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GLEICHHEIT/3701: Griechenland - Wachsende Proteste, Premier schlägt Regierung der nationalen Einheit vor


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Wachsende Proteste in Griechenland:
Premier schlägt Regierung der nationalen Einheit vor

Von Stefan Steinberg
17. Juni 2011


Der griechische Premier Giorgos Papandreou kündigte an, er werde sein Kabinett umbilden und im Parlament die Vertrauensfrage stellen, um die Durchsetzung seines Sparprogramms sicherzustellen.

Zuvor hatte er ein Bündnis mit der konservativen Oppositionspartei des Landes, der Neuen Demokratie (ND), vorgeschlagen, um eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.

Eine solche Regierung würde mit drastischen Kürzungen und Privatisierungen fortfahren, die die Banken in Griechenland und die sogenannte "Troika" - die Europäische Union, der Internationale Währungsfond und die Europäische Zentralbank - fordern, um weitere Kredite zu gewähren.

Papandreou teilte dem Führer der ND, Antonis Samaras, mit, er sei bereit, als Regierungschef zurückzutreten, wenn die ND eine Koalition mit Papandreous sozialdemokratischer PASOK eingehe.

Gestern Abend teilte Papandreou im griechischen Fernsehen mit, er ziehe sein Angebot zurück, da die Opposition den Medien Details über die geplante Koalition zugespielt habe.

Samaras erklärte seinerseits, seine Partei könne nicht mit der PASOK zusammenarbeiten, da sie "das Vertrauen sowohl der griechischen Bürger, als auch der Märkte verloren" habe.

Papandreou machte seinen Vorschlag, als sich Zehntausende zu einem Aktionstag in den Straßen Athens versammelten, zu dem die wichtigsten Gewerkschaften des Landes aufgerufen hatten und den die sogenannte Aganaktismeni ("die Entrüsteten")-Bewegung unterstützte.

Erklärtes Ziel der Demonstration war es, eine Menschenkette zu bilden und das Parlament lahmzulegen.

Gegen Mittag feuerte die Polizei Tränengas und ging gewaltsam vor, um die Demonstranten zu zerstreuen, die sich versammelt hatten, um den Zugang zum griechischen Parlament zu blockieren und so gegen die brutalen Sparmaßnahmen der Banken und der Papandreou-Regierung zu protestieren.

In dem Gebäude diskutierten Parlamentsabgeordnete die jüngsten Steuerpläne der Papandreou-Regierung, die eine weitere Runde von Kürzungen, Steuererhöhungen und die Privatisierung vieler staatlicher Schlüsselindustrien und staatlicher Dienstleistungen vorsehen.

Die Straßen, die das Parlamentsgebäude umgeben, glichen einem Militärlager. Ein riesiges Aufgebot von Sondereinheiten der Polizei stellte sich den Demonstranten auf dem Syntagma-Platz mitten in Athen und in den benachbarten Straßen entgegen.

Im Hof des Parlaments fuhren Feuerwehren auf. Der Haupteingang wurde durch einen hohen Metallzaun, Polizeitransporter und Busse abgeriegelt.

Die Menge hinter der Absperrung - darunter Junge und Alte, auch viele Familien mit Kindern - rief den versammelten Parlamentariern "Zurücktreten! Zurücktreten!" zu. Demonstranten in der ersten Reihe rüttelten an den Gittern, die das Parlament schützen sollten.

Als Einzelne aus der Mange begannen, Gegenstände auf das Parlamentsgebäude zu werfen, reagierte die Polizei mit dem Einsatz von Tränengas.

Die bis dahin friedliche Demonstration von mehr als 25.000 Menschen begann sich aufzulösen, als die Sondereinheiten mehrere Runden Tränengas auf die Menge abfeuerten. Der Syntagma-Platz füllte sich mit erstickenden Gaswolken, die bald das ganze Gelände überlagerten.

In den Demonstrationen vereinigten sich Unterstützer der Aganaktismeni-Bewegung, die seit drei Wochen täglich auf dem Syntagma-Platz demonstriert, mit Mitgliedern und Anhängern der wichtigsten Gewerkschaftsverbände des Landes.

Die Gewerkschaften hatten ihren eigenen eintägigen Streik ausgerufen und den öffentlichen Verkehr im ganzen Land lahmgelegt. In verschiedenen anderen griechischen Städten kam es ebenfalls zu großen Demonstrationen. Allein in Thessaloniki im Norden des Landes versammelten sich 20.000 Menschen.

In Athen kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, als Autos mit Premierminister Giorgos Papandreou und dem griechischen Präsidenten Karolos Papoulias, vorfuhren.

Etwa einhundert Menschen buhten, als Papandreou die kurze Strecke vom Präsidentensitz zu einem mittäglichen Gespräch mit dem Präsidenten im Wagen zurücklegte.

Einzelheiten des Gespräches wurden nicht bekannt gegeben, aber Papandreou informierte den Präsidenten zweifellos über seine Absicht, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.

Seine eigene Mehrheit im Parlament schwindet. Zwei PASOK-Abgeordnete haben erklärt, gegen die Steuerpläne der Regierung stimmen zu wollen. Das würde die Mehrheit der Partei auf gerade einmal vier Sitze reduzieren.

Die Zustimmung zu den Steuerplänen der PASOK ist die Vorbedingung für weitere Kredite der Troika an Griechenland.

Nach Papandreous Vorschlag, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und nach seinem Angebot, als Premier zurückzutreten, mutmaßten einige Kommentatoren in den Medien, er reagiere auf den Druck der Massendemonstrationen und auf Gegenwind in der eigenen Partei.

Wichtiger für Papandreous sind aber die wiederholten Forderungen seiner eigentlichen Auftraggeber nach einer solchen nationalen Koalition: die griechische und die internationale Finanzaristokratie.

Eine parteiübergreifende Einigung über Sparmaßnahmen war eine Bedingung, die die Troika und die Banken bei den kürzlich abgehaltenen Wahlen in Portugal gestellt haben.

Vor nur zwei Wochen erklärte der Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, auf einem Finanztreffen der EU: "Für die Länder mit Schwierigkeiten wäre es klug, wenn die wichtigsten politischen Kräfte jener Länder sich auf einen gemeinsamen Weg einigen würden.

Das haben wir in Portugal getan. Das ist in Irland passiert und das ist es, was wir gern zwischen den politischen Parteien in Griechenland sehen würden."

Die Drohungen, Ratschläge und Vorschläge zu einer künftigen griechischen Regierung wurden begleitet von einem weiteren Anziehen der Schraube der griechischen Wirtschaft.

Montagabend setzte die Rating-Agentur Standard & Poor's Griechenlands Kreditwürdigkeit von B auf CCC herab und stieß das Land auf das niedrigste Rating aller 131 Staaten, die von Standard & Poor's eingeschätzt werden.

Einen Tag später setzte dieselbe Agentur die vier griechischen Banken ebenfalls von B auf CCC herab.

Jetzt versucht Papandreou, den Ratschlag Junckers und der Banken in die Tat umzusetzen.

Gleichzeitig machen einige Berichte in den Medien klar, dass das Programm einer solchen Regierung der nationalen Einheit sogar noch drakonischer wäre, als die Sparmaßnahmen, die die PASOK-Regierung bereits geplant hat.

In der Ausgabe vom Montag erschien im Wirtschaftsteil der Tageszeitung Kathimerini ein Kommentar, in dem es hieß: "Es ist deshalb von größer Wichtigkeit, dass die Regierung auf die Vorschläge von Antonis Samaras, dem Führer der konservativen Partei, hört und sich mit ihm zusammentut, um die Ziele des mittelfristigen Wirtschaftsprogramms in Konsultation mit den EU-Partnern Griechenlands und dem IWF zu erfüllen."

Der Kommentar vermerkt, "das Land braucht eine starke Führung" und fährt fort: "Die beiden Führer werden Griechenlands Partner durch die Darlegung eines einfachen Plans davon überzeugen müssen, dass das Land es mit Reformen und Steuerdisziplin ernst meint."

Die wichtigsten Bestandteile dieses Plans sind: Sicherzustellen, dass es im öffentlichen Dienst und nicht in der Privatwirtschaft zu Massenentlassungen kommt und die Versicherung, dass es zur Senkung von Unternehmenssteuern kommt, um das Geschäftsleben zu erleichtern, anstatt bei den Konsumsteuern, die die Arbeiter am härtesten treffen.

Der Plan erfordere auch, dass "die beiden Führer sich dazu verpflichten, den Privatisierungsplan innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens zu erfüllen."

Der Vorschlag einer Regierung der nationalen Einheit, den Premier Papandreou gemacht hat, deckt auf, wie bankrott die Perspektive ist, die von den griechischen Gewerkschaften und den kleinbürgerlichen Organisationen unterstützt wird: die Vorstellung, dass der Druck der Massen und spontane Proteste ausreichen, um die griechischen Parlamentsparteien zu einem Kurswechsel zu bewegen.

Die politische Elite Griechenlands hat auf die eintägigen Generalstreiks (fünfzehn insgesamt, drei davon in diesem Jahr) und die zahlreiche Demonstrationen durchaus reagiert: Sie hat ihre Reihen noch fester geschlossen und drängt auf noch mehr Kürzungen.

Die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit ist ein Hohn auf den demokratischen Prozess. Wie beim Zusammenbruch der portugiesischen Regierung im März wird diese Maßnahme auf Initiative der Banken ergriffen, um die politische Landschaft zu verändern. Eine neue Regierung soll mit der Durchsetzung der Einsparungen fortfahren, die von der überwiegenden Mehrheit des Volkes abgelehnt werden.

Eine solche Regierung würde sich auf die ganze Macht des Staates stützen und zu quasi-diktatorischen Maßnahmen greifen, um den Widerstand des Volkes zu brechen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.06.2011
Wachsende Proteste in Griechenland:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2011