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GLEICHHEIT/4655: Portugal - EU fordert Kürzungen, obwohl Rettungspaket für verfassungswidrig erklärt wurde


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Portugal:
EU fordert Kürzungen, obwohl das Rettungspaket für verfassungswidrig erklärt wurde

Von Paul Mitchell
10. April 2013



Vertreter der portugiesischen und anderer europäischer Regierungen fordern neue Sozialkürzungen, obwohl das portugiesische Verfassungsgericht die von der Europäischen Union geforderten Haushaltskürzungen für verfassungswidrig erklärt hat. Die Kürzungen waren die Voraussetzung dafür, dass die Troika aus Europäischer Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank Portugal 2011 einen Kredit in Höhe von 78 Milliarden Euro gewährt hat.

Das Gericht erklärte vier der neun Maßnahmen, die im Haushaltsjahr 2013 in Kraft treten sollen, für verfassungswidrig: Die Streichung des Urlaubsgeldes im öffentlichen Dienst, eine Kürzung der Arbeitslosen- und Krankheitsleistungen, Renten- und Lohnkürzungen für Lehrer.

Dem Gericht zufolge benachteiligen diese Maßnahmen den öffentlichen Sektor gegenüber dem Privatsektor. Sie sollten etwa 1,3 Milliarden Euro an Einsparungen bringen, mehr als zwanzig Prozent der Gesamtsumme. Der Verzicht auf sie wird das Haushaltsdefizit auf 6,4 Prozent des BIP steigern. Angestrebt waren 5,5 Prozent.

Die EU wird die Zahlung der nächsten Kredittranche von etwa zwei Milliarden Euro möglicherweise auf Eis legen. Sie wäre eigentlich nach der siebten Kontrolle, die vor kurzem erfolgte, fällig.

Am Sonntag forderte die Europäische Kommission die portugiesische Regierung aus Sozialdemokraten und Volkspartei (PSD/CDS-PP) auf, sich an die Bedingungen zu halten: "Jedes Abweichen von den Zielen des Programms und jede Neuverhandlung würde die Anstrengungen zunichte machen, die Portugals Bürger hinter sich haben."

Die Kommission forderte, dass die Regierung "schnell die notwendigen Maßnahmen ergreift, um den Haushalt 2013 in einer Art und Weise anzupassen, die die korrigierten Zielvorgaben berücksichtigt, die die portugiesische Regierung gefordert hat, und die von der Troika bei ihrer siebten Inspektion des Programms gebilligt wurden."

Der deutsche Finanzminister Schäuble erklärte: "Portugal hat im letzten Jahr große Fortschritte gemacht, um Zugang zu den Finanzmärkten zu bekommen. Aber nach dieser Entscheidung wird es neue Maßnahmen ergreifen müssen."

Vertreter der portugiesischen Regierung bereiten sich auch darauf vor, neue Angriffe auf die Arbeiterklasse zu organisieren. Nach dem Urteil des Gerichtes erklärte Premierminister Pedro Passos Coelho, die Frist bis September, innerhalb der Portugal die Bedingungen des Rettungspaketes erfüllen und auf die internationalen Anleihenmärkte zurückkehren soll, sei extrem kurz. "Allgemein gesprochen, sorgt dieses Urteil für Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit in einem Prozess, der bereits sehr hohe Anforderungen stellt," klagte er.

Coelho kritisierte das Gericht, weil es sein Urteil vor dem Treffen der EU-Finanzminister in Dublin Ende dieser Woche gefällt hatte. "Portugal hat so hart gekämpft, um seine europäischen Partner zufrieden zu stellen... um die Fälligkeit von Krediten an die Republik aufzuschieben und bis 2014 aus dem Hilfsprogramm austreten zu können."

Coelho erklärte, die einzige noch mögliche Option bestehe darin, "die Umstrukturierung des Staates zu verschärfen" und eine "starke Einschränkung" der Ausgaben für Gesundheit, Bildung und staatliche Unternehmen zu erzwingen. Er erklärte: "Ich werde die Ministerien anweisen, die notwendigen Ausgabensenkungen umzusetzen, um die Einsparungen auszugleichen, die das Urteil verbietet. Es wird mit Sicherheit ein sehr schwieriger Prozess."

Der Ökonom Eduardo Catroga, der die Regierung bei den Verhandlungen mit der Troika beraten hatte, kritisierte das Gericht für seine "sehr enge Auslegung des Gleichheitsprinzips." Er erklärte, die Regierung könne die Steuern nicht erhöhen, weil das Land finanziell ausgeblutet sei und zusätzliche Maßnahmen und Dialoge mit Partnern und Gläubigern nötig sein werden, um ein neues Ziel für 2013 zu setzen.

Das Urteil des portugiesischen Gerichtes zeigt nicht nur die politisch kriminelle Natur des Sparprogramms der Troika, das in ganz Europa von Parteien jeglicher Couleur umgesetzt wird, sondern auch seinen undemokratischen und rechtswidrigen Charakter.

Auf Befehl der Troika wurden grundlegende verfassungsgemäße Sicherungssysteme und demokratische Prozesse zerschlagen, um eine Politik umzusetzen, die den Lebensstandard von Millionen von Menschen auf den Stand der 1930er zurückwerfen soll.

Die "Rettung" Zyperns im letzten Monat wurde auf der Grundlage einer "Absichtserklärung" durchgesetzt, mit der die Troika die gewählte Regierung völlig entmachtet hat. Die zypriotische Regierung kann keine Maßnahmen mehr treffen, die nicht vorher von der Troika genehmigt wurden.

In Griechenland hatte die Koalitionsregierung aus drei Parteien vor kurzem ein Gesetz eingeführt, das das Recht auf freie öffentliche Bildung abschafft, das die Verfassung des Landes von 1975, nach dem Sturz der Militärjunta, garantiert hatte.

Das Beharren der Troika und Passos Coelhos Regime, Portugal müsse weitere Sparmaßnahmen einführen, wie sie der zypriotischen Bevölkerung aufgezwungen wurden, zeigt, dass die Finanzaristokratie vor nichts halt machen wird, um der Arbeiterklasse die Last der Krise des Kapitalismus aufzubürden.

Das steckt hinter den jüngsten Kommentaren von Maria Damanaki, einer Abgeordneten der griechischen PASOK und Vertreterin der Europäischen Kommission. Sie erklärte: "Die Strategie der Europäischen Union in den letzten eineinhalb Jahren war es, die Lohnkosten in ganz Europa zu senken, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen gegen seine Rivalen aus Osteuropa und Asien zu verbessern."

Der Analyst Ricardo Santos von BNP Paribas sagte zu dem Urteil des Gerichtes: "Alle Verhandlungen über eine Flexibilisierung des portugiesischen Sparprogramms werden sehr schwer sein... Die Stimmung in Europa hat sich geändert, und es wird nicht leicht sein, weitere Zugeständnisse zu erwirken."

Antonio Jose Seguro, der Parteichef der Oppositionellen Sozialistischen Partei (PS), die in den Umfragen um acht Punkte vorne liegt, forderte daraufhin Neuwahlen. Er erklärte: "Diese Regierung hat keine Autorität und keine Glaubwürdigkeit mehr. Sie ist am Ende."

Seguro drückte der Troika gegenüber die Unterwürfigkeit seiner Partei aus (sie hatte kurz vor ihrer Abwahl im Jahr 2011 das Sparpaket verhandelt), indem er ihr einen Brief mit einer Erklärung schickte, dass die PS einen Misstrauensantrag stellen werde, weil die Regierung Kürzungen "blind" umsetze. Er forderte einen neuen "innenpolitischen Sozialkonsens" rund um ein Konjunkturpaket, das Wachstum schaffen soll, die Einführung von Eurobonds und eine Bankenunion. Seguro weiß, dass nichts dergleichen zur Debatte steht, daher läuft sein Protest auf eine Neuverhandlung der portugiesischen Staatsschulden hinaus.

Die Gewerkschaften und die pseudolinken Parteien im Parlament, die Kommunistische Partei (PCP) und der Linke Block (BE) schlagen fast identische Maßnahmen für eine Neuverhandlung der Kürzungen mit der Troika vor. Joao Proenca, der Generalsekretär der Allgemeinen Arbeitergewerkschaft (UGT), die mit der PS verbündet ist, beklagte, Passos Coelho "erwähne nicht die Notwendigkeit, die Absichtserklärung mit der Troika neu zu verhandeln... er merkt immer noch nichts von den Schwierigkeiten im Land... [und] er sollte außerdem um ein Entgegenkommen der Troika bitten."

Armenio Carlos, der Vorsitzende des Allgemeinen Bundes portugiesischer Arbeiter (CGTP), der von der PCP beeinflusst ist, schlug nur ein paar Beruhigungsmittel vor, darunter eine Finanztransaktionssteuer und eine Neuverhandlung von öffentlich-privaten Partnerschaften.

Die Koordinatorin der BE, Catarina Martins forderte Neuwahlen und eine "Linksregierung," die mit der Troika die Schulden und Bedingungen neu verhandeln sollte, um dem Land "Wirtschaftswachstum zu ermöglichen und die Krise zu bewältigen."

Als Passos Coelho 2011 an die Macht kam, behauptete er, zwei "schreckliche Jahre" der Austerität würden zu Wirtschaftswachstum führen. Diese Behauptung ist an der Realität gescheitert. Portugal steckt noch tiefer und länger in der Rezession als vorhergesagt.

Im Jahr 2012 lag die Staatsverschuldung bei 123,6 Prozent des BIP und betrug zum ersten Mal mehr als 200 Milliarden Euro. Die Gesamtsumme der Schulden (Staats-, Haushalts-, finanzielle und nichtfinanzielle Schulden) betrug im Jahr 2012 438,6 Prozent des BIP, weltweit einer der höchsten Prozentsätze.

Die Wirtschaft schrumpfte im letzten Jahr um 6,4 Prozent, höher als die angepeilten fünf Prozent. Dieses Jahr wird sie nochmals um 2,3 Prozent schrumpfen. Letzte Woche gab die Ratingagentur Moody's Portugal die Bewertung Ba3 mit einer negativen Prognose. Die Arbeitslosenquote lag im Februar bei 17,5 Prozent, nach Griechenland und Spanien der höchste Wert in der Eurozone.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.04.2013
Portugal:
EU fordert Kürzungen, obwohl das Rettungspaket für verfassungswidrig erklärt wurde
http://www.wsws.org/de/articles/2013/04/10/port-a10.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2013