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GLEICHHEIT/5862: Russland gibt Teilrückzug aus Syrien bekannt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Russland gibt Teilrückzug aus Syrien bekannt

Von Bill Van Auken
17. März 2016


Am Dienstag ist ein Teil der russischen Kampfflugzeuge, die sich an der fast sechs Monate andauernden Intervention in Syrien beteiligt hatten, wieder auf russisches Staatsgebiet zurückgekehrt. Einen Tag zuvor hatte Präsident Wladimir Putin angekündigt, den "Hauptteil" der Interventionstruppen aus dem Konflikt abzuziehen.

Putin erklärte, die russischen Streitkräfte hätten ihre zentrale Aufgabe "insgesamt erfüllt". "Dank der Unterstützung durch das russische Militär [...] konnten die syrischen Streitkräfte das Blatt im Kampf gegen den internationalen Terrorismus grundlegend wenden und haben die Initiative ergriffen."

Der russische Präsident erklärte, die Intervention seines Landes habe die Bedingungen für die Aufnahme des "Friedensprozesses" geschaffen. Der Rückzug seiner Truppen sei ein "gutes Signal" für beide Seiten: für die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad und für die sogenannten Rebellen, die von den USA und ihren regionalen Verbündeten unterstützt und bewaffnet wurden.

Knapp drei Wochen vor dieser Ankündigung hatten die USA und Russland ein Abkommen über die "Einstellung der Kampfhandlungen" ausgehandelt, das zu einem deutlichen Rückgang der bewaffneten Konflikte im Land führte.

Russland unterhält weiterhin zwei Hauptstützpunkte in Syrien: das Kommandozentrum und den Luftwaffenstützpunkt in Hmeimim in der nordwestsyrischen Provinz Latakia, und den Marinestützpunkt im Mittelmeerhafen Tartus, ein Überbleibsel aus Sowjetzeiten. Berichten zufolge werden von den fast 4.000 Soldaten, die dorthin entsandt wurden, 1.000 im Land bleiben. Auch das hochmoderne russische Luftabwehrsystem S-400 wird im Land bleiben.

Putin stellte die russische Intervention als einen Kampf gegen den "Terrorismus" dar. Der stellvertretende Verteidigungsminister Nikolai Pankow erklärte am Dienstag während einer Zeremonie auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt in Syrien, es sei die Aufgabe der verbliebenen Truppen "weiterhin gegen Terroristen zu kämpfen."

Am Dienstag wurde gemeldet, dass russische Kampfflugzeuge Luftangriffe zur Unterstützung von syrischen Truppen durchgeführt hatten, die auf Palmyra vorrücken. Die für ihre römischen Ruinen berühmte Stadt war im letzten Mai dem Islamischen Staat (IS) in die Hände gefallen.

Obwohl Moskau und Washington behaupten, ihre jeweiligen Interventionen in Syrien dienten dem Kampf gegen den Terrorismus, verfolgen beide unterschiedliche und diametral entgegengesetzte Ziele. Das Ziel der Obama-Regierung ist ein Regimewechsel. Sie will das Assad-Regime stürzen und stattdessen ein gefügigeres westliches Marionettenregime an die Macht bringen. Zu diesem Zweck hat sie zusammen mit Saudi-Arabien, Katar und der Türkei Hilfsgüter und Waffen an "Rebellen" geschmuggelt, unter denen der syrische Al-Qaida-Ableger, die al-Nusra-Front, und andere islamistische Milizen die tonangebenden Elemente waren.

Moskau will seinen letzten arabischen Verbündeten im Nahen Osten an der Macht halten. Nicht unbedeutend war dabei die Aussicht, ein westliches Marionettenregime würde sich den Forderungen Katars nach einer Gaspipeline in Richtung Westeuropa über sein Staatsgebiet beugen. Assad hatte diese Forderung abgelehnt. Eine solche Entwicklung wäre abträglich für die Profitinteressen von Russlands größtem Unternehmen, Gazprom, und für die Interessen der herrschenden Klasse kapitalistischer Oligarchen, die Putin repräsentiert.

Die russische Regierung war außerdem besorgt, dass in den Reihen der al-Nusra-Front und ähnlicher Gruppen tausende von islamistischen Kämpfern aus dem russischen Kaukasus kämpfen. Moskau befürchtet, ein pro-amerikanisches Vasallenregime würde dem Westen dabei helfen, solche Separatisten zurück nach Russland zu schleusen. Dort könnten sie als Stellvertreterkräfte benutzt werden, um die Russische Föderation zu destabilisieren und letztlich zu zerschlagen.

Moskaus Intervention hatte einen eher defensiven Charakter und richtete sich gegen eine konzertierte Kampagne, mit der die USA und ihre Nato-Verbündeten Russland militärisch einkreisen und unterwerfen wollten. Dennoch war sie kein fortschrittlicher Beitrag zur Lösung der Syrien-Krise im Interesse der syrischen Arbeiter und Unterdrückten.

Ebenso wenig konnte Putins Hin- und Herschwenken zwischen militärischen Abenteuern und diplomatischem Einwirken auf Washington den US-Militarismus von seinem Kurs auf einen globalen Krieg abbringen.

Putins Ankündigung, die russischen Flugzeuge abzuziehen, und seine Behauptung, das solle ein "Signal" an beide Seiten sein, führte zu Spekulationen, der militärische Rückzug solle die Assad-Regierung dazu zwingen, sich dem "Friedensprozess" zu unterwerfen, den Washington und Moskau ausgehandelt haben.

Die Verhandlungen in Genf laufen inzwischen wieder. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, pendelt zwischen Vertretern der syrischen Regierung und einem Verhandlungsrat der "Rebellen" hin und her, der von der saudischen Monarchie zusammengeschustert wurde.

Hinsichtlich der Verhandlungen in Genf werden Meinungsverschiedenheiten zwischen Putin und Assad sichtbar. Der syrische Außenminister Walid al-Moallem erklärte vor Beginn der Gespräche, die Regierung betrachte Assads Stellung als Präsident als "rote Linie", und der Präsident werde sein Amt nicht aufgeben. Allerdings ist unklar, ob Moskau diese Haltung teilt. Solange ein mögliches neues Regime in Damaskus Russlands regionale Interessen verteidigen kann, ist die Regierung Putin scheinbar auch bereit, Assads Rücktritt hinzunehmen.

Bereits letzten Monat waren Unstimmigkeiten zwischen Assad und Putin erkennbar. Assad erklärte, seine Truppen würden trotz des Waffenstillstands weiter gegen Terroristen kämpfen und versuchen, "ohne Verzögerung" das gesamte syrische Staatsgebiet zurückzuerobern.

Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin reagierte auf diese Aussage mit einer Rüge. In einem Interview mit einer russischen Zeitung erklärte er, Assads Erklärung "widerspricht offensichtlich den diplomatischen Bemühungen Russlands." Tschurkin warnte, wenn die syrische Regierung ihre Politik nicht in Einklang mit diesen Bemühungen bringe, "wird sie eine schwierige Lage schaffen, auch für sich selbst."

Die syrische Regierung war bestrebt, alle Behauptungen zu dementieren, Putin habe einseitig entschieden, die russischen Truppen zurückzuziehen oder versuche, Damaskus zu einem Kompromiss mit den vom Westen unterstützten Truppen zu drängen. Die staatliche Nachrichtenagentur SANA veröffentlichte mehrere Artikel, die bekräftigten, dass der Teilabzug zwischen Putin und Assad "koordiniert" gewesen sei.

Ein weiterer potenzieller Faktor für Putins Entscheidung zu einer Verringerung der Truppen ist die zunehmend angespannte Lage, die die Intervention der Türkei in Syrien ausgelöst hat. Der russische Außenminister Sergei Lawrow warf der Türkei am Dienstag in einem Fernsehinterview vor, neuerdings zu behaupten, sie habe ein "souveränes Recht, Schutzzonen auf syrischem Staatsgebiet einzurichten." Er erklärte, die türkischen Truppen grüben sich "wenige hundert Meter von der Grenze entfernt in Syrien ein" und bezeichnete dies als "schleichende Expansion".

Die Türkei will die Milizen der syrischen Kurden daran hindern, ihre Kontrolle über ein autonomes Gebiet südlich der türkischen Grenze zu konsolidieren. Derweil unterstützt sie bereits seit langem die Al-Qaida-nahen Milizen, die das Rückgrat des Aufstandes gegen Assad bilden.

Letzten November hatte Ankara bewusst einen russischen Kampfbomber abgeschossen, der Luftangriffe gegen islamistische Milizen südlich der türkischen Grenze durchgeführt hatte. Dabei wurde einer der Piloten getötet. Daraus hätte sich ein bewaffneter Konflikt zwischen dem russischen Militär und einem Nato-Mitgliedsland entwickeln können. Das Eindringen türkischer Truppen in Syrien erhöht diese Gefahr noch weiter.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.03.2016
Russland gibt Teilrückzug aus Syrien bekannt
http://www.wsws.org/de/articles/2016/03/17/syri-m17.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2016

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