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GLEICHHEIT/6349: Duisburg - Schüler demonstrieren gegen Abschiebung der 14-jährigen Bivsi


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Duisburg: Schüler demonstrieren gegen Abschiebung der 14-jährigen Bivsi

Von Dietmar Henning
13. Juni 2017


Am Montagnachmittag demonstrierten in Duisburg rund 1000 Schülerinnen und Schüler für die Rückkehr ihrer Mitschülerin Bivsi Rana und ihrer Familie. Die 14-jährige Schülerin war am 29. Mai von Mitarbeitern der Ausländerbehörde aus dem Unterricht heraus abgeführt und noch am gleichen Tag gemeinsam mit ihren Eltern nach Nepal abgeschoben worden.

Die Schülerin hatte das Land ihrer Eltern zuvor niemals gesehen, sie war in Duisburg geboren und besuchte die Klasse 9d des Steinbart-Gymnasiums. Bivsis Eltern hatten 20 Jahre lang vergeblich um Asyl oder ein Bleiberecht gekämpft.

Die Mitschüler Bivsis waren geschockt, teilweise traumatisiert, als sie mit ansehen mussten, wie ihre Freundin weinend abgeführt wurde. Klassenlehrer Sascha Thamm berichtete der Regionalpresse, seine Schüler seien "wütend, geradezu fassungslos" gewesen. Die Kinder hätten zusammen Pläne gemacht, ihre Oberstufenkarriere und Urlaube geplant. "Das ist ihnen von einem auf den anderen Moment genommen worden. Bivsis beste Freundinnen waren besonders geschockt. Eines von den beiden Mädchen mussten wir von einem Krankenwagen abholen lassen - sie hat dringend Beruhigungsmittel gebraucht."

Auch der Religionslehrer und ein Pfarrer mussten die weinenden und aufgewühlten Schülerinnen und Schüler beruhigen.

Eine geschockte Nachbarin schilderte die Abschiebung dem Westdeutschen Rundfunk (WDR). Drei Mannschaftswagen vom Ordnungsamt hätten vor der Tür gestanden. "Wie ein Überfall. Und ich hab dann unten nur noch gesehen, dass das Mädchen aus der Schule geholt wurde und fürchterlich weinte."

Mittlerweile ist das Gefühl der Hilflosigkeit, wie sich Klassenlehrer Thamm ausdrückt, "finsterer Entschlossenheit gewichen", die Abschiebung rückgängig zu machen. Sarah Habibi, die Schülersprecherin, sagte auf der kleinen Kundgebung zum Abschluss der Demonstration: "Wir werden nicht aufgeben und solange kämpfen, bis Bivsi und ihre Eltern wieder hier bei uns sind."

Sie kann auf die Unterstützung der Schüler, Eltern und Lehrer bauen. "Wir werden nicht nachlassen, uns für die Rückkehr der ganzen Familie einzusetzen", sagte Elternsprecher Stephan Kube.

Bivsis Unterstützer hoffen auf ein Schülervisum für das Mädchen, damit sie hier ihren Schulabschluss machen kann. Die inzwischen 15-Jährige - Bivsi hatte letzten Sonntag Geburtstag - müsste dann ohne Eltern wieder zurück nach Deutschland kommen. Für Kosten und Betreuung müssten Freunde aufkommen. Elternsprecher Kube meint: "Das kann geregelt werden."

Eine weitere Hoffnung ist ein sogenanntes "humanitäres Visum", das Menschen in besonderen Notlagen die Einreise ermöglicht. Das müssten aber deutsche Behörden unterstützen. Oberbürgermeister Sören Link (SPD) erklärte nun gegenüber dem WDR, dass er sich dafür einsetzen will, dass Bivsi in Duisburg ihr Abitur machen kann. Dass die Eltern ihre Tochter begleiten können, davon sprach er nicht.

Auf der Kundgebung wandte er sich an die protestierenden Schüler. Nachdem seine Worte zu Beginn in einem Pfeifkonzert untergingen, wolle er dennoch mitteilen, dass die Abschiebung "rechtmäßig war". Das Ergebnis sei unzufriedenstellend, daher würden er und die Stadt alles tun, "was in unserer Macht steht, damit Bivsi zurückkommt".

Das sei aber nicht viel. "Die Stadt entscheidet das nicht allein." Er könne also nicht versprechen, dass Bivsi zurückkomme.

Im Internet haben Unterstützer der Familie eine Petition an den Deutschen Bundestag gestartet, in der sie fordern, dass die junge Schülerin und ihre Eltern wieder zurückkommen dürfen. Am Montagnachmittag hatten über 36.000 Unterstützer unterzeichnet.

Marco, 27, studiert in Düsseldorf. Er hat über die Medien von der Abschiebung erfahren. "Ich finde falsch, was hier läuft", sagte er. "Ich habe die Online-Petition unterstützt und verbreite sie. Aber ich glaube, ich kann noch mehr tun." Er sprach sich gegen die gesamte Abschiebe- und Flüchtlingspolitik aus. "Die Flüchtlingspolitik ist eine Katastrophe. Mir fehlen die Worte. Wir müssen verhindern, dass Tausende Menschen vor unserer Haustür im Mittelmeer ertrinken. Wir müssen dringend Lösungen finden, so kann es nicht weitergehen."

Sabine, 55-jährige Lehrerin, nahm an der Demonstration teil, weil ihre Tochter eine gute Freundin von Bivsi ist. "Wir waren schon zusammen im Urlaub. Wir sind geschockt." Auch sie sieht die Politik in der Verantwortung. "Heute habe ich in den Nachrichten gehört, dass die EU Gelder nach Afrika schickt, angeblich um Strukturen zu stützen bzw. aufzubauen. Das ist doch alles eigennützig."

Verantwortlich für die gesamte Flüchtlings- und Außenpolitik ist nach Sabines Ansicht die Politik. "Aber ich sehe auch uns alle hier in der Verantwortung. Seit Jahrzehnten plündern wir die Länder der Dritten Welt aus, wie sie früher genannt wurden. Es ist doch verständlich, dass sich jetzt viele dort auf die Socken machen, um vor den dortigen Zuständen zu fliehen."

Die Abschiebung der jungen Schülerin Bivsi ist eine von vielen [1]. Hauptverantwortlicher für die Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen ist Innenminister Ralf Jäger (SPD). Seine Tage als Innenminister sind zwar durch die Wahlniederlage der SPD bei der letzten Landtagswahl [2] gezählt, doch noch ist er im Amt. In den letzten Jahren haben er und die rot-grüne Landesregierung mehr Abschiebungen als jedes andere Bundesland organisiert.

Die "Zentrale Stelle des Landes NRW für Flugabschiebungen" in Bielefeld hatte für Bivsi und ihre Eltern die Flug-Abschiebung nach Nepal organisiert. Ohne vorherige Ankündigung erhielt dann Ralf Buchthal, der Leiter des Steinbart-Gymnasiums, am Morgen des 29. Mai, eines Montags, einen Anruf der Ausländerbehörde der Stadt Duisburg. Er wurde informiert, dass gleich zwei Herren kämen und Bivsi aus dem Unterricht zur Abschiebung abholen. Er habe kaum den Hörer aufgelegt, da hätten die beiden Beamten schon in der Schule gestanden.

Der Schulleiter und ein Kollege holten dann das Mädchen aus der Klasse ins Schulleiterzimmer, wo ihr mitgeteilt wurde, dass sie in wenigen Stunden nach Nepal geflogen werde. Es sei alles vorbereitet, ließen die Beamten wissen.

Bivsi, so der Schulleiter, sei darauf in Tränen ausgebrochen. "Wie weg, wohin soll ich denn?" fragte sie völlig verstört. Der Schulleiter ließ noch die zwei besten Freundinnen ins Lehrerzimmer holen, um Bivsi zu beruhigen - vergeblich. Alle drei Mädchen waren geschockt und in Tränen ausgebrochen.

Bivsis Eltern waren 1998 nach Deutschland gekommen und haben hier vergebens Asyl beantragt. 2002 wurde Bivsi geboren. Bei dem Versuch, einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu erhalten, hat die Familie über nunmehr fast 20 Jahre bei diversen Gerichten vergeblich auf ein Bleiberecht geklagt.

Den Asylantrag lehnten die Behörden erstmals vor 15 Jahren ab. Es folgten mehrere Klagen der Eltern. Die letzte wurde im März 2016 abgewiesen. Auch die Härtefallkommission des Landes NRW hatte zum Schluss einen Antrag der aus Nepal geflüchteten Familie abgelehnt.

Diese Kommission hat neun von Innenminister Jäger berufene Mitglieder. Neben je einem Vertreter des NRW-Flüchtlingsrats, der Freien Wohlfahrtspflege, von Pro Asyl sowie der evangelischen und katholischen Kirche, sind auch der Leiter der Ausländerbehörde in Borken, ein Arzt und zwei Ministerialbeamte in der Kommission. Für das von Jäger geleitete Innenministerium sitzt Sigrid Humpert in dem Gremium, Leiterin der Kommission ist Barbara Marx aus dem vom ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär Rainer Schmelzer geleiteten Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS).

Im WDR erklärte der Anwalt der Familie, Jörg Gorenflo, dass sich die Härtefallkommission des NRW-Landtags nicht auf ihren Verbleib einigen konnte, weil die Eltern vor zwei Jahrzehnten falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht hatten. Bei der Mutter sei die Angabe eines anderen Namens im Rahmen einer Hausdurchsuchung im August 2003 herausgekommen, der Vater teilte der Duisburger Ausländerbehörde im Jahr 2012 mit, dass er bei seiner Einreise einen falschen Namen aus Angst vor Verfolgung in Nepal angegeben hatte. Die Ermittlungen aufgrund seiner Selbstanzeige wurden 2013 von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Die Härtefallkommission hatte der Familie geraten, auf den Petitionsausschuss des NRW-Landtags zu hoffen. Nach Angaben des Anwalts Jörg Gorenflo ist das Verfahren dort noch anhängig. Eine schnelle Lösung werde es wohl nicht geben, sagt der Vorsitzende des Petitionsausschusses, Wolfgang Jörk (SPD). Bis der Ausschuss Stellungnahmen von den verschiedenen Behörden eingeholt hätte, könnten acht Wochen vergehen. Gleichzeitig versucht er, allzu hohe Erwartungen zu bremsen. "Wir können nichts anordnen. Wir können nur Empfehlungen geben." Auf der Demonstration

Auf jeden Fall hatte das Verfahren vor dem Petitionsausschuss die Abschiebung nicht verhindert. Die Familie habe inzwischen sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft, erklärte Daniela Lesmeister (CDU), Rechtsdezernentin der Stadt Duisburg, im WDR. "Juristisch gab es für die Stadt keine Alternative mehr", erklärte sie.

Die ehemalige Polizistin und Juristin war im September 2014 von einer großen Mehrheit im Stadtrat von CDU und SPD zur Dezernentin gewählt worden. Nun ist sie im Gespräch, den Platz von Innenminister Jäger in der neuen CDU/FDP-Landesregierung einzunehmen.

Wie die Freundinnen von Bivsi der WSWS berichteten, erschien Lesmeister am Tag nach der Abschiebung in der Klasse und wiederholte diese Rechtfertigung. Sie schob nach, die Mehrheit in Deutschland wolle, dass mehr Menschen abgeschoben werden. "Das war total entmutigend und demotivierend", sagte Bivsis beste Freundin Alev. Sie und ihre Freundinnen wollen sich aber nicht davon abhalten lassen, weiter für die Rückkehr Bivsis und ihrer Eltern zu kämpfen.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2017/06/02/absc-j02.html
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2017/05/17/nrwe-m17.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 13.06.2017
Duisburg: Schüler demonstrieren gegen Abschiebung der 14-jährigen Bivsi
http://www.wsws.org/de/articles/2017/06/13/bivs-j13.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2017

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