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GEHEIM/282: Deutschland - Umbau der Intelligence Community


GEHEIM Nr. 4/2010 - 13. Dezember 2010

DEUTSCHLAND
Umbau der Intelligence Community
Berlin rüstet sich für den Krieg nach außen und für die Repression nach innen

Von Ingo Niebel


Die Bundesregierung nutzt die Aufregung um angebliche Paketbomben und die Debatte über die Reform der Bundeswehr, um auch das deutsche Geheimdienst- und Polizeiwesen neu zu ordnen. Zur Diskussion stehen zurzeit die Auflösung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), die Zusammenlegung von Bundespolizei (BP) und Bundeskriminalamt (BKA), die Anbindung der polizei- und geheimdienstähnlichen Einheiten des Zolls an die letztgenannten Institutionen des Bundes.

Die Diskussion dürfte langjährigen GEHEIM-Lesern bekannt sein, da das Magazin in der Vergangenheit regelmäßig darauf verwiesen hat, in welche Richtung die aus dem Kalten Krieg stammende deutsche Geheimdienst-Gemeinde umgebaut wird. Im Heft 2005/3 schrieb die GEHEIM-Redaktion hierzu:

"Der Bundesnachrichtendienst (BND) wird künftig die Aufklärung für Einsätze der Bundeswehr übernehmen", meldete am 20. August 2005 das Hamburger Nachrichtenmagazin "Spiegel". Damit bestätigt die Zeitschrift die Analyse von GEHEIM "Geheime Kommandosache MAD-Gesetz" vom Frühjahr 2002.

Wie jetzt aus der Presse bekannt wurde, haben sich Kanzleramt und Verteidigungsministerium darauf geeinigt, daß der BND 270 neue Mitarbeiter einstellen wird. Deren Aufgabe wird sein, regelmäßige Lageanalysen für die aktuellen wie zukünftigen Einsatzgebiete deutscher Truppen zu erstellen. Die neuen Angestellten kommen aus den Reihen der Bundeswehr und werden ihren Dienst in Berlin verrichten.

Diese neue Art der Zusammenarbeit zwischen BND und Bundeswehr ist ein weiterer Schritt zur Bildung eines deutschen militärischen Geheimdienstes, wie er bis 1945 im Rahmen der "Abteilung Abwehr" des Oberkommandos der Wehrmacht bestanden hat. Die seit 2002 praktizierte Salami-Taktik geschieht aus politischen Gründen, weil die führenden Parteien in Berlin eine öffentliche Diskussion über die "Kriegsverwendungsfähigkeit" der Bundeswehr scheuen.

2002 erhielt der MAD die Kompetenz, auch im Ausland für die Sicherheit der dort eingesetzten Bundeswehr-Einheiten tätig zu werden. Damit lassen sich aber noch keine Kriegsoperationen planen. Hierfür benötigen Führungskräfte der Bundeswehr unter anderem umfassende Geheimdienstinformationen, die nur der BND liefern kann. Der deutsche Auslandsnachrichtendienst ist seinerseits auf die technischen Einrichtungen der Militärs angewiesen, um beispielsweise Kommandounternehmen zur Informationsgewinnung durchführen zu können. Wahrscheinlich werden noch einmal ein paar Jahre vergehen, bis die regierenden Parteien die definitive Gründung eines militärischen Geheimdienstes bekanntgeben.

Da Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zuletzt im November 2010 öffentlich deutlich machte, dass Deutschland seine vielfältigen Wirtschaftsinteressen notfalls auch militärisch sichern müsste, stellt sich zwangsläufig die Frage, welcher Geheimdienst die dafür nötigen Informationen liefert und welche strukturellen Anpassungen damit einhergehen. Im Gegensatz zu den USA und den EU-Staaten verfügt Deutschland nach wie vor nicht über einen klassischen Militärgeheimdienst. In diese Rolle ist in der Vergangenheit der BND hineingewachsen, aber es existieren weiterhin so genannte "Doppelstrukturen". Darauf verwies bereits 2002 der heutige Ko-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, in seiner Funktion als innenpolitischer Sprecher im Interview mit der "Berliner Zeitung": "Doppelstrukturen, die zwischen den drei Geheimdiensten infolge des Kalten Krieges gewachsen sind, müssen abgebaut werden".

Der MAD stellt organisatorisch und namentlich eine solche Doppelstruktur zum BND dar. Es waren die Haushälter des Bundestages, die die Auflösung des 1300köpfigen Abschirmdienstes aus Kostengründen ebenfalls im November anregten. Der Vorschlag ist nichts anderes als politische Augenwischerei, die dem Wahlvolk vorgaukeln soll, ein skandalbehafteter und wenig bekannter Geheimdienst würde abgeschafft.

Der Politik dürfte es dabei nicht schwer fallen, die Abkürzung MAD schnell verschwinden zu lassen, aber dass hieße nichts anderes, als dass die Schlapphüte in Uniform einer anderen Struktur unterstellt würden. Vielleicht würden sogar ein paar Planstellen wegfallen, aber die Aufgaben des MAD - die Bekämpfung von Spionage und Sabotage in Bundeswehr-Einrichtungen im In- und Ausland - bestünden fort, weil diese Gefahren solange drohen werden, wie auch die Streitkräfte bestehen.

Zur bisherigen Praxis des MAD gehörte es, dass er eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zusammenarbeitete. Der Inlandgeheimdienst versorgte ihn mit den nötigen Informationen, um Soldaten sicherheitsrelevant einstufen zu können. In Zeiten von Friedensbewegung und Kaltem Krieg war es für den MAD sicherlich hilfreich zu wissen, welcher "Staatsbürger in Uniform" pazifistische Flugblätter vor der Kaserne entgegennahm oder gar kommunistische Literatur besass. Aber das Aufgabenfeld der Bundeswehr hat sich wesentlich geändert und folglich kann der MAD in erster Linie nur noch durch den BND die für seine Arbeit notwendigen Daten und Fakten erhalten. Also liegt es nahe, dass der Auslandsnachrichtendienst, der sich zu weiten Teilen aus Bundeswehr-Offizieren rekrutiert, die Aufgaben und das Personal des Abschirmdienstes übernehmen wird, sobald die politische Großwetterlage das zulässt.

Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass in der faschistischen Abwehr die Abteilung III der für die Spionage- und Sabotageabwehr innerhalb der Wehrmacht zuständig war. Aus dieser Struktur entstand die Geheime Feldpolizei (GFP), die "Gestapo der Wehrmacht". Sie nahm innerhalb der Nazi-Streitkräfte dieselben exekutiven Aufgaben wahr, wie die Gestapo außerhalb der Kasernen. Zu den Unterschieden zwischen Abwehr und BND gehört der Umstand, dass letzterer dem Bundeskanzleramt untersteht, während erstere ein Bestandteil des Oberkommandos der Wehrmacht war. Übernähme der Auslandsnachrichtendienst tatsächlich den MAD, dann wüchse der BND zu einem politisch-militärischen Supergeheimdienst unter Leitung der Bundeskanzler heran. Ein offensichtliches Problem hierbei ist hierarchischer und verwaltungspolitischer Natur: Das Bundeskanzleramt würde quasi die Sicherheitsaufgaben im Bereich des Verteidigungsministeriums übernehmen.

Parallel zur möglichen Fusion BND-MAD entsteht eine weitere Superstruktur bei der Polizei. Die Kommission um den ehemaligen BfV-Präsidenten Eckart Werthebach hat vorgeschlagen, die BP und das BKA zu einer "Polizei des Bundes" zusammenzulegen. Daraus entstünde die organisatorische Grundlage für ein "deutsches FBI", wie es in hiesigen Medienberichten zu lesen war. Faktisch erhielten die Spezialisten aus Wiesbaden, die bisher nicht ohne Weiteres auf Länderebene operieren dürfen, eine bundesweite Präsenz durch die dortigen Einheiten der Bundespolizei. Noch ziert sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière davor, der erweiterten Organisation nachrichtendienstliche Kompetenzen, wie sie dem FBI zu eigen sind, zuzugestehen. Noch schützt der Polizeiminister, der die Reform noch in dieser Legislaturperiode durchführen will, verfassungsrechtliche Bedenken vor und verweist auf das noch existierende Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten. Letzteres ist das Papier nicht wehrt, auf dem es - noch - steht. In Berlin-Treptow operieren alle Polizeien und Geheimdienste von Bund und Ländern unter dem Dach des "Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrums" (GTAZ) und fast alle Geheimdienstchefs und Innensenatoren haben in der einen oder anderen Funktion verschiedene Einrichtungen der deutschen Geheimdienst- und Polizeigemeinde durchlaufen.

De Maizières erste Aufgabe wird sein, die Fusion von BP und BKA reibungslos über die Bühne zu bringen. Dabei dürfte es keine größeren Probleme geben. Aber das Entstehen der "Polizei des Bundes" wirft gleichzeitig die Frage nach der Existenzberechtigung des BfV auf. Faktisch überschneiden sich die Aufgabenfelder von BKA und Inlandgeheimdienst, wenn es um darum geht, so genannte selbstdefinierte "terroristische" und "extremistische" Gefahren zu bekämpfen. Juristisch besteht der Unterschied noch darin, dass das BKA dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist. Das verlangt von ihm, Straftaten zur Anzeige zu bringen. Von dieser Beschränkung ist das BfV befreit. Bekäme aber die neue Bundespolizeibehörde auch diese Kompetenzen zugeteilt, stünde der Inlandsgeheimdienst ebenso zur Disposition wie heute der MAD.



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Quelle:
GEHEIM Nr. 4/2010, 13. Dezember 2010, Seite 6-8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2011