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GLEICHHEIT/3927: USA drohen mit Militäreinsätzen in Pakistan


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

USA drohen mit Militäreinsätzen in Pakistan

Von Vilani Peiris und Ali Ismail
9. November 2011


Die Krise in den Beziehungen zwischen den USA und Pakistan hat sich durch die Weigerung der pakistanischen Armee, gegen das Haqqani-Netzwerk vorzugehen weiter vertieft. Das Haqqani-Netzwerk ist eine bewaffnete Widerstandsgruppe, die in den Stammesgebieten im Nordwesten des Landes aktiv ist. Die Obama-Regierung macht sie für eine Reihe von gewagten Angriffen auf die amerikanischen Besatzungstruppen in Afghanistan verantwortlich.

Das Verhältnis zwischen den beiden Ländern ist seit Ende September sehr angespannt. Admiral Mike Mullen, der scheidende Vorsitzende des amerikanischen Generalstabs, hatte behauptet, das Haqqani-Netzwerk sei "praktisch ein Werkzeug" des wichtigsten pakistanischen Geheimdienstes, der Inter-Services Intelligence Agency (ISI).

Am Mittwoch fand in der Türkei eine eintägige Konferenz statt, durch die das Verhältnis zwischen der pakistanischen Regierung und der von den USA unterstützten afghanischen Regierung verbessert werden sollte, aber das Treffen endete ohne einen Durchbruch.

Die fortdauernde Krise in den Beziehungen zwischen den USA und Pakistan resultiert aus dem strategischen Dilemma, in dem die herrschende Elite Pakistans steckt. Auf Washingtons Befehl hin geht Pakistan gnadenlos gegen Aufstände von Widerstandsgruppen im Grenzgebiet zu Afghanistan vor, die mit den Taliban verbündet sind, und haben über eine Million Paschtunen aus ihren Häusern vertrieben. Pakistan ist auch weiterhin eine Stütze der neokolonialen Besetzung Afghanistans, aber die herrschende Elite fürchtet, dass ihre strategischen und geopolitischen Interessen durch die immer aggressiver auftretenden USA gefährdet werden.

Seit die USA vor zehn Jahren Afghanistan besetzt haben, steht Pakistan unter Druck, mehr von der Last des Krieges zu tragen. Während der Widerstand gegen den Krieg das Land destabilisiert, drängt Washington es weiterhin dazu, sein Vorgehen gegen die Aufständischen zu verschärfen und fordert, dass Pakistan eine neue Offensive in Nordwasiristan beginnen soll.

Die USA verärgern die pakistanische herrschende Elite, indem sie deren Erzrivalen Indien als wichtigen strategischen Partner umwerben und Neu-Delhi dazu ermutigen, als wichtiger Verbündeter der afghanischen Karzai-Regierung zu dienen. Jetzt droht Washington mit einem einseitigen Angriff auf pakistanischem Staatsgebiet. Islamabad droht für diesen Fall mit Vergeltung. Die angespannte Situation könnte außer Kontrolle geraten und zu einem größeren Konflikt in der Region ausarten.

Am Mittwoch fand in Istanbul eine Konferenz statt, auf der Vertreter von vierzehn Ländern, darunter auch Pakistan und Afghanistan, zusammenkamen, um eine Vereinbarung über die Einrichtung eines regionalen Sicherheits- und Integrationsmechanismus zu erreichen, der mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vergleichbar sein soll. Das wahre Ziel der Konferenz war es jedoch, die Staaten der Region zu einem Abkommen zu bewegen, das die Vorherrschaft der USA über die Region begünstigen sollte.

Allerdings war der amerikanische Plan für die Konferenz aufgrund der unterschiedlichen Interessen und Vorgehensweisen der teilnehmenden Länder schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Laut Asia Times reagierten China, Iran, Pakistan und die meisten zentralasiatischen Staaten zögerlich auf den amerikanischen Vorschlag für eine neue regionale Sicherheitsstruktur. Wie ein anonymer pakistanischer Diplomat der Express Tribune mitteilte, schlossen sich Pakistan, China und der Iran auch zusammen, um gegen die Pläne der USA vorzugehen, auch nach 2014 noch eine Militärpräsenz in Afghanistan zu behalten.

Zwar behauptete Karzai vor kurzem, Afghanistan werde Pakistan unterstützen, sollte es zu einem Krieg mit den USA kommen, aber das war nur ein unglaubwürdiger Versuch, die pakistanische Elite zu beruhigen. Auf der Konferenz erlaubte Karzai sich eine Spitze gegen Islamabad, indem er erklärte: "Terrornetzwerke sind die bei weitem größte Bedrohung für Afghanistans Sicherheit. Sie haben außerhalb unserer Grenzen weiterhin Zuflucht, und von dort aus führen sie ihre brutalen Zerstörungskampagnen."

Die Krise in den amerikanisch-pakistanischen Beziehungen eskalierte im September, als sich das pakistanische Militär weigerte, gegen das Haqqani-Netzwerk vorzugehen und die USA vor jeglichem militärischem Eindringen in Pakistan warnte. Die Obama-Regierung hat in den vergangenen Wochen den Druck auf Pakistan erhöht und Islamabad klargemacht, dass seine Beziehung zu den USA gefährdet ist. Washington will Pakistan auf mehrere Arten dafür bestrafen, dass es nicht in der Lage war, gegen das Haqqani-Netzwerk vorzugehen. Unter anderem will Washington ein Drittel der versprochenen Militärhilfe einbehalten, nur geringfügige Hilfe für die Millionen Geschädigten durch die Überschwemmungen in Sind und Belutschistan leisten und sich nicht beim IWF dafür einsetzen, dass Islamabad ein weiteres Darlehen erhält.

Das Haqqani-Netzwerk, das von dem greisen Jalaluddin Haqqani angeführt wird, hat sein Hauptquartier angeblich seit über drei Jahrzehnten im Miran Shah-Distrikt in Nordwasiristan. Im Laufe der Zeit hat der pakistanische Militär- und Geheimdienstapparat enge Verbindungen mit dem Haqqani-Netzwerk und anderen Islamistengruppen aufgebaut. Allerdings ist die Forderung der USA, diese Gruppe zu zerschlagen, scheinheilig. In den 1980ern belieferte die CIA das Haqqani-Netzwerk mit Waffen und Geld, damit sie gegen das Regime in Afghanistan kämpften, das von der Sowjetunion unterstützt wurde. Letzten Monat musste US-Außenministerin Hillary Clinton gezwungenermaßen zugeben, dass die USA noch vor kurzem Kontakt zum Haqqani-Netzwerk gehabt hatten. Im August hatte Associated Press erstmals von einem Geheimtreffen zwischen US-Vertretern und Ibrahim Haqqani, dem Bruder von Jalaluddin Haqqani, berichtet. Dieses Treffen wurde vom Chef des pakistanischen Geheimdienstes, Generalleutnant Ahmed Shuja Pasha, arrangiert und fand in einem Königreich am Persischen Golf statt.

US-Außenministerin Hillary Clinton beendete vor kurzem einen zweitägigen Besuch in Pakistan, bei dem sie von einer ungewöhnlich hochrangigen Delegation begleitet wurde. Zusammen mit ihr kamen CIA-Chef David Petraeus und der neu ernannte Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte Martin Dempsey. Clinton gab Pakistan eine strenge Warnung und forderte militärisches Vorgehen gegen das Haqqani-Netzwerk.

Vor ihrer Ankunft in Pakistan am 20. Oktober machte Clinton noch einen kurzen Zwischenstopp in Kabul, wo sie sich mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai traf. In Afghanistan erklärte Clinton vor der Presse, die USA "müssten eine klare, unmissverständliche Botschaft an die Regierung und die Bevölkerung Pakistans senden. Sie müssen an der Lösung des Problems mitarbeiten, das heißt, sie müssen gegen die Terroristen im eigenen Land vorgehen, die ihre eigene Bevölkerung töten und die die Grenze passieren und in Afghanistan Menschen töten." Sie fügte hinzu, wer toleriert, dass Aufständische Zuflucht finden, müsse "teuer dafür bezahlen." Die New York Times schrieb, Clintons Drohungen seien die "ernsthafteste Warnung", die die Obama-Regierung Pakistan bisher erteilt hat.

Während ihrer Reise nach Pakistan sagte Clinton, das Land könne beim Versuch, eine militärische und politische Lösung für den Krieg in Afghanistan zu finden, "entweder behilflich oder hinderlich sein." Sie warnte, die USA würden Pakistans Weigerung, gegen das Haqqani-Netzwerk vorzugehen nicht mehr länger dulden. Wenn Pakistan es nicht tue, würden die USA einseitig losschlagen. Obwohl Clinton sich mit Präsident Asif Ali Zardari, Premierminister Yousaf Raza Gilani und dem Chef des ISI, Ahmed Shuja Pasha, traf, konnte sie keine Einigung mit Pakistan erzielen oder die tiefergehenden Gründe für die Spannungen zwischen den Ländern beseitigen.

Bei einer Rede vor dem Ständigen Verteidigungsausschuss des pakistanischen Parlaments unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur zwei Tage vor Clintons Ankunft in Pakistan, sagte der Generalstabschef des Heeres, Ashfaq Parvez Kayani, die USA würden es sich "zehnmal überlegen," bevor sie einen einseitigen Angriff auf Pakistan wagten. Kayani erklärte, Pakistan sei nicht der Irak oder Afghanistan und prahlte mit den Atomwaffen des Landes. Vor kurzem warnte Kayani die USA, Pakistan würde auf jede amerikanische Militäraktion in pakistanischem Staatsgebiet mit Vergeltungsschlägen reagieren.

Schon seit der neokolonialen Invasion und Besetzung Afghanistans im Herbst 2001 sind die Beziehungen zwischen Islamabad und Washington von Spannungen geprägt. Nachdem die USA nach den Anschlägen vom 11. September gedroht hatten, Pakistan "in die Steinzeit zurück zu bombardieren" stellte Diktator Musharraf die Unterstützung für die Taliban ein und lieferte wichtige logistische und militärische Unterstützung für die Besetzung Afghanistans.

Die USA sind entschlossen, Pakistan zu zwingen, seinen eigenen Krieg gegen die Aufständischen zu verschärfen und das pakistanische Militär die Hauptlast der Opfer tragen zu lassen. Damit soll der wachsende Widerstand der amerikanischen Bevölkerung gegen den Krieg eingedämmt werden.

Washingtons Bevormundungen und andauernde Verletzungen von Pakistans Souveränität haben Teile der pakistanischen Elite verärgert. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern verschlechterten sich im Januar, als der CIA-Mitarbeiter Raymond Davis in Lahore zwei pakistanische Jugendliche erschoss. Die Empörung über die Morde war so groß, dass Pakistan Davis wochenlang einsperren musste, bevor es den amerikanischen Forderungen nach der Freilassung des Agenten nachgab. Die Beziehungen verschlechterten sich im Mai noch weiter, nachdem Osama bin Laden in Pakistan bei einem amerikanischen Kommandoangriff auf sein Anwesen in Abbotabad getötet wurde. Das pakistanische Militär wertete die Aktion als eine weitere grobe Verletzung der pakistanischen Souveränität.

Während die pakistanische Elite wirtschaftlich und geopolitisch weiterhin von den USA abhängig ist, hat Washingtons aggressive Verfolgung seiner Interessen Pakistans Stellung in der Region geschwächt und schadet den Plänen der pakistanischen Bourgeoisie in der Region. Indien, andererseits, hat eine starke Präsenz in Afghanistan aufgebaut und gewinnt weiteren Einfluss in dem strategisch wichtigen Land. Der indische Premierminister Manmohan Singh und der afghanische Präsident Hamid Karzai haben letzten Monat ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft abgeschlossen und somit ihre militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen verstärkt. Singh sagte dazu, Indien werde "Afghanistan beistehen" wenn die ausländischen Truppen das Land verlassen.

US-Senator John Kerry bekräftigte vor kurzem die Unterstützung Washingtons für Indiens wachsenden Einfluss in Pakistan.

Washingtons wachsende wirtschaftliche und strategische Beziehungen mit Neu-Delhi haben in der pakistanischen herrschenden Elite Ärger hervorgerufen. Seit Jahrzehnten betrachtete die pakistanische Bourgeoisie Afghanistan als notwendig für "strategische Tiefe", um den Einfluss Indiens in der Region auszugleichen. Aber indem die USA Indien ermutigen, der Karzai-Regierung als wichtiger Verbündeter beizustehen, verhindern sie, dass Pakistan seine engen Beziehungen mit afghanischen Aufständischen benutzen kann, um in Afghanistan zu einer "politischen Übereinkunft" zu kommen und so seinen Einfluss im Land aufrecht zu erhalten. US-Präsident Barack Obama hat die indisch-amerikanische "globale strategische Partnerschaft" verstärkt, die unter der Bush-Regierung begann. Dadurch wird Neu-Delhi ermutigt, seine Ansprüche in Zentralasien und weltweit geltend zu machen. Die pakistanische Elite fühlt sich auch von Indiens schnellem Wirtschaftswachstum bedroht - vor allem, da Pakistans Wirtschaft in der Krise steckt.

Während Neu-Delhi entschlossen ist, seinen Einfluss in Afghanistan zu stärken und Pakistans Position im Land und der Region zu schwächen, verursachen Washingtons immer deutlichere Drohungen eines einseitigen Angriffs auf Pakistan in Indiens herrschenden Kreisen eine gewisse Besorgnis. Der indische Außenminister S.M. Krishna warnte, wenn die USA und Pakistan ihre Streitigkeiten nicht beilegten, werde dies "verheerende Folgen" haben.

Die herrschende Elite Indiens fürchtet, dass ihre Interessen und ihr wachsender Einfluss in Afghanistan gefährdet sind, wenn es zu Zusammenstößen zwischen US-Truppen und dem pakistanischen Militär käme, oder wenn die zunehmend verzweifelte und bedrängte pakistanische Elite, mit unvorhersehbaren Folgen, gegen Indien losschlüge. "Wir halten es für absolut notwendig, einen Dialog mit Pakistan zu entwickeln, weil dieses Land eine positive Rolle bei der Suche nach einer Lösung für Afghanistan spielen muss," sagte Krishna.

Die Politik der USA in Afghanistan ist Teil ihrer Strategie für die Region, ein Gegengewicht zu Chinas Einfluss in Zentralasien aufzubauen. Als Antwort auf die Strategie der USA, Indien zur Regionalmacht aufzubauen geht Pakistan auf China zu, um seinen schwindenden Einfluss zu schützen. Laut dem letzten Bericht des Recherchedienstes des Kongresses über Pakistan "wird Islamabad immer mehr von seiner Freundschaft mit Peking abhängig."

Washingtons Anschuldigungen und Drohungen gegen Pakistan haben die Spannungen in der ganzen Region verschärft. Aufeinanderprallende strategische Interessen der beiden Länder lassen eine Lösung höchst unwahrscheinlich erscheinen. Ein einseitiger Angriff auf Pakistan wäre völkerrechtlich nicht nur eine Kriegshandlung, sondern könnte außerdem zu Kämpfen zwischen US-Truppen und dem pakistanischen Militär führen und für die ganze Region schwerwiegende Folgen haben.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 09.11.2011
USA drohen mit Militäreinsätzen in Pakistan
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011