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GLEICHHEIT/4726: Griechische Regierung schaltet öffentlichen Rundfunk ab


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechische Regierung schaltet öffentlichen Rundfunk ab

Von Christoph Dreier
14. Juni 2013



Am Donnerstagabend um 23.11 Uhr stoppte die griechische Polizei die Übertragung des öffentlichen Rundfunks ERT, indem sie die Stromzufuhr der Antennen abstellte. Die Arbeiter besetzten daraufhin das Hauptgebäude im Athener Vorort Agia und sendeten über Satellit und Internet ein Protestprogramm. Tausende von Sympathisanten versammelten sich vor dem Gebäude.

Die Polizeiaktion ging auf die Anordnung des konservativen Premierministers Antonis Samaras von der Nea Dimokratia zurück, die drei öffentlichen Fernsehsender und sechsundzwanzig öffentlichen Radiosender abzuschalten, die zusammen den Griechischen Rundfunk (ERT) bilden. Nur vier Stunden zuvor hatte Regierungssprecher Simos Kedikoglou den Plan bekannt gegeben, das staatliche Unternehmen zu schließen und alle 2656 Beschäftigten mit sofortiger Wirkung zu entlassen. Durch diesen Erlass wurde der öffentliche Rundfunk nach 75 Jahren eingestellt.

Die Regierung plant, in den kommenden Monaten einen kleineren Fernseh- und Radiosender mit etwa 1.000 Beschäftigten wiederaufzubauen, der direkt vom Staat reguliert wird. ERT-Beschäftigte werden sich bei dem neuen Unternehmen genau wie alle anderen bewerben müssen. Samaras erklärte: "Wir schaffen einen Hort der Intransparenz und Verschwendung ab."

Der ERT-Journalist Yannis Darras erklärte in der Süddeutschen Zeitung: "Was hier passiert, haben bisher nur Diktatoren gemacht. Haben Sie schon mal von einer Demokratie gehört, in der handstreichartig alle öffentlich-rechtlichen Sender geschlossen werden?"

Tatsächlich hatte es solche Szenen in Griechenland das letzte Mal unter der Diktatur der Obristen von 1967 - 1974 gegeben.

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen verurteilte in einer Stellungnahme die Entscheidung, ERT zu schließen, als Angriff auf demokratische Rechte: "Griechenland ist in den letzten drei Jahren auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen um fast 50 Plätze nach hinten gefallen - ein Rekord in einer so kurzen Zeit für ein EU-Mitgliedsland," hieß es in einer Stellungnahme.

Die Schließung des ERT - der als seriösere Informationsquelle als die griechischen Privatsender galt - ist das jüngste Beispiel für die Brutalisierung der griechischen Politik. In den letzten fünf Monaten setzte die griechische Regierung dreimal das Kriegsrecht ein, um Streiks durch die Polizei niederzuschlagen. Demonstrationen und Proteste werden regelmäßig von Bereitschaftspolizei angegriffen, Journalisten dürfen nicht darüber berichten.

Diese reaktionäre Politik ist das direkte Ergebnis der brutalen sozialen Angriffe, die die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds (IWF) diktieren und die von der griechischen Regierung umgesetzt werden. Durch diese Politik wurden Löhne gesenkt und öffentliche Dienstleistungen abgebaut und der griechische Lebensstandard um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Diese soziale Zerstörung ist nicht mehr mit demokratischen Rechten oder der Pressefreiheit vereinbar. Die herrschenden Eliten in Griechenland und ganz Europa sind zutiefst besorgt über soziale Unruhen - wie die aktuellen Proteste gegen den türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan. Sie reagieren darauf mit Angriffen auf die Medien und versuchen, jeden Widerstand der Arbeiterklasse zu unterdrücken.

Der Angriff auf den ERT lässt sich direkt auf die EU und den IWF zurückverfolgen. Der IWF hatte bereits 2011 massiven Arbeitsplatzabbau beim ERT gefordert. Am Mittwoch erklärte EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn, die Kommission stelle nicht "das Mandat der griechischen Regierung zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Sektors in Griechenland" in Frage und fügte hinzu, es sei nicht die Entscheidung der Kommission gewesen, den ERT zu schließen. Diese Aussage ist jedoch nicht glaubwürdig.

Der IWF und die EU haben in jedem Ministerium in Griechenland Beobachter eingesetzt und sind in jede Entscheidung eingebunden. Sie haben Athen vor kurzem befohlen, bis Ende des Monats 2.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu entlassen, um die nächste Zahlung von Hilfskrediten zu erhalten. Bis Ende 2014 sollen noch weitere 13.500 Entlassungen folgen.

Dies ist Teil des Plans, 150.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abzubauen. Die Schließung des ERT ist offensichtlich ein Teil der Sparmaßnahmen, der von der EU diktiert wird.

Die Junior-Koalitionspartner der ND, die sozialdemokratische Pasok und die Demokratische Linke (DIMAR) äußerten vorsichtige Kritik an der Schließung. Sie stellten klar, dass sie die Entlassungen unterstützen, wollen aber, dass der ERT während der Sanierung in Betrieb bleibt. Beide Parteien haben mehrfach Kritik an ähnlichen Maßahmen geäußert, aber nie gedroht, ihre Koalition mit der ND aufzulösen.

Sollten Pasok und DIMAR ihre Unterstützung für den Angriff der ND auf den ERT zurückziehen, könnte diese sich auf die faschistische Partei Goldene Morgenröte verlassen. Ihr stellvertretender Vorsitzender Ilias Panagiotaros schrieb auf Twitter: "ERT, dieses Nest von Kommunisten und Sozialisten, wird endlich geschlossen."

Die Arbeiter haben ihren Widerstand gegen diesen Angriff auf demokratische und soziale Rechte gezeigt. Die Beschäftigten in Athen weigerten sich, das Gebäude zu verlassen, nachdem der Präsident von ERT, Emilios Latsios die Beschäftigten angewiesen hatte, den Sender zu verlassen, widrigenfalls sie wegen illegaler Besetzung verhaftet würden. Die meisten sind immer noch im Gebäude und senden ihr Protestprogramm

Nachdem diese Nachricht am Dienstagabend bekannt wurde, versammelten sich nur wenige Stunden später tausende von Demonstranten vor dem Hauptgebäude des ERT, um gegen die Entscheidung zu protestieren. Viele blieben die ganze Nacht und den ganzen Mittwoch über.

Zu den Demonstranten gehören Prominente wie Eleftheria Arvanitaki, die für die Demonstranten sang. Das Orchester des Senders spielte eine Zeitlang im Gebäude, seine Musik wurde draußen von Lautsprechern übertragen. Auch vor dem Gebäude von ERT3 in Thessaloniki versammelte sich eine große Menschenmenge.

Anastasia Zigou, eine aktive ERT-Beschäftigte, sagte der britischen Tageszeitung Guardian: "Viele von uns haben seit 48 Stunden nicht mehr geschlafen, aber wir geben nicht auf. Die großartige Reaktion, die wir von den Bürgern gesehen haben, nicht nur hier, sondern auch in den Radiosendern im ganzen Land, gibt uns Kraft."

Am Mittwoch stellten Journalisten der griechischen Zeitungen aus Solidarität mit den ERT-Beschäftigten ihre Arbeit ein. Beschäftigte der Privatsender blockierten alle Nachrichtensendungen bis zum Mittag und berichteten in den späteren Nachrichtensendungen nur über die ERT-Proteste. Einige Journalisten erklärten, sie würden streiken, bis der ERT wieder auf Sendung gehe.

Angesichts des wachsenden Widerstandes der Bevölkerung gegen die Sparpolitik tun pseudolinke Parteien wie die Koalition der Radikalen Linken (Syriza) und die Gewerkschaftsbürokratien alles, um die Entwicklung der Opposition abzublocken. Der Vorsitzende von Syriza, Alexis Tsipras, traf sich am Mittwoch mit Präsident Karolos Papoulias, um über die ERT-Krise zu diskutieren. Er bat den Präsidenten, einzuschreiten und eine Debatte im Parlament anzusetzen, um die Lage zu stabilisieren.

Die beiden großen griechischen Gewerkschaftsverbände GSEE und ADEDY riefen für den 13. Juni zu einem eintägigen Streik auf. Solche Streiks sind in Griechenland allgemein bekannt. Die Gewerkschaften sind eng mit der Pasok verbunden, unterstützen die Regierung und organisieren Streiks in einer Weise, die eine Störung ihrer Sparpolitik vermeidet. Wenn sie jetzt einen Streik organisieren, dann um zu verhindern, dass die Kämpfe der Arbeiterklasse sich zu einer direkten politischen Gefahr für die Regierung und die kapitalistische Herrschaft in Griechenland entwickeln, die sie verteidigen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.06.2013
Griechische Regierung schaltet öffentlichen Rundfunk ab
http://www.wsws.org/de/articles/2013/06/14/gree-j14.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2013