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GLEICHHEIT/2883: US-General fordert höheren Blutzoll der Deutschen in Afghanistan


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

US-General fordert höheren Blutzoll der Deutschen in Afghanistan

Von Stefan Steinberg
23. Januar 2010
aus dem Englischen (22. Januar 2010)


Der Kommandeur der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF, General Stanley McChrystal, gab der Bild-Zeitung am Mittwoch ein ungewöhnliches Interview, in dem er ein verstärktes Engagement Deutschlands in dem Krieg anmahnte. In dem Interview machte McChrystal klar, dass er mehr deutsche Truppen in Afghanistan erwarte. Er forderte auch eine veränderte Einsatzstrategie für die deutschen Truppen im Norden. Sie müssten größere Risiken auf sich nehmen und mehr Bereitschaft zum Kampf zeigen.

Dieses Interview mit dem Boulevardblatt ist Teil der Kampagne des US-Oberkommandos, vor der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London Druck auf die europäischen Verbündeten auszuüben, ihre Kontingente deutlich zu erhöhen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte kürzlich zu verstehen gegeben, Berlin sehe die Konferenz in London als Gelegenheit, eine neue Strategie für Afghanistan zu diskutieren, und die deutsche Regierung werde über eine Aufstockung des Afghanistan-Mandats erst zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden. Westerwelle sprach sich recht deutlich gegen die Entsendung zusätzlicher Truppen aus. McChrystals öffentliche Intervention zielt offensichtlich darauf ab, Druck aufzubauen, damit die deutsche Regierung schon auf der Konferenz in London feste Zusagen für mehr Truppen macht.

Im gleichen Interview gab McChrystal bekannt, er werde an der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar teilnehmen, um auch dort eine stärkere Beteiligung der europäischen Länder im Afghanistankrieg einzufordern. Weiter erklärte McChrystal, dass er bei seinem Aufenthalt in Deutschland auch Abgeordnete des Bundestages treffen werde, um für die neue amerikanische Strategie zu werben.

In seinem Interview mit der Bild-Zeitung kritisierte McChrystal die deutschen Einsatzregeln im Norden Afghanistans, die den deutschen Truppen vorschreiben, im Wesentlichen in ihren gesicherten Stützpunkten zu bleiben und Patrouillen durch feindliches Gebiet nur noch in gepanzerten Fahrzeugen zu unternehmen. Es sei notwendig, dass "jede Truppe gewisse Risiken auf sich nimmt... und die bisherige Vorgehensweise ändert." Die Schlussfolgerungen aus den Bemerkungen des Generals sind eindeutig. Die deutschen Truppen sollen einen höheren Blutzoll zahlen und Bereitschaft zeigen, in offenem Kampf sich die Hände schmutzig zu machen.

Um diesen Plänen Nachdruck zu verleihen, schickt das amerikanische Oberkommando eigene Truppen in den Norden Afghanistans, d.h. in das Gebiet, in dem die Bundeswehr die Kommandogewalt hat und erhöht damit den Druck auf die Bundesregierung. Schon nächste Woche will die US-Armee ihre ersten Einheiten nach Kunduz und Masar-i-Sharif schicken und dort ungefähr 2.500 amerikanische Soldaten stationieren. Im Sommer soll ein Hubschrauberbataillon folgen. Amerikanische Special Forces sind schon jetzt in Kunduz stationiert.

McChrystal verband seine Kritik an der Bundeswehr mit überschwänglichem Lob für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Die beiden kennen sich seit einiger Zeit und McChrystal sagte in seinem Bild-Interview: "Minister Guttenberg war mir gegenüber sehr entgegenkommend." Der General fügte hinzu: "Ich glaube, wir werden ausgezeichnet zusammenarbeiten."

Guttenberg reagierte umgehend auf McChrystals Vorschläge. Noch am gleichen Tag sagte der Verteidigungsminister während einer improvisierten Pressekonferenz vor dem Reichtagsgebäude, die kritischen Worte des US-Generals seien zu begrüßen, weil sie eine zutreffende "Beschreibung der Realität" seien.

Im vergangenen Sommer hatte McChrystal Kunduz schon einmal besucht und die Bundeswehr aufgefordert, amerikanische Ausbildungsmethoden zu übernehmen. Jetzt ließ zu Guttenberg die Bereitschaft erkennen, dem nachzukommen. Die Bundeswehr könne sich die "strenge Unterscheidung zwischen Ausbildung und Sicherheit" nicht mehr leisten, sagte zu Guttenberg. "Ein Ausbilder muss sich auch verteidigen und kämpfen können."

McChrystal kann sich zwar auf die unerschütterliche Unterstützung des deutschen Verteidigungsministers verlassen, aber in der politischen Elite in Berlin gibt es wachsende Zweifel daran, ob eine bedingungslose Unterstützung der amerikanischen Politik in Afghanistan wirklich im deutschen Interesse ist. Stimmen, die befürchten, dass die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik dadurch langfristig Schaden nehmen könne, werden lauter. Das steckt hinter dem Zögern von Außenminister Westerwelle, definitive Zusagen für mehr Soldaten in Afghanistan zu machen, obwohl er sicherlich kein Gegner der transatlantischen Zusammenarbeit ist.

In einem Artikel für IP Global argumentiert William Drozdiak, Präsident des American Council on Germany unter der Überschrift "Der Nato letztes Gefecht" für ein verstärktes Engagement Deutschlands in Afghanistan. Er macht klar, dass die Zukunft der Nato auf dem Spiel stehe: "Der künftige Zusammenhalt der Nato und die Wirksamkeit der Führung der USA in der Allianz könnte leicht davon abhängen, ob es gelingt, den Konflikt in Afghanistan zu drehen, selbst wenn der Westen letztlich ohne einen richtigen Sieg heimkommt." Der Autor argumentiert, dass es für Deutschland in Afghanistan um ähnlich viel geht, wie für die USA und deshalb "ein gerütteltes Maß an Verantwortung übernehmen muss, wenn (die Nato-Mission) scheitert."

Dann erklärt Drozdiak: "Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister zu Guttenberg haben einiges vor, wenn sie die deutsche Bevölkerung davon überzeugen wollen, dass Afghanistan wichtig für die deutsche Sicherheit bleibt, - auch wenn viele das nicht glauben."

Die US-Regierung versucht schon seit letztem Sommer, die Bundesregierung zur Entsendung von mehr Soldaten zu drängen. Auch wenn die deutsche Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP unter der Führung von Angela Merkel dem Ansinnen der Amerikaner gerne nachkommen würde, ist ihr Spielraum durch die enorme Ablehnung des Kriegs in der Öffentlichkeit sehr eingeschränkt.

Nach Umfragen von Ende letzten Jahres sind mehr als 70 Prozent der Deutschen gegen die Teilnahme deutscher Truppen an dem achtjährigen Krieg in Afghanistan. Das Massaker in Kunduz durch den von der Bundeswehr veranlassten Luftschlag im September hat den Mythos zerstört, dass das Ziel der deutschen Militärpräsenz in Afghanistan der "Wiederaufbau" und die "Wiederherstellung von Demokratie" in dem vom Krieg zerstörten Land sei.

Die jüngsten Enthüllungen über Korruption in der afghanischen Regierung und Berichte über mehrere Rückschläge für Nato-Truppen im Kampf gegen die Rebellen haben im Verein mit steigenden Opferzahlen bei den deutschen Truppen, die Ablehnung des Kriegs in der Öffentlichkeit nur noch verstärkt.

Gleichzeitig sind deutsche politische und militärische Kreise mehrmals von der amerikanischen Führung brüskiert worden. Präsident Obama traf seine Entscheidung, 30.000 zusätzliche Soldaten zu schicken, ohne Konsultation mit seinen europäischen Verbündeten. Auch die neueste Stationierung amerikanischer Truppen in Nordafghanistan wurde ohne jede Beratung mit dem für den Norden verantwortlichen Nato-Mitglied, nämlich Deutschland, beschlossen. Die amerikanische Strategie, den Krieg nach Pakistan auszuweiten, wurde ebenfalls einseitig beschlossen, ohne Rücksicht auf regionale Interessen der Verbündeten Amerikas.

Im Fall des Kunduz-Massakers hatten deutsche Militärkreise ungehalten auf Kritik von General McChrystal an einem deutschen Kommandeur reagiert. McChrystal begab sich persönlich an den Ort des Geschehens, um die Folgen des Luftangriffs zu inspizieren, und gab umgehend einen Bericht heraus, in dem die deutschen Offiziere kritisiert wurden, die die Bombardierung der beiden fest sitzenden Benzintanker angeordnet hatten. Fast 170 Menschen waren dabei umgekommen, viele davon Zivilisten. Verteidigungsminister zu Guttenberg wurde inzwischen aufgefordert, seine ursprüngliche Rechtfertigung des Massakers zu erklären.

Seit dem Zweiten Weltkrieg waren die Nato und der wichtigste Verbündete jenseits des Atlantiks, die Vereinigten Staaten, die Fixpunkte der deutschen Außenpolitik. Das war mit einer multilateralen Haltung verbunden, die auf harmonische Beziehungen mit anderen Staaten ausgerichtet war - seit den 1970er Jahren auch mit den osteuropäischen Staaten. Der erste größere Bruch mit dieser Politik war die Weigerung des damaligen sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder, den amerikanischen Krieg im Irak direkt zu unterstützen.

Als Präsident Barack Obama vor einem Jahr George W. Bush im Amt nachfolgte, hoffte die deutsche herrschende Elite auf ein Ende der unilateralen Außenpolitik der Bush-Regierung, die im Irak in die Katastrophe geführt hatte. Ihre Hoffnung erfüllte sich nicht. Die Obama-Regierung ist zwar gerne bereit, deutsche und europäische Soldaten als Kanonenfutter für ihre immer weiter greifenden Kriegspläne zu akzeptieren, aber sie lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie es ist, die die militärische und geostrategische Agenda festlegt.

Die deutsche Regierung steckt in einem Dilemma. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang konnte sie ihre Außenpolitik und ihre Interessen unter dem Schutzschirm der Vereinigten Staaten vorantreiben. Deutschland hat kein Interesse an einem Auseinanderbrechen der Nato und scheut den wachsenden Konflikt mit Washington. Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die vor einer Außenpolitik warnen, die bedingungslos den Vereinigten Staaten folgt, d.h. einer Großmacht, deren politischer und wirtschaftlicher Einfluss schwindet, und die ihren Niedergang immer häufiger mit gefährlichen militärischen Abenteuern zu kompensieren sucht, die zu einem Desaster führen können.

Siehe auch:
Merkel sichert Unterstützung für Außenpolitik
der Obama-Regierung zu (6. November 2009)

Das Massaker von Kundus und die Politik des
"gezielten Tötens" (29. Dezember 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.01.2010
US-General fordert höheren Blutzoll der Deutschen in Afghanistan
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010