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GRASWURZELREVOLUTION/1203: Shanghai - Das Ende der Zukunft


graswurzelrevolution 362, Oktober 2011
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Shanghai - Das Ende der Zukunft

von Wolfgang Sterneck


Shanghai gilt als Weltstadt, in der schon jetzt die Zukunft Gestalt angenommen hat. Von Mao und kommunistischen Visionen ist nichts mehr zu spüren. Stattdessen scheint Shanghai als "Boom-Town" weltweit in Bezug auf technologischen Fortschritt und ökonomisches Wachstum neue Maßstäbe zu setzen. Doch hinter den Fassaden futuristisch anmutender Wolkenkratzer und luxuriöser Konsumtempel verbergen sich Elendsviertel und Polizeikasernen. Während die WanderarbeiterInnen auf den Baustellen ausgebeutet werden, wird repressiv gegen Gruppen vorgegangen, die sich gegen die Zensur der Medien oder die ökologischen Missstände wenden.


Wer ist schneller?

In vielen Taxis in Shanghai sind zur Unterhaltung der Fahrgäste Bildschirme installiert, auf denen in ständiger Wiederholung Werbeclips, Animationen und auch einige Sketche laufen. In einer dieser kurzen, inhaltlich eher schlicht gehaltenen Filmsequenzen sieht man mehrere Personen an einer Straße warten. Als ein Taxi in einiger Entfernung anhält, setzt ein Wettrennen ein. Anfangs ist ein dynamischer junger Mann der schnellste. Doch dann wird er von einer fülligen Frau überholt, die als erste das Taxi erreicht und darin Platz nimmt. Als der Mann angehechelt kommt, ruft sie ihm noch locker etwas zu, um dann den Fahrer anzuweisen, los zu fahren.

Es ist eine Szene, die geradezu symbolhaft für das Shanghai der Gegenwart steht. Die Frau wartet nicht, um das Taxi zu teilen. Vielmehr geht es einzig darum, am schnellsten zu sein und die Konkurrenz aus zu stechen. Im Zentrum steht das eigene Ego beziehungsweise der persönliche Erfolg. Wer in diesem unablässigen Konkurrenzkampf unterliegt, bleibt zurück. Es ist ebenso widersprüchlich wie auch charakteristisch, dass diese urkapitalistischen Prinzipien gerade in der Volksrepublik China eine überragende Dominanz erhalten haben.

China ist zu einer Weltmacht geworden, die sich längst von den Prinzipien der Revolution von 1949 verabschiedet hat. Die ökonomischen und sozialen Bedingungen der Gegenwart erinnern inzwischen zum Teil eher an die inhumane Frühphase des Kapitalismus, als an einen Staat, der den Kommunismus als Ziel vorgibt.


Rechtlos auf den Baustellen

Insbesondere die WanderarbeiterInnen, die einen wesentlichen Faktor für den enormen ökonomischen Aufschwung Chinas bilden, leiden unter den Bedingungen. Inzwischen geht man von rund 200 Millionen umherziehenden Menschen aus, die als billige Arbeitskräfte vor allem in den Fabriken und auf den Baustellen der rapide anwachsenden Stadtregionen ausgebeutet werden.

Die hohe Arbeitslosigkeit bzw. der Konkurrenzkampf um kurzzeitige Arbeitsplätze mit zum Teil katastrophalen Bedingungen bei minimalen Löhnen unterhalb des Existenzminimums ohne soziale Absicherungen haben zu einer Verelendung geführt. Bezeichnender Weise stieg gleichzeitig die Zahl der Millionäre und Milliardäre. Wie in kaum einem anderen Land wächst die Kluft zwischen großen Teilen der Bevölkerung und einer kleinen, in Luxus lebenden Schicht.

Vielfach können sich die ArbeiterInnen die nötigen Aufenthaltspapiere für die Städte nicht leisten und halten sich dort im Verständnis der Staatsorgane illegal auf. Da oftmals auch keine Arbeitsverträge abgeschlossen werden, werden die Löhne nach der Ausübung der vereinbarten Tätigkeit vielfach gedrückt oder verweigert. Unabhängige Zusammenschlüsse der ArbeiterInnen gibt es praktisch nicht. Auf Ansätze einer Organisierung oder gar eines Protestes reagieren die Staatsorgane mit unnachgiebiger Härte.


Manager und Komunisten schütteln sich die Hände

Die offiziellen Begrifflichkeiten wie "Sozialistische Marktwirtschaft" wirken für die WanderarbeiterInnen bestenfalls wie ein Hohn.

Deng Xiaoping als Nachfolger des Staatsgründers Mao Zedong hielt am diktatorischen Einparteien-System fest, leitete jedoch weit reichende ökonomische Reformen ein.

Diese zielten auf eine Privatisierung großer Teile der Wirtschaft, die inzwischen vorrangig an den kommerziellen Vorgaben des Marktes ausgerichtet ist.

Während der ökonomische Bereich stark liberalisiert wurde, wird weiterhin repressiv gegen kritische und oppositionelle Positionen vorgegangen. So werden Presse und Internet scharf kontrolliert bzw. zensiert, während Oppositionelle von der Öffentlichkeit unbemerkt zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden und in Straflagern verschwinden.

Wenn sich heute Funktionäre der Kommunistischen Partei und Manager multinationaler Konzerne in Luxus-Suiten lächelnd die Hände schütteln und neue Verträge abschließen, dann geht es vor allem um Macht und Profit.

George Orwell beschrieb in diesem Sinne in der Mitte des letzten Jahrhunderts in "Animal Farm" die Entwicklung der Russischen Revolution als Parabel. Die rechtlosen Tiere erhoben sich gegen die Ausbeutung durch die Menschen. Doch nach dem siegreichen Aufstand etablierte sich mit den Schweinen schnell eine neue Machtelite, welche unter leicht veränderten Vorzeichen die Ausbeutung fortsetzten und bald mit den einstigen Machthabern wieder zusammenarbeiteten. Am Ende war es nicht mehr möglich, zwischen den alten und neuen Herrschern zu unterscheiden.


In zwanzig Jahren vom Reisfeld zum High-Tech-Zentrum

Um den chinesischen Markt auch für multinationale Konzerne interessant zu machen, wurden Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, in denen unter anderem Steuervergünstigungen und vereinfachte verwaltungsrechtliche Bedingungen gewährt werden, sowie günstig Bauland angeboten wird.

Als herausragendes und in ökonomischer Hinsicht besonders erfolgreiches Beispiel gilt der Stadtteil Pudong in Shanghai. Noch 1990 befanden sich dort im wesentlichen Felder und brachliegende Flächen. In Folge der Ernennung zu einer Sonderwirtschaftszone und der besonderen Bedeutung, welche die chinesische Regierung der Entwicklung Pudongs sah, erlangte der Stadtteil innerhalb von nur zwei Jahrzehnten eine herausragende Bedeutung.

Inzwischen ist Pudong ein internationaler Knotenpunkt im Bereich der Informations-, Elektro- und Biotechnologie, sowie im Finanzsektor. Das wirtschaftliche Wachstum lag offiziellen Angaben zufolge trotz weltweiter Krisen in den letzten Jahren durchgängig im zweistelligen Bereich.

Wie kein anderes Land gilt China als Markt mit gigantischen Expansionsmöglichkeiten und Gewinnspannen, wobei Shanghai dabei eine herausragende Rolle einnimmt. Ein Konzern, der in der Stadt nicht präsent ist und investiert, hat in China den Anschluss verpasst. Bezeichnender Weise präsentieren beispielsweise Mercedes-Benz und Porsche neue Modelle nicht mehr vorrangig auf den lange weltweit führenden Auto-Messe in Detroit, Frankfurt oder Tokio, sondern gezielt am chinesischen Absatzmarkt ausgerichtet vor ausgewählten Gästen im World Financial Center in Shanghai.


Die futuristische Skyline als Demonstration der Macht

In atemberaubender Schnelligkeit entstand in Pudong eine futuristische Skyline. Der Stadtteil scheint fast nur aus Wolkenkratzern zu bestehen, die sich in Höhe und Gestaltung gegenseitig übertreffen.

So sind u.a. der Jin Mao Tower, das World Financial Center und der Oriental Pearl Tower in ihrer imposanten Gestaltung jeweils weit über 400 Meter hoch. Der im Bau befindliche Shanghai Tower wird diese gigantischen Gebäude dann noch einmal deutlich überragen.

Die Wirkung der abends angestrahlten Skyline ist dabei je nach innerer Perspektive der BetrachterInnen beeindruckend und wegweisend oder aber erdrückend und als Ausdruck menschlichen Größenwahns beschämend.

In Bezug auf die Zahl der Wolkenkratzer und entsprechender Superlative ist Shanghai bzw. Pudong weltweit inzwischen nahezu einzigartig. Pudong dient dabei keineswegs nur als Spielwiese internationaler Stararchitekten, sondern zielt strategisch auf die visuelle Manifestation der Volksrepublik Chinas als wirtschaftliche und technologische Supermacht.

Architektur ist auf dieser Ebene weder beliebig noch neutral, sondern immer ein Ausdruck bzw. oftmals auch eine Verstärkung von Machtverhältnissen.


Die Slums hinter den Hochhaus-Ghettos

Die Skyline Pudongs prägt vielfach die Wahrnehmung Shanghais. Das eigentliche Shanghai ist jedoch nicht von modernen Wolkekratzern bestimmt, sondern von endlos anmutenden Hochhaus-Ghettos. Ein Gefühl der Enge durchzieht die gesamte Stadt. Gebäude mit vierzig oder fünfzig Stockwerken sind dabei keine Ausnahme, sondern die Regel. Bis zum Horizont erstreckt sich die Stadt mit ihren zahllosen Hochhaus-Siedlungen.

Westeuropäische Metropolen wie London, Paris oder Berlin wirken im Vergleich geradezu überschaubar. Trotz Ein-Kind-Politik und restriktiver Vorgaben hinsichtlich der Wohnerlaubnis wächst die Zahl der Personen, die in Shanghai wohnen oder sich dort zumindest eine längere Zeit aufhalten, beständig an. Die Schätzungen liegen bei rund 20 Millionen Menschen. Ein wesentlicher Teil davon wohnt in gleichförmigen, meist in grau gehaltenen Hochhäusern.

Trotz einer umfassenden Förderung des Wohnungsbaus liegt die durchschnittliche Wohnfläche einer Person bei nur rund neun Quadratmetern. An den Stadträndern und auf den letzten verbliebenen Bebauungsflächen in den inneren Bereichen sind in den letzten Jahren zunehmend Slums entstanden. Zum Teil sind es Blechhütten, in anderen Fällen alte, baufällige Gebäude, die nach kurzzeitigem Leerstand wieder bewohnt werden, bevor sie neuen Hochhäusern weichen. Um die Bevölkerung in den Slums bzw. den Zuzug in die Stadt besser kontrollieren zu können, sind auch in ansonsten weitgehend verwahrlosten Bereichen Straßenschilder aufgestellt und Häuser wie Baracken mit Nummern versehen.

Die meisten BewohnerInnen dieser Stadtviertel leben am Existenzminimum. Viele bestreiten ihren Lebensunterhalt über das Sammeln von Müll bzw. Sortieren und Weiterverkaufen von Papier, Glas und Plastik oder bieten sich an bestimmten Treffpunkten Tag für Tag als billige Arbeitskraft an. Gleichzeitig zeigt sich wie so oft gerade in den Slums eine Kultur der Solidarität und Offenheit, die sich deutlich von der sonst vorherrschenden Ausrichtung an Konsum und Egozentrik abhebt.


Der Smog des Profits

Die politischen Entscheidungen in Shanghai sind durchgängig vor allem am Ziel des Wirtschaftswachstums ausgerichtet. Langfristig soll darüber der materielle Wohlstand der gesamten Bevölkerung gehoben werden. Ökologische Aspekte wurden dabei lange völlig ignoriert.

In den neunziger Jahren nahm Shanghai in internationalen Auflistungen der Städte mit der höchsten Umweltbelastung durchgängig einen vorderen Platz ein.

Erst in den letzten Jahren kam es zu einem ersten Bewusstseinswandel und in einigen Bereichen zu leichten Verbesserungen, doch noch immer ist Shanghai weit von einem auch nur ansatzweise akzeptablen Status entfernt. So ist die Stadt an vielen Tagen insbesondere durch die starken Emissionen im Zusammenhang mit der Industrieproduktion von Smog überzogen. Gleichzeitig ist es nicht gelungen der starken Verschmutzung des zentralen Huangpu-Flusses und seiner Nebenströme entscheidend entgegen zu wirken.

Um Shanghai auch im ökologischen Bereich ein neues Image zu geben und sich gleichzeitig auch in diesem Kontext ökonomisch eine weltweit führende Position zu sichern, sollte im Stadtteil Dongtan eine Ökostadt entstehen. Nachdem es jedoch nicht gelang, das Projekt planungsgemäß bis zur prestigeträchtigen Weltausstellung "Shanghai World Expo" 2010 zu realisieren, wurde es eingestellt. Das Motto der Expo "Better City, Better Life" erwies sich dadurch auch auf dieser Ebene als ein Marketingslogan, der in Anbetracht der sozialen und ökologischen Realitäten bestenfalls zynisch wirkt.


Verinnerlichte Unterdrückung

Die rund zweieinhalbtausend Jahre alten Lehren von Konfuzius haben bis in die Gegenwart die diversen Epochen der chinesischen Geschichte mit all ihren Unterschiedlichkeiten nicht nur nahezu unbeschadet überstanden, sie bildeten vielmehr durchgängig eine wesentliche soziokulturelle Basis.

Die Ausrichtung an die Familie und strenge Hierarchien, die Betonung von Unterordnung, Pflicht und Gehorsam, sowie das Überdecken von Konflikten in der Außendarstellung zugunsten eines harmonisierten Erscheinungsbildes, prägen bis heute weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.

Unabhängig von ihrer konkreten sozialpolitischen Ausrichtung, konnten in diesem Gefüge neue Machthaber die Position ihrer Vorgänger einnehmen. Ob es nun ein vermeintlicher Gottkönig oder der allmächtige "Große Vorsitzende" der Partei war, die patriarchalen Strukturen blieben im Kern die gleichen. Das Konstrukt Familie wurde automatisch auf den Staat übertragen, wodurch der entsprechende Machthaber die Rolle des bestimmenden Vaters einnahm. Das Gesellschaftssystem entsprach wiederum den familiären Rahmenbedingungen, denen man sich unterzuordnen hat.

Schon in der Erziehung und in der Schule geht es bis in die Gegenwart des modernen China nicht um die Entwicklung eigenständigen Denkens, sondern um Anpassung und Nachahmung bzw. das Auswendiglernen des Vorgegebenen.

Ein selbstbestimmter Lebensweg oder gar die Entwicklung einer oppositionellen Grundhaltung entsprechen dagegen einem Bruch mit den konfuzianischen Grundregeln. Ebenso sollen Differenzen, Probleme oder kritische Betrachtungsweisen nicht nach außen dringen, um das Bild einer harmonisch funktionierenden Familie bzw. Gesellschaft aufrecht zu erhalten.


Konsum statt Komunismus

Mao Zedong bestimmte entscheidend über Jahrzehnte hinweg als Revolutionsführer bzw. als Partei- und Staatschef die Entwicklungen Chinas. Auch wenn es nach seinem Tod im Jahr 1976 in einigen Punkten zu einer Abkehr vom Maoismus kam, so wird er weiterhin auf offizieller Ebene als herausragende Leitfigur verehrt.

Grundlegend gewandelt hat sich jedoch die Präsenz Maos in der Öffentlichkeit. Im Zuge eines extremen Personenkultes in der Tradition der Götter- und Kaiserverehrungen war sein Porträt als gigantisches Fassadenbild in den Straßen genauso wie in Wohnungen, sowie als Abzeichen allgegenwärtig. Maos Schriften bzw. zeitweise insbesondere das "Rote Buch" mit Zitaten von ihm hatten den Status einer Staatsdoktrin.

Inzwischen gelten die Lehren Maos als Relikt der Vergangenheit. Meist wird nur noch auf ihn zurückgegriffen, um die vorherrschende Stellung der Partei zu rechtfertigen. Bezeichnender Weise ist das Portrait-Bild Maos im alltäglichen Leben inhaltlich entleert nur noch auf Geldscheinen zu finden.

Aus dem Stadtbild Shanghais sind dagegen Mao-Bilder genauso wie politische Spruchbänder der Kommunistischen Partei völlig verschwunden.

Ersetzt wurden sie durch gigantische, bunt beleuchtete Werbefassaden, die nicht mehr das Glück im maoistischen Kommunismus preisen, sondern die Heilsversprechen in die Scheinwelt des Konsums übertragen haben.


Mao schadet dem Standortfaktor

Die Lehren von Mao Zedong passen längst nicht mehr in die Welt des Neoliberalismus, der auch die Volksrepublik Chinas durchzogen hat. Um die Position auf dem Weltmarkt auszubauen, wird alles versucht, um den Standortfaktor Shanghais zu stärken. Der offene Bezug auf Mao wäre in diesem Sinne schlecht für das Image der Stadt.

Angehörigen der Mittelschicht ist es meist eher unangenehm oder gar peinlich auf Mao angesprochen zu werden. Man definiert sich lieber über die neuen Konsumprodukte und verbannt den Staatsgründer in die Geschichtsbücher. Auch in den verarmten Vorstädten oder gar in den Slums bezieht sich längst niemand mehr auf Mao. Im alltäglichen Überlebenskampf erscheint es hier egal, wer gerade an den Hebeln der Macht sitzt.

Und so findet sich das Rote Buch von Mao in einer Neuauflage popkulturell vermarktet nur noch in den Souvenir-Shops. In den inzwischen antiquarischen Originalversionen werden die Schriften von Mao daneben vereinzelt von StraßenhändlerInnen zwischen Imitaten westlicher Uhren und schrillen Spielzeugfiguren angeboten. Wenn dann Polizeikräfte auftauchen, um den illegalisierten Straßenverkauf zu unterbinden, verschwinden die Bücher des Staatsgründers mit all den anderen Produkten in grossen Taschen, die dann einige Straßen weiter wieder ausgelegt werden.


Die Glücksversprechen des Konsums

Shanghai hat längst die Vermarktungsmechanismen der globalisierten Welt übernommen. Die zahlreichen Einkaufsstraßen unterscheiden sich kaum von westlichen Shopping-Malls. Wie in anderen Metropolen sind ganze Straßenzüge von beleuchteten Fassaden und riesigen Bildschirmen mit Werbebotschaften bestimmt.

Die Produkte stammen, sofern sie nicht kopiert sind, zumeist von den gleichen multinationalen Konzernen, die derzeit auch in Amerika und Europa den Markt bestimmen.

In der Welt des Konsums und des Kommerzes reduziert sich vieles auf den äußeren Schein. So besteht die ehemalige Altstadt Shanghais inzwischen im wesentlichen aus neuen, äußerlich in der traditionellen Bauweise errichteten Häusern. Einem riesigen Einkaufszentrum gleichend, beherbergen sie allerdings jeweils modern gestylte Geschäfte für die TouristInnen, die sich durch die Gassen drängen. Die Bezeichnung Altstadt ist wie der Baustil zu einer reinen Produktverpackung geworden.

Eine innere Leere drücken auch die großen, bunten Werbeflächen aus, die auf grauen Betonflächen oder direkt an den nicht weniger eintönigen Hochhäusern angebracht sind. Die Glücksversprechen des Konsums wirken dabei entlarvend und betäubend zugleich.


Das Ende der Zukunft

Es ist ein Merkmal der globalisierten Welt, dass die allgegenwärtige Sehnsucht nach Glück nicht in einer freien, gemeinschaftlichen Entfaltung mündet, sondern in Konsumprodukten eine scheinbare Befriedigung findet. Um ein autoritäres System langfristig aufrecht zu erhalten, bedarf es nicht nur einer militärischen Stärke. Entscheidend ist vielmehr, ob es gelingt die entsprechenden Strukturen auch im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Die Ausrichtung an der konfuzianischen Lebensphilosophie in Verbindung mit konsumorientierten Werten erweist sich dabei als besonders effektiv.

Shanghai verkörpert wie kaum eine andere Mega-City die globalisierte Moderne. Hohe Wachstumsraten und technologischer Fortschritt lassen Shanghai als Stadt der Zukunft erscheinen. Wer jedoch hinter die Fassaden blickt, dem offenbart sich schnell, dass Wachstum im Kern auch Rückschritt bedeuten kann.


Wolfgang Sterneck
Kontakt: www.sterneck.net


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Quelle:
graswurzelrevolution, 40. Jahrgang, Nr. 362, Oktober 2011, S. 1 und 15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2011