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GLEICHHEIT/4200: Italienische Kommunalwahlen - Wahlenthaltung und Protest gegen Sparpolitik


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italienische Kommunalwahlen: Wahlenthaltung und Protest gegen Sparpolitik

Von Marianne Arens
9.‍ ‍Mai 2012



Bei den Kommunalwahlen vom vergangenen Wochenende blieben in Italien zahlreiche Wähler zuhause: Die durchschnittliche Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu den letztjährigen Kommunalwahlen um sieben Prozent, von knapp 74 unter 67 Prozent. Außerdem büßten die Parteien, die die Sparpolitik der Regierung Monti unterstützen, massiv an Stimmen ein. Profitieren konnten Außenseiter, kleine Parteien und die Protestliste des Komikers Beppe Grillo.

In der ersten Runde der Kommunalwahlen vom 6. und 7. Mai wurde in Genua, Palermo, Parma, Verona, Bologna und mehreren hundert kleineren Gemeinden gewählt; außerdem fand ein Teil der Provinzwahlen statt. Jeder fünfte italienische Wähler, insgesamt neun Millionen waren zur Urne gerufen. Es war die erste Wahl seit der Amtsübernahme der Technokratenregierung von Mario Monti und galt deshalb als wichtiger Test.

Die traditionellen Parteien und Politiker verloren massiv. Silvio Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL) musste praktisch durchwegs herbe Niederlagen einstecken, und die Lega Nord fiel nach einem jüngsten Korruptionsskandal und dem Rücktritt von Parteigründer Umberto Bossi in ein historisches Tief. Nur in Verona wurde der Lega-Nord-Bürgermeister Flavio Tosi bestätigt, der sich klar von Bossi distanziert hatte. PdL und Lega Nord haben ihr Bündnis aufgelöst.

In der sizilianischen Hauptstadt Palermo, einer jahrelangen Hochburg der PdL, kommt die Berlusconi-Partei nicht einmal mehr in die Stichwahl. Dort hat Leoluca Orlando, Kandidat der Partei Italien der Werte (IdV), 46 Prozent erreicht und steht in der Stichwahl gegen den Kandidaten der Demokratischen Partei (PD), Fabrizio Ferrandelli. Ferrandelli hatte in den Vorwahlen die Favoritin der Parteiführung, Rita Borsellino, überraschend aus dem Rennen geschlagen.

Erst danach, wenige Wochen vor der Wahl, hatte Italien der Werte den Alt-Bürgermeister Orlando präsentiert. Der Aussteiger aus dem rechten Lager war in den 1980er und 1990er Jahren bereits viermal Bürgermeister von Palermo und steht im Ruf eines Vorkämpfers gegen die Mafia. Nun schwenkten die Grünen und Rifondazione Comunista zu Orlando, der als stärkster Kandidat aus der ersten Runde hervorging.

Auch in Genua machte bei den Vorwahlen der PD mit dem Wirtschaftsprofessor Marco Doria (einem Nachkommen des Genueser Adligen Andrea Doria) ein Außenstehender das Rennen, während die offiziellen Kandidaten der Parteiführung unterlagen. Ähnlich wie der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Pisapia, der sich vergangenen Herbst gegen die Parteiführer des Mitte-Links-Lagers durchgesetzt hatte, gewann Marco Doria die Unterstützung einiger Gruppen außerhalb der traditionellen Parteien. Er geht mit 48 Prozent als aussichtsreichster Kandidat in die Stichwahl.

Die Demokraten (PD) verteidigten zwar die meisten ihrer Bürgermeisterposten, doch meist handelte es sich dabei um lokale Politiker, die als relativ unabhängig vom offiziellen Kurs der Partei gelten. Die PD ist die wichtigste Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei und unterstützt den Sparkurs von Mario Monti gemeinsam mit Berlusconis PdL vorbehaltlos.

Auffällig sind die Erfolge von Kandidaten, die auf der Liste des Komikers Beppe Grillo, der "Fünf-Sterne-Bewegung", antraten. In Parma erreichte diese Liste aus dem Stand knapp zwanzig Prozent gegen ein Bündnis der Demokraten und von Italien der Werte. In Genua erreichte die Bewegung vierzehn und in Verona neun Prozent. Im Durchschnitt kommen Grillos Kandidaten auf rund acht Prozent.

Dabei bietet Grillo kein alternatives Programm zu den von ihm kritisierten traditionellen Parteien und Politikern. Er lenkt die breite öffentliche Empörung über die Arroganz und Korruption der Politiker in ein rechtes Fahrwasser: Fest auf dem Boden der Marktwirtschaft stehend, fordert er ein Ende der Verschwendung, eine "saubere" Politik und die Förderung von lokalen und grünen Initiativen und Kleinunternehmen gegen die Multis und internationalen Banken.

Erst kürzlich hat Grillo die EU-Feindschaft für sich entdeckt. Er fordert nun, Italien solle die Eurozone verlassen. Die EU wird von italienischen Arbeitern zu Recht als Vertretung der europäischen Banken und als treibende Kraft hinter den brutalen Sparmaßnahmen gesehen.

Grillo profitiert ganz klar vom Vakuum auf der Linken. Der Niedergang der früheren Arbeiterparteien und Gewerkschaften, ihr Nationalismus, ihre Unterstützung für das Diktat der EU und den sozialen Kahlschlag der Regierung Monti haben zur Folge, dass die wachsende Wut breiter Bevölkerungsschichten zum Antrieb für derart verwirrte Bewegungen wird, wie es die "Grillini" sind.

Die Wahlen fanden vor dem Hintergrund einer wachsenden Rezession statt. Die Industrieproduktion ist auch im ersten Quartal 2012 wieder um 2,3 Prozent gesunden, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte um 1,6 Prozent. Viele Betriebe melden Massenentlassungen oder Konkurs an.

Die drastischen Sparmaßnahmen der Regierung Monti haben die Lage der arbeitenden Bevölkerung in kurzer Zeit stark verschlechtert. So führen zum Beispiel die Rentenkürzungen und die Erhöhung des Rentenalters dazu, dass Tausende Senioren länger auf ihre Rente warten müssen, obwohl sie nicht die geringste Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Ihr Absturz in die Armut ist vorprogrammiert.

Da viele Menschen sparen müssen, schließen zahlreiche Warenhäuser und Geschäfte in den Innenstädten. Viele Baufirmen müssen Arbeiter entlassen oder zumachen, weil die Nachfrage nach privaten Neubauten sinkt - eine Folge der starken Anhebung der Immobiliensteuern. Allein im Veneto melden im Durchschnitt täglich zwei Unternehmen Konkurs an.

Die Selbstmordrate ist dramatisch angestiegen, wobei sich unter den Opfern sowohl arbeitslose Arbeiter als auch Kleinunternehmer in finanziell auswegloser Lage finden. Der Handwerkerverband CGIA meldet, dass sich letztes Jahr über tausend Menschen das Leben nahmen, 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Dieses Jahr dürften es noch weit mehr werden.

Die offizielle Arbeitslosigkeit ist im März gegenüber dem Vorjahr um eine halbe Million auf zweieinhalb Millionen gestiegen. Gegenüber dem Vorjahr betrug der Zuwachs 23, gegenüber dem Vormonat 2,7 Prozent, bei Männern sogar vier Prozent. Besonders seit Beginn der drastischen Sparprogramme der Regierung Monti im November 2011 haben zahlreiche Italiener ihre Arbeit verloren.

Zählt man die so genannten "Inaktiven" zur offiziellen Arbeitslosenrate von 9,8 Prozent hinzu, d.h. jene Menschen, die zwar im arbeitsfähigen Alter sind, aber im letzten Monat nicht nach Arbeit gesucht haben, sind die Zahlen noch verheerender: Zu den "Inaktiven" (auch "Entmutigte" genannt) werden 14,5 Millionen Menschen gerechnet, das sind 36,7 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter.

Im März 2012 waren 22,9 Millionen Personen in Lohn und Brot, was einer Beschäftigungsrate von nur 57 Prozent der Menschen im Alter zwischen fünfzehn und 64 Jahren entspricht. Bei Frauen liegt die Rate sogar unter 50 Prozent. Auch 36 Prozent aller Jugendlichen zwischen 15 und 24‍ ‍Jahren sind offiziell arbeitslos.

Diese Zahlen zeigen, dass sich ein gewaltiger sozialer Sturm unter der Oberfläche zusammenbraut. Das Ergebnis der jüngsten Wahlen lässt dies nur erahnen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 09.05.2012
Italienische Kommunalwahlen: Wahlenthaltung und Protest gegen Sparpolitik
http://www.wsws.org/de/2012/mai2012/ital-m09.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2012