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GLEICHHEIT/3841: Warnung vor Griechenland-Pleite lässt Aktienmärkte einbrechen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Warnung vor Griechenland-Pleite lässt Aktienmärkte einbrechen

von Barry Grey
15. September 2011


Am Montag vertiefte sich die Krise des Euro und des europäischen Bankensektors. Der Grund dafür waren Befürchtungen, dass Griechenland bald Staatsbankrott anmelden müsse, was potenziell katastrophale Folgen für die europäische- und die Weltwirtschaft hätte.

Die europäischen Aktienmärkte verzeichneten starke Kurseinbrüche, dabei waren besonders die Aktien französischer Banken betroffen, nachdem es bereits auf den asiatischen Aktienmärkten zu schweren Verlusten gekommen war. Auch in den Schwellenländern kam es zu starken Kurseinbrüchen. Auf den amerikanischen Aktienmärkten sah es sehr turbulent aus. Der Tag endete mit bescheidenen Kursgewinnen, nachdem er von seinem Tiefststand am Mittag um mehr als zwei Prozent gestiegen war.

Die Massenverkäufe waren eine Reaktion auf schwere Kursverluste am Freitag, als der Rücktritt von Jürgen Stark, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB) und Chefvolkswirt, bekannt wurde. Stark will sich aus Protest gegen den Kauf von Staatsanleihen hochverschuldeter Euro-Mitgliedsstaaten durch die EZB von seinen Ämtern zurückziehen. Wie dieser Rücktritt zeigt, ist über den Umgang mit einer Staatsschuldenkrise ein erbitterter Streit ausgebrochen, der immer stärker auch Großbanken erfasst und die Stabilität des Euro gefährdet.

Zusätzlich zu dem Schock, den Starks Rücktritt auslöste, kamen am Wochenende Meldungen, die deutsche Bundesregierung arbeite an Plänen für einen griechischen Staatsbankrott, um in diesem Fall den deutschen Banken unter die Arme zu greifen. Die Welt brachte am Montag einen Artikel von Wirtschaftsminister Philipp Rösler, der sich bei der Stabilisierung des Euros gegen alle "Denkverbote" aussprach.

Rösler ist Parteivorsitzender der FDP und Vizekanzler der Koalitionsregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er schreibt weiter: "Dazu zählt notfalls auch eine geordnete Insolvenz Griechenlands, wenn die dafür notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen."

Rösler und die FDP liegen offen mit Merkel im Streit. Sie hat bisher die Maßnahmen, mit denen die EU, die EZB und der Internationale Währungsfond Griechenland und andere hochverschuldete Eurostaaten wie Portugal und Irland aus den Schulden helfen wollen, nur widerwillig unterstützt. Rösler und seine Partei rebellieren offen gegen die jüngste Entscheidung der EZB, die Staatsanleihen größerer Eurostaaten wie Italien und Spanien aufzukaufen - wozu sie von den Finanzmärkten gedrängt und von Merkel unterstützt wurden.

Röslers ist der erste ranghohe Politiker einer europäischen Regierung, der in einem Artikel offen vorschlug, Griechenland bankrott gehen zu lassen und es aus der Eurozone auszuschließen. Darauf folgte eine ereignisreiche Woche. Vertreter der "Troika", die das Bailoutpaket für Griechenland kontrolliert (die EU, die EZB und der IWF) brachen Gespräche mit griechischen Regierungsvertretern ab und forderten neue Sparmaßnahmen, um eine Lücke von zwei Milliarden Euro in ihrem Sparpaket zu schließen. Im Austausch dafür sollte Griechenland die nächste Tranche in Höhe von acht Milliarden Euro erhalten.

Durch die Massenentlassungen und Kürzungen, die die sozialdemokratische PASOK-Regierung auf Anweisung derselben Troika von EU, EZB und IWF und der internationalen Banken durchgeführt hat, ist das Land bereits in eine tiefe Rezession gestürzt. Diese macht alle Bemühungen zunichte, das Haushaltsdefizit und die Schulden gemäß den Bedingungen des Bailouts zu senken. Letzte Woche meldete die Regierung, die Wirtschaft werde dieses Jahr um 5,3 Prozent sinken, deutlich mehr als die 3,8 Prozent, die von der Europäischen Kommission vorhergesagt wurden. Die jüngsten Daten zeigen, dass sich das griechische Haushaltsloch in den ersten acht Monaten des Jahres um 22 Prozent vergrößert hat. Die Arbeitslosenquote betrug im Juni 16 Prozent, ein Jahr zuvor hatte sie 11,6 Prozent betragen.

Am Wochenende hielt Premierminister Georgios Papandreou in Thessaloniki eine Rede, in der er ankündigte, eine neue allgemeine Grundsteuer einzuführen, die zwei Milliarden Euro einbringen und die Forderungen der Troika erfüllen soll. Diese regressive Steuer wird den bereits bedrängten Immobilienbesitzern noch weitere finanzielle Schwierigkeiten aufbürden. Außerdem wurden vor kurzem im öffentlichen Dienst weitere zwanzigtausend Stellen gestrichen und die Beamtengehälter gekürzt.

Für Papandreous Sicherheit sorgten 7000 Polizisten, die mit Schlagstöcken und Tränengas gegen 25.000 demonstrierende Arbeiter und Jugendliche vorgingen. Nach zwei Jahren brutaler Sparmaßnahmen wächst in der Arbeiterklasse die Empörung. Streikende Taxifahrer, Zahnärzte, Ärzte und andere Fachkräfte protestierten gegen Entlassungen und Kürzungen bei Löhnen, Renten, im Gesundheitswesen und anderen Sozialleistungen. In den Kreisen der herrschenden Klasse wächst die Furcht, dass die regierungstreuen Gewerkschaften den Widerstand der Arbeiterklassen nicht mehr länger eindämmen und unterdrücken könnten.

Die Troika will diese Woche noch nach Griechenland zurückkehren, um sich zu entscheiden, ob die zusätzlichen Maßnahmen, die Papandreou angekündigt hat, ausreichen werden, um die Zahlung der nächsten Tranche des Bailoutpaketes zu rechtfertigen. Ohne dieses Geld wird Griechenland innerhalb weniger Tage zahlungsunfähig sein. Wie das Wall Street Journal unter Berufung auf eine nicht namentlich genannte Quelle im IWF meldete, werden die acht Milliarden Euro vermutlich ausgezahlt.

Die Märkte konnten diese Aussichten allerdings kaum beruhigen. Der Index Stoxx Europe fiel um 2,5 Prozent, nachdem er bereits am Freitag um 2,6 Prozent gesunken war. Der französische CAC 40 fiel um 4 Prozent, da die Aktien französischer Banken besonders stark betroffen waren. Die Aktien der drei größten Banken - BNP Paribas, Credit Agricole und Societe Generale - verloren stark an Wert. BNP Paribas fiel um 12 Prozent, die anderen um jeweils mehr als 10 Prozent.

Es wird allgemein erwartet, dass die Ratingagentur Moody's Investor Services die Kreditwürdigkeit der französischen Banken diese Woche noch herabstufen wird, da sie sehr stark in die griechische Regierung und Wirtschaft investiert haben.

Die Aktienkurse anderer europäischer Banken stürzten ebenfalls stark ab. Die Aktien der Deutschen Bank verloren 7,3 Prozent an Wert, die der Commerzbank 8,3 Prozent, die der Royal Bank of Scotland 3,4 Prozent, die italienische Unicredit 11 Prozent und die spanische Banco Santander 4,7 Prozent. Die griechische Nationalbank verzeichnete einen Kursverlust von fast acht Prozent.

Die Werte griechischer Staatsanleihen entsprechen bereits denen eines Landes, das kurz vor dem Bankrott steht. Die Zinsen für griechische Staatsanleihen mit einjähriger Laufzeit stiegen am Montag auf über hundert Prozent, was auf einen so gut wie sicheren Staatsbankrott hinausläuft. Für Anleihen mit zweijähriger Laufzeit stiegen sie um mehr als zwölf Prozent, auf ein Rekordhoch von 69,5 Prozent. Letzte Woche waren sie bereits um knapp zehn Prozent gestiegen.

Wie Bloomberg am Montag meldete, ist laut Prognosen auf Grundlage der Kosten für Kreditausfallversicherungen die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland in den nächsten fünf Jahren bankrott gehen würde, auf 98 Prozent gestiegen. "Eine griechische Schuldverschreibung mit fünfjähriger Laufzeit von zehn Millionen Dollar kostet jetzt 5,8 Millionen im Voraus und jährlich 100.000 Dollar. Am 9. September waren es laut CMA noch 5,5 Millionen gewesen."

Aber der Vertrauensverlust in die griechische Kreditwürdigkeit breitet sich über das gesamte europäische Bankensystem aus und schadet auch dem Euro. Die Einheitswährung fiel am Montag auf ihren tiefsten Stand seit 2001 und auf ein Siebenmonatstief im Vergleich zum Dollar.

Bloomberg schreibt dazu: "Die Ansteckungsgefahr, die von Griechenland ausgeht, trieb die Preise für Kreditausfallversicherungen in der ganzen Eurozone nach oben." Suki Mann, Stratege bei der Societe Generale SA in London, wurde mit den Worten zitiert: "Die Auswirkungen eines Staatsbankrotts werden verheerend sein, denn als nächstes ist Italien an der Reihe, dann Spanien, und es wird den gesamten europäischen Bankensektor mit sich reißen. Diese drei Länder sind bereits unter extremem Druck, aber es wird noch schlimmer werden."

In einer Kolumne in der Montagsausgabe des britischen Telegraph schrieb Ambrose Evans Pritchard über die deutschen Aussagen zu einem griechischen Staatsbankrot: "Wenn es sich hierbei um einen Versuch handelt, Griechenland zu zwingen, die Forderungen der EU und des IWF nach Sparmaßnahmen zu erfüllen, könnte es stattdessen zur gegenseitigen Zerstörung führen. (...) Wir standen noch nie so kurz vor einem Zusammenbruch der Europäischen Währungsunion."

Unter Berufung auf einen Bericht der Schweizer UBS fuhr er fort: "Wenn ein Schuldner wie Griechenland [die Eurozone] verlässt, würde die neue Drachme sechzig Prozent an Wert verlieren. Sein Bankensystem würde zusammenbrechen. Die Umlagerung der Staatschulden auf die Drachme würde zum Staatsbankrott führen und das Land von den Kapitalmärkten abschneiden. Der Austritt würde es im ersten Jahr die Hälfte seines Bruttoinlandsproduktes kosten."

Die Vorstellung, die Europäische Währungsunion könnte auseinanderbrechen, kommentierte er mit den Worten: "Währungsunionen brechen nicht einfach auseinander. Das führt normalerweise zu Unruhen und sogar zum Krieg."


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Quelle:
World Socialist Web Site, 15.09.2011
Warnung vor Griechenland-Pleite lässt Aktienmärkte einbrechen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2011