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GLEICHHEIT/5994: Italienische Bankenkrise erschüttert EU


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italienische Bankenkrise erschüttert EU

Von Marianne Arens und Peter Schwarz
13. Juli 2016


Keine drei Wochen nach der Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit erschüttert eine neue Bankenkrise die Europäische Union. Es drohen nicht nur weitreichende wirtschaftliche Folgen, sondern auch eine weitere Verschärfung der politischen Krise der EU.

Das Brexit-Votum hat Zweifel an der Stabilität Europas geweckt, eine Schockwelle an den internationalen Finanzmärkten ausgelöst und die Aktien der Banken stark einbrechen lassen. So verlor die Deutsche Bank, die größte deutsche Privatbank, innerhalb von zwei Wochen einen Viertel ihres Werts.

Besonders schwer ist Italien betroffen. Hier zeigt sich exemplarisch, dass die brutalen Kürzungsmaßnahmen zu Lasten der Arbeiterklasse die Wirtschaft und die Finanzmärkte Europas nicht stabilisiert, sondern die Krise verschärft haben.

Trotz der Spar- und Privatisierungsmaßnahmen dreier aufeinanderfolgender Regierungen (Mario Monti, Enrico Letta, Matteo Renzi) ist die italienische Staatsverschuldung seit 2011 von 1,8 auf 2,2 Billionen Euro oder 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen. Das BIP ist seit Anfang 2008 um acht Prozent geschrumpft. Die Summe der faulen Kredite in den Bankbüchern hat sich verdoppelt und beträgt heute etwa 360 Milliarden Euro oder ein Fünftel aller Kredite. Davon gelten 200 Milliarden als unwiederbringlich verloren.

Entsprechend heftig reagierten die Kurse der italienischen Banken auf den Brexit. UniCredit, die größte Bank des Landes, verlor ein Drittel und büßte damit in diesem Jahr bereits sechzig Prozent ihres Börsenwerts ein. Auch der Kurs der zweitgrößten italienischen Bank, Intesa Sanpaolo, sank um dreißig Prozent.

Besonders schlimm erging es der Banca Monte dei Paschi di Siena (MPS). Diese 1472 gegründete Bank gehört zu den ältesten Finanzhäusern der Welt. Ihre Anteile werden seit dem Brexit nur noch zu einem Zehntel ihres Buchwerts gehandelt. Mindestens vierzig Prozent ihrer Einlagen (47 Milliarden Euro) sollen aus faulen Krediten bestehen.

Die Regierung von Matteo Renzi stellt dies vor ein Dilemma. Die neuen Bankenregeln, die die EU als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 erlassen hat, verbieten die Rettung von Banken mit staatlichen Geldern. Bevor öffentliche Hilfsmaßnahmen greifen, müssen zunächst die Gläubiger und Anleger für die Verluste einer Bank haften und mindestens acht Prozent der Verbindlichkeiten bei der Sanierung übernehmen.

Einen solchen Kurs würde Renzi politisch nicht überleben, da Zehntausende Kleinanleger und Sparer ihr Geld in Bankobligationen angelegt haben, die in diesem Fall verloren wären.

Schon als Ende letzten Jahres [1] vier kleinere marode Banken abgewickelt wurden, hatten 12.500 Sparer, darunter zahlreiche ahnungslose Rentner, ihre Ersparnisse verloren. Sie hatten sie auf Anraten der Banken in sogenannt nachrangige Finanztitel angelegt, die sich als "Schrottpapiere" erwiesen. Ihre dramatischen Schicksale, darunter der Selbstmord eines Rentners, der alles verloren hatte, lösten damals eine Protestwelle im ganzen Land aus.

Es wird außerdem befürchtet, dass eine Abwicklung der MPS, die solche Papiere an 60.000 Kunden verkauft hat, einen Run auf sämtliche italienische Banken sowie eine gesamteuropäische Kettenreaktion auslösen könnte. Auch andere italienische Banken, darunter die Banca Popolare di Vicenza und die Sparkassengruppe Carige in Genua, haben laut italienischen Medienberichten ähnliche Probleme wie die MPS.

Nachdem der Internationale Währungsfonds die Wachstumsprognose für Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft Europas, am Montag deutlich nach unten korrigiert hatte, schätzte eine Studie der Barclays Bank die Lage der Finanzbranche "in fast allen Ländern Europas" als dramatisch ein. Der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, erklärte in der Welt am Sonntag, es seien 150 Milliarden Euro frisches Kapital notwendig, um die europäischen Banken zu retten.

Unter diesen Umständen schlägt der italienische Premier Matteo Renzi, unterstützt von Notenbankchef Ignazio Visco, einen Rettungsfonds von 40 Milliarden Euro zur Rettung der italienischen Banken vor. Damit stößt er auf heftigen Widerstand in Brüssel. Insbesondere der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble und der holländische Chef der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, pochen auf die Einhaltung der neuen Bankenregeln.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bundestagsfraktionen der Union und der SPD stellten sich hinter Schäuble. "Wir können ja nicht alle zwei Jahre die Regeln wieder neu machen", hatte Merkel schon auf dem EU-Gipfel kurz nach dem Brexit lapidar erklärt.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, betonte: "Die Glaubwürdigkeit der Regeln zum Schutz aller Steuerzahler in Europa darf nicht bei der erstbesten Gelegenheit infrage gestellt werden." Und der wirtschaftspolitische Sprecher der Union, Joachim Pfeiffer, ergänzte: "Ein Bruch dieser Regeln wäre inakzeptabel."

Auch gegenüber Spanien und Portugal zeigen sich Schäuble und Dijsselbloem unversöhnlich hart. Erstmals in der Geschichte beschlossen die Finanzminister der Eurozone am Dienstag auf ihrem Treffen in Brüssel, gegen beide Länder, die selbst nicht mit abstimmen durften, wegen des Überschreitens der Defizitgrenze von 3 Prozent Strafen zu verhängen. Spanien und Portugal, die ihre Wirtschaft in den vergangenen Jahren regelrecht kaputt gespart haben, sollen Milliarden Euro Strafgelder nach Brüssel überweisen - was die Einhaltung der Defizitgrenze erst recht unmöglich macht.

In der EU brechen damit dieselben Konflikte wieder auf, wie schon während der Griechenlandkrise: Deutschland und eine Gruppe von reicheren Ländern im Norden, die stark vom Euro profitiert haben, wollen unter allen Umständen verhindern, dass sie für die Auswirkungen ihrer Politik im Süden des Kontinents in Haftung genommen werden.

Christoph Schmidt, der Chef der "Wirtschaftsweisen", des wichtigsten ökonomischen Beratergremiums der Bundesregierung, brachte das auf den Punkt, als er vor dem Abrutschen der EU in eine "Haftungsgemeinschaft" warnte, wenn "der gerade erst geschaffene Rahmen für Bankenabwicklungen gleich wieder infrage gestellt wird". Der Bestandsschutz italienischer Kleinanleger sei kein Grund, die EU-Regeln zu brechen.

Diese Politik wirkt allerdings als Sprengsatz für die Europäische Union, zu der sich die deutsche Regierung in Worten bekennt. Auch das zeigt sich in Italien sehr deutlich. Sollte Renzi über die Bankenkrise stürzen, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit durch eine EU-feindliche Regierung abgelöst.

Der Glanz des Jungpolitikers, der mit dem großmäuligen Versprechen angetreten war, die alten Eliten zu "verschrotten", ist ohnehin längst verblasst. Gestützt vor allem auf die Überreste der Kommunistischen Partei und die Gewerkschaften hat er die bisher größte Arbeitsmarkt-"Reform" durchgeführt, die Renten radikal beschnitten und die Mittel für den öffentlichen Dienst und Schulen gekürzt.

Die Wirtschaft ist aber nicht angesprungen. Italien ist ein soziales Pulverfass. Die Arbeitslosigkeit ist wesentlich höher, als es die öffentliche Quote von 11,5 Prozent nahelegt, denn die Statistik berücksichtigt nicht die beinahe 36 Prozent der Bevölkerung im Erwerbsalter, die als "Inaktive" gelten. Vor allem die Jugend, bei der die offizielle Arbeitslosenrate vierzig Prozent beträgt, steht in großen Teilen Italiens und insbesondere im Süden ohne jede Perspektive auf Ausbildung und Arbeit da.

Bei der letzten Kommunalwahl [2] mussten Renzis Demokraten eine schwere Niederlage hinnehmen. In Großstädten wie Rom und Turin verloren sie das Amt des Bürgermisters an die Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos, die mit 32 Prozent auch in den jüngsten nationalen Umfragen vor den Demokraten liegt. Grillos Bewegung, die sich vor allem auf unzufrieden Teile der Mittelklasse stützt, vertritt eine nationalistische und ausländerfeindliche Politik und arbeitet auf europäischer Ebene mit der britischen UKIP zusammen, die die Brexit-Kampagne anführte.

Renzis Koalitionspartner vom rechten Nuovo Centro Destra (NCD), einer Abspaltung von Berlusconis Forza Italia, drohen, die Regierung zu verlassen. Und auch die ultrarechte, EU-feindliche Lega Nord von Matteo Salvini, die inzwischen in ganz Italien antritt, profitiert von der Krise.

Im Oktober oder Anfang November findet ein Referendum über ein neues Wahlrecht und die Entmachtung der zweiten Parlamentskammer, des Senats, statt. Verliert Renzi dieses Referendum über die Verfassungsänderung, will er zurücktreten und Neuwahlen ansetzen. Verschärft sich die Bankenkrise weiter, dürfte spätestens dies das Ende seiner Amtszeit sein.

Deutschlands Versuch, der Europäischen Union sein wirtschaftliches Diktat aufzuzwingen, sprengt diese auseinander. Berlin reagiert darauf, in dem es das Schwergewicht seiner Politik auf Militarismus und innere Aufrüstung legt.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2016/02/06/ital-f06.html
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2016/06/21/roma-j21.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 13.07.2016
Italienische Bankenkrise erschüttert EU
http://www.wsws.org/de/articles/2016/07/13/ital-j13.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2016

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