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GLEICHHEIT/5577: Atomgespräche mit dem Iran verlängert


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Atomgespräche mit dem Iran verlängert

Von Keith Jones
2. Juli 2015


Die Frist für die Atomverhandlungen mit dem Iran ist verlängert worden. Der Iran und die 5+1-Gruppe, die aus den Vereinigten Staaten, den vier anderen ständigen UNO-Sicherheitsratsmitgliedern (Russland, China, Großbritannien, Frankreich) und Deutschland besteht, vereinbarten, ein Zwischenabkommen bis zum 7. Juli zu verlängern.

Die Frist war ursprünglich am Dienstag abgelaufen, und noch am Montag war es keineswegs sicher, dass die Gespräche verlängert würden. Bei den Verhandlungen mit dem Iran soll es um einen endgültigen Vertrag zur "Normalisierung" des iranischen zivilen Atomprogramms gehen.

Der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif war am Sonntagabend zu Konsultationen mit der höchsten iranischen Führung in Teheran eingetroffen und sollte erst am Dienstagmorgen zum Ort der Verhandlungen in Wien zurückkehren.

Sarif hatte an diesem Wochenende in Wien den amerikanischen Außenminister John Kerry dreimal getroffen. Mehrere andere Außenminister nahmen an den Verhandlungen teil, darunter Frank-Walter Steinmeier aus Deutschland und Philip Hammond aus Großbritannien.

Der erste, der angereist war, war der französische Außenminister Laurent Fabius. Er reiste am Sonntag wieder ab, erklärte jedoch, bald wiederzukommen. Russland und China entsandten zunächst Stellvertreter ihrer Außenminister nach Wien, doch zum Ende der Verhandlungen sollten die Außenminister persönlich erscheinen.

Der Iran und die Vereinigten Staaten sowie deren europäische Verbündete Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind nach Auskunft aller Beobachter in vielen Fragen zerstritten.

Zu den Streitpunkten gehören: Wann und in welchem Ausmaß werden die harten Wirtschaftssanktionen, die über den Iran verhängt wurden, wieder aufgehoben? Was wäre die Folge, wenn der Iran der Atomvereinbarung nicht entsprechen würde? In welchem Ausmaß wird es Teheran gestattet sein, das zivile Atomprogramm im Verlaufe der fünfzehnjährigen Vertragslaufzeit fortzuführen, und unter welchen Bedingungen werden die Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Zugang zu iranischen Militäranlagen erhalten?

Diese Fragen stehen im Zusammenhang mit unterschiedlichen Interpretationen der "Rahmenvereinbarung", die der Iran und die 5+1-Gruppe am 2. April im schweizerischen Lausanne abgeschlossen hatten. "Wir haben immer noch große Meinungsverschiedenheiten darüber, was genau in Lausanne vereinbart worden ist", erklärte der britische Außenminister Hammond am Sonntag Reportern in Wien. Ein anderer westlicher Diplomat sagte dem Nachrichtendienst Reuters unter der Hand: "Es scheint, dass wir bei den technischen Fragen keine Fortschritte erzielt haben und in einigen anderen sogar zurückgeworfen wurden."

Die Vereinigten Staaten fordern unerbittlich, dass eine Aufhebung der Sanktionen in den nächsten Jahren nicht zur Debatte stehen darf. Ebenso vehement verlangen sie, dass die Sanktionen automatisch "wieder in Kraft treten" ["snap back"], wenn die USA und ihre Verbündeten der Meinung sind, dass der Iran der Vereinbarung nicht nachkommt.

Russland und China widersprechen. Sie argumentieren, dass jede neue Verhängung von Sanktionen einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates benötige.

Laut jüngsten Berichten reagieren die Vereinigten Staaten mit Vorschlägen, die darauf hinauslaufen, Moskau und Peking bei einer Abstimmung über neue Sanktionen das Vetorecht im Sicherheitsrat zu entziehen. Ein solcher Vorschlag sieht zum Beispiel vor, dass der UN-Sicherheitsrat die Suspendierung der automatischen Sanktionierung für sechs Monate beantragen könnte, worauf dann die Vereinigten Staaten und/oder Großbritannien oder Frankreich über ihr eigenes Vetorecht im Sicherheitsrat in der Lage wären, die Sanktionen sofort in Kraft treten zu lassen.

Washington betreibt seit Jahrzehnten eine Kampagne für einen Regimewechsel in Teheran. Die US-Regierung möchte der iranischen Bevölkerung erneut ein neokoloniales Regime, wie zur Zeit des Schah, aufzwingen. Um den Iran unter Druck zu setzen und zu bedrohen, wiederholt die US-Regierung seit 2002 wie ein Mantra die unbewiesene Behauptung, dass Teheran dabei sei, Atomwaffen zu entwickeln.

Unter Obama haben die Vereinigten Staaten und die Europäische Union Wirtschaftssanktionen gegen den Iran verhängt. Es sind die härtesten, welche jemals einem Land außerhalb eines Krieges auferlegt wurden. Daneben haben die CIA und das Pentagon in Zusammenarbeit mit Israel einen Cyberkrieg gegen Teheran entfesselt. Hinzu kommt, dass die USA den Iran routinemäßig mit Krieg bedrohen, selbst während der vergangenen zwanzig Monate, in denen die Atom-Verhandlungen geführt wurden. Immer wieder erklärten Obama und Kerry, "alle Optionen bleiben auf dem Tisch", bis eine Vereinbarung vorliege, die das zivile iranische Atomprogramm weitgehend rückgängig machen würde.

Aus Angst vor der eigenen Arbeiterklasse war die iranische Bourgeoisie bereits zu weitreichenden Konzessionen bereit. Zu diesen gehört die Unterwerfung unter die weitestgehenden Inspektionen, die die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) je ausgeführt hat. Diese hätten eine dramatische Verminderung von Irans Kapazitäten zur Urananreicherung sowie der vorhandenen Bestände angereicherten Urans zur Folge und würden einen Großteil der iranischen nuklearen Infrastruktur offenlegen.

In einer Ansprache vom vergangenen Dienstag, die das iranische Staatsfernsehen sendete, bestand der Oberste Führer des Iran, Ajatollah Chamenei, darauf, dass die Sanktionen, die die iranischen Ölexporte seit 2011 halbiert und das Land aus dem Weltbankensystem ausgeschlossen haben, sofort aufgehoben werden müssten, sobald das Atomabkommen in Kraft tritt. "Andere Sanktionen", die Irans Zugang zu Atomtechnologie und Rüstungsgütern beschränken, könnten "nach und nach innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens zurückgenommen werden".

Chamenei erklärte außerdem, der Iran werde es der IAEO nicht erlauben, dass sie die iranischen Militäreinrichtungen inspiziere. Er sagte, die von den USA kontrollierte IAEO sei "weder unabhängig noch fair". Am Dienstagmorgen verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, das IAEO-Inspektoren den Zugang zu militärischen Einrichtungen verbietet.

Chamenei hat den iranischen Präsidenten Hassan Rohani bei der Annäherung an die Vereinigten Staaten und die EU-Mächte ausdrücklich unterstützt. Wiederholt hat er alle Fraktionen des Regimes, auch die Revolutionären Garden, dazu aufgerufen, die Regierung in ihrem Versuch, ein Übereinkommen mit den Vereinigten Staaten zu erreichen, zu unterstützen.

Gleichzeitig war er immer darum bemüht, eine gewisse Distanz zu den Gesprächen zu wahren und hat davor gewarnt, dass die Vereinigten Staaten einen Regimewechsel im Iran durchführen würden, wenn sie es könnten. Außerdem wies er Behauptungen zurück, Teheran sei bereit, mit den Vereinigten Staaten strategische Verhandlungen über den Irak, Syrien und den gesamten Nahen Osten zu führen.

Als die Verhandlungsfrist näher rückte, hielt Chamenei zu mehreren Anlässen antiamerikanische Reden, aber schließlich befürwortete er weitere iranische Konzessionen.

US-Außenminister Kerry seinerseits tat Chameneis Kommentare ab und sagte, sie seien "für den innenpolitischen Gebrauch" bestimmt.

Medienberichte legen nahe, dass sowohl Teheran als auch Washington bemüht sind, die Gespräche nicht noch weiter hinaus zu ziehen. Erst vor kurzem haben die USA ein Gesetz verabschiedet, nach dem die Obama-Regierung dem Kongress bis zum 9. Juli ein Atomabkommen vorlegen muss. Ansonsten verdoppelt sich der Zeitraum, in welchem der Kongress über das endgültige Iran-5+1-Abkommen berät und abstimmt, von dreißig auf sechzig Tage.

Hochrangige Politiker und die Militärführung sind mit Obamas Iran-Politik keineswegs einverstanden. Die USA hätten sich größere strategische Vorteile sichern können, argumentieren viele aus der Führung der Republikanischen und Demokratischen Partei, entweder in Form weiterer Konzessionen oder eines Regimewechsels in Teheran. Man hätte die Sanktionen intensivieren und aggressiver in Syrien intervenieren sollen, um den iranischen Verbündeten Präsident Baschar al-Assad zu stürzen.

Diese Fraktion sieht auch Obamas Politik im Irak kritisch. Trotz des aktuellen stillschweigenden Bündnisses Washingtons und Teherans gegen den IS fürchtet sie, dass die iranische Regierung am meisten vom Machtvakuum im Irak profitieren könne, indem sie im Kampf gegen den IS schiitische Milizen aufbaut.

Im März durfte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf Einladung der Republikaner im Kongress eine Rede halten. Darin wetterte er gegen jeglichen Deal mit Teheran, der es den Iranern erlauben würde, ein ziviles Atomprogramm zu behalten. Im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags ist dies aber das gute Recht des Iran.

Obama seinerseits ist fest entschlossen, die Möglichkeiten vollständig auszuloten, die die Krise des iranischen Regimes bietet, um den amerikanischen Drang nach der globalen Vorherrschaft voranzutreiben.

Obama will nicht um jeden Preis an den Sanktionen gegen den Iran festhalten, denn dafür ist die dauerhafte Unterstützung Moskaus und Pekings notwendig. Die Vereinigten Staaten streben aber eine Konfrontation mit Russland und China an.

Obamas Kalkül besteht darin, dass sich ein US-dominierter Deal vielfach auszahlen werde. Teheran würde daran gehindert, sich Moskau und Peking anzunähern, und gleichzeitig dazu gebracht, die Türen für größere westliche Investitionen und Einflüsse zu öffnen. Dies würde langfristig die Aussicht eröffnen, Teheran "zu wenden" und in die amerikanische Strategie im Nahen Osten einzubinden.

Falls Washington Teheran dazu nötigen kann, die Regelungen der "Snap-Back"-Sanktionen nach amerikanischer Fasson zu akzeptieren und sämtliche Aspekte seines Atomprogramms offen zu legen, dann hätten die Vereinigten Staaten darüber hinaus für mehrere Jahre die Mittel an der Hand, Druck auf den Iran auszuüben und ihn in Schach zu halten.

Laut einem Bericht der New York Times vom 24. Juni hat es in den vergangenen Wochen im Weißen Haus eine "stürmische Debatte" darüber gegeben, ob die Vereinigten Staaten von einen Atomdeal mit dem Iran Abstand nehmen sollten, da dessen gegenwärtige "Spezifika" Teheran nicht ausreichend schwächten.

Vergangene Woche veröffentlichte Michael Crowley in der Zeitschrift Politico einen Bericht, der auf Informationen basierte, die von der Obama-Regierung und aus dem Pentagon stammten. Die Beamten gaben Details zu amerikanischen Militärtests mit einem "Massive Ordnance Penetrator" (Schwere Bunkerbrechende Bombe, MOP) bekannt. Sie ist speziell dafür entwickelt worden, iranische Atomeinrichtungen anzugreifen.

Laut Crowley ist der MOP-Einsatz der "Plan B der Obama-Regierung für den Iran". Tatsächlich ist er nur ein kleiner Teil davon. Jeder militärische Angriff der USA gegen den Iran würde die Gefahr eines regionalen, selbst weltweiten Krieges erhöhen. Aus diesem Grunde sehen alle Kriegspläne des Pentagons, sowohl der Regierung George W. Bushs als auch der von Obama, immer vor, mit einem Blitzkrieg gegen Irans Militär und seine kritische Infrastruktur zu beginnen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.07.2015
Atomgespräche mit dem Iran verlängert
http://www.wsws.org/de/articles/2015/07/02/iran-j02.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2015

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