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GLEICHHEIT/7060: Streiken gegen den Tod - Mexikanische Maquiladora-Arbeiter legen Arbeit nieder


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Streiken gegen den Tod: Mexikanische Maquiladora-Arbeiter legen Arbeit nieder

Von Eric London und Andrea Lobo
22. April 2020


In der Corona-Pandemie ist die wachsende Streikwelle in den mexikanischen Maquiladora-Sweatshops an der Grenze zu den USA ein wesentliches Konfliktfeld im Kampf zwischen Kapitalisten und Arbeiterklasse.

Die Maquiladora-Arbeiter, die in Tijuana, Matamoros, Mexicali, Reynosa und Ciudad Juárez Komponenten für transnationale Konzerne produzieren, verleihen Milliarden Arbeitern weltweit eine Stimme. Sie fordern die Stilllegung nicht-systemrelevanter Produktion, volle Lohnfortzahlung und die Bereitstellung von angemessener Gesundheitsversorgung, sowie Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen.

Obwohl die US-amerikanischen Medien die Proteste totschweigen, zirkulieren im Internet Videos, auf denen Manager zu sehen sind, die verzweifelte und wütende Arbeiter anschreien, die ihre Arbeitskittel auf den Boden werfen und die Betriebe verlassen. Genau wie Anfang 2019, als in Matamoros 70.000 Arbeiter gegen die Gewerkschaften rebellierten und den größten spontanen Streik in Nordamerika seit Jahrzehnten begannen, agieren die Arbeiter auch heute aus eigener unabhängiger Initiative. Diesmal tun sie es jedoch, um ihr Leben zu retten.

Die Konzerne und ihre Partner, die Gewerkschaften, reagieren auf die Pandemie, indem sie versuchen, die Werke offen zu halten, egal wie viele Menschenleben es kosten wird.

Ärzte aus der gesamten Grenzregion berichten, dass die Krankenhäuser überfüllt sind mit kranken und sterbenden Maquiladora-Arbeitern. In einem großen Werk der Lear Corporation aus Michigan im mexikanischen Ciudad Juárez erzwang die Firma die Fortsetzung der Produktion, obwohl sich das Virus in ihrem Werk ausgebreitet hatte. Alleine in diesem Betrieb sind mindestens 13 Arbeiter gestorben.

Mónica, die Tochter eines erkrankten Lear-Arbeiters, erklärte gegenüber der World Socialist Web Site: "Mein Vater liegt in sehr kritischem Zustand im Koma." Im März arbeitete er noch und erzählte, Lear habe "einen Erkrankten wieder an die Arbeit geschickt. Er und andere hatten Kontakt mit dieser Person. Es ist unverantwortlich, dass die Werke weiterhin geöffnet bleiben und ihre Arbeiter so in Gefahr bringen." In einem Appell an die Leser sagte Mónica: "Arbeiter! Lernt aus der Erfahrung, die ich mit meinem Vater gemacht habe, und gefährdet euch nicht selbst. Ihr müsst euch zuerst um euer Leben und das eurer Familien kümmern."

In einer Reportage schrieb die Los Angeles Times: "Ende März wurde klar, dass die Fabrik [von Lear] in Juárez das Zentrum eines schweren Covid-19-Ausbruchs war." Als viele Arbeiter krank wurden und zum Betriebsarzt gingen, "diagnostizierten die Pflegekräfte bei ihnen Allergien oder Erkältungen, gaben ihnen Schmerzmittel und schickten sie wieder an die Arbeit". Der Vorstandschef von Lear, Ray Scott, hat im Haushaltsjahr 2017/18 fast zehn Millionen Dollar eingenommen.

In einer anderen Maquiladora von Cooper Lighting aus Georgia zwangen die Besitzer die Arbeiter trotz der Pandemie weiterzuarbeiten. Die Times berichtete, die Besitzer hätten "Ketten an den Türen angebracht, damit die etwa 800 Arbeiter das Werk nicht verlassen konnten". Der Vorstandschef von Cooper Lighting soll im Haushaltsjahr 2017/18 2,8 Millionen Dollar verdient haben.

Diese dreiste Kriminalität ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie ist beispielhaft für die Reaktion der ganzen Kapitalistenklasse und der Regierungen der Großmächte auf die Pandemie. Die Banken und Konzerne der Finanzaristokratie bereichern sich mit Billionen Dollar, während Milliarden Arbeiter weiterhin ohne die grundlegendsten Schutzmaßnahmen arbeiten müssen.

Bis zum 15. April sind in den USA 23 Arbeiter der Autokonzerne Ford und Fiat Chrysler am Coronavirus gestorben. Laut offiziellen Daten der US-Seuchenschutzbehörde CDC sind außerdem 27 Pflegekräfte und Ärzte an dem Virus gestorben. Dazu kamen mindestens 12 Arbeiter von Fleischverarbeitungsbetrieben, von denen außerdem hunderte positiv getestet wurden; außerdem sind 61 aktive sowie pensionierte Beschäftigte der New Yorker Verkehrsbetriebe gestorben. Aufgrund der beschränkten Menge an Tests ist die tatsächliche Zahl der Todesopfer vermutlich deutlich höher.

Die Toten wurden auf dem Altar des privaten Profitstrebens geopfert. Für die Wall Street und den US-Imperialismus ist die Fortsetzung der Produktion in den mexikanischen Maquiladoras eine geostrategische Notwendigkeit, egal wie viele Mexikaner dabei sterben.

In den Maquiladoras produzieren mehr als eine Million Arbeiter Teile für die meisten wichtigen Industriezweige in den USA, u.a. für die Rüstungsindustrie. Deshalb ist die Produktion dort von entscheidender Bedeutung für die Versuche der Trump-Regierung und der Medien, die amerikanische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Trump hat für den 1. Mai eine Lockerung der Arbeits- und Reisebeschränkungen vorgeschlagen, obwohl Mediziner warnen, dies könnte zu Tausenden von Toten führen.

Donald Trump verkündete am Sonntag bei seiner täglichen Pressekonferenz: "Ich habe gestern mit dem Präsidenten von Mexiko gesprochen ... Und wir stimmen uns jetzt sehr gut ab ... Wir kümmern uns um die Versorgungskette. Es wird den Handel nicht beeinträchtigen ... Und wenn doch, dann sage ich Ihnen: Wenn eine Lieferkette in Mexiko oder Kanada uns daran hindert, ein großes oder wichtiges Produkt herzustellen, oder sogar ein militärisches Produkt, dann werden wir nicht erfreut sein, das kann ich Ihnen sagen."

Die Reaktion des mexikanischen Präsidenten Andres Manuel López Obrador auf das Virus war geprägt von seiner Unterwerfung unter die Trump-Regierung und die wirtschaftlichen und geopolitischen Forderungen des US-Imperialismus.

Ende März, als sich das Virus bereits in den Maquiladoras ausbreitete, erklärte López Obrador in einer Videobotschaft: "Wenn es zum Stillstand kommt, haben wir nichts gewonnen. Wir sollten unser Leben ganz normal fortsetzen."

López Obrador inszenierte daraufhin mehrere publikumswirksame öffentliche Auftritte vor großen Menschenmengen, bei denen er Anhänger küsste und gegen die Regel der sozialen Distanzierung verstieß. Die Zeitschrift Mother Jones schrieb dazu: "Während einer seiner täglichen Pressekonferenzen wurde der Präsident von einem Reporter gefragt, wie er Mexiko beschützen will. Daraufhin zog López Obrador religiöse Amulette aus seiner Tasche und erklärte, dies seien seine Schutzmaßnahmen."

Luis Miguel Barbosa, der Gouverneur von Puebla und Mitglied von López Obradors Partei Morena, erklärte Ende März, die Armen seien gegen die Krankheit "immun". Damit deutete er an, sie sollten ohne Bedenken zur Arbeit gehen. Puebla ist ebenfalls ein wichtiges Zentrum der ausländischen Autoindustrie.

López Obradors Reaktion verdeutlicht den Bankrott von Kräften wie den Democratic Socialists of America (DSA) und dem Jacobin Magazine in den USA sowie ihren Äquivalenten in Mexiko, die López Obrador als transformierende "linke" Kraft oder sogar "sozialistischen" Kämpfer für die Arbeiterklasse dargestellt haben. Im Juni 2019 lobte das Jacobin Magazine López Obrador für seinen "progressiven Kurs" und erklärte, seine Regierung widersetze sich "internationalen wirtschaftlichen Allheilmitteln".

Ganz im Gegenteil dazu plant López Obrador jetzt, die Nationalgarde gegen die Proteste der Arbeiter einzusetzen, um die Profite der Wall Street am Laufen zu halten. Ein vor Kurzem veröffentlichtes 30-seitiges internes Dokument der Nationalgarde erklärt, dass sie sich auf den Einsatz gegen "soziale Unruhen" vorbereitet.

Die Erfahrung der letzten zwei Monate haben die völlige Gleichgültigkeit der herrschenden Klasse gegenüber den tödlichen Folgen des Virus für die Arbeiterklasse gezeigt. Forderungen nach einer sofortigen Rückkehr an die Arbeit bedeuten, dass noch mehr Arbeiter in den Tod geschickt werden, um die Profite der Konzerne und die Vermögen der Reichen zu schützen.

Die um sich greifenden Aktionen der mexikanischen Arbeiter in den Werken und Lagerhäusern an der Grenze verdeutlichen die enorme potenzielle soziale Macht einer international vereinten Reaktion der Arbeiterklasse auf die Krise.

Die Washington Post schrieb am Sonntag: "Wachsende weltweite Unruhen könnten zu Aufruhr führen, während Volkswirtschaften zusammenbrechen." Die Zeitung zitierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der vor einer unmittelbar bevorstehenden "Zunahme sozialer Unruhen" warnte.

Das Jahr 2019 endete mit der größten Welle von Massendemonstrationen seit Jahrzehnten. Doch da eine revolutionäre Führung fehlte, wurde keine der Fragen gelöst, für die die Arbeiter demonstrierten.

Jetzt hat diese wachsende soziale Wut ein neues und noch akuteres Stadium erreicht. In den USA, Europa, ganz Lateinamerika und dem Rest der Welt finden Streiks, Arbeitsniederlegungen und Proteste statt. Die Arbeiter stellen überall die gleichen Forderungen: unbefristete Freistellung mit vollem Lohnausgleich, angemessenen Schutz für wirklich systemrelevante Arbeiter und die Bereitstellung von ausreichenden Mitteln für die Gesundheitsversorgung und die Produktion von Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten.

Die Art des Virus macht jede rein nationale Reaktion hinfällig. Die nationalistischen Gewerkschaften unterstützen in jedem Land die Verschwörung der herrschenden Klasse mit dem Ziel, die Arbeiter so schnell wie möglich in die Betriebe zurückzuschicken.

Um ihr Leben und das ihrer Angehörigen zu retten, müssen die Arbeiter die Kontrolle über die Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen an ihren Arbeitsplätzen haben. Sie allein müssen demokratisch darüber entscheiden, ob, wann und unter welchen Bedingungen die Arbeit wieder aufgenommen wird. Dies werden sie nicht mit Hilfe der Gewerkschaften erreichen. Deshalb müssen sie selbst eine demokratische Arbeiterkontrolle über die Produktion errichten.

Die Arbeiter benötigen neue Organisationen - Aktionskomitees, um Arbeiter aller Branchen und über alle nationalen Grenzen hinweg zu verbinden und in einem globalen Kampf gegen das kapitalistische System zu vereinen. Mit einer revolutionären sozialistischen Perspektive bewaffnet, kann diese Bewegung der Arbeiterklasse dafür sorgen, dass die Produktion nicht der Befriedigung des Profitstrebens dient, sondern der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und der Rettung von Menschenleben.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 22.04.2020
Streiken gegen den Tod: Mexikanische Maquiladora-Arbeiter legen Arbeit nieder
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2020

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