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GEGENWIND/877: Corona-Pandemie - Erste Welle flaut ab. Ruck nach rechts?


Gegenwind Nr. 381 - Juni 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Corona-Pandemie: Erste Welle flaut ab
Ruck nach rechts?
Die Rechte hat ein neues Thema

von Reinhard Pohl


Die erste Welle der Infektionen durch das neue SARS-Cov-2-Virus flacht ab. Ursache dafür sind die Maßnahmen der Regierung: Alle Begegnungen zwischen Menschen wurden beschränkt, wobei der Freizeitbereich stärker betroffen war als die Arbeit. Und wie immer, wenn Prävention erfolgreich ist, werden die Einschränkungen kritisiert: Es wäre doch alles nicht so schlimm gewesen. Das ist in Teilen ein Glaubensstreit, denn niemand weiß, wie viele Menschen ohne diese Einschränkungen oder bestimmte Einschränkungen gestorben wären.

COVID-19 wird durch Tröpfchen-Infektion übertragen. Man kann andere auch anstrecken, wenn man selbst keine Symptome zeigt. Insofern sagt die Zahl der "Infizierten" immer nur, wer getestet und erkannt wurde - diese Infizierten sind aber normalerweise auch in Quarantäne und können zumindest jetzt niemanden mehr anstrecken.

Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens seit Mitte März haben diese Ansteckung im öffentlichen Raum sehr stark zurückdrängen können. Ansteckungen treten seit Anfang Mai vor allem in "Clustern" auf, also im Wohnquartier eines Schlachthofes mit vielen Arbeitnehmern aus dem Ausland, vielleicht auch unter Erntearbeitern, in Pflegeheimen und Flüchtlingsheimen. Die Auflösung solcher Unterkünfte wäre teils möglich und müsste politisch entschieden werden, in Pflegeheimen ist ein Schutz nur durch ein striktes Besuchsverbot oder hohe Auflagen für Besuche möglich.

Maßnahmen umstritten

Dass Maßnahmen umstritten sind, ist normal. Auch die Regierung, die Maßnahmen beschließt, kennt vorher die genauen Auswirkungen auf die Infektionszahlen nicht. Man ist auf den Rat von Expertinnen und Experten angewiesen, die etwas über Viren oder Infektionen wissen, aber mit diesem Erreger natürlich erstmals zu tun haben.

Es gibt immer ein Bündel von Maßnahmen: Verbot von Veranstaltungen, Schließung von Lokalen, Begrenzung von Urlaubsreisen und so weiter. Welche Maßnahme welchen Anteil an einer Verringerung der Infektionen hatte, kann man auch hinterher nur schätzen. Man kann es aber auch nicht ausprobieren: Ein Bundesland müsste ja Restaurants weiter offen halten und einen gewissen Anteil der eigenen Bevölkerung "opfern", um den Unterschied messen zu können.

Gegen einzelne Maßnahmen wurde geklagt, zuständig sind Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte. Das OVG in Schleswig machte zum Teil im April und Mai nichts anderes, Eilentscheidungen kamen auch schon mal am Sonntag. Die meisten Klägerinnen und Kläger verloren.

Ein Beispiel: Mehrere Hamburger mit einer Zweitwohnung oder einem Ferienhaus in Schleswig-Holstein hatten dagegen geklagt, ihr Eigentum nicht nutzen zu dürfen. Schleswig-Holstein hatte angeordnet: Wer da ist, darf bleiben, wer nicht da ist, darf nicht kommen; Die Kläger verloren, denn die Maßnahme sollte eben den Verkehr generell einschränken. Das Gericht sah die Senkung der Zahl der Infektionen (und damit auch die Senkung der Zahl der Toten) als wichtiger an als die persönliche Nutzung einer Ferienwohnung, zumal die Kläger ja eine Erstwohnung besaßen, also nicht auf der Straße lebten. Andere Kläger gewannen, zum Beispiel Klagen von Konzernen, die ihre Filialen mit mehr als 800 qm Verkaufsfläche nicht öffnen durften, während kleine Geschäfte öffnen durften. Ferner gewann ein zurückgekehrter Schweden-Urlauber, der gesund war und nur mit gesunden Schweden Kontakt hatte, die Klage gegen die Quarantäne, die pauschal alle "Heimkehrer" aus allen anderen Ländern absitzen sollten.

Andere Maßnahmen wie die Anordnung, beim Einkaufen oder im Bus eine "Alltagsmaske" zu tragen, führten eher zu Unterschriftensammlungen im Internet. Diese Maßnahme hatte die Regierung auf dem Höhepunkt der Kontaktsperren abgelehnt, dann aber mit der Wiedereröffnung vieler Einrichtungen angeordnet, um diese "Öffnung" nicht sofort in eine zweite Welle von Infektionen münden zu lassen. Auch wenn das Ziel gelungen ist, kann niemand beweisen, dass es an den Masken lag. Gerichte anzurufen hatte keinen Sinn, denn das Tragen einer Maske ist eine viel zu geringe Einschränkung und wird von Gerichten verglichen mit dem Tragen einer Mütze oder einer Brille, die Maske ist eben nur zum Schutz anderer und nicht zu eigenen Schutz da.

Infektionszahlen

Die Infektionszahlen nennen die Zahl der Infizierten, soweit sie getestet wurden. Deutschland hat eine der höchsten Testzahlen weltweit, denn die Zahl der Tests und der Labore wurde seit März kräftig erhöht. Allerdings blieb im Mai die Hälfte aller zur Verfügung stehenden Tests ungenutzt, weil die Bezahlung unklar war.

Die Krankenkasse zahlt nur bei konkreten Symptomen oder Kontakten. Vorsorgliche Tests, zum Beispiel für das Personal eines Krankenhauses oder Pflegeheims, müsste die Einrichtung bezahlen. Bei öffentlichen Einrichtungen geschah das teilweise, bei privaten Einrichtungen eher nicht.

Insofern täuscht die Diskussion über Tests für Bundesliga-Fußballer und Pflegepersonal ein wenig. Sobald jemand zahlt, das können Fußballvereine relativ einfach beschließen, gibt es auch Tests. Ein Test kostet etwa 60 Euro.

Der Bundestag hat inzwischen beschlossen, dass die Krankenkassen ab dem 1. Juni mehr Tests bezahlen müssen, auch ohne konkrete Symptome.

Dennoch bleibt: Wer nicht getestet wird, kann auch nicht in der Statistik der Infizierten auftauchen. Das gilt auch für Gestorbene - in Deutschland wird auch nach dem Tod noch getestet. Das ist in anderen Ländern nicht so, Großbritannien testet nur in Krankenhäusern, nicht als Alters- und Pflegeheimen. Deshalb kann man Infizierten-Zahlen zwischen Bundesländern mit kleineren Unsicherheiten vergleichen, zwischen Staaten nur bedingt.

Es gibt auch Staaten, die die Zahlen politisch vorgeben, dazu gehören Russland, China, Iran und vermutlich auch die Türkei.

Zahlen Verstorbener

Bei den gemeldeten Toten ist umstritten, ob sie "mit" Corona oder "an" Corona verstorben sind. Sie kommen in die "Corona-Statistik", wenn sie positiv getestet wurden. Viele sind zum Zeitpunkt des Todes schon alt, meistens über 70 Jahre alt. Und viele haben natürlich auch andere Erkrankungen, Nierenleiden oder Diabetes, auch Lungenkrankheiten. Ein besonderes Risiko gehen Rentner und Raucher ein, wenn sie infiziert werden.

Insofern raten viele dazu, sich die Sterblichkeit in der Bevölkerung in den letzten fünf oder zehn Jahren anzusehen und die "Übersterblichkeit" als Kriterium zu nehmen. So wird das bei jeder Grippe-Welle gemacht. Problem der Medien, die auf "Klicks" zum Verkauf von Werbung angewiesen sind: Das Statistische Bundesamt kann diese Zahlen zwar liefern, aber in der Regel mit einem Monat Verzug. Bei "destatis" ist auch eine eigene Seite zur "Übersterblichkeit" eingerichtet werden. Dort kann man sich Anfang Juni den April ansehen, nicht aber den Mai.

Aber auch diese Statistik ist nicht ganz sicher. Denn die Reduzierung aller Kontakte ab Mitte März in Deutschland hat die Grippe-Welle praktisch schlagartig gestoppt. Im Gegenwind 380 (Mai 2020) kann man die Influenza-Zahlen, also die gemeldeten Grippe-Fälle auf Seite 26 sehen: Die schwarze Linie für 2020 geht ab der 11. Woche steil nach unten, ganz anders als in den letzten Jahren.

Auch wenn wir 10.000 oder 20.000 Tote mehr als üblich haben, haben wir gleichzeitig vielleicht 2.000 Grippe-Tote vermieden, ebenso vielleicht ein paar Hundert Verkehrstote. Die "Übersterblichkeit" liefert nur einen Annäherungswert.

Kritik an Virologen und anderen

Je mehr Unzufriedenheit mit den getroffenen Maßnahmen es gibt, desto mehr Kritik an Virologen und anderen Fachleuten gibt es auch. Vorgeworfen wird mehreres:

1) Sie wechseln ihre Meinung
2) Sie widersprechen sich
3) Sie dramatisieren.

Dabei wird einiges durcheinander gebracht.

Dass Wissenschaftler sich widersprechen, ist völlig normal. Auch beim Klimaschutz gab es viele Artikel in Fachzeitschriften, die anderen Wissenschaftlern widersprachen. Bis 2007 gab es sogar Veröffentlichungen, die den Einfluss des Menschen auf das Klima abstritten.

Aber so funktioniert Wissenschaft. Es gibt Untersuchungen, es gibt Schlussfolgerungen, die werden publiziert, und natürlich sind sie nicht einheitlich - zumindest, wenn der Staat nicht bestimmte Ergebnisse vorgibt.

Das führt auch dazu, dass Wissenschaftler dazulernen. Das bedeutet also, dass sie nicht "ihre Meinung wechseln", sondern Ergebnisse neuerer Untersuchungen aufnehmen und insofern auch bekanntgeben, dass sie jetzt andere Erkenntnisse haben und andere Maßnahmen empfehlen. Das ist für viele, die sonst nur Politikerinnen und Politiker öffentlich erleben, ungewohnt. Aber Wissenschaftler können durchaus gegen das Tragen eines Mundschutzes auftreten, um vier Wochen später dafür zu sein. Insbesondere, wenn vor vier Wochen die meisten Geschäfte geschlossen waren, jetzt aber geöffnet werden.

Dass Wissenschaftler, die als Aufgabe die Vermeidung von Toten haben, gerne radikale Maßnahmen vorschlagen, ist eigentlich nachvollziehbar. Aber dafür hat die Regierung genug Berater aus der Industrie, dem Handel und dem Sport, die das mehr als ausgleichen.

Bei Wissenschaftlern wie den Herren Wodarg oder Püschel muss man auch berücksichtigen, dass sie das Ziel hatten, in der Öffentlichkeit Thesen zu präsentieren, mit denen sie bei einem Teil des Publikums Anklang finden. Beide waren in der Vergangenheit eher mit Kritik konfrontiert, Wodarg ist in allen Funktionen "ehemaliger" (z.B. in den 1990er Jahren Leiter eines Gesundheitsamtes, später SPD-Bundestagsabgeordneter), Püschel stand nahe an einer Gefängnisstrafe.

Wodarg (und in seiner Folge auch Sucharit Bhakdi) hatte behauptet, COVID-19 wäre nicht so schlimm, sondern eine normale Grippe. Das Gefährliche daran: Er stellte sein Video Mitte März online, als Krankheitsverlauf und Zahl der Toten noch nicht im entferntesten abzuschätzen waren.

Püschel veröffentlichte nach 19 Obduktionen Verstorbener die Meinung, niemand wäre an einer Infektion mit dem neuen Corona-Virus gestorben. Auch das war voreilig, denn andere Krankenhäuser obduzierten Hunderte und kamen zu anderen Ergebnissen. Der Oberarzt in Püschels Institut widersprach ebenfalls, und Mitte Mai, nach rund 200 Obduktionen, wiederholt Püschel seine Behauptung auch nicht mehr. Er war vor 20 Jahren verantwortlich für Brechmitteleinsätze gegen festgenommene Afrikaner, in der Folge waren Festgenommene versterben. Das hatte ihm damals viel Kritik und Verfahren eingebracht.

Viel Aufmerksamkeit fand auch Stephan Kohn aus dem Innenministerium. Er befragte Ärzte und Kommunalpolitiker vom BMI aus und fertigte privat ein Gutachten, das zu dem Ergebnis kam, die Maßnahmen wären übertrieben. Außerdem wären durch die Absagen der normalen Operationen, um Plätze für Corona-Patienten freizuhalten, viele Menschen gestorben. Er hat allerdings dafür keine Zahlen und keinen einzigen konkreten Fall. Das Papier verschickte er von seinem Account beim BMI am 8. Mai an Landesregierungen und Politiker. Er wurde daraufhin vom Ministerium freigestellt und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Sein "Gutachten" ist qualitativ indiskutabel schlecht, wird aber in AfD-Kreisen als "BMI-Leak" gefeiert. Stephan Kohn hatte 2018 versucht, Bundesvorsitzender der SPD zu werden. Er war allerdings an der notwendigen internen Unterschriftensammlung (Zustimmung von Ortsverbänden, Kreisverbänden, Landesverbänden) gescheitert.

Lockerungen

Alle Lockerungen der Einschränkungen sind darauf ausgerichtet, kein "zurück zum Februar" zu provozieren, denn es gibt weder Impfungen noch sichere Medikamente: Zurück zum Februar würde auch die Zahl der Infektionen wieder steil ansteigen lassen.

Wir müssen uns darauf einrichten, dass bis zum Sommer 2021 für jede Lockerung auch neue Regeln eingeführt werden. Einige sind schon zu erkennen:

• Restaurants öffnen, aber die Tische stehen weiter auseinander, es gibt kein Büffet, und jede Gästerunde hinterlässt einen Namen mit Telefonnummer.

• Geschäfte öffnen, aber bei größerem Andrang wartet ein Teil der Kundinnen und Kunden draußen, fast alle tragen eine Alltagsmaske. An den Kassen gibt es Plexiglas-Scheiben, damit die Kassiererin vor unserem Atem geschützt wird.

• Bundesliga-Fußball startet wieder, aber zunächst ohne Publikum.

• Schulen und Kitas starten, teilweise aber im Schichtbetrieb, die Kinder besuchen die Einrichtung nur an zwei oder drei Tagen die Woche.

Proteste

Wie bei allen Einschränkungen gilt auch hier: Die Einschränkungen müssen begründet werden. Denn die Rechte in der Verfassung dürfen nur aus guten Gründen eingeschränkt werden.

Lockerungen dagegen müssen nicht begründet werden, denn sie führen ja zum "Normal-Zustand" zurück. Allerdings gehört zu unseren Freiheiten nicht nur die Freiheit, einzukaufen und Fußball zu gucken. Zu unseren Freiheiten gehört auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit - also das Recht, nicht angesteckt zu werden.

Umfragen zeigen, dass einzelne Maßnahmen umstritten sind. Grundsätzlich ist aber eine große Mehrheit damit einverstanden, das öffentliche Leben für eine gewisse Zeit einzuschränken, wenn damit die Ausbreitung der Infektion gebremst wird.

Vielen hilft auch der Blick ins Ausland, wo teils die Pandemie geleugnet oder verharmlost wurde, teils wurden solche Maßnahmen zu spät eingeleitet - und fielen dann weitaus härter aus. Trotzdem gab es in solchen Ländern weit mehr Tote, soweit die Medien frei berichten können. In anderen Ländern weiß man es nicht so genau, es ist allerdings zu vermuten, dass es dort anteilig auch mehr Tote gab als hier. Dabei geht es aber auch um die Qualität des Gesundheitssystems: In vielen anderen Ländern gibt es gar nicht die Möglichkeiten, die Ausbreitung einer Pandemie und die Zahl der Toten festzustellen.

Es gibt seit Ende April allerdings auch eine steigende Zahl von Internet-Protesten, Kundgebungen oder Demonstrationen, die die Maßnahmen grundsätzlich in Frage stellen. Bei den Organisatoren überwiegen Rechtsextremisten, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind gemischt. Da sich hier nachvollziehbare Kritik an einzelnen Maßnahmen mit Verschwörungstheorien anderer Teilnehmender mischt, ist zu erwarten, dass sich diese Proteste ausdifferenzieren werden. Zur Zeit versuchen einige der Organisatoren, mit den Protesten eine Partei rechts der AfD zu gründen, die vorläufig "Widerstand2020" genannt wird.

Die am meisten verbreiteten Veschwörungstheorien

Die Verschwörungstheorien, die verbreitet werden, sind oft in sich nicht logisch. Das wäre auch zu viel verlangt. Vor allem sind sie in der angebotenen Kombination nicht miteinander vereinbar, sondern konkurrieren miteinander.

Die Erfinder blenden allerdings in den entsprechenden Filmen meistens ihre Kontonummer für Spenden ein und können anscheinend sehr, sehr gut davon leben.

Bill Gates

Bill Gates ist der Inhaber von "Microsoft", wo "Windows" entwickelt wurde. Er ist einer der reichsten Männer der Welt und, gemeinsam mit seiner Frau, einer der größten Spender der Welt. Seine Stiftung finanziert Gesundheitsprojekte.

Seine Stiftung wendet sich explizit gegen Präsident Trump, der Gelder für die Entwicklung von Impfstoffen oder Medikamenten an die Bedingung knüpft, die entwickelten Produkte müssten in den USA zur Verfügung stehen. Die Gates-Stiftung beteiligt sich nur an Entwicklungen, deren Produkte weltweit zur Verfügung gestellt werden. Das macht ihn zur Zielscheibe der Rechten in den USA. Das Kopieren in Europa ergibt nicht wirklich Sinn, denn Gates setzt sich ja gerade dafür ein, dass die entwickelten Medikamente auch in Europa und nicht nur in den USA zur Verfügung stehen.

Die Verschwörungstheorien sagen teils, Gates habe das Virus entwickelt, um am Impfstoff zu verdienen. Auch wird behauptet, die von Gates finanzierte Forschung würde Impfungen entwickeln, die Mikrochips zur Kontrolle der Geimpften enthielten. Es ginge also um ein Projekt der Weltherrschaft.

Falls das stimmt, würde das Projekt vermutlich geheim gehalten. Die Veröffentlichungen belegen eher, dass es den "Geheim"-Plan nicht gibt. Und: Wenn Gates Geld verdienen und uns kontrollieren will, wäre es zielführender, ein Betriebssystem für Computer zu entwickeln und das weltweit zu verbreiten.

Irritierend ist, dass von den zehn reichsten Männern der Welt derjenige kritisiert wird, der am meisten Geld spendet, nicht die anderen, die wenig oder nichts spenden. Das ist ein Hinweis auf die Quelle der falschen Behauptungen.

Übrigens: Es gibt auch echte Kritik an Bill und Melinda Gates. Die sagt, dass die Stiftung zu stark auf Impfungen und Medikamente setzt, vor allem in Afrika, während Investitionen in sauberes Trinkwasser und Basis-Gesundheitsstationen effektiver wären, Impfungen wären ein sinnvoller dritter Schritt. Auf diese Kritik hat das Ehepaar Gates reagiert, indem sie sich mit den Spitzen der Weltgesundheitsorganisation trafen, um über die Ausrichtung der Stiftung zu diskutieren.

COVID-19 ist nichts weiter als eine Grippe

Behauptet wird, es handele sich nur um eine Grippe, man könnte sich ruhig anstecken, es ginge alles vorbei.

Dem widersprechen natürlich Virologen, die Grippenviren von anderen Viren unterscheiden können. Denn COVID-19 befällt viele Organe, im Gegensatz zur Grippe, und ist weit tödlicher.

Bei den Theorien über Gestorbene sind sich die Vertreter der "Grippe"-Theorie nicht einig: Einerseits behaupten sie, die rund 8.000 gemeldeten Corona-Toten in Deutschland wären zu hoch gegriffen, die meisten wären an ganz anderen Krankheiten gestorben. Gleichzeitig behaupten sie aber, die 2017/18 gemeldeten 1.400 Grippe-Toten wären zu niedrig gegriffen, in Wirklichkeit wären es 25.000 gewesen, und berufen sich auf entsprechende Veröffentlichungen von Fachblättern von Ärzten und der Pharma-Industrie. An den Behauptungen kann einiges richtig sein, aber entweder sind beide Todes-Statistiken zu niedrig oder beide zu hoch. "Destatis" kommt auf eine Übersterblichkeit der genannten Grippewelle von 22.000, also weit mehr als die dem Robert-Koch-Institut gemeldeten 1.400 Toten. Den Theoretikern kommt zugute, dass die Übersterblichkeits-Statistik für die erste Welle der COVID-19-Infektion erst im Herbst fertig ist.

Es gibt auch berechtigte Kritik: Warum gibt es eine Mundtuch-Pflicht bei COVID-19, nicht aber bei Grippe? Die offizielle Begründung ist, weil es eben die Grippe-Schutzimpfung gibt und nicht Geimpfte, die sich anstecken, das Risiko kannten. Dennoch gibt es in anderen Ländern mehr Menschen, die freiwillig einen Mundschutz tragen, mit entsprechend weniger Grippe-Ansteckungen.

In China tragen allerdings die meisten Menschen Mundschutz, weil die Städte eine hohe Feinstaub- und Smog-Belastung haben und die Regierung viel weniger dagegen unternimmt als die EU-Kommission, die ja drastische Grenzwerte beschlossen hat.

Es gibt kein neues Corona-Virus

Diese Theorie unterstellt eine Verschwörung von 195 Regierungen, hier paktieren die USA mit dem Iran, Armenien mit Aserbaidschan, Palästina mit Israel - alle verkünden eine Pandemie, die es gar nicht gibt. Die Vertreterinnen und Vertreter schreiben gerne, die Intensivstationen wären leer, Pflegepersonal in Kurzarbeit und so weiter.

Die Begründungen sind unterschiedlich. Die Regierungen wollen die Freiheit abschaffen, lautet die eine, ohne zu erklären, warum gerade USA, Deutschland, Venezuela, Russland und Iran dabei zusammenarbeiten. Eine andere Begründung ist, es wäre eine Ablenkung, um das Bargeld abzuschaffen. Das könnte man an den Zetteln bei ALDI erkennen, wo um Zahlung mit Karte gebeten wird.

Nicht kompatibel

Die Theorien, Bill Gates habe das Virus in einem Labor konstruiert, harmoniert nicht mit der Theorie, das Virus gäbe es gar nicht. Dennoch bleiben die Vertreter dieser Theorien auf den gemeinsamen Hygiene-Demonstrationen untereinander weitgehend friedlich.

Eine Folge davon ist allerdings, dass berechtigte Kritik an den Maßnahmen es schwerer hat, gehört zu werden. So gibt es auch Kritik politischer Gruppen, ihre Freiheit Kundgebungen zu organisieren würde teils zu stark eingeschränkt, weil auch Einzelpersonen mit einem Plakat von der Polizei Platzverweise erhielten.

Man muss also darauf achten: Nicht jede Kritik an Einschränkungen in der Zeit der Pandemie ist ein Ergebnis von Verschwörungstheorien. Nicht jede Teilnehmerin, nicht jeder Teilnehmer an einer Kundgebung ist AnhängerIn einer Nazi-Partei. Und nicht alle durchschauen auf Anhieb den Hintergrund von Aufrufen, die mit "Widerstand" oder "Hygiene", mit "Freier Meinungsäußerung" oder "Grundgesetz" werben.

Der Kern der Organisatoren ist allerdings mit denen, die früher gegen den Euro, gegen die Aufnahme von Flüchtlingen oder auch gegen die Ausbreitung des Islam protestiert haben. Und auch da gab es immer Menschen, die berechtigte Kritik an Konstruktionsfehlern der Währungsunion hatten oder eine repressive Praxis bei bestimmten Formen des Islam zu Recht kritisierten.

Diskussionsbeiträge zum Thema: redaktion@gegenwind.info

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Quelle:
Gegenwind Nr. 381 - Juni 2020, Seite 4 - 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2020

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