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GLEICHHEIT/5211: Mit der Kabinettsumbildung rückt Großbritannien näher an EU-Austritt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Mit Kabinettsumbildung rückt Großbritannien näher an EU-Austritt

Von Julie Hyland
19. Juli 2014



Die britischen Medien haben die Kabinettsumbildung von Premierminister David Cameron in weiten Teilen als "Entfernung der Seepocken vom Boot" bezeichnet, was soviel heißen soll, dass die Konservative Partei gesäubert in die Parlamentswahlen im Mai nächsten Jahres gehen soll.

Die vierzig neuen Ernennungen, darunter die von zehn Frauen, wurden für notwendig erachtet, um das Image der Partei zu entgiften und einem "modernen Britannien" anzupassen.

Dabei handelt es sich darum, eine weitere Rechtswende zu bemänteln, denn Cameron versucht, abtrünnige Tory-Wähler zurückzugewinnen, die zur United Kingdom Independence Party (UKIP) gewechselt sind. Dazu schwenkt er auf einen noch schärferen Reformkurs für die Europäische Union (EU) ein.

Der bedeutsamste Wechsel war der Rücktritt von Außenminister William Hague am Vorabend der Kabinettsumbildung. Öffentlich wird behauptet, dass Hague die Entscheidung aus persönlichen Gründen getroffen habe. Er gehört dem Kabinett bis zu den Wahlen im Mai 2015weiter an, allerdings in der Funktion als Vorsitzender der Unterhausfraktion.

Was auch immer der wahre Grund für Hagues Entscheidung gewesen sein mag, so haben doch viele Kommentatoren ihre Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung im Außenministerium ausgedrückt.

Als er das Amt 2010 nach den katastrophalen Kriegseinsätzen im Irak und in Afghanistan übernahm, hatte Hague erklärt: "Der Rückzug Großbritanniens ist vorbei und jetzt geht es vorwärts." Stattdessen verstrickte sich die britische Außenpolitik in eine ähnlich katastrophale Intervention in Libyen. Dann wurden die von London unterstützten westlichen Pläne für einen ähnlichen Angriff auf Syrien im Parlament zu Fall gebracht und schließlich kam es zum Vormarsch des Islamischen Staates von Irak und Syrien (ISIS) in Kerngebiete Syriens und Iraks.

Angesichts der wachsenden Krise des britischen Imperialismus, war Hague nicht zu mehr in der Lage als zu erklären, dass das Vereinigte Königreich dem Irak "technische" Unterstützung zukommen lassen wolle und "in der Situation nicht plant, militärisch einzugreifen". Offensichtlich an die Seitenlinie wichtiger internationaler Ereignisse verbannt, entschied sich Hague, lieber seine Zeit mit Angelina Jolie für deren Kampagne gegen Sexualverbrechen in Kriegen zu verbringen, was von einigen Leuten als beunruhigendes Anzeichen angesehen wurde, dass Großbritannien auf "weiche Machtausübung" reduziert worden sei und über keine nennenswerte Außenpolitik mehr verfüge.

Niemand behauptet, dass die Ersetzung Hagues im Außenministerium durch Philip Hammond in Bezug auf den Nahen Osten irgendetwas Neues bringen werde. Aber seine Ernennung sendet ein Signal, dass die Regierung sich außenpolitisch auf die "Neuausrichtung" des britischen Verhältnisses zur Europäischen Union konzentrieren wird.

Wegen der beträchtlichen Stimmenverluste an die UKIP hatte Cameron versprochen, 2017 ein Referendum über die britische Mitgliedschaft in der EU abzuhalten, sollten die Tories 2015 wieder an die Regierung kommen. In der Zwischenzeit wolle er versuchen, die Bedingungen der britischen Mitgliedschaft neu zu verhandeln, um einen Austritt zu vermeiden, der von Washington und wichtigen Teilen der britischen Wirtschaft abgelehnt wird.

Es zeigt, in welchem Ausmaß die Tories gegen die EU eingestellt sind, wenn Hague, der als Erz-Thatcherist gilt und lange als der am meisten euroskeptische Minister angesehen wurde, jetzt als zu versöhnlerisch gegenüber Europa und sogar als Hemmnis gegen den Einfluss neokonservativer Elemente innerhalb der Konservativen Partei angesehen wird. Während Hague ein Großbritannien befürwortet, das "in Europa" sei, aber "nicht von Europa regiert" werde, will eine wachsende Anzahl von Parteimitgliedern raus aus Europa. Die Ernennung von Hammond, der gesagt hat, er sei bereit für einen britischen Austritt zu stimmen, richtet sich an diese Schichten, indem er einen härteten Standpunkt in den Verhandlungen mit der EU einnehmen wird.

Auch die Ernennung von Michael Fallon zum Verteidigungsminister ist so zu sehen. Dieser hat öffentlich erklärt, ein britischer Austritt aus der EU könnte nötig sein.

Auch Kenneth Clarke und Dominic Grieve verloren ihr Regierungsamt. Clark hatte schon führende ministeriale Posten unter Margaret Thatcher inne und war unter Cameron Minister ohne Portfolio. Er galt als Fahnenträger der Pro-Europäer. Zusammen mit Grieve, der im Rahmen der Umbildung als Justizminister abgelöst wurde, war er der Hauptsprecher gegen die Option, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu verlassen.

Die "Repatriierung" der Menschenrechtsrechtsprechung von Straßburg ist eine Hauptforderung der rechten Tories, die dies als ein Mittel betrachten, "Recht und Ordnung" und Maßnahmen gegen die Einwanderung zu stärken. Cameron hat versprochen, auf dem Parteitag der Tories im Oktober das Europäische Menschrechtsgesetz aufzuheben, was aber wohl auf den Widerstand von Grieve und Clark gestoßen sei. Clarke hatte es als für ihn "persönlich undenkbar" bezeichnet, den EGMR zu verlassen, der "nach dem Zweiten Weltkrieg nach einem Entwurf britischer Anwälte" eingerichtet worden war, "um die Rechte zu schützen, für die wir gekämpft haben".

Nachdem die Gegner aus dem Weg geräumt sind, ist es wahrscheinlich, dass der Ausstieg aus dem EGMR eine Hauptforderung im Wahlmanifest der Tories sein wird.

Die Ernennungen werden zu stärkeren Spannungen zwischen Großbritannien und den EU-Partnern führen. Es ist kein Zufall, dass die Regierungsumbildung am gleichen Tag stattfand als das EU-Parlament Jean-Claude Juncker als Präsidenten der Europäischen Kommission (EK) bestätigte.

Cameron hatte geschworen, seine Ernennung zu verhindern, nachdem die britischen Medien den früheren Premierminister Luxemburgs als unbelehrbaren Sozialdemokraten - und ausgesprochenen Alkoholiker - dargestellt hatten, der vorhabe, die nationale Souveränität aufzuheben. In Wirklichkeit ist Juncker wie Camaeron ein Mann der Banken, mit dem einen Unterschied, dass der neue EU-Präsident eher geneigt ist, die Interessen der europäischen Banken über die der City von London zu stellen.

Dass es Cameron nicht gelang, Juncker zu verhindern, unterstreicht die Verschärfung und letztliche Unversöhnlichkeit der nationalen Widersprüche innerhalb Europas, die die Zukunft des Kontinents in Frage stellen. In seiner Rede vor dem Europäischen Parlament nach seiner Ernennung erläuterte Juncker die Pläne zur engeren Integration Europas. Diese umfasst Maßnahmen zur Harmonisierung der Steuersätze, der Integration der Kapitalmärkte und eine neue Finanztransaktionssteuer, die die Euroskeptiker noch mehr erzürnen werden.

Der Premierminister hat Lord Jonathan Hill zum neuen EU-Kommissar Großbritanniens ernannt. Er ist relativ unbekannt und wurde ausgesucht, um eine Nachwahl zu vermeiden, die die Konservativen an die UKIP verlieren könnten. Der BBC zufolge sagten Abgeordnete der Tories, Hill sei "Euroskeptiker genug, um sie zufriedenzustellen, aber nicht so euroskeptisch, dass ihm ein Veto durch das Europäische Parlament drohen" würde.

In einer Rede am 16. Juli lobte Fallon Cameron, dass er ein "Kabinett von Euroskeptikern" zusammengestellt habe, um die Leute zurückzugewinnen, "die mit der UKIP geflirtet haben mögen".

Der Premierminister hat Großbritannien dem Austritt aus der EU einen Schritt näher gebracht. Das hat große politische und wirtschaftliche Auswirkungen. Aber es hat nichts gebracht, um die Spaltungen in seiner eigenen Partei u überwinden.

Seine Entscheidung Michel Gove vom Bildungsminister zum Fraktionsgeschäftsführer zu machen, ist ein Anzeichen dafür. Gove hatte die sogenannten "Freien Schulen" vorangetrieben, Lehrer angegriffen und Einschränkungen ihres Streikrechts gefordert. Er war in der Öffentlichkeit schlecht angesehen und seine öffentlichen Konflikte mit anderen Kabinettsministern besiegelten sein Schicksal.

Teile der rechten Tories wetzen schon die Messer gegen diese Entscheidung ebenso wie gegen die Entlassung von Umweltminister Owen Paterson und des Ministers für Wales, David Jones. Sie waren die einzigen beiden Kabinettsminister, die gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gestimmt hatten.

Im rechten Spectator donnerte Charles Moore, dass die Regierungsumbildung "alle Interessensverbände ermutigt, die die Tories hassen. Sie ist ein Frontalangriff auf die natürlichen Anhänger der Tories, auf die Wähler auf dem Land, die Euroskeptiker, die Gegner der Grünen und die Leute, die gegen die Bevorzugung des städtischen Milieus sind. In der Daliy Mail bedauerte Max Hastings, dass "der Premierminister einen schlechten Tag erwischt hat. Das wird er sicher noch einmal bereuen."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.07.2014
Mit Kabinettsumbildung rückt Großbritannien näher an EU-Austritt
http://www.wsws.org/de/articles/2014/07/19/hagu-j19.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2014