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GLEICHHEIT/3730: Frankreich bewaffnet Anti-Gaddafi-Kräfte


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Frankreich bewaffnet Anti-Gaddafi-Kräfte

Von July Hyland
5. Juli 2011


Frankreich hat in der letzten Woche bestätigt, Waffen an die Oppositionellen, die gegen Oberst Gaddafis Kräfte in Libyen kämpfen, geliefert zu haben.

Der französischen Tageszeitung Le Figaro zufolge bestand die Lieferung aus "hunderten Raketenabschussvorrichtungen, Sturmgewehren, Maschinengewehren und Panzerabwehrraketen". Die Waffen wurden in den an Tunesien grenzenden Nafusa-Bergen im Westen Libyens per Fallschirm zu den oppositionellen Kämpfern - in der Hauptsache Berbern - abgeworfen.

Russland, China und Indien kritisierten die Aktion. Russlands NATO-Delegierter Dmitri Rogosin sagte, "einzelne NATO-Länder hätten im Grunde damit begonnen, einer der Kriegsparteien direkte Militärhilfe zu leisten. Dabei handle es sich um "direktes Eingreifen in einen internen Konflikt".

Der russische Außenminister Sergei Lawrow sagte, es handle sich um einen "eklatanten Bruch" der Resolution 1970 des UNO-Sicherheitsrates, die Libyen im Februar mit einem Waffenembargo belegt habe.

Sie war die Vorgängerin der Resolution 1973 des Sicherheitsrates vom 17. März, die eine Flugverbotszone eingerichtet und den Krieg mit der Begründung, er schütze Zivilisten, sanktioniert hatte.

Auch die Afrikanische Union (AU) verurteilte das Abwerfen der Waffen. AU-Chef Jean Ping sagte, die Maßnahme erhöhe das "Risiko eines Bürgerkrieges, das Risiko der Teilung des Landes, das Risiko der Somalisierung des Landes, das Risiko, das Land mit Waffen zu überschwemmen... und das des Terrorismus", das "für die Nachbarländer Anlass zur Sorge gebe."

Dem widersprach Frankreichs UN-Botschafter Gérard Araud. Er erklärte: "Wir haben uns entschlossen, der Zivilbevölkerung Waffen zur Selbstverteidigung zur Verfügung zu stellen, weil wir davon ausgehen, dass sie bedroht wird."

Der Sprecher des französischen Militärs, Oberst Thierry Burkhard, argumentierte, die Lieferungen bestünden nur aus "Selbstverteidigungswaffen" und es handle sich nur um "leichte Munition und Waffen".

Frankreich bestritt, dass die Maßnahme die UN-Mandate verletze. Der französische Außenminister Alain Juppé sagte, das Vorgehen bewege sich "innerhalb des Rahmens der Resolutionen 1970 und 1973". Die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates autorisiere "alle notwendigen Maßnahmen", um Zivilisten zu schützen, "ungeachtet Paragraph 9 der Resolution 1970" - womit er auf das Waffenembargo verwies.

Von Beginn an wurden "humanitäre" Erwägungen als zynischer Vorwand für das tatsächliche Ziel des Regimewechsels benutzt, das die westlichen Mächte mit ihren Angriffen auf Libyen verfolgen.

Seit fünf Monaten versuchen die USA, Großbritannien und Frankreich mit der Unterstützung von 14 Nationen, den Bürgerkrieg in Libyen zu diesem Zweck auszunutzen. Hunderte von Einsätzen werden täglich geflogen, um den verschiedenen Rebellengruppen unter dem Schirm des Nationalen Übergangsrates (NÜR) zu helfen, Gaddafis Streitkräfte zu vernichten und die Bevölkerung einzuschüchtern.

Die Army Times berichtete, dass die USA seit dem 31. März "insgesamt 3.475 Einsätze zur Unterstützung der OVB (Operation Vereinigter Beschützer) geflogen haben. 801 davon waren Luftschläge, bei 131 kam schweres Geschütz zum Einsatz".

Nichtsdestoweniger bleiben die Kräfte, die sich Gaddafi widersetzen, schwach und zerstritten. Ihnen fehlt es im ganzen Land an Unterstützung. Ihr Hauptstützpunkt liegt in der im Osten gelegenen Stadt Bengasi - der Heimat des Nationalen Übergangsrates (NÜR). Er wird als Libyens zukünftige Regierung angesehen und von ehemaligen Mitgliedern des Gaddafi-Regimes und von Günstlingen westlicher Geheimdienste geleitet.

Durch das Abwerfen von Waffen haben die Franzosen versucht, den NATO-Kräften eine weitere Front im Bürgerkrieg zu eröffnen. Die Aktion hatte das Ziel, mit Unterstützung von NATO-Kampfflugzeugen eine Offensive von Nafusa-Rebellen zu unterstützen, die sie bis auf 50 Meilen an die Hauptstadt herangeführt hatte.

Der Bürgerkrieg in dieser Region wird für die Einnahme von Tripolis als wesentlich eingeschätzt, wobei die Nafusa den südlichen Zugang zur Hauptstadt eröffnen sollen. Ein weiteres Ziel ist die Stadt El Sawija, die gegenwärtig von Regierungstruppen gehalten wird und Gaddafis letzte funktionstüchtige Raffinerie beherbergt.

Vorletzte Woche wurde berichtet, dass Nafusa-Rebellen eine Öl-Pipeline in die Stadt unterbrochen hätten. Dem Economist zufolge wäre das Spiel, "wenn die Regierung El Sawija und seine Raffinerie verlöre" vermutlich vorbei.

Während bekannt ist, dass Katar und die Vereinigten Emirate Rebellen im Westen Libyens mit Waffen versorgt haben, ist dies das erste Mal, dass ein NATO-Mitgliedsland eine derartige Aktion zugegeben hat.

Die USA und Großbritannien distanzierten sich von der Aktion, aber Juppé sagte, Frankreich habe "unsere Partner in der NATO und den Sicherheitsrat über diese Lieferungen informiert."

Das wurde durch einen Bericht der Financial Times (FT) bestätigt. Sie zitierte einen britischen Regierungsbeamten mit den Worten, Großbritannien sei "seit einigen Wochen" auf den französischen Einsatz vorbereitet gewesen. "Ich wundere mich nur, dass die Franzosen ihn öffentlich bekannt gemacht haben", sagte er der FT.

In der Tat wird die französische Enthüllung weithin als ein Druckmittel angesehen, um die anderen NATO-Mitglieder zu mehr militärischem Engagement am Boden zu zwingen.

Die Financial Times schrieb, "einige NATO-Funktionäre glaubten", man beabsichtige damit, "innerhalb der NATO eine Diskussion herbeizuführen, ob in diesem Rahmen nicht mehr getan werden sollte."

"Viele Leute glauben, die Zeit sei gekommen, um endlich ernsthaft zu handeln", zitierte das Blatt einen NATO-Funktionär in Brüssel. "Die Tatsache, dass die Franzosen bereit sind, die Medien über diese Aktionen zu informieren, spiegelt diese Einstellung wider."

Angesichts der ohnehin täglichen Bombardierungen, der systematischen Versuche, Gaddafi und seine Familie zu ermorden und des politisch motivierten Einsatzes einer Anklage wegen Kriegsverbrechen, mit der seine engsten Verbündeten eingeschüchtert werden sollen, stellt die Aufforderung, "endlich ernsthaft zu handeln" eine erschreckende Eskalation des NATO-Eingriffes dar.

Mahmoud Jabril vom NÜR verlangte, den Anti-Gaddafi-Kräften müssten sofort Waffen geliefert werden, um "diesen Kampf schnell zu entscheiden."

Am Donnerstag wurde berichtet, die Opposition in Misrata habe bekannt gegeben, dass auch sie mit Frankreich wegen Waffen- und Munitionslieferungen verhandle. Den in Misrata - 130 Meilen östlich von Tripolis - stationierten Rebellen ist es bisher trotz Unterstützung durch die NATO nicht gelungen, irgendwelche Fortschritte zu machen.

"Wir verhandeln mit Frankreich über die Lieferung von Waffen", sagte Militärsprecher Ibrahim Betalmal. "Wir versuchen unser Bestes zu geben, um Waffen und Munition von Frankreich zu bekommen und - so Allah es will - werden wir sie kriegen. Hierbei handelt es sich um Verhandlungen mit Frankreich, nicht mit der NATO."

Die Bestätigung des französischen Waffenabwurfes traf zeitlich zusammen mit der Enthüllung, dass Beamte des britischen Ministeriums für Internationale Entwicklung ein 50 Seiten umfassendes Dokument verfasst haben, das dem NÜR Ratschläge für eine Verwaltung in einem Libyen nach Gaddafi erteilt.

Das bisher nicht veröffentlichte Dokument soll dem NÜR Anfang der Woche übergeben worden sein und wird in vierzehn Tagen beim nächsten Treffen der "Libyen-Kontaktgruppe" in Istanbul besprochen.

Das Dokument geht auf das neu gebildete britische "Internationale Stabilisierungsteam" zurück, das "Experten aus Bereichen wie Wirtschaft, Infrastruktur, wesentliche öffentliche Dienste, Sicherheit, Justizapparat und Politik" umfasst.

Das Dossier unterteilt die "Stabilisierungs"-Bemühungen im Land in drei Phasen - vor Gaddafis Fall, in den dreißig Tagen unmittelbar danach und in der "mittelfristigen Zukunft".

Andrew Mitchell, britischer Minister für internationale Entwicklung, sagte, das Dossier schreibe dem NÜR nicht vor, wie er den Übergang zu einer neuen Regierung zu organisieren habe. Der gesamte Prozess müsse "in den Händen des Libyer" liegen.

Dem widersprach seine eigene Aussage, dass die USA, Großbritannien und die UN ein "starkes Mitspracherecht" bei den politischen Arrangements nach Gaddafi haben würden. Dem Guardian zufolge sagte Mitchell auch, NATO, UN und die Europäische Union würden "eine Führungsrolle in Fragen der Sicherheit und der Justiz übernehmen. Australien, die Türkei und die UN würden bei öffentlichen Einrichtungen helfen. Die Türkei, die USA und die internationalen Finanzinstitutionen würden in Wirtschaftsfragen Führungshilfe leisten."

Angesichts der Zersplitterung der Opposition soll sich das Dossier mit Problemen von der "Verhinderung von Plünderungen und Racheakten" bis zur "Bereitstellung öffentlicher Dienste und der Sicherstellung effektiver Kommunikation" befassen, "um zu garantieren, dass libysche Bürger in einer Zeit der Unsicherheit wissen, was um sie herum geschieht."

Mitchell sagte, es sei von höchster Bedeutung, die Lehren aus den Fehlern des Irak-Krieges zu ziehen. Insbesondere bedeute dies, nicht den Irrtum der "De-Ba'athifizierung" zu wiederholen, die nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 stattfand.

Stattdessen sei es notwendig, Armee und Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung öffentlichen Widerstands zurückzuhalten. "Wenn Tripolis fällt, dann sollte jemand ans Telefon gehen und den ehemaligen Polizeichef der Stadt anrufen, um ihm mitzuteilen, dass er einen Job hat."

Der Guardian berichtete: "Unbewaffnete UN-Beobachter würden einen Waffenstillstand sehr wahrscheinlich begleiten, wenn die Umgebung "harmlos" wäre. Aber es gibt Diskussionen über schwerer ausgerüstete Friedenstruppen. Es wird erwartet, dass die Türkei, das einzige muslimische NATO-Mitglied, dabei eine Schlüsselrolle spielt".


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Quelle:
World Socialist Web Site, 05.07.2011
Frankreich bewaffnet Anti-Gaddafi-Kräfte
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2011