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GLEICHHEIT/3436: Der Angriff auf die Pressefreiheit in Ungarn


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Der Angriff auf die Pressefreiheit in Ungarn

Von Peter Schwarz
29. Dezember 2010


Zwanzig Jahre nach dem Fall des stalinistischen Regimes hat Ungarn die Pressefreiheit wieder abgeschafft. Das neue Mediengesetz, das der Ungarische Bürgerbund (Fidesz) vergangene Woche mit seiner parlamentarischen Zweidrittelmehrheit beschlossen hat, gibt der Regierung umfassende Vollmachten zur Kontrolle der Medien.

Ein fünfköpfiger Medienrat, an dessen Spitze eine langjährige Vertraute von Regierungschef Viktor Orban steht, kann künftig harte Sanktionen gegen Medien verhängen, die nicht "ausgewogen" berichten. Was "ausgewogen" ist, bestimmt der Medienrat. Journalisten, die über "Fragen der nationalen Sicherheit" schreiben, müssen ihre Quellen offenlegen. Die Nachrichten aller öffentlichen Sender werden von einer zentralen staatlichen Agentur produziert.

Der belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt verglich die Lage der ungarischen Presse mit jener der Prawda, des stalinistischen Zentralorgans der Sowjetunion. Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg fürchtete eine "völlige Knebelung der Medien". Und der Osteuropakorrespondent Bernhard Odehnal warnte vor der völligen Abschaffung der Demokratie.

Der Maulkorb für die ungarischen Medien wirft ein bezeichnendes Licht auf die Ereignisse, die vor zwanzig Jahren Ungarn und ganz Osteuropa erschütterten. Der Fall der stalinistischen Regime wurde damals weltweit als "demokratische Revolution" und Schritt in die "Freiheit" gefeiert. Doch zwanzig Jahre später kehren dieselben autoritären Strukturen wieder, während breite Bevölkerungsschichten in bitterer Armut leben und das einst gute Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem weitgehend zerfallen ist.

Der Fidesz gehörte damals zu den Kräften, die am lautesten nach Freiheit und der Abschaffung des "Kommunismus" schrien. Der 26-jährige Viktor Orban gelangte im Sommer 1989 schlagartig zu Prominenz, als er in einer öffentlichen Rede die Öffnung des Eisernen Vorhangs, freie Wahlen sowie den Abzug der sowjetischen Armee forderte und schwor: "Wir werden die Kommunisten zu Staub zertreten." Das brachte ihm internationale Unterstützung und Förderung ein. Vor allem die deutsche FDP und ihr damaliger Vorsitzender Otto Graf Lambsdorff bemühten sich um den jungen Antikommunisten.

In den folgenden Monaten saß Orban gemeinsam mit den herrschenden Stalinisten am "Runden Tisch" und vereinbarte den Übergang zum Kapitalismus. Schon hier wurde deutlich, dass er unter "Freiheit" etwas völlig anderes verstand als die Masse der Bevölkerung. Letztere wollte die politische Unterdrückung durch die stalinistische Bürokratie abschütteln, die das Staatseigentum als Quelle ihrer Privilegien nutzte. Orbans Fidesz dagegen wollte das Staatseigentum selbst und die damit verbundenen sozialen Errungenschaften abschaffen, weil sie der Bereicherung seiner kleinbürgerlichen Anhänger im Wege standen.

In dieser Frage waren sich der Fidesz und die Stalinisten rasch einig. Letztere hatten 1988 ihren greisen Führer Janos Kadar in die Wüste geschickt, der seit der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 an der Spitze der Partei stand, und nach dem Vorbild des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow einen prokapitalistischen Kurs eingeschlagen. Mit der demonstrativen Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze trug die ungarische Regierung dann im Sommer 1989 maßgeblich zum Zusammenbruch des Ostblocks bei.

Seither haben sich führende Mitglieder der stalinistischen Staatspartei und ihrer Nachfolgerin, der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSzP), beträchtliche Teile des ehemaligen Staatsvermögens angeeignet. Die erbitterte Feindschaft, die das Verhältnis von Fidesz und MSzP bis heute prägt, ist vor allem dem Kampf um dieses Vermögen geschuldet, und weniger grundsätzlichen programmatischen Differenzen.

Unmittelbar nach der Wende von 1989 blieb der Fidesz der Zugang zu den Fleischtöpfen der Macht verwehrt. Sie erzielte 1990 und 1994 nur einstellige Wahlergebnisse. Die Regierung wechselte zwischen dem konservativen Ungarischen Demokratischen Forum (MDF) und der sozialistischen MSzP. Der Fidesz segelte in dieser Zeit unter dem Banner des Liberalismus und schloss sich der Liberalen Internationale an. Nachdem sich sowohl das MDF wie die Sozialisten diskreditiert hatten, schlug dann 1998 erstmals die Stunde des Fidesz. Viktor Orban wurde für vier Jahre Ministerpräsident.

Bereits zu diesem Zeitpunkt ging der Fidesz deutlich nach rechts. Die Verteidigung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse und des damit verbundenen sozialen Elends ließ sich nicht mit Lippenbekenntnissen zu liberalen Rechtsgrundsätzen vereinbaren. Der Fidesz verließ die Liberale Internationale und schloss sich der Europäischen Volkspartei an, dem Zusammenschluss konservativer Parteien. Ideologisch rückte er die Verherrlichung von Nation, Autorität, Kirche und Familie in den Vordergrund. Er stützte sich dabei auf Traditionen des autoritären Regimes von Reichsverweser Admiral Horthy, das Ungarn zwischen den beiden Weltkriegen beherrscht hatte und mit Hitler verbündet war.

Als die Sozialisten 2002 an die Regierung zurückkehrten und den Fidesz in die Opposition schickten, verschärfte dieser seinen Rechtskurs. Aus seinem Dunstkreis gingen die faschistische Bewegung für ein besseres Ungarn (Jobbik) und deren paramilitärischer Arm, die Ungarische Garde, hervor. Großungarischer Chauvinismus, Antisemitismus und pogromartige Kampagnen gegen Roma kennzeichneten aber auch die Propaganda des Fidesz.

Korruptionsskandale der Sozialisten und ein drastisches Sparprogramm, dass diese 2008 mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarten, ebneten Orban schließlich den Weg zurück an die Macht. Bei den Parlamentswahlen vom April 2010 gewann der Fidesz eine Zweidrittelmehrheit. Er kann damit jederzeit die Verfassung ändern. Orban nutzt dies seither für den Aufbau autoritärer Strukturen, die seine Macht auf Dauer festigen sollen.

Kaum an der Regierung erließ er ein Gesetz, das ungarischstämmigen Bürgern der umliegenden Länder die ungarische Staatsbürgerschaft verleiht. Damit schürt er permanente nationale Spannungen mit den Nachbarländern, gegen die Ungarn seit dem Trianon-Vertrag von 1920 (der ungarischen Version des Versailler-Vertrags) territoriale Ansprüche erhebt. Wichtige Posten in Verwaltung und Justiz besetzte er mit Vertrauensleuten. Das neue Mediengesetz steht in diesem Zusammenhang. Es ist ein weiterer Versuch, dem Fidesz auf Dauer halbdiktatorische Vollmachten zu sichern.

Ungarn ist ein Extremfall aber kein Einzelfall. Alle europäischen Regierungen sind dabei, die Folgen der internationalen Wirtschaftskrise durch drastische Sparmaßnahmen auf die Masse der Bevölkerung abzuwälzen. Das lässt sich nicht mit demokratischen Methoden durchführen. Die Presse- und Meinungsfreiheit steht überall unter Beschuss.

So kontrolliert der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi seit Jahren fast alle privaten und öffentlichen Medien. Auf internationaler Ebene kennzeichnet die Kampagne gegen die Enthüllungsplattform WikiLeaks und ihren Gründer Julian Assange ein neues Stadium im Kampf gegen die Pressefreiheit. Hat die US-Regierung gegen WikiLeaks Erfolg, wird sie bald das gesamte Internet der Zensur unterwerfen.

Trotz der Tragweite des ungarischen Mediengesetzes gibt es in der Europäischen Union nur verhaltene Kritik. Ungarn wird zum 1. Januar den europäischen Ratsvorsitz übernehmen, und niemand hat dies bisher ernsthaft in Frage gestellt.

Für die arbeitende Bevölkerung muss das eine Warnung sein. Das Schüren von Nationalismus und Rassismus, der Abbau demokratischer Rechte wie der Presse- und Meinungsfreiheit und der Angriff auf Löhne, Arbeitsplätze und Sozialstandards sind untrennbar miteinander verbunden. Nur eine internationale Offensive der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms kann ihnen Einhalt gebieten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 29.12.2010
Der Angriff auf die Pressefreiheit in Ungarn
http://www.wsws.org/de/2010/dez2010/unga-d29.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2011