der seit einigen Monaten wieder signifikant steigende Preise aufweist (173).

Vor diesem Hintergrund sollte es nicht verwundern, dass AnalystInnen seit geraumer Zeit vor kommenden Ressourcenkriegen warnen (174). Es bleibt zu hoffen, dass die Menschen und Regierungen des globalen Nordens diese Signale nicht erst dann ernst nehmen, wenn die damit verbundene Gewalt nicht länger externalisiert werden kann.


Anmerkungen

(1) Monika Dittrich, Stefan Giljum, Stephan Lutter und Christine Polzin: Green economies around the world? Implications of resource use for development and the environment, Sustainable Europe Research Institute, 2012.

(2) Jason Hickel: Better Technology Isn't The Solution To Ecological Collapse,
https://www.fastcompany.com/40548564/better-technology-isnt-the-solution-to-ecological-collapse vom 26.03.2018.

(3) David Harvey: A Brief History of Neoliberalism, Oxford University Press, 2005, S. 9f.

(4) Ebd. S. 12.

(5) Anwar Shaikh: Capitalism: Competition, Conflict, Crises, Oxford University Press, 2016, S. 47, 51; Nick Johnson: Anwar Shaikh's Classical theory of inflation,
peofdev.wordpress.com/2016/07/15/anwar-shaikhs-classical-theory-of-inflation/ vom 15.06.2016.

(6) Alfredo Saad-Filho und Deborah Johnston (Hrsg.): Neoliberalism: A Critical Reader, Pluto Press, 2004.

(7) Viele Schwellen- und Entwicklungsländer betrachten die Auswirkungen neoliberaler Globalisierungsprozesse mit zunehmender Skepsis. Nicht zuletzt die aufstrebenden BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) lassen in diesem Zusammenhang eine deutliche Ambivalenz gegenüber klassisch neoliberalen Entwicklungskonzepten erkennen.

(8) Die ontologischen wie epistemologischen Prämissen dieser politischen Ideologie beruhen auf dem neoklassischen Paradigma der modernen Wirtschaftswissenschaften. Dieses nimmt seit dem Erstarken des Neoliberalismus in den 1970er Jahren eine dominante Stellung innerhalb der ökonomischen Forschung ein und vertritt ein egoistisch-rationalistisches Menschenbild ( homo oeconomicus ) und die Annahme, dass die individuelle Nutzenmaximierung auf freien Märkten den größtmöglichen Gemeinnutzen stiftet. Des Weiteren gehen neoklassische Modelle davon aus, dass sich Märkte aufgrund des rationalen Agierens der MarktteilnehmerInnen in der Regel in einem Gleichgewichtszustand befinden, was eine theorieimmanente Ignoranz gegenüber systemischen Krisenanfälligkeiten befördert, wie zuletzt eindrucksvoll während der Großen Rezession 2007/8 aufgezeigt werden konnte. Für eine umfassende Kritik der Neoklassik siehe bspw. Steve Keen: Debunking Economics: The Naked Emperor Dethroned?, Zed Books, 2011.

(9) Harvey 2005, S. 2.

(10) Anwar Shaikh: The First Great Depression of the 21st Century, in: Leo Panitch, Greg Albo und Vivek Chibber (Hrsg.): Socialist Register 2011: The Crisis This Time, Monthly Review Press, 2011, S. 52f.

(11) John Smith: Imperialism in the Twenty-First Century, in: Monthly Review, 67:3, 2015, S. 82-97.

(12) Der Wirtschaftswissenschaftler Anwar Shaikh weist anhand theoretischer Überlegungen und empirischer Daten nach, dass internationaler Handelswettbewerb durch absolute Kostenvorteile gekennzeichnet ist. Folglich bestimmen auf nationaler wie internationaler Ebene Produktivitäts- und Lohnniveau, wer sich durchsetzt. Siehe Shaikh 2016, S. 491-535.

(13) Mark Weisbrot: The Mirage of Progress,
prospect.org/article/ mirage-progress vom 04.01.2002.

(14) Ha-Joon Chang: Kicking away the ladder: The 'real' history of free trade, in: Anwar Shaikh (Hrsg.): Globalization and the myth of free trade, Routledge, 2007, S. 23-49.

(15) Christian Weller: Free Markets and Poverty,
prospect.org/article/free-markets-and-poverty vom 04.01.2002.

(16) Dass nicht alle Bewohner industrialisierter Länder gleichermaßen und einige sogar überhaupt nicht von neoliberalen Globalisierungsprozessen profitiert haben, steht außer Frage.

(17) Die Stagnation von Reallöhnen sowie sinkende Lohnquoten sind direkte Folgen neoliberaler Politik in Entwicklungsländern. Siehe Özlem Onaran: Die Auswirkung von neoliberaler Globalisierung und von Krisen auf die Lohnquote in Entwicklungsländern, in: Joachim Becker, Karen Imhof, Johannes Jäger und Cornelia Staritz (Hrsg.): Kapitalistische Entwicklung in Nord und Süd: Handel, Geld, Arbeit, Staat, Mandelbaum Verlag, 2007, S. 184-207.

(18) Utsa Patnaik und Prabhat Patnaik: Imperialism in the Era of Globalization, in: Monthly Review, 67:3, 2015, S. 68-81.

(19) Mark Curtis: Die neue Jagd nach Ressourcen: Wie die EU-Handels- und Rohstoffpolitik Entwicklung bedroht, Oxfam Deutschland, 2010, S. 29.

(20) Ebd., S. 6.

(21) Ebd., S. 29.

(22) Karin Küblböck: Handlungsfähig? Die Rolle von Handelspolitik für rohstoffbasierte Entwicklung, Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung, 2017, S. 4.

(23) Mariko Lin Frame: The Neoliberalization of (African) Nature as the Current Phase of Ecological Imperialism, in: Capitalism Nature Socialism, 27:1, 2016, S. 10.

(24) United Nations Environment Programme (UNEP): Global material flows and resource productivity: Summary for policymakers, 2016, S. 20.

(25) Ebd., S. 17.

(26) Ebd., S. 31.

(27) Ebd., S. 21f.

(28) Europäische Kommission: How Trade Policy and Regional Trade Agreements Support and Strengthen EU Economic Performance, 2015, S. 4,
trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/march/ tradoc_153270.pdf.

(29) Europäische Kommission: Raw materials,
ec.europa.eu/trade/policy/accessing-markets/goods-and-services/raw-materials/ vom 11.06.2014.

(30) Stormy-Annika Mildner und Julia Howald: Die Europäische Union (EU), in: Hanns Günther Hilpert und Stormy-Annika Mildner (Hrsg.): Nationale Alleingänge oder internationale Kooperation: Analyse und Vergleich der Rohstoffstrategien der G20-Staaten, SWP-Studie, 2013, S. 69.

(31) Nicola Jaeger: Alles für uns!? Der globale Einfluss der europäischen Handels- und Investitionspolitik auf Rohstoffausbeutung, PowerShift, 2015, S. 13f.

(32) Ebd., S. 14.

(33) Corporate Europe Observatory: Europe's Resource Grab: Vested Interests at Work in the European Parliament, 2011, S. 2; Curtis 2010, S. 10f.

(34) Eurometaux: Eurometaux's Proposals for the Raw Materials Initiative, 2010, S. 53,
www.oeko.de/oekodoc/1069/2010-115-en.pdf.

(35) Curtis 2010, S. 10f.

(36) Corporate Europe Observatory 2011, S. 2; Jaeger 2015, S. 17.

(37) Europäische Kommission: Die Rohstoffinitiative - Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern, KOM(2008) 699.

(38) Siehe etwa Europäische Kommission: Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze, KOM(2011) 25; Europäische Kommission: über die Umsetzung der Rohstoffinitiative, COM(2013) 442; Europäische Kommission: über die Umsetzung der Rohstoffinitiative, COM(2014) 297.

(39) Europäische Kommission 2008, S. 6.

(40) Europäische Kommission: über die Liste kritischer Rohstoffe für die EU 2017, COM(2017) 490.

(41) Die aktuell gelisteten Rohstoffe sind Antimon, Baryt, Beryllium, Bismut, Borat, Kobalt, Kokskohle, Flussspat, Gallium, Germanium, Hafnium, Helium, Indium, Magnesium, natürlicher Grafit, Naturkautschuk, Niob, Phosphorit, Phosphor, Scandium, Siliziummetall, Tantal, Wolfram, Vanadium, Metalle der Platingruppe, schwere seltene Erden und leichte seltene Erden.

(42) Gisela Müller-Brandeck-Bocquet: Die Mehrdimensionalität der EU-Außenbeziehungen, in: Gisela Müller-Brandeck-Bocquet und Klaus Schubert (Hrsg.): Die Europäische Union als Akteur der Weltpolitik, Leske + Budrich Verlag, 2000, S. 37.

(43) Europäische Kommission: Global Europe: Competing in the world, COM(2006) 567.

(44) Jaeger 2015, S. 15f.

(45) Europäische Kommission: Das Globale Europa: Eine starke Partnerschaft zur Öffnung der Märkte für europäische Exporteure, KOM(2007) 183, S. 8.

(46) Bastiaan van Apeldoorn: Transnationale Klassen und europäisches Regieren: Der European Round Table of Industrialists, in: Hans-Jürgen Bieling und Jochen Steinhilber (Hrsg.): Die Konfiguration Europas, Westfälisches Dampfboot, 2000, S. 189-221.

(47) Küblböck 2017, S. 7; Jaeger 2015, S. 35ff.

(48) Curtis 2010, S. 13.

(49) Jakob Krameritsch (Hrsg.): Das Massaker von Marikana: Widerstand und Unterdrückung von Arbeiter_innen in Südafrika, Mandelbaum Verlag, 2013, S. 240.

(50) Der ANC ist aufgrund kontinuierlicher Wahlerfolge seit 1994 Regierungspartei. Dementsprechend gehörten seit dem Ende der Apartheid auch alle südafrikanischen Staatspräsidenten dem ANC an: Nelson Mandela regierte von 1994 bis 1999, Thabo Mbeki von 1999 bis 2008, Kgalema Motlanthe von 2008 bis 2009 und Jacob Zuma von 2009 bis 2018. Cyril Ramaphosa ist seit Februar 2018 amtierender Präsident.

(51) Ronnie Kasrils: How the ANC's Faustian pact sold out South Africa's poorest,
https://www.theguardian.com/commentisfree/2013/jun/24/anc-faustian-pact-mandela-fatal-error vom 24.06.2013.

(52) Ebd. [Übersetzung aus dem Englischen].

(53) Vishwas Satgar: Beyond Marikana: The Post-Apartheid South African State, in: African Spectrum, 47:2-3, 2012, S. 43ff.

(54) Ben Fine und Zavareh Rustomjee: The Political Economy of South Africa. From Minerals-Energy Complex to Industrialization, Hurst & Company, 1996.

(55) Luciana Hachmann: Die südafrikanische Unternehmensstruktur und ihre Abhängigkeit vom Minerals-Energy-Complex, in: Dana de la Fontaine, Franziska Müller, Claudia Hoffmann und Bernhard Leubolt (Hrsg.): Das politische System Südafrikas, Springer VS, 2017, S. 187ff.

(56) Hugh Macmillan: Plus ça change? Mining in South Africa in the last 30 years - an overview, in: Review of African Political Economy, 44:152, 2017, S. 273.

(57) The Observatory of Economic Complexity: What does South Africa export?,
https://atlas.media.mit.edu/en/visualize/tree_map/sitc/export/zaf/all/show/2016/ vom 08.05.2018.

(58) Macmillan 2017, S. 283.

(59) I. Robinson: The globalization of the South African mining industry, in: Journal of the Southern African Institute of Mining and Metallurgy, 116:8, 2016, S. 769ff.

(60) Hachmann 2017, S. 189.

(61) Ebd., S. 190f.

(62) Ebd., S. 193ff.

(63) Satgar 2012, S. 37f.

(64) Jason Beaubien: The Country With The World's Worst Inequality Is...,
https://www.npr.org/sections/goats-and-soda/2018/04/02/598864666/the-country-with-the-worlds-worst-inequality-is vom 02.04.2018.

(65) Morné Oosthuizen: Poverty and Inequality in South Africa, Global Poverty & Inequality Dynamics Research Network, 2017, S. 2.

(66) Ainsley D. Elbra: The forgotten resource curse: South Africa's poor experience with mineral extraction, in: Resources Policy, 38:4, 2013, S. 553f.

(67) Botswana, Lesotho, Mosambik, Namibia und Swasiland.

(68) Stephen R. Hurt: The EU-SADC Economic Partnership Agreement Negotiations: 'locking in' the neoliberal development model in southern Africa?, in: Third World Quarterly, 33:3, S. 495-510.

(69) Gijs Berends: What does the EU-SADC EPA really say? An analysis of the economic partnership agreement between the European Union and Southern Africa, in: South African Journal of International Affairs, 23:4, S. 461.

(70) Vinaye Ancharaz: Export taxes in the EPA negotiations: Is it worth the price?,
https://www.ictsd.org/bridges-news/bridges-africa/news/export-taxes-in-the-epa-negotiations-is-it-worth-the-price vom 17.03.2014.

(71) Europäische Kommission: European Union, Trade in goods with South Africa, trade.ec.europa.eu/doclib/html/113447.htm vom 16.11.2017.

(72) Europäische Kommission 2017, S. 4ff.

(73) Vergleichbare Daten zu europäischen Direktinvestitionen in den südafrikanischen Bergbausektor liegen nicht vor.

(74) Simone Claar: International Trade Policy and Class Dynamics in South Africa: The Economic Partnership Agreement, Palgrave Macmillan, 2018, S. 94.

(75) Frantz Fanon: Die Verdammten der Erde, Suhrkamp, 1981, S. 130f., zitiert in: Krameritsch 2013, S. 242.

(76) Joseph E. Stiglitz: Globalization and Its Discontents Revisited: Anti-Globalization in the Era of Trump, W.W. Norton & Company, 2017.

(77) Angelos Sepos: Imperial power Europe? The EU's relations with the ACP countries, in: Journal of Political Power, 6:2, 2013, S. 271.

(78) UNEP: From Conflict to Peacebuilding: The Role of Natural Resources and the Environment, 2009, S. 5.

(79) Heidelberg Institute for International Conflict Research: Conflict Barometer 2016 - disputes, non-violent crises, violent crises, limited wars, wars, 25, 2017, S. 21, nach Michael Reckordt: Deutsche Rohstoffpolitik und deutsche Industrie-Interessen an "Tiefseerohstoffen", in: Z.: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, 29:2, 2018, S. 78.

(80) Global Witness: Defenders of the Earth - Global killings of land and environment defenders in 2016, 2017, nach Reckordt 2018, S. 78f.

(81) Michael Wright: Corporations and Human Rights: A Survey of the Scope and Patterns of Alleged Corporate-Related Human Rights Abuse, Corporate Social Responsibility Initiative Working Paper No. 44, Cambridge, MA: John F. Kennedy School of Government, Harvard University, 2008, S. 7.

(82) Jessica Steinberg: Protecting the capital? On African geographies of protest escalation and repression, in: Political Geography, 62, 2018.

(83) Ebd., S. 20 [Übersetzung aus dem Englischen].

(84) Lukas Renz: Rohstoffimperialismus: Deutsche und europäische Entwicklungspolitik im Dienste von Wirtschaft und Machtpolitik, IMI-Studie 01/2014, S. 16ff.

(85) Lühr Henken: Wahlen im Kongo - Aufgabe für die Bundeswehr? Rohstoffe, Militär und Interessen in der DR Kongo - eine Analyse, IMI-Studie 06/2006.

(86) Renz 2014, S. 16.

(87) Europäische Union: Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, 2016, S. 35.

(88) Rat der Europäischen Union: The South Africa-European Union Strategic Partnership Joint Action Plan,
http://register.consilium.europa.eu/doc/srv?l=EN&f=ST%209650%202007%20INIT vom 15.05.2007.

(89) Toni Haastrup: The undoing of a unique relationship? Peace and security in the EU-South Africa Strategic Partnership, in: South African Journal of International Affairs, 24:2, 2017, S. 197-2013.

(90) Bonn International Center for Conversion (BICC): Südafrika: Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte, 12/2017, S. 12ff.

(91) Ebd., S. 10.

(92) Ebd., S. 12.

(93) Ebd., S. 2.

(94) Ebd., S. 10.

(95) Ebd., S. 2.

(96) Campaign Against Arms Trade (CAAT): EU Arms Exports,
https://www.caat.org.uk/resources/export-licences-eu/export.de.html.

(97) CAAT: EU Arms Exports,
https://www.caat.org.uk/resources/export-licences-eu/export.de.html?destination=South%20Africa.

(98) Jane Duncan: The Rise of the Securocrats: The case of South Africa, Jacana Media, 2014.

(99) Bill Dixon: A Violent Legacy: Policing Insurrection in South Africa From Sharpeville to Marikana, in: The British Journal of Criminology, 55:6, 2015, S. 1141.

(100) Duncan 2014, S. 5ff.

(101) Ebd., S. 279 [Übersetzung aus dem Englischen].

(102) Marlea Clarke: Supporting the "Elite" Transition in South Africa: Policing in a Violent, Neoliberal Democracy, in: Michelle D. Bonner, Guillermina Seri, Mary Rose Kubal und Michael Kempa (Hrsg.): Police Abuse in Contemporary Democracies, Palgrave Macmillan, 2018, S. 198.

(103) Dixon 2015, S. 1131.

(104) Clarke 2018, S. 204ff.

(105) Ebd., S. 209.

(106) Amnesty International: Südafrika 2017/18,
https://www.amnesty. de/jahresbericht/2018/suedafrika vom 23. Mai 2018.

(107) Clarke 2018, S. 206.

(108) Wikipedia: List of countries by intentional homicide rate,
https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_intentional_homicide_rate.

(109) Duncan 2014, S. 81.

(110) Clarke 2018, S. 206ff.

(111) Duncan 2014, S. 91f.

(112) Ebd., S. 79.

(113) Ebd., S. 84.

(114) Ebd., S. 84.

(115) David Bruce: The Road to Marikana: Abuses of Force during Public Order Policing Operations,
http://sacsis.org.za/site/article/1455 vom 12. Oktober 2012.

(116) Duncan 2014, S. 84.

(117) Library of Congress: Police Weapons: South Africa,
https://www.loc.gov/law/help/police-weapons/south-africa.php#Equipment vom 09. Juni 2015.

(118) South African Police Special Task Force: Equipment,
http://www. sapstf.org/Equipment.aspx.

(119) Wikipedia: National Intervention Unit,
https://en.wikipedia.org/wiki/National_Intervention_Unit.

(120) Aufgrund des Mangels an öffentlich zugänglichen Quellen muss davon ausgegangen werden, dass die aufgelisteten Rüstungsgüter nicht den vollen Umfang europäischer Importe und Lizenzprodukte in der Standardausstattung südafrikanischer Polizeieinheiten widerspiegeln.

(121) Christopher McMichael: Police wars and state repression in South Africa, in: Journal of Asian and African Studies, 51:1, 2016, S. 3-16.

(122) Martin Daly: Killing the Competition: Economic Inequality and Homicide, Transaction Publishers, 2016.

(123) Karl von Holdt: South Africa: the transition to violent democracy, in: Review of African Political Economy, 40, 2013, S. 589f.

(124) Peter Alexander: Rebellion of the poor: South Africa's service delivery protests - a preliminary analysis, in: Review of African Political Economy, 37, 2010, S. 37 [Übersetzung aus dem Englischen].

(125) Duncan 2014, S. 286.

(126) Sam Adelman: The Marikana Massacre, the Rule of Law and South Africa's Violent Democracy, in: Hague Journal on the Rule of Law, 7:2, 2015, S. 250.

(127) Clarke 2018, S. 212.

(128) Ebd., S. 212f.

(129) McMichael 2016, S. 8ff.

(130) Peter Alexander: Marikana, turning point in South African history, in: Review of African Political Economy, 40:138, 2013, S. 605-619.

(131) Maren Grimm und Jakob Krameritsch: Die Konvergenz von Konzern- und Staatsinteressen: Zur unabgeschlossenen Aufarbeitung des Massakers von Marikana, in: Britta Becker, Maren Grimm und Jakob Krameritsch (Hrsg.): Zum Beispiel BASF: Über Konzernmacht und Menschenrechte, Mandelbaum Verlag, 2018, S. 47.

(132) Ebd., S. 47.

(133) Bischof Jo Seoka: Vorwort, in: Becker/Grimm/Krameritsch 2018, S. 22.

(134) Grimm/Krameritsch 2018, S. 46.

(135) Ebd., S. 47.

(136) Britta Becker, Maren Grimm und Jakob Krameritsch: Einleitung, in: Becker/Grimm/Krameritsch 2018, S. 29f.

(137) Ebd., S. 30.

(138) Gavin Capps: Lonmin im Zusammenhang: Die Platinindustrie in Südafrika, in: Becker/Grimm/Krameritsch 2018, S. 88-107. 39 Crispen Chinguno: Marikana: fragmentation, precariousness, strike violence and solidarity, in: Review of African Political Economy, 40:138, 2013, S. 639-646.

(140) "Ungeschützt" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Initiierung des Streiks nicht die üblichen arbeitsrechtlich vorgesehenen Verfahren vorausgingen. "Ungeschützte" Streiks an sich sind dadurch jedoch noch nicht illegal. Siehe Peter Alexander: Das Massaker: Ein Bericht auf Aussagen von Arbeiter_innen beruhend, in: Krameritsch 2013, S. 43.

(141) Alexander 2013, S. 42ff.

(142) Ebd., S. 45ff.

(143) Für eine frühe, auf Interviews mit beteiligten ArbeiterInnen basierte Rekonstruktion des Streikverlaufs siehe beispielsweise ebd., S. 39-70.

(144) Grimm/Krameritsch 2018, S. 48.

(145) Jane Duncan: South African journalism and the Marikana massacre: A case study of an editorial failure, in: The Political Economy of Communication, 1:2, 2013, S. 65-88.

(146) Marikanna Commission of Inquiry: Report on Matters of public, national and international Concern arising out of the tragic Incidents at the Lonmin Mine in Marikana, in the North West Province,
https://www.sahrc.org.za/home/21/files/marikana-report-1.pdf vom 31.05.2015.

(147) Grimm/Krameritsch 2018, S. 49.

(148) Ebd., S. 50.

(149) David Bruce: Marikana and the Doctrine of Maximum Force, Parktown Publishers, 2012.

(150) Peter Alexander: Analyse und Schlussfolgerungen, in: Krameritsch 2013, S. 169-202.

(151) Grimm/Krameritsch 2018, S. 49.

(152) Ebd., S. 49f.

(153) Peter Alexander: Cyril Ramaphosa's Marikana massacre "apology" is disingenuous and dishonest,
http://theconversation.com/cyril-ramaphosas-marikana-massacre-apology-is-disingenuous-and-dis-honest-77485 vom 11.05.2017.

(154) Peter Alexander: Marikana Commission of Inquiry: From Narratives Towards History, in: Journal of South African Studies, 42:5, 2016, S. 815-839.

(155) Stefan Buchen: Denkstrukturen gegen Fakten: Der Bezug des Massakers von Marikana zu Deutschland blieb lange unbemerkt, in: Becker/Grimm/Krameritsch 2018, S. 359.

(156) Ebd., S. 359.

(157) Ebd., S. 360.

(158) Ebd., S. 364.

(159) Becker/Grimm/Krameritsch 2018, S. 30f.

(160) Ebd., S. 31f.

(161) Maren Grimm und Jakob Krameritsch: Konfrontationen mit BASF: Ergänzungen zur Firmengeschichte und die Kampagne Plough Back the Fruits, in Becker/Grimm/Krameritsch 2018, S. 134-165.

(162) Corporate Accountability - Netzwerk für Unternehmensverantwortung: Der Prozess für ein UN-Abkommen über Wirtschaft und Menschenrechte,
https://www.cora-netz.de/der-prozess-fuer-ein-un-abkommen-ueber-wirtschaft-und-menschenrechte/ vom 14.09.2017.

(163) Jonas Botta: EU erschwert weiterhin internationalen Menschenrechtsschutz,
https://www.treffpunkteuropa.de/eu-erschwert-weiterhin-internationalen-menschenrechtsschutz vom 04.11.2017.

(164) Katja Philipps: Unternehmen und Menschenrechte - Zögerliche Umsetzung der UN-Leitprinzipien,
https://www.dgvn.de/meldung/unternehmen-und-menschenrechte-zoegerliche-umsetzung-der-un-leitprinzipien/ vom 29.01.2018.

(165) Armin Paasch: Profit vor Menschenrecht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6, 2016, S. 37.

(166) Alexander 2013, S. 69f.

(167) Liam Downey, Eric Bonds und Katherine Clark: Natural Resource Extraction, Armed Violence, and Environmental Degradation, in: Organization & Environment, 23:4, 2010, S. 423f. [Übersetzung aus dem Englischen].

(168) Ebd., S. 424 [Übersetzung aus dem Englischen].

(169) Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut: Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis, Hanser Berlin, 2016.

(170) Becker/Grimm/Krameritsch 2018, S. 41.

(171) John Bellamy Foster, Brett Clark und Richard York: The Ecological Rift: Capitalism's War on the Earth, Monthly Review Press, 2010.

(172) Jason W. Moore: Capitalism in the Web of Life: Ecology and the Accumulation of Capital, Verso, 2015.

(173) Geoffrey Caveney: The Commodity Supercycle Never Ended, It Just Paused - And Now It's Back,
https://seekingalpha.com/article/4182487-commodity-supercycle-never-end-ed-just-paused-now-back vom 19.06.2018.

(174) Michael Klare: Are Resource Wars Our Future?,
http://www.tom-dispatch.com/post/176063/tomgram%3A_michael_klare%2C_are_resource_wars_our_future/ vom 03.11.2015.


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http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2018-8-Extraktivismus-Web.pdf

*

Quelle:
IMI-Studie 2018/08 vom 26. Oktober 2018
Europa und der neoliberale Extraktivismus in Südafrika
http://www.imi-online.de/2018/10/26/europa-und-der-neoliberale-extraktivismus-in-suedafrika/
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2018

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