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GLEICHHEIT/5997: Haager Urteil schafft Voraussetzungen für amerikanische Konfrontation mit China


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Haager Urteil schafft Voraussetzungen für amerikanische Konfrontation mit China

Von Peter Symonds
14. Juli 2016


Der Ständige Schiedshof in Den Haag hat am Dienstag ein weitreichendes, hochgradig politisches Urteil verkündet. Es ergeht zugunsten einer von den USA unterstützten philippinischen Klage gegen die territorialen Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer. Die Entscheidung bereitet den Weg für eine dramatische Verschärfung der Spannungen in Asien. Das geschieht vor dem Hintergrund einer ständigen Ausweitung der militärischen Aufrüstung der Region durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten und von provokativen Marine-Operationen in der Nähe der kleinen, von China kontrollierten Inseln.

Die Klage der Philippinen, die mit Hilfe der USA aufgesetzt wurde, enthielt fünfzehn Punkte, die das Gericht mit geringfügigen Abweichungen alle im Sinne der Philippinen entschied. China weigerte sich, die Zuständigkeit des Gerichts und die Berechtigung der Klagen zu akzeptieren. In einer Erklärung des Außenministeriums hieß es am Dienstag, dass "der Urteilsspruch null und nichtig ist" und von China nicht anerkannt und ignoriert werde.

Die wichtigsten Aspekte der 479-Seiten-Entscheidung, die sich auf die UN-Seerechtskonvention (UNCLOS) stützt, sind folgende:

Erstens, so erklärte das Gericht, gebe es "keine juristische Grundlage" für Chinas seit langem erhobene "historische Ansprüche" auf große Teile des Südchinesischen Meers und alle seine kleinen Inseln, Riffe und Atolle. Der willkürliche Charakter der Entscheidung wurde von der Tatsache unterstrichen, dass das Gericht die Ansprüche Chinas für null und nichtig erklärte, ohne zugleich eine Entscheidung über die Hoheitsrechte über irgendeine der Landformationen zu fällen, wofür es auch gar keine Vollmacht hat.

Zweitens entschied es, dass keine der Landformationen der Spratly-Inseln als Insel nach dem UNCLOS gelten könne und deshalb auch nicht die Grundlage für eine 200 Meilen breite Ausschließliche Wirtschaftszone (EEZ) sein könne. Folglich gelten alle Spratly-Inseln entweder als "Felsen", wodurch eine Zwölf-Meilen-Zone entsteht, oder als "Niedrigwasser-Bodenerhebungen", denen gar keine Territorialgewässer zustehen.

Drittens weitete das Gericht die Ansprüche der Philippinen auf eine EEZ aus, indem es die Rechte der von China beanspruchten Inseln einschränkte. Es erklärte, diverse chinesische Maßnahmen hätten die Souveränität der Philippinen verletzt. Es entschied weiter, dass chinesische Landgewinnungsaktivitäten im Südchinesischen Meer der Umwelt "schweren Schaden" zugefügt und den Streit mit den Philippinen "verschärft" hätten, was "mit den Verpflichtungen eines Staates während eines Streitbeilegungsverfahrens unvereinbar" sei.

Indem das Gericht Chinas Vorgehensweise als "illegal" brandmarkt, ermöglicht es Washington und seinen Verbündeten, Beijing zu dämonisieren, weil es die "internationale, auf Regeln basierende Ordnung" verletze. In dieser Ordnung spielt der US-Imperialismus die dominierende Rolle, er legt die Regeln für andere fest und verletzt sie selbst nach Belieben. Im Unterschied zu China haben die USA UNCLOS nie ratifiziert, was einer der Gründe dafür ist, dass sie mit ihrer früheren Kolonie, den Philippinen, einen Stellvertreter für die Klage vor dem Haager Gericht benutzten.

Am Dienstag warnte das US-Außenministerium mit Blick auf China vor "provokativen Äußerungen und Handlungen" von Anspruchstellern als Reaktion auf den Richterspruch. Es forderte sie auf, die Gerichtsentscheidung zu akzeptieren und sich daran zu halten. Tatsächlich ist es die Obama-Regierung, die die Spannungen im Südchinesischen Meer in den letzten fünf Jahren angeheizt hat. Sie hat dabei erklärt, sie habe ein "nationales Interesse" an der Sicherung der "Freiheit der Schifffahrt".

Das Eingreifen der USA in bis dahin eher unbedeutende regionale Konflikte im Südchinesischen Meer versucht einen Keil zwischen China und seine südostasiatischen Nachbarn zu treiben. Es ist Bestandteil der umfassenderen amerikanischen Strategie des "Pivot to Asia", mit dem China diplomatisch isoliert und sein wirtschaftliches Gewicht geschwächt werden soll. Der massive Aufbau der militärischen Drohkulisse der USA und die Stärkung von Bündnissen in der ganzen Region ist die direkte Vorbereitung auf Krieg.

Das amerikanische Militär hat seine Präsenz im und in der Nachbarschaft des Südchinesischen Meeres stark erhöht. Unter anderem hat es ein neues Stationierungsabkommen mit den Philippinen geschlossen. Die US-Marine hat seit Oktober letzten Jahres drei bewusst provokative "Freiheit der Schifffahrt"-Operationen (FONOPS) durchgeführt. Sie hat Zerstörer in die Zwölf-Meilen-Zone der von China kontrollierten Inseln geschickt. Die Tatsache, dass diese Aktionen vor der Entscheidung des Haager Gerichts durchgeführt wurden, unterstreicht Washingtons Verachtung für internationales Recht.

In einem Kommentar vom Dienstag fordert das Wall Street Journal unter der Überschrift "Urteil zum Südchinesischen Meer" eine wesentlich aggressivere Reaktion. Die Zeitung erklärt: "Die UN-Entscheidung bedeutet gar nichts, wenn freie Nationen sie nicht erzwingen." Die Zeitung legt zwar Lippenbekenntnisse zu einer Verhandlungslösung ab, erklärt aber gleichzeitig, dass die USA "die einzige wirkliche Durchsetzungsmacht ist". Sie fordert mehr FONOPS und eine weitere Militarisierung der Region.

"Mit dem Haager Urteil", schreibt die Zeitung, "sollten diese Operationen an Häufigkeit und Umfang zunehmen. Auch Patrouillen Australiens und anderer Länder wären hilfreich [...] Keine Entscheidung eines UN-Tribunals kann ein Sieg für die auf Regeln basierende liberale Ordnung sein, wenn liberale Länder diese Ordnung nicht verteidigen. Das erfordert mehr freien Handel, größere Marinestreitkräfte und eine erneuerte Verpflichtung Washingtons, seine Freunde, seine Interessen und seine Prinzipien in aller Welt zu verteidigen."

Die Vereinigten Staaten betreiben diese verantwortungslose Konfrontation mit China im Südchinesischen Meer nicht aus Sorge über die maritimen Ansprüche Chinas, sondern wegen des historischen Niedergangs Amerikas unter Bedingungen einer sich verschärfenden globalen Wirtschaftskrise. Die "Freiheit der Schifffahrt" ist nur ein weiterer verlogener Vorwand Washingtons, um die Vorbereitung auf neue, noch katastrophalere Kriege zu rechtfertigen - ähnlich wie zuvor schon "Massenvernichtungswaffen" und der "Krieg gegen den Terror" dafür benutzt wurden. Die USA sind nicht daran interessiert, die territorialen Ansprüche der Philippinen oder anderer Anspruchsteller zu verteidigen, sondern nur daran, ihre maritime Kontrolle strategischer Gewässer aufrechtzuerhalten, die an das chinesische Festland und an wichtige chinesische Marinestützpunkte grenzen.

Der Haager Spruch unterstreicht den politischen Bankrott des Regimes der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in Beijing. Die KP-Führung repräsentiert die Interessen der milliardenschweren Oligarchen, die sich nach der kapitalistischen Restauration bereichert haben. Sie ist unfähig, sich an die chinesische oder an die internationale Arbeiterklasse zu wenden, d.h. an die einzige gesellschaftliche Kraft, die die Kriegstreiberei der USA aufhalten kann. Der Nationalismus Beijings spaltet nur die chinesischen Arbeiter von ihren Genossen in aller Welt. Gleichzeitig spielen ihre militärische Aufrüstung und ihr Vorgehen im Südchinesischen Meer dem US-Imperialismus und seinen Verbündeten direkt in die Hände, indem sie deren Kriegsvorbereitungen rechtfertigen helfen.

Nur wenige Tage vor der Entscheidung des Gerichts verlegte das Pentagon den Flugzeugträger USS Ronald Reagan mitsamt der zugehörigen Kampfgruppe aus Zerstörern und Kreuzern und einer vollständigen Staffel von Kampfflugzeugen in das Südchinesische Meer. Mehrere amerikanische Zerstörer befanden sich schon in den Gewässern in der Nähe der von China kontrollierten kleinen Inseln. Die Verschärfung der Spannungen erhöht die Gefahr, dass schon ein kleiner Zwischenfall oder ein Unfall zum Auslöser für einen Konflikt zwischen den beiden atomar bewaffneten Mächten führen und außer Kontrolle geraten kann.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.07.2016
Haager Urteil schafft Voraussetzungen für amerikanische Konfrontation mit China
http://www.wsws.org/de/articles/2016/07/14/scse-j14.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2016

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