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GLEICHHEIT/4461: Große Wut über mangelnde Versorgung nach Hurrikan


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Große Wut über mangelnde Versorgung nach Hurrikan

Von Fred Mazelis
3. November 2012



Nach fünf Tagen steigt die Zahl der Toten durch Hurrikan Sandy unaufhaltsam und hat beinahe die Einhundertmarke erreicht. Immer noch sind Mehrere Millionen Menschen in New York, New Jersey und Connecticut ohne Strom, Heizung und in vielen Fällen ohne Wasser und Lebensmittel. Wut und Frustration über das Versagen der Bundesbehören, der Staats- und Kommunalbehörden, angemessene Hilfe zu leisten, nähert sich dem Siedepunkt.

Wie schon Hurrikan Katrina vor sieben Jahren, legt auch dieser Sturm die ungeheure soziale Ungleichheit bloß, die jede Facette der amerikanischen Gesellschaft durchdringt. Sie ist nirgendwo drastischer als in New York City, das zu den besonders betroffenen Gebieten an der amerikanischen Ostküste gehört.

Die Unzufriedenheit der Bewohner der Arbeiterbezirke, die etwas weiter außerhalb liegen, wie auch der Sozialwohnungssiedlungen in Lower Manhattan nimmt mit jedem Tag zu. Viele klagen an, dass die Verantwortlichen der Stadt sich nur den Bedürfnissen von Aktienhändlern und Multimillionären in Manhattan gewidmet, sich aber keinen Deut darum geschert hätten, dass Arbeiter und Arme tagelang in Hunger, Dunkelheit und Kälte leben.

Diese verbreitete Stimmung, wie auch die Sorge, die sich angesichts dessen in herrschenden Kreisen ausbreitet, brachen sich am Freitagabend plötzlich in politischen Ereignissen Bahn, als das Büro von Bürgermeister Michael Bloomberg bekannt gab, dass der für Sonntag geplante jährliche Stadtmarathon von New York City zum ersten Mal seit vierzig Jahren abgesagt werde.

In einer gemeinsamen Erklärung der Stadt und des New Yorker Road Runners Club heißt es: "Der Marathon hat immer den Zusammenhalt in unserer Stadt gestärkt und uns durch Beispiele von Mut und Entschlossenheit inspiriert. Wir wollen nicht, dass ein Schatten auf dem Rennen oder seinen Teilnehmern liegt. Deshalb haben wir entschieden, das Rennen abzusagen."

Nur wenige Stunden vor dieser Bekanntgabe hatte Bloomberg noch auf einer Pressekonferenz im Rathaus betont, der Marathon werde stattfinden. Er werde keine Kapazitäten von der Versorgung der Sturmopfer abziehen. Bloomberg ließ sich darüber aus, dass Restaurants, die er frequentiere, genauso stark besucht seien und sogar mehr Wein verkauften als sonst, und betonte, das Rennen werde "den Menschen die Möglichkeit geben, über etwas zu jubeln". Er berief sich auf die Entscheidung seines Vorgängers Rudy Giuliani, den Marathon nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stattfinden zu lassen.

Doch als berichtet wurde, dass im Central Park Generatoren aufgestellt wurden, um Medien- und Versorgungszelte für die Läufer mit Strom zu versorgen, rief dies Empörung hervor. Auch Lebensmittel und Wasser wurden Lastwagenweise herangeschafft. In den Sozialwohnungsblocks der Stadt hingegen mussten die Bewohner Behälter und Eimer aus Wasserhydranten abfüllen und dann z.T. bis zum 17. Stock hochschleppen.

Über eine Versorgung wie für den Marathon konnten sich auch die städtischen Krankenhäuser nicht freuen. Sie waren gezwungen, zu schließen und ihre Patienten unter gefährlichen Bedingungen zu evakuieren, weil es keine Generatoren gab. Ähnlich erging es Tausenden Bewohnern von verwüsteten Stadtvierteln auf Staten Island, von Rockaway in Queens, Coney Island in Brooklyn und anderswo. In diesen Gebieten wurden die Menschen inmitten der Verwüstungen sich selbst überlassen, ohne Transportmittel und Kommunikationsmöglichkeiten.

Bewohner von Staten Island, wo der New York Marathon starten sollte, und wo die meisten der 41 Todesopfer der Stadt zu beklagen sind, stellten handgeschriebene Tafeln mit der Aufschrift auf: "F.. you, Bürgermeister mit deinem Marathon". Dort stehen die Menschen immer noch in langen Schlangen für Wasser und Lebensmittel vor den Verteilstellen des Zivilschutzes FEMA.

Während ca. 40.000 Menschen, ungefähr ein Drittel davon aus anderen Ländern, bereits in die Stadt gekommen waren, um am Sonntag am Marathon teilzunehmen, zeigte sich bei den Läufern selbst eine wachsende Opposition gegen den Lauf.

Die Sozialarbeiterin Penny Krakoff aus Crown Heights, Brooklyn, die am Marathon teilnehmen wollte, schrieb: "Ich kann nicht einfach in Staten Island auf einen 42 km langen Lauf gehen, wenn Menschen vermisst oder sich selbst überlassen sind und versorgt werden müssen. In Brooklyn und Queens gibt es ähnliche Verwüstungen. Teile von Manhattan sind ohne Strom und Wasser, große Krankenhäuser sind geschlossen."

Sie sagte, sie werde am Sonntag den Marathon-Bus zum Anfangspunkt an der Verrazano Brücke auf Staten Island nehmen, dann werde sie ihre offizielle Sportkleidung abgeben und sich stattdessen freiwillig melden, um für die Leute zu sammeln, die in diesem Gebiet leben, das am schwersten von dem Sturm geschädigt wurde. Andere Läufer kündigten ebenfalls an, das Rennen an verschiedenen Punkten der Stadt abzubrechen, um Gebieten ohne Strom Lebensmittel zu bringen.

Die Arbeiter der Stadtreinigung, die Schichten von zwölf Stunden und mehr arbeiten, haben ebenfalls dagegen protestiert, dass sie dazu eingeteilt wurden, nach dem Marathon sauberzumachen statt bei den Rettungsarbeiten in Staten Island, Brooklyn und Queens mitzuarbeiten, in denen viele von ihnen wohnen.

Ein Hotelmanager auf Staten Island kündigte an, er werde 160 Vorausreservierungen von Marathonläufern nicht freihalten, da die Zimmer bereits von etwa 700 Menschen belegt sind, die durch den Sturm obdachlos geworden sind.

Inzwischen äußerten mehrere demokratische Politiker, von denen einige beabsichtigen, als Nachfolger von Bloomberg anzutreten, ihren Widerstand gegen die Entscheidung, das Rennen durchzuführen. In der Finanzpresse gab es Berichte, dass die niederländische Investmentbank ING, die den Marathon sponsert, die erbitterte Kritik am Marathon als "Imagedisaster" anzusehen beginnt.

Diesen Befürchtungen liegt die reale Furcht in den herrschenden Kreisen zu Grunde, dass das von Hurrikan Sandy verursacht Elend, und die Enthüllung des krassen Gegensatzes zwischen der New Yorker Finanzaristokratie und der Arbeiterklasse der Stadt, die die Mehrheit der Bevölkerung stellt, zu sozialen Unruhen führen könnte.

Auch an anderen Teilen der Ostküste ist Zorn ausgebrochen. In Bridgeport, der größten und einer der ärmsten Städte des Staates Connecticut wurden Arbeiter von United Illuminating von Einwohnern mit Eiern beworfen, als Gerüchte bekannt wurden, das Elektrounternehmen habe seine Bemühungen darauf konzentriert, den Strom für die reichen Vorstadtgebiete auf Kosten von Bridgeport wiederherzustellen. Das Unternehmen zog seine Arbeiter aus der Stadt ab und forderte mehr Polizeischutz.

Millionen Menschen fühlen sich angesichts der Katastrophe im Stich gelassen. Dieses Gefühl ist nicht aus der Luft gegriffen. Obama hielt fast zwei Tage lang ritualisierte Reden über "Nachbarschaftshilfe", Romney inszenierte falsche Lebensmittelsammelaktionen, danach kehrten die Wahlkampagnen wieder zu ihren normalen Lügen zurück, während beide Parteien noch tiefere Angriffe auf die Arbeiterklasse nach der Wahl vorbereiten. Bloomberg rief zur Wahl Obamas auf, da er ihn als treuen Verteidiger seiner Interessen und der seiner Milliardärskollegen sieht.

Die Klassenunterschiede in New York drückten sich klar darin aus, dass es möglich war, die New Yorker Börse schon am Mittwochmorgen wieder zu eröffnen. Nur Stunden zuvor war das Bellevue Hospital, das ebenfalls in einer der Gegenden liegt, die unter Stromausfällen litten, aufgrund von Stromknappheit gezwungen, mehr als 700 Patienten in kritischem Zustand zu evakuieren. Ein Arzt sagte der New York Times, man hätte das Wasser durch die Aufzüge fließen hören, "als würde der Niagara durchs Krankenhaus geleitet. Die Telefone haben nicht funktioniert. Wir haben alle Verbindungen zwischen den Stockwerken verloren. Wir saßen die ganze Nacht im Dunkeln. Es gab kein Wasser zum Händewaschen - Ich meine, wir sind Ärzte!"

Erst vier Tage nachdem Hurrikan "Sandy" aufs Festland getroffen ist, beginnen im Raum New York und New Jersey Strom und das öffentliche Verkehrssystem langsam wieder zu funktionieren. Am Freitagabend war in einem Großteil von Lower Manhattan die Stromversorgung wieder hergestellt, aber viele tausend Familien in den äußeren Stadtgebieten und in anderen Teilen von New York und New Jersey werden noch mindestens eine Woche warten müssen, vielleicht sogar bis Ende November, bis der Strom wieder funktioniert. Die Temperaturen liegen im einstelligen Bereich, sodass die Gefahr besteht, dass die Zahl der Opfer durch Nachlässigkeit und kriminelles Verhalten der Regierung und der Wirtschaft noch steigen wird.

Die aktuellsten Schätzungen zu den wirtschaftlichen Schäden durch den Sturm belaufen sich auf etwa 50 Milliarden Dollar, doppelt soviel wie noch vor ein paar Tagen. Es wird angenommen, dass nur ein Drittel der Verluste von Versicherungen gedeckt wird. Den Schätzungen zufolge ist Hurrikan "Sandy" einer der verheerendsten Stürme in der Geschichte der USA. Wenn noch weitere große Schäden hinzukommen sollten, wäre er ähnlich verheerend wie "Katrina", der 157 Milliarden Dollar Schaden verursachte.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.11.2012
Große Wut über mangelnde Versorgung nach Hurrikan
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2012