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GLEICHHEIT/5124: Washington schickt Militärberater nach Nigeria


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Washington schickt Militärberater nach Nigeria

Von Bill Van Auken
10. Mai 2014



Das Pentagon kündigte am Mittwoch an, amerikanische Militärberater nach Nigeria zu schicken. Sie sollen der Regierung von Präsident Goodluck Jonathan helfen, die über 200 von Boko Haram entführten Schülerinnen zu befreien. Die islamistische Aufstandsbewegung droht, die Mädchen als Sklavinnen zu verkaufen.

Wie britische Regierungsvertreter den Medien berichten, ist Großbritannien bereit, SAS-Spezialeinheiten und Aufklärungsflugzeuge in das westafrikanische Land zu schicken, wenn dieses um Hilfe bittet.

Nigeria ist mit 174 Millionen Einwohnern das größte Land Afrikas und rühmt sich des größten Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Kontinents. Es ist auch der größte Ölproduzent Afrikas. Das Land steht an achter Stelle bei den Erdölexporten und liefert fünf Prozent der ausländischen Ölimporte in die USA. Bei den Exporten von flüssigem Erdgas steht es an vierter Stelle.

Die Militärberater werden von FBI- und CIA-Agenten, sowie weiterer Regierungsvertretern begleitet. Ihr Einsatz war am Dienstag in einem Gespräch zwischen den Präsidenten Obama und Jonathan beschlossen worden. Das ist ein weiterer Schritt in der ständigen Ausdehnung militärischer Interventionen Washingtons und seiner Verbündeten in dieser Region.

Von Kongressabgeordneten wurden Forderungen nach aggressiverem Eingreifen der USA laut. So verlangte Senatorin Susan Collins (eine Republikanerin aus Maine), dass US-Spezialeinheiten geschickt werden sollten, um die Mädchen zu retten.

In einem Interview mit dem Sender ABC meinte Obama, die US-Intervention gegen Boko Haram könne noch ausgedehnt werden. Er erklärte: "Dies Ereignis kann dazu beitragen, die gesamte internationale Gemeinschaft zu mobilisieren, damit gegen diese furchtbare Organisation, die so grauenvolle Verbrechen begeht, endlich etwas unternommen wird".

Um eine solche Eskalation einzuleiten, führen die US-Regierung und die Medien jetzt eine Kampagne, die zum Ziel hat, die verständliche Empörung und Entrüstung über das Schicksal der entführten Mädchen für ganz andere Zwecke auszubeuten.

Die Kampagne "BringOurGirlsBack" in den sozialen Medien erinnert stark an jene von 2011. Damals ging es um die Ergreifung von Joseph Kony, dem Führer der Lord's Resistance Army, der hunderte Kinder in Zentralafrika hatte entführen lassen.

Diese Kampagne erhielt damals Unterstützung von allen christlichen Fundamentalisten bis hin zu "humanitären" Imperialisten wie Nicholas Kristof von der New York Times. Sie gipfelte darin, dass hunderte Soldaten von US-Spezialtruppen nach Uganda und in seine Nachbarstaaten geschickt wurden. Im März letzten Jahres wurden sie noch verstärkt und von einer neuen Generation von CV-22 Osprey Militärflugzeugen unterstützt, die in der Lage sind, vertikal zu starten und zu landen. Nach zweieinhalbjährigen Militäroperationen der USA befindet sich Kony immer noch in Freiheit.

Bei all diesen moralisch begründeten Forderungen nach imperialistischer Intervention tritt der soziale und politische Zusammenhang, in dem sich derartig grauenvolle Taten abspielen, unweigerlich in den Hintergrund. Unklar bleibt, weshalb gerade diese und nicht eine andere Grausamkeit herausgegriffen wird, um sie mittels Medienpropaganda bekannt zu machen und militärisch darauf zu reagieren.

Zum Beispiel ignorierte Washington beispielsweise die Demokratische Republik Kongo vollständig, obwohl dort etwa fünf Millionen Menschen umgebracht wurden, was großenteils auf die räuberischen Interventionen eines der engsten Verbündeten Washingtons auf dem Kontinent, des Präsidenten Paul Kagame von Ruanda, zurückzuführen war.

Die Regierung Nigerias reagierte höchstens lauwarm auf die Entführung der Schülerinnen, um es milde auszudrücken. Präsident Jonathan wartete erst mal drei Wochen ab, bevor er eine ausdrückliche öffentliche Erklärung zum Schicksal der Mädchen abgab. In dieser Zeit machte er die Eltern der Mädchen verantwortlich, weil sie nicht genügend Informationen über deren Identität zur Verfügung gestellt hätten. Die Ehefrau des Präsidenten, Patience Jonathan, erklärte zunächst ihre Unterstützung für Versammlungen zur Rettung der Mädchen, warf jedoch dann die Frage auf, ob die ganze Angelegenheit nicht inszeniert worden sei, um die Regierung ihres Gatten zu untergraben, und ordnete an, dass die Führer der Protestaktionen verhaftet würden.

Die erste Reaktion der Regierung auf die Entführung war symptomatisch für ihre Haltung gegenüber der überwiegend muslimischen Bevölkerung im Norden des Landes, der ärmsten Region Nigerias. Diese Region mit ihrer muslimischen Mehrheit wird im Gegensatz zum mehrheitlich christlichen Süden, der ölreichen Region, aus der Jonathan stammt, seit fünf Jahren zunehmend marginalisiert und unterdrückt. In dieser Zeit begann der Boko Haram Aufstand.

Die Regierung versucht, regionale, religiöse und ethnische Unterschiede im Land zu manipulieren, um von sozialen Fragen abzulenken und das Monopol auf Reichtum und Macht einer winzigen vermögenden Schicht zu verteidigen.

Obwohl die Wirtschaft des Landes infolge der Energieexporte rasch wächst (das BIP verdoppelte sich 2013 nahezu von 263 Milliarden auf 510 Milliarden Dollar!) ist die Mehrheit der Bevölkerung schlimmer dran als vor der Unabhängigkeit 1960. Die soziale Ungleichheit ist in Nigeria mindestens genau so groß wie auf der ganzen Welt. Während die Ausbeutung der Ölvorräte des Landes rund zwanzig Milliardäre hervorgebracht hat, leben 99,5 Millionen Menschen oder über sechzig Prozent der Bevölkerung Nigerias in absoluter Armut von einem Einkommen von weniger als einem Dollar pro Tag.

Mehr als 6000 Nigerianer sind in den Kämpfen im Norden seit ihrem Beginn 2009 gestorben. Über die Region ist seit letztem Jahr der Notstand verhängt. Seit Anfang diesen Jahres wurden schon über 1500 Menschen getötet. Die Mehrheit der Opfer sind Zivilisten, die sowohl Opfer der terroristischen Anschläge von Boko Haram als auch der brutalen Unterdrückungsmaßnahmen der nigerianischen Streitkräfte gegen die Bevölkerung werden.

Das US-Militär hat sich bereits in die blutigen Operationen der nigerianischen Regierungstruppen eingeschaltet, indem es zwanzig Millionen Dollar als Sicherheitshilfen bezahlte und Geheiminformationen von einer Drohnenbasis im nahegelegenen Niger zur Verfügung stellte. Im November letzten Jahres erklärte die Obama-Regierung Boko Haram offiziell zu einer ausländischen terroristischen Organisation, womit der Weg für militärische Aktionen gegen sie frei gemacht wurde.

Der Versuch, die US-Intervention in Nigeria auszuweiten, und die Entführung der Schülerinnen als Grund dafür zu benutzen, ist Teil der ständig wachsenden Präsenz des US-Militärs auf dem afrikanischen Kontinent. Das Pentagon ist gegenwärtig dabei, den AFRICOM (Afrikanisches Kommando)-Militärstützpunkt in Dschibuti mit 750 Millionen Dollar zu erweitern. Auf dem Stützpunkt sind Tausende amerikanischer Soldaten stationiert. Außerdem hat es überall auf dem Kontinent Operationsbasen errichtet und schon in mindestens achtzehn afrikanischen Ländern militärisch eingegriffen.

Die übelste Intervention der USA in Afrika, die ebenfalls im Namen humanitärer "Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung" erfolgte, war der Krieg der USA und NATO in Libyen, der zum Sturz des Gaddafi-Regimes führte. Das Land wurde in ein Chaos bewaffneter Milizen gestürzt, und die gesamte Region wurde destabilisiert. Mehrere Afrikakenner gehen davon aus, dass Boko Haram selbst von Islamisten aus den Kämpfen in Mali verstärkt wurde, die nach dem Libyenkrieg ausbrachen.

US-Militär-"Berater" dirigieren die Operationen afrikanischer Truppen überall auf dem Kontinent. Das schließt Streitkräfte von Uganda, Äthiopien und Kenia ein, die gegen die islamistische Al Shahab in Somalia kämpfen. Auch ugandische Truppen, die gegen rebellierende Fraktionen im Südsudan kämpfen, haben solche Berater. Die US-Luftwaffe transportierte zudem kürzlich burundische und ruandische Soldaten in die Zentralafrikanische Republik.

Auch der Nato-Verbündete Frankreich verstärkt die Operationen der USA. Frankreich hat kürzlich sowohl in Mali als auch in der Zentralafrikanischen Republik eingegriffen.

In einer Zeugenaussage vor dem Kongress im März erklärte der AFRICOM-Kommandant, General David Rodriguez, die Intervention der USA erfolge vor allem wegen des Erdöls und anderer mineralischer Rohstoffe. Er bemerkte: "Die Tatsache, dass Afrika für seine Verbündeten und die aufstrebenden Mächte wie China, Indien und Brasilien, immer größere Bedeutung hat, bietet den USA die Gelegenheit, durch ihr Engagement auf dem Kontinent auch in anderen Regionen ihre Sicherheitsziele zu verstärken."

Soll heißen: Wenn die USA militärische Kontrolle über strategische Ressourcen Afrikas erreichen können, dann können sie auch größeren Druck auf andere Mächte ausüben. Das zielt insbesondere auf China ab, das Europa immer mehr als größten Handelspartner Afrikas ablöst und massiv in die dortige Infrastruktur investiert. Ein ganzes Drittel der chinesischen Ölimporte kommt aus Afrika.

Während die USA noch ihre Entsendung von Militärpersonal nach Nigeria vorbereiteten, war der chinesische Premierminister Li Keqiang bereits dort. Er sollte diese Woche als Hauptsprecher auf der Afrikakonferenz des Weltwirtschaftsforums auftreten, die in der Hauptstadt Abuja abgehalten wird. Im Gepäck hatte er einen Vertrag zum Ausbau des Eisenbahnnetzes von Nigeria über 13,1 Milliarden Dollar. Nun konnte er auch Chinas Hilfe bei der Suche nach den entführten Schülerinnen anbieten.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.05.2014
Washington schickt Militärberater nach Nigeria
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2014