Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/1067: Totale Kriegsdienstverweigerung


graswurzelrevolution 345, Januar 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Totale Kriegsdienstverweigerung

Selbstbestimmt gegen Arbeitszwang und Krieg.
TKDVer Fabian Schulz braucht unsere Solidarität

Von Fabian Schulz


Leider erst drei Jahre nach seiner Totalen Kriegsdienstverweigerung (TKDV) hat Fabian Schulz aus Lübeck Kontakt zur GWR-Redaktion aufgenommen. Offenbar hat er bisher versucht sozusagen als einzelne Ameise gegen den großen Bären zu kämpfen, anstatt sich mit vielen zusammenzutun und sich kollektiv zu wehren. Aber für Solidarität ist es nie zu spät. Wir empfehlen allen TKDVern Kontakt zu anderen AktivistInnen aufzunehmen (siehe: www.graswurzel.net/vernetzung/kontakte.shtml). Wir wünschen uns, dass viele am 02.02.2010 zum TKDV-Prozess von Fabian Schulz gehen: 11.15 Uhr, Amtsgericht Lübeck, Am Burgfeld 1, Saal 263. Kontakt (abends): 01 62 / 429 80 65. Im folgenden Artikel berichtet Fabian über den bisherigen Ablauf seiner TKDV. Er erläutert die Beweggründe, die ihn dazu brachten, sich der Wehrpflicht zu widersetzen.
(GWR-Red.)



Wie alles begann

Im September 2006 fuhr ich nach Damp mit der Absicht den Zivildienst anzutreten, vorerst. Am Tag X angekommen merkte ich, dass hier etwas nicht stimmt. Insbesondere als mir ein Mietvertrag für eine Wohnung vorgelegt wurde und ich aufgefordert wurde diesen zu unterschreiben. Ich habe doch eine Wohnung, wieso also das jetzt? Aber das interessierte nicht; Wohnen im Heim, Heimfahrt wird in den ersten drei Monaten nicht gewährt, die Anwesenheit wird außerhalb des Dienstes überwacht, das ist eine dienstliche Anordnung. Der Zivildienst ist ein Zwangsdienst. Mir lag der Arbeitszwang quer. Mich aus meinem Umfeld reißen lassen, mir diktieren lassen wo ich wohnen und wann ich im Bett sein soll, da war klar: ich und der Zivildienst, das wird nix. Ich kam der Zivildienstpflicht nicht nach und fuhr nach Hause.

Dreimal bekam ich noch Besuch von Mitarbeitern des BAZ (Bundesamt für Zivildienst), die mich aufforderten "vernünftig zu sein". Dieser Aufforderung kam ich nach - und lehnte ab. Diese gravierenden Einschnitte in mein Selbstbestimmungsrecht waren die ersten Schritte auf dem Weg zu meiner TKDV.


Anerkannter KDVer - alles Lug, alles Trug, oder auch mal was in Frage stellen

Spät, aber besser als nie begann ich mich mit dem Zivildienst und der Thematik genauer zu befassen. Was da zum Vorschein kam ist das Grauen, so dass es mir absurd vorkommt, dass ich je vor hatte die Wehrpflicht in Form des "Zivildienstes" überhaupt zu erfüllen. Der "Zivildienst" findet im Rahmen der Wehrpflicht statt und legitimiert diese damit.

Die Einführung der Wehrpflicht war schon immer eine Idee von Regierungen. Immer wurden Wehrpflichtarmeen für Angriffskriege verwendet. In den Weltkriegen wurden Millionen im Namen der Wehrpflicht auf den Schlachtfeldern verheizt. Ihre Einführung nach 1945 wurde nur durch Änderung des Grundgesetzes möglich. Der Wille "Nie Wieder Krieg!" wurde wieder gebrochen.

Die Wehrpflicht zwingt Männer sich einem militärischen Drill zu unterziehen. Dieser Militarismus wird mit in die Gesellschaft getragen und fördert ihre Militarisierung. Der Zivildienst unterliegt den Wehrgesetzen und ist Bestandteil des deutschen Militärapparates. Der Zivi kann im sogenannten Kriegs- oder Spannungsfall zu einem unbefristeten Dienst eingezogen werden. Er ist im Konzept der Gesamtverteidigung Bestandteil der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ), die ihn verpflichtet Teil kriegerischer Machenschaften zu werden. In diesem Zusammenhang ist vorgesehen dem Zivi Aufgaben wie z.B. im Lazarettdienst an der Front, bei der Triage (Verletztenselektion auf den Schlachtfeldern) oder Versorgungshilfe für die Truppe zuzuteilen. Er untersteht im "Verteidigungsfall" oder Spannungsfall direkt der Befehlsgewalt des Verteidigungsministeriums.

Zivildienst ist ein Zwangsdienst, der Zivi hat keine Möglichkeit sich ihm zu widersetzen. Eine Verweigerung eines Befehls oder einer Anordnung kann ihn bis zu fünf Jahre ins Gefängnis bringen. Damit ist der Zivildienst ähnlich wie eine Armee auf dem Prinzip Befehl und Gehorsam aufgebaut. Dieses Prinzip ermöglicht wenigen Macht über viele auszuüben und sie somit unter der Androhung von Strafe für ihre Interessen zu instrumentalisieren.

Grausame Beispiele wohin dies führen kann zeigt die deutsche Geschichte. Der Zivi wird erheblich in seinen Grundrechten, z.B. im Recht auf freie Meinungsäußerung, Freizügigkeit, freie Wohnungswahl, Petitionsrecht, ... eingeschränkt, politische Aktivität ist ihm verboten.

Krieg bedeutet Zerstörung der Lebensgrundlagen, Krieg ist keine Konfliktlösung, sondern Eskalation, Mord, Leid und Elend, Geld- und Rohstoffverschwendung. Er löst keine Probleme, sondern vermehrt sie.

In Zeiten, 65 Jahre nach dem 2. Weltkrieg, wo Rüstungsausgaben wieder in schwindelerregender Höhe sind (BRD: 30 Milliarden im Jahr), wo der Planet übersäht ist von Kriegsgeschwüren und Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur diese kräftig anfacht, als ein Land das schon einmal die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt hat, und dazu noch meint der Welt wieder Frieden und Freiheit mit Panzern und Tornados zu bringen, möchte ich ein Zeichen gegen Krieg und Militarismus setzen.

Für mich ist es nicht tragbar, dass ich zu einem kriegsrelevanten Dienst herangezogen werden könnte. Auch wenn der "Verteidigungsfall" in Deutschland zur Zeit nicht absehbar ist, ist das Bestehen solcher Gesetze nicht zu akzeptieren. Ich bin nicht bereit mich diesen Gesetzen zu unterwerfen.

Ich kämpfe für die Abschaffung von Wehrpflicht und Armee. Nach meiner Auffassung müssen die Grundrechte zu jeder Zeit für jede und jeden gewahrt werden. Sie dürfen weder in Zeiten des Notstandes noch von Spannungsfällen, "Verteidigungsfällen" oder sonstigen "Dienstzeiten" außer Kraft gesetzt werden.

Für mich ist es nicht hinnehmbar, meine Meinungen nicht kund tun zu dürfen. Gegen den Maulkorb! Ich stehe für selbstbestimmtes Leben und verantwortungsvolles Handeln. Deshalb lehne ich das Prinzip Befehl und Gehorsam strickt ab.


Was weiter geschah

Anklageschrift wegen Dienstflucht, Gerichtstermin, 1. Prozess. Ich habe Rechenschaft abgelegt, warum ich auch aus Gewissengründen sowie aus moralischer und politischer Überzeugung den "Wehrdienst" nicht antreten will.

Richter und Staatsanwalt machten im Prozess einen desinteressierten Eindruck. Meine Ansichten seien zum Teil lobenswert, die Bundeswehr sei keine Naziarmee, es gehe hier nicht um Krieg und Frieden, sondern ums Kartoffeln schälen, vor dem ich mich drücken wolle. Ergebnis: 90 Tagessätze á 10 Euro, keine Berufung.


Klappe, die zweite

Wenige Wochen später Post vom BAZ: Wir fordern sie auf, den Zivildienst sofort aufzunehmen oder wir werden ein Strafverfahren einleiten. Zu diesem Zeitpunkt war mir die penetrante Verfolgung und Wiedereinberufung durch das BAZ sowie das Thema Doppelbestrafung bereits ein Begriff. Ich blieb vernünftig und verweigerte weiterhin die Einbindung meiner Person in jegliche militärische Strukturen, inbegriffen Zivildienst.

Es folgten: Anklageschrift wegen Dienstflucht, Gerichtstermin, zweiter Prozess (Amtsgericht Eckernförde). Ich erläuterte, warum ich Krieg, das Außerkraftsetzen von Grundrechten und Hierarchien scheiße finde, was das mit dem Zivildienst zu tun hat und warum ich diesen nicht antreten kann. Ich machte die Richterschaft auf den Artikel im Grundgesetz aufmerksam, der das Verbot einer Mehrfachbestrafung für die selbe Tat ausschließt. Dies alles schien die Herren nicht zu interessieren. Ergebnis: Verurteilung zu 5 Monaten Haft auf 3 Jahre Bewährung und 100 Zwangsarbeitsstunden, sowie den Hinweis, dass ich beim nächsten Mal in den Knast gehe. Dies veranlasste mich in Berufung zu gehen.

Im September 2008 kam es beim Landgericht Kiel zur Berufungsverhandlung. Nach sechsstündiger Verhandlung waren sich Richter und Schöffen einig, dass ich ein staatsfeindlicher, gewissenloser Drückeberger sei. Deshalb werde die Berufung abgelehnt.


The Show must go on

Bevor ich das Urteil der Berufungsverhandlung im Briefkasten hatte, bekam ich wieder Post vom BAZ: Erneute Einberufung zum Zivildienst, Zivildienstschule Schleife in Ostsachsen.

Diesmal wendete ich mich ans BAZ, schrieb meine Gründe auf, warum ich "Zivildienst" und die Wehrpflicht nicht antreten kann, mit der Bitte mich freizustellen. Ohne Erfolg. Ich muss. Im September 2009 bekam ich Post vom Amtsgericht Lübeck mit der Anklage wegen Dienstflucht. Das Ganze zeigt wie es um das Grund- und Selbstbestimmungsrecht steht. Was fehlt, ist der Protest und der Widerstand dagegen.

Was ich mir wünsche, ist, dass wir anfangen zu kapieren, dass Krieg, Herrschaft und Zwang scheiße sind und dass es möglich ist diese zu beseitigen.

Gegen jegliche Formen von Militarismus, Herrschaft und Zwang, gegen das "Frieden schaffen mit viel Waffen".


*


Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, GWR 345, Januar 2010, S. 24
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2010