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GLEICHHEIT/5584: Ultimatum der Geldgeber - Gipfeltreffen der Eurozone lehnt Hilfsgelder für Griechenland ab


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ultimatum der Geldgeber
Gipfeltreffen der Eurozone lehnt Hilfsgelder für Griechenland ab

Von Barry Grey und Chris Marsden
8. Juli 2015


Am Dienstag lehnten die Regierungschefs von achtzehn Staaten der Eurozone die Appelle des griechischen Premierministers Alexis Tsipras nach "Überbrückungskrediten" ab, die einen Zusammenbruch des griechischen Bankensystems verhindern sollten. Stattdessen gaben sie der Syriza-Regierung zwei Tage Zeit, um einen Plan vorzulegen, wie sie die Sparmaßnahmen umsetzen können, die bei dem Referendum am Sonntag von einer deutlichen Mehrheit der griechischen Arbeiter und Jugendlichen abgelehnt wurden.

Auf Initiative von Deutschland wurde auf dem Gipfeltreffen ein weiteres Treffen der Regierungschefs aller 28 Staaten der Europäischen Union am Sonntag geplant. Das Thema dieses Treffens soll der Ausschluss Griechenlands von der europäischen Einheitswährung sein, falls Athen die Forderungen seiner Gläubiger nach weiteren brutalen Angriffen auf die Renten und den Lebensstandard der Arbeiterklasse nicht erfüllt.

Tsipras und sein neuer Finanzminister Euklid Tsakalotos versprachen, noch vor dem Treffen der Finanzminister der Eurogruppe am Samstag einen Plan für "glaubwürdige Reformen" vorzulegen, darunter Sparmaßnahmen, die sofort umgesetzt werden sollen. Ein Vertreter der griechischen Regierung erklärte gegenüber Reuters, Syriza werde "Verbesserungen" an dem Rettungsvorschlag vornehmen, den sie letzte Woche unterbreitet hatte, u.a. bei "Wirtschaftsreformen, Investitionen und Schuldentilgung".

Wenn die Finanzminister Syrizas neuen Plan annehmen - d.h. wenn der Plan sich in allen wesentlichen Punkten mit den Forderungen der Europäischen Union deckt - wird das Treffen am Sonntag abgesagt und Gespräche über ein mögliches neues Rettungsprogramm eingeleitet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigte auf einer Pressekonferenz nach dem Gipfeltreffen die unnachgiebige Haltung ihrer Regierung gegenüber jedem nennenswerten Zugeständnis an Griechenland. Sie lehnte alle Abschreibungen bei den massiven Schulden Griechenlands ab. Die Syriza-Regierung hatte dies als Gegenleistung für ihre Kapitulation vor den Spardiktaten der EU gefordert.

Merkel versuchte nicht einmal ihre Verachtung gegenüber der griechischen Bevölkerung zu verbergen, von der sich 61 Prozent gegen Deutschlands grausame Spardiktate ausgesprochen hatte. Sie erklärte, es gebe nach dem klaren "Nein" bei dem griechischen Referendum am Sonntag noch immer keine Verhandlungsbasis. Es gehe nicht mehr "um Wochen," sondern "um wenige Tage."

Merkel lehnte die Zahlung von Hilfsgeldern ab, wenn Griechenland nicht vorher ein Programm unterzeichnet, das weitere Kürzungen der Sozialleistungen, Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen vorsieht. Sie forderte "langfristige Vorschläge".

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, erklärte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Europäischen Ratspräsidenten Donald Tusk, die EU habe detaillierte Vorbereitungen für einen möglichen Grexit getroffen.

Er fügte hinzu: "Wenn wir uns nicht einigen, wird das möglicherweise zum Bankrott Griechenlands und des griechischen Bankensystems führen. Und das wird sicherlich schmerzhaft für die griechische Bevölkerung sein... Die grausame Wirklichkeit ist, dass wir nur fünf Tage haben, um eine endgültige Einigung zu erzielen."

Frankreichs Präsident Francois Hollande ist zwar einer von mehreren EU-Regierungschefs, die auf eine etwas weniger harte Haltung gegenüber Griechenland drängen, um einen Grexit zu vermeiden, stimmte aber dennoch zu, dass Griechenland fast alle Spardiktate der EU akzeptieren müsse. Er forderte eine Einigung, bei der Griechenland die haushaltspolitischen Forderungen der EU akzeptiert, vielleicht mit einigen alibihaften Korrekturen. Im Gegenzug würde Griechenland sofort Zugang zu Geldern erhalten und in Zukunft weitere Schulden erlassen bekommen.

Tsipras hat bereits deutlich gemacht, dass er das Referendum vom Sonntag nicht als Mandat begreift, den mächtigen Widerstand der Arbeiter in Griechenland und ganz Europa gegen die EU und die Banken zu mobilisieren. Er betrachtet es eher als Signal, seine Bemühungen zu verstärken, als Gegenleistung für die Umsetzung der Sparmaßnahmen, die er vorgeblich abgelehnt hatte, einen Schuldenerlass auszuhandeln. Er hatte das Referendum überhaupt nur einberufen, um seiner Kapitulation vor der EU den Anschein von Rückhalt in der Bevölkerung und demokratischer Legitimität zu verleihen.

Tsipras erste Amtshandlung nach dem deutlichen Sieg des "Nein"-Lagers war es, seinen Finanzminister Yanis Varoufakis zu entlassen. Sein Nachfolger Tsakalotos gilt bei den EU-Regierungschefs als annehmbarer. Danach traf er sich mit den Führern der großen proeuropäischen Parteien in Griechenland, die alle den Sparkurs unterstützen und veröffentlichte gemeinsam mit ihnen eine Erklärung, die sich für weitere Gespräche über ein neues Sparpaket ausspricht.

Trotzdem reagierte die europäische Bourgeoisie mit großer Brutalität auf das Referendum. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass sie dem Gespenst des wachsenden sozialen Widerstands mit einer eisernen Faust begegnen muss. Sie will an der griechischen Arbeiterklasse ein Exempel statuieren, um den Arbeitern in ganz Europa zu zeigen, was ihnen droht, wenn sich den Banken widersetzen.

Da Syriza ein pro-europäisches und pro-kapitalistisches Programm vertritt und seine Basis unter privilegierten Gesellschaftsschichten hat, ist sie nicht in der Lage, der griechischen herrschenden Klasse mit ernsthaften Maßnahmen entgegenzutreten. Die massive Ablehnung der griechischen Arbeiterklasse hat Tsipras so erschüttert, dass er sich dem amerikanischen Imperialismus als Gegengewicht zu Deutschland zuwendet. Im Vorfeld des Gipfeltreffens der Eurozone führte er ein längeres Telefonat mit US-Präsident Barack Obama.

Danach rief Obama bei Merkel an und drängte sie dazu, ihre Haltung gegenüber Griechenland zu ändern und ein Abkommen auszuhandeln, das einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone verhindern könne. Genau wie Frankreich verbindet auch Washington seine Appelle für eine Einigung mit Forderungen an Griechenland nach weiteren Sparmaßnahmen und "Wirtschaftsreformen".

Beträchtliche Teile der amerikanischen Medienlandschaft kritisieren Deutschland für seine harte Haltung. Sie warnen vor den möglichen wirtschaftlichen Folgen eines Grexit und vor den negativen geopolitischen Folgen für die USA, falls sich die Beziehungen zwischen Griechenland und Europa verschlechtern - vor allem mit Blick auf Washingtons Offensive gegen Russland.

Das Wall Street Journal beispielsweise veröffentlichte letzte Woche eine Kolumne des amerikanischen Journalisten Robert D. Kaplan, der enge Beziehungen zum US-Militär und den Geheimdiensten hat. Kaplan erklärte unter der Überschrift "Bei der Krise in Griechenland geht es um mehr als nur um Geld": "Geopolitik ist unter Umständen viel wichtiger als Wirtschaft. Man schaue sich nur Griechenland an [...]. Europa wird viel anfälliger für Russlands Aggressionen sein, wenn sich seine Beziehungen zu Griechenland deutlich lockern."

In der eskalierenden Krise um Griechenland zeigen sich Elemente eines wachsenden Konflikts zwischen den USA und der Bundesrepublik. Dabei geht es um die grundlegende Frage, welche Macht die Politik in Europa bestimmt.

Deutschland hat seinerseits Bedenken gegenüber der Politik der USA geäußert, die darauf abzielt, Russland aus Europa auszuschließen. Es ist außerdem ernsthaft beunruhigt über die Folgen eines griechischen Schuldenschnitts für das deutsche Bankensystem, das von der Krise der hochverschuldeten europäischen Staaten viel stärker gefährdet ist als die Wall Street. Ihm würde ein Verlust an internationalem Einfluss drohen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.07.2015
Ultimatum der Geldgeber
Gipfeltreffen der Eurozone lehnt Hilfsgelder für Griechenland ab
http://www.wsws.org/de/articles/2015/07/08/gree-j08.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2015

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